Die Klimaschmutzlobby - Susanne Götze - E-Book

Die Klimaschmutzlobby E-Book

Susanne Götze

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Beschreibung

Empfehlung in der Kategorie »Das politische Buch 2020« der Friedrich-Ebert-Stiftung »Wer wirklich wissen will, warum das alles nicht so läuft mit Energiewende und Klimaschutz, der kaufe und lese dieses Buch. Großartig aber auch erschreckend! So darf es nicht weitergehen, wir müssen die Klimabremser endlich stoppen.« Prof. Dr. Harald Lesch Spätestens seit »Fridays for Future« ist das Thema »Klimawandel« als eines der dringlichsten Probleme unserer Zeit erkannt worden. Doch trotz eindeutiger Verpflichtungen zu den Zielen des Pariser Weltklimaabkommens sind wir weit davon entfernt, diese auch zu erreichen – warum? Ihre Argumente sind krude, ihre Finanzen undurchsichtig, aber ihr Einfluss reicht bis in Regierungen. Klimawandelskeptiker und Lobbyisten der Fossilindustrie sind nicht nur in den USA aktiv, sondern auch in Europa. Ihr Ziel: Klimaschutzgesetze torpedieren, die Verbrennung fossiler Rohstoffe fördern und die Staaten dazu bewegen, aus dem Pariser Weltklimaabkommen auszusteigen. Dieses Buch zeigt, mit welchen Strategien, Netzwerken und Argumenten die Klimaschutz-Bremser gegen die europäische Klimaschutzpolitik kämpfen. Die Autorinnen erklären, warum Deutschland seine Klimaziele wirklich verfehlt und welche Interessengruppen unsere Zukunft verbauen. Ein erschütternder Bericht darüber, dass gutgemeinte Selbstverpflichtungen gar nichts bringen und ein Weckruf: Wir brauchen eine starke Klimapolitik!  

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Mehr über unsere Autoren und Bücher:www.piper.de© Piper Verlag GmbH, München 2020Covergestaltung: FAVORITBUERO, MünchenCovermotiv: Shutterstock.com/rudall30Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.

Inhalt

Cover & Impressum

Motto

Einleitung

Die Klimaschmutzlobby hält zusammen

Bremser, Leugner und Populisten – die Akteure der Klimaschmutzlobby

Die Renaissance des Klimawandel-Leugnens

»Zweifel ist unser Produkt«

TEIL 1

Klimawandel-Skeptiker und Bremser: eine unterschätzte Gefahr

Wer ist die Klimaschmutzlobby?

Die Klimawandel-Leugner

Die Rechtspopulisten

Die Klimaschutz-Bremser

Hat die Klimaschmutzlobby kein Gewissen?

Populisten torpedieren Klimaschutz

Wie Rechtspopulisten Stimmung gegen Klimaschutz machen

Die realen Folgen rechtspopulistischer Regierungen für den Klimaschutz

Die Anti-Klimaschutz-Rhetorik als Ausdruck einer Weltanschauung

Rechtspopulistische Anti-Klimaschutz-Politik

Neoliberale Thinktanks und ihre großzügigen Spender

Die Denkfabriken der Klimaschmutzlobby

Neoliberale Thinktanks in Europa und den USA

Die Diskreditierung der Wissenschaft

Neoliberale hofieren Klimawandel-Leugner

Wie die Agrarlobby klimafreundliche Ernährung verhindert

Subventionen für die Landwirtschaft und der Klimawandel

Ist die aktuelle Landwirtschaft wirklich alternativlos?

Der Mythos der smarten Landwirtschaft

Die Fleischlobby in den Parlamenten

Wie die Klimaschmutzlobby ihre Ziele erreicht – USA, Brasilien, Europa

Das Netzwerk der Leugner-Thinktanks

Die Finanzierung des Klimawandel-Leugnens

Intransparenz ist ihr Geschäft – Begegnungen mit Klimawandel-Leugnern

Der Einfluss der Klimawandel-Leugner auf die Politik

TEIL 2

Die Klimaschmutzlobby in Aktion

Die Klimaschmutzlobby in Brüssel

Ein unmoralisches Angebot

Wie Industrielobbyisten arbeiten

Die Klimaschmutzlobby gewinnt: Politik für die Kohleindustrie und die Luftfahrtindustrie

Milliarden für das fossile Gas

Die Klimaschmutzlobby in Deutschland

Eine kurze Geschichte der frühen Klimapolitik in Deutschland

Wie die Lobby den Aufbruch 2000 stoppte

Strategien der deutschen Klimaschutz-Bremser in Parlament und Behörden

Die Kohlelobby: Verbände und Bundestagsabgeordnete hofieren Meinungsmacher – keine Wissenschaftler

Subventionen für Kohlekraftwerke trotz Energiewende

Das Echo der Arbeitgeberverbände

Der mächtigste Bremser: die INSM

Die Medienmaschine der Klimaschmutzlobby

Etablierte Parteien und die Klimaschmutzlobby

Das Bermudadreieck der Energiewende: die unmittelbare Zukunft der Klimapolitik in Deutschland

Offene Klimawandel-Leugner in der CDU

Die Klimaschmutzlobby und die deutsche Politik: Von Kaffee bis Kreuzfahrt ist alles möglich

Wirtschaftsliberalismus in Frankreich

»Doktor Diesel« und die französische Automobillobby

Die Regierung Macron: Freie Märkte ohne Grenzen

Der Rassemblement National: »Patriotische Ökologie« statt globaler Lösungen

Paris und die Automobilindustrie

Klimapopulismus in Großbritannien

Vom Klimavorbild zum Klimachaoten

Klima-Hetze in den Medien

Brexiteers und Klimawandel-Leugner – »a match made in heaven«?

Kohlelobby und Klimaschutz-Bremser in Osteuropa

Kohlegiganten in Polen

Fossile Konzerne sponsern Klimagipfel

Polnische Gewerkschaften kooperieren mit Leugner-Thinktanks

Klimapolitik in Osteuropa: Bremsen statt Leugnen

Tschechische Klimawandel-Leugner und die Heartland-Connection

Auf ins 21. Jahrhundert – ein Ausblick

Die Klimaschmutzlobby: das Produkt einer alten Weltordnung

Das Netzwerk der Klimaschutz-Bremser

Der erneute Aufstieg der Klimawandel-Leugner

Ein radikaler Umschwung ist nötig

Fünf Maßnahmen der Klimaschutzlobby, an denen wir uns orientieren sollten

Dank

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Anmerkungen

Motto

Es gibt nur eine Unbekannte im Spiel: ob wir fähig sein werden, Antworten auf die Folgen unseres Tuns zu finden.[1]

Isabelle Stengers, belgische Wissenschaftshistorikerin

Einleitung

Mitten im heißen Klima-Herbst 2019 reist Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Badische. Die hügelige Landschaft ist beschaulich – kleine Waldstückchen, saftige Wiesen, gemütliche Gasthäuser. Im Städtchen Sinsheim aber wird diese Idylle durchbrochen: Autobahnen und Fernstraßen durchschneiden die Landschaft, riesige Gewerbeparks zersiedeln die sattgrüne Senke. Die Fußwege sind schmal, Radwege gibt es kaum. An jenem sonnigen Oktobertag, als die Klimaaktivistengruppe Extinction Rebellion vor dem Kanzleramt campt und ihre Anhänger die Hauptstadt lahmlegen, nimmt Merkel um neun Uhr morgens ihren Flieger Richtung Sinsheim. Auf ihrer Agenda: die »Klima Arena« eröffnen – ein privates Ausstellungshaus über die Gefahren des Klimawandels. Gebaut wurde es von Dietmar Hopp, Mitgründer des Softwarekonzerns SAP und einer der reichsten Deutschen. Seine »Klima Arena« ist nur mit dem Auto zu erreichen. An den günstigen Autobahnanschluss haben die Veranstalter gedacht, dass Gäste mit dem Zug oder zu Fuß kommen, ist nicht vorgesehen. Trotzdem laufen einige wenige Besucher entlang der Leitplanken an der Schnellstraße, vorbei an Schallschutzwänden des Autobahnkreuzes. Wer hätte gedacht, dass jemand mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Einweihung einer Klimaausstellung anreist? Ist man einmal angekommen, geben die knallbunten Stellwände der Ausstellung aber den guten Rat: Zu Fuß gehen schützt das Klima am besten.

Schickeria und Lokalgrößen von Baden-Württemberg sind mit ihren Limousinen gekommen, auch der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Es gibt Schnittchen und schöne Worte. Die »Arena« ist ein Neubau mitten auf dem freien Feld. Für das Gelände wurden 2,6 Hektar Freifläche versiegelt.[2] Sogar eine eigene Straße, die Dietmar-Hopp-Straße, führt zum Autobahnzubringer, gleich um die Ecke. Direkt neben der »Klima Arena« steht ein imposantes Parkhaus, davor eine betonierte Fläche mit Dutzenden SUVs und Porsches. Als der ehemalige SAP-Chef Hopp bei der Eröffnung sagt, dass »alle beim Klimaschutz mitmachen müssen«, applaudiert das Publikum. »Seid Teil der Klimabewegung.« Der Klimawandel ist, zumindest verbal, bei den deutschen Eliten angekommen.

Drei Wochen zuvor hatte Bundeskanzlerin Merkel ihr Klimaschutzprogramm 2030 vorgelegt, das nach Ansicht vieler Wissenschaftler bei Weitem nicht ausreicht, um Deutschland aus dem fossilen Zeitalter zu führen. Merkel verteidigt ihr Programm in der »Klima Arena«. Man wolle die Ziele schrittweise erreichen. Die Christdemokratin spricht von »einigen Kontroversen«, die es um ihr Klimaprogramm gegeben habe. »Als wir das erste Mal vor zwei Jahren von der ›Klima Arena‹ erfuhren, konnte ja keiner wissen, dass das Thema heute so präsent ist«, entfuhr es der Kanzlerin. Nein? Das hätte niemand wissen können? Ein entblößender Satz angesichts eines seit 30 Jahren aktuellen, globalen Themas. Hatte Kanzlerin Merkel nicht schon 2007 mit dem damaligen Umweltminister Sigmar Gabriel in roten Anoraks auf Grönland gestanden und einen strengeren Klimaschutz angemahnt? Wollte sie nicht schon damals »schrittweise« vorgehen? Und hatte sie nicht schon als CDU-Umweltministerin Mitte der 1990er-Jahre die erste UN-Klimaschutzkonferenz in Berlin eröffnet?

Ja, das war dieselbe Bundeskanzlerin, deren Klimaziele 2020 scheitern. Alle Prognosen prophezeien seit Jahren, dass Deutschland seine angestrebte Senkung von Treibhausgasen um 40 Prozent im Jahr 2020 weit verfehlen wird.[3] Es sind noch immer rund 86 Millionen Tonnen CO₂[4] zu viel jedes Jahr. Die Klimaziele für 2020 werden wir wahrscheinlich erst 2025 erreichen.[5] Doch dann winkt schon das nächste Klimaziel 2030: Da werden wir mindestens doppelt so viel einsparen müssen.[6] Für ihre Versäumnisse muss die Bundesregierung in den nächsten Jahren sogar Hunderte Millionen Euro zurücklegen, um damit Verschmutzungsrechte aus anderen EU-Mitgliedsländern zu kaufen. Auf den Steuerzahlern lasten laut Finanzplan der Merkel-Regierung also zusätzliche 100 Milliarden Euro im Jahr.[7] Das ist die traurige Bilanz von drei Jahrzehnten Klimaschutzpolitik in Deutschland. Auch mit dem aktuellen Klimapaket für 2030 sitzt die Große Koalition die Klimakrise weiter aus. Doch aus der Krise droht bald eine Katastrophe zu werden. Mit ihrer Politik des »Machbaren« ist die Kanzlerin gescheitert. Sie reicht nicht aus, um den Fakten der Wissenschaft gerecht zu werden. Sie reicht höchstens für ein bisschen Klima-Show – wenn es sein muss, auch im badischen Sinsheim. Dabei weiß die Regierung selbst, dass sie handeln müsste. Ihr Sachverständigenrat für Umweltfragen – das wissenschaftliche Beratungsgremium der deutschen Bundesregierung – errechnete die Restmenge an klimaschädlichen Gasen, die ab 2020 in Deutschland noch emittiert werden dürfen, um die Erde nach den Pariser Klimazielen nicht mehr als 1,75 Grad aufzuwärmen: 6600 Millionen Tonnen. Derzeit stoßen wir 866 Millionen Tonnen Treibhausgase jährlich aus. Übrig bleibt ein Budget, das mit unserem Lebensstil nur noch für knapp acht Jahre reicht.[8]

Die Klimaschmutzlobby hält zusammen

Eigentlich müsste die Kanzlerin im Herbst 2019 mit ihren Ministern Tag und Nacht zusammensitzen, um einen Schlachtplan für den deutschen Klimaschutz zu entwerfen. Doch gerade mal zwölf Stunden nahm sich die Kanzlerin im September 2019, um mit ihren Ministern das Klimapaket zu besprechen – inszeniert als dramatische Nachtsitzung.

Dabei wären jetzt wirksame Gesetze nötig, etwa für weniger Fleisch in Kantinen, kostenlose Nahverkehrskarten, Kerosinbesteuerung oder den Abbau umweltschädlicher Subventionen für Kohlekraftwerke. Der Autoverkehr muss verringert werden, die Wärme erneuerbar und die Landwirtschaft CO₂-freundlich gemacht werden. Doch in Wirklichkeit findet nichts davon statt. Obwohl wir seit 30 Jahren über Klimaschutz reden, hängt die deutsche Wirtschaft immer noch am Kohle-, Öl- oder Gas-Tropf. Immer noch funktionieren rund 85 Prozent der deutschen Gesellschaft nur dank fossiler Brennstoffe – lediglich 15 Prozent unserer Energie zum Autofahren, Heizen, Laternenanknipsen und Kochen sind klimafreundlich.[9] So steht es auf den Seiten des Bundeswirtschaftsministeriums. Nur noch auf Platz 23 von 57 Industrie- und Schwellenländern liegt Deutschland laut dem Klimaschutz-Index 2019, weit abgeschlagen hinter Ländern wie Schweden und Marokko.[10] Auch in vielen anderen Ländern Europas sieht es nicht besser aus: Die großen europäischen Klimasünder in der Energiewirtschaft, in Verkehr und Landwirtschaft befeuern seit Jahrzehnten ungebremst den Klimawandel. Und nicht nur in Europa, auch in anderen Teilen der Welt werden die gefährlichen Folgen der Erderwärmung ignoriert. Trotz eines stark erhöhten Risikos für Katastrophen wie Flächenbrände, die in Australien zuletzt den Lebensraum von mindestens 500 Millionen Tieren und Tausenden Menschen bedrohten, hält der australische Premier Scott Morrison an seiner fatalen Klimapolitik fest. Er werde seine Pläne für weitere Kohlekraftwerke nicht ändern, sagte der Konservative.[11]

Wie kann das sein? Wir wollten verstehen, warum sich seit drei Jahrzehnten nichts tut. Wir wollten wissen, warum heute nahezu alle Politiker und Wirtschaftslenker Klimaschutz predigen, aber doch Gesetze verabschieden, die diesen verhindern. Warum sie Millionen Klimabewegten auf der Straße applaudieren und am nächsten Tag Subventionen für Gaspipelines, Kohlekonzerne und Fleischfabriken verlängern. Wir haben uns deshalb auf die Suche gemacht: nach den Klimaschmutzlobbys – also jenen Verbänden, Thinktanks, Unternehmen und Schlüsselfiguren in Politik und Wirtschaft, die wirksamen Klimaschutz ausbremsen und verhindern.

Die Vereinten Nationen definieren Lobbyismus als den Versuch, direkten Einfluss auf Gesetze zu nehmen.[12] Lobbyismus ist weder strafbar noch illegal, sondern Teil unserer Demokratie. Grundsätzlich gilt: Wo sich Interessengruppen formieren, gibt es auch Menschen, die diese Interessen voranbringen wollen. Alle politischen Gruppierungen, Unternehmen und Vereine betreiben Lobbyismus – egal, wo sie im politischen Spektrum verordnet sind. Doch der Unterschied ist: Einige haben viel, andere wenig Einfluss. Viele Akteure der alten fossilen Weltordnung haben enormes Gewicht in unseren Gesellschaften. Sie lobbyieren schon seit Jahrzehnten für ihre Interessen, bauen sich Netzwerke auf und strecken ihre Fühler nach Entscheidungsträgern in der Politik aus. Ihr Lobbyismus gegen Klimaschutz kommt uns alle teuer zu stehen: Der jährliche UNO-Report zu den Gesundheitskosten des Klimawandels muss seine Zahlen in jedem neuen Bericht nach oben korrigieren: Aktuell kosten uns diese Folgen 300 Milliarden Dollar – pro Jahr. Und das sind nur Zahlen für Infektionen und Hitzetote.[13] Wer wirksame Klimagesetze verschleppt, bedroht uns alle. Dieses Buch gibt dieser gefährlichen Klimaschmutzlobby Namen und Gesichter. Es ist naheliegend, dass auch »grüne« Konzerne und Politiker ihre Interessen durchsetzen wollen – und diese zielen nicht immer nur auf die »Weltrettung« ab. Korruption und Interessenkonflikte finden sich überall, wo Menschen versuchen, Einfluss zu üben. Dieses Buch widmet sich aber ausschließlich jenen Wirtschaftsnetzwerken, Thinktanks und Zirkeln, die seit Jahrzehnten dazu beitragen, Europas Klimaschutz zu bremsen. Dabei zeigen wir, wie neoliberales Denken, rechtspopulistische Parteien, Klimawandel-Leugner, passive Entscheidungsträger und eingefahrene Strukturen den Stillstand organisieren. Die Schlüsselfiguren der Klimaschmutzlobby müssen endlich benannt, ihre Netzwerke offengelegt und ihre Motivationen kritisch hinterfragt werden.

Bremser, Leugner und Populisten – die Akteure der Klimaschmutzlobby

Wir haben in unserer Recherche verschiedene Gruppen gefunden, die Klimaschutz seit Jahrzehnten verschleppen: Es sind diejenigen, die den menschengemachten Klimawandel grundsätzlich bestreiten, die sogenannten Klimawandel-Leugner. Der harte Kern der Leugner ist eine zahlenmäßig eher kleine Gruppe, sie liefert aber Argumente für andere Klimaschutz-Verhinderer, beispielsweise Rechtspopulisten. Auch die einflussreichere Gruppe der Klimaschutz-Bremser profitiert von der Unsicherheit und dem Zweifel, den Skeptiker und Leugner säen. Die Klimaschutz-Bremser verzögern ehrgeizige Ziele und Klimaschutzgesetze, aber die meisten von ihnen grenzen sich zumindest in Europa stark von den Skeptikern ab, weil eine Anti-Klimaschutz-Rhetorik schlecht fürs Image ist. Zu den Bremsern gehören Politiker und Wirtschaftsvertreter, die mit ganz unterschiedlichen Methoden versuchen, Klimaschutz zu sabotieren. Dabei geht es nie um Fakten. Die Warnungen der Klimawissenschaft sind lange bekannt. Das Ziel dieser Klimaschutz-Bremser ist es, die profitablen Geschäfte mit fossilen Energien so lange wie möglich am Laufen zu halten. Diese Akteure haben bisher auf die Verzögerungstaktik gesetzt und halten sich bewusst mit öffentlichen Polemiken gegen Klimaschutz zurück. Sie sind im System des 20. Jahrhunderts verhaftet, das ihnen mit viel Kohle, Öl und Autos eine Menge Wohlstand brachte. Klimaschutz gefährdet dieses System. Diese Verteidiger des vorigen Jahrhunderts sind die unsichtbaren Klimaschutz-Bremser, und sie sind gefährlicher als die einfachen Verschwörungstheoretiker. Denn sie sitzen seit Jahrzehnten an der Macht.

In diesem Buch fassen wir diese unterschiedlichen Gruppen unter dem Begriff »Klimaschmutzlobby« zusammen – denn sie eint dasselbe Ziel: Sie wollen effektiven Klimaschutz verhindern, um ihre wirtschaftlichen, ideologischen oder politischen Interessen nicht zu gefährden. Viele Marktgläubige, Kohlelobbyisten und Öl- oder Gasunternehmer haben nämlich handfeste Gründe, den Wandel in den Ländern zu verlangsamen oder gar zu verhindern. Ihnen widerstrebt die Idee einer Ordnungspolitik, die ein effizienter Klima- und Umweltschutz benötigt. Für ein klimafreundliches Wirtschaften braucht es neue Regeln – die Industrie aber will das Spiel dem Markt überlassen und ihre finanzielle Stellung sichern. Paradoxerweise hat genau diese Industrie steuerliche Vergünstigungen oder Subventionen u. a. für fossile Kraftstoffe und für Energieträger wie Braun- und Steinkohle akzeptiert und nur durch diese überlebt.[14] Natürlich haben Unternehmen kein Interesse daran, dass diese Vergünstigungen, Zuschüsse und Steuerausnahmen wegfallen oder sie sogar steuerlich schlechtergestellt werden. Dass die erdrückende Mehrzahl der fossilen Unternehmen den Klimawandel nicht ernst nimmt, zeigt nicht nur ihr jahrzehntelanger Lobbyismus, sondern zeigen auch die Zahlen: Keiner der großen Öl- und Gaskonzerne orientiert sich an den Pariser Klimazielen. Während die Welt auf UN-Gipfeln ihre Fortschritte feiert, gaben Exxon, Shell und andere Firmen im vergangenen Jahr 21 Milliarden Dollar aus, um klimaschädliche Ressourcen zu fördern.[15] Die Geschäfte laufen bestens. Innerhalb von etwas mehr als zwölf Monaten sind laut einer 2019 publizierten Studie von Carbon Tracker Projekte mit einem Wert von 50 Milliarden US-Dollar genehmigt worden. Allein ExxonMobil steckte 2,6 Milliarden in ein neues Projekt zur Förderung von kanadischen Teersanden, die als besonders klimaschädlich gelten.[16] Es ist also auch nicht verwunderlich, dass diese Unternehmen Gesetze zum Klimaschutz zumindest aufhalten wollen. Dafür nutzen sie – je nach Land und Branche – unterschiedliche Wege, um sich Gehör zu verschaffen. Ihre Lobbyarbeit ist also wenig überraschend – zunächst ist es aber erstaunlich, wie erfolgreich sie über Jahrzehnte damit waren, ihre Einzelinteressen als maßgeblich für das Wohl aller Bürgerinnen und Bürger darzustellen. Ein Grund für ihren Erfolg ist die Intransparenz: Lobbyisten müssen nur wenig von ihrer Aktivität offenlegen. Um diese Blackbox aufzuhellen, haben wir drei Jahre lang intensiv recherchiert, auf portugiesischen Klimawandel-Leugner-Konferenzen, in der französischen Nationalversammlung, in polnischen Kohleregionen, in Berliner Ministerien und in Brüsseler Ausschüssen. Wir haben Lobbyregister gefilzt und Informanten getroffen, Trump-Berater in New Orleans interviewt, einen Londoner Lord besucht. Klimawandel-Leugner haben uns aus einem Münchner Hotel rausschmeißen und mit einer Unterlassungsklage einen Bericht verhindern wollen. Vor dem größten Kohlekraftwerk Europas in Polen schützte uns auch der Presseausweis nicht davor, von der Security ins Kreuzverhör genommen zu werden. Führungen und Interviews wurden uns verweigert. Als Journalistinnen sind wir an Menschen gewöhnt, die Recherchen behindern wollen, weil viele von ihnen lieber im Verborgenen agieren wollen. Dennoch waren wir perplex angesichts der Aggressivität und Gereiztheit vieler Protagonisten. Nicht nur von Klimawandel-Leugnern, sondern auch von Wirtschaftsverbänden und einigen Professoren erhielten wir sehr unhöfliche und abfällige Antworten auf unsere Fragen. Manche schickten uns noch mal in den »Biologieunterricht der 10. Klasse«, andere wollen in ihrer »Restlebenszeit« nichts mehr mit uns zu tun haben. Einige Akteure, die wir mit unseren Recherchen konfrontierten, lehnten es ab, auf sachliche Nachfragen zu antworten, darunter auch ein hochrangiger Abteilungsleiter eines Ministeriums. Das gab uns zu denken: Klimaschutz ist zu einem höchst emotionalen Thema geworden. Dabei geht es um wissenschaftliche Fakten, die von Klimaforschern seit Jahren benannt werden.

Die Renaissance des Klimawandel-Leugnens

Dank einer Reihe von Leaks und Veröffentlichungen wurde bekannt, wie viel Geld die Leugner-Szene über Jahrzehnte in Kampagnen gegen Klimaschutz investierte. Ölkonzerne wie Exxon finanzierten vor allem in den USA jahrelang den Zweifel am menschengemachten Klimawandel, oft mit prominenter Unterstützung aus dem konservativen Lager.[17] Auch der Ölkonzern Shell wusste schon lange von den desaströsen Folgen des Klimawandels – seine hausinternen Forscher warnten im April 1986 vor drohenden Dürren und Überschwemmungen und forderten den Konzern auf, unverzüglich zu handeln. Shell tat das Gegenteil, wie die Publikation eines internen Berichts von 2018 bewies: Die Studie The Greenhouse Effect wurde vom Ölkonzern verheimlicht, der Klimawandel fortan als unsicher dargestellt.[18] All dies ist inzwischen öffentlich, und Shell bekennt sich zumindest verbal zum Klimaschutz. Ab 2010 wurde es erstmals stiller um die Leugner-Szene, erst in Europa und mit der Ära von US-Präsident Barack Obama auch in den USA. Schließlich berichteten die Medien kaum mehr über die »abtrünnigen Klimaleugner«; die Bemühungen, alle Länder an einen UN-Weltklimavertrag zu binden, wurden stärker, der fünfte Bericht des Weltklimarates in den Jahren 2013 und 2014 sorgte dafür, dass Politiker aus Mitgliedsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention sich unter Zugzwang sahen, endlich zu handeln.

Und dann passierte es wirklich: »Adopted« – »angenommen«, hallte es am 12. Dezember 2015 gegen 18:30 Uhr durch den Plenarsaal La Seine auf dem Pariser Konferenzgelände Le Bourget. Keine Einwände mehr, keine Widersprüche! »Der Weltklimavertrag von Paris ist somit verabschiedet«, hatte Laurent Fabius, französischer Außenminister und Vorsitzender der UN-Klimakonferenz COP21, soeben erklärt. Jubel bricht aus, Diplomaten und Politiker liegen sich in den Armen, Tränen, beherztes Auflachen, Erleichterung. Das erste Mal in der Geschichte haben sich 197 Staaten auf ein Dokument zur Eindämmung der globalen Erwärmung geeinigt. Es war der vorläufige Triumph der wissenschaftlichen Vernunft über Fake News und fossile Industrieinteressen der Öl- und Kohlekonzerne.

Dieser bewegende Moment in der Geschichte der Menschheit hätte gleichzeitig auch das historische Aus für die Klimawandel-Leugner sein können. Wenn sich 197 Staaten einig sind, die Klimaerwärmung zu bekämpfen, wenn 197 Staaten 2015 sogar das Pariser Abkommen unterzeichnen, um die Erderwärmung auf höchstens 1,5 Grad zu begrenzen: Was zählen dann noch ein paar Spinner, die aus der Reihe tanzen? Die Klimawandel-Leugner, so vermuteten viele, würden ähnlich belächelt und einflusslos bleiben wie die Aluhut-Bewegung oder die »Flache-Erde«-Bewegung der »Flat Earther«. Doch es geht um mehr als ein paar Verschwörungstheoretiker.

Als der wohl berühmteste Klimawandel-Skeptiker der Welt, Marc Morano, ein Jahr später den Klimavertrag auf der UN-Klimakonferenz in Marrakesch vor einem Aufsteller mit dem designierten US-Präsident Donald Trump öffentlich schredderte, versuchten das die meisten der 30 000 Klimadiplomaten zwar zu ignorieren. Dennoch wussten auch sie, dass diese Inszenierung nur ein kleiner Vorgeschmack auf das »Comeback« der Klimawandel-Leugner sein sollte. Mit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten änderte sich alles. Das zarte Pflänzchen der globalen Klimadiplomatie – das Pariser Abkommen – konnte zwar gerade noch rechtzeitig vor diesem Wendepunkt in die Erde gebracht werden – aber wird es den ersten harten Winter auch überstehen?

Noch ist es zumindest in vielen Ländern Europas verpönt, sich gegen Klimaschutz auszusprechen – erst recht im Zuge der »Fridays for Future«-Bewegung. Laut Umfragen sehen viele Bürger den Klimawandel als größte Bedrohung für die Menschheit.[19] Aber Donald Trump war nur der Anfang eines weltweiten rechtskonservativen Rollbacks, das längst nicht mehr nur die USA, sondern auch Länder in Lateinamerika und Europa erfasst hat. Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro repräsentiert diese neue globale Rechte. Auch in Europa sind bereits in vielen Ländern rechtspopulistische Parteien in Parlamente gewählt oder sogar in Regierungen. Die Rechtspopulisten setzen sich in ihren Programmen und später auch in Regierungen fast ausnahmslos dafür ein, Gesetze zum Klimaschutz wieder abzuschaffen. Denn Klimaschutz, so ihre Begründung, sei ein Projekt von »oben« und gegen die Bürger – deswegen müsse er verhindert werden.[20] Es ist nicht auszuschließen, dass sich die »unsichtbaren Bremser«, potenzielle Verlierer des Klimaschutzes und Rechtspopulisten bald auch weltweit formieren. Eine solche Allianz könnte so mächtig werden wie in den USA. Dort arbeiten längst Klimawandel-Leugner, fossile Konzerne und die Regierungen zusammen, um ihre Interessen durchzusetzen.

Mittlerweile finanziert das millionenschwere amerikanische Heartland Institute europäische Veranstaltungen, US-amerikanische Leugner verbinden sich mit polnischen Gewerkschaften, und konservative Denkfabriken in den USA, die Trump unterstützen, überlappen sich mit dem europäischen Netzwerk der Marktgläubigen und Rechtspopulisten.

Ganz offen präsentieren sich diese rechtsextremen Parteien in Europa als Klimawandel-Leugner. Denn das Thema eignet sich wie sonst nur Flüchtlingsdebatten dazu, Stimmung gegen die »Lügenpresse« oder die »Elite« zu machen und Verschwörungstheorien zu verbreiten. Klimaschutz abzulehnen ist eine Strategie, Wählern einfache Antworten statt komplexer Diskurse und Verzichtsforderungen zu präsentieren. Während in der Migrationspolitik einfach gefordert wird, die Grenzen zu schließen und die Flüchtlinge ihrem Schicksal zu überlassen, wird beim Thema Klimawandel schlicht die Wissenschaft angezweifelt. So sprachen hochrangige AfD-Politikerinnen in Interviews ganz offen darüber, dass die Sonne, nicht der Mensch maßgeblich am Klimawandel schuld sei.[21] Kein menschengemachter Klimawandel – kein Problem. Grenzen zu – keine Flüchtlinge, die Deutschen bleiben unter sich. So einfach scheint die Welt zu sein, die uns Rechtspopulisten auftischen wollen.

»Zweifel ist unser Produkt«

Heute erkennt fast jeder Mensch an, dass Zigaretten und Lungenkrebs direkt korrelieren. Und hoffentlich wird eines heißen Tages jeder unterschreiben, dass der Klimawandel eine existenzielle Bedrohung und Klimaschutz somit eine zentrale Aufgabe der Menschheit ist. Aber auch das jahrzehntelang sorglose Rauchen basierte auf einer erfolgreichen Lobby: Die inzwischen veröffentlichten Tobacco Papers brachten ans Licht, wie die Tabakindustrie die öffentliche Meinung bewusst manipuliert hat. Der Marketingchef der Tabakindustrie sagte in einem dokumentierten Meeting: »Doubt is our product« – »der Zweifel ist unser Produkt«.[22] Und weiter: Da die Tabakindustrie »leider« keine Beweise dafür habe, dass Rauchen gut für die Gesundheit sei, müsse sie eine Kontroverse starten und Unsicherheit schüren. Diese Szene stammt aus dem Jahre 1969 – aber die gleiche Strategie nutzen heute auch Klimawandel-Leugner und Klimaschutz-Bremser: Zweifel schüren, wo eigentlich wissenschaftlicher Konsens herrscht. Der Studienverband für die Tabakindustrie, der Council for Tobacco Research (CTR), fand in seinen 6400 bestellten oder betreuten Studien nicht einen einzigen Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Nikotin und Lungenkrebs. Nicht einen einzigen.[23]

Rechte Stimmungsmacher, Klimawandel-Leugner sowie Thinktanks verbreiten Fake News und bauschen Unsicherheiten der Klimaforschung auf, um Wissenschaftler zu diskreditieren. Weil Regierungen weltweit die Wende verschleppten, haben es nun Populisten und Klimawandel-Leugner leicht, den Menschen Angst und Zweifel einzureden. Auch in den Reihen der alten Parteien – von liberal bis konservativ – sitzen immer noch Ausbremser der Energiewende. Viele von ihnen sagen ihre Meinung allerdings längst nicht so unverblümt in die Kamera wie Rechtsextreme. Aber hinter den Kulissen sägen sie am Klimakonsens – teils aus Überzeugung, teils im Dienste der fossilen Lobbyverbände, marktradikaler Überzeugungen oder parteihistorischer Traditionen.

Manchmal begegnete uns folgender Einwand, etwa von Mitarbeitern von Wissenschaftlern und Klimaexperten: Wir sollten diese Leute nicht großschreiben und lieber ignorieren, dann würde sich das schon erledigen. Wie wenig aussichtsreich diese Strategie ist, sieht man in den USA, Brasilien, aber auch in Polen und bis vor Kurzem noch in Österreich und Italien.[24] Dort sind längst rechtspopulistische Präsidenten oder Parteien an der Macht. Sie treiben nicht nur eine nationalistische, fremdenfeindliche Politik voran, sondern halten Umwelt- und Klimaschutz für eine links-grüne Verschwörung und Einsparungen von Treibhausgasen für Steuerverschwendung. Klimaschutz ist ihnen vor allem deshalb suspekt, weil er zumindest am Anfang eher von links orientierten Menschen ausging, Menschen also, gegen die sie polemisieren. Und häufig ist es auch eine wirtschaftliche Ideologie, ein Glaube an den Vorrang der Industrie, der sie Maßnahmen gegen den Treibhauseffekt ablehnen lässt. Wir haben herausgefunden: Die Klimaschmutzlobby besteht aus verschiedenen Netzwerken, deren Zusammenspiel verheerend ist. Sie zögern rasche und wegweisende politische Aktionen hinaus, verpulvern Milliarden an fossile Branchen, streuen Zweifel an Klimafakten und bereichern sich auf Kosten unserer Erde. Deshalb ist es nun an der Zeit, sie ins Licht der Öffentlichkeit zu ziehen und ihre Verbindungen aufzuzeigen. Wir wollen mit diesem Buch die fossilen Kräfte enttarnen. In diesem Buch beziehen wir uns einzig und allein auf wissenschaftliche Fakten und sichere Quellen. Wann immer die Quellenlage unklar ist, machen wir das kenntlich, denn es geht nicht darum, Menschen zu verleumden oder ihnen schräge Machenschaften zu unterstellen. Wir haben recherchiert, weil wir aufklären wollen. Deshalb schreiben wir nicht nur über die Klimaschmutzlobby, wir haben mit deren Vertretern gesprochen. Wir haben Wissenschaftler interviewt und nachgefragt bei Energie- und Klimaexperten, Historikern, ehemaligen Ministeriumsmitarbeitern und amtierenden Politikern. Damit künftig nicht mehr die Klimaschmutzlobby das Sagen hat, sondern aufgeklärte Bürger, Aktivisten und mutige Politiker.

Fakten zum Thema Klimawandel:

Der menschengemachte Klimawandel ist seit Langem wissenschaftlicher Konsens. Die Wirkung von Kohlenstoffdioxid auf das Erdklima wurde schon Ende des 19. Jahrhunderts erstmals vom schwedischen Physiker Svante Arrhenius festgestellt und im 20. Jahrhundert durch Tausende Studien bestätigt.[25] Unstrittig ist auch, dass durch menschliche Produktionsweisen besonders seit 200 Jahren enorme Mengen an Treibhausgasen – vorrangig Kohlenstoffdioxid und Methan – in die Atmosphäre abgegeben wurden. Eine überwältigende Mehrheit der Wissenschaft geht davon aus,[26] dass sich mit den veränderten Klimabedingungen unser globales Ökosystem radikal verändert.[27] Bei einem ungebremsten Klimawandel schmilzt das Eis der Polkappen ab, und der Meeresspiegel steigt. Millionen Menschen müssen umgesiedelt werden. Auch Menschen in Europa sind durch Wasserknappheit und Trockenheit im Mittelmeerraum betroffen. Weltweit tauen Permafrostböden auf. In einigen Regionen kommt es häufiger zu Orkanen und Starkregen, während andernorts zunehmend extreme Hitzewellen und Dürren auftreten. Ein starker Klimaschutz könnte all dies deutlich abmildern.

TEIL 1

Klimawandel-Skeptiker und Bremser: eine unterschätzte Gefahr

Wer ist die Klimaschmutzlobby?

Es gibt nicht eine geschlossene Gruppe von Lobbyisten, die in Hinterzimmern darüber nachdenken, wie sie die Welt untergehen lassen. Wir haben bei unseren Recherchen Menschen mit ganz verschiedenen Motiven getroffen, die ehrgeizigen Klimaschutz verhindern wollen. Wir stellen drei der wichtigsten Gruppen vor: die Skeptiker, die Rechtspopulisten und die Bremser.

Auf die Frage, warum es so vielen Menschen schwerfalle, etwas gegen die Klimakrise zu tun, sagte uns der britische Klimaaktivist George Marshall: »Die Menschheit hätte den Klimawandel längst gestoppt, wenn er ein Terrorist wäre.«[28] Das Problem sei jedoch, dass der Klimawandel keine böse Person sei, gegen die man kämpfen könne. Das brauche die Politik aber, damit sie gut dastehe. Stellt man die Opfer des Klimawandels und des Terrorismus nebeneinander, wird deutlich, wie politisches Handeln gestrickt ist: Politiker reagieren eher darauf, was Menschen unmittelbar emotional berührt, als auf wissenschaftliche Fakten. Dabei könnten sie dadurch sogar Schlimmeres verhindern. Der Klima-Kommunikationsexperte spricht hier also ein wesentliches Problem an: Es ist gar nicht so schwer, Bürger und Politiker davon zu überzeugen, dass man nicht handeln muss. Es ist sogar sehr einfach. Menschen, die ein Interesse daran haben, Klimaschutz zu verhindern, sind deshalb im Vorteil. Die vergangenen 30 Jahre zeigen, dass man bisher den Weg des geringsten Widerstandes gegangen ist. Dass die Warnrufe der Wissenschaft weitgehend ungehört verhallten oder zumindest keine ernsten Folgen hatten, kommt aber nicht von ungefähr: Wir haben verschiedene Gruppen von Menschen ausgemacht, die noch immer dafür sorgen, dass sich statt Unruhe Skepsis breitmacht. Die Klimawandel-Leugner, Rechtspopulisten und Bremser sind unterschiedliche Zirkel, die wir einzeln vorstellen wollen. Während die Leugner meist ältere Herren sind, die den Forschern misstrauen und eine Konterwissenschaft aufbauen wollen, machen die Rechtspopulisten das Thema zu ihrem Alleinstellungsmerkmal, um sich zu profilieren, und die Bremser sträuben sich schlicht dagegen, festgefahrene Gewohnheiten zu ändern und etablierten Wirtschaftslobbys die Stirn zu bieten.

Die einzelnen Gruppen haben also ganz unterschiedliche Motive, warum sie den Klimaschutz ablehnen, und sie folgen jeweils eigenen Erklärungsmustern für die Erderwärmung. Es ist wichtig, diese zu unterscheiden, um die Komplexität der Klimaschmutzlobby zu verstehen. Wir zeigen auch, wo sich die Argumente und Denkweisen dieser Gruppen überschneiden und welche Personen in gleich mehreren Lagern unterwegs sind. Beginnen wir mit den Klimawandel-Skeptikern: einer Gruppe, mit der die meisten in Deutschland heute offiziell nichts mehr zu tun haben wollen – die aber aktiver ist denn je.

Wer gehört dazu?

Wir fassen in diesem Buch Personen mit unterschiedlichen Haltungen zum Klimawandel unter dem Begriff »Klimawandel-Leugner« zusammen:

diejenigen, die leugnen, dass es überhaupt einen Klimawandel bzw. eine Erderwärmung gibt.diejenigen, die zwar einen Klimawandel einräumen, aber leugnen, dass er zu großen Teilen menschengemacht ist.diejenigen, die zwar einen menschengemachten Klimawandel einräumen, aber leugnen, dass er zu negativen Konsequenzen für das Leben auf der Erde führt.

Von den Klimawandel-Leugnern sind wiederum jene zu unterscheiden, die wir als Bremser und/oder (Rechts-)Populisten bezeichnen: Diese Personen oder Institutionen – seien es Politiker, Wirtschaftsverbände oder Thinktanks – erkennen grundsätzlich den menschlichen Einfluss auf das Klima und den Klimawandel an. Trotzdem bremsen sie aktiv Gesetze und Initiativen, die den Klimawandel begrenzen könnten, relativieren Erkenntnisse der Klimawissenschaft und warnen vor einem angeblichen »Klima-Alarmismus«. Darin sind sie sich wieder mit den Leugnern einig.

Alle zusammen zählen wir zur Klimaschmutzlobby.

Die Klimawandel-Leugner

Ein Treffen von eingefleischten Klimawandel-Leugnern kann man sich etwa so vorstellen: Betagte Herren über 60 in Hemd und Sakko sitzen in angemieteten Konferenzräumen und zeigen sich gegenseitig händisch zusammengebaute PowerPoint-Charts. Die Männer fühlen sich im Klima-Widerstand. Sie glauben: Nur sie haben die Wahrheit erkannt, alle anderen da draußen fallen auf die billigen Tricks der Klimawissenschaftler rein. Es ist eine eingeschworene Community, man kennt sich seit Jahren, begrüßt sich mit einem wissenden Kopfnicken. Man gehört dazu und fühlt sich heimelig im Klima-Untergrund. Frauen fallen hier auf. Und vor allem Frauen unter 50. Das Programm solcher Konferenzen besteht aus aneinandergereihten Vorträgen der Herren und ist ein Schaulaufen der Selbstbestätigung. Nach ein paar Stunden schwirrt einem der Kopf: Bei so vielen Gründen, warum alles Quatsch ist mit dem menschengemachten Klimawandel, weiß man am Ende gar nicht mehr, was nun gilt: Sind es nun die Planetenkonstellationen und die kosmische Strahlung, oder ist es die Sonne, die die Erde aufheizt? Oder gibt es gar keinen Temperaturanstieg, wie manche Vorträge zeigen? Oder gibt es doch einen, weil sich das Klima eben immer ändert? Oder alles zusammen, und eine Erwärmung ist gar nicht schlimm? Es ist ein Wirrwarr von abstrusen Theorien. Nur in einem sind sich alle einig: CO₂ in der Atmosphäre hat keinen messbaren Einfluss auf die globale Mitteltemperatur. Zero, nada, nichts. Es ist nicht der Mensch, der mit seinem spritfressenden Geländewagen, dem Kerosin im Flugzeug, der Kohle für seinen Strom oder dem Steak auf seinem Teller die Erderwärmung anheizt.

Es werden Witzchen gemacht, der Ton ist locker, es wird über die »CO₂-Lüge« und »echte Wissenschaft« philosophiert und die Botschaft verkündet, dass der »Spuk« vorbei sei und nun alle wieder SUV fahren und um die Welt jetten könnten. Wissenschaftler, denen wir die PowerPoint-Charts der Konferenz zeigten, schlugen die Hände über dem Kopf zusammen: »Was ist das denn?«, fragten sie oder bemängelten, dass nicht einmal die Achsen an Diagrammen beschriftet seien. Die Vorträge der Klimawandel-Leugner auf ihren Konferenzen widersprechen also offensichtlich jedem wissenschaftlichen Standard. Aber jeder von ihnen wird mit Applaus honoriert.

Und dann gibt es da noch die »Lukewarmer« (wörtliche Übersetzung: »die Lauwarmen«).[29] Sie erkennen den menschengemachten Klimawandel teilweise an, aber streiten die dramatischen Folgen für Mensch und Ökosystem ab. Diese Strömung gewinnt vor allem im englischsprachigen Raum seit dem Pariser Klimaabkommen immer mehr Anhänger – nach dem Motto: Leugnen ist zwecklos, aber immerhin kann man noch die Folgen anzweifeln. So erzählte uns ein langjähriger Abgeordneter des britischen Unterhauses und Kabinettsminister in den Regierungen von Margaret Thatcher und John Major: »Was macht ein Grad mehr schon aus? Ich bin bei minus fünf Grad von London aus in den Urlaub gefahren und in Sri Lanka gelandet. Das war ein Temperaturunterschied von 40 Grad – und es hat mir nicht geschadet.«[30]

Zu dieser »harten« Klimawandel-Leugner-Szene gehören weltweit eine Handvoll Wissenschaftler aus Europa, Australien und den USA, die sich gegenseitig auf Konferenzen einladen, Internetblogs betreiben und ihre Meinung in den Medien zum Besten geben. Die meisten von ihnen sind ältere Akademiker. Für viele ist die Klimaleugnung eine Art Rentnerhobby. Manche waren vorher Mechaniker, Ingenieure oder Mathematiker und glauben nun, es besser zu wissen. Einige von ihnen werden für ihre Theorien von Thinktanks bezahlt, und es gibt auch einige Wissenschaftler, die noch im Dienst sind und an Universitäten arbeiten – das ist jedoch die Minderheit.

Man könnte diese Gruppe eigentlich getrost ihrem Schicksal überlassen und ihnen den Spaß lassen. Aber in den vergangenen Jahren kamen weltweit klimaleugnende Staatschefs an die Macht, und das Geschäft mit den Fake News boomt. In der heutigen Zeit hat selbst die absurdeste Theorie ihren Platz: wenn sie nur den Interessen von Wirtschaftsvertretern oder einer politischen Gruppe – meist Populisten oder autoritären Regierungen – dient.

Die Rechtspopulisten

Damit wären wir bei der zweiten und weitaus gefährlicheren Gruppe der Klimawandel-Leugner: den Rechtspopulisten. Sie haben meist überhaupt kein Interesse an wissenschaftlicher Forschung, greifen aber gern in die Argumentenkiste der ersten Gruppe – der Hobbywissenschaftler. Sie sind dankbar für die Theorien der Klimawandel-Skeptiker. Denn diese sind Futter für die Hetze gegen internationale Institutionen, die Regierung, die Grünen und für ihre Erzählung vom betrogenen kleinen Mann.[31]

Mit dem Aufstieg rechtsextremer Bewegungen in ganz Europa – in allen europäischen Ländern haben sie inzwischen zweistellige Ergebnisse – haben auch ihre Klimalügen an Macht, Repräsentation in Fraktionssitzungen und Rederecht gewonnen. Klimawandel-Skeptiker halten internationale Institutionen wie den Weltklimarat IPCC, die UN-Klimarahmenkonvention oder das UN-Klimaabkommen für überflüssig. Sie bezweifeln zudem, dass eine Mehrheit von nahezu 100 Prozent der weltweiten Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen die Erkenntnisse über den menschengemachten Klimawandel anerkennt. Während viele Klimawandel-Skeptiker selbst die besseren und »ehrlicheren« Wissenschaftler sein wollen, wittern Rechtspopulisten hinter dem Weltklimarat ein links-grünes Projekt, um Regulierungen und die Erneuerbare-Energie-Lobby zu fördern. Wir zeigen in den folgenden Kapiteln, wie diese Gruppen schon heute zusammenarbeiten und welche ideologischen Gemeinsamkeiten sie haben.

Die Klimaschutz-Bremser

Die dritte und unseren Recherchen nach einflussreichste Gruppe sind jedoch die Klimaschutz-Bremser. Es sind jene Menschen, die seit Jahrzehnten absichtlich eine wirksame Klimaschutzpolitik behindern. Das Spektrum dieser Gruppe ist weit gefächert: Teilweise überschneidet sie sich mit den ersten beiden Gruppen und bedient sich ebenfalls an Argumenten und Falschmeldungen der Pseudowissenschaftler – jedoch weniger öffentlich, als es der harte Kern der Klimawandel-Leugner tut. Meistens jedoch wollen die Bremser nicht mit Klimawandel-Skeptikern in Verbindung gebracht werden.

Wer genau gehört zur Gruppe der Bremser? Es sind Repräsentanten des fossilen Zeitalters, die es noch so lange wie möglich erhalten wollen. Und es sind Politiker, Wirtschaftslenker und Lobbyisten, für die jeder staatliche Eingriff ein Graus ist und die den ökologischen Umbau als unbezahlbar präsentieren, weil sie weder die tatsächlichen ökologischen Kosten noch die Folgekosten des Klimawandels einrechnen. Zu dieser Gruppe gehört ein großer Teil jener Menschen, die in den meisten EU-Mitgliedsländern, aber auch in den USA und Schwellenländern wie China, Russland und Indien in den letzten drei Jahrzehnten politischen Einfluss ausübten. Lobbyisten neoliberaler Thinktanks, Vertreter konservativer oder marktliberaler Parteien, Gewerkschafter. Sie haben Gesetzesentwürfe verwässert oder verhindert, nationale und internationale Klimadiskussionen durchkreuzt und Zweifel in den Medien gestreut. Sie hatten immer eine Ausrede parat, um nichts zu »überstürzen«.

In den folgenden Kapiteln wollen wir zeigen, warum ihre Strategien und Argumente so erfolgreich verhindert haben, dass der Klimazug seit der ersten Klimakonferenz 1995 in Berlin auch wirklich aus dem Bahnhof abfuhr. Denn sie waren es, die meist an den Schaltstellen der Macht saßen. Sie hätten schon vor über zwanzig Jahren das Startsignal geben müssen, um die damals schon absehbaren Langzeitfolgen des Klimawandels abzumildern.

Die marktliberalen und neoliberalen Kräfte in Europa scheuen die politischen Folgen des globalen Umweltproblems: Ein starker Staat mit effektiven Klimagesetzen passt nicht zu neoliberalen Ideen, nach denen der Markt die Gesellschaft regulieren sollte. Seit den frühen 1980er-Jahren haben Regierungen in den westlichen Ländern Regulierungen und staatliche Eingriffe abgebaut – diese Linie widerspricht einer ambitionierten Klima- und Umweltpolitik.

Im Kapitel »Neoliberale Thinktanks und ihre großzügigen Spender« beschreiben wir, warum seit den 1980er-Jahren vor allem neoliberale Politikstile Erfolg hatten und welche Konsequenzen dieser Erfolg hat. Der Aufstieg der neoliberalen Denkschulen hat einen großen Anteil daran, dass die notwendigen Gesetze zum Klimaschutz bis heute auf breiter Linie nicht umgesetzt sind. Ultramarktliberale Thinktanks in den USA und Europa arbeiten schon lange gemeinsam an der Anti-Klimaschutz-Agenda. Vor der Diskussion um den Klimawandel hatten sie noch andere gemeinsame Projekte: zum Beispiel den Kampf gegen Regeln für saubere Luft oder gegen die Aufklärung über die Risiken von Tabakkonsum.

Dahinter stehen nicht nur die neoliberale Schule und die Überzeugung, dass der freie Markt Wohlstand für alle schafft, sondern auch Interessen aus der Wirtschaft.[32] Welcher Unternehmenschef lässt sich gerne kontrollieren oder freut sich über Auflagen und ehrgeizige Umweltstandards, die seinen Gewinn gefährden? Wie wir in diesem Buch zeigen werden, haben Konzerne seit Jahrzehnten gegen den Klimaschutz lobbyiert, um Regulierungen und ein gesellschaftliches Umsteuern zu vereiteln. Je nach Land und Jahrzehnt unterscheiden sich die Methoden, Argumente und Strategien. Das Ziel bleibt aber immer gleich: Bremsen, Verzögern, Verhindern.

Der Soziologe Justin Farrell von der Yale University hat 2015 den Einfluss der Wirtschaft auf die Klimadiskussion quantifiziert: Er untersuchte klimaskeptische Aussagen von 164 Organisationen, beispielsweise Thinktanks und NGOs, sowie von 4500 Einzelpersonen in einem Zeitraum von zwanzig Jahren (1993–2013).[33] Dazu analysierte er mehr als 40 000 Texte aus Reden, Vorträgen, Artikeln und Magazinen. Heraus kam, dass von der fossilen Wirtschaft finanzierte Organisationen den Zweifel am menschengemachten Klimawandel besonders befeuern. Sicherlich gelten seine Zahlen vor allem für US-amerikanische Verhältnisse.[34] Allerdings können wir mit unseren Recherchen belegen, dass viele der US-Thinktanks auch gute Kontakte nach Europa pflegen und es auch in Europa systematische Anti-Klimaschutz-Propaganda aus wirtschaftsnahen Instituten und Thinktanks gibt.[35]

In den vergangenen Jahrzehnten waren die Klimaschutz-Bremser auch auf höchster Ebene sehr erfolgreich: Am 18. Dezember 2009 erklären Staats- und Regierungschefs aus der ganzen Welt auf dem UN-Klimagipfel in Kopenhagen, dass es höchste Zeit sei, das Klima zu retten. Sie sind in die dänische Hauptstadt gekommen, um einen Weltklimavertrag zu beschließen. Auch Barack Obama ist dabei und der chinesische Regierungschef Wen Jiabao. Die Rhetorik ist eindeutig. Es scheint so, als hätten alle VIPs der Weltpolitik verstanden, worum es geht. Dennoch: Keine 24 Stunden später, um 6:07 Uhr am Samstagmorgen, scheint es Lars Lokke Rasmussen, dem dänischen Ministerpräsidenten und Gastgeber des Gipfels, aufzugehen: Der »Copenhagen Accord« wird von der »Conference of Parties« – also dem offiziellen Klimagipfel – nicht angenommen. Eine Delegation nach der anderen meldet sich zu Wort und lehnt das Papier ab, das Rasmussen mit den Mächtigen der Welt ausgehandelt hat. Dutzende Länder wollen nicht zustimmen.[36]

Kopenhagen war ein Fiasko. Trotz der Mahnungen und Appelle aus den höchsten Politikkreisen kam ein Klimavertrag erst sechs Jahre später auf der UN-Konferenz in Paris zustande. Während dieser Zeit hatte man das Gefühl, dass alle fieberhaft daran arbeiteten, endlich etwas für den Klimaschutz zu tun. Spätestens seit 2015 veränderten auch viele Wirtschaftslenker und Politiker ihr Narrativ: Sie zweifeln nicht mehr offensiv an der Dringlichkeit der Klimakrise. Im Gegenteil, viele werben sogar für mehr Klimaschutz, um sich ein grünes Image zu verpassen. Selbst die Kohlebranche in Deutschland stellt den Klimawandel nicht infrage oder wendet sich prinzipiell gegen Klimaschutz. Nachdem jahrelang versucht wurde, die Klimakrise kleinzureden, zu ignorieren oder mit fragwürdigen Techniklösungen fossile Brennstoffe am Leben zu erhalten, versucht man es nun mit anderen Ausreden.[37] Heute werden neue Argumente bemüht, warum ein schneller Kohleausstieg, ein Verbot von Verbrennungsmotoren oder ein Abbau klimaschädlicher Subventionen nicht umsetzbar sind. Obwohl wir einen Weltklimavertrag haben, der von 197 Staaten anerkannt und von den meisten ratifiziert wurde, arbeiten die Kräfte im Hintergrund weiter daran, ehrgeizige Politikziele zu verhindern. Rhetorik und Handeln klafften wohl selten so stark auseinander. Die meisten Länder – darunter auch Deutschland – tun nicht genug für den Klimaschutz: Ihre Klimapläne bis 2030 sind zu schwach, und ihre bisher angestrengten Strukturänderungen reichen längst nicht aus.[38] Fakt ist: Weltweit steigen die CO₂-Emissionen insgesamt, anstatt zu sinken – der Höhepunkt der Verschmutzung ist noch nicht erreicht.[39]

Ihre Argumente beziehen viele Politiker und Wirtschaftslenker, die wir zu den Bremsern zählen, aus Studien von Thinktanks und Gesprächen mit Lobbyisten. Die beliebtesten Argumente sind:

Aus Kosten- oder Arbeitsplatzgründen sollte nichts überstürzt werden.

Sollte es wirklich so schlimm kommen, wird es längst technische Lösungen geben (Geoengineering).

Der Markt wird das regeln – alles andere sind Verbote, die unserer Wirtschaft schaden und unsere Freiheit bedrohen.

Klimaschutz ist nur ein Mittel, um dem Staat wieder mehr Macht zu geben, linke Regulierungswut durchzusetzen und eine Ökodiktatur zu etablieren.

Klimaschutz in der Wirtschaft kann nur global funktionieren (Carbon Leakage).

All das sind Argumente, um nichts oder wenig zu tun. Indem der Begriff der »Freiheit« von den Marktliberalen genutzt wird, um sich gegen »sozialistische«, ergo »autoritäre« Politik abzugrenzen, schreiben sie den Verfechtern von Klimaschutzmaßnahmen negative Bezeichnungen wie »Moralist«, »Zwang« oder »Dominanz« zu. Die Vereinnahmung des Begriffes der Freiheit gelingt den neoliberalen Lobbys besonders gut – obwohl hier eigentlich nur die »Freiheit« der Unternehmen und derjenigen gemeint ist, die über genügend Kapital verfügen, um auf dem Markt bestehen zu können.

Wir zeigen in diesem Buch, dass solche Narrative gezielt eingesetzt werden, um effiziente Klimaschutzpolitik zu verhindern. Und wir decken auf, welche Akteure solche Erzählungen in die Welt setzen und wer sie dann aufgreift.

Hat die Klimaschmutzlobby kein Gewissen?

Eine Frage, die uns auf Veranstaltungen zu diesem Thema immer wieder gestellt wurde, war: Glauben Klimawandel-Leugner wirklich an ihre Theorien? Und haben Politiker und Wirtschaftslenker denn gar kein Gewissen, wenn sie seit Jahrzehnten die Ergebnisse der Klimaforschung wissentlich ignorieren, um ihre persönliche Agenda voranzutreiben?

Die Frage bezüglich der Klimawandel-Leugner lässt sich einfacher beantworten: Während der Recherche konnten wir mit einigen überzeugten Klimawandel-Leugnern sprechen. In persönlichen Interviews merkten wir schnell, ob jemand wirklich an das glaubte, was er da sagte, oder ob es sich nur um PR-Sprache handelte. Wir hatten das Gefühl, dass die meisten der »harten« Klimawandel-Leugner wirklich an ihre Mission glaubten. Die Motivation ihrer »Forschungen« sei dahingestellt – und auch, inwiefern sie aus Trotz gegen ihre ehemaligen Kollegen eine andere Meinung haben oder aus schierer Lust zur Selbstdarstellung der »bad guy« sein möchten. Von Letzteren gab es einige, die sich seit Jahren in der Rolle gefallen.

Zum Beispiel der Greenpeace-Gründer und heutige Klimawandel-Skeptiker Patrick Moore. Wir treffen den Mittsiebziger in einem Kaffeehaus im Berliner Tiergarten. Der freundliche Kanadier mit den schlohweißen Haaren bestellt sich ein Bier und genießt die Frühlingssonne. Es ist der Charme des alten Westberlins, der ihn immer wieder hierherzieht. Jedem, den es interessiert, erklärt er geduldig, warum so viele Menschen auf die »Klimafantasie« hereinfallen. Und er ist auch ziemlich stolz darauf, dass er als Erster – wie er betont – darüber aufklärt, dass die CO₂-Emissionen nun nach 150 Jahren endlich wieder »in balance« seien. Denn jahrhundertelang seien sie gefallen – doch dank der Verbrennung von Kohle, Gas und Öl seien sie endlich wieder auf einem »normalen« Level. Moore ist richtiggehend erleichtert, dass mindestens die halbe Welt – China, Indien und die USA – weiterhin Kohlekraftwerke baut und sich nicht wirklich um die Energiewende kümmert. Wer Moore zuhört, glaubt, dass er es ernst meint. Der Mann hat Ökologie studiert und weiß so einiges über die Erdgeschichte. Genauso, wie er über seriöse Fakten spricht, gibt er aber gleichzeitig alle stereotypen Erklärungen eines Klimawandel-Leugners ab. Und er gefällt sich in der Rolle des Rebellen. Obwohl auch Moore von vielen Lobbygruppen Geld kassierte,[40] wirkt er authentisch.

Bei vielen seiner Kollegen aus den USA hatten wir hingegen das Gefühl, dass die Leugnung der Klimawissenschaft nur dazu dient, Gründe für ein »Weiter so« der fossilen Industrie zu erfinden. Es geht darum, Klimaschutz zu vereiteln – egal, wie haarsträubend die Argumente, Studien oder Erklärungen sind. Diese ignorante Haltung gegenüber gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen und das Suchen nach Argumenten, um die eigene Weltsicht zu stützen, vertraten und vertreten auch deutsche Streiter der Klimaschmutzlobby. Dazu zählen nicht nur Vertreter der AfD, sondern auch Teile der FDP und CDU sowie Stimmen aus der Wirtschaft.

Und dann gibt es da noch die Gruppe jener Politiker und Wirtschaftslenker, die den Weltklimarat und seine Erkenntnisse anerkennen und bei jeder Gelegenheit auch anmahnen, dass sich schnellstens etwas ändern muss. Das Problem: Es passiert trotzdem wenig, obwohl diese Leute in mächtigen Positionen sind. Dieses Phänomen erklärt der deutsche Klimaforscher und ehemalige Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung Hans Joachim Schellnhuber in einem Gespräch mit den Autorinnen.[41] Der Wissenschaftler spricht seit zwanzig Jahren in den höchsten Kreisen von Politik und Wirtschaft über den Klimawandel. Als Merkel-Berater war er ganz oben mit dabei. Sein Fazit: »Wenn ich zu Parlamentariern oder den Chefetagen großer Unternehmen gehe und sie darauf hinweise, dass wir unser Wirtschaftsmodell ändern müssen, weil uns fossile Brennstoffe ins Verderben führen, dann beschließen sie, die Wissenschaft nicht mehr ernst zu nehmen. Ich kann noch so viele Ehrendoktorwürden oder sogar den Nobelpreis haben – ab einem bestimmten Punkt wird man als weltfremder Wissenschaftler abgestempelt.«

Zwar wird die Wissenschaft nicht bezweifelt, aber sie wird nicht ernst genommen. Politiker und Wirtschaftslenker meinen letztendlich, es doch besser zu wissen. Obwohl Schellnhuber seit den 1990er-Jahren kritisiert, dass die Maßnahmen zu wenig klimaschädliche Gase einsparen, gibt es ein »Weiter so« – dank der oben erwähnten Argumente. Klimaziele werden also verfehlt und in den Ministerien weiter blockiert.[42] Für diese Politik muss man kein Klimawandel-Leugner sein. Zudem sind Berufspolitiker anfällig für Lobbyisten und Bremser: Sie müssen auf die nächste Wahl gucken und wollen sich nicht um schwierige und langfristige Probleme wie den Klimawandel kümmern. Auch Klimaforscher Schellnhuber meint, dass die Politik zu kurzsichtig organisiert sei für so enorm komplexe Probleme wie den Klimawandel.

Das gilt auch für Unternehmen und Konzerne. Ihr Klimabewusstsein stößt schnell an seine Grenze. Solange es dem Image dient, geben sich auch die größten Verschmutzer als Umweltschützer.[43] Über dieses sogenannte Greenwashing gibt es schon gute Literatur – deshalb sei diese Methode der Klimaschutz-Bremser hier nur am Rande erwähnt.[44]

Dass es seit 30 Jahren nicht wirklich vorangeht im Klimaschutz, ist also kein Zufall, sondern eine Strategie von Profiteuren des alten Systems. Das bekräftigen auch Politologen wie der US-amerikanische Politikwissenschaftler Lance Bennett von der Universität Washington:[45] »Seit den 1990er-Jahren verbreiten Klimawandel-Leugner und neoliberale Wirtschaftslobbyisten ihre Fake-Wissenschaft weltweit«, so Bennett. »Klimaschutzpolitik stellt unseren Lebensstil infrage – das stört viele, und das lässt sich ausnutzen, um den Menschen Angst zu machen.« Der Umbau der Gesellschaften sei eine komplexe und schwierige Aufgabe, so Bennett. Es sei so leicht, diesen zu diskreditieren und anzugreifen. Deshalb brauchten Klimaaktivisten, Wissenschaftler und Politik positive Erzählungen, um den Menschen die Angst zu nehmen.[46] Bislang aber, so werden wir sehen, haben die Erzählungen der Leugner und Bremser das Weltgeschehen dominiert. Klimawandel-Leugner und Klimaschutz-Gegner argumentieren nicht nur gewissenlos gegen bewiesene Forschung, sondern sie versuchen, Forscher zum Teil auch persönlich einzuschüchtern.

»Wenn Sie noch mehr Artikel schreiben, passiert Ihrer Familie was«

Klimaforscher Stefan Rahmstorf über aggressive Klimawandel-Leugner. Rahmstorf forscht am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung.

Auf welche Art und Weise wurden Sie von Klimawandel-Leugnern angegriffen?

Hauptsächlich im Internet – es gibt natürlich jede Menge gehässige Leserkommentare mit persönlichen Diffamierungen, aber auch Blogs und Lobbygruppen wie EIKE, die sich aus meiner Sicht vor allem der persönlichen Diskreditierung von Klimaforschern wie mir verschrieben haben. Das trifft diejenigen Forscher, die sich prominent öffentlich zum Klimawandel äußern. Dabei gibt es auch mehr oder weniger unverhohlene Drohungen, etwa in der Art: »Wenn Sie noch mehr Artikel schreiben, passiert Ihrer Familie was.« Das ist dann die Schwelle, wo man auch Anzeige bei der Polizei erstattet.

Hatten Sie schon einmal Angst um Ihre Familie oder Ihr Wohlergehen?

Das hatte ich viele Jahre nicht, bis zum Oslo-Attentat von Anders Breivik. Dessen »Manifest« enthielt ja auch die typischen Standardverschwörungstheorien der »Klimaskeptiker«, zum Beispiel über die sogenannte Hockeyschläger-Kurve. Damals wurde mir klar: Es kann auch verblendete, gewaltbereite Irrläufer geben, die die Propaganda über betrügende Klimaforscher und die angebliche »Klimalüge« ernst nehmen und dadurch aufgehetzt werden.

Haben sich diese Angriffe gehäuft, oder haben sie abgenommen?

Das gibt es eigentlich ständig als Hintergrundrauschen über die letzten 20 Jahre, seit ich in der Öffentlichkeit stehe, aber es gibt natürlich Phasen, wo das Klimathema generell mehr im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht, etwa vor wichtigen Klimagipfeln. Und seit die AfD im Bundestag ist und dort aktiv Klimawandel-Leugner-Unsinn vertritt, ist das auch wieder stärker präsent.

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