Die Kuba-Krise - Bernd Greiner - E-Book

Die Kuba-Krise E-Book

Bernd Greiner

0,0
8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Oktober 1962: Wegen der Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen auf Kuba verhängten die USA eine Blockade über die Insel und versetzten ihre Atomraketen und Langstreckenbomber in den höchsten Alarmzustand. Gestützt auf amerikanische, sowjetische und kubanische Akten, erzählt Bernd Greiner die Geschichte der Kuba-Krise: Warum sie eskalierte, wie ein politischer Ausweg gefunden wurde und wie diese Konfrontation bis heute nachwirkt. Im aktuellen Krieg gegen die Ukraine griff auch Wladimir Putin schon zum Mittel nuklearer Erpressung – unter anderen Vorzeichen, aber nach derselben Logik, die im Herbst 1962 der Welt um ein Haar zum Verhängnis geworden wäre.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bernd Greiner

DIE KUBA-KRISE

Die Welt an der Schwelle zum Atomkrieg

C.H.Beck

Zum Buch

Was sich im Oktober 1962 abspielte, hatte die Welt nach 1945 noch nicht erlebt. Und zu Ihrem Glück ist Ähnliches bisher ausgeblieben: Wegen der Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen auf Kuba verhängten die USA eine Blockade über die Insel und versetzten ihre Atomraketen und Langstreckenbomber in den höchsten Alarmzustand unterhalb der Schwelle eines Nuklearkrieges. Gestützt auf amerikanische, sowjetische und kubanische Akten, erzählt Bernd Greiner die Geschichte der Kuba-Krise: Warum sie bis zur Schwelle eines Atomkrieges eskalierte, wie letztlich ein politischer Ausweg gefunden wurde und wie diese Konfrontation bis weit in die 1980er Jahre nachwirkte.

Über den Autor

Bernd Greiner ist Gründungsdirektor und Mitarbeiter des «Berliner Kollegs Kalter Krieg/Berlin Center for Cold War Studies». Er lehrte Außereuropäische Geschichte an der Universität Hamburg und leitete bis 2014 den Arbeitsbereich «Theorie und Geschichte der Gewalt» am Hamburger Institut für Sozialforschung. Bei C.H.Beck sind von ihm erschienen: «9/11» (2011), «Henry Kissinger» (2020) und «Made in Washington» (32022).

Inhalt

Karten

Einleitung

Vorgeschichte

Kuba – Symbol des Kalten Krieges

Kennedy, Chruschtschow, Castro

Die gewollte Krise

16.–22. Oktober 1962

«Die Sowjets würden aussehen, als wären sie mit uns gleich»

Absage an die Diplomatie

Die Entscheidung für die Blockade

Erste Reaktionen in Moskau und Havanna

Eine Bühne für John F. Kennedy

23.–26. Oktober 1962

Chruschtschow lenkt ein

Die Blockade, ein Kommunikationsdesaster

Konfrontation auf hoher See

Ein Angebot aus Moskau

Gereizte Stimmung in Washington

Kuba vor der Invasion?

27. und 28. Oktober 1962

Fidel Castro fordert zum Atomkrieg auf

Raketenhandel?

Eskalation hinter dem Rücken der Akteure

John F. Kennedys Geheimdiplomatie

Nikita Chruschtschow löst den Knoten

Keine Kompromisse

Schockwellen

Die «endgültige» Beilegung der Kuba-Krise

Kubanische Vorwärtsverteidigung

Sowjetischer Nachholbedarf

Amerikanischer Triumphalismus

Höhepunkt, aber kein Wendepunkt

Literatur

Quellen

Neuere Sekundärliteratur zur Geschichte der Kuba-Krise aus kubanischer, amerikanischer und sowjetischer Perspektive

Sekundärliteratur älteren Datums

Forschungsdesiderata

Register

Für Lena

Karten

Einleitung

Was sich im Oktober 1962 abspielte, hatte die Welt nach 1945 noch nicht erlebt. Und zu ihrem Glück ist Ähnliches seither ausgeblieben. Angesichts der knapp 150 heißen Kriege im Kalten Krieg und der Gewaltexzesse seit den 1990er Jahren mag eine solche Behauptung übertrieben klingen – immerhin weitete sich die Krise um Kuba nicht zu einem Krieg aus. Dennoch trifft dieses Resümee den Kern der Sache.

Mitte des Monats ging «Operation Anadyr» in ihre entscheidende Phase, das logistisch anspruchsvollste und zugleich umfangreichste Unternehmen der sowjetischen Streitkräfte seit dem Zweiten Weltkrieg. Niemals zuvor hatte man in Friedenszeiten Waffen, Material, technisches Personal und Truppen in einem derartigen Umfang ins Ausland verlegt, geschweige denn nach Übersee. Auf Kuba wurden angelandet: eine aus fünf Re-gimentern bestehende Raketendivision; zwei Luftabwehrdivisionen mit sechs Regimentern, die neben 144 SA‑2-Raketen auch über ein Geschwader von MiG‑21-Jägern verfügten; vier motorisierte Schützenregimenter und zwei Panzerbataillone; drei mit konventionellen Kurzstreckenraketen ausgestattete Bataillone für den Küstenschutz; 98 Sprengköpfe für nukleare Gefechtsfeldwaffen; vier dieselgetriebene U-Boote der «Foxtrot»-Klasse mit je einem Atomtorpedo; 42.000 Soldaten, darunter eine 10.000 Mann starke Kampftruppe. Und vor allem: 36 nukleare Mittelstreckenraketen vom Typ R‑12, die mit einer Reichweite von 1100 nautischen Meilen oder 2000 Kilometern Verwüstungen weit im Inneren der USA hätten anrichten können.

Unumstößliche Beweise für das Herzstück der sowjetischen Waffenlieferungen hatte die amerikanische Luftaufklärung am 15. Oktober geliefert: Fotos über im Bau befindliche Abschussrampen für die R‑12. Von den nahe San Cristobal, Remedios, Sagua la Grande und Guanajay gelegenen Anlagen abgesehen, entdeckte man wenige Tage später auch noch unfertige Startplätze für so genannte «Intermediate-Range Ballistic Missiles» (IRBM) vom Typ R‑14, ausgelegt auf Ziele in einer Entfernung von 2200 nautischen Meilen oder 4000 Kilometern.

Um Moskau zum Abzug seiner ballistischen Raketen zu zwingen, rief Präsident John F. Kennedy eine Seeblockade Kubas aus und versetzte die strategischen Luftstreitkräfte der USA am 24. Oktober in den höchsten Alarmzustand unterhalb der Schwelle eines umfassenden Nuklearkrieges: «Defense Condition 2». Zum ersten und bisher einzigen Mal in der Geschichte des Landes galt «DefCon 2» für alle Interkontinentalraketen (ICBM) und Langstreckenbomber. Den Vorgaben einer «immediate execution policy» entsprechend, konnten fortan 1479 Langstreckenbomber vom Typ B‑52 und B‑47 sowie 183 ICBM aus der Baureihe «Atlas», «Titan» und «Minuteman» spätestens 60 Minuten nach einem Befehl aus dem Weißen Haus eingesetzt werden. Ohne jede Verzögerung angriffsbereit waren zwischen 65 und 76 B‑52, die bis Ende November Tag für Tag und Nacht für Nacht die Grenzen des sowjetischen Luftraums abflogen, aktualisierte Ziellisten im Cockpit. Allein mit diesen Trägersystemen – 128 Polaris-Raketen auf U‑Booten im Atlantik sowie grenznah zum Warschauer Pakt stationierte Kampfbomber mittlerer und kurzer Reichweite nicht eingerechnet – hätten 2962 großkalibrige Nuklearwaffen abgeworfen werden können. Als «high priority – Task 1 targets», unbedingt und sofort auszulöschende Ziele in der Sowjetunion, hatte das «Strategic Air Command» unter General Thomas Power 220 Städte, Militär- und Industrieanlagen sowie Verkehrsknotenpunkte festgelegt.

Zur gleichen Zeit wurde Florida in ein Heerlager verwandelt. Der britische Konsul in Miami fühlte sich an Südengland im Juni 1944 und die letzten Tage vor der Landung in der Normandie erinnert; andere Beobachter sahen die Halbinsel unter der Last des militärischen Geräts alsbald im Meer versinken. Knapp 600 taktische Kampfbomber waren über die Flugfelder der Region verteilt worden, ausgestattet mit Treibstoff, Bomben und Bordmunition für tausende von Angriffen; 1190 hätten bereits am ersten Tag eines Krieges gegen Kuba geflogen werden sollen. Unter dem Kommando der Armee bereiteten sich acht Divisionen mit insgesamt 120.000 Mann und dem größten seit 1944 mobilisierten Kontingent an Fallschirmspringern auf eine amphibische Landung östlich von Havanna vor. Zum Vergleich: In der Normandie hatte man 150.000 Soldaten abgesetzt. Die Marine bot 180 Schiffe, darunter acht Flugzeugträger und 26 Zerstörer, in den Gewässern um Florida auf. Und so weiter und so fort in einer mit Superlativen überquellenden Statistik. Für die ersten zehn Kriegstage rechnete das Pentagon allein in den eigenen Reihen mit 19.000 Toten und Verwundeten.

Auf Kuba selbst erklärte Fidel Castro am späten Nachmittag des 22. Oktober den Ausnahmezustand. Wie viele reguläre Soldaten und auf die Schnelle bewaffnete Milizionäre aus Arbeitern, Bauern und Studenten man mobilisierte, ist umstritten. Manchmal ist von 350.000, mitunter auch von 420.000 die Rede – gemessen an einer Bevölkerung von sieben Millionen eine in jedem Fall enorme Quote. Die in drei Verteidigungszonen aufgeteilte Insel glich fortan einer zum Äußersten vorbereiteten Festung. «Ein Zurückweichen gab es für uns nicht», beschrieb Fidel Castro die Situation im Rückblick. «Um die Wahrheit zu sagen: Es kam uns überhaupt nicht in den Sinn, nachzugeben.» Der Diktator meinte tatsächlich, was er eine gute Woche lang in der Zeitung Revolución zum Besten gab: dass seine Regierung notfalls an der Seite des Volkes «in größter Würde» den Heldentod sterben würde. Eingedenk dieser «suprema dignidad» gab Castro nicht nur den Befehl, amerikanische Tiefflugaufklärer unter Feuer zu nehmen. Am 27. Oktober, die Entwicklung schien auf allen Seiten außer Kontrolle zu geraten, forderte er Nikita Chruschtschow in einem gewundenen Brief auch zum nuklearen Erstschlag gegen die USA auf – für den Fall, dass die USA auf Kuba einmarschieren sollten und zur Rache für das gewaltsame Ende einer Revolution, die mittels der sowjetischen Waffen eigentlich hatte geschützt werden sollen.

Warum ausgerechnet Kuba? Wieso zu diesem Zeitpunkt? John F. Kennedy war sich mit seinen engsten Beratern einig, dass drei Dutzend sowjetische Mittelstreckenraketen vor der eigenen Haustür am militärischen Kräfteverhältnis nicht das Mindeste änderten. Die USA verfügten auf absehbare Zeit über ein turmhoch überlegenes Arsenal an nuklearen Waffen, wären selbst nach einem sowjetischen Erstschlag noch in der Lage gewesen, den Angreifer samt seiner Verbündeten vollständig zu vernichten. In anderen Worten: Die nationale Sicherheit war nicht berührt, die Logik der beiderseitigen Abschreckung war und blieb in Kraft. In Kuba ging es einzig und allein um ein politisches Problem, um das Problem, dass die sowjetischen Raketen die politischen Gewichte der Macht zu verschieben drohten. Zumindest, so John F. Kennedy, hätte es den Anschein gehabt. «Und der Schein ist Teil der Realität.»

Dennoch bleibt die Frage, wovon diese Geschichte im Kern handelt. Seit 1947 lieferten sich Ost und West einen psychologischen Abnutzungskrieg um Prestige und Symbole ihrer Macht: 1948 in Berlin, 1950 bis 1953 in Korea, 1956 wegen Ungarn, Polen und Suez, seit 1956 wiederholt in den Meerengen vor Taiwan und zwischen 1958 und 1961 erneut in Berlin. In allen Fällen hatte man es bei verbalen Drohkulissen belassen und sich mit ideologischen Redeschlachten zufriedengegeben, zu keinem Zeitpunkt machte der Eine gegen den Anderen mobil. In Kuba indes wurde der Einsatz erhöht – und zwar auf die provokanteste Art und Weise. 1962 schickte man keine Stellvertreter aufs Feld, wegen Kuba gingen beide Seiten direkt aufeinander los. Vor allem diese Besonderheit verlangt nach einer Erklärung.

Der Kalte Krieg musste erst zu Ende gehen, ehe einigermaßen befriedigende Antworten gegeben werden konnten. Gewiss lag bereits vor dem Zusammenbruch der UdSSR eine kaum noch zu überschauende Fülle an Literatur zur Kuba-Krise vor, nicht zuletzt angeregt durch Tonbandaufnahmen, auf denen die wichtigsten Sitzungen von John F. Kennedys Krisenstab dokumentiert sind. Die Entscheidung, überall im Weißen Haus Abhöranlagen zu installieren – im Kabinettssaal, im Oval Office sowie in einigen Privatgemächern – und die Bänder in der Präsidentenbibliothek aufzubewahren, war für Historiker einerseits ein Glücksfall; andererseits vergrößerte dieser Fund die Asymmetrie des Wissens. Während sich die Ereignisse in Washington beinahe minutiös rekonstruieren ließen, blieb das Geschehen in Moskau und Havanna allenfalls in Umrissen erkennbar. Quellen aus der Sowjetunion standen kaum, aus Kuba überhaupt nicht zur Verfügung. Folglich wurde die Geschichte der Kuba-Krise bis zum Ende der 1980er Jahre immer nur zu einem Drittel erzählt.

Seither hat sich die Situation grundlegend verbessert, in erster Linie, weil eine Gruppe amerikanischer Historiker die Umbrüche in der UdSSR und Osteuropa geschickt zu nutzen verstand. Allen voran Mitarbeitern der Harvard- und der Brown-University, des National Security Archive und des Cold War International History Project war es zu verdanken, dass Veteranen der Kuba-Krise, Fidel Castro eingeschlossen, auf internationalen Tagungen ihre Erinnerungen zu Protokoll gaben. Dieser Initiative folgte eine unerwartet großzügige Freigabe sowjetischer und kubanischer Akten. Dass Bestände des Zentralkomitees der KPdSU, der sowjetischen Geheimdienste und Streitkräfte weiterhin verschlossen bleiben, ist ebenso bedauerlich wie der auf Kuba zu beobachtende Rückfall in alte Archivsitten. Aber dergleichen ist längst kein Einwand mehr gegen den Anspruch, alle Beteiligten einbeziehen und ein aufregendes Kapitel Zeitgeschichte aus drei Perspektiven erzählen zu wollen.

Ironischerweise trug ausgerechnet die Erweiterung der Quellenbasis zu einer neuerlichen Verengung der Diskussion bei. Nachdem Anfang 1992 bekannt geworden war, dass Moskau auch nukleare Gefechtsfeldwaffen nach Kuba verschifft hatte, feierte eine Erzählung im Konjunktiv ihre Triumphe: Wenn die USA einmarschiert wären, hätten die Sowjets dann ihre taktischen Atomwaffen an den Stränden Kubas eingesetzt? Wäre der Dritte Weltkrieg ausgelöst worden, weil die Amerikaner nicht wussten, was sie auf der Insel erwartete? Hätte ein nachrangiger Kommandeur die ganze Welt in den Abgrund reißen können? Gerade die Prominenten unter den Zeitzeugen und Historikern wollten die Fragezeichen erst gar nicht gelten lassen. Für sie stand fortan fest: Die Kuba-Krise ist die Geschichte eines nur um Haaresbreite vermiedenen Weltkrieges. Bis heute erliegen Autoren der Versuchung, die Kriegsgefahr möglichst grell auszuleuchten und mit immer neuen Details aufzuwarten, die reißerisch zu glimmenden Lunten am nuklearen Pulverfass erklärt werden, auch um den Preis, dass Spekulationen den Platz von Fakten einnehmen. «Am Abgrund», «Nervenprobe», «Eine Minute bis Mitternacht»: Wie in den 1960er Jahren wird die Kuba-Krise als Kriminalgeschichte aufbereitet, ohne Vorher und Nachher, auf die berühmten 13 Tage im Oktober 1962 und mitunter auf einen einzigen Tag fixiert, den berüchtigten «Schwarzen Samstag».

Zwar gibt es keinen Grund, die Risiken dieser Konfrontation in Abrede zu stellen. Wer Apparate in der eingangs beschriebenen Dimension in Bewegung setzt, muss mit unangenehmen Überraschungen und letzten Endes auch mit Kontrollverlust rechnen. Je mehr Akteure im Spiel sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit von Eigenmächtigkeiten, Fehlwahrnehmungen oder schlicht Missverständnissen. John F. Kennedy brachte es auf den Punkt, als ihn an einem hektischen Tag obendrein die Nachricht vom Irrflug eines U‑2-Aufklärers über der UdSSR erreichte: «Es gibt immer irgendeinen Hurensohn, der nicht mitbekommt, was Sache ist.» Aber Dramatisierungen sind gleichermaßen fehl am Platz. Geschichte wird nicht von Autopiloten dirigiert, eine auf Kuba getroffene Entscheidung musste nicht zwingend einen andernorts vorbereiteten Gewaltfahrplan aktivieren. Das marktgängige Kokettieren mit dem Weltuntergang trägt zum Verständnis komplexer Zusammenhänge wenig, zur Legendenbildung umso mehr bei.

Legenden sind seit Jahrzehnten die Krux der Geschichte. Wie Mehltau liegen sie über den Erzählungen zur Kuba-Krise, in die Welt gesetzt keine sechs Wochen nach dem Rückzug der sowjetischen Raketen. John F. Kennedy persönlich sorgte dafür, dass über seinen Freund Charles Bartlett Anfang Dezember 1962 die gewünschte Lesart ihren Weg in die Saturday Evening Post fand. Erstens: Man wurde von den Russen im Oktober kalt erwischt, niemand hatte mit einem solchen Schritt gerechnet, und von der Unberechenbarkeit Chruschtschows abgesehen gibt es keine andere Erklärung. Zweitens: Wer Moskau in die Schranken weisen will, muss sich die Lektionen der 1930er Jahre zu eigen machen und falschen Kompromissen widerstehen; einzig unnachgiebige Härte führt zum Erfolg. Drittens: John F. Kennedy leitete eine Gruppe abgeklärter Krisenmanager von kühler Vernunft und souveränem Überblick, Männer mit eisernen Nerven und moralischem Gewissen; die Welt aus der Gefahrenzone herausgelotst zu haben, ist hauptsächlich, wenn nicht einzig ihr Verdienst. Dieser Dreiklang wurde seither in der akademischen Literatur immer wieder variiert. Mehr als andere und mit ausnehmend nachhaltigem Erfolg waren Historiker aus Harvard darauf bedacht, dem großen Sohn von Massachusetts einen immergrünen Lorbeerkranz zu flechten. Bei ihnen bedienten sich im Jahr 2000 auch die Drehbuchautoren von «Dreizehn Tage», als sie Kevin Costner die Worte in den Mund legten: «Jack und Bob sind clevere Jungs. […] Es gibt niemanden, dem ich lieber das Leben von Helen anvertrauen würde und das der Kinder.» Von kriegstreiberischen Militärs und ignoranten Kongressabgeordneten bedrängt, blieben Costners Helden prinzipienfest – «und wenn diese Regierung die Toilette runtergespült wird».