Die Kunst des Neuanfangs - Sarina Pfauth - E-Book

Die Kunst des Neuanfangs E-Book

Sarina Pfauth

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Beschreibung

Die Beziehung scheitert. Der Vermieter meldet Eigenbedarf an. Die Ärztin eröffnet uns eine unerwartete Diagnose. Wer kennt nicht solche Momente, in denen plötzlich vieles ins Wanken gerät? Wie macht man dann weiter? Können wir erwarten, dass da noch was kommt? In diesem Buch erzählen Menschen von einem Umbruch im Leben und ihrer Sehnsucht nach Veränderung. Woher sie den Mut genommen haben, neue Wege einzuschlagen. Wie Altes im Neuen zu leuchten beginnt – und welche Rolle der christliche Glaube dabei spielen kann. Markus lässt mit seiner Familie den Alltag in München hinter sich, um eine ungewöhnliche Geschäftsidee auf Hawaii umzusetzen. Sara ist chronisch krank und kommt dadurch dem Leben auf die Spur, das sie wirklich leben will. Alina erzählt, wie sie als Höhlenforscherin in dunkle Tiefen absteigt und wie es sich anfühlt, einen bislang unbekannten Ort zu betreten.  Diese und weitere persönliche Erfahrungen werden flankiert von Interviews mit Expert*innen. Sie erklären, wie man gute Entscheidungen trifft und machen neugierig auf das, was noch kommen könnte. Dieses Buch ermutigt dazu, das Leben in die Hand zu nehmen und neue Freiheit zu gewinnen! 

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Seitenzahl: 222

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Sarina Pfauth / Debora Kuder

Die Kunst des Neuanfangs

Über den Mut, andere Wege zu gehen

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Wer kennt es nicht, das Gefühl: Wars das jetzt? Oder kommt da noch was? Und wie kommen wir dem Leben auf die Spur, das wir wirklich leben wollen?

In diesem Buch erzählen Menschen von Momenten, in denen ihr Leben ins Wanken geriet, von Umbrüchen und ihrer Sehnsucht nach Veränderung. Woher sie den Mut genommen haben, neue Wege einzuschlagen. Wie Altes im Neuen zu leuchten beginnt – und welche Rolle der christliche Glaube dabei spielen kann.

Die persönlichen Erfahrungen werden flankiert von Interviews mit Expertinnen und Experten. Sie erklären, wie man gute Entscheidungen trifft, und machen neugierig auf das, was noch werden könnte. Eine Ermutigung, das Leben in die Hand zu nehmen und neue Freiheit zu gewinnen!

Inhaltsübersicht

Ein Anfang

Wie es ist, weit weg ein neues Leben aufzubauen

Was wir in der Tiefe über uns lernen können

Wie werden wir zu Helden unseres eigenen Lebens?

Wie man in einem Leben zurechtkommt, das man sich nicht ausgesucht hat

Wie eine neue Leidenschaft den Alltag bereichert

Wie können wir uns verändern?

Wie wir es schaffen, trotzdem den nächsten Schritt zu gehen

Warum es nie zu spät ist

Wie finde ich heraus, was ich will?

Wenn eine Diagnose das Leben neu sortiert

Wie hilft uns das Alte fürs Neue?

Vom Aufbrechen und Heimat finden

Wie es ist, der Liebe eine neue Chance zu geben

Das ist noch nicht das Ende

Literaturverzeichnis

Ein Anfang

Ein lauer Sommerabend, Lampions in den Zweigen des großen Nussbaums. Die langen Tische sind mit Blumen geschmückt, Kinder rennen barfuß über die Wiese, der Brautvater heißt den Schwiegersohn in der Familie willkommen. Ein kitschig schöner Start in die Ehe. Aber auch einer, in dem ein Schmerz mitschwingt: Denn unter den Gästen ist auch die Familie vom verstorbenen Mann der Braut und dem Vater ihrer drei Söhne.

Als Sebastian, der Mann unserer besten Freundin Mirjam, mit 42 an Krebs starb, waren wir fassungslos. Wir empfanden es als eine Zumutung, dass sich die Welt einfach weiterdreht, obwohl das passiert war. Ein Leben ging zu Ende.

Das von Mirjam und ihren Kindern ging aber weiter, und Mirjam empfindet es noch jetzt als eine große Verantwortung, die Zeit, die ihr auf dieser Welt geschenkt ist, auch zu nutzen und das Leben zu leben, mit allen Höhen und Tiefen. Sebastian hätte so gerne noch weitergelebt – sie darf es.

Nun hat Mirjam wieder geheiratet. Dieses Fest war für uns ein sichtbares Zeichen dafür, dass eine Geschichte weitergehen kann, auch wenn die Situation ausweglos erscheint. Es ist möglich, dass nochmal etwas Neues beginnt. Es ist ein neuer Anfang, aber keiner ohne Geschichte. Denn ein neues Kapitel im Leben fängt nie ganz neu an. Man bringt immer schon was mit, zumindest sich selbst, seine Geschichte.

In diesem Buch wollen wir über neue Anfänge nachdenken. Hier erzählen Menschen von Umbrüchen und von allem, was damit verbunden ist: vom Mut, den es braucht, von der Angst, die zurückhält, von der Sehnsucht, die zieht. Vom Preis, den sie bereit sind, für Veränderung zu zahlen.

Die Sehnsucht danach, in einem oder vielen Lebensbereichen etwas zu ändern, kennt fast jeder von uns. Und auch die tausend Gründe, die uns daran hindern. Wir wollen in diesem Buch keine Anleitung geben für die nächsten Schritte der Karriereplanung oder die besten Tipps für einen Umzug. Wir wollen Menschen Raum geben, ihre Erfahrungen mit neuen Anfängen hier zu teilen, und hoffen, dass auch Sie, liebe Leser*innen, Inspiration für ihr eigenes Leben daraus schöpfen können. Denn wir glauben: Geschichten haben große Kraft. Weil sie uns auf einer anderen Ebene erreichen können als die Checklisten auf den hinteren Seiten im klassischen Ratgeber. Tipps sind toll. Aber die Komplexität des Lebens können solche Methoden (noch) nicht erfassen. Menschen, Probleme und Lebensgeschichten sind vielschichtig, facettenreich, durcheinander und oft nicht logisch.

Klingt ein Neuanfang nun eher verlockend oder bedrohlich? Für die meisten von uns ist es beides, mit Hang zur einen oder anderen Seite. Ich, Sarina, kann mich noch gut an den ersten positiven Schwangerschaftstest erinnern. Und wie ich dann im Bett lag und dachte: Mein Leben ist vorbei, also das Leben, wie es bis jetzt war. Ein Leben, das ich eigentlich sehr gern mochte. Das Baby war geplant, gewünscht, und Mutter sein, Familie leben, ist bis heute eine überwältigende, glückliche, wunderbare Erfahrung. Aber so wie vorher wurde es tatsächlich nie mehr.

Ich, Debora, dachte immer von mir, dass mir Veränderung und Neuanfänge eigentlich nicht schwerfallen. Trotzdem kündigte ich vor ein paar Jahren erst den Job, als der Leidensdruck so groß wurde, dass es gar nicht mehr anders ging. Warum nicht schon vorher? Warum nicht mutiger, freier, selbstbestimmter? Im Rückblick wundere ich mich selbst über die Zukunftsängste, die mich damals fest im Griff hatten. Über die Tatsache, dass es mir so schwerfiel, das Gewohnte loszulassen und mich auf Ungewissheit einzulassen, obwohl doch schon so viel im Umbruch war. Ich brauchte erst einen gewaltigen Tritt in den Hintern, bevor ich meine Komfortzone freiwillig verließ.

 

Zum neu Anfangen gehört untrennbar auch das Abschiednehmen. Mehr als der Hälfte der Deutschen fällt es schwer, den Job aufzugeben oder sich aus vergangenen Beziehungen zu lösen1. Jeder Dritte findet es sogar schwierig, sich von alten Klamotten zu trennen. Woher weiß man denn überhaupt, ob es Zeit zum Loslassen oder zum Festhalten und Durchhalten ist? Auch das ist Thema dieses Buches.

Wir beleuchten das Thema Neuanfang von allen Seiten, nehmen ungewohnte Perspektiven ein, hören Geschichten von Menschen, die ganz anders sind und ganz anders leben als wir. Manche Texte haben erst auf den zweiten Blick mit einem neuen Anfang zu tun, aber sie machen unsere Wahrnehmung, was zu einem Neustart gehört, vollständiger und nehmen Aspekte auf, die sonst vielleicht unter den Tisch fallen.

Zunächst fragen wir uns aber, wo überhaupt das Problem liegt. Denn jeder von uns ist eigentlich ganz geübt in neuen Anfängen. Anfangen und enden, so schreibt der Philosoph Romano Guardini, seien Grundkräfte, aus denen das Leben hervorgehe und von denen es grundgängig geprägt sei. »Aufwachen: etwas beginnt. Mit jedem Erwachen beginnt etwas Neues. Ein Tag, der noch nie war. Der war noch nie und wird nie wiederkommen. Ist anders als alle anderen und durch keinen zu ersetzen. Die Kraft des Beginnens ist wirksam geworden. Ein Anfang hat sich vollzogen.« Das Leben, so Guardini, ist immerfort gegliedert durch neue Anfänge.

Und doch fühlt es sich nicht immer so an. Der Alltag fühlt sich manchmal zäh und gleichförmig an, und Verantwortungen, äußere und innere Zwänge und Gegebenheiten halten uns in einer Position fest wie ein Spinnennetz die Fliege. Wie kommt man da wieder raus?

Der spanische Lyriker Antonio Machado dichtete Anfang des 20. Jahrhunderts: »Caminante, no hay camino, se hace camino al andar.« Wanderer, es gibt keinen Weg, der Weg entsteht im Gehen. Darüber, ob diese Sichtweise stimmt, gibt es unterschiedliche Meinungen. Der Benediktinermönch Anselm Grün stellt mit Blick auf seine Beratungsgespräche eher fest, dass es nicht allein genügt, sich in irgendeine Richtung zu bewegen. »Immer mehr Menschen leiden an einer (…) Orientierungslosigkeit. Sie sind auf einem Weg. Aber sie wissen gar nicht, ob sie ihn wirklich gehen möchten.« So, wie es ist, funktioniert es nicht mehr, aber wie dann? Diese Frage kennen tatsächlich viele von uns. Grüns Empfehlung ist, nach dem Sinn des eigenen Lebens zu suchen und dadurch ein Ziel zu finden, wo die Reise hingehen soll. Dieser Sinn besteht seiner Auffassung nach darin, »dass ich das einmalige Leben, das Gott mir geschenkt hat, auch lebe, dass ich meine persönliche Lebensspur in die Welt eingrabe«. Es gehe dabei nicht in erster Linie um Leistung, sondern um Stimmigkeit.

Nun, auch das hört sich nach einer Weisheit an, die gar nicht so einfach umzusetzen ist. Wie um alles in der Welt findet man ein Leben, das sich stimmig anfühlt? Ein uneingeschränkt funktionierendes Rezept dafür gibt es wohl nicht, aber in diesem Buch erzählen Menschen, wie sie ihren Lebensweg gefunden haben oder ihm zumindest nähergekommen sind.

Mit manchen Geschichten können wir spontan etwas anfangen. Bei anderen merken wir: Diese Art zu denken ist uns fremd und geht uns vielleicht sogar gegen den Strich. Aber genau darin liegt für uns die Schönheit der Geschichten. Denn vielleicht finden wir gerade in der Andersartigkeit Dinge anzugehen einen Ansatz, der uns persönlich weiterbringt.

Für einige unserer Gesprächspartner*innen spielt der christliche Glaube eine wichtige Rolle. Vielleicht ist Ihnen das eher fremd. Wir hoffen, dass Sie dem Glauben der anderen dennoch mit Neugier begegnen. Dass greifbar wird, wie der Bezug auf Gott einigen unserer Gesprächspartner*innen Halt und eine Orientierung im Leben gibt und Mut, um etwas Neues zu wagen. Andere bringen diese Kraft zum Neubeginn aus sich selbst heraus auf oder haben andere Bezüge. Nach solchen inneren Quellen wollen wir suchen.

Dieses Buch macht Lust darauf, das Leben in die Hand zu nehmen, um neue Freiheit zu gewinnen. Noch etwas zu erwarten und wieder zu träumen. Wir würden uns freuen, wenn Sie sich mit uns auf die Suche machen und am Ende eine Idee davon haben, wie Neues in Ihrem Leben wachsen könnte.

 

Sarina Pfauth & Debora Kuder

Wie es ist, weit weg ein neues Leben aufzubauen

Morgens halb neun auf Big Island. Markus Stolz sitzt entspannt auf dem Sofa. Die Kinder sind in der Schule, im Hintergrund arbeitet seine Frau Marie, eine Katze schleicht ab und zu durch den Raum. Es ist ein ruhiger Morgen. Nur eine Mücke nervt zwischendurch. »Warte mal«, sagt Markus, und klatscht entschlossen auf seinen Arm. Erwischt. So schwer war es aber auch nicht: »Die Mücken sind ein bisschen träge, wie alle hier«, schmunzelt er.

Knapp fünf Jahre ist es her, seit Markus mit seiner Frau und ihren drei Kindern nach Hawaii ausgewandert ist. Türkises Meer, warmer Regen, Ukulelen und Blumenketten – Hawaii weckt sofort positive Emotionen. Aber während ein Leben unter Palmen für die allermeisten nur ein Wunschtraum bleibt, hat Markus Stolz Nägel mit Köpfen gemacht. Wie wurde aus einer verrückten Idee ein konkreter Plan? Und hat sich alles gelohnt? Markus blickt zurück.

November 2017

Es ist ein kalter Tag in München. Ich sitze mit dem Laptop auf dem Bett und möchte mich ein bisschen aufwärmen. Palmen, Sonne, Strand. Schöne, warme Bilder. Ich suche nach Häusern auf Hawaii. Meine Frau Marie und ich haben dort unsere Flitterwochen verbracht. Hawaii ist schon lange ein Sehnsuchtsort für mich: Ich bin in Japan geboren und aufgewachsen. Hawaii ist für viele Japaner ein beliebtes Urlaubsziel. Ich stelle zunächst fest, dass die einfachsten Hütten auf Hawaii im Verhältnis zu Deutschland recht günstig sind. Danach sehe ich mir die teuersten Grundstücke an. Ich spiele ein bisschen mit den Suchfiltern hin und her, und auf einmal ist die Frage ganz real: Wie wäre es eigentlich, auf Hawaii zu wohnen? Ich spreche mit Marie darüber. Erstaunlicherweise ermutigt sie mich dazu, weiterzugehen und zu prüfen, ob die Idee überhaupt realisierbar wäre.

Jahrelang war ich als Manager in der Automobilindustrie tätig. Dann haben wir drei Kinder bekommen – erst eine Tochter und ein Jahr und drei Monate später Zwillinge. In der Baby- und Kleinkindphase haben wir uns mit einem Online-Delikatessenhandel selbstständig gemacht. Wir wohnen in einer Eigentumswohnung mit Blick über München, die sich einigermaßen lukrativ verkaufen lassen dürfte. Nächstes Jahr kommt unsere Tochter in die Grundschule. Wenn Ortswechsel und Veränderung, dann jetzt, denke ich.

Ich habe ein Objekt auf der Hügelseite von Big Island entdeckt, das mich begeistert. Haus, Grundstück mit Palmen und tropischen Pflanzen, Pool, Gewächshaus. Die Immobilien im Süden der Insel sind zwar oft um die Hälfte günstiger, aber inzwischen weiß ich, wo die Gefahrenzonen auf der Insel liegen. Deswegen habe ich mich bald auf den Norden der Insel eingeschossen, wo seit fünftausend Jahren keine Lava mehr geflossen ist.

Dezember 2017

Vor zwei Wochen habe ich im Internet spontan nach Deutschen auf Big Island gesucht. Dabei habe ich nur einen Treffer erzielt. Ein Immobilienmakler. Vor ein paar Tagen musste ich nochmal an ihn denken. Ich frage mich, ob das ein Impuls von Gott gewesen sein könnte. Also mailte ich ihn an. Eine Stunde später schrieb er mir zurück, er sei gerade in München. Heute haben wir uns getroffen. Es war ein schöner, persönlicher Austausch: Er und seine Frau sind wie wir Eltern von Zwillingen. Und er hat mir einige wichtige Informationen weitergegeben. Zum Beispiel, dass in den USA meistens sowohl Käufer als auch Verkäufer einen Makler haben. Bezahlt werden die aber vom Verkäufer. Er ist ab sofort mein Makler und wird die Preisverhandlungen für mich in Gang setzen.

Parallel beschäftige ich mich mit dem Thema Visum. Man kann ja nicht einfach so in die USA einwandern. Vor allem dann nicht, wenn man – wie wir – nicht von einem Unternehmen dafür rekrutiert wird. Der einzige Weg für uns ist ein Investorenvisum. Zunächst geht es darum, sich selbst finanzieren zu können. Als Nächstes wäre es sinnvoll, ein paar Arbeitsplätze zu schaffen. Wir brauchen also eine Geschäftsidee.

Es dauert nicht lange, bis sie mir einfällt: Hawaiianischer Baumkuchen. Baumkuchen kenne ich aus Japan. Nachdem er vor etwa hundert Jahren durch einen deutschen Konditor dorthin kam, ist er mittlerweile eine der beliebtesten Gebäcksorten in Japan. Es gibt ihn in den verschiedensten Geschmacksrichtungen, und er ist auch ein wunderbares Mitbringsel. Weich, saftig und weniger süß als der deutsche Baumkuchen schmeckt er.

Meine Geschäftsidee ist relativ simpel: Nach Hawaii kommen viele japanische Touristen. Japaner lieben Baumkuchen. Und wenn wir es schaffen, einen hawaiianischen Baumkuchen auf japanische Art zu machen und es keine entsprechende Konkurrenz gibt, wird das ein Knaller. Ich bin mir sicher, dass das funktionieren kann. Natürlich ist so ein Schritt mit einem hohen Risiko verbunden. Man kann viel verlieren und viel gewinnen, wie immer. Viele Geschäftsideen erübrigen sich ja schon auf halbem Weg. Aber von dieser Sache bin ich überzeugt.

Januar 2018

In den vergangenen Tagen haben sich neue Türen geöffnet. Bekannte von uns können sich vorstellen, uns bei der Verwaltung unseres bisherigen Online-Handels zu unterstützen. Das macht uns Mut, in Richtung Hawaii weiterzudenken. Und der Immobilienmakler hat sich vor Ort ein Bild machen können: Grundstück und Haus sind in ziemlich gutem Zustand. Genau so, wie es auf den Fotos aussieht. Auch das ermutigt uns dazu, die nächsten Schritte zu gehen.

März 2018

Mittlerweile haben wir einigen Freunden und Verwandten von der Idee auszuwandern erzählt. Dass wir konkret über eine so radikale Veränderung unseres Lebens nachdenken, kommt nicht bei allen gut an. Wir wundern uns, wie drastisch einige auf unsere Überlegung reagieren. Einige Bekannte hätten wir ganz anders eingeschätzt. Wir stellen fest, wie schwierig es für manche ist, Veränderung zuzulassen – selbst wenn es nur ihr Gegenüber betrifft. Aber wahrscheinlich sind solche Reaktionen normal, wenn jemand etwas Neues, Verrücktes anfangen möchte. Natürlich kann unsere Entscheidung auch Nachteile mit sich bringen. Ich sehe aber auch viele Vorteile. Unsere Kinder werden ohne Englischkenntnisse direkt ins kalte Wasser geworfen werden, aber wir glauben, dass sie das gut schaffen. Und egal, wie schlecht ihre Schule auf Hawaii wäre, sie würden auf jeden Fall eine neue Fremdsprache lernen und nach einer Weile fließend Englisch können. Es kann also nicht viel schiefgehen, finde ich.

April 2018

Seit Wochen leben wir so, als ob wir unsere Zelte in Deutschland abbrechen würden, ohne zu wissen, ob es dazu kommen wird. Denn noch wissen wir nicht, ob wir ein Visum erhalten. Der Antrag läuft, und wir warten auf eine Einladung zum Interview im US-Konsulat in Frankfurt. Wir haben den Antrag ohne Hilfe eines Anwalts gestellt. Haben wir alles richtig gemacht?

Alle Pässe sind bereit, wir misten grundlegend aus und erstellen Listen, was wir bei einem Umzug nach Hawaii nicht mitnehmen würden: elektrische Geräte, unser großes Sofa, Skier. Unser Gebet ist, dass Gott uns durch die Entscheidung des Konsulats seinen Willen für unsere Zukunft zeigt.

Anfang Juni 2018

Jetzt müssen wir das auf Hawaii gefundene Grundstück mit Haus endgültig kaufen oder absagen. Alle Fristen sind abgelaufen. Wir haben Angst. Was, wenn wir ein Haus auf Hawaii haben und kein Visum dazu? Wir kaufen. Damit ist all unsere finanzielle Liquidität verschwunden. Ab jetzt ist es für uns mehr als eilig, unsere Wohnung in München zu verkaufen, und zwar zu einem möglichst guten Preis. Wir verbringen ein Wochenende mit unserer Kirchengemeinde und beschäftigen uns mit dem Gebet des Jabez: »Segne mich und erweitere mein Gebiet!«, heißt es darin. Das Gebet ermutigt uns, hoffnungsvoll weiterzugehen.

Ende Juni 2018

Wir bekommen das beantragte Visum und atmen auf. Jetzt müssen wir uns beeilen. Unser Wunsch ist es, zum Schulbeginn Anfang August in unserem neuen Haus zu wohnen. Damit unsere Kinder nicht mitten im Schuljahr zu ihren Klassen dazustoßen müssen, sondern von Anfang an dabei sind.

Ende Juli 2018

Über England, Island und Los Angeles sind wir auf Big Island angekommen. Uns war wichtig, noch bei Tageslicht in unserem neuen Zuhause einzutreffen. Grundstück und Haus sind wunderschön, aber hier scheint eine Weile nicht mehr geputzt worden zu sein. Im Haus finden wir Dreck und Ungeziefer. Nachdem wir bereits unsere Wohnung in München grundgereinigt hatten, bleibt uns das leider auch hier nicht erspart. Die Vorbesitzer haben einige Möbel und Utensilien im Haus zurückgelassen. Ich hatte darum gebeten, dass beim Verkauf alles drinbleibt, damit wir für die ersten Wochen, bis unsere Möbel auf dem Schiffsweg bei uns ankommen, schon ein paar Einrichtungsgegenstände und Inventar zur Verfügung haben. Segen und Fluch gleichzeitig. Wir empfinden vieles von dem, was im Haus ist, als ekelhaft. Aber eine wunderbar funktionsfähige Waschmaschine ist da. Als Erstes putzen wir das Schlafzimmer, und unsere Kinder schlafen zu dritt im großen Bett, bis ihre eigenen Betten Wochen später bei uns ankommen.

In den ersten Tagen haben wir viel Organisatorisches zu regeln. Eine Woche nach unserer Ankunft fängt für die Kinder der Alltag an: Unsere Tochter kommt in die erste Klasse, und die Zwillinge gehen in die Vorschule. Wir alle werden sehr gut aufgenommen, knüpfen erste Kontakte mit den Nachbarn und erleben, dass der Aloha-Spirit unter den Einheimischen wirklich lebendig ist, und freuen uns, dass unsere Kinder in so einem schönen Umfeld aufwachsen können.

August 2018

Der August ist für uns eine ziemliche Herausforderung. Gleich zu Anfang erleben wir zwei kleinere Erdbeben, gefolgt von einem heftigen Gewitter und ein paar Tage später einem tropischen Jahrhundert-Wirbelsturm namens »Lane«: Innerhalb von ein paar Tagen kommt etwa ein Meter vierzig an Niederschlag pro Quadratmeter herunter. Das ist weit mehr als die gesamte Jahresmenge an Regen in München. Straßen sind wegen Erdrutschen und Überschwemmungen gesperrt, Häuser sind überflutet, alle Schulen geschlossen – absoluter Ausnahmezustand. Wir sitzen hier mit feuchten Wänden und haben Angst, dass unser Haus auch abrutschen könnte, während in Deutschland richtig tolles Wetter ist. Das ist einer der Willkommensgrüße, bei denen wir uns fragen, wo wir hier eigentlich gelandet sind.

In der zweiten Woche komme ich gleich zweimal mit einem allergischen Schock in die Notaufnahme. Beide Male passierte es nach einem Rundgang durchs Unterholz unseres Grundstücks. Wir sind unsicher: Gibt es hier vielleicht Pflanzen, auf die ich so heftig reagiere? Sind wir in einem Umfeld gelandet, das mein Körper gar nicht verträgt? Erst später wird uns klar, dass ich allergisch auf das Mückenschutzmittel reagiere.

Die ersten Wochen laufen also nicht so paradiesisch, wie wir uns das vorgestellt hatten. Apropos paradiesisch: Noch in München hatten wir eine Firma für Salzhandel erworben – Paradise Sea Salt. Hawaiianisches Gewürzsalz mit verschiedenen Geschmacksrichtungen. Damit fangen wir an.

September 2018

Die Jungs haben sich prima in der Vorschule eingelebt. Und unsere Tochter kommt sehr gut in der Schule klar, aber manchmal fühlt sie sich überfordert. Dann möchte sie nicht zur Schule gehen. Dabei wissen wir, wie leicht ihr die Schule in Deutschland gefallen wäre. Gleichzeitig merken wir, dass sie jetzt schon super mitkommt und vermutlich in wenigen Monaten über den Berg sein wird. Bis dahin unterstützen wir sie, so gut wir können.

Anfang Oktober 2018

Nach zehn Wochen kommt endlich der Container mit unseren Möbeln an! Wir freuen uns, alle wieder in einem richtigen Bett schlafen zu können. Allein der Anblick des gefüllten Besteckkastens löst bei Marie Glücksgefühle aus. Etwas Gutes hatte die Verzögerung aber auch: In der letzten Zeit haben wir viel dazugelernt, wie wir in diesem feuchten Klima am besten Dinge lagern können. Medikamente einfach in der Schublade zu lagern, geht zum Beispiel gar nicht – ein Paradies für Kakerlaken! Papier in Bodenhöhe wird wellig und muss weiter oben verstaut werden. Auch die anfangs geplante Zimmerverteilung haben wir nochmal verändert.

Mit der Baumkuchenproduktion können wir noch nicht loslegen. Dafür müssen wir zuerst die Garage zu einer Bäckerei umfunktionieren. Aber um eine Gewerbeküche in Betrieb nehmen zu können, sind viele Genehmigungen nötig. Daran arbeiten wir. Außerdem sind wir finanziell noch nicht in der Lage, die Garage umzubauen, da unsere Wohnung in München noch nicht verkauft ist.

Januar 2019

Wir sind finanziell am Ersticken. Ein paar Zahlungen hatten wir auf den Januar geschoben, und unsere Wohnung in München ist immer noch nicht verkauft. Das hatten wir so nicht geplant. Jetzt steht eine Steuernachzahlung an sowie aufgeschobene Zinszahlungen. Wo es möglich ist, schieben wir Zahlungen weiter auf, außerdem kündigen wir eine Lebensversicherung. Mein Onkel kommt zu Besuch. Er hört von unserer finanziellen Notlage und leiht uns zinslos den Betrag, den wir zusätzlich brauchen. Wir hangeln uns von Monat zu Monat. Wir besitzen sozusagen zwei Schlösser, aber können kaum unser täglich Brot bezahlen.

September 2019

Inzwischen sind wir seit über einem Jahr auf Big Island und merken, wie viel leichter uns das zweite Jahr fällt. Die gleichen Blumen, die bei unserer Ankunft geblüht haben, blühen auch jetzt wieder. Die Schule geht wieder los, und den Schulanfang unserer Jungs, selbstverständlich mit selbst gebastelten Schultüten, empfinden wir im Vergleich zum Kaltstart im vergangenen Jahr als Klacks. Vieles, was letztes Jahr richtig ungemütlich war – Regen, Mücken, Spinnen –, gibt es dieses Jahr wesentlich weniger. Wir fragen uns, ob wir am Anfang wirklich erschwerte Umstände hatten oder ob wir die Dinge jetzt nur anders wahrnehmen.

Die Wohnung in München ist endlich verkauft. Es war viel mühsamer, als wir es uns vorgestellt hatten, und finanziell ist auch nicht so viel übrig geblieben, wie wir gehofft hatten. Hätten wir das gewusst, hätten wir den Umzug nach Hawaii nie gewagt. Glücklicherweise wussten wir es aber nicht, und so sind wir nun in Hawaii, und das Geld vom Verkauf hat genau gereicht, um alle unsere Schulden und den Bau der Gewerbeküche zu bezahlen und eine Baumkuchenmaschine zu kaufen. Eine sehr schwere Last fällt von unseren Schultern. »Dein Wille geschehe« ist ein Gebet, das wir in den vergangenen Monaten oft gesprochen haben.

Februar 2020

Unser Jahr fing mit vielen Aufträgen, neuen Kontakten und Besuchen von Freunden und Verwandten an. Diese Woche erhielten wir die Genehmigung dafür, eine Gewerbeküche in unserer Garage einbauen zu können. Dafür sind wir sehr dankbar. Die Baumkuchenmaschine wird in zwei Wochen von Japan aus verschifft. All das sind wichtige Schritte, um unseren Businessplan verwirklichen zu können. Marie träumt davon, auf unserem Grundstück ein kleines Wochenend-Café zu betreiben. Und wir fragen uns, ob wir schon in ein paar Monaten Baumkuchen verkaufen werden. Unser Grundgefühl hat sich in den anderthalb Jahren, die wir auf Hawaii leben, verändert. Wir freuen uns darüber, endlich wieder stabiler durchs Leben zu gehen.

April 2020

Anfang März feiern wir den siebten Geburtstag unserer Zwillinge mit Freunden und Nachbarn. Und kurz darauf ist mit einem Schlag alles anders: Hawaii hat als erster Staat der USA den Lockdown verordnet. Für uns bedeutet das: keine Besuche und vor allem keine Bestellungen mehr. Unsere Gewürzsalze werden ja hauptsächlich von Touristen als Mitbringsel gekauft. Aber die werden für die nächsten Monate ausbleiben: Hotels bleiben zu, öffentliche Orte und sogar Strände sind gesperrt, Homeschooling, Maskenpflicht. Die harten Maßnahmen hängen auch mit der hawaiianischen Kultur zusammen, in der der Schutz der Familie einen besonderen Stellenwert hat. Und sie stehen im Zusammenhang mit der traumatischen Vergangenheit der Ureinwohner Hawaiis: Fast 90 Prozent von ihnen starben mit der Ankunft europäischer Einwanderer an eingeschleppten Krankheiten. Dadurch ist man bis heute besonders vorsichtig. Anfangs sind wir noch ruhig und abwartend. Aber inzwischen beunruhigt uns die Frage, wie und ob wir jemals wieder Geld mit unserer Geschäftsidee verdienen werden.

Mai 2020

»In Hawaii finden die Katzen dich und nicht du sie!« Diese Worte unseres Nachbarn erfüllen sich für uns nach zwei Jahren. Die Katzen Samson und Delila gehörten eigentlich einer älteren Dame, die krankheitsbedingt aufs Festland umziehen musste. Anfangs haben sich noch Verwandte um sie gekümmert, dann fanden sie den Weg auf unser Grundstück. Schließlich fragte Marie, ob sie bei uns bleiben dürfen. Seitdem gehören sie zu uns und werden von unseren Kindern heiß geliebt.

Mitten in den Lockdown hinein haben wir noch ein weiteres Geschenk bekommen: Glasfaser-Internet – dank eines Projekts zur Förderung ländlicher Regionen. Seitdem ist unser Internet zuverlässig, stabil und kostet auch noch weniger. Dafür sind wir sehr dankbar. Der Distanzunterricht wäre sonst schwer möglich und unbezahlbar für uns gewesen.

Oktober 2020

In den Sommerferien wollten wir eigentlich nach Deutschland fliegen. Stattdessen besichtigten wir einige Highlights von Big Island – ohne den üblichen Touristenansturm. Die letzten Monate haben wir dazu genutzt, unsere ersten Baumkuchen zu backen. Weder Marie noch ich haben eine Bäcker- oder Konditoren-Ausbildung. Aber wir wissen, wie unser Baumkuchen schmecken soll. Es macht viel Spaß, unsere eigene Rezeptur zu entwickeln. Natürlich hängt die Menge der Zutaten auch davon ab, wie das Klima vor Ort ist. Das bedeutet viele Extra-Schleifen für uns, bis wir Ergebnisse haben, mit denen wir wirklich zufrieden sind.

Für die Baumkuchenproduktion werden mehrere Walzen mit Stielen, die sich um die eigene Achse drehen, abwechselnd in den Teig getaucht und dann Schicht für Schicht gebacken. Wir lösen die Rollen anschließend vorsichtig vom Stiel, schneiden den Kuchen in Scheiben und verpacken ihn. So ist er monatelang haltbar.

Mit seinen perfekten Jahresringen symbolisiert der Baumkuchen in Japan Harmonie und Wohlstand für das kommende Jahr. Davon träumen wir alle. In der Realität sieht es anders aus. Da hat unser Leben, wie bei einem echten Baum, unregelmäßige Jahresringe: Die aus den guten Jahren sind breit, die aus den schwierigen Zeiten schmal und verkümmert. In den vergangenen Jahren haben wir verstanden, wie wichtig es ist, zu unseren Wurzeln und unserer Mitte zurückzukommen. Zu wissen, dass Gott uns geschaffen hat und uns liebt.

Dezember 2020

Seit Thanksgiving öffnen die großen Hotels langsam wieder. Außerdem ziehen momentan wieder mehr Leute auf die Insel, die von Hawaii aus im Homeoffice arbeiten möchten. Diese Entwicklungen machen uns Hoffnung.

Frühjahr 2021

Aus der Dauerbaustelle, die unsere Garage in den vergangenen Wochen war, ist nun das Herzstück unserer Firma geworden: Hier produzieren wir das Gewürzsalz, backen Baumkuchen, verpacken und lagern ihn. Vier Sorten mit typisch hawaiianischen Zutaten produzieren wir mittlerweile: Mango, Hawaiianischer Kaffee, Macadamia und Ananas. Inzwischen haben wir zwei Mitarbeiterinnen in Teilzeit angestellt, die uns in der Küche, beim Verpacken und bei der Auslieferung unterstützen, weil unser Geschäft wächst.