Die Kunst des Ehebruchs - Wolfgang Matz - E-Book

Die Kunst des Ehebruchs E-Book

Wolfgang Matz

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Beschreibung

Überraschend neue Blicke auf drei Meisterwerke der Moderne - Wolfgang Matz bietet eine atemlose Lektüre. Liebe und Betrug sind die ewigen Themen der Literatur, von Tristan und Isolde bis Don Giovanni - mitten im 19. Jahrhundert taucht aber plötzlich im Gesellschaftsroman eine neue Variante der alten Geschichte auf: der Ehebruch in der bürgerlichen Familie. Emma Bovary, Anna Karenina und Effi Briest - das sind die drei berühmten Frauen, die das Verbotene tun und um eines anderen Mannes willen ihre ganze Existenz riskieren: Emma, die radikale Spielerin, Anna, die leidenschaftlich Liebende, und die viel zu junge, naive Effi, die der flüchtigen Gelegenheit nicht widersteht. Wolfgang Matz folgt in seinem temperamentvoll geschriebenen Buch den Geschichten dieser ganz verschiedenen Frauen, ihrer Ehemänner und ihrer Liebhaber und erkundet, warum ihr privates Scheitern zwischen persönlichem Freiheitsdrang und gesellschaftlicher Ordnung ihre Schöpfer Gustave Flaubert, Lew Tolstoi und Theodor Fontane so fasziniert hat und wie dieses wiederum deren Schreiben bestimmt. Mit den gesellschaftlichen Befreiungen des 20. Jahrhunderts verschwindet die Gattung des Ehebruchromans zwar, aber all die katastrophal scheiternden Liebesgeschichten stehen nach wie vor im Mittelpunkt der Literatur, und deshalb nimmt Wolfgang Matz auch die heutigen Ausweitungen der Kampfzone in den Blick.

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Wolfgang Matz

Die Kunst des Ehebruchs

Emma, Anna, Effiund ihre Männer

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detailliertebibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Wallstein Verlag, Göttingen 2014www.wallstein-verlag.deVom Verlag gesetzt aus der Stempel GaramondUmschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf,unter Verwendung von: Alfred Stevens, Le bainDruck und Verarbeitung: Hubert & Co, GöttingenISBN (Print) 978-3-8353-1459-7ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-2541-8ISBN (E-Book, epub) 978-3-8353-2542-5

für Elisabeth, natürlich

»Diese feinen Unterschiede kapieren die Männer nicht.«»Es gibt auch Frauen, die die feinen Unterschiede nicht kapieren.«

Hugo von Hofmannsthal

Inhalt

VORSPIEL

Reich mir die Hand, mein Leben!

Leben, Liebe, Kunst

ERSTER TEIL

Die halbe Wahrheit

Männer, Frauen, Männer

ERSTES KAPITEL

Schlechte Karten

Männer 1: Ehemänner

ZWEITES KAPITEL

Auf eine Karte

Frauen: Ehefrauen, Liebhaberinnen

DRITTES KAPITEL

Wer gewinnt, verliert

Männer 2: Liebhaber

ZWEITER TEIL

Die ganze Kunst

Flaubert, Tolstoi, Fontane

ERSTES KAPITEL

Unter den menschlichen Worten das schönste

Gustave Flaubert und Madame Bovary

ZWEITES KAPITEL

Böse Zeichen, furchtbare Worte

Lew Tolstoi und Anna Karenina

DRITTES KAPITEL

Alle Zeichen trügen

Theodor Fontane und Effi Briest

DRITTER TEIL

Die letzten Mohikaner

Frauen, Männer, Frauen

ERSTES KAPITEL

Rosenkrieg, Papierkrieg

Endspiel mit schreibendem Ehepaar

ZWEITES KAPITEL

Schöne neue Welt

Ausweitungen der Kampfzone

DRITTES KAPITEL

Die Erfindung des Privatlebens

Über Sally nicht weniger als Alles

CODA

Die Entdeckung Amerikas

Leben, Liebe, Kunst

Anhang

Nachwort

Bibliographie

Nachweise

Register

VORSPIEL

Reich mir die Hand, mein Leben!

Leben, Liebe, Kunst

Auch, wenn zwei beieinander liegen, wärmen sie sich;wie kann ein einzelner warm werden?

Prediger 4:11

1.

Wer heiratet, nimmt sich etwas vor, was er sich ohne eine gewisse Portion Optimismus nicht vornehmen würde. Das aber gilt erst für unsere schöne neue Welt, denn wenn zwei sich im neunzehnten Jahrhundert oder davor das Jawort gaben, dann sicher nicht mit Blick nur auf einen Teilabschnitt des kommenden Lebens. Heiraten, das war die Wette auf eine gemeinsame Zukunft, und so feierte man bei der Gelegenheit natürlich ein großes Fest. Heute sind sich die Mitspieler des Ausgangs nicht mehr so sicher, doch trotz alledem, das Leben als Paar ist immer noch ein gewünschtes Ideal, selbst wenn die Paare selber nicht so genau wissen, wie man dies gemeinsame Leben sicher über die Runden bringt. Wer heiratet, der baut darauf, dass er nun etwas hat, auf das er bauen kann. Dass er etwas hat, was ihn schützt gegen die kalte Welt und ihre Zumutungen.

Hoffnung und Enttäuschung, das ist seit alters her das große Thema der Literatur.

2.

»Romane schließen damit, daß Held und Heldin heiraten. Damit müßte man anfangen, aufhören aber damit, daß sie sich wieder trennen, das heißt befreien. Denn das Leben von Menschen so beschreiben, daß man mit der Schilderung der Hochzeit abbricht, ist nicht anders, als beschriebe man die Reise eines Mannes und bräche den Bericht an der Stelle ab, wo er Räubern in die Hände fällt.« Die Literatur hatte zwar immer schon einen Hang zum realistischen Pessimismus, aber Lew Tolstoi, der über Ehebruch nicht nur geschrieben, sondern auch selbst geheiratet hatte, wollte radikaler als jeder andere Schluss machen mit allen Sentimentalitäten, so, als müsse er sich selber jede täuschende Hoffnung austreiben. Am 30. August 1894, also mit sechsundsechzig Jahren, notierte er sich den so witzigen wie rabiaten Satz ins Tagebuch und machte kurzen Prozess nicht nur mit der Ehe, sondern genauso mit einer langen literarischen Tradition. Bis dahin war es nämlich auch anders gegangen, wie es eine der großen Autorinnen des Jahrhunderts vorgeführt hat. Jane Austens Stolz und Vorurteil ist nicht weniger als der kanonische Klassiker jenes Eheanbahnungsromans, dem Tolstoi jetzt den Laufpass gibt; für ihn wäre Austens Roman – der bekanntlich mit der Hochzeit endet – das Kultbuch der Räuber. Und der beginnt mit einem Satz, der genauso apodiktisch ist wie Tolstois, nur schöner: »Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, daß ein Junggeselle im Besitz eines schönen Vermögens, nichts dringender braucht als eine Frau.«

Die Voraussetzung dieser allgemein anerkannten Wahrheit gilt sogar ohne die Bedingung eines schönen Vermögens: Die Ehe sei das Ziel eines jeden Menschen. Und Tolstois Forderung, man möge den Roman dort beginnen, wo Jane Austen die ihren zu beenden pflegte, drückt vor allem anderen den Zweifel aus, ob diese Wahrheit auch ganz kurz vor Anbruch des zwanzigsten Jahrhunderts noch wahr bleibt. Denn Jane Austens Vorstellung bedeutet ja, das Problematische im Verhältnis eines Paares sei der Weg zum Zusammenfinden, und ist dieser einmal erfolgreich zurückgelegt, werde schon nichts mehr schiefgehen. Tolstoi aber denkt das Gegenteil: Zusammenfinden ist nicht schwer, das Zusammenbleiben jedoch das eigentliche Problem. Ganz sicher hat er damit das moderne Lebensgefühl getroffen, das heute noch gilt. Und offenbar löst die Ehe inzwischen keineswegs mehr so einfach jene Probleme, zu deren Lösung sie einst erfunden worden ist. Etwas hat sich geändert, in der Gesellschaft, zwischen Männern und Frauen, etwas, was die traditionellen Sicherheiten aufgelöst hat – ob auch die Wünsche, das ist eine andere Frage.

Aber nicht nur darum geht es im Streit zwischen Jane Austen und Lew Tolstoi, denn die beiden sind keine Soziologen, sondern Schriftsteller, Verfasser von Romanen, Erzähler von Geschichten. Auch an den Romanen, am Erzählen selbst wird sich etwas Wesentliches ändern. Jene Romane, die damit schließen, dass Held und Heldin heiraten, setzten ja von Anfang an dies bestimmte Ende voraus, und das ist, im Großen und Ganzen, ein glückliches. Das weiß jeder Leser, der ein solches Buch aufschlägt. Die anderen Romane aber, wie sie Tolstoi verlangt, die mit der Hochzeit nur beginnen, sind zwangsläufig offen: Wie diese Ehe sich auflöst, wie diese Menschen sich trennen, was sie danach tun werden, all das ist unklar, all das weiß man nicht. So ist der Eheanbahnungsroman ganz natürlich einer, der mit festen Formen spielt, der einen gegebenen Rahmen individuell auszufüllen hat, der bekannte Motive auf neue Art variiert, und dieses neue Spiel mit klassischen Voraussetzungen eignet sich deshalb wunderbar für das komödiantische Fach. Der Eheanbahnungsroman ist als Tragödie nicht denkbar, als heiteres, ironisches Déjà-vu dagegen immer. Nicht aber der Roman, den Tolstoi verlangt: Dort ist das Problematische, das Zerfallende, die Zerstörung eine unvermeidbare Voraussetzung.

Natürlich ist auch jener großen Tradition, für die Jane Austen hier steht, das Problematische in den menschlichen Verhältnissen sehr bewusst, sonst wäre sie keine große Tradition. Das heitere Spiel mit den traditionellen Formen – und der Roman ist eine Form, ganz wie die Ehe – verdankt sich aber dem Wunsch, jedem Zwang zur radikalen Konsequenz und auch zur radikalen Wahrheitssuche auszuweichen; oder besser noch: sogar zu bezweifeln, dass es sie überhaupt gibt, diese radikale, ausschließliche Wahrheit. Radikale Wahrheit nämlich – Tolstoi wiederholt es noch und noch – ist immer kompromisslos. Stolz und Vorurteil ist der Versuch, durch Literatur zu klären, was die Voraussetzungen eines gelingenden Zusammenlebens, einer glücklichen Ehe überhaupt sind, und der Verlauf des Romans erzählt davon, dass dieses Gelingen, das Zusammenleben nur möglich ist als Kompromiss. Wenn das rechte Paar sich am Ende findet, dann waren bis dahin nicht wenige Probleme aus dem Weg zu räumen, sonst hätte man nicht drei, vier- oder fünfhundert Seiten dafür gebraucht, und dieser Weg war der beständige Ausgleich zwischen dem, was ein Leben ausmacht: Traum und Wirklichkeit, Wunsch und Erfüllung, Leidenschaft und Ordnung, Freiheit und Bindung, und all das vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, dieses Leben auch materiell über die Runden zu bringen. Der Roman aber will allein dadurch, dass er existiert, beweisen, dass dieser Weg möglich ist.

Die Ehe ist die Wette, das ganze Glück durch einen Kompromiss zu bekommen.

3.

Der Roman beginnt dort, wo etwas im Leben nicht stimmt, und deshalb hat er sich immer schon besonders gern mit den Paaren beschäftigt. Leicht war das Leben als Paar noch nie, nicht einmal bei Adam und Eva, die bekanntlich keine Wahl hatten. Doch ist es immer ein großer Unterschied, mit welchen Paarkonstellationen ein Autor zugange ist; ob mit den sich bildenden oder den zerfallenden, und macht man sich jetzt an die Lektüre der einschlägigen Romane, so gilt auch hier eine Wette: Eine literarische Mode ist nie nur eine Mode, sondern sie verweist genau auf das, was nicht stimmt. Und wenn plötzlich das Zerfallen der Ehe interessanter wird als ihr Zustandekommen, dann müssen auch dafür Gründe zu finden sein.

Drei Frauen des neunzehnten Jahrhunderts, das ist schon vielen aufgefallen, teilen ein so ähnliches Schicksal, dass man fast von einer Mode sprechen möchte: Emma Bovary, Anna Arkadjewna Karenina und Effi von Innstetten, geborene Briest. Sie teilen ihr Schicksal im doppelten Sinne. Zum einen riskieren und verlieren sie ihre Männer, ihre bürgerliche Existenz und dann ihr Leben, weil sie der Versuchung durch einen anderen Mann nicht widerstehen konnten oder wollten. Zum anderen wird die Geschichte ihrer katastrophal scheiternden Lebensläufe zur Handlung dreier Romane, die eingegangen sind in die Weltliteratur. Drei Frauen, drei Romane, drei Autoren bilden eine einsam dastehende Trias, denn auch wenn naturgemäß noch eine Unzahl von Werken die Melodie von Treue und Betrug, Liebe und Verrat in endlosen Variationen durchgespielt hat, weder davor noch danach gibt es diese gleiche Szenerie, die einen ganzen Roman von vorn bis hinten bestimmt: Heirat, Ehebruch, Tod, und das nicht im verdorbenen Adel mit seinen Gefährlichen Liebschaften und nicht in mythischer Ferne, sondern in einem realen, wiedererkennbaren Milieu der bürgerlichen Gegenwart. Flaubert, Fontane, Tolstoi, so weit sie auseinanderliegen mögen, literarisch und biographisch, so nahe sind sie einander doch. Die ersten beiden Folgen von Madame Bovary – laut Émile Zola »die Formel des modernen Romans« und »das definitive Modell des Genres« – stehen am 1. und 15. Oktober 1856 in der Revue de Paris als Vorabdruck. Fontane ist vom 14. bis 22. Oktober in Paris. Ab Ende des Jahres ist der spektakuläre Prozess gegen Flaubert Stadtgespräch, und er endet mit dem Freispruch am 7. Februar 1857. Am 15./16. April erscheint Madame Bovary als Buch. Vom 9. Februar bis 27. März ist Tolstoi in Paris. Mit ein bisschen Mühe hätten sie sich im Café verabreden können, Flaubert, Tolstoi, Fontane.

Emma, Anna, Effi haben keine direkten Nachfolgerinnen gefunden, und daraus könnte man schließen, dass ihre Geschichten, so, wie sie diese gelebt haben, eben nur in ihrer eigenen Zeit gelebt werden konnten, in dem knappen halben Jahrhundert, welches das ihre ist. Der Ehebruch ist im neunzehnten Jahrhundert ein sehr komplexes Wechselspiel von Begehren, Nachgeben und Verrat und deshalb auch zwischen den Rollen von Mann und Frau; so schnell wird nicht immer zu erkennen sein, wer der Auslöser der Affäre ist, wer zieht und wer gezogen wird, wer stößt und wer gestoßen wird; nur wer fällt, das ist immer klar. Diese drei großen Romane sind auch darin einzigartig, dass sie bereits mit dem Titel ihre drei Heldinnen in den Mittelpunkt stellen. Warum eigentlich? Es geht auch anders, wie Tristan und Isolde, Don Juan oder Don Giovanni vorgeführt haben. Emma, Anna, Effi, immer schon weckten sie Interesse und Neugier, und vor allem auch Sympathie und Mitgefühl. Doch dem weiblichen Trio steht ein männliches Trio gegenüber – um genau zu sein: drei Trios. Denn zu den drei Ehemännern und den, wie man sehen wird, vier Liebhabern treten noch die drei Autoren, denn nie darf eines vergessen werden: Wir sprechen von Literatur, nicht von der alltäglichen Wirklichkeit, von Kunstfiguren, nicht von Menschen wie du und ich, und wie die Geschichten ausgehen, das liegt zum Beispiel weniger an Charles und Emma, als vielmehr an Gustave Flaubert. Deshalb werden an alle drei Bücher, an alle ihre Figuren und Handlungen zwei Fragen zu stellen sein: natürlich die nach der Realität, nach der Glaubwürdigkeit, nach der Wahrheit dessen, was da geschieht; und natürlich die nach dem Roman, nach der Literatur, nach der Kunst, die das Geschehen gestaltet.

Doch was sollte dem Leser ein Roman, würde er seine Figuren nicht auch betrachten wie lebendige Menschen?

4.

Literatur, das ist Produktion von Erinnerung, Wachhalten des Vergangenen. Doch man mache sich keine Illusionen, ein Teil des Vergangenen ist wirklich vergangen, selbst in den großen Werken. Jene Konflikte, die sechs der zehn beteiligten Personen: Emma und Charles Bovary, Anna Karenina und Alexej Graf Wronski, Effi Briest und den Major Crampas ihr Leben kosten, sind von der gesellschaftlichen Wirklichkeit her heute allertiefste Vergangenheit; niemand muss mehr Arsen schlukken, wenn er einen anderen Mann attraktiver findet, niemand wird ausgeschlossen und verachtet, weil seine Frau ihn verlässt, und dass eine Frau oder ein Mann zum dritten oder vierten Mal heiratet, ist längst Normalität und kein Skandal. Und ein Skandal ist weder im sogenannten wahren Leben noch in der wahren Literatur jene Sexualität, welche in den Romanen des neunzehnten Jahrhunderts zwar durchaus ihre große Rolle spielt, aber doch nur unter gerissenen und deshalb um so reizvolleren Vorsichtsmaßnahmen durch den Autor. Zuweilen braucht der nachgeborene Leser bereits gelehrte Hinweise, was denn nun so skandalös gewesen sein soll an dem einen oder anderen Ausritt, der einen oder anderen Kutsch- oder Schlittenpartie, dem einen oder anderen Blick auf einen entblößten Knöchel.

All das ist dahin, natürlich, und deshalb entsteht eine neue Frage: Wie kommt es, dass diese großen Romane trotzdem nichts verloren haben von ihrer Kraft und Faszination? Doch ganz gewiss nicht nur, weil man bei diesen Autoren erfährt, wie es früher einmal gewesen ist. Umgekehrt, offensichtlich enthält auch eine Geschichte, die mit vielen Einzelheiten in graue Vorzeit gehört, auch etwas, was selbst in der schönen neuen Welt der erotischen Freiheit noch gültig ist wie zuvor. Die Ausweitung der Kampfzone ein Jahrhundert nach Lew Tolstois Tod hat auch die Klassiker des Genres nicht unberührt gelassen.

Doch ein Roman aus lange zurückliegender Vergangenheit ist nur dann ein gegenwärtiges Kunstwerk, wenn er auch von unserer Sache spricht.

5.

Viel hat sich geändert, eines nicht: Noch immer ist das Leben als Paar ein gewünschtes Ideal, für das eine Alternative zwar gesucht, aber nicht gefunden wurde, und noch immer ist das Leben als Paar der Ort, wo Glück und Unglück am heftigsten miteinander kollidieren.

Davon erzählen die großen Romane.

ERSTER TEIL

Die halbe Wahrheit

Männer, Frauen, Männer

ERSTES KAPITEL

Schlechte Karten

Männer 1: Ehemänner

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Lenin

1.

So geht es zu, wenn es schön ist: Nach all der Wirrnis, Aufregung und Verzweiflung im Orchester unterbrechen irisierende Zweiunddreißigstel in den Harfen das accelerando – die große Tür springt auf, doch nein, nicht der Ehemann, der Frühling tritt herein, und bald schon vertreibt ein Wonnemond im zartem Violinenglanz die Winterstürme, überwältigt die Liebe mit hinzutretenden Bratschen und Celli, Oboe und Klarinette die schlechte Welt dort draußen, und als endlich das Pianissimo sich ins rauschhafte Forte steigert, sinken sich auch die Ehefrau und ihr Liebhaber brünstig in die Arme. »Der Vorhang fällt schnell« – fortissimo – »denn es ist hohe Zeit!«, wie der Hagestolz Schopenhauer in seinem Widmungsexemplar angewidert an den Rand schrieb. Der Ehemann schläft nebenan, seinerseits berauscht von jener »Würze«, die ihm die Gattin hineingetan hat in den abendlichen Wein.

Hans Pfitzner war ein bemerkenswerter Komponist, ein bemerkenswerter Dirigent und ein eingefleischter Anhänger Richard Wagners. Zudem war er eine schlechtgelaunte, zänkische Natur, stritt nicht nur mit seinen Feinden, sondern besonders gern mit seinen Freunden. Die Rechthaberei machte nicht einmal Halt vor seinem Abgott. Mag sein, stellte er bei der Inszenierung von Wagners Walküre fest, mag sein, dass all das sein musste im großen Erlösungstheater vom Ring des Nibelungen, all der Mord und all der Totschlag, die Not- und Unzucht und nun auch dieser Ehebruch samt dem im Nebenzimmer schlafenden Gatten Hunding. Denn wären Siegmund und Sieglinde nicht widerrechtlich zusammengekommen, wer hätte dann den Retter Siegfried geboren, um zum Finale die langersehnte Götterdämmerung ins Rollen zu bringen? Ja, es musste wohl sein. Eins aber musste nicht sein: Hundings Haarfarbe. Alle anderen Germanen waren nach Wagners Wünschen blond, Hunding als einziger schwarz. Wo Pfitzner recht hatte, hatte er recht. Hunding spielt die undankbarste Rolle; nicht nur kommt da einer und verführt ihm voller Lust und Leidenschaft und dann auch zu höheren Zwecken die Ehefrau, nicht nur geht ihm das unvermeidliche und bereits gewonnene Duell durch Wotans göttliches Eingreifen doch noch tödlich aus; nein, wo er den größtmöglichen Schaden hatte, da bekam er auch noch den Spott. Pfitzner war zwar Wagnerepigone, zugleich aber ein zutiefst ordentlicher und verheirateter Bürger des zwanzigsten Jahrhunderts. Wenn einer, so folgerte er, schon in allerhöchstem Auftrag seine bürgerliche Existenz nebst Frau und Leben einbüßt, dann soll man ihn für dieses Opfer nicht noch schmähen. Hunding hatte nichts verbrochen, war immerhin ein anständiger Ehemann gewesen und aufrechter Germane, und dass er dem postrevolutionären Erlösungsplan Wagners in die Quere kam, war nun weiß Gott nicht seine Schuld. So sollte man ihm wenigstens das Nötigste gönnen: Anerkennung, Respekt und blonde Haare. Der betrogene Ehemann ist kein Finsterling. Doch wer in die Noten schaut, der sieht, Pfitzners löblicher Einsatz war vergebens: Mochte er dem Sänger auch eine blonde Perücke überstülpen, die kratzige Tuba, das düstere c-Moll machen den Betrogenen zu einem, der zurecht betrogen wurde, ein widriger schwarzer Mann von allem Anfang an.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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