Die Königshalle in Lorsch - Christof L. Diedrichs - E-Book

Die Königshalle in Lorsch E-Book

Christof L. Diedrichs

4,8

Beschreibung

Die Königshalle in Lorsch, auch bekannt als "Lorscher Torhalle", wurde bereits im 9. Jahrhundert errichtet, in einer Zeit also, die nicht selten, wenn auch fälschlich, als das 'dunkle Mittelalter' bezeichnet wird. Damit steht sie ganz am Beginn der abendländischen Kunstgeschichte und ist zugleich eine der wenigen Bauten, die aus dieser frühen Zeit bis heute erhalten sind. Trotz ihres Alters verblüfft die Halle auf vielfältige Weise: durch ihre faszinierende Farbigkeit, ihre Nähe zur römischen Antike und zugleich durch die Schönheit ihrer echt mittelalterlichen Formen. Viele Geheimnisse ranken sich um sie. Man weiß weder mit Sicherheit, wer sie erbauen ließ, noch zu welchem Zweck sie einst gedient hat. Je mehr man jedoch über sie erfährt, desto deutlicher wird, dass sie in einem Beziehungsgeflecht stand, das weit über einen einfachen, architektonischen Auftrag hinaus ging. Anliegen des Buchs ist es, über eine Zusammenstellung der historischen Fakten hinaus die Königshalle in den größeren Zusammenhang jener Zeit im 8./9. Jahrhundert zu stellen, die sich u.a. untrennbar mit dem Namen Karls des Großen verbindet. In dieser Zeit wurde eine neue Kultur geboren, die bis heute die Kultur des Abendlands genannt wird. Erstmals setzt der Autor neben der sorgfältigen wissenschaftlichen Darstellung auch erzählerische Mittel ein, um aus den nüchternen, historischen Daten eine Geschichte werden zu lassen, die die Vorstellung anregt und den Fakten Leben einhaucht. Das Buch ist Teil der Reihe "einblicke - Kunstgeschichte in Einzelwerken", die jeweils einzelne Kunstwerke aus der gesamten abendländischen Kunstgeschichte zum Thema hat. Band 2 handelt von einem Werk von Paul Gauguin (Erscheinungsdatum: Oktober/November 2015), Band 3 stellt ein Tafelbild von Jan van Eyck vor (Dezember 2015).

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INHALT

Einleitung – Über die Betrachtung von Kunstwerken

Die sog. Königshalle in Lorsch

Außenbau –

Das Innere

Herkunft der Formen

Geschichte des Klosters Lorsch

Datierung der Königshalle –

Funktion

Kunst im Kontext

Renovatio Imperii Romanorum

Die Karolinger und die römische Antike –

Mehr als nur Kopien: Spolien –

Karolingischer Bronzeguss –

Fazit –

… und in Lorsch?

Wie es sich im Jahr 880 hätte zutragen können

Anhang

Die weitere Geschichte des Klosters Lorsch und der Königshalle

Literatur zur sog. Königshalle

Abbildungen

Abbildungsnachweis

Glossar – Erklärung von Fachbegriffen

Dank

Die Reihe „

ein

blicke – Kunstgeschichte in Einzelwerken“

EINLEITUNG

ÜBER DIE BETRACHTUNG VON KUNSTWERKEN

Wir sind es gewohnt, angesichts eines Kunstwerks, wenn es älter als ein paar hundert Jahre ist, in Ehrfurcht zu erstarren. Mit der Erstarrung geht das Eingeständnis einher, dass wir zu wenig wissen über Zeit und Zusammenhänge der Entstehung eines solchen Kunstwerks. Folglich werfen wir nur einen kurzen, oberflächlichen Blick darauf, finden – erwartungsgemäß – keinen oder keinen befriedigenden Zugang und sehen uns stattdessen nach der Möglichkeit um, auf einem Faltblatt oder im Rahmen einer Führung mehr zu erfahren. Eine Erschließung des Kunstwerks, so glauben wir, gehe nur unter Anleitung von Fachleuten, denen wir im Übrigen während ihres Vortrags nahezu blind glauben.

Selbstverständlich ist das nicht ganz falsch: Ein so unglaublich altes Kunstwerk wie beispielsweise die Königshalle in Lorsch – auch bekannt als die „Lorscher Torhalle“ – erschließt sich nicht von selbst. Es verbinden sich Geheimnisse mit ihr, welche demjenigen verborgen bleiben, der nicht die entsprechenden Fragen zu stellen weiß; und auch die Antworten auf diese Fragen kann sich niemand aus den Fingern saugen.

Und doch könnten wir wesentlich weiter gehen bei der Beschäftigung mit dem Kunstwerk, ohne sogleich den Blick abwenden und nach Hilfe in schriftlicher oder mündlicher Form suchen zu müssen.

Wie das gehen kann, nennen wir eine Methode. Methoden zur Betrachtung und Deutung von Kunstwerken gibt es zuhauf, aber sie werden nur von Fachleuten angewandt. Der ‚Laie‘, der diese Methoden in der Regel nicht kennt, fühlt sich meist zurückgeworfen auf die Frage des Gefallens, gibt sich allzu häufig zufrieden mit der Beurteilung, ob etwas schön sei oder hässlich.

Tatsächlich ist diese Reaktion besonders angesichts von Architektur durchaus begründet. Architektur, ob mittelalterliche oder zeitgenössische, ist lesbar wie eine Sprache, und wer deren Bestandteile und Regeln nicht kennt, steht vor ihr wie vor einem chinesischen Schriftzeichen: Es macht, so glauben wir, kaum Sinn, dessen Einzelteile genau zu betrachten, wenn man weder weiß, wie es funktioniert, noch was es bedeutet. Es bedarf in diesem Fall also durchaus der Erklärung.

Andererseits aber ist uns ein chinesisches Schriftzeichen, recht betrachtet, wesentlich fremder als ein Bauwerk im ‚Alten Europa‘, das immerhin unserer eigenen, vertrauten Kultur angehört. Und schließlich ist es selbst beim Erschließen eines so fremden, chinesischen Schriftzeichens unerlässlich, dass wir zunächst, noch bevor wir nach seiner Bedeutung fragen, sehr genau hinschauen. Hinsehen ist die notwendige Voraussetzung für Verständnis. Wer eine fremdsprachige Inschrift entziffern will, muss sie zunächst lesen.

Für das Hinsehen aber ist wichtig, dass der Sehende um seine kulturelle Prägung weiß. Sehen ist keine rein körperliche Tätigkeit, der Geist des Sehenden und seine Prägung durch Erziehung und Bildung ist wesentlich mit daran beteiligt. „Man sieht nur, was man weiß“, soll Goethe sinngemäß gesagt haben,1 und auch Antoine de Saint-Exupérys geflügeltes Wort über das Sehen mit dem Herzen2 gehört in diesen Zusammenhang, denn es zeigt, welchen Einfluss Gefühle und Vorwissen des Sehenden auf den Akt des Sehens haben. Man kann mit und ohne Brille alles rosarot oder auch schwarz sehen, wir alle wissen, dass das nichts mit der äußeren, physikalisch wahrnehmbaren Wirklichkeit zu tun haben muss.

Wenn der Satz „Man sieht nur, was man weiß“ wirklich stimmen würde, wäre jede Form von Wissenschaft – die durch Beobachtung Wissen schafft – sinnlos. Hätte Goethe recht mit seinem allzu eingängigen Aphorismus, dann gäbe es keinen Erkenntnisfortschritt auf dem Weg der Beobachtung. Dann wäre das Sehen rein reproduzierend und würde nichts weiter bewirken, als das Vorwissen des Sehenden zu bestätigen.

Tatsächlich spricht Goethe hier nur von einer besonders verbreiteten Art des Sehens, die entsteht, wenn der Sehende über das Sehen nicht nachdenkt. Diese Art des Sehens ist vor allem bei kunstinteressierten Laien weit verbreitet, die in der Betrachtung von Kunst nicht selten eine willkommene Gelegenheit sehen, ihre umfassende Bildung zu demonstrieren. Dabei steckt in jedem Kunstwerk ein ‚Mehrwert‘, etwas, das über das schon Bekannte hinausgeht. Kein Bild der Kreuzigung Christi beispielsweise erzählt nur die Kreuzigung Christi nach. Es steckt immer etwas Neues darin und eben darin liegt die spezifische Botschaft dieses Bilds.

Sehen hat also notwendigerweise zwei Aspekte: Wiedererkennen und Neu-Entdecken. Beide hängen eng zusammen, funktionieren nur gemeinsam. Nur wer genau hinsieht und das schon Bekannte wiedererkennt, kann entdecken, was neu ist und so auf die Spur der Aussage des Kunstwerks kommen. Denn diese, die Aussage des Kunstwerks, steckt im Neuen, welches das Kunstwerk enthält und es von den anderen unterscheidet, nicht aber im Altbekannten.

Aus diesem Grund ist es sinnvoll, jede Auseinandersetzung mit einem Kunstwerk mit einer genauen Betrachtung zu beginnen – nicht indessen mit der Lektüre von einschlägigen Texten, die unseren Blick in bestimmte Richtungen leiten, also wiederum prägen und uns so unweigerlich in die Arme Goethes zurück treiben. Diese Betrachtung sollte viel genauer sein, als wir es gewohnt sind. Sie sollte zudem so unvoreingenommen wie möglich sein. Wer versucht, unvoreingenommen zu sehen, sieht nicht nur, was er schon weiß, vielmehr entdeckt er Neues und wird überrascht auch von schon Bekanntem, das plötzlich in einen ganz anderen Zusammenhang gerät.

Um es noch einmal anders zu formulieren: Vorbildung und Vorwissen, wenn sie unbedacht eingesetzt werden, stehen der intensiven Betrachtung von Kunstwerken gewöhnlich eher im Weg, als dass sie zu einem Verständnis führen, denn sie ver-führen dazu, in ein Werk hinein zu sehen, was tatsächlich meist nicht oder nur am Rande darin steckt. Vielen begeisterten Kunstliebhabern muss ein allzu rascher Zugriff auf ihre Bildung geradezu verboten werden, damit sie offen sein können für das, was das jeweilige Kunstwerk tatsächlich tut und was es zu sagen hat.

Das aber bedeutet: Die Beschäftigung mit einem Kunstwerk – nennen wir sie „Analyse“, um die Bedeutung der konsequenten Anwendung einer Methode deutlich zu machen – beginnt immer mit einer eingehenden, möglichst unvoreingenommenen Betrachtung des Werks. Eine solche Betrachtung in Form einer sorgfältig formulierten Beschreibung dient in erster Linie der Lenkung des eigenen Blicks. Viele Details, viele Beziehungen und Zusammenhänge würden uns ohne eine solche Beschreibung nicht auffallen. Erst wenn wir sie in Worte fassen, werden sie uns klar, und indem wir es tun, denken wir über sie nach. Die Beschreibung ist die in Worte gefasste Betrachtung und stößt zugleich die Reflexion des Gesehenen an. Sie ist – oder sollte sein – im Übrigen auch eine der Hauptbeschäftigungen der Fachleute, noch vor der Recherche in der einschlägigen Literatur.

Gelegentlich wird eine solche Beschreibung vom interessierten Laien als beschwerlich empfunden und ihre Notwendigkeit entsprechend bezweifelt. In Wirklichkeit aber ist sie wie eine Entdeckungsreise und führt, gerade wenn wir nicht nur sehen, was wir wissen, notwendigerweise ins Unbekannte. Sie ist in jedem Fall einer der spannendsten Schritte der Analyse von Kunstwerken, denn die unvoreingenommene, eingehende Betrachtung führt uns ganz nahe an das Kunstwerk selbst und damit an die Absichten des Künstlers heran – als würden wir ihm bei seiner Arbeit über die Schulter sehen und den Diskussionen mit seinem Auftraggeber lauschen.

1 Woldemar Freiherr von Biedermann (Hg), Goethes Gespräche, Bd. 4, Leipzig 1889–1896, Nr. 734 (24.04.1819).

2 Antoine de Saint-Exupéry, „Man sieht nur mit dem Herzen gut“; Zitat aus: Der Kleine Prinz, erstmals erschienen 1943.

DIE SOG. KÖNIGSHALLE IN LORSCH

Beginnen wir unsere Besichtigung der Königshalle in Lorsch mit der Betrachtung des Außenbaus.

Außenbau

Die Königshalle in Lorsch (Abb. 1, Frontispiz) ist ein querrechteckiger, zweistöckiger Bau von 11 Metern Breite. An den Schmalseiten ragt jeweils ein halbrunder Turm aus der Mauer heraus.

Das auffälligste an dem Gebäude, das geradezu als sein Markenzeichen gilt, sind die nach Westen und Osten gerichteten Längsseiten, die durch abwechslungsreich wirkende, farbige InkrustationenI und auffällige Gliederungselemente den Blick auf sich ziehen. Sie bilden eindrucksvolle Schaufronten.

Im Untergeschoss führen drei Arkadenöffnungen I ins Innere der Halle. Sie werden jeweils flankiert von den Pfeilern vorgeblendeten – also gewissermaßen aus den Pfeilern herausschauenden, optisch davor stehenden – Halbsäulen aus leuchtend rotem Sandstein. Die Kapitelle dieser Halbsäulen erwecken den Eindruck, als trügen sie ein Gesims, das den Boden des Obergeschosses zu bilden scheint. (Tatsächlich stimmt die Fußbodenhöhe des Innenraums im Obergeschoss mit der Höhe dieses Gesimses nicht überein – ein reines Schmuckelement also, mit dem der Architekt einen bestimmten Eindruck hervorrufen wollte). Das Gesims ist, wie die halben Kapitelle, höchst kunstvoll mit pflanzlichen Ornamenten verziert (Abb. 2). Die Kapitelle des Untergeschosses, die aus weißem Kalkstein geschlagen wurden, folgen exakt dem Schema der antiken Säulenordnung* und erweisen sich so sehr als römische Kompositkapitelle*, dass unter Fachleuten bis heute umstritten ist, ob alle acht Kapitelle mittelalterlich oder ob hier möglicherweise antik-römische Kapitelle wiederverwendet worden sind.3

Das Obergeschoss zeichnet die gleiche kontrastreiche Farbigkeit aus, wie das Erdgeschoss, jedoch sind hier die Formen andere, kompliziertere. Durch ihre Dichte und gesteigerte Komplexität betonen sie das Obergeschoss gegenüber dem Erdgeschoss, das aufgrund der großen Toröffnungen wie ein Durchgang wirkt.