Klima außer Kontrolle - Susanne Götze - E-Book
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Klima außer Kontrolle E-Book

Susanne Götze

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Beschreibung

Können wir uns noch retten? Wir steuern auf die größte Umweltkatastrophe der Geschichte zu. Aber wie gut ist Deutschland auf Hitze, Starkregen und steigende Meere vorbereitet? Noch immer unterschätzen Politik und Verwaltung die Gefahren von Extremwetter. In ihrem neuen Buch decken Susanne Götze und Annika Joeres auf, wie ausgeliefert wir der Klimakrise hierzulande sind. Gleichzeitig zeigen die Autorinnen, wie wir uns gegen die schlimmsten Folgen wappnen und Leben retten können – und wer dies bislang verhindert. Denn so viel ist sicher: Die Folgen des Klimawandels werden uns schneller und härter treffen, als wir denken.

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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Fotos: Kapitel 1: picture-alliance / ZB | Jens Wolf; Kapitel 4: picture alliance / imageBROKER | Karl F. Schöfmann; Kapitel 9: Shutterstock; Kapitel 2, 3, 5, 6, 7, 8: Susanne Götze/Annika Joeres

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Umschlagabbildung: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem Buch (etwa durch Links) hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen. Eine Haftung dafür übernimmt der Verlag nicht.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Vorwort

Einleitung

Für Prävention fehlen der Wille und das Geld

Wir sind verwundbar

Die Katastrophen sind bekannt – die Prävention nicht

Niemand fühlt sich verantwortlich

Neue Energie für die Anpassung

1 Leben in der Risikogesellschaft

Kritische Infrastruktur – auf sie kommt es an

Veraltete Abschätzungen des Risikos

Krankenhäuser – wenn ein Stromausfall Leben kostet

Kraftwerke – das Nadelöhr im Extremfall

Bürgerwindparks und kleine Solarfirmen sind resilienter

Wie Ehrenamtler über Störfallbetriebe entscheiden

Die chemische Industrie und das Hochwasser

Der Ölmulti und der Deich

Atomkraftwerke – Der potenzielle Klima-GAU

Wenn der Wachtrupp nicht zum Zwischenlager kommt

Rost am Atommüll

Behörden-Irrsinn und Föderalismus-Kleinklein

2 Das Wasser kommt I

Nach der Flut ist vor der Flut

Die Hochwasser-Demenz der Behörden

Bauen in Überschwemmungsgebieten

Money, money, money

Kaum Transparenz über Risikogebiete

Bürgerinnen warnen Bürger – wenn es die Behörden nicht tun

Leuchttürme der Anpassung

Geld für Katastrophenschutz – aber wenig für Vorsorge

3 Das Wasser kommt II

Schutzräume und Verschottungen gegen das Wasser

Die Badewanne läuft voll

Wagen wir einen Schritt zurück?

Das Watt ertrinkt

Zurückweichen für die Sicherheit

»Leichen lagen zu Haufen aufgetürmt …«

Sind Megadämme sinnvoll?

4 Hitze und Starkregen

Wohnen in der Zukunft – können wir uns das überhaupt leisten?

Wenn schwarze Dächer die Stadt aufheizen

Manager ohne Macht

Die Last der Autos

Hitzeanpassung in Grün

Von eitlen Architekten und schlecht isolierten Wohnungen

Alte Häuser frisch machen

Von Doozers und Fraggles im Städtebau

Neue Staudämme braucht das Land

5 Landwirtschaft

Das weltgrößte Experiment auf dem Acker

Guter Boden, das neue Ziel

Couscous statt Weizenbrot?

Die Ernte – Tierfutter, Energiequelle oder Menschennahrung?

Sortenreicher Anbau bietet höheren Schutz

Bio: Besser, aber nicht die alleinige Lösung

Agroforstwirtschaft und neue Felder

Verändere dich – oder weiche

Wenn Trinkwasser knapp wird

Der größte Hebel: Die EU-Milliarden

6 Von sterbenden Fichten und türkischen Tannen

Der Mensch als Zerstörer und Schöpfer

Der Klimawald der Zukunft

Multitalent Wald: Sein Schutz ist pures Eigeninteresse

Wirtschaftswald vs. Naturwald

Kein Plan für die Waldrettung

7 Mythos Moore

Leben mit den Mooren: Die Vision

8 Hochgebirge

Im eisigen Herzen der Zugspitze

Leben retten – mit Frühwarnsystemen

Risiko Wanderwege

Die rote Ampel im Tal des Todes

Risikokarten und rote Zonen

9 Homo insipiens

Die Prometheus-Falle

Technik täuscht Sicherheit vor

Resilienz und Klimakrise: Ultrakomplex und abstrakt

Der Mensch – unvernünftig seit Jahrtausenden

Besser klare Entscheidungen als ständiges Grübeln

So schön sieht die angepasste Welt aus

Ein Ausblick

»Es geht schon alles seinen Gang«

Rettung durch Rückzug

Viele kleine Schritte statt Gigantomanie

Das Versagen des Föderalismus in der Klimakrise

Anpassung für eine hohe Lebensqualität

Danksagung

Stichwortverzeichnis

Anmerkungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Register

Vorwort

Der uneinsichtige Mensch. Diese Spezies steht im Zentrum dieses wichtigen Buches. Es ist an vielen Stellen erschütternd. Denn unserem deutschen Selbstverständnis nach sind wir doch analytisch, qualitätsbewusst, zuverlässig, mit Ingenieursgenen ausgestattet und sehr an Sicherheit orientiert. Oder etwa nicht? Diesem Selbstverständnis stellt das Buch in einer berührenden Mischung aus detaillierter Recherche und Dringlichkeitsappell eine andere Diagnose entgegen: Fahrlässigkeit. Sie basiert auf Unwissenheit, kurzfristigen Machtinteressen und Profitfokus wie Geiz gleichermaßen, umwoben von einer empirisch unhaltbaren Beruhigungsstory, dass es bei uns schon nicht so schlimm werden wird. Dabei ist das Buch nie wütend, sondern es will aufklären und eine Bewegung unterstützen, die sich in vielen Ecken und Nischen unserer Gesellschaft eben auch findet: Protagonist:innen, die den Wunsch zur Rückkehr in die Normalität nach Krisen zwar nachvollziehen können, aber trotzdem den Fakten ins Gesicht sehen und nach Alternativen suchen. Normal und gewohnt sind schlicht nicht das Gleiche, und so wie gewohnt wird keine zukünftige Normalität aussehen. Wie könnte sie das dann?

Diese Reise der Journalistinnen durch Städte, Moore, Landwirtschaftsregionen und Waldgebiete ist es, die bei allen Warnungen auch Mut macht, und ein neues Verständnis erlaubt für die faszinierenden Möglichkeiten, Infrastrukturen so umzugestalten, dass sie mit der Natur und für die Menschen funktionieren. Nicht gegen sie. Und ihre Reise zeigt, warum wir also kein Umweltproblem haben, sondern ein Gesellschaftsproblem. Warum abschotten und für sich selbst verteidigen, was geht – im alten Design –, eben genau nicht in eine Normalität führen wird, bei der das Niveau von Gesundheit, Sicherheit, Lebensqualität und sozialem Frieden der vergangenen Dekaden erhalten bleiben kann. Und warum unsere Gewohnheiten dann also von den Krisen kassiert werden. Deshalb sind Prävention und Adaption die zentralen Themen in diesem Buch. In den besten Strategien gehen sie zusammen. Anders bauen und renovieren, anders Landschaften und Gärten planen, anders Böden bewirtschaften und Wälder aufforsten, anders Städte und Regionen miteinander verbinden und sie multifunktional nutzen. Anders groß denken und klein anfangen. Und sich daran freuen, dass in sehr vielen Mensch-mit-Natur-Lösungen auch die Schönheit und Diversität der Lebensräume wieder wachsen werden.

Ich wünsche allen viel Spaß bei der Lektüre und dem Loslegen!

Maja Göpel im Juni 2022

Einleitung

Dreitausend. Dreitausend Häuser wurden bei der Flutkatastrophe 2021 von der Ahr überschwemmt, ihre Keller mit Schlamm gefüllt, ihre Gärten mit giftigem Schlick bedeckt, manche ihrer Bewohnerinnen und Bewohner sind ertrunken. Trotzdem sollen sie bald wieder so aufgebaut werden, als sei nichts geschehen. Als hätte das idyllische Tal mit den Weinbergen nicht gerade erst die tödlichste und teuerste Hochwasserkatastrophe der Bundesrepublik erlebt.

Dass diese Stadt und das Land es offenbar in Kauf nehmen, Menschen wieder in der Gefahrenzone anzusiedeln, hat selbst uns überrascht, obwohl wir als Journalistinnen schon seit Jahren zur Klimakrise recherchieren – und deshalb wissen, wie mangelhaft wir auf ihre Folgen vorbereitet sind. Diese Menschen in den 3000 Häusern, die nun vor jedem Starkregen Angst haben müssen, waren ein wichtiger Anlass, dieses Buch zu schreiben. Diese Menschen und alle Bürgerinnen und Bürger, die künftige Hitzewellen überstehen, Hochwasser überleben und Erdrutsche aushalten müssen. Denn sie alle sind es, deren Leben mit der Klimakrise in Gefahr gerät – nur: Bislang spricht kaum jemand darüber, wie wir uns auf diese Veränderungen einstellen müssen. Dabei sprechen die Weltklimaberichte mittlerweile eine recht deutliche Sprache. Deren Autorinnen und Autoren aus aller Welt geben klare Hinweise, wie Extremwetterereignisse als Folge der Klimakrise unsere Lebenswelt bedrohen. Im Sommer 2021 enthielt der erste Teil des 6. Weltklimaberichtes erstmals ein eigenes Kapitel über Wetterextreme. Gleichzeitig werden die Klimamodelle immer besser, sodass regionale Phänomene besser abgeschätzt werden können. Und es gibt verlässliche Berechnungen, die den Anteil des Klimawandels an einem Wetterereignis beschreiben – und zeigen, dass solche Katastrophen wie im Ahrtal keine »Ausreißer« oder Zufall sind.[1]

Dennoch: Die nötige Anpassung an die Wetterextreme der Klimakrise ist in Deutschland kaum ein Thema, weder im Bundestag noch in den Medien, ja selbst bei Fridays for Future nicht. Doch unsere Recherchen zeigen: Wir müssen darüber ins Gespräch kommen und Maßnahmen ergreifen. International betrachtet gibt es längst ganze Staaten, die von Extremwetter bedroht sind – erinnert sei etwa an die verheerenden Brände in Kalifornien oder die Überschwemmungen in Bangladesch. Oder kleinere Länder wie Puerto Rico, Myanmar und Haiti, die im jährlichen Klima-Risiko-Index ganz oben stehen und in einem Jahr gleich mehrere Ereignisse verarbeiten müssen.[2]

Doch auch wir werden nicht verschont. Dieses Buch will darüber aufklären, wie wir in Deutschland Wetterextreme nicht nur überleben, sondern uns vor ihnen schützen und uns rechtzeitig vorbereiten können. Denn dass die Welt, unsere Städte und unser Alltag sich ändern müssen in einer heißeren Welt, ist inzwischen unstrittig. Es dämmert nun Politikerinnen und Bürgern, dass auch Deutschland kein so sicheres Land ist, wie alle immer geglaubt haben. Die Vorstellung, die Republik sei ein sicherer Hafen, an der der Klimawandel vorbeigehe, ist obsolet geworden. Deutschland ist vielleicht beim Katastrophenschutz besser gerüstet als weit entfernte Dörfer in Mittelamerika oder in Bangladesch – aber trotzdem schlecht auf die Naturgewalten vorbereitet, an deren Frequenz man hierzulande nicht gewöhnt ist. Auch das hat uns bei den Recherchen für dieses Buch erstaunt: Wir sind auf die Veränderungen, die mit rasender Geschwindigkeit auf uns zukommen, nicht vorbereitet. Aus Geiz, Unwissenheit und Profitgier treffen wir an vielen Stellen nicht die nötigen Vorbereitungen, um unsere Bevölkerung zu schützen. Das grenzt an Fahrlässigkeit.

Mit diesem Buch wollen wir diese Verfehlungen sichtbar machen, aber wir wollen auch ganz praktisch dazu beitragen, dass Menschen in Deutschland sich auf die Krise vorbereiten können, ja, sie zu überleben lernen. Wir wollen zeigen, wie ein Land aussehen kann, in dem Bürgerinnen und Bürger städtische Hitzenächte überstehen, in denen unsere Ernte in dürren Zeiten sicher eingefahren werden kann und Menschen in Bergdörfern vor Steinschlägen geschützt werden. Denn die Klimaforschung kommt zu eindeutigen Prognosen: Die Ereignisse, die uns schon jetzt zusetzen, werden sich mehren und verstärken. Um zu erfahren, wie gut oder schlecht Deutschland für die Klimakrise gerüstet ist, haben wir monatelang die deutschen Behörden – von der Regierung in Berlin bis in die Stadtverwaltungen – mit Fragen gelöchert und unzählige Menschen vom hohen Norden bis in den tiefen Süden der Republik getroffen, die sich genau darüber bereits den Kopf zerbrechen: Wir sind mit Stadtplanerinnen durch betonlastige Innenstädte gelaufen, um Hitzeinseln zu verstehen, sind mit Biologen und Forstwissenschaftlern durch den bayerischen Forst gestreift, im Harz gewandert und haben abgebrannte Kiefernwälder in Brandenburg besichtigt. Wir sind mit Geografen im Hochgebirge über metertiefe Erdspalten geklettert, standen mit Landschaftsökologen im Wattenmeer und sind mit Geologen in eisige Tunnel an der Zugspitze geklettert. Wir standen mit Weinbäuerinnen an den Hängen der Mosel, sind mit Bodenökologen über Test-Äcker in Sachsen-Anhalt gelaufen und haben mit einem Hüttenwart des Alpenvereins über seine bedrohten Bergunterkünfte gesprochen. Dieses Buch ruht sich nicht darauf aus, die Zukunftsängste und Bedenken zu beschreiben. Wir wollten wissen, was jetzt getan werden müsste. Die Wissenschaftlerinnen, Landwirte und Umweltschützerinnen, die wir trafen, haben alle große Ideen, wie wir Deutschland krisenfest machen können. Die meisten sagten uns auch: Es geht nur mit der Natur und nicht gegen sie. Anpassung heißt nicht Betonbunker zu bauen und uns in Prepper-Manier vor der Katastrophe zu verstecken. Wir müssen unser Verhältnis zur Umwelt neu überdenken und unsere Infrastruktur umbauen. Beides schützt nicht nur uns, sondern hilft in den meisten Fällen auch der Natur, resilienter zu werden. Es ist ein Geben und Nehmen – keine Konfrontation. Und Expertinnen warnen: Wir dürfen keine Zeit verlieren. Wir müssten es jetzt anpacken.

Die Herausforderungen sind tatsächlich riesig. Folgende Klimarisiken könnten das Leben in Deutschland verändern – und damit der Bevölkerung gefährlich werden:

Extreme Hitze bedroht unsere Gesundheit.

Bei Trockenheit und Niedrigwasser mangelt es an Trinkwasser, Landwirte und wasserintensive Industrien wie Chemie- und Kraftwerke müssen den Betrieb einstellen.

Starkregen, Sturzfluten und Hochwasser bringen kritische Infrastrukturen wie Krankenhäuser und Kraftwerke in Gefahr, und auch viele Häuser und Wohnungen sind hochwassergefährdet.

In den Hochgebirgen drohen Hangrutsche und Steinschlag, wenn es eine Häufung von Starkregenereignissen gibt und in hohen Zonen zudem der Permafrost schmilzt.

Durch höhere Meeresspiegel sind Küstenzonen größeren Hochwasser- und Flutrisiken ausgesetzt, Städte und Dörfer können überschwemmt werden.

Wälder könnten durch Wassermangel anfällig für Schädlinge werden und weiter großflächig absterben – und damit ihre Funktionen für Biodiversität, für Tierarten, saubere Luft und

CO

2

-Speicherung verloren gehen. Waldbrände können Siedlungen gefährden und die Luftqualität stark belasten.

Moore könnten weiter ausgasen und zu gefährlichen Brandherden und degradierten Böden werden.

Wie stark diese klimatischen Veränderungen das Leben in Deutschland einschränken werden, hängt davon ab, wie gut wir gegen diese Risiken gewappnet sind. Es gibt eine Fülle an potenziellen Gefahrenquellen durch Extremwetter – aber bisher werden die Risiken nur begrenzt erfasst. So will das Bundesumweltministerium in den nächsten Jahren zwar ein Klima-Schadenskataster aufbauen. Dort sollen langfristige Schäden und Schadenskosten durch den Klimawandel gebündelt werden. Man wolle wissen, wer am meisten unter den Folgen des Klimawandels leidet und was Schäden und Vorsorgemaßnahmen wirklich kosten. Nur so könne man die Bedarfe besser abschätzen. Das verkündete das Ministerium im Sommer 2021 nach der Katastrophe im Ahrtal, als Tausende Menschen ihr Zuhause verloren hatten. Die Politik scheint den Ereignissen hinterherzueilen, statt ihnen voraus zu sein.

Welchen praktischen Nutzen dieses Kataster hat, und ob nach der Erkenntnis auch konkrete Maßnahmen folgen – was ja das Entscheidende wäre –, ist noch offen.

Für Prävention fehlen der Wille und das Geld

Wie viel Geld in den nächsten Jahren wirklich gebraucht wird, um Deutschland fit für die Folgen der Klimakrise zu machen, ist ebenfalls noch nicht beziffert. Klar ist nur, dass die bisherigen Summen im Gegensatz zur Schadensbeseitigung bei bereits stattgefundenen Katastrophen lächerlich gering sind: Die alte Bundesregierung hat einer einzelnen Region – dem Ahrtal – im August 2021 mit ihrem Wiederaufbaupaket 30 Milliarden Euro zugesagt. Bei der Vorsorge ist man nicht so großzügig. Zählt man die reinen Anpassungsprogramme für ganz Deutschland zusammen – ausgehend von den Förderungen des Bundes –, kommt man gerade einmal auf 1,5 Milliarden Euro zusätzliche Mittel pro Jahr.[3]

Die neue Bundesregierung hat den Mangel erkannt, aber auch ihre Pläne wirken angesichts der enormen Aufgabe noch relativ ambitionslos: Das Sofortprogramm von Umweltministerin Steffi Lemke, das sie im Frühjahr 2022 vorstellte,[4] sieht bis 2026 zusätzliche 60 Millionen Euro vor, um Städte und Gemeinden für Extremwetterereignisse zu wappnen. Nach unseren Recherchen ist diese Summe bei Weitem nicht ausreichend – geht es doch um einen umfassenden Umbau von Innenstädten, Küstengebieten und Anbauweisen in der Landwirtschaft. Auch Klimaexperten erklärten uns auf Nachfrage, dass bei 11.000 Kommunen rechnerisch nur eine Summe von 1250 Euro pro Kommune für jeweils vier Jahre bereitgestellt würde – ein Witz angesichts der Herausforderungen. Die Kleckerpolitik geht also auch unter der Ampel weiter.

Dabei hieß es noch im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung, man wolle die Klimaanpassung mit »ausreichend finanziellen Mitteln ausstatten«. Aber auf Anfrage, wie viel Geld in Deutschland eigentlich dafür gebraucht wird, gab es auch hier beim Wirtschafts- und Umweltministerium nur ausweichende Antworten.

Die Verzögerungstaktik übersieht auch einen finanziellen Faktor: je fragiler und anfälliger die Infrastruktur, desto höher auch die Verluste. Fehlende Vorsorge wird richtig teuer. Die Kosten für Klimaschäden in einem »normalen Jahr« ohne Jahrhundertflut wie 2019 beziffern Versicherer bereits auf mehr als das Doppelte – auf rund 2,7 Milliarden Euro.[5] Hinzu kommen steigende Gesundheitskosten bei Hitzewellen oder durch Verletzte bei Extremwetterereignissen. Nicht eingerechnet sind auch wirtschaftliche Verluste, beispielsweise durch das Waldsterben. In einem Katastrophenjahr wie 2021 oder dem Hitzejahr 2018 vervielfachen sich dann die Kosten entsprechend.

Dabei spricht der Weltklimarat seit seiner Gründung von »Mitigation AND Adaption« – also von der Abmilderung der Klimakrise durch reduzierte Emissionen UND der Anpassung an die Folgen der Krise. Der 6. Bericht des internationalen Klimarates IPCC hat die Anpassung als unerlässlich bezeichnet: »Die Gesundheit von Menschen und das Bestehen von Eigentum, kritischer Infrastruktur und Transportsystem sind zunehmend bedroht von Wetterextremen wie Hitzewellen, Stürmen, Dürren und Überschwemmungen.« Lebensbedrohliche Konsequenzen der Klimakrise könnten nur verhindert werden, wenn alle Menschen daran beteiligt werden, sich auf diese Ereignisse vorzubereiten.[6] Schon heute sind bis zu 3,6 Milliarden Personen besonders verwundbar. Sie leben in Regionen, die besonders von den Folgen des Klimawandels betroffen sind – das ist fast die Hälfte der Weltbevölkerung. Und damit sind nicht nur ferne Länder gemeint: »Es gibt keinen Kontinent, der verschont bleibt«, sagt Hans-Otto Pörtner, einer der Leitautoren des Weltklimaberichts und Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut (AWI).

Einige Informanten in Behörden, die nicht namentlich genannt werden wollen, sprechen von einer jahrelangen Vernachlässigung des Themas – gerade beim Katastrophenschutz. »Während die Diskussionen im Bereich des Klimaschutzes immer differenzierter werden, haben sie, was Prävention angeht, zum Bevölkerungsschutz noch nicht einmal begonnen«, sagt Martin Voss, Leiter der Katastrophenforschungsstelle (KFS) an der Freien Universität Berlin.[7] Unsere Gesellschaft sei insgesamt darauf gepolt, Risiken auszublenden und sich zugleich kein Bild davon zu machen, wo die Grenzen der Schutzmöglichkeiten liegen. Voss fällt ein hartes Urteil: »Insgesamt kann in Deutschland von einem präventiv ausgerichteten Bevölkerungsschutz, wie in internationalen Vereinbarungen gefordert, nicht gesprochen werden.« Bevölkerungsschutz müsse zum »Dreh- und Angelpunkt« nachhaltiger Entwicklungen werden. Voss versteht darunter weit mehr als nur bessere Notfallpläne – für ihn gehört auch dazu, die Verbraucherinnen und Verbraucher vor schädlichen Produkten zu schützen, die Raumplanung auf Katastrophen auszurichten oder zu bewerten, was bestimmte staatliche Leistungen für den Schutz des Einzelnen bringen. Ein umfassendes Konzept, das seiner – und unserer – Einschätzung nach fehlt.

Deutschland ist keinesfalls der Musterschüler, der er zu sein vorgibt. Nach einer Liste mit Best-Practice-Beispielen für die Vorsorge vor Extremwetterereignissen des Umweltbundesamtes sind auch Länder dabei, die vielleicht auf den ersten Blick erstaunen. So hat beispielsweise Mexiko bereits seit 2009 einen nationalen Risikoatlas.[8] Deutschland sticht nur beim Thema interaktive Hochwasserkarten heraus – doch wie wir zeigen, nützen die schönsten Karten nichts, wenn trotzdem auf den Flächen gebaut wird.

Außerdem werden wir für technische Regeln für Anlagensicherheit gelobt, die aber nicht einmal verbindlich sind. Für das Buch haben wir uns durch sperrige Dokumente gearbeitet, immer auf der Suche nach verbindlichen Vorschriften für Chemiefabriken, für Zwischenlager von Atommüll, für Kraftwerksbetreiber und Krankenhäuser – um dann festzustellen: Die Pläne sind vorhanden, die Expertise ist vorhanden, aber auf sie folgt nur sehr wenig Einsatz.

Auch bei wichtigen Themen wie Frühwarnsystemen sind andere Länder bereits viel weiter.[9] Deutschland hat noch viel nachzuholen, bestätigen uns Expertinnen und Experten – etwa bei der Warnung vor Sturzflutereignissen. Das wird nach der tödlichen Überschwemmung im Ahrtal auch niemand mehr abstreiten. Doch muss immer erst eine Katastrophe passieren, damit wir uns solche unbequemen Wahrheiten eingestehen?

Was fehlt, ist nicht nur Verbindlichkeit, sondern auch Koordination und Verantwortung. Anpassung funktioniert bisher nach dem Motto »alles kann, wenig muss«. Deutschland hat zwar bereits seit 2008 eine nationale Anpassungsstrategie – abgekürzt DAS –, allerdings existiert erst seit Juni 2021 ein Zentrum für Klimaanpassung, das Gemeinden und Kommunen berät. Wer sein Dorf oder seine Stadt an die Klimafolgen anpassen will, kann dafür Geld vom Bund oder den Ländern bekommen und an wirklich spannenden Programmen teilnehmen – aber muss sich häufig durch mehrstufige Bewerbungen quälen. Bei dem zentralen Förderprogramm DAS gingen 2020 189 Anträge ein – bei insgesamt rund 11.000 Gemeinden in Deutschland. Alles in allem wurden in den Jahren 2020 und 2021 gerade einmal 40 Anträge positiv beschieden. Das bedeutet: Weniger als ein halbes Prozent der Kommunen wurde darin gefördert, sich auf Hitzewellen und Hochwasser vorzubereiten.[10]

Andere Programme sind enorm kleinteilig: So können sich soziale Einrichtungen um die Förderung eines »Sonnensegels« oder Wasserspenders bewerben. Im ersten Antragsjahr gingen 600 Anträge dafür ein – angeblich eine »unerwartet hohe Nachfrage«, wie es vom Bundesumweltministerium heißt. In Wahrheit ist auch diese Zahl angesichts des eigentlichen Bedarfs vollkommen ernüchternd: Denn allein die Freie Wohlfahrtspflege zählt über 100.000 Einrichtungen in ganz Deutschland.[11]

Bereits seit 13 Jahren gibt es die »Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel«. Damit soll die »Verletzlichkeit der deutschen Gesellschaft« verringert und die Anpassungsfähigkeit erhalten oder »sogar gesteigert« werden. Doch was konkret dabei herauskommt, ist eher etwas für Fachleute als für Praktiker. Und dort, wo Klimaanpassung stattfinden muss, in den Städten, ist kaum Geld da. Ein langjähriger Experte, der schon Dutzende Kommunen beraten hat, erzählt uns von den hoffnungslos niedrigen Budgets, die Städte für diese Zukunftsaufgabe bereithalten: Viele sehen dafür ein paar Tausend Euro vor – »während sie für Hunderttausende jedes Loch im Asphalt füllen«. Mit ein paar Tausend Euro aber, so der Experte, der anonym bleiben will, ließe sich gerade einmal eine Broschüre drucken – selbst zum Verteilen außerhalb des Rathauses aber reiche das Budget oft nicht. Und so passiert in vielen Kommunen bislang einfach nichts.

Wir sind verwundbar

Was es bedeutet, den Naturgewalten ungeschützt ausgeliefert zu sein, erzählten uns Betroffene im Ahrtal. Ihre Geschichten warnen eindringlich davor, Bedenken wegzuwischen und sich darauf zu verlassen, dass es schon nicht so schlimm wird. Deshalb sollte man den Menschen aufmerksam zuhören, die bereits Opfer solcher Naturkatastrophen geworden sind. Ihre Geschichten zeigen, dass es nicht nur um Leben und Tod, sondern auch um traumatische Erlebnisse und den Verlust von privatem Besitz und Erinnerungen geht. Bei solch einem Ereignis gibt es für die Betroffenen nur ein Leben vorher und ein Leben nachher.

Im August 2021 treffen wir Frau Stahl auf der Terrasse ihres zerstörten Hauses in Ahrweiler. Sie hat Tränen in den Augen und erzählt von der Nacht, als das Wasser kam. Es sind Szenen, die ihr Leben für immer veränderten. Wenige Stunden, die ihre Existenz zerstörten.

Erst floss nur wenig Wasser langsam die Straße vor ihrem Haus hinunter, es regnete in Strömen, die Wolken hingen tief im Tal. »Niemand rechnete mit einem Hochwasser.« Dann riet die Nachbarin ihr, das Auto wegzufahren. Doch selbst da glaubte noch niemand an eine Katastrophe. Wie jeden Abend saß ihr lungenkranker Mann im Garten, die Hühner hatten sich in ihren Stall zurückgezogen, der Hund hielt ein Nickerchen. Alles wie immer. Doch dann folgte der Albtraum: Frau Stahl fuhr das Auto auf eine Anhöhe. Ihr Mann blieb allein zurück, als plötzlich das Wasser stieg. Es gluckste und zischte, erst trieben Möbel vorbei, dann Autos, der Strom fiel aus, Lastwagen verfingen sich in Bäumen, Menschen riefen in der Dunkelheit um Hilfe, Leichen trieben vorüber.

Erst am nächsten Morgen konnte sie ihren Mann aus dem überschwemmten Haus retten, er hatte sich in das obere Stockwerk begeben. Noch heute sei er traumatisiert, erzählt Stahl, weil er sich so schrecklich hilflos gefühlt habe. Das Telefon funktionierte nicht, und bis Stahl ihren Mann schließlich aufsuchen konnte, bangte sie jede Minute mehr um sein Leben.

Der 61-Jährigen sitzt der Schreck immer noch in den Knochen, doch sie will ihre Geschichte erzählen. Viele Betroffene im Ahrtal wollen bei unserem Besuch im Krisengebiet mit uns reden – alles ist besser, als nach ein paar Monaten wieder vergessen zu werden. Als wir Frau Stahl besuchen, stecken wir mitten in unserer Recherche für dieses Buch. Die Realität hatte uns dabei überholt. Das Hochwasser im Juli 2021 produzierte apokalyptische Bilder mitten im Wahlkampf für die neue Bundesregierung. Ihre Botschaft war eindeutig: Wir sind verwundbar. All unsere SUVs, Klimaanlagen, iPhones und Wetter-Apps können uns nicht schützen, wenn das Wetter verrücktspielt. Und das Wetter spielt immer häufiger verrückt in der Klimakrise.

Die Katastrophen sind bekannt – die Prävention nicht

Wenn man sich die Chronik der Katastrophen der vergangenen Jahre anschaut, wird klar, wie tiefgreifend wir uns vorbereiten müssen. Den ersten Moment, der uns eigentlich hätte wachrütteln müssen, gab es 2018. Eine nie da gewesene Hitzewelle mit anschließender Dürre trocknete die deutschen Äcker, Wiesen und Wälder aus. Laut Schätzungen gab es mindestens 20.000 Hitzetote unter älteren Menschen[12], Milliardenhilfen gingen an Landwirtinnen und Landwirte, die ihre Ernten verloren, Kartoffeln wurden knapp, und Senioren flüchteten in klimatisierte Einkaufszentren. Dann entstand die Bewegung Fridays for Future, und ein paar Monate später erklärte der damalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, recht ahnungslos: »Aus irgendeinem Grund ist das Klimathema – ich glaube auch sehr mit Greta verbunden – zu einem weltweiten Thema geworden.« Und das »Klimathema« ging zu seinem Unmut auch nicht mehr vorüber. Zum Auftakt des Bundestagswahlkampfes im Sommer 2021 versuchte die Union, das Thema durch Attacken auf die Grünen und eine vermeintliche Plagiatsaffäre wieder von der Agenda zu bekommen. Doch vergeblich. Wieder »drängelte« sich das Thema durch eine weitere Katastrophe ins Bild.

Kaum jemandem muss man in Deutschland heute noch erklären, dass die Klimakrise real ist, und auch nicht, dass wir sie spüren werden. Aber wie schlecht die Deutschen auf diese Veränderungen vorbereitet sind, dämmerte vielen erst seit dem verheerenden Hochwasser.

Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer erklärte dazu passenderweise: »No place is ›safe‹ anymore« – kein Ort ist mehr sicher. Ähnlich äußerte sich Wochen vorher der Gouverneur von Washington: »Was wir die vergangenen Tage gesehen haben, war die offizielle Eröffnung der Klimakatastrophe«, sagte Jay Inslee dem US-amerikanischen TV-Sender CNN. Er reagierte damit auf die verheerende Hitzewelle, die in den vergangenen Tagen den von ihm regierten Bundesstaat Washington traf. In seiner Stadt Seattle wurden Rekordtemperaturen von 41 Grad gemessen. »Wir haben lange vor den Folgen des Klimawandels gewarnt«, erklärt Inslee. »Nun ist er da, und es wird jeden treffen«, so der Gouverneur. So häufen sich inzwischen die Katastrophenmeldungen aus allen Ecken der Erde. Im Frühjahr 2022 ereilte es dann Indien und Pakistan mit einer Hitzewelle von unmenschlichen Temperaturen von teils über 45 Grad. Ein Test für die menschliche Überlebensfähigkeit, titelten die Zeitungen.

Vielleicht hätte man die Hitzewelle in Deutschland ebenso wenig wie das Hochwasser verhindern können. Doch die Folgen dieser Wetterextreme hätten milder verlaufen, Menschenleben gerettet werden können. Daraus folgt: Resilienz und Prävention können das Überleben sichern. Akteure der Bundes- und Lokalpolitik müssen damit anfangen, über die nächste Wahl hinauszudenken. Wer das Gemeinwohl im Auge hat, muss vorsorgen. In Erftstadt, Schuld und Ahrweiler war die Hochwassergefahr lange bekannt – man wusste nur nicht genau, wann das Wasser kommt. Und als der Starkregen einmal bevorstand, ignorierten die Verantwortlichen die Warnungen. Über diese politische Verantwortungslosigkeit am Rhein haben sogar internationale Medien berichtet. »Schon neun Tage vorher wurden die Signale einer drohenden Katastrophe von einem Satelliten 500 Meilen hoch im Weltall erfasst«, schreibt die britische Times.[13] Aber es passierte – nichts. Niemand wurde evakuiert, keine Sandsäcke oder mobilen Wassersperren vorher eingesetzt. Dabei herrscht kein Mangel an wissenschaftlicher Expertise, um die Maßnahmen bedarfsgerecht einzuleiten: Wir wissen schon jetzt, in welchen Gebieten sich Starkregen zu Hochwasser auftürmen kann, wir wissen schon jetzt, welche Straßenzüge in Hamburg, Nürnberg oder Magdeburg sich besonders aufheizen werden.

Aber diese Erkenntnisse werden bislang, so ergeben es unsere Recherchen, weitestgehend ignoriert. Eine Standardreaktion auf unsere Anfragen bezüglich der Klimakatastrophen: Das seien »ungünstige meteorologische Bedingungen«, die da zusammenkommen. Dem widerspricht die Wissenschaft nicht einmal: Mit steigenden Temperaturen werden auch kombinierte Extremwetter möglich: Es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Hitzewellen und Dürren oder Starkregen und Stürme gleichzeitig auftreten. »Je wärmer es weltweit wird, desto mehr werden wir nie erlebte und bisher nie erreichte Extremereignisse sehen«, warnte die Klimaforscherin Friederike Otto bei der Veröffentlichung des Weltklimaberichtes im vergangenen Jahr. Doch wollen wir wirklich unvorbereitet sein, wenn diese zusammentreffenden »ungünstigen Bedingungen« zur neuen Normalität geworden sind?

Niemand fühlt sich verantwortlich

Doch damit wirklich etwas passieren kann, muss zunächst jemand Verantwortung übernehmen – und genau das fehlt derzeit noch in der Klimapolitik. »In der deutschen Anpassungspolitik herrscht zu viel Kleinstaatlichkeit«, sagt Fred Hattermann, Hydrologe am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Einen deutschlandweiten Masterplan, wie sich Kommunen vor Extremwetterereignissen schützen können, die durch den Klimawandel immer häufiger werden, gibt es nicht. Die Datenexpertinnen von »Frag den Staat« haben uns geholfen, alle größeren Gemeinden und Städte in Deutschland nach ihren Anpassungsplänen zu fragen. »Frag den Staat« ist ein Projekt des Vereins Open Knowledge Foundation und kämpft für transparente Behörden. Das Ergebnis: Von den rund 400 angefragten Städten und Gemeinden[14], von Alzey-Worms bis Wittenberg, haben rund die Hälfte geantwortet. Von diesen haben nur die allerwenigsten konkrete Projekte geplant, wie etwa Flächen zu entsiegeln, um Hitze abzumildern, oder Rückhaltebecken für Starkregen zu schaffen. Nur 40 von 400 verfügen über ein Konzept zur Anpassung. Eine erschreckend niedrige Zahl.

Das klingt angesichts der gigantischen Aufgabe, ganz Deutschland krisensicher zu machen, eher nach einer verzagten Vorbereitung. »Der Klimawandel holt uns gerade immer mehr ein, aber unsere Infrastruktur ist nicht mehr an die neuen Bedingungen angepasst«, kritisiert auch Hydrologe Hattermann. Es sei einfach zu viel auf einmal.

Wir haben uns auch gefragt, woran es liegt, dass so wenig über eine lebensrettende Anpassung an die Klimakrise gesprochen wird. Bei unserem letzten Buch, Die Klimaschmutzlobby, ging es um Klimawandelleugner, Rechtspopulistinnen und politische Bremser, die über Jahrzehnte Klimaschutz verhindert haben. Aus ideologischen oder rein finanziellen Gründen ergibt es für diese drei Gruppen Sinn, die Folgen der Klimakrise kleinzureden – und insofern auch die Anpassung gar nicht erst anzusprechen. Bei den klimabewegten Menschen und Politikerinnen hingegen gibt es eine tiefer liegende Ursache dafür: Sie trieb jahrelang vor allem die Sorge um, dass sich die Menschen weniger um Klimaschutz kümmern würden, sollten sie glauben, sich einfach anpassen zu können.

Diese Sorge bestand bis in Kreise hinein, die von der Dramatik der Klimakrise zutiefst überzeugt waren. Das bezeugt David Wortmann, der einst wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundestag war. Er hat zwischen 2001 und 2005 sowohl mit Hermann Scheer als auch Hans-Josef Fell gearbeitet – also bei den Koryphäen der Energiewende: Scheer galt als Grüner unter den Sozialdemokraten, Fell galt selbst innerhalb der Grünen Partei, bei der er Mitglied ist, als Radikaler. Trotzdem hatten beide Angst, dass das Thema Anpassung zu groß werden könnte – und ihre historisch bedeutsame Aufgabe in Gefahr bringen würde: Sie kämpften für das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das schließlich die Wind- und Solarenergie von damals vier Prozent auf das Zehnfache trieb und weltweit Vorbild werden sollte. Aber diese Wegbereiter der Energiewende hatten in ihren eigenen Reihen große Widersacher: Den inzwischen verstorbenen Sozialdemokraten Wolfgang Clement etwa, der erst als Ministerpräsident vom Bergbauland Nordrhein-Westfalen und schließlich als Wirtschaftsminister stets die Kohleindustrie schützen wollte. Damals ging es natürlich auch um Klimaschutz, erinnert sich Wortmann. Aber entscheidender seien Argumente gewesen, unabhängig von fossilen Energien aus dem Ausland zu sein, es ging um Krieg und Frieden. Ein Argument, das mit dem Ukrainekrieg wieder viel Gehör fand – in den Jahrzehnten zuvor aber kaum berücksichtigt wurde. Auch deshalb haben die meisten Menschen in Deutschland erst mit der russischen Invasion begreifen können, dass sie täglich russisches Gas zum Heizen ihrer Wohnung nutzen. Dieselbe Diskussion gab es aber schon in den 2000er-Jahren – damals ging es mehr um die Abhängigkeit von ausländischem Benzin. »Deutschland sollte nicht mitmischen in Krisenregionen, das war das Ziel«, erinnert sich Wortmann. Damals flimmerten täglich brutale Bilder aus dem Erdölland Irak auf den Fernsehern der heimischen Wohnzimmer. »Wir wollten damals nicht, dass dieser verharmlosende Diskurs entsteht – dann bauen wir halt ein paar Deiche für ein paar Milliarden, statt unser Wirtschaftssystem umzustellen.« Es sei richtig gewesen, diese Diskussion damals nicht zu führen, sagt Wortmann – und genauso wichtig ist es heute, sie endlich zu starten.

Denn vor 20 Jahren glaubten viele Expertinnen und Experten (berechtigterweise) noch daran, dass man weltweit die Klimakrise eindämmen könne. Doch weil so wenig im Klimaschutz geschah, wird sich die Erde schon in den nächsten zehn Jahren sehr wahrscheinlich um mindestens 1,5 Grad aufheizen, bis zur Mitte des Jahrhunderts sogar um weit mehr. Das hat der Weltklimabericht nun amtlich gemacht. Wer über Anpassung spricht, ignoriert also keineswegs die Dringlichkeit, Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren. Im Gegenteil. Nach unseren jahrelangen Recherchen können wir sagen: Es ist bereits enorm aufwendig, sich auf minimale Temperaturunterschiede von nur einigen Zehntelgrad vorzubereiten. Klimaschutz, also der Versuch, eine weitere Erhitzung einzudämmen, erscheint uns nach dem Schreiben dieses Buches tatsächlich dringlicher denn je. Aber die konkreten Folgen zu ermessen, bedeutet auch, dem Drama ins Auge zu sehen. Nur ein Leugner der Klimakrise würde abstreiten, dass wir uns selbst bei vergleichsweise geringen Veränderungen anpassen müssen.

Klimaschutz und Klimaanpassung sind also keine Antagonisten, sondern sie befruchten sich gegenseitig. Wer sich damit beschäftigt, wie wir die Klimakrise überleben können, wird auch für sinkende Emissionen kämpfen. Denn um zukünftige Hitzewellen in betonierten Städten aushalten zu können, um Chemiefabriken und Häuser vor Überschwemmungen schützen zu können, bedarf es einer gewaltigen Anstrengung. Welcher genau, das haben wir in diesem Buch recherchiert.

Neue Energie für die Anpassung

Noch aus einem weiteren Grund ist es wichtig, dass Medien, Politikerinnen, Klimabewegung, schlicht wir alle uns um die Anpassung kümmern. Denn sie kann eine Verhaltensstarre beenden, in die viele durch alarmierende Prognosen verfallen. »Mehr als die Hälfte aller Menschen weltweit ist schon von der Klimakrise betroffen und sieht sie als große Gefahr an«, sagt Wolfgang Blau.[15] Der Publizist war in verschiedenen großen Medienkonzernen wie der ZEIT, dem Guardian oder Condé Nast in der Chefredaktion und arbeitet nun am Reuters Institute for the Study of Journalism daran, weltweit Journalistinnen und Journalisten für eine sinnvolle Klimaberichterstattung zu schulen. Er stellt die These auf: Wir müssen die Menschen nicht mehr davon überzeugen, wie schlimm die Klimakrise wird – denn das ist den meisten Menschen heute klar. Stattdessen muss alle Energie direkt in den Klimaschutz und die Klimaanpassung fließen.

Denn ein umfassendes Konzept, einen Masterplan und vor allem den Willen, wirksame Maßnahmen auch umzusetzen und zu fördern, haben wir nicht finden können. Aber sehr viele Ausreden von Behörden, dass schon genug getan wird, und sehr viele Expertinnen und Experten, die Deutschland im Hintertreffen sehen. Sie bestätigen uns in dem, was wir in unserer Recherche gefunden haben: Anpassung ist kein sperriges Thema, was man irgendwie nebenbei erledigen kann. Es ist kleinteilig – vom Sonnensegel über die Fäkalien-Hebeanlage bis zum Auwald und der Salzwiese am Meer. Aber es muss gleichzeitig groß gedacht werden. Es geht um Maßnahmen, die Leben retten können, und es geht darum, wieder auf die Natur zuzugehen und sich nicht von ihr abzuschotten. Es geht um einen Schutz, der unseren Alltag in den meisten Fällen nicht nur sicherer, sondern auch schöner und gesünder machen kann. Wir können uns also auf die Anpassung freuen. Wir müssen sie nur wollen.

1 Leben in der Risikogesellschaft

Wie gut sind wir geschützt?

Wenn der Strom ausfällt, dann steht für einen Moment alles still: Die Lichter gehen aus, das Internet funktioniert nicht, die Handybatterie steht nur noch bei 20 Prozent, Kochen kann man auch nicht mehr, und im Kühlschrank wärmen die Lebensmittel auf und verströmen einen unangenehmen Geruch. Solche Blackouts sind schon unter normalen Umständen wirklich lästig. Doch sie können auch lebensbedrohliche Folgen haben.

Zum Beispiel, wenn der Strom in einem Krankenhaus fehlt – dort, wo lebensrettende Maschinen laufen müssen und sich die schwächsten Personen der Gesellschaft aufhalten. Als die Hochwasserkatastrophe im Juli 2020 das Ahrtal ergriff, musste das Krankenhaus Mariahilf evakuiert werden, auch aus einem Leverkusener und einem Eschweiler Klinikum mussten Patientinnen und Patienten verlegt werden – auch weil »insgesamt die eigentlich mehrfach abgesicherte Stromversorgung instabil« war.[16] Noch über viele Wochen mussten Menschen vorzeitig entlassen werden oder sich zu enge Zimmer teilen, ihre medizinische Versorgung war akut gefährdet.

Obwohl sie für das Funktionieren der gesamten Gesellschaft Sorge tragen, ist die Verwundbarkeit großer Infrastrukturen wie von Krankenhäusern in Deutschland bislang kaum ein Thema. Zu den existenziellen Einrichtungen gehören auch Kraftwerke und industrielle Anlagen. Sie alle sind in der Klimakrise und den damit verbundenen Überschwemmungen und Hitzeperioden hohen Risiken ausgesetzt. Werden sie beschädigt, kann uns das innerhalb weniger Minuten von lebenswichtigen Dienstleistungen abschneiden. Gleichzeitig kann ihr Kollaps zu einem Umweltdesaster führen, indem beispielsweise Flüsse und Böden kontaminiert werden, wenn Chemieparks überschwemmt oder Atommüllfässer unter Wasser stehen.

Deutsche Behörden und Ministerien haben nach eigener Aussage sogenannte Risikovorsorgepläne erarbeitet. Bereits heute würden die Herausforderungen des Klimawandels etwa bei der »Sicherung der Stromversorgung« eine Rolle spielen. Und künftig wolle man »Vorsorgemaßnahmen identifizieren und einführen, um Schäden abzuwehren oder zu mildern«, heißt es.[17] Auch auf EU-Ebene gibt es mittlerweile eine »Resilienzrichtlinie für kritische Einrichtungen«. Demnach müssen die 27 EU-Mitgliedstaaten der Kommission eine Liste ihrer essenziellen Infrastruktureinrichtungen übermitteln.[18] Die Richtlinie soll außerdem »sicherstellen«, dass die entsprechenden Einrichtungen »Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel« ergreifen.[19] Doch wie dies in nationales Recht umgesetzt wird – und ob überhaupt etwas daraus folgt –, ist noch völlig unklar.

Unsere Recherchen haben uns folgenden Eindruck vermittelt: Pläne gibt es viele, konkrete Schutzvorkehrungen für Klimagefahren wenige. Wieso gibt es keinen dezidierten Notfallplan, für den Fall, dass Deutschland eine wochenlange Hitzewelle über 40 Grad erlebt? Wo stehen konkrete Maßnahmen, mit denen Engpässe überstanden und behoben werden sollen? Und warum fehlen Notstromgeneratoren für lebenswichtige Dienstleistungen wie Altenheime und Krankenhäuser?

Der Hydrologe Fred Hattermann vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung zeichnete nach der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal (mehr dazu in Kapitel 2) ein recht düsteres Bild. Besonders die sogenannte kritische Infrastruktur wie Kraftwerke, Krankenhäuser oder Brücken seien durch vermehrte Extremereignisse wie Starkregen, Stürme und Hochwasser gefährdet. »Und damit steigt auch das Risiko für die Menschen«, erklärte uns Hattermann.

Kritische Infrastruktur – auf sie kommt es an

Genau um solch lebenswichtige Institutionen wie Kraftwerke und Krankenhäuser soll es in diesem Kapitel gehen. Denn die kritische Infrastruktur muss aufrechterhalten werden, wenn Starkregen oder Hitzewellen drohen – aber ist das in Deutschland realistisch? Unsere Recherchen machen deutlich: Die Klimakrise wird an unseren Grundfesten rütteln. Sie wird uns an der Sicherheit zweifeln lassen, dass wir jederzeit Strom und trinkbares Wasser verfügbar haben, wenn wir nur wollen. Daran, dass Krankenhäuser uns aufnehmen, ihre Beatmungsgeräte funktionieren. Daran, dass Atommüll sicher gelagert ist und Öltanks vor Überschwemmungen geschützt sind. Extremereignisse können alle technologischen Errungenschaften zunichtemachen – ob das geschieht, hängt davon ab, wie gut sie geschützt sind.

Denn was bei der Diskussion um den Schutz von Eigenheimen bei Extremwetterereignissen häufig untergeht: Der Schutz der kritischen Infrastruktur ist existenziell – also das, was alltäglich, aber lebensnotwendig ist: Wasser, Strom, Lebensmittel, der öffentliche Nahverkehr, die medizinische Versorgung. All das gehört laut dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zur Grundversorgung der Bevölkerung.[20] Das BBK hat vor wenigen Jahren ein Konzept mit dem sperrigen Namen »Kritische Infrastruktur, Bevölkerung und Bevölkerungsschutz im Kontext klimawandelbeeinflusster Extremwetterereignisse« (KIBEX) verfasst – und dies umfasst zusätzlich zu der oben genannten Infrastruktur auch noch Dienstleistungseinrichtungen, in denen verwundbare Menschen betreut werden. Das BBK zählt dazu etwa auch Kindergärten, Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime bzw. Einrichtungen, in denen Menschen mit Behinderung leben und arbeiten.[21] Sie alle werden mit vermehrten Hitzeperioden und Starkregen klarkommen müssen: In einer Beispielrechnung kommt das BBK zu dem Schluss, dass sich ab 1999 die durchschnittliche jährliche Anzahl der Hitzewellentage im Vergleich zu vier Jahrzehnten zuvor auf fast 18 Hitzewellentage verdreifacht habe. Auch die Tage mit Starkregen hätten sich von durchschnittlich sechs auf acht erhöht.

»Seit einigen Jahren ist der Klimawandel auch bei der Vorsorge der Kritischen Infrastruktur angekommen«, sagt Florian Neisser, Wissenschaftler für Öffentliche Technologie und Innovationsplanung am Fraunhofer-Institut in Euskirchen. Der Geograf beschäftigt sich seit Jahren mit dem Schutz von kritischer Infrastruktur – und wird künftig auch beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe arbeiten. Er sagt: »Wir weisen in Handreichungen eindringlich auf die höheren Gefahren von Extremwetterereignissen hin – aber praktisch sind uns die Hände gebunden: Die Behörden können in der Regel nur Empfehlungen geben, keine verbindlichen Anweisungen.«[22]

Er plädiert dafür, dass Firmen, Krankenhäuser und Kraftwerke nicht mehr nur alle paar Jahre ihre Risikoanalysen aufstellen, sondern sehr viel häufiger durchführen. »Mit dem Klimawandel verändern sich die Bedingungen schnell, die Prognosen sind noch unsicher. Da müssten wir häufiger aktualisieren.« Aus Neisser sprudeln die Vorschläge für einen besseren Schutz zum Überleben in Extremsituationen nur so heraus – er hat schon in verschiedenen Projekten mit Städten, Infrastrukturbetreibern und Wissenschaftlerinnen mitgearbeitet, bei denen ihm einige Schwächen in der Vorsorge klar wurden. Er empfiehlt unter anderem Pflichtversicherungen für Elementarschäden in der öffentlichen Infrastruktur, die Akteure in den Kommunen könnten sich besser absprechen, die Gesetze könnten verbindlicher sein. »Die Absprachen mit so vielen Protagonisten im Schutz der Kritischen Infrastruktur sind häufig langwierig. Aber wir müssen uns ihnen stellen.«

Veraltete Abschätzungen des Risikos

Für Risikoabschätzungen aller kritischen Infrastrukturen ist das Bundesinnenministerium zuständig. Auch dort gibt es einen Berg Papier zu diesen heiklen Fragen. Allerdings sind die Analysten und Pläne weder aktuell noch ausreichend: Das Ministerium hat bereits vor mehr als zehn Jahren eine Strategie zu Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) vorgelegt. Deren Aktualität dürfte entsprechend fragwürdig sein. Im gesamten Text kommt nur ein einziges Mal das Wort »Klimawandel« vor. Seit 2009 erschienen der fünfte und sechste Sachstandsbericht des Weltklimarates sowie mehrere Sonderberichte zum Stand der Klimawissenschaft – in allen Berichten wurden die Prognosen für künftige Extremereignisse verschärft. Das zuständige Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat noch einmal mehrere Studien einzelner Sektoren vorgelegt – allerdings spielt der Klimawandel hier kaum eine Rolle.[23]

Die Europäische Kommission ist da schon weiter – zumindest auf dem Papier. Sie verhandelt seit 2020 einen Entwurf zur »Richtlinie über die Resilienz kritischer Einrichtungen« (CER)[24], der wiederholt auf die »Anpassung an den Klimawandel« drängt, der zu einem »erhöhten physischen Risiko« für Bürgerinnen und Bürger sowie die Infrastruktur führe. Die EU ist vor allem in einem Punkt weiter als Deutschland: Sie stuft wesentlich mehr Bereiche als besonders schützenswert ein, also etwa auch Verkehr, Banken, Finanzmarktinfrastrukturen, Ernährung, Trinkwasser und Abwasser. Aber bislang ist das Papier eben nur ein Entwurf – und so wird in Deutschland beispielsweise die Ernährung, sprich die Landwirtschaft, nicht im Besonderen vorbereitet.

Dabei heißt es in der Strategie des Ministeriums recht eindeutig: »Kritische Dienstleistungen sind für die Bevölkerung wichtige, teils lebenswichtige Güter und Dienstleistungen. Bei einer Beeinträchtigung dieser kritischen Dienstleistungen würden erhebliche Versorgungsengpässe, Störungen der öffentlichen Sicherheit oder vergleichbare dramatische Folgen eintreten«.

Dass es bei den Folgen des Klimawandels zu diesen »dramatischen Folgen« kommen kann, darüber waren sich die Autorinnen und Autoren der Studien scheinbar nicht bewusst. Im Teilbericht über die Kraftwerke kommt das Wort »Klimawandel« nicht einmal vor, auch »Dürre«, »Starkregen« oder »Niederschläge« sucht man vergebens.[25] Wir werden im Folgenden sehen, dass es aber selbst am lebensrettenden Schutz von besonders vulnerablen Einrichtungen mangelt. Etwa in den Krankenhäusern.

Krankenhäuser – wenn ein Stromausfall Leben kostet

Wohl kaum eine Einrichtung muss bei einer Klimakatastrophe so geschützt werden wie die deutschen Krankenhäuser: Sie beherbergen grundsätzlich geschwächte Personen, etwa alte Patienten in der Geriatrie, junge Mütter und Babys auf der Geburtenstation, Menschen mit Herzinfarkten, Schlaganfällen und Krebs auf der Intensivstation. Zudem müssen viele lebensrettende Geräte, etwa Beatmungsmaschinen oder Dialyseapparate, ununterbrochen laufen, ein Stromausfall, selbst von wenigen Minuten, kann tödlich enden. »Krankenhäuser müssen immer einsatzbereit sein«, sagt Ärztin Iris Juditzki.

Juditzki ist Referentin im »Dezernat Personalwesen und Krankenhausorganisation« der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Der Verband hat keine eigenen Vorgaben oder Empfehlungen für den Katastrophenfall entwickelt – auch in diesem sensiblen Bereich, so zeigt sich, gibt es keine verbindlichen, bundesweiten Pläne zu einer Anpassung an Überschwemmungen oder Hitzewellen. Über die Normen für die Infrastruktur der Krankenhäuser entscheiden die 16 Landesregierungen. »Sie haben aber bislang keine einheitlichen Katastrophenschutzpläne geschaffen«, sagt Juditzki. Im Gegenteil – frühere Vorsorgemaßnahmen seien sogar wieder zurückgefahren worden. So besaßen viele Kliniken zu Zeiten des Kalten Krieges Vorratslager mit Schutzausrüstungen, Medikamenten und Wasservorräten. Diese Vorratshaltung sei Anfang der 1990er-Jahre abgeschafft worden, schließlich kosteten die Lagerung und der regelmäßige Ersatz entsprechend dem Verfallsdatum der verschiedenen Produkte jährlich viel Geld. Im selben Zuge wurden auch Masken und Schutzausrüstungen nicht mehr über die übliche Menge hinaus vorgehalten, eine Sparmaßnahme, die sich zu Epidemiezeiten als Fehler und für das Pflegepersonal sowie Ärztinnen und Ärzte als potenziell lebensgefährlich erwiesen hat.

Einen Alarmplan für Sturmschäden, Stromausfall und Hochwasser sollten zwar theoretisch alle Häuser bereithalten. Aber auch hier gibt es häufig unzählige Standards, denn was genau diese Pläne vorsehen, bleibt dem jeweiligen Krankenhaus überlassen. Expertin Juditzki sagt, diese Pläne seien umfangreich und würden nur selten geändert. Auf häufigere Extremwetterereignisse konnten sich folgerichtig die meisten Krankenhäuser noch nicht einstellen.

Dabei kann es im Ernstfall schnell an Essen, Strom und Wasser fehlen. »Wir müssten dringend Arzneimittel, Lebensmittel, Trinkwasser, Schutzkleidung und stärkere Notstromaggregate anschaffen. Bislang sehen die Krankenhausbauverordnungen meist nur vor, dass diese Aggregate vierundzwanzig Stunden halten müssen«, sagt Juditzki. Diese meist dieselbetriebenen Apparate können Strom produzieren, ohne auf Stromlieferungen von außen angewiesen zu sein. »Um Baumaßnahmen zu tätigen oder auch größere Vorräte anzulegen, müssen die Krankenhäuser bei den Ländern diese Investitionen beantragen – aber natürlich werden nicht Dutzende Projekte auf einmal bewilligt.« Oftmals liege es dann näher, in ein akut benötigtes Röntgengerät oder neue Betten zu investieren als in die Vorsorge für potenzielle Ereignisse in der Zukunft.

So bleiben Stromausfälle eine große Bedrohung für die Krankenhäuser: Häufig wurden die gesamte Elektronik und auch die Notstromversorgung in den Keller verfrachtet – dorthin also, wo bei Starkregen eine Überschwemmung droht. Erst die Neubauten sind laut Juditzki so geplant, dass diese sensiblen Apparate in oberen Etagen stehen.

Wie elementar es ist, die Notstromaggregate vor Hochwasser in Sicherheit zu bringen, zeigt das Nuklearunglück im japanischen Fukushima. Dieses geriet auch deshalb außer Kontrolle, weil der 15 Meter hohe Tsunami die Schutzmauer des Kraftwerks überflutete und die Reaktorgebäude, Schaltzentralen und 12 der 13 im Keller stehenden Notstrom-Dieselgeneratoren überschwemmte. Als Folge brach schließlich die Stromversorgung der Reaktoren und des Kühlkreislaufs zusammen, die gesamte Elektronik der Kontrollräume fiel aus. Die Kraftwerksangestellten hatten damit keinen Einblick und keine Kontrolle mehr darüber, was in ihren Reaktoren geschah, schreibt das Magazin Scinexx.[26]

Ob die Notstromaggregate bei uns dann im Falle eines Falles überhaupt funktionieren würden, bleibt bis heute Spekulation. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) schreibt nüchtern: »Es muss berücksichtigt werden, dass einige Einrichtungen bzw. Organisationen wie beispielsweise Krankenhäuser zwar über eine Notstromversorgung verfügen, diese jedoch gegebenenfalls nicht funktioniert.«[27] Der Grund: Die Maschinen würden zwar regelmäßig getestet, aber »aus Sicherheitsgründen« würde das Krankenhaus nicht ausschließlich an die Notaggregate angeschlossen, sondern die Geräte bleiben parallel mit dem regulären Stromnetz verbunden. Die Notfallübung testet also gar nicht unter realen Bedingungen – wenn das Krankenhaus allein auf diese Maschinen angewiesen ist, könnten sie also versagen. Noch einen zweiten Punkt gibt das BBK zu bedenken: Die Notstromaggregate werden zeitgleich zur Eröffnung der Kliniken angeschafft. Sie passen heute häufig nicht mehr zu dem tatsächlichen Bedarf, der sich durch immer zahlreichere elektronische Geräte stark erhöht habe.

Auch auf Hitzewellen sind die Kliniken kaum vorbereitet. Dabei sind sie, nach Angaben des BBK, häufig in besonders aufgeheizten Stadtvierteln angesiedelt. Exemplarische Zahlen des BBK für Karlsruhe sind tatsächlich schwindelerregend: Im Großraum Karlsruhe liegen 90 Prozent der 50 gelisteten Krankenhäuser in »klimatisch besonders belasteten Vierteln«. Laut der Krankenhausgesellschaft haben die meisten deutschen Kliniken zwar einfache und bedingt wirkungsvolle Maßnahmen gegen Hitze, wie etwa Jalousien oder Vorhänge. Klimaanlagen, die trotz ihrer klimaschädlichen Wirkung für die vulnerable Gruppe der Kranken und Senioren in diesen Betonburgen in einer Extremsituation über Leben und Tod entscheiden können und deshalb angebracht erscheinen, sind hingegen eine Seltenheit. So könnte es also passieren, dass schwer kranke Menschen bei Hitzewellen selbst bei 30 Grad und mehr in ihrem Krankenhausbett liegen. Weil das Geld dafür fehlt. »Das ist eine Rieseninvestition«, sagt Expertin Juditzki. Das müssten wiederum die Länder finanzieren, die dafür aber kein Budget haben.

Tatsächlich klafft ohnehin jährlich eine Milliardenlücke zwischen den notwendigen Investitionen und dem, was die Länder für die nötige Finanzierung bereitstellen. Die DKG hatte berechnet, dass den Kliniken 2020 mehr als sechs Milliarden Euro fehlten. Inflationsbereinigt habe sich die Fördersumme zudem seit 1991 damit beinahe halbiert.[28] In dem 200 Seiten starken Gutachten der Gesellschaft geht es allerdings nur um Renovierungen und Instandsetzungen, die ohnehin nötig wären, weil die Häuser altersmüde und marode werden. Nicht berücksichtigt sind darin die Investitionen, die für hitze- und hochwasserresistente Gebäude notwendig wären – das würde die Milliardensumme sicherlich noch entscheidend vergrößern.

Auch praktische Übungen mit dem Personal, wie beispielsweise im Falle eines Hochwassers zu reagieren ist, finden bislang kaum statt. »Jede Übung ist sehr aufwendig und teuer – daher werden sie freiwillig nur selten gemacht«, sagt Juditzki. Angesichts des Personalmangels, der in der Coronapandemie noch offensichtlicher wurde, ist dies nachvollziehbar. Wenn sich Krankenschwestern und Pfleger kaum um Schwerstkranke kümmern können, wie sollen sie dann für eine tagelange Notfallübung alles stehen und liegen lassen? Es ist ein Versagen der verschiedenen Gesundheitsministerien, die über Jahre versäumt haben, die Pflege von Kranken und Seniorinnen ernst zu nehmen, sie entsprechend zu vergüten und attraktiv zu machen. Im Ernstfall ist nach heutigem Stand niemand vorbereitet.

»Idealerweise würden wir in jedem Haus ein Katastrophenschutzteam bilden«, sagt Juditzki. Darin sollten so unterschiedliche Personen und Kompetenzen wie Heizungstechniker, Ärztinnen, Pfleger und Personalverantwortliche sitzen. Bislang fehlten aber auch hierfür Vorgaben. »Wenn der Bund das wirklich wollte, könnte es auch hierzu ein nationales Gesetz geben«, so Juditzki. Aber offensichtlich will er nicht.

Und so bleibt die Erkenntnis: Das Leben der verwundbarsten, schwächsten Menschen in Krankenhäusern wird aufs Spiel gesetzt. Sollte mal der Strom ausfallen, ist weder klar, ob die Notstromaggregate funktionieren, noch, ob sie ausreichend Energie für alle lebensnotwendigen Geräte produzieren können. Und üben, wie sie sich im Katastrophenfall zu verhalten haben, konnte das Personal in den vergangenen Jahren auch nicht: Die chronische Unterbelegung lässt ihnen keine Zeit für diese Vorsorge.

Kraftwerke – das Nadelöhr im Extremfall

Wie empfindlich deutsche Kraftwerke und Stromnetze auf Extremereignisse reagieren, zeigen die dramatischen Schlagzeilen aus dem Sommer 2018: »Hitzewelle zwingt erste Kraftwerke in die Knie«, schrieb etwa Die Welt.[29] Damals sorgte eine Hitzewelle mit tagelangen Werten von bis zu 40 Grad für den dramatischen Rückgang der Flusspegel. Das führte zu zwei Effekten: Zunächst zog die Wasserknappheit auch einen Mangel an Kühlwasser nach sich. Gleichzeitig schlugen die Wasserbehörden Alarm, weil das gebrauchte Kühlwasser aus den Meilern viel zu heiß wieder zurück in die Flüsse geleitet wurde – und diese noch weiter aufheizte, was zu einem großflächigen Fischsterben führte. Mehrere Kraftwerke am Rhein, aber auch in Städten wie Berlin, mussten vom Netz.[30]

Bereits 2013 stellten Expertinnen und Experten fest, dass Dampfkraftwerke, in denen Strom aus Erdöl, Erdgas, Methanhydrat oder Steinkohle produziert wird, oder Kraftwerke, die für die Nutzung von Kernenergie verwendet werden, durch den Klimawandel beeinträchtigt werden.[31] Grund sind bei sogenannten thermischen Kraftwerken wie Atom und Kohle niedrige Flusswasserpegel in Hitzeperioden. Vor fehlendem Kühlwasser warnen mittlerweile auch das Bundesumweltministerium und die für das Stromnetz zuständige Bundesnetzagentur.

Letztere schreibt auf unsere Anfrage, dass solche langen Dürreperioden aus verschiedenen Gründen größere Schäden anrichten könnten: Wenn der Wasserpegel in Flüssen und Seen unter einen kritischen Punkt sinkt, müssten Wasserkraftwerke gegebenenfalls außer Betrieb genommen oder gedrosselt werden, außerdem käme die Schifffahrt auf dem Rhein zum Erliegen – und die Kraftwerke könnten nicht mehr mit Brennstoffen wie Kohle versorgt werden.

Generell gelte: Wenn Kraftwerke vom Netz gehen, müsste plötzlich enorm viel Strom aus Windkraftanlagen im Norden in den Süden transportiert werden, schreibt die Behörde. Das könne wiederum die Stromnetze überlasten. Diese seien während einer Hitzewelle ohnehin schon sehr gefordert, weil sie weniger Strom transportieren können. Beobachtet wurde das etwa bei den oben erwähnten Hitzeperioden in Kalifornien. Die Bundesnetzagentur warnt: »Die Ausprägungen sind sehr heterogen und komplex, insbesondere, wenn verschiedene Phänomene gleichzeitig auftreten.« Kommen also viele ungünstige Faktoren zusammen, könne das zu einem echten »Versorgungsproblem« werden.

Übersetzt heißt das: Über Stunden könnten Menschen in ihren Häusern bei Kerzenlicht sitzen, in Krankenhäusern müssten die Notstromaggregate auf Anschlag laufen, und bei Hitzewellen gäbe es weder kühles Wasser noch funktionierende Klimaanlagen.

Diese Sorge teilen auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: »Problematisch wird es vor allem bei einem ungünstigen Zusammenspiel verschiedener Faktoren, zum Beispiel bei einer Hitzewelle«, meint auch Energieexperte Jonas Savelsberg von der ETH in Zürich. Wenn in mehreren Ländern gleichzeitig Kohle- oder Atomkraftwerke aufgrund großer Hitze abgeschaltet werden müssten, könne dies zusammen mit einer erhöhten Nachfrage, etwa durch Klimaanlagen, problematisch werden. Das zeigen auch die erwähnten Studien aus den USA – wo es bereits zu solch »ungünstigen« Bedingungen gekommen ist. Auch Savelsberg bestätigt: Stromkabel vertragen hohe Temperaturen nicht so gut. Es gebe »durch Hitze reduzierte Leitungskapazitäten«. Meint: Es kann weniger Strom transportiert werden.

In Europa waren bisher vor allem die Kraftwerke das Problem. So etwa im Sommer 2015, als in Polen viele Kohlenmeiler ausfielen und die Versorgung von rund 8000 Unternehmen im Land gedrosselt wurde. Dies hatte auch Auswirkungen auf das deutsche Stromnetz.

Gaskraftwerke können laut Expertinnen und Experten hingegen bei Kälte ein Problem bekommen. Ein Beispiel ist der spektakuläre Wintereinbruch in Texas im Februar 2021. Damals machten Populisten die erneuerbaren Energien und angeblich vereiste Windräder für die Stromausfälle in dem Bundesstaat verantwortlich.[32] Tatsächlich waren es aber vor allem Gas- und Atomkraftwerke, die ihren Geist aufgaben. Bei Gas lag das vor allem an eingefrorenen Messinstrumenten und niedrigem Druck in den Gasleitungen, wie Energieexperten analysierten.[33] Laut Philipp Litz von der Denkfabrik Agora Energiewende fiel die Leistung der Gaskraftwerke um 27.000 Megawatt – das sei in etwa so, als wenn sämtliche Gaskraftwerke in Deutschland auf einmal ausfallen würden. Es handele sich aber um eine Ausnahmesituation, auf die auch andere Strommärkte in der Regel nicht ausgelegt werden, so Litz.[34]

Doch es gibt auch eine gute Nachricht: »Die Risiken bei den fossilen Energien werden sich durch die Energiewende immer mehr verringern«, prognostiziert Wissenschaftler Savelsberg im Gespräch mit den Autorinnen. Positiv sei auch, dass regionale Ausfälle relativ schnell durch den europäischen Strommarkt ausgeglichen werden könnten. Auch die dezentralen erneuerbaren Energien würden dabei helfen.

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