Die Integrationsfestigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG - Lisa Maria Völkerding - E-Book

Die Integrationsfestigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG E-Book

Lisa Maria Völkerding

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Beschreibung

Die evangelische Kirche zählt zu den größten Arbeitgebern in Deutschland. Aus dem Anwendungsbereich des staatlichen Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsrechts ist sie allerdings de lege lata herausgenommen. Das von ihr selbst gesetzte und durch eine eigene Arbeitsgerichtsbarkeit kontrollierte Mitarbeitervertretungsrecht sieht allerdings nur einen "unvollkommenen Rechtsschutz" vor; denn die zwangsweise Durchsetzung kirchengerichtlicher Entscheidungen, also ein substantieller Rechtsschutz, wird durch das MVG.EKD selbst, aber auch durch das staatliche Gewaltmonopol ausgeschlossen. Der kirchenrechtlich gewährte Rechtsschutz wird daher - insbesondere von der Mitarbeiterschaft - als Rechtsschutz "zweiter Klasse" empfunden. Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, ob ein substantieller Rechtsschutz trotz des kirchlichen/christlichen Selbstverständnisses und des staatlichen Gewaltmonopols nicht nur möglich, sondern aus rechtsstaatlichen und europarechtlichen Gründen sogar geboten ist. Ausführlich wird erörtert auf welche Weise im Mitarbeitervertretungsrecht der evangelischen Kirche unter Einbeziehung der staatlichen Gerichte ein umfassender Rechtsschutz gewährleistet werden kann, ohne dass dabei in das der Kirche von der Verfassung eingeräumte Selbstbestimmungsrecht eingegriffen wird.

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Die Integrationsfestigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechtsim Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissenim Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG

INAUGURALDISSERTATIONzur Erlangung des Grades einesDoktors des Rechts durch dieRechts- und Staatswissenschaftliche Fakultätder Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

vorgelegt vonLisa Maria Völkerding aus Bremen 2021

Meinen Eltern und meiner Großmutter in Dankbarkeit.

Dekan:                Prof. Dr. Jürgen von HagenErstreferent:      Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M. (Harvard)Zweitreferent:Prof. Dr. Raimund WaltermannTag der mündlichen Prüfung: 4. Dezember 2020

Die Integrationsfestigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG

Inauguraldissertationzur Erlangung des Grades eines Doktorsdes Rechtsdurch dieRechts- und Staatswissenschaftliche Fakultätder Rheinischen Friedrich-Wilhelms-UniversitätBonn

vorgelegt von Lisa Maria Völkerdingaus Bremen2021

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

 

1. Auflage 2021Alle Rechte vorbehalten© 2021, Lambertus-Verlag, Freiburg im Breisgauwww.lambertus.deUmschlaggestaltung: Nathalie Kupfermann, BollschweilDruck: Franz X. Stückle Druck und Verlag, EttenheimISBN 978-3-7841-3331-7ISBN eBook 978-3-7841-3419-2

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

§ 1 Einleitung

A.  Thematische Hinführung und Problemaufriss

B.  Untersuchungsgegenstand

C.  Gang der Darstellung

§ 2 Grundlagen und Grenzen des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber in der Bundesrepublik Deutschland

A.  Die Verankerung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV

I.     Der persönliche Schutzbereich von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV

II.    Der sachliche Schutzbereich von Art. 140 GG i.V.m Art. 137 Abs. 3 WRV

1.  Das „Ordnen“

a)  Verfassungsrechtliche Ausgangssituation

b)  Stellungnahme

2.  Das „Verwalten“

3.  Die „eigenen Angelegenheiten“

a)  Begriff und Umfang

b)  Prozessuale Darlegungs- und Beweislast

III.   Auslegung der „Schranken des für alle geltenden Gesetzes“

1.  Heckel‘sche Formel

2.  „Bereichslehre“ und „Jedermann-Formel“

a)  Konzept

b)  Rechtswissenschaftliche Rezeption

3.  Güterabwägung und Wechselwirkungslehre

a)  Konzept

b)  Rechtswissenschaftliche Rezeption

4.  Stellungnahme

5.  §§ 1 ff. KSchG und § 626 BGB als für alle geltende Gesetze

6.  Das AGG als ein für alle geltendes Gesetz

7.  Verfassungsimmanente Schranken

8.  Schranken aus Konkordaten und Kirchenverträgen

IV.   Das Verhältnis von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV zu Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG

1.  Der Streitstand im Überblick

a)  Die Rechtsprechung des BVerfG

b)  Institutionelle Freiheitsgarantie

c)  Auffangfunktion

d)  Kollisionsfunktion

2.  Stellungnahme

B.  Die Kündigung von Arbeitsverhältnissen als „eigene Angelegenheiten“ der Kirchen

I.     Transzendenzschutz statt Tendenzschutz

II.    Die Dienstgemeinschaft als Grundlage kirchlicher Arbeitsverhältnisse

1.  Katholische Kirche

2.  Evangelische Kirche

III.   Überblick über Grundlagen und Ausformungen kündigungsrelevanter Loyalitätsobliegenheiten

1.  Hintergrund der kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten

2.  Überblick über den Regelungsgehalt kündigungsrelevanter Loyalitätsobliegenheiten

a)  Katholische Kirche

aa) Grundlagen

bb) Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten, die zu einer Kündigung berechtigen

(1) Der Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe, Art. 5 Abs. 2 GrOkathK a.F.

(aa) Die Ehe als „res sacra“

(bb) Gründe für die Ungültigkeit einer Ehe nach der kirchlichen Rechtsordnung

(cc) Kirchliche Bewertung einer ungültigen Ehe

(dd) Spannungsverhältnis zu Art. 6 Abs. 1 GG

(2) Kirchenaustritt

(3) Öffentliches Eintreten gegen die tragenden Grundsätze der katholischen Kirche

(4) Schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlungen

(5) Handlungen, die kirchenrechtlich als eindeutige Distanzierung von der katholischen Kirche anzusehen sind

(6) Auswirkungen der Überarbeitung vom 27. April 2015

(aa) Reformierung der Tatbestände schwerer Loyalitätsobliegenheitsverstöße

(bb) Reformierung der Rechtsfolgen schwerer Loyalitätsobliegenheitsverstöße

(cc) Reformierung des Kündigungsverfahrens

b)  Evangelische Kirche

aa) Grundlagen des kirchlichen Dienstes

bb) Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten die zu einer Kündigung berechtigen

(1) Bis zur Novellierung

(2) Auswirkungen der Novellierung vom 9. Dezember 2016

3.  Zusammenfassung und Stellungnahme

IV.   Die Leitentscheidungen des BVerfG zur Reichweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen

1.  Rechtliche Situation bis 1985

2.  Die Stern-Entscheidung des BVerfG

a)  Hintergrund

b)  Die Gründe des Stern-Urteils

3.  Die Chefarzt-Entscheidung

a)  Hintergrund

b)  Die Gründe des Chefarzt-Urteils

4.  Zusammenfassung und Stellungnahme

§ 3 Anerkennung und Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber durch Rechtssetzung und Rechtsprechung der EU

A.  Das Religionsverfassungsrecht als Kompetenzgrenze der EU

B.  Normative Verankerung des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber in der Unionsrechtsordnung

I.     Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten (Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV)

II.    Unionsrechtlicher Grundrechtsschutz

1.  Art. 9 EMRK (i.V.m. Art. 11 EMRK)

a)  Individuelle und korporative Religionsfreiheit

b)  Selbstbestimmungsrecht kirchlicher Arbeitgeber im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen

aa) Problematik der Bestimmung eines europäischen Mindeststandards

bb) Schutzbereichsdefinition im Lichte der Rechtsprechung des EGMR

(1) Transzendenzschutz nach Obst, Schüth und Siebenhaar?

(2) Tendenzschutz nach Fernández Martínez?

(3) Tendenzschutz nach Travas?

cc) Zwischenergebnis

2.  EU-GRCh

III.   Die Erklärung Nr. 11 der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam

IV.   Art. 17 AEUV

1.  Abwägungslösung

2.  „Öffnungslösung“

3.  Eigener Standpunkt

V.    Art. 167 AEUV

VI.   Ergebnis

C.  Grundlagen des europäischen Antidiskriminierungsrechts

I.     Primärrechtliche Grundlagen

1.  Zentrale Antidiskriminierungsnormen im Vertragsrecht der Union

2.  Diskriminierungsverbote in der EU-GRCh

3.  Das Diskriminierungsverbot als allgemeiner unionsrechtliche Grundsatz

II.    Die RL 2000/78/EG

1.  Geltungsbereich

2.  Die Diskriminierungsmerkmale „Religion“ und „Weltanschauung“

3.  Die Ausnahmeregelungen des Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG für kirchliche Arbeitgeber

a)  Genese

b)  Verhältnis zu Art. 4 Abs. 1 RL 2000/78/EG

c)  Persönlicher Anwendungsbereich

(aa) Grundsätzliches

(bb) Subjektive Schutzberechtigung von juristischen Personen des Privatrechts

(cc) Überprüfbarkeit des Ethos öffentlicher und privater Organisationen

d)  Sachlicher Anwendungsbereich

(aa) Erfasste berufliche Tätigkeiten

(bb) Anwendbarkeit auf kirchliche Bildungsverhältnisse

(cc) Anwendbarkeit auf selbstständig Beschäftigte

(dd) Statische Gepflogenheit, dynamische Normierung

D.  Die Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG durch den EuGH

I.     Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG nach der Egenberger-Entscheidung

1.  Hintergrund der EuGH-Entscheidung Egenberger

2.  Auslegung der Tatbestandsmerkmale durch den EuGH in Sachen Egenberger

a)  Entscheidungskompetenz hinsichtlich des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen „angesichts des Ethos“

b)  Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts durch Art und Umstände der Tätigkeit

c)  Gewichtung des Kriteriums „wesentliche“

d)  Differenzierung zwischen einer „rechtmäßigen“ und einer „gerechtfertigten“ Anforderung

e)  Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

II.    Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG nach der IR-Entscheidung

1.  Hintergrund der EuGH-Entscheidung IR

2.  Auslegung der Tatbestandsmerkmale durch den EuGH in Sachen IR

III.   Kritische Würdigung der Argumentation des EuGH

1.  Substanzlose Tatbestandsdefinitionen

2.  Fehlerhafte Deutung der Bezugnahme in Erwägungsgrund Nr. 24

3.  Verkennung des Willens des Richtliniengebers

4.  Verkennung der Normhierarchie des Unionsrechts

IV.   Primärrechtskonformität der Urteile Egenberger und IR

1.  Möglicher Verstoß gegen das Achtungsgebot des Art. 17 Abs. 1, Abs. 2 AEUV

2.  Möglicher Verstoß gegen das Beeinträchtigungsverbot des Art. 17 Abs. 1, Abs. 2 AEUV

3.  Vorläufiges Ergebnis

V.    Vorschlag einer primärrechtskonformen Auslegung des Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG

1.  Die primärrechtskonforme Auslegung von sekundärem Unionsrecht

2.  Prinzipielle Öffnung der Richtliniennorm zugunsten eines nationalen Ausgleichs

a)  Wortlaut

b)  Systematik

c)  Regelungszweck

d)  Zwischenergebnis

3.  Öffnung der EuGH-Rechtsprechung zugunsten eines nationalstaatlichen Ausgleichs

a)  Anknüpfungspunkt: Art und Umstände der Tätigkeit

b)  Anknüpfungspunkt: Die Auslegung des Merkmals „gerechtfertigte“

(aa) Problemaufriss

(bb) Eigener Standpunkt

(cc) Vorschlag einer primärrechtskonformen Durchführung der arbeitsgerichtlichen Kontrolle des kirchlichen Vortrags

(dd) Zwischenergebnis

c)  Anknüpfungspunkt: Die Auslegung des Merkmals „wesentliche“

d)  Anknüpfungspunkt: Die Auslegung des Merkmals „rechtmäßige“

e)  Anknüpfungspunkt: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

4.  Ergebnis

E.  Die Umsetzungsnorm des § 9 AGG als Ausgangspunkt eines Mehrebenenkonflikts

I.     Die Ausnahmeklausel des Art. 9 Abs. 1 AGG

1.  Persönlicher Anwendungsbereich

a)  Zugeordnete Einrichtungen

b)  Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen

2.  Sachlicher Anwendungsbereich

3.  Auslegung der Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 AGG durch das BAG

a)  § 9 Abs. 1 Hs. 1 AGG: „[…] unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht […]“

(aa) Genese

(bb) Stand der Diskussion bis zum Urteil des BAG vom 25. Oktober 2018

(cc) Das Egenberger-Urteil des BAG

b)  § 9 Abs. 1 Hs. 2 AGG: „[…] oder nach der Art der Tätigkeit […]“

c)  § 9 Abs. 1 Hs. 2 AGG: „[…] eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.“

d)  Ergebnis

II.    Die Ausnahmeklausel des Art. 9 Abs. 2 AGG

1.  Personeller und sachlicher Anwendungsbereich

2.  Auslegung der Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 AGG durch das BAG

a)  Stand der Diskussion bis zum Urteil des BAG vom 20. Februar 2019

b)  Das zweite Chefarzt-Urteil des BAG

c)  Ergebnis

III.   Das Verhältnis der BAG-Entscheidungen zur „Zwei-Stufen“-Prüfung des BVerfG

1.  §§ 1, 7 i.V.m. § 9 Abs. 1 AGG

a)  Widerspruch zur Plausibilitätskontrolle des BVerfG

b)  Widerspruch zur Interessenabwägung des BVerfG?

c)  Zwischenergebnis

2.  §§ 1, 7 i.V.m. § 9 Abs. 2 AGG

3.  Ergebnis

IV.   Ungenutzte Öffnungsklauseln

1.  Rechtssache Egenberger

2.  Rechtssache IR

3.  Ergebnis

V.    Die richtlinienkonforme Auslegung des § 9 AGG

1.  Zur Methode der richtlinienkonformen Auslegung

2.  § 9 Abs. 1 Hs. 1 AGG: „[…] unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht […]“

a)  Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung

aa) Wortlaut

bb) Wille des historischen Gesetzgebers

cc) Gesetzgebungsgeschichte

dd) Ergebnis

b)  Folge der Begrenzung richtlinienkonformer Auslegungsmöglichkeiten

aa) Vereinbarkeit mit dem EU-Primärrecht

bb) Vereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben

3.  § 9 Abs. 1 Hs. 2 AGG: „[…] oder nach der Art der Tätigkeit […]“

a) Begrenzung der unionskonformen Auslegung durch den gesetzgeberischen Willen

b)  Richtlinienkonforme Auslegung der Tatbestandsmerkmale

c)  Vereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben

4.  § 9 Abs. 1 AGG: „[…] eine gerechtfertigte berufliche Anforderung […]“

a)  Begrenzung der unionskonformen Auslegung durch den Gesetzgeberwillen

b)  Richtlinienkonforme Auslegung der Tatbestandsmerkmale

aa) Das Merkmal „gerechtfertigte“

bb) Das Merkmal „wesentliche“

cc) Das Merkmal „rechtmäßige“

dd) Die Verhältnismäßigkeitsprüfung

c)  Vereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben

aa) Das Merkmal „gerechtfertigte“

bb) Das Merkmal „wesentliche“

cc) Das Merkmal „rechtmäßige“

dd) Die Verhältnismäßigkeitsprüfung

5.  § 9 Abs. 2 AGG

a)  Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung

b)  Vorschlag einer unionsrechtskonformen Auslegung der Tatbestandsmerkmale im Lichte des Selbstbestimmungsrechts der Kirche

c)  Vereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben

6.  Ergebnis

VI.   Fazit

§ 4 Das Verhältnis des deutschen Verfassungsrechts zum Unionsrecht

A.  Grundlagen der Übertragung deutscher Hoheitsgewalt auf EU-Organe

I.     Art. 24 GG

II.    Art. 23 GG

1.  Verfassungsrechtlicher Integrationsauftrag

2.  Die Struktursicherungsklausel

3.  Integrationsgrenze des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG

4.  Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gem. Art. 5 Abs. 2 EUV

5.  Die flankierenden Prinzipien des BVerfG

a)  Prinzip der Europarechtsfreundlichkeit

b)  Prinzip der Integrationsverantwortung

B.  Der unionsrechtliche Anwendungsvorrang aus Sicht des EuGH

C.  Der unionsrechtliche Anwendungsvorrang aus Sicht des BVerfG

D.  Trennung der Grundrechtsbereiche und Durchbrechung des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs

I.     Grundrechtskontrolle nach Solange-I und -II

1.  Normative Anknüpfung

2.  Prozessuale Verortung

3.  Voraussetzungen einer erfolgreichen Grundrechtskontrolle

II.    Identitätskontrolle

1.  Normative Anknüpfung

2.  Prozessuale Verortung

3.  Voraussetzungen einer Identitätskontrolle

a)  Besondere Anforderungen an die Zulässigkeit einer auf die Verletzung der Verfassungsidentität gestützten Verfassungsbeschwerde

b) Eingriff in den Schutzbereich der Verfassungsidentität

aa) Die Wurzeln des Konzepts der „Verfassungsidentität

bb) Integrationsbegrenzende Funktion des Art. 79 Abs. 3 GG

cc) Inhaltlicher Gleichlauf von Verfassungsidentität und Ewigkeitsgarantie

dd) Verhältnis zur „nationalen Identität“ i.S.d. Art. 4 Abs. 2 EUV

ee) Zur Dynamik der Verfassungsidentität

ff) Restriktive Auslegung der Verfassungsidentität

gg) Anforderungen an das „Berührtsein“ der Grundsätze des Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 1, Art. 20 GG

hh) Der Menschenwürdekern der Grundrechte

ii) Keine Abwägung zwischen Verfassungsidentität und Integrationsauftrag

jj) Schutzbereichsdefinition im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG

(1) Der Katalog der demokratierechtlich „sensiblen“ Bereiche

(2) Konkretisierung der Verfassungsidentität durch das BVerfG

(3) Folgerungen für die auf Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 GG gestützte Identitätskontrolle

(4) Folgerungen für die auf Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 1 GG gestützte Identitätskontrolle

4.  Grenzen der bundesverfassungsgerichtlichen Prüfungskompetenz

a)  Subsidiaritätsgrundsatz

b)  Die Erforderlichkeit einer Vorlage i.S.v. Art. 267 AEUV

aa) Problemstellung

bb) Eigener Standpunkt

5.  Zusammenfassung

III.   Ultra-vires-Kontrolle

1.  Normative Anknüpfung

2.  Prozessuale Verortung

3.  Voraussetzungen einer Ultra-vires-Kontrolle

a)  Besondere Anforderungen an die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde

b)  Feststellung eines ausbrechenden Rechtsakts

c)  Offensichtlichkeit des Kompetenzverstoßes

aa) Konkretisierung des Begriffs der „Offensichtlichkeit“

bb) Offensichtlich kompetenzwidrige Entscheidungen des EuGH

d)  Feststellung einer gravierenden Verschiebung des Kompetenzgefüges

aa) Grundsatz

bb) Zur Handhabung von Prognoseentscheidungen

cc) Annahme einer gravierenden Verschiebung des Kompetenzgefüges

4.  Grenzen der bundesverfassungsgerichtlichen Prüfungskompetenz

a)  Subsidiaritätsgrundsatz

b)  Begründung der gerichtlichen Vorlagepflicht

c)  Vorlagepflicht des BVerfG nach fachgerichtlicher Vorlage

5.  Zusammenfassung

IV.   Verhältnis der Grenzkontrollen zueinander

1.  Verhältnis von Identitätskontrolle und Grundrechtskontrolle

2.  Verhältnis von Identitätskontrolle und Ultra-vires-Kontrolle

3.  Verhältnis von Ultra-vires-Kontrolle und Grundrechtskontrolle

E.  Verknüpfung der Grundrechtsbereiche im Mehrebenensystem

I.     Die Kontrolle der Durchführung nicht vollständig unionsrechtlich determinierten Rechts am Maßstabe der nationalen Grundrechte (Recht auf Vergessenwerden-I)

1.  Parallele Anwendbarkeit der EU-GRCh

2.  Heranziehungsvorrang der Grundrechte des Grundgesetzes

3.  EU-Grundrechtskonforme Auslegung des primär heranzuziehenden nationalen Grundrechts

4.  Grenzen des Heranziehungsvorrangs der deutschen Grundrechtsordnung

a)  Unionsrechtliche Maßgaben schränken die Reichweite der deutschen Grundrechte ein

b)  Widerlegung der Vermutung des Gleichlaufs der Schutzbereiche der Grundrechtsordnungen

5.  Bewertung

II.    Die Kontrolle der Anwendung vollharmonisierten Unionsrechts anhand der EU-GRCh (Recht auf Vergessenwerden-II)

1.  Harmonisierungsgrad der streitigen Regelung

2.  Begründung für die unmittelbare Anwendung des Katalogs der EU-GRCh

3.  Bewertung

§ 5 Auflösung des Mehrebenenkonflikts

A.  Aussöhnung des Mehrebenkonflikts in der Rechtssache IR unter Anwendung der Rechtsprechung des 1. Senats vom 6. November 2019

I.     Der Harmonisierungsgrad des § 9 AGG

1.  Gestaltungsoffenheit des Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG

2.  Gestaltungsoffenheit des Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG

II.    Widerlegung der Vermutung des Gleichlaufs des Grundrechtsschutzes

1.  Grundrechtliche Maßgaben des Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG

2.  Konkrete und hinreichende Anhaltspunkte für ein abweichendes Grundrechtsschutzniveau in den Fällen Egenberger und IR

3.  Zwischenergebnis

III.   Kontrolle des IR-Urteils des BAG „primär“ am Maßstab der Grundrechte des deutschen Grundgesetzes

IV.   Ergebnis

B.  Durchbrechung des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs zugunsten des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in der Rechtssache IR

I.     Das IR-Urteil des BAG vom 20. Februar 2020 als Gegenstand einer bundesverfassungsgerichtlichen Kontrolle

1.  Verfassungsbindung der Gerichte bei der Anwendung von Umsetzungsnormen

2.  Unionsrechtlich determinierte Verfassungsverstöße im IR-Urteil des BAG

3.  Mittelbar kontrollierbarer unionsrechtlicher Hoheitsakt

4.  Ergebnis

II.    Anwendung der Grundrechtskontrolle im Fall IR

III.   Anwendung der Identitätskontrolle im Fall IR

1.  Identitätskontrolle gem. Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 1 GG

a)  Materielle Reichweite des Gewährleistungsbereichs des Art. 1 Abs. 1 GG

aa) Menschenwürdegehalt des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nach der Rechtsprechung

bb) Menschenwürdegehalt des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nach Ansicht der Literatur

cc) Eigener Standpunkt

(1) Menschenwürdekern der Religionsfreiheit

(2) Verknüpfung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts mit der Religionsfreiheit

(3) Menschenwürdegehalt des religiösen Selbstbestimmungsrechts als Ausprägung der Religionsfreiheit

(aa) Das Recht der Kirche, ein christliches Ethos zu definieren

(bb) Verbindung der Gläubigen in einer kirchlich organisierten Organisationsstruktur zwecks arbeitsteiliger Verwirklichung von Religionszielen

(cc) Selbstbestimmte personelle Zusammensetzung einer Arbeitsgemeinschaft der Gläubigen

(dd) Recht der Kirche zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen aufgrund von Verstößen gegen Loyalitätsanforderungen

dd) Zwischenergebnis

b)  Persönliche Erstreckung der Menschenwürde

aa) Rechtsprechung

bb) Auffassung der Literatur

cc) Eigener Standpunkt

(1) Die glaubensangehörigen Dienstnehmer als Träger der Menschenwürde

(2) Die Kirche als Trägerin der Menschenwürde

(3) Auswirkung auf die Beschwerdebefugnis

dd) Zwischenergebnis

c)  Eingriff in das Menschenwürdeprinzip durch die Prüfungsvorgaben des EuGH in der Rechtssache IR

aa) Das Recht der Kirche, ein christliches Ethos zu definieren

bb) Verbindung der Gläubigen zur arbeitsteiligen Verfolgung des katholischen Sendungsauftrags in einer kirchlich organisierten Dienstgemeinschaft

cc) Selbstbestimmte personelle Besetzung der Glaubensausübungsgemeinschaft

(1) Eingriff durch das Merkmal der „Art“ und „Umstände“ der ausgeübten Tätigkeit

(2) Eingriff durch das Merkmal „wesentliche“

(3) Eingriff durch das Merkmal „rechtmäßige“

(4) Eingriff durch das Merkmal „gerechtfertigte“

aa) Das Merkmal „gerechtfertigte“ mit Öffnungswirkung

bb) Das Merkmal „gerechtfertigte“ ohne Öffnungswirkung

(5) Eingriff durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

d)  Vorlageverpflichtung des BVerfG gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV

e)  Ergebnis

2.  Identitätskontrolle gem. Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG i.V.m. Art. 38 Abs. 1 GG

a)  Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht als identitätsprägende Grundentscheidungen des deutschen Gesetzgebers

aa) Historische Vorverständnisse

bb) Kulturelle Vorverständnisse

cc) Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels

dd) Zwischenergebnis

b) Demokratische Legitmaton

c)  Reichweite der identitätsrelevanten Grundentscheidung

d)  Verletzungen der Verfassungsidentität durch das IR-Urteil

aa) Keine prinzipielle Aberkennung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

bb) Fachgerichtliche Aushöhlung des materiellen Gehalts des Selbstbestimmungsrechts?

(1) Anknüpfungspunkt: „[…] nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos […]“

(2) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

cc) Zwischenergebnis

e)  Beschwerdebefugnis

f)  Vorlageverpflichtung des BVerfG gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV

g)  Ergebnis

IV.   Anwendung der Ultra-vires-Kontrolle im Fall IR

1.  Kompetenzverstoß des EuGH in der Rechtssache IR

2.  Hypothetische Kompetenzüberschreitung „praktisch kompetenzbegründend“

3.  Offensichtlichkeit des hypothetischen Kompetenzverstoßes

a)  Missachtung des Achtungsgebots und des Beeinträchtigungsverbot des Art. 17 Abs. 1, Abs. 2 AEUV

aa) Fehlende Begründungstiefe

bb) Fehlerhafte Bewertung der Verweisung des Gesetzgebers in Erwägungsgrund Nr. 24 der RL 2000/78/EG

cc) Verstoß gegen die unionsrechtliche Normenhierarchie

dd) Ersatz eines Freiheitsrechts durch den Diskriminierungsgrundsatz

ee) Gebot, nationales Recht unangewendet zu lassen

ff) Kein Eingriff in die Autorität des Heiligen Stuhls

b)  Zwischenergebnis

4.  Beschwerdebefugnis

5.  Vorlageverpflichtung des BVerfG

6.  Ergebnis

C.  Die integrationsfesten Bestandteile des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen

I.     Umfang

1.  Integrationsfestigkeit unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde

a)  Bildung und Verkündung des Ethos

b)  Arbeitsteilige Verbindung der Gläubigen zu einer Dienstgemeinschaft

c)  Prinzipielle Freiheit der kirchlichen Arbeitgeber bei der personellen Besetzung der Dienstgemeinschaft von staatlicher Einflussnahme

2.  Integrationsfestigkeit unter dem Gesichtspunkt des Demokratieprinzips

3.  Integrationsfestigkeit unter dem Gesichtspunkt der Kompetenzgrenze

II.    Bedeutung für die Kündigungspraxis kirchlicher Arbeitgeber

1.  Arbeitsgerichtliche Kontrolle

2.  Normierung von Loyalitätsanforderungen

a)  Grundsätzliches

b)  Die Ungültigkeit der Ehe als Kündigungsgrund

c)  Die Konfessionszugehörigkeit als Einstellungsvoraussetzung

d)  Der Kirchenaustritt als Kündigungsgrund

e)  Fazit

§ 6 Ergebnisse

A.  Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland

B.  Unionsrechtliche Einwirkung auf das Selbstbestimmungsrecht kirchlicher Arbeitgeber im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen

C.  Der Mehrebenenkonflikt im Anwendungsbereich der RL 2000/78/EG

D.  Möglichkeiten zur Harmonisierung des Mehrebenenkonflikts

I.     Unionsrechtskonforme Auslegung

II.    Auswirkung der Recht auf Vergessenwerden-Rechtsprechung des BVerfG

E.  Verfassungsrechtliche Grundlagen der Durchbrechung des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs

I.     Identitätskontrolle

II.    Ultra-vires-Kontrolle

F.   Integrationsfestigkeit des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen

I.      Integrationsfestigkeit des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber als Bestandteil der Verfassungsidentität gem. Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG

II.     Integrationsfestigkeit gem. Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG i.V.m. Art. 38 Abs. 1 GG

III.    Integrationsfestigkeit des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber als Kompetenzgrenze der EU

G.  Ausblick

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Lebenslauf

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2020/2021 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Ihr Text wurde im August 2020 abgeschlossen. Rechtsprechung und Literatur wurden nach Möglichkeit bis einschließlich Dezember 2020 berücksichtigt.

Mein großer Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M. (Harvard), der die Bearbeitung dieses wunderbaren Themas anregte, den für die Wissenschaft notwendigen Freiraum ließ und stets ein offenes Ohr für meine Fragen hatte. Die Bearbeitung einer so aktuellen Fragestellung war durch seine schnelle gutachterliche Würdigung überhaupt erst möglich. Prof. Dr. Raimund Waltermann danke ich sehr für die ebenso außergewöhnlich zügige Erstellung des Zweitgutachtens und damit verbundene Unterstützung meines Promotionsvorhabens. Bedanken möchte ich mich zudem bei PD Dr. Gerrit Forst LL.M. (Cambridge) als Vorsitzenden meiner Prüfungskommission.

Ich bedanke mich ferner bei meinem Doktorvater und Prof. Dr. Jacob Joussen für die Aufnahme dieser Arbeit in ihre Schriftenreihe.

Darüber hinaus danke ich der Konrad-Adenauer-Stiftung, deren Promotionsförderung mir die notwendige Freiheit einräumte, mich voll und ganz der Beantwortung der vorliegenden Fragestellung zu widmen. In diesem Zusammenhang danke ich meinem Doktorvater sowie Prof. Dr. Constanze Janda für die Unterstützung meines Stipendiums.

Für das gründliche Lektorat und das Stellen der richtigen Fragen bedanke ich mich von Herzen bei meinem Vater Dr. Christoph Förster, meinem Bruder Julius Förster und meiner Freundin Mia Alikhah LL.M. Für zahlreiche Gespräche und die geduldige Begleitung des gesamten Projekts „Doktorarbeit“ danke ich meinem Ehemann Hendrik Völkerding. Für die große emotionale Unterstützung danke ich vor allem meiner Mutter Katrin Förster und meiner lieben Großmutter Irmhild Schlummer. Dank diesen Menschen wird Unmögliches möglich. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.

§ 1 Einleitung

A.  Thematische Hinführung und Problemaufriss

Das Wort „Integration“ entspringt dem lateinischen Begriff „integratio“, mittels dessen der Vorgang des „Vollwerdens“, des „Ganzwerdens“ oder der „Erneuerung“ ausgedrückt wird.1

Der vom BVerfG verwendete Begriff der „Integrationsfestigkeit“2 bezeichnet das Gegenteil: Das BVerfG vertritt die Auffassung, die Öffnung des Grundgesetzes zugunsten des europäischen Rechts unterliege Grenzen, die ein „Voll- und Ganzwerden“ der Bundesrepublik mit Europa ausschließen würden.3 Obwohl die vom BVerfG aufgezeigten Grenzen gem. Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG im „Europaartikel“4 selbst angelegt sind, ist diese Rechtsprechung dem teils heftig formulierten Vorwurf ausgesetzt, den „Integrationsauftrag“5 des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG zu verletzen.6

Dass dem „kirchlichen Arbeitsrecht“7 eines Tages eine besondere Rolle im Zusammenhang mit der Frage des Verhältnisses des deutschen (Religions-) Verfassungsrechts und des Primats des Unionsrechts zukommen könnte, wurde in der rechtswissenschaftlichen Literatur im Zusammenhang mit der Einführung der RL 2000/78/EG frühzeitig erkannt.8 Bereits im Jahr 1985 hatte das BVerfG im Stern-Urteil entschieden, dass Kündigungsentscheidungen kirchlicher Arbeitgeber aufgrund von Verstößen gegen kirchliche Loyalitätsanforderungen durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV vor einer umfassenden arbeitsgerichtlichen Kontrolle geschützt sind.9 Diesen Grundsatz hat das Gericht 2014 im Chefarzt-Urteil gerade in Bezug auf konfessionell differenzierende Loyalitätsanforderungen mit Nachdruck bekräftigt.10 Über 30 Jahre lang wurde das Prinzip der eingeschränkten arbeitsgerichtlichen Überprüfbarkeit von Kündigungsentscheidungen der häufig als „zweitgrößter Arbeitgeber“11 der Bundesrepublik bezeichneten Kirchen von den Institutionen der EU nicht angetastet.

Im Jahr 2018 entschied der EuGH dann gleich zweimal über den Umfang der gerichtlichen Prüfung von Entscheidungen kirchlicher Arbeitgeber. Das eine Mal ging es um die Konfessionszugehörigkeit als Tätigkeitsvoraussetzung im Dienst der evangelischen Diakonie (Egenberger12) und das andere Mal um die Kündigung aufgrund der Eingehung einer nach katholischem Kirchenrecht ungültigen Ehe (IR13). Die Anwendung der europäischen RL 2000/78/EG14 verlangt nach Auffassung des Gerichtshofs hinsichtlich der den Arbeitgeberentscheidungen zugrunde liegenden kirchlichen Loyalitätsanforderungen eine umfassende, objektive Kontrolle durch staatliche Gerichte.15 Auf Grundlage der EuGH-Urteile entschied sodann das BAG jeweils zu Lasten der kirchlichen Arbeitgeber.16 Die evangelische Diakonie legte in der Rechtssache Egenberger gegen das BAG-Urteil vom 25. Oktober 2018 am 16. März 2019 eine Verfassungsbeschwerde (2 BvR 934/19) ein und machte geltend, die der Entscheidung zugrunde liegende Rechtsprechung des EuGH verletze integrationsfeste Gehalte der Verfassung und finde daher keine Anwendung.17 Das Erzbistum Köln entschied sich aufgrund der zwischenzeitlich überarbeiteten katholischen Loyalitätsanforderungen gegen die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde in der Rechtssache IR.18

Folglich ist in absehbarer Zeit keine höchstrichterliche Beantwortung der Frage zu erwarten, ob das Selbstbestimmungsrecht kirchlicher Arbeitgeber bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen zu den „integrationsfesten“ Bestandteilen des Grundgesetzes zählt. Da aber die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache IR möglicherweise den Weg für weitere Verengungen der kirchlichen Freiheit geebnet hat, ist eine Klärung der Grenzen der unionsrechtlichen Beschränkungsmöglichkeiten mit Blick auf die etwa 1,3 Millionen19 kirchlichen Beschäftigungsverhältnisse sowohl von rechtlicher als auch von volkswirtschaftlicher Bedeutung.

B.  Untersuchungsgegenstand

Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, ob ein Mehrebenenkonflikt im Anwendungsbereich der RL 2000/78/EG zwischen den unionsrechtlichen Vorgaben und den verfassungsrechtlichen Besonderheiten der arbeitsgerichtlichen Kontrolle von Kündigungsentscheidungen kirchlicher Arbeitgeber vermieden werden kann. Für den Fall, dass Widersprüche zwischen den unionsrechtlichen Vorgaben und den Maßgaben, die das BVerfG in den Verfahren Stern und Chefarzt für die arbeitsgerichtliche Kontrolle in Kündigungsschutzverfahren getroffen hat, verbleiben, soll geklärt werden, auf welcher rechtlichen Grundlage sich Bestandteile des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber gegen unionsrechtlich determinierte Eingriffe behaupten können. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Beantwortung der bislang von Literatur und Rechtsprechung ungeklärten Frage, ob und in welchem Umfang das Selbstbestimmungsrecht kirchlicher Arbeitgeber speziell im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen zu der vom BVerfG für „integrationsfest“ erklärten Verfassungsidentität gem. Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG zählt und damit den unionsrechtlichen Anwendungsvorrang durchbricht.20 Insoweit betritt die Arbeit „verfassungsrechtliches Neuland“21.

C.  Gang der Darstellung

Zur Bewältigung der Problemstellung nähert sich die Arbeit dem Mehrebenkonflikt in vier Kapiteln schrittweise sowohl auf nationalrechtlicher als auch auf unionsrechtlicher Ebene:

In § 2 wird zunächst ein Überblick über die Verankerung des Selbstbestimmungsrechts der kirchlichen Arbeitgeber im Grundgesetz gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV gegeben. Im Anschluss ist die Einordnung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bei der Festlegung von Loyalitätsanforderungen und der Sanktionierung von Verstößen gegen diese Anforderungen im deutschen Recht Gegenstand näherer Betrachtung. Die Grundlagen des kirchlichen Dienstes werden im Hinblick auf das für die Fragestellung dieser Arbeit ausschlaggebende IR-Verfahren vornehmlich anhand der katholischen Dienstgemeinschaft erläutert. Das Kapitel schließt mit der Zusammenfassung und Bewertung der wesentlichen Aussagen des BVerfG in seinen Leitentscheidungen Stern und Chefarzt zur arbeitsgerichtlichen Kontrolle kirchlicher Kündigungsentscheidungen.

In § 3 soll das Verhältnis des europäischen Rechts zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht bei der Kündigung von Arbeitsverhältnisses untersucht werden. Die Analyse des Art. 17 Abs. 1 AEUV, der die Achtung des mitgliedstaatlichen Status der Religionsgemeinschaften gebietet und dessen Beeinträchtigung durch Unionsrechtsakte verbietet, dient dabei als primärrechtlicher Schlüssel zur Bestimmung des Verhältnisses des Unionsrecht zum deutschen Religionsverfassungsrecht. Es ist zu klären, inwiefern die Auslegung des Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG durch den EuGH in den Rechtssachen Egenberger und IR primärrechtskonform war. Unter Zugrundelegung der Ergebnisse des § 2 können Widersprüche zwischen der unionsrechtskonformen Auslegung des § 9 AGG durch das BAG und den Vorgaben des BVerfG aus den Leitentscheidungen Stern und Chefarzt ermittelt werden. Auch soll gezeigt werden, ob die Rechtsprechung des EuGH dem BAG auch eine Entscheidung zugunsten des kirchlichen Arbeitgebers erlaubt hätte.

In § 4 folgt eine vertiefte Analyse des Verhältnis des deutschen Verfassungsrechts zum europäischen Recht. Eine Gegenüberstellung der Perspektiven des EuGH und des BVerfG zum Anwendungsvorrang des Unionsrechts soll zur Schärfung des Bewusstseins für mögliche Konfliktlagen beitragen. Die vorliegende Arbeit strebt eine Systematisierung der Grenzdogmatik des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG an, die die Bestimmung der Integrationsfestigkeit des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber objektivieren soll. Schwerpunktmäßig sollen hierfür die tatbestandlichen Voraussetzungen einer erfolgreichen Identitätskontrolle und einer Ultra-vires-Kontrolle erarbeitet werden. Die Arbeit geht insbesondere der Frage nach, wie sich die integrationsfeste „Verfassungsidentität“ bestimmen lässt.

In § 5 werden die Anknüpfungspunkte und Grenzen einer möglichen Harmonisierung des Mehrebenenkonflikts analysiert. Im Falle verbleibender Widersprüche zwischen den verfassungsrechtlichen und den unionsrechtlichen Vorgaben werden die in § 4 gewonnenen Erkenntnisse genutzt, um zu klären, inwiefern der Anwendungsvorrang des Unionsrechts im Fall IR hätte durchbrochen werden können. Der Schwerpunkt liegt auf der Beantwortung der Frage, in welchem Umfang das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen der Verfassungsidentität zuzuordnen ist.

1Stowasser, S. 377 Stichworte: „integratio“ und „integrare“; siehe auch Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, 4. Aufl., S. 482: „Das Wort meint ursprünglich die Wiederherstellung, dann aber überhaupt die Herstellung oder Entstehung einer Einheit oder Ganzheit aus einzelnen Elementen, so daß die gewonnene Einheit mehr als die Summe der vereinigten Teile ist.“ Vgl. zur Geschichte der Verwendung des Begriffs im Staatsrecht König, Übertragung von Hoheitsakten, S. 34.

2BVerfGE 123, 267, 350 und 353 (Lissabon); BVerfGE 140, 317, 334 Rn. 36 (Haftbefehl-II); BVerfGE 134, 366, 389 Rn. 31 (OMT-Vorlagebeschluss); BVerfGE 142, 123, 186 Rn. 115 (OMT-Urteil); BVerfGE 151, 202, 286 Rn. 119 (Bankenunion); BVerfG v. 05.05.2020 – 2 BvR 859/15 u.a., NJW 2020, 1647, 1649 Rn. 101 (PSPP-Urteil).

3BVerfGE 123, 267, 343 (Lissabon): „Mit der sogenannten Ewigkeitsgarantie wird die Verfügung über die Identität der freiheitlichen Verfassungsordnung selbst dem verfassungsändernden Gesetzgeber aus der Hand genommen. Das Grundgesetz setzt damit die souveräne Staatlichkeit Deutschlands nicht nur voraus, sondern garantiert sie auch.“

4Siehe König, Übertragung von Hoheitsrechten, S. 138.

5Siehe BVerfGE 123, 267, 352 (Lissabon); BVerfGE 140, 317, 341 Rn. 49 (Haftbefehl-II); Weiß, JuS 2018, 1046, 1047 ff.; Calliess, NVwZ 2019, 684, 685 f., jeweils m.w.N.

6Siehe etwa Wegener, VerfBlog. v. 05.05.2020. Laut Wegener offenbare das PSPP-Urteil, „[…] eine an Verschrobenheit grenzende Weltferne und Selbstüberschätzung […], von der man trotz aller gegenteiligen Anzeichen bis zum Schluss hoffen musste, sie möge dem Gericht und uns allen erspart bleiben.“ Prantl bezeichnete das BVerfG gar als „Staatsgefährder“, siehe Prantl, Süddeutsche.de v. 09.03.2020.

7Gemeint sind die Modifikationen des staatlichen Arbeitsrechts, die der verfassungsrechtlichen Sonderstellung der Kirche Rechnung tragen, siehe auch Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 1 f.

8Siehe bspw. Müller-Volbehr, Europa und das Arbeitsrecht der Kirchen; Hanau/Thüsing, Europarecht und kirchliches Arbeitsrecht; Schäfer, Das kirchliche Arbeitsrecht in der europäischen Integration; Kehlen, Europäische Antidiskriminierung; Reichegger, Auswirkungen der RL 2000/78/EG; Triebel, Das europäische Religionsrecht; Groh, Einstellungs- und Kündigungskriterien vor dem Hintergrund des § 9 AGG; Plum, Tendenzschutz; Fink-Jamann, Antidiskriminierungsrecht; Schoenauer, Die Kirchenklausel des § 9 AGG.

9BVerfGE 70, 138, 167 f. (Stern).

10BVerfGE 137, 273, 316 Rn. 118 f. (Chefarzt).

11Siehe etwa Fremuth, EuZW 2018, 723, 723 f.; Geismann, Gleichgeschlechtliche Ehe und kirchliches Arbeitsverhältnis, S. 42; Trebeck, ArbRAktuell 2020, 106. Die Bezeichnung ist allerdings irreführend, denn die Vielzahl der den Kirchen zugeordneten Einrichtungen kann schwerlich als „ein“ Arbeitgeber betrachtet werden, siehe auch Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 8. Aufl., Vorwort S. IX.

12EuGH (Große Kammer) v. 17.04.2018 – C-414/16 (Egenberger gegen Evang. Diakonie e.V.), EU:C:2018:257.

13EuGH (Große Kammer) v. 11.09.2018 – C-68/17 (IR gegen JQ), ECLI:EU:C:2018:696.

14ABl. EG L 303/16.

15EuGH (Große Kammer) v. 17.04.2018 – C-414/16 (Egenberger gegen Evang. Diakonie e.V.), EU:C:2018:257 Rn. 63 ff.; EuGH (Große Kammer) v. 11.09.2018 – C-68/17 (IR gegen JQ), ECLI:EU:C:2018:696 Rn. 45 f.

16BAG v. 25.10.2018 – 8 AZR 501/14, NZA 2019, 455; BAG v. 20.02.2019 – 2 AZR 746/14, NZA 2019, 901.

17Siehe Pressemitteilung der EKD-Präsidentin v. 19.03.2019, abrufbar unter: https://www.ekd.de/diakonie-klagt-vor-bundesarbeitsgericht-44274.htm (zuletzt aufgerufen am 21.12.2020).

18Siehe Pressemitteilung vom 02.07.2019, abrufbar unter: https://www.erzbistum-koeln.de/news/Keine-Verfassungsbeschwerde-im-Chefarzt-Fall/ (zuletzt aufgerufen am 21.12.2020): „Maßgeblich hierfür ist insbesondere der Umstand, dass der in Rede stehende Fall aktuell keine arbeitsrechtliche Relevanz mehr hat, da er nach heute geltendem kirchlichen Arbeitsrecht anders zu beurteilen wäre. Die katholische Kirche wird allerdings möglicherweise vom Bundesverfassungsgericht Gelegenheit erhalten, ihre Rechtsauffassung zu den auch aus ihrer Sicht klärungsbedürftigen Grundsatzfragen des Verhältnisses von Religionsverfassungsrecht und Unionsrecht durch eine Stellungnahme in das Verfahren ‚Egenberger‘ der evangelischen Kirche einzubringen, das zurzeit beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist.“

19Siehe Deutsche Bischofskonferenz, Katholische Kirche in Deutschland, Zahlen und Fakten 2019/20, abrufbar unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/Zahlen%20und%20Fakten/Kirchliche%20Statistik/Allgemein_-_Zahlen_und_Fakten/AH-315-ZuF_2019-2020_Ansicht.pdf (zuletzt abgerufen am 21.12.2020); Diakonie Deutschland, Diakonietexte April 2017, Einrichtungsstatistik für das Jahr 2018, abrufbar unter: https://www.diakonie.de/fileadmin/user_upload/Diakonie/PDFs/Statistiken_PDF/09_2019_Einrichtungsstatistik_2019_Web.pdf (zuletzt abgerufen am 21.12.2020).

20Für die Zulassung einer auf die Verletzung der Verfassungsidentität gestützten Verfassungsbeschwerde im Fall IR siehe Fremuth, EuZW 2018, 723, 730; Thüsing/Mathy, BB 2018, 2805, 2808; W. Kahl, ZevKR 65 (2020), 107, 133 ff.; ablehnend BAG v. 20.02.2019 – 2 AZR 746/14, NZA 2019, 901, 911 Rn. 67; Classen, EuR 2018, 752, 565; Malorny, npoR 2020, 56, 59 f.; Becker, EuR 2019, 469, 497; Nebeling/Lankes, RdA 2020, 101, 109; speziell in Bezug auf die Verfassungsbeschwerde in der Rechtssache Egenberger siehe Sagan, EuZW 2018, 381, 387; Klocke/Wolters, BB 2018, 1460, 1464; Thüsing/Mathy, RIW 2018, 559, 561 f.; Pieroth/Barczak, NJOZ 2019, 1649, 1653 f.

21Thüsing/Mathy, RIW 2018, 559, 561.

§ 2 Grundlagen und Grenzen des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber in der Bundesrepublik Deutschland

A.   Die Verankerung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV

Das Selbstbestimmungsrecht22 der Kirche hat im Jahr 1919 Eingang in die WRV gefunden.23 In Art. 137 Abs. 3 WRV heißt es: „Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.“

Das in der WRV normierte Selbstbestimmungsrecht, die „Magna charta libertatis“24 der Kirche, ist durch die „Inkorporation“25 des Art. 137 Abs. 3 WRV über Art. 140 GG Bestandteil des Grundgesetzes geworden. Es handelt sich bei den Übergangs- und Schlussvorschriften ungeachtet ihrer systematischen Verortung um „vollgültiges Verfassungsrecht“26, welches zusammen mit Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG das „Fundament“27 des deutschen Religionsverfassungsrechts28bildet. Ergänzt wird dieses Fundament durch den Schutz vor (Un-)Gleichbehandlung gem. Art. 3 Abs. 3 GG sowie Art. 33 Abs. 3 GG. In Bezug auf den Religionsunterricht an staatlichen Schulen bestehen ferner Sonderregelungen in Art. 7 Abs. 2 und Abs. 3 GG sowie die Ausnahmeregelung des Art. 141 GG, die sog. „Bremer Klausel“29.

I.    Der persönliche Schutzbereich von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV

Der personelle Schutzbereich des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV erfasst nach dem Wortlaut der Norm die „Religionsgesellschaften“, für die der modernere und gängigere Begriff der „Religionsgemeinschaft“ synonym verwendet werden kann.30

Die Religionsgemeinschaft ist nach einer grundlegenden Definition aus den 30er Jahren in Abgrenzung zu religiösen Vereinen „[…] ein die Angehörigen eines oder desselben Glaubensbekenntnisses – oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse […] – für ein Gebiet […] zusammenfassender Verband zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben […]“31. Einer aktuelleren Definition folgend ist sie eine „[…] organisatorisch strukturierte Vereinigung von mindestens zwei Personen, die dem Zweck der gemeinsamen Religionsausübung dient.“32

Folglich ist die Eröffnung des personellen Schutzbereichs nicht allein von der Selbstwahrnehmung einer religiös motivierten Vereinigung oder Gemeinschaft und damit von einem rein subjektiven Kriterium abhängig. Die Zuordnung unterliegt einer gerichtlichen Plausibilitätskontrolle.33 In tatsächlicher Hinsicht muss die Gemeinschaft nach ihrem geistigen Inhalt sowie dem äußeren Erscheinungsbild einer Religionsgemeinschaft im oben genannten Sinne entsprechen.34 Dies setzt zunächst eine auf Dauer angelegte Gemeinschaft voraus.35 Ihre soziale Relevanz und insbesondere ihre Mitgliederstärke wirken sich gem. Art. 137 Abs. 5 S. 2 GG lediglich auf ihren Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts sowie ihre Rechtsfähigkeit aus.36 Dieser Status hat in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht zunächst aber keine Auswirkungen.37 Ob aber die Religionsgemeinschaft von einer gemeinsamen religiösen Überzeugung getragen wird, ergibt die Subsumtion unter den extensiv auszulegenden Begriff der „Religion“.38

Das BVerfG vertritt die Auffassung, gem. Art. 140 GG i.V.m. Art 137 Abs. 3 WRV stehe allen Einrichtungen der in diesem Sinne anerkannten Religionsgemeinschaften ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform ein abgeleitetes Selbstbestimmungsrecht zu, wenn sie nach dem Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen seien einen Teil des Auftrags der Religionsgemeinschaft in der Welt wahrzunehmen.39 Dementsprechend erstrecke sich der Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts auch auf privatrechtliche Kapitalgesellschaften in kirchlicher Trägerschaft, soweit deren Tätigkeit nach beiderseitigem Verständnis der selbstbestimmten Funktion der Kirche zu dienen bestimmt sei.40 Erforderlich sei erstens die Teilhabe der Organisation bzw. Einrichtung an der Verwirklichung des Auftrags der Religionsgemeinschaft.41 Zweitens müsse deren Bekenntnis im Einklang mit demjenigen der Religionsgemeinschaft stehen und drittens „[…] mit deren Amtsträgern und Organwaltern in besonderer Weise verbunden […]“ sein.42 In Bezug auf die Kirche bilden die Verkündung des göttlichen Wortes (Prophetie)43, der Vollzug der Sakramente (Liturgie) sowie der „Dienst helfender Liebe“ (Caritas/Diakonie) die grundlegenden Funktionen der Kirche.44 Ein als Kapitalgesellschaft betriebenes Krankenhaus in kirchlicher Trägerschaft sei demgemäß vom Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts erfasst, da die dem Prinzip der tätigen Nächstenliebe entsprechende Krankenfürsorge ein Wesensmerkmal der Kirche darstelle.45 Nach Ansicht des Gerichts sei dabei unbeachtlich, dass andere, weltliche Krankenhäuser „rein äußerlich gesehen“ die gleichen Ziele mit gleichen Mitteln erreichen wollen, da die der Tätigkeit von der Kirche subjektiv beigemessene religiöse Dimension das maßgebliche Unterscheidungskriterium bilde.46

II.   Der sachliche Schutzbereich von Art. 140 GG i.V.m Art. 137 Abs. 3 WRV

1.   Das „Ordnen“

a)   Verfassungsrechtliche Ausgangssituation

Die Selbstbestimmung bei der Ordnung eigener Angelegenheiten i.S.v. Art. 140 i.V.m. Art 137 Abs. 3 S. 1 WRV entzieht dem Staat nach allgemeiner Überzeugung die Möglichkeit, auf die Rechtssetzung der Religionsgemeinschaft Einfluss zu nehmen.47 In der Norm selbst liegt keine Ermächtigung zur kirchlichen Rechtssetzung, da die Regelungsmacht nur für solche Bereiche übertragen werden kann, die der Kompetenz des Staates unterliegen.48 Eine solche Kompetenz ist allein schon aufgrund des staatlichen Neutralitätsgebots in Bezug auf die Beurteilung religiöser Fragestellungen zu verneinen.49 Vielmehr erkennt die Vorschrift eine bereits bestehende Rechtssetzungskompetenz in eigenen Angelegenheiten an. Das Inkrafttreten kirchlicher Regelungen ist nicht von Vorlagen und staatlichen Genehmigungen abhängig.50

Unproblematisch gestaltet sich diese Rechtssetzungsmacht der Religionsgemeinschaften im ausschließlich innerorganisatorischen Bereich. Da allerdings kirchliche Regelungen in eigenen Angelegenheiten auf staatlich reglementierte Lebensbereiche einwirken können, wird teilweise eine Einschränkung der vorbenannten Rechtssetzungsfreiheit der Kirche erwogen: Sofern eine kirchliche Regelungen im weltlichen Bereich Geltung beansprucht, wird diskutiert, ob es hierfür einer „staatlichen Beleihung“ bedürfe.51 Hinsichtlich der Wirksamkeit der eigenständigen Rechtssetzung der Religionsgesellschaft im weltlichen Bereich differenziert die Literatur mitunter zwischen verfassungsrechtlich gebotenen Regelungen und solchen Regelungen, die es nicht sind.52 Wenn die Rechtssetzung von Verfassung wegen geboten sei, müsse die Rechtswirksamkeit bejaht werden, da andernfalls der Staat diese Felder reglementieren könne. Unter diesem Gesichtspunkt sei der Staat verpflichtet, solchen Rechtsakten zur Wirksamkeit zu verhelfen.53

b)   Stellungnahme

Der zuletzt genannten Auffassung ist zu folgen. Die Bejahung der Normqualität kirchlicher Regelungen sichert die Verwirklichung des verfassungsrechtlich verankerten Selbstbestimmungsrechts.54 Es war zum Zeitpunkt der Entstehung des Grundgesetzes erkennbar, dass das religiöse Leben gerade auch auf weltliche Zusammenhänge einwirkt. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben sich gleichwohl für die Anerkennung der Ordnungsmacht der Religionsgemeinschaften entschieden. Diese „zentrale Grundentscheidung“55 des Verfassungsgebers darf nicht dadurch entwertet werden, dass der Staat den Regelungen unabhängig von der Schrankenregelung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV ihre Rechtswirksamkeit abspricht.56 Die Frage der Wirksamkeit religionsgemeinschaftlicher Regelungen muss dabei insoweit konsequent beantwortet werden, als dass die Rechtsnormqualität auch der Rechtssetzung neuer, ggf. noch unbekannter Religionsgemeinschaften zuzubilligen wäre.57 Eine mit der staatlichen Verfassungsordnung konkurrierende Rechtsordnung ist gleichwohl nach hier vertretener Auffassung nicht zu befürchten. Die Bejahung des Anwendungsvorrangs setzt eine umfassende Prüfung von Schutzbereich und Schranke des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV voraus.58 Diese ist mit einer intensiven Abwägung von kollidierenden Grundrechten sowie Rechten und Rechtsgütern von Verfassungsrang verbunden.59 Dieser Mechanismus schließt aus, dass sich eine der Verfassungsordnung widersprechende oder auch nur willkürliche Regelung gegen die staatliche Rechtsordnung behaupten kann.60

2.   Das „Verwalten“

Das Verwalten umfasst die „[…] freie Betätigung der Organe zur Verwirklichung der jeweiligen Aufgaben einschließlich des Verfahrensrechts, die einer Religionsgemeinschaft gesetzt sind […]“.61 Wie der Begriff des „Ordnens“ ist auch der Begriff des „Verwaltens“ weit auszulegen und erfasst insbesondere die Leitungstätigkeit der Kirche sowie die freie Bestimmung der Organisation der Religionsgesellschaft.62 Das „Verwalten“ beinhaltet die Umsetzung eigenen Rechts einschließlich der auf dieser Basis ergangenen Beschlüsse.63 Hiermit verbunden ist auch die Befugnis, eine eigenständige Gerichtsbarkeit einzusetzen, die in eigenen Angelegenheiten nach dem Ethos der Religionsgemeinschaft Recht spricht.64 Schließlich ist auch die Ämterbesetzung gem. Art. 137 Abs. 3 S. 2 WRV miterfasst.65 Die zusätzliche Aufnahme des zweiten Satzes im Art. 137 Abs. 3 WRV erfolgte aufgrund des historischen Kampfes der Kirche um diese Freiheit.66

3.   Die „eigenen Angelegenheiten“

a)   Begriff und Umfang

Seinem geschichtlichen Entstehungskontext geschuldet, diente die Definition der „eigenen Angelegenheiten“ der Entkopplung von Staat und Kirche und war daher in Abgrenzung zu staatlichen Angelegenheiten auszulegen.67 Dieser Ansatz wird heute in der sog. „Bereichsscheidungslehre“ sowie in der älteren Rechtsprechung des BVerfG68 und wohl noch vom BVerwG69 vertreten, wobei davon ausgegangen wird, dass der Staat generell nicht in die inneren Verhältnisse der Religionsgemeinschaften eingreifen dürfe.70

Die „Bereichsscheidungslehre“ gilt in der neueren Literatur71 als weitgehend überholt und auch die Rechtsprechung des BVerfG72 und des BGH73 tendiert zu einer umfassenderen Betrachtung, die dem Umstand Rechnung trägt, dass sich die zu regelnden Lebensbereiche häufig nicht schematisch dem Staat oder der Religionsgemeinschaft zuordnen lassen.74 Die eigenen Angelegenheiten werden als derjenige Bereich betrachtet, den die Religionsgemeinschaften nach ihren Vorstellungen behandeln dürfen.75 Die Reichweite des Schutzbereichs unterliegt damit zunächst der Definitionsmacht der Religionsgemeinschaft nach ihrem Selbstverständnis.76

Zu den eigenen Angelegenheiten im engeren Sinne gehört die Festlegung von Lehre und Kultus in Bezug auf Bekenntnisgrundlagen, Ausbildung von Geistlichen, Verkündigung der Lehre sowie die Ausgestaltung der einzelnen Gottesdiente.77 Ferner zählt hierzu die Bestimmung der Verfassung und der Organisationsstruktur, da insbesondere staatliche Prinzipien wie die Gewaltenteilung und das Demokratieprinzip für die Religionsgemeinschaft keine zwingende Wirkung entfalten.78 Die besonders gewichtigen Angelegenheiten gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV beinhalten ebenfalls karitative sowie diakonische Tätigkeiten der Kirche einschließlich der damit verbundene Kranken-, Jugend-, Familien-, Alten- und Behindertenhilfe.79 Nach einhelliger Ansicht zählt die Ausgestaltung der kirchlichen Arbeitsverhältnisse durch privatrechtliche Arbeitsverträge zu den „eigene Angelegenheiten“ gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV.80

b)   Prozessuale Darlegungs- und Beweislast

Die Religionsgemeinschaften sind hinsichtlich des Vorliegens der von ihnen beanspruchten „eigenen Angelegenheiten“ vor staatlichen Fachgerichten darlegungs- und beweisbelastet.81 Nach Auffassung des BVerfG dürfen die Gerichte kirchliche Vorgaben und Entscheidungen gleichwohl nicht nach „weltlich“-objektiven Maßstäben bewerten.82 Vielmehr entfalte die ggf. durch die Einschätzung eines theologischen Sachverständigen belegte Einschätzung der Religionsgemeinschaft eine bindende Wirkung, auf deren Grundlage das Fachgericht ohne inhaltliche Prüfung zu urteilen habe.83 Diese Definitionshoheit finde ihre Grenze allein in den Grundprinzipien der Rechtsordnung, wie dem allgemeinen Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), den „guten Sitten“ i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB sowie dem „ordre-public“-Vorbehalt (Art. 6 EGBGB).84 Insoweit unterliege der kirchliche Vortrag einer fachgerichtlichen Plausibilitätskontrolle.85

III.  Auslegung der „Schranken des für alle geltenden Gesetzes“

Aufgrund der Definitionsmacht der Religionsgemeinschaften bei der Bestimmung des Schutzbereichs eigener Angelegenheiten sind die verfassungsgesetzlich normierten Schranken des Selbstbestimmungsrechts von besonderer Bedeutung.86 Obgleich Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV nur von der Sicherung des Selbstbestimmungsrechtes „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ spricht, erstreckt sich sein Anwendungsbereich nach allgemeiner Ansicht auch auf die Freiheit der Ämterverleihung gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 2 WRV.87 Es ist im Übrigen nach wie vor umstritten, wie die Schrankenregelung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV zu verstehen ist.88

1.   Heckel‘sche Formel

Zur Zeit der Entstehung der Weimarer Reichverfassung wurde die Schrankenregelung streng wörtlich als das Gesetz, das für „jedermann“ gilt, ausgelegt.89 Das Wort „alle“ wurde von der herrschenden Weimarer Staatsrechtslehre also nicht „adjektivisch“ in Bezug auf die Religionsgesellschaften verstanden, sondern „substantivisch“.90

Mit der sog. „Heckel’schen Formel“91 wurde demgegenüber der Schrankenregelung ein materieller Sinngehalt zugewiesen.92Johannes Heckel kritisierte eine die Freiheit der Religionsgesellschaften durch die für alle Vereine geltenden Gesetze einschränkende Auslegung, da die kirchliche Autonomie einen „Unterfall“ bürgerlicher Freiheiten bilde.93 Er vertrat eine prinzipielle Gleichordnung von Staat und Kirche.94 Er war der Auffassung, ein „für alle geltendes Gesetz“ sei ausschließlich ein solches, das bei gleichzeitiger Anerkennung der Autonomie der Kirche „[…] im Sinn der Verfassung für den Bestand der Gesamtnation als einer politischen, kulturellen und Rechtsgemeinschaft unentbehrlich […]“ sei.95

Auch wenn die „Heckel‘sche Formel“ als solche nicht mehr vertreten wird, ist sie auch in der jüngeren Literatur noch Gegenstand der Diskussion.96 Nach Auffassung ihrer Kritiker würden immer wieder Gesetze des Bau- oder Polizeirechts die Kirchen binden, ohne dass hierbei eine Unentbehrlichkeit für die Gesamtnation feststellbar sei.97 Umgekehrt sei – wie ein Blick in die Vergangenheit zeige – nicht jedes für die Gesamtnation „unentbehrliche“ Gesetz für die Religionsgemeinschaft zumutbar.98 Ferner sei die Formel aufgrund ihrer pauschalen Formulierung wenig praktikabel und verhindere einen strukturierten und rational geführten Prozess der praktischen Konkordanz kollidierender Rechtsgüter.99 Ein gleichstufiges Verhältnis von Staat und Kirche sei schließlich nicht mit dem modernen Verständnis einer dem Grundgesetz und dem souveränen Staat untergeordneten Kirche vereinbar.100

2.   „Bereichslehre“ und „Jedermann-Formel“

a)   Konzept

Im Anschluss an die Formel Heckels setzte sich die sog. „Bereichslehre“ durch, nach der zwischen dem Innenbereich und dem Außenbereich kirchlicher Angelegenheiten zu unterscheiden sei.101 Die Schrankenregelung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV solle nicht bei inneren Angelegenheiten wie der Entscheidung über Kult und Ämter, sondern lediglich bei Entscheidungen, die Rechte Dritter berühren, Anwendung finden.102

Das BVerfG entwickelte für den Anwendungsbereich der Schrankenklausel im Außenbereich die sog. „Jedermann-Formel“, wonach ein „für alle geltendes Gesetz“ nur ein solches sei, das die Religionsgemeinschaft in gleicher Weise treffe wie andere Personen und Verbände.103 Die Religionsgemeinschaft sei aber nicht gleich betroffen, wenn das Gesetz die Religionsgemeinschaft in ihrer Besonderheit „härter“ treffe, indem es ihr Selbstverständnis und damit ihren „geistig-religiösen Auftrag“ beschränke.104 Diese sich an der Auslegung der Schranke des Art. 5 Abs. 2 GG orientierende Formel dient insbesondere der Verhinderung von Sondergesetzen, wie sie im Rahmen des Bismarck’schen Kulturkampfes erlassen wurden.105

b)   Rechtswissenschaftliche Rezeption

Obgleich die „Bereichslehre“ auch von der Rechtsprechung106 lange angewendet wurde, war sie stets der Kritik ausgesetzt.107 Ihr Vorteil könne zwar darin gesehen werden, dass sie zu vorhersehbareren Entscheidungen führe, da die gerichtliche Entscheidungsfindung keine Abwägung im Einzelfall voraussetze.108 Allerdings liege der „Bereichslehre“ selbst bereits eine Abwägungsentscheidung zugrunde.109 Der Bereich der inneren Angelegenheiten werde von vornherein ohne transparente Argumentationslinie in einer Weise gewichtet, die eine staatliche Einwirkung gänzlich ausschließe.110 Aber auch umgekehrt verhindere die „Bereichslehre“ die Möglichkeit, durch den Ausgleich der kollidierenden Rechtsgüter eine Einzelfallgerechtigkeit sicherzustellen.111 Ferner finde die Aufspaltung der eigenen Angelegenheiten in innere und äußere Bereiche keine Stütze im Wortlaut der Norm.112

Die „Jedermann-Formel“ ist aus Sicht einiger Literaturstimmen ebenfalls nicht frei von Widersprüchen: So könne sie bspw. nicht konsequent im Bereich der staatlichen Regelung von Zivilehen und Kirchenaustritten angewendet werden, da diese das kirchliche Selbstverständnis in besonderem Maße strapazieren würden.113

3.   Güterabwägung und Wechselwirkungslehre

a)   Konzept

In der neueren Literatur wird eine an die Bewertung des Begriffs des „allgemeinen Gesetzes“ i.S.v. Art. 5 Abs. 2 GG anknüpfende Definition gewählt, wonach sich das „für alle geltende Gesetz“ nicht speziell gegen die Religionsgemeinschaft bzw. die Religion wenden dürfe.114 Vielmehr müsse das Gesetz einem unabhängig vom Selbstbestimmungsrecht schützenswerten Recht oder Rechtsgut dienen.115 Das BVerfG folgt diesem Ansatz und wendet in seiner neueren Rechtsprechung, ohne ausdrücklich von früheren Ansätzen abzurücken, einen „differenzierten Verhältnismäßigkeitsmaßstab“ an.116 So wie die Dogmatik zu Art. 5 Abs. 2 GG nicht bei dem Verbot von Sondergesetzen verharrte, sondern einen verfeinerten Schutzstandard mit der Möglichkeit einzelfallgerechter Entscheidungen anstrebte117, trägt das BVerfG mit Zustimmung großer Teile der Literatur118 dem Gedanken der Wechselwirkung kollidierender Verfassungsrechte durch eine besondere Güterabwägung Rechnung.119 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirche müsse danach in allen inneren wie äußeren Angelegenheiten der Religionsgemeinschaft mit denjenigen Rechtsgütern abgewogen werden, die durch das einschränkende Gesetz geschützt werden, wobei sich beide Positionen weitestgehend verwirklichen sollen.120

Beim Ausgleich der gegenläufigen Interessen sei die vorbehaltlose Sicherung der korporativen Religionsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG zu beachten, da dem Selbstbestimmungsrecht und dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften in besonderem Maße Bedeutung zukomme.121 Wo die Rechtsordnung das religiöse oder weltanschauliche Selbstverständnis des Grundrechtsträgers voraussetze, verletze der Staat die Eigenständigkeit der Religionsgemeinschaft und ihre verfassungsrechtlich verankerte Selbstständigkeit, „[…] wenn er bei der Auslegung der sich aus dem Bekenntnis ergebenden Religionsausübung das Selbstverständnis nicht berücksichtigen würde […]“.122 Das kirchliche Proprium sei nach Auffassung des BVerfG „[…] als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit durch Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG verfassungsrechtlich geschützt.“123 Das einschränkende Gesetz müsse demnach stets „im Lichte der Bedeutung“ des Selbstbestimmungsrechts gewertet werden, wobei dessen Auslegung auch Rang und Gewicht des kollidierenden Rechtsguts zu beachten habe.124

b)   Rechtswissenschaftliche Rezeption

Die Eröffnung von Abwägungsspielräumen für die Rechtsprechung begegnet mitunter grundsätzlicher Kritik. So wird vertreten, die Güterabwägung entbehre mangels „normativer Anhaltspunkte“ in der Verfassung eines dem Rechtsstaatsprinzip genügenden inhaltlichen Maßstabs.125 Das Verfassungsprimat könne nur durch eine Rechtspraxis bewahrt werden, die sich „[…] in den Fesseln rechtspositivistischer Auslegungsregeln […]“ bewege.126 Unter dem Gesichtspunkt der durch die Gewaltenteilung bestimmten Kompetenzen plädiert ein Teil der Literatur für eine Interpretationsbegrenzung im Rahmen der Einzelfalljudikatur.127 Die Einhaltung des Rechtsstaatsprinzips erfordere eine „Verallgemeinerungsfähigkeit“ der Einzelfallentscheidung.128

Weiter kritisieren einzelne Literaturstimmen, die Rechtsprechung messe dem Selbstbestimmungsrecht ein solches Gewicht im Rahmen der Abwägung zu, das die effektive Durchsetzung kollidierender Rechtspositionen im Wege der Schrankenregelung verhindere.129 Vorgeschlagen wird eine an abstrakten Fallgruppen orientierte Abwägung, die einen „[…] typisierenden Maßstab für die Lösung konkreter Einzelfälle […]“ ermögliche.130

Demgegenüber gibt ein Teil der Literatur die Anerkennung der Definitionsmacht der Religionsgemeinschaften hinsichtlich der in die Abwägung einzubeziehenden „eigenen Angelegenheiten“ seitens des BVerfG131 zu bedenken.132 Solange die Religionsgemeinschaften die Zuordnungsentscheidung nach ihrem Selbstverständnis treffen würden, werde der Richter nicht zum „[…] Herrn über das Grundverhältnis von Staat und Kirche […]“.133 Ein das Selbstbestimmungsrecht einschränkendes Recht finde aber dort seine Grenze, wo es den Staat zu einer Ordnung verpflichte, die der religiösen Eigenart keinen Raum belässt.134 Der Staat müsse der Religionsgemeinschaft einen Weg ermöglichen, ihre Angelegenheiten unter Berücksichtigung der Charakteristika ihres Ethos zu gestalten, und zwar unabhängig davon, ob das staatliche Recht im Einzelfall Anwendung finde oder nicht.135

4.   Stellungnahme

Gegen die überkommene „Heckel’sche“ Formel spricht bereits ihre fehlende Praktikabilität136 sowie ihre Widersprüchlichkeit hinsichtlich der für die Kirche zumutbaren „unerlässlichen“ Regelungen137. Die „Bereichslehre“ vermag ebenfalls nicht zu überzeugen. Die Einwände der Literatur gegen eine Aufspaltung des Begriffs der eigenen Angelegenheiten in einen inneren und äußeren Teil greifen durch: Eine Aussparung des – wenn auch nur verhältnismäßig kleinen – inneren Bereichs von der Schrankenklausel würde auch mit Blick auf den subjektiven Anwendungsbereich der Norm zu bedenklichen Ergebnissen führen. Die Zubilligung einer umfassenden Rechtssetzungsmacht für eine Religionsgemeinschaft kann nur unter der Prämisse der Anwendbarkeit der Schrankenklausel erfolgen. Verfassungsrechtlich geschützte, kollidierende Rechtsgüter wären zwar durch eine fehlende Anwendbarkeit der Schrankenklausel in inneren Angelegenheiten nicht gänzlich schutzlos gestellt, da die Möglichkeit der Beschränkung unter dem Gesichtspunkt der verfassungsimmanenten Schranken verbliebe.138 Gleichwohl birgt die „Bereichslehre“ das Risiko unvorhersehbarer Unbilligkeiten für die Anhänger einer Religionsgemeinschaft sowie für Dritte.

Der „Jedermann-Formel“ ist neben ihrer Widersprüchlichkeit im Bereich der Eheschließung und des Kirchenaustritts auch aus einem weiteren Grunde nicht zu folgen: Die Beantwortung der Frage, ob eine Regelung die Kirche „härter“ trifft oder nicht, und damit im Ergebnis die Schranke greift oder nicht, würde durch die Anwendung der Formel in das Ermessen der Gerichte gestellt werden. Diese müssten unter Auswertung der Standpunkte der jeweils betroffenen Religionsgemeinschaft entscheiden, ob eine religiöse Besonderheit vorliegt, die durch den streitgegenständlichen Eingriff besonders empfindlich berührt wird. Dies mag aufgrund der historisch gewachsenen Beziehung von Staat und Kirche in Deutschland in der Vergangenheit nicht zu problematischen Rechtssprechungsergebnissen geführt haben.139 Aber die Beantwortung der Frage nach der richtigen Dogmatik muss auch für eine zukünftige, dynamische Entwicklung des Religionsverfassungsrechts mit Blick auf den subjektiven Anwendungsbereichs Konsistenz und Praktikabilität aufweisen.140 Unabhängig vom Sonderfall der Kirche ist fraglich, inwieweit ein Richter die besondere Empfindlichkeit einer religiösen Eigenart ohne Überschreitung des staatlichen Neutralitätsprinzips und des Selbstbestimmungsrechts zu bewerten vermag. Zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts müsste die Einschätzung des Betroffenheitsgrades der Religionsgemeinschaft nach dem eigenen Selbstverständnis überlassen sein. Eine einzelfallgerechte Entscheidung mit Blick auf die betroffenen Rechte und Interessen der Gegenseite wäre demnach nicht sichergestellt.

Das Ziel der „Jedermann-Formel“, die Verhinderung von Sondergesetzen, kann durch die Übertragung des Gedankens der „allgemeinen Gesetze“ gem. Art. 5 GG ebenfalls erreicht werden. Durch das Erfordernis eines ohne Rücksicht auf das Selbstbestimmungsrecht zu schützenden Rechtsgutes wird der Prüfungsmaßstab objektiviert. Allerdings ermöglicht dieser Ansatz allein noch nicht eine einzelfallgerechte Gewichtung der betroffenen Rechtsgüter. Vorzugswürdig erscheint somit eine die Wechselwirkungen konfligierender Rechtsgüter berücksichtigende Güterabwägungslehre.

Soweit die gerichtliche Güterabwägung unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung als problematisch eingestuft wird, ist dem entgegen zu halten, dass der Gesetzgeber nicht in der Lage sein dürfte, jeden Einzelfall zu regeln. Für die Sicherstellung der Gerechtigkeit im Einzelfall erscheint demnach eine „Situationsjurisprudenz“141 unerlässlich.142 Die Rechtsprechung und die wohl herrschende Literatur räumen diesem schonenden Ausgleich widerstreitender Interessen mit guten Gründen eine hohe Stellung ein und nehmen in Kauf, dass sich die gerichtlichen Wertungen zu Lasten der Rechtssicherheit nicht stets verallgemeinern lassen.143 Ferner verfügt die Rechtsprechung auf dem Gebiet der Abwägungslehre über ein hohes Maß an Erfahrung, da sie diese Lehre seit vielen Jahren bei Entscheidungen im Rahmen von Art 5 Abs. 1, Abs. 2 GG anwendet. Eine Judikatur, die das Selbstbestimmungsrecht einer anderweitigen, weniger ausgereiften Kontrolle unterwirft, erweist der Rechtssicherheit vermutlich einen „Bärendienst“.

5.   §§ 1 ff. KSchG und § 626 BGB als für alle geltende Gesetze

Das deutsche Kündigungsschutzrecht bildet eine für das kirchliche Selbstbestimmungsrecht bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen maßgebliche Schranke. Die §§ 2 ff. KSchG sowie § 626 BGB sind Gesetze i.S.d. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV.144 Die in ihnen enthaltenden unbestimmten Rechtsbegriffe („sozial ungerechtfertigt“ bzw. „wichtiger Grund“) eröffnen den Spielraum für die richterliche Güterabwägung.145

6.   Das AGG als ein für alle geltendes Gesetz

Das AGG146 verbietet gem. §§ 1, 7 AGG eine Diskriminierung von Arbeitnehmern oder Bewerbern aus Gründen der Religion oder Weltanschauung.147 Insoweit schränkt das Gesetz kirchliche Arbeitgeber bei der Aufstellung von kündigungsrelevanten Loyalitätsanforderungen ein, die hinsichtlich der Konfession des Betroffenen differenzieren.148 Das Gesetz wirkt in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften als Schrankenregelung i.S.d. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV.149

7.   Verfassungsimmanente Schranken

Die Freiheiten des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV werden durch die Grundrechte und Rechtsgüter von Verfassungsrang begrenzt, die eine verfassungsimmanente Schranke bilden.150 Diese Begrenzung tritt neben die „Schranken des für alle geltenden Gesetzes“. Sie bedarf eines förmlichen Gesetzes.151 Zur Begrenzung des Selbstbestimmungsrechts ist also nur der Gesetzgeber ermächtigt.152 Der Gesetzesvorbehalt folgt dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG.153 Es handelt sich um die Einschränkung einer Rechtsposition, die in den ausschließlichen Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fällt (sog. „Wesentlichkeitsvorbehalt“).154

8.   Schranken aus Konkordaten und Kirchenverträgen

Soweit die Kirchen sich gegenüber dem Staat vertraglich zu Einschränkungen ihres Selbstbestimmungsrechts verpflichtet haben, steht diesen Beschränkungen Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV nicht entgegen.155 Durch die vertragliche Übernahme von wechselseitigen Gewährleistungen bewirken Staat und Kirche die Harmonisierung ihres Verhältnisses.156 Die Reichskonkordaten und neueren Kirchenverträgen erkennen die „Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ verbindlich an.157

IV. Das Verhältnis von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV zu Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG

Es wird mit vielen Nuancierungen eine Auseinandersetzung darüber geführt, inwieweit Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 GG gegenüber Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG158 einen eigenständigen Sachverhalt regelt. Die umfassende Beleuchtung der Bedeutung des Art. 137 Abs. 3 WRV für die deutsche Verfassung gebietet eine Stellungnahme zu seiner Regelungsfunktion.

1.   Der Streitstand im Überblick

a)   Die Rechtsprechung des BVerfG

Das BVerfG weist in seiner Rechtsprechung auf eine eigenständige Bedeutung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV hin:

„Die Garantie freier Ordnung und Verwaltung eigener Angelegenheiten ist eine notwendige, rechtlich selbstständige Gewährleistung, die der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgemeinschaften (Art. 4 Abs. 2 GG) die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerlässliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt […].“159

Im Chefarzt-Urteil des BVerfG heißt es:

„Sie [gemeint sind die durch Art. 140 GG inkorporierten Artikel der WRV, Anm. d. Verf.] sind – mit Selbststand gegenüber der korporativen Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG – untrennbarer Bestandteil des Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes[…].“160

Zwischen der Religionsfreiheit i.S.v. Art. 4 GG und Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV bestehe nach Auffassung des BVerfG ein solch enger „organischer“ Zusammenhang, dass die Schutzgehalte des Art. 137 Abs. 3 WRV durch eine auf Art. 4 GG gestützte Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden könnten.161 Diese betrachtet das Verfassungsgericht umfassend, d.h. auch unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Selbstbestimmungsrechts nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV.162 Soweit sich der Schutzbereich von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV und der korporativen Religionsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG decke, finde Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV zwar aufgrund der speziellen Schrankenbestimmung vorrangig Anwendung.163 Den schrankenlosen Gewährleistungen des Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG werde jedoch im Abwägungsprozess dadurch Rechnung getragen, dass dem Selbstbestimmungsrecht in der Abwägung mit konkurrierenden Rechten ein „besonderes Gewicht“ beizumessen sei.164

b)   Institutionelle Freiheitsgarantie

Nach einer an die historischen Weimarer Wurzeln des Selbstbestimmungsrecht anknüpfenden Betrachtung wird Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV eine institutionelle Dimension beigemessen, die unabhängig von dem durch Art. 4 GG gewährleisteten Freiheitsgrundrecht zu betrachten sei.165 Diese Ansicht wird teilweise dahingehend modifiziert, dass eine gemeinsame Betrachtung von institutionellem Recht und Freiheitsrecht zu erfolgen habe.166

c)   Auffangfunktion

Demgegenüber vertritt ein großer Teil der aktuelleren Literatur die Auffassung, dass sich die Schutzbereiche beider Normen weitgehend decken würden und im Nebeneinander beider Normen der schutzintensivere Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG regelmäßig vorrangig anzuwenden sei, wobei im Falle des Handelns von Religionsgemeinschaften die spezielle Schranke des Art. 137 Abs. 3 WRV greife.167 Das Religionsverfassungsrecht wird insoweit aus der Perspektive des Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG betrachtet.168 Lediglich im Rahmen von organisationsrechtlichen Fragen der Struktur und Mitgliedschaft verbleibe Art. 140 GG i.V.m. Art 137 Abs. 3 WRV eine eigenständige Bedeutung.169

Hieran wird kritisiert, dass nicht alle über Art. 140 GG inkorporierten Rechte lediglich von Art. 4 GG ableitbar seien, auch wenn Art. 4 GG als „zentrale Grundentscheidung“170 oder sogar „religionsrechtliche Grundnorm“171 betrachtet werden könne. Soweit sich die Regelungen von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV nicht direkt aus Art. 4 GG ableiten ließen, handle es sich um „spezifische Ausprägungen der Schutzpflichtendimension der Religionsfreiheit“ für das deutsche Religionsverfassungsrecht.172

d)   Kollisionsfunktion

Die eigenständige Bedeutung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV soll auch nach Auffassung eines Teils der Literatur in dessen besonderer Funktion liegen. Die Vorschrift diene der Auflösung der Kollision einer sich gegenseitig ausschließenden staatlichen wie kirchlichen Rechtsetzung in Bezug auf einen bestimmten Gegenstand.173 Mithilfe von Art. 137 Abs. 3 WRV könne in den seltenen Fällen, in denen sich die gleichzeitige Anwendbarkeit von kirchlichem und staatlichem Recht ausschließe, bestimmt werden, welche Regelung Anwendung finde.174 Der Staat akzeptiere insoweit die Regelungszuständigkeit der Kirche im Rahmen der Schrankenregelung.175

Die Einordnung der Religionsgemeinschaft als eine dem Staat ebenbürtige Inhaberin von Rechtsgewalt begegnet in der Literatur heftigem Widerspruch. Sie lasse sich mit dem heutigen Verständnis der Unterordnung der Kirche unter das Grundgesetz176, dem Prinzip staatlicher Souveränität177 sowie der Übertragung der Gemeinwohlverantwortung auf den Staat178, nicht vereinbaren. Dem halten die Vertreter der Kollisionsfunktion entgegen, der Staat erkenne die Kirche als „societas perfecta“ an, „[…] die nicht nach seinem, sondern nach eigenem Recht lebt […]“.179

Auch geht die Rechtsprechung davon aus, der Verfassungsgeber habe durch die Inkorporation des Selbstbestimmungsrechts zum Ausdruck gebracht, dass die Religionsgemeinschaften „ihrem Wesen nach unabhängig vom Staat sind und ihre Gewalt nicht von ihm herleiten“.180 Ferner sei eine den aktuellen staatlichen Präferenzen ggf. widersprechende, wesentliche Grundentscheidung zu Gunsten der Stellung der Kirche getroffen worden.181 Die gesonderte Verankerung des Selbstbestimmungsrechts diene dazu, die Anerkennung des Verhältnisses von Religionsgemeinschaft und Staat festzuschreiben.182

2.   Stellungnahme

Das Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV steht unstreitig in engstem Zusammenhang mit der Religionsfreiheit und ist demnach im Lichte der Religionsfreiheit auszulegen.183 Einzelne Aspekte des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bedingen nach hier vertretener Auffassung die Freiheit der kollektiven Religionsausübung der Gläubigen und ergeben sich demgemäß bereits aus Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG.184 Insofern tritt Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV hinter den schutzintensiveren Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG zurück.185 Mit Blick auf die Subsumtion von Sachverhalten unter die Rechtsvorschrift ist demnach zu differenzieren, inwiefern die Angelegenheit lediglich einen administrativen Charakter hat oder einen Bezug zur Religionsfreiheit aufweist.186

Eine eigenständige Bedeutung bei gleichzeitiger Anerkennung der Verknüpfung beider Artikel liegt nach überzeugender Ansicht ferner in der Kollisionsfunktion des verfassungsrechtlich gesondert verankerten Selbstbestimmungsrechts. Eingewendet wird, der vorstehende Ansatz biete keine Vorgaben für die Auflösung des Kollisionsverhältnisses, da das Vorrangverhältnis nicht festgelegt werde.187 Die Grenzen des Selbstbestimmungsrechts und damit einhergehend der Anwendungsvorrang können aber auf der Ebene des Schutzbereichs sowie insbesondere der Schrankenbestimmung hinlänglich konkretisiert werden. Art. 140 GG i.V.m. Art 137 Abs. 3 WRV gibt diesbezüglich einen hinreichend ausdifferenzierten „Ausgleichsmechanismus“188 vor.189

Ein die Bedeutung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV in das Deklaratorische verschiebender Ansatz vermag nicht zu überzeugen. Verfassungsrechtliche Normierungen weisen im Zweifelsfall eine eigenständige Bedeutung auf und sind dementsprechend auszulegen.190 Richtigerweise muss die Durchsetzung jeglichen Rechts in weltlichen Angelegenheiten dem staatlichen Gewaltmonopol obliegen und der Staat selbst hat die kirchlichen Normen mit unmittelbarem Geltungsrang auszustatten, soweit Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV dies gebietet. Dies stellt die Annahme einer Kollisionsfunktion aber nicht infrage. Im Falle einer vorrangigen Anwendung kirchlicher Regelungen in weltlichen Angelegenheiten hat der Staat diesem Anwendungsvorrang gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV zur Geltung zu verhelfen und ggf. den erforderlichen Rahmen für die insoweit gelebte Religionsfreiheit zu schaffen191. Dieses Durchsetzungsgebot ermächtigt den Staat indes nicht zu einer inhaltlichen Kontrolle kirchlicher Regelungen und ist nicht auf deren Genehmigung ausgelegt.192 Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben eine der staatlichen Säkularisierungstendenz gegenüber „witterungsbeständige“ Entscheidung zugunsten einer Sonderrolle der Religionsgemeinschaft im verfassungsrechtlichen Gefüge gefällt.193

B.  Die Kündigung von Arbeitsverhältnissen als „eigene Angelegenheiten“ der Kirchen

Nachdem geklärt wurde, unter welchen Voraussetzungen das Grundgesetz das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen bei der Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten sichert, soll nunmehr der verfassungsrechtliche Schutz des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen näher betrachtet werden. Hierfür ist zunächst ein Grundverständnis vom Wesen des kirchlichen Dienstes erforderlich. Ferner müssen die Loyalitätsanforderungen der Kirchen als Ausprägung des kirchlichen Selbstverständnisses untersucht werden. Da vorliegend anhand der katholischen Loyalitätsanforderungen die Integrationsfestigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts untersucht wird, ist die Darstellung der Besonderheiten des evangelischen Dienstes auf einen Überblick beschränkt. Nachdem die Grundlagen des kirchlichen Dienstverhältnisses erarbeitet sind, kann die Einordnung des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber bei der Kündigung von Arbeitsverhältnisses in der Rechtsprechung des BVerfG gewürdigt werden.

I.    Transzendenzschutz statt Tendenzschutz

In der Literatur wird darüber gestritten, ob die für sog. „Tendenzbetriebe“194 geltenden arbeitsrechtlichen Grundsätze auf Religionsgemeinschaften übertragen werden können oder ob es mit Blick auf ihre spezielle verfassungsrechtliche Stellung besonderer Regeln bedarf.

Ein Teil der Literatur verneint einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Religionsgemeinschaften und Tendenzträgern mit dem Argument, dass ein „gewisser Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer“ auch in der kirchlichen Dienstgemeinschaft nicht geleugnet werden könne.195 Es sei kein gravierender Unterschied zwischen Grundrechten und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht festzustellen, zumal das kirchliche Selbstbestimmungsrecht zunehmend in einem Funktionszusammenhang mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit gesehen werde.196 Auch sei die Unterscheidung zwischen Religionsgemeinschaft und Tendenzbetrieb wegen des staatlichen Neutralitätsgebots sowie des Gleichheitssatzes problematisch.197 Dem gegenüber vertritt ein großer Teil der Literatur den Standpunkt, die Religionsgemeinschaft sei bereits dem Grunde nach nicht mit einem Tendenzbetrieb zu vergleichen und unterliege daher gänzlich anderen Regeln.198

Die letztere Auffassung verdient Zustimmung. Zwar kann es zu Interessenkonflikten zwischen kirchlichem Arbeitgebern und Arbeitnehmern kommen.199 Der Unterschied zu einem Tendenzarbeitsverhältnis liegt aber darin, dass sich der umfassende religiöse Sendungsauftrag auf sämtliche Lebensbereiche und nicht nur auf Teilaspekte hiervon erstreckt.200 Die Unterscheidung berührt daher nicht das Gleichbehandlungsgebot.201 In einer gerichtlichen Auseinandersetzung würde sich das Gericht bei der Übertragung der Grundsätze für Tendenzbetriebe kirchliche Arbeitsverhältnisse sogar vielmehr in die Gefahr begeben, wesentlich Ungleiches gleich zu behandeln. Das staatliche Neutralitätsgebot ist nicht mit einer Pflicht zur „kritischen Distanz“ verbunden202, sondern erfordert Toleranz und Offenheit für sämtliche religiöse oder weltanschauliche Ansichten203. Insofern verstößt die Berücksichtigung der Besonderheiten der Religionsgemeinschaft nicht gegen das Neutralitätsgebot, sondern sichert dieses erst ab. Dass die verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV im Kündigungsschutzprozess Transzendenz- statt Tendenzschutz voraussetzen, bekräftigte das BVerfG im Übrigen in seinen Leitentscheidungen Stern und Chefarzt.204

II.   Die Dienstgemeinschaft als Grundlage kirchlicher Arbeitsverhältnisse

Als „Dienstgemeinschaft“205