Vom Glück des poetischen Lebens - Wolfgang Matz - E-Book

Vom Glück des poetischen Lebens E-Book

Wolfgang Matz

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Beschreibung

Aus langer Vertrautheit mit Person und Werk erinnert Wolfgang Matz an drei große französischsprachige Dichter unserer Zeit. André du Bouchet, Yves Bonnefoy und Philippe Jaccottet waren die letzten einer großen Generation der französischen Lyrik – als Dichter ganz verschieden, doch freundschaftlich eng verbunden und in gleicher Intensität der wirklichen Welt, der Erfahrung jedes einzelnen Tages zugewandt. Untrennbar vom Bild dieser drei Dichter ist deshalb auch die südfranzösische Landschaft zwischen der Drôme und der Haute-Provence, die ihnen gemeinsam war, die ihr Werk prägt und die auch dank ihrer Dichtung ein Land der Poesie bleibt. Wolfgang Matz erinnert in seinem Essay aus langjähriger Vertrautheit als Leser und Übersetzer an drei einzigartige Dichter und ihr Werk, an die Fähigkeit der Poesie, auch das Leben desjenigen zu verändern, der mit ihr umgeht, an eine »Auffassung von Poesie«, nach der, in Philippe Jaccottets Worten, »die Arbeit des Schreibens und die Form des Lebens, die Art, wie man sich im Leben verhält, untrennbar miteinander verbunden sein müssen«.

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Wolfgang Matz

Vom Glück des poetischen Lebens

Erinnerung an André du Bouchet,Yves Bonnefoy und Philippe Jaccottet

Wallstein Verlag

Wolfgang Matz, geb. 1955, lebte von 1987 bis 1995 in Poitiers (Frankreich), wo er am Institut für deutsche Sprache und Literatur lehrte und als Literaturübersetzer tätig war; von 1995 bis 2020 arbeitete er als Verlagslektor in München. Als Übersetzer französischer Prosa und Lyrik wurde er gemeinsam mit Elisabeth Edl mit dem Paul Celan- und dem Petrarca-Preis ausgezeichnet.

Veröffentlichungen u. a.: 1857. Flaubert, Baudelaire, Stifter: Die Entdeckung der modernen Literatur (2021); Frankreich gegen Frankreich. Die Schriftsteller zwischen Literatur und Ideologie (2017); Adalbert Stifter oder Diese fürchterliche Wendung der Dinge (2016); Die Kunst des Ehebruchs. Emma, Anna, Effi und ihre Männer (2014); Eine Kugel im Leibe. Walter Benjamin und Rudolf Borchardt: Judentum und deutsche Poesie (2011).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Wallstein Verlag, Göttingen 2022

www.wallstein-verlag.de

Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf,

unter Verwendung eines Aquarells von Gérard de Palézieux

(1919-2012), Grignan, 22 juillet 1976

Aquarelle sur papier vélin, 125 × 240/287 × 382 mm (image/support)

Musée Jenisch Vevey – Cabinet cantonal des estampes,

Fondation William Cuendet & Atelier de Saint-Prex

© Musée Jenisch Vevey – Cabinet cantonal des estampes,

Fondation William Cuendet & Atelier de Saint-Prex

IBAN (Print) 978-3-8353-5155-4

IBAN (E-Book, pdf) 978-3-8353-4831-8

IBAN (E-Book, epub) 978-3-8353-4830-1

Inhalt

»Nur wahre Hände ...«

Durch einen QuittenbaumgartenErinnerung an André du Bouchet

Unter dem Himmel und zwischen den SteinenErinnerung an Yves Bonnefoy

Hier und jetzt, in der Dichte des RätselsErinnerung an Philippe Jaccottet

»Eine Annäherung an das Wirkliche ...«

Notiz

Nachweise

»Nur wahre Hände schreiben wahre Gedichte«, heißt es in einem Brief von Paul Celan: »Ich sehe keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Händedruck und Gedicht.« Dass die Poesie sich vom griechischen »poiesis« ableitet, vom Machen oder Schaffen, ist sicher korrekt, und doch ist Poesie nicht einfach nur Handwerk und nicht einmal nur Kunst. Philippe Jaccottet hat das ausgesprochen, als seine lebenslange »Auffassung von Poesie, nach der die Arbeit des Schreibens und die Form des Lebens, die Art, wie man sich im Leben verhält, untrennbar miteinander verbunden sein müssen«. War es das, was drei dennoch so unterschiedliche Dichter zusammengeführt hat? Und dann, mit allem Abstand, den viel Jüngeren zu ihnen, der zunächst nur jeden einzelnen las und gar nichts wusste von ihrer engen Bindung? Philippe Jaccottet und André du Bouchet begegnen sich 1948, du Bouchet und Yves Bonnefoy 1950, Jaccottet und Bonnefoy treffen einander 1953, in du Bouchets Pariser Wohnung. Nahe bleiben sie sich ein ganzes Leben lang im verbindenden Verständnis einer Poesie, die mehr hervorbringt als Bücher; die auch etwas verwirklichen soll wie ein poetisches Leben. Und das lässt sich fassen in einem Wort, für das es auf Deutsch keine eindeutige Entsprechung gibt: justesse. Angemessenheit, Richtigkeit, das Richtige, das Rechte, all das klingt mit und nicht zuletzt auch die Gerechtigkeit im Sinne eines gerechten Blicks auf jede gelebte Erfahrung, in der Arbeit an einem mot juste, einem richtigen, angemessenen, eben auch gerechten Wort, das diese Erfahrung aussprechen könnte, aussprechen in einem wahren Gedicht. 1966 gehören du Bouchet und Bonnefoy zu den Gründern von L’Éphémère; Celan, dessen Rede »Der Meridian« das erste Heft eröffnet, tritt 1968 in den Herausgeberkreis; Jaccottet ist dieser bedeutenden Zeitschrift aus der Ferne verbunden. In der programmatischen Ankündigung heißt es: »Am Ursprung von ›L’Éphémère‹ steht das Gefühl, es existiere eine Annäherung an das Wirkliche, für die das poetische Werk nichts ist als das Mittel. Mit anderen Worten: Man darf nicht dabei mitwirken, das Werk – Handeln, Überschreiten, Werden – zu reduzieren auf das Wesen eines Gegenstandes, in dem jenes Darüber-Hinaus verschwindet.« Die Begegnung mit den Dichtern und mit einem solchen Anspruch an die Poesie kann das Leben verändern, und sie verändert, wenn man versucht, ihren poetischen Werken in der eigenen Sprache eine neue Gestalt zu geben, ganz gewiss auch den Anspruch an das eigene Tun. Denn die Erinnerung sieht keinen prinzipiellen Unterschied mehr zwischen den Dichtern und ihrem Werk.

Durch einen QuittenbaumgartenErinnerung an André du Bouchet

Es ist bei einer Begegnung geblieben, die zweite, die bereits verabredet war, hat André du Bouchets Tod am 19. April 2001 verhindert. Davor und danach: Briefe, Telefongespräche, zwei Bücher nunmehr, die für uns mehr sind als nur Bücher. Und die unvergessliche Erinnerung an einen leuchtenden Nachmittag, an einen Mann von tiefer, ruhiger Herzlichkeit, an einen Ort, der an diesem Tag auch für uns etwas geworden ist wie einer der Orte der Poesie.

Lange Zeit hatte es nur den Dichter gegeben, diesen in Deutschland fast Unbekannten, und wenn jemand ihn dennoch kannte, dann durch Paul Celan, der 1968 einen einzigen Band von ihm übersetzt hat: Vakante Glut. Nur wenige wussten, dass er, umgekehrt, auch Paul Celan ins Französische übertrug, so wie 1967 die großen Hymnen für die von Philippe Jaccottet herausgegebene Hölderlin-Ausgabe in der Pléiade. Trotz Celans Vorstoß blieb André du Bouchet ein rätselhafter Dichter, mit seinen fragmentarischen Texten, in denen die Worte über die weiße Seite rollen wie Kieselsteine über den schroffen Abhang des Ventoux.

Der Berg,

     die vom Tag getrunkene Erde, ohne

  daß die Mauer sich regt.

     Der Berg

     wie ein Spalt im Atem

der Leib des Gletschers.

Die Wolken niedrig fliegend, die Straße streifend,

   das Papier illuminierend.

Ich spreche nicht eher als dieser Himmel,

                  der Riß,

                      gleich

  einem dem Atem rückerstatteten Haus.

Ich habe den Tag erschüttert gesehen, ohne daß die Mauer

                    sich wegrührt.

»Une montagne nous sépare« heißt der Essay, den Philippe Jaccottet 1983 über André du Bouchet und sein Werk geschrieben hat: Ein Gebirge trennt uns. Dieses Gebirge, die Montagne de la Lance, ein langgestreckter Höhenzug, der mit seinen flacher werdenden, gezackten Ausläufern den Horizont abschließt, liegt in der Frühe vor der kleinen Terrasse des Hauses, in dem wir seit einigen Jahren schon im Frühling logieren, wenn wir zu Besuch sind bei Philippe und Anne-Marie Jaccottet. Es ist Freitag, der 21. April 2000, und erst jetzt, beim Nachschauen im alten Notizbuch, springt der Zufall ins Auge, der ein Datum gewählt hat, das man leicht für eine symbolische Wahl des Schreibenden halten könnte. Nein, es ist wirklich der 21. April, ein strahlender, kühler Frühlingstag, drei Tage zuvor lag morgens, nach nächtlichem Regen, dort drüben auf dem Walfischbuckel der Lance ein glitzernder weißer Überzug, doch die Sonne hat ihn in wenigen Stunden fast ganz geschmolzen.

Diesmal war etwas Neues hinzugekommen zu dem regelmäßigen Besuch in Grignan. Einerseits waren wir in diesem Winter und Frühling wieder an der Übersetzung eines Bandes mit Prosa und Gedichten von Philippe Jaccottet, des Cahier de verdure