Die Kunst, sich zu verändern - Harald Koisser - E-Book

Die Kunst, sich zu verändern E-Book

Harald Koisser

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Beschreibung

Lebensstil und Gewohnheiten sind kein Schicksal. Sie sind selbst gewählt. Und sie lassen sich verändern. Harald Koisser zeigt, wie es geht. Denn Veränderung ist eine Kunst, die jeder beherrschen kann. Er nimmt die LeserInnen bei der Hand, geht mit ihnen den "direkten Umweg zum Ziel" und führt sie durch die Tore der Veränderung – etwa das Tor der Stille, das Tor der Liebe, das Tor der Spiritualität. Zu jedem Kapitel gibt es Übungen, die den Blick auf die Welt verändern, neue Perspektiven eröffnen, Lebenslust, Begeisterung und Freude wecken. So lässt sich ein Zukunftsbild des Lebens entwerfen, das all das enthält, was bisher nur Wunschtraum war. Die wichtigsten Schritte auf dem Weg zur Veränderung: Visionen zulassen – Werthaltungen hinterfragen – Vergangenes hinter sich lassen – eingefahrene Gewohnheiten über Bord werfen – Neues wagen – an sich glauben – das Neue leben

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Seitenzahl: 195

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Harald Koisser

Die Kunst,sich zuverändern

www.kremayr-scheriau.at

ISBN 978-3-7015-0593-7 Copyright © 2016 by Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG, Wien Alle Rechte vorbehalten Schutzumschlaggestaltung: Sophie Gudenus, Wien Unter Verwendung eines Fotos von Shutterstock/Oliko Typografie und Satz: Michael Karner, Gloggnitz Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien

Inhalt

Vorwort: Veränderung ist eine Kunst, die jeder beherrscht

Die Verwandlungskunst

Wir sind frei genug

Das Wollen wollen – über das Selbstbewusstsein

Wandel ist unaufhaltsam

Eintritt nur für Verrückte

Die drei Schritte der Demut

Tore der Veränderung

Das Tor der Veränderung durchschreiten

Was bringt uns dazu, durch ein Tor zu gehen?

Pfade der Verwandlung

Einübung in die Ekstase

Die unvorstellbare Zukunft

Die überbewertete Vergangenheit

Vision – die Manifestation der Ekstase

Ein Moment des Innehaltens

Der Sumpf des Alltags

Leben heißt glauben

Das Haus des Lebens

Leben heißt sterben lernen

Der direkte Umweg zum Ziel

Woran merke ich, dass ich mich verändert habe?

Königswürde

Verwandlung in Kürze

Literatur

Anmerkungen und Quellen

Für Caroline, die geradeihre Flügel entfaltet

Vorwort: Veränderung ist eine Kunst, die jeder beherrscht

Leben ist Veränderung im Dauerzustand, doch meist passiert sie eher sanft und unmerklich. Wandel stellt sich dar als ein selbsttätiges Gleiten von einem ins andere, wenig fordernd, wie ein seichter See mit sanfter Strömung. Erneuerung ist, wenn wir die Wohnung frisch ausmalen, den Internetanbieter wechseln und plötzlich eine zusätzliche Lachfalte um den Mundwinkel entdecken. Alles ist gut.

Doch manchmal bricht die Möglichkeit des Andersseins in den Alltag und fordert ihr Recht. So kann es nicht weitergehen! Mit mir nicht mehr! Es muss sich etwas ändern!

Ein inneres Bitten wird zu einem Schrei. Er will gehört und mehr noch – verwirklicht werden. Beruf, Partnerschaft, Lebensstil … etwas ganz Grundlegendes passt nicht mehr und man spürt, man ist dem entwachsen wie einem alten Mantel, von dem man ohnehin wusste, dass er schon längst nicht mehr kleidet – weder in Größe noch in Schnitt. Dieser Mantel, das bin ich nicht mehr. Auch wenn ich ihn einst noch so geliebt habe.

Dann kündigt sich wahrer Wandel an, radikale Veränderung. Das Wort »radikal« kommt vom lateinischen radix, die Wurzel, und tatsächlich geht es dann darum, etwas an der Wurzel zu packen und vielleicht mit ihr auszureißen. Radikale Veränderung ist nicht immer gemütlich, doch unendlich beglückend, wenn sie gelingt. Die Erkenntnis, sich neu erfinden zu können, ist eine Grunderfahrung des schöpferischen Wesens.

Dieses Buch ist für alle geschrieben, die an der Schwelle zu einem Übergang oder bereits mittendrin stehen und VerwandlungskünstlerInnen werden wollen. Wir alle haben schließlich die Möglichkeit, in unserem Leben den Reset-Knopf zu drücken. Unsere Ernährungsgewohnheiten, Lebensstile oder Denkmuster sind kein Schicksal. Wir selbst haben sie gewählt. Wir selbst können sie ändern.

Radikale Veränderung bedeutet, Dinge zurückzulassen, sich von Gewohntem zu verabschieden, Neuland zu betreten. Das kann Angst machen, aber es ist ein Akt radikaler Selbstliebe. Nur die Fähigkeit, sich selbst anzunehmen, erlaubt es, sich selbst zu verändern. Nur die Liebe erlaubt den Blick auf die unendlichen Möglichkeiten. Angst schnürt ein und verengt, Liebe befreit und erweitert.

Die Spielebox des Lebens

Die Spieleschachtel der Möglichkeiten, die uns als Kinder überreicht wird, ist oft nicht besonders üppig bestückt. Manchmal liegt in ihr nur eine einzige Option, etwa: »Du übernimmst einmal unseren Betrieb!« »Du bist ein Mädchen und wirst einmal heiraten, du brauchst also kein Studium.« »Du wirst Musikerin so wie ich.«

Das, was im Leben angeblich möglich ist, wird für uns zuallererst einmal von den Erziehungsberechtigten definiert. Die Bäume dürfen sprichwörtlich nicht in den Himmel wachsen und die Erziehung junger Triebe führt meist zu kultiviertem Bon­sai. Doch betrachten wir das als gute Nachricht. In unserer Spielebox liegt nur ein einziger Baustein? Gut, dann können wir sie ja nach unserem Gutdünken befüllen. Es ist ja auch gar nicht in der Verantwortung der Erziehungsberechtigten, die Schachtel vollzufüllen. Es ist schließlich unser eigenes Spiel.

Wenn man etwas Neues als Baustein in sein Lebensspiel einbaut, beginnt man damit zu spielen, der homo ludens ist wunderbar neugierig und erfinderisch. Das Spielen mit der Welt erschafft sie neu. So wie der Junge Bastian Bux in der »Unendlichen Geschichte«, jenem klugen Buch von Michael Ende, das Land »Phantásien« neu aus seinen Gedanken heraus erbaut, so können auch wir unser »Phantásien« erbauen. Wenn wir uns aber vom Spiel mit den Möglichkeiten abbringen lassen, dann frisst das große Nichts unser »Phantásien« auf. Die Welt wird taub, leer, gefühllos. Wer nur das für möglich hält, was es schon gibt, ist kein Schöpfer, sondern Bestatter seiner Lebendigkeit.

Werden Sie also VerwandlungskünstlerIn. Wie der Name schon sagt, ist Verwandlung eine Kunst und kann, wie jede Kunst, geübt und perfektioniert werden. Da Verwandlung ein Grundmuster des Lebens ist, ist die Verwandlungskunst dem Menschen mitgegeben und folglich auch so leicht anwendbar wie Gehen und Sprechen und später dann Schwimmen und Auto­fahren. Doch wie auch diese Befähigungen will die Verwandlungskunst langsam begonnen und trainiert werden.

Viele Menschen gehen davon aus, dass Verwandlung schicksal­haft ist und ungefragt über sie hereinbricht. »Karma« eben, wie man neuerdings in Anlehnung an fernöstliches Gedankengut sagt. Radikale Umbruchzeiten unterstützen dieses Gefühl des Ausgeliefertseins. Wir erleben tatsächlich gerade einen Epochen­bruch, sozusagen ein kollektives Reset. Das heißt, dass wir jetzt, Anfang des 21. Jahrhunderts – auch wenn wir es selbst partout nicht wollen –, systemisch in massive Veränderung gestoßen werden. Das globale Orchester hat sich auf eine Tonlage eingestimmt, die wir auf unseren zart besaiteten Seelen erst finden müssen. Auch wenn man gerade nichts Großes im eigenen Leben zu ändern hat – das große Leben ändert sich gerade. Und zwar so richtig.

So beschäftigen sich viele Menschen eher mit dem Ausweichen und Durchtauchen als mit aktiver Verwandlung. Aber wäre es nicht beglückender, auf der Flutwelle der Veränderung surfen zu können anstatt einfach nur nicht darin zu ertrinken? Wäre es nicht schön, die Veränderung selbständig in die Hand zu nehmen, anstatt sie bloß zu erdulden?

Was dieses Buch Ihnen vermitteln will

Dieses Buch ist ein Übungsbuch, geschrieben von einem permanent Übenden. Ich erzähle von Veränderung und Verwandlung, so wie ich sie verstehe und erlebe. Ich habe viele Firmen durch Veränderungsprozesse begleitet und noch mehr Einzelpersonen. Im Rahmen von individuellen Coachings, in Fastenkursen und bei der Begleitung von Liebespaaren in Fragen von Liebe, Sexualität und Partnerschaft. Letztlich geht es immer um dieselben Ängste und tiefliegenden Widerstände gegen die ersehnte Verwandlung.

Von der Philosophie des Abendlandes bis zu den Schnulzensängern aller Epochen werden immer dieselben Wahrheiten wieder­gekäut. Wir wissen alles und wir wissen es längst. Wir tun es bloß einfach nicht. Betrachten Sie dieses Buch als Erinnerung an verschüttete Selbstverständlichkeiten. Wir leben in ­einer Kultur des Festhaltens und so fügt uns der ganz natürliche Prozess der Veränderung – von der Änderung eines Lebensstils bis zum Älterwerden – Schmerzen zu wie eine Muskelgruppe, die lange nicht trainiert worden ist. Im Sinne der ­Lebensqualität empfiehlt es sich, verkümmerte Muskeln und Fähigkeiten zu trainieren.

Der Umstand, dass dieses Buch einen durchaus überschaubaren Umfang hat, ist dem Mut und der Zuversicht geschuldet, die ich verbreiten möchte. Ein dicker Foliant über die Kunst der Veränderung würde schon alleine durch sein Gewicht und den Seitenumfang signalisieren, dass das eine schwierige Angelegenheit ist. Ich habe daher das gemacht, wovon ich hier mehrfach rede: Loslassen! Sätze und Gedanken, auch wenn sie noch so fein sind, sterben lassen. Das Wesentliche, das ich sagen möchte, im Auge behalten. Die kürzestmögliche Zusammenfassung dieses Buches lautet: Veränderung ist eine Kunst! Eine Kunst, die jeder und jede beherrscht.

ÜBUNG

Dazu gleich eine harmlose Übung zum Aufwärmen. Verschränken Sie bitte die Arme vor der Brust, so wie Sie es schon Tausende Male getan haben. Jetzt ruhen die Finger Ihrer linken Hand auf dem rechten Oberarm und die rechte Hand ist unter Ihrem linken Oberarm versenkt. Oder umgekehrt. Jeder Mensch macht das anders, aber jeder macht es immer gleich. Jetzt ersuche ich Sie, es genau andersrum zu machen. Öffnen Sie Ihre Arme, lassen Sie sie am Körper herunterhängen und verschränken Sie sie nun erneut, aber anders, als Sie es sonst machen. Geschafft? Wunderbar. Sie sehen, es ist kurz verwirrend, man muss ein bisschen nachdenken, aber es klappt. So ist das mit der Veränderung. Ein bisschen Verwirrung, ein bisschen Nachdenken – mehr braucht es oft nicht, um etwas anders zu machen als bisher.

Die Verwandlungskunst

Werden Sie VerwandlungkünstlerIn. Es ist nicht schwer und ich begleite Sie dabei. Mit jeder Seite des Buches ändert sich etwas, kommt etwas hinzu, manchmal kommt etwas wieder, noch einmal, doch anders. Vielleicht lesen Sie es gar nicht chronologisch, sondern erlauben sich Sprünge, blättern gar ans Ende. Genau so können Sie mit dem Buch des Lebens verfahren. Sie müssen die darin verpackten Geschichten nicht chronologisch lesen, sondern können wählen, welche Seite Sie aufschlagen. Niemand zwingt Sie, die Seiten der Reihe nach umzublättern.

Vielleicht kommen Sie drauf, dass das Leben gar kein Buch ist, sondern eine Bibliothek. Sie lesen ja auch nicht mehr die Bilderbücher Ihrer Kindheit. Also müssen Sie auch nicht den Schauer­roman und die Tragikomödie weiterlesen, die gerade aufgeschlagen auf Ihrem Nachtkästchen liegen. Greifen Sie zu etwas, das Sie wirklich, wirklich lesen wollen.

Verwandlungskunst beginnt mit der Erkenntnis, wählen zu können. Sie treffen jede Sekunde eine Wahl, dies zu tun und etwas anderes zu lassen. Sie lesen dieses Buch. Hat Sie jemand dazu gezwungen, ermächtigt, gebeten? Tun Sie es, weil eine höhere Macht es Ihnen aufgetragen hat? Sind Sie angekettet und erdulden es schicksalhaft, Seite um Seite, Wort um Wort? Oder tun Sie es, einfach weil Sie selbst es gerade so wollen?

Wir sind unseren Wahlmöglichkeiten gegenüber oft blind. Wir tun etwas und erleben es als schicksalhaft. Hätten wir etwas anderes getan und wäre etwas anderes passiert, hätten wir es als ebenso schicksalhaft erlebt. Wir nennen Entscheidungen »Schicksal« und halten unsere Affekte für ein Naturgesetz. Wir tun andauernd irgendetwas und tun so, als könnten wir nicht anders.

So tun als ob ist keine Lösung

Zur Verwandlungskunst ist anzumerken, dass sie kein Schauspiel ist. Verwandlung ist kein Spiel, sondern Wirklichkeit. Wer sich verwandelt, tut es nicht als Maskerade und zur Freude eines Publikums, sondern erlebt das Neue in Echtzeit. Wir proben und üben wohl, aber das Üben ist zugleich auch schon die wirkliche Aufführung. Leben ist Improvisationstheater.

In Anspannung und Konzentration ist ein neuer, ungewohnter Zustand nicht dauerhaft haltbar. Der Rückfall in das alte Selbst kommt unweigerlich. Unter der Maske beginnt man zu schwitzen und muss sie irgendwann wieder ablegen. Es war dann eben bloß Schauspiel, ein netter Versuch, doch keine Verwandlung. Wenn das Neue zu einem Kern des Selbst wird, dann wird es leicht. Dann bin ich plötzlich so und spiele nichts vor.

Ein Meister der Verwandlung, der doch zugleich Dilettant bleibt, ist die Kunstfigur »Zelig« in Woody Allens gleichnamigem Film. Leonard Zelig ist unsicher im Umgang mit anderen Menschen und passt sich seiner Umgebung daher sorgfältig an. Er imitiert und wird zu einem wirklichen Abbild seines Umfeldes. Er wird Gangster unter Gangstern, Musiker unter Musikern, Nazi unter Nazis und schließlich gefeierter Held in Amerika. Zelig ist eine Persiflage und zeigt, was es mit Verwandlung auf sich hat. Zelig verstellt sich nie, er ist tatsächlich das, was er gerade darstellt. So gesehen ist er ein Verwandlungskünstler. Was er aber nicht ist – bei klarem Verstand! Sein Dilettantismus besteht im Fehlen des Bewusstseins, dass er das macht. Er ist voller Angst und kommt sich nie auf die Schliche. Er flüchtet vor dieser Angst durch perfektes Mimikry. Er ist der Musterknabe aller Mitläufer. Dass dieses menschliche Chamäleon zum Ende des Filmes als Held gefeiert wird, ist eine ironische Pointe und Abrechnung mit einem verlogenen Authentizitätsgehabe.1 Wahre Verwandlungskunst ist ein bewusster Prozess.

RESÜMEE

◮ Wir können jederzeit wählen.

◮ Leben ist keine Frage von Schicksal, sondern von Geschick.

◮ Wir verstellen uns manchmal, aber Verstellen ist keine Veränderung. Wer sich verstellt, hält das nicht lange durch. Veränderung ist kein Schauspiel, das wir für andere veranstalten.

◮ Veränderung, die bewusst und von innen heraus passiert, geht letztendlich leicht.

Wir sind frei genug

Moment mal, werden einige nun rufen. Wir sind ja in unserem Wollen gar nicht frei. Es gibt keinen freien Willen, also scheitert die Verwandlungskunst von Haus aus.

Ja, das ist eine ewige philosophische Debatte, an der sich Philosophen, Kleriker und neuerdings auch Neurobiologen beteiligen. Platon war einer der frühen Verfechter der Freiheit des Willens. Philosophen wie Arthur Schopenhauer hielten dagegen. Die Freiheit sei eine Illusion, wir seien bloß biologische Überlebensmaschinen für »egoistische Gene«, so formulierte es später der Evolutionsbiologe Richard Dawkins. Die moderne Hirnforschung schließlich hält den Menschen ebenfalls für unfrei und weist nach, dass »Entscheidungen« vom limbischen System des Menschen Sekundenbruchteile früher getroffen werden, als die Synapsen im Hirn eigentlich schalten, und wir dadurch glauben, »nachgedacht« zu haben. In Wahrheit sind die Schaltungen im Hirn von einem Schaltmeister im Hintergrund veranlasst worden, der einem sozialen Drehbuch folgt. »Was ich für meinen Willen halte, meine Ideen und meinen Esprit, ist nichts anderes als der Reflex von Ideologien und kulturellen Mustern«, beschreibt es Richard David Precht.

Im Gegenzug gibt es heute Wissenschaftler wie den amerikanischen Biologen Bruce Lipton, die nachzuweisen versuchen, dass wir Menschen kraft unserer Überzeugungen die Entwicklung der Gene und der DNA bestimmen können. Die Gene verändern sich angeblich in jene Richtung, die der Geist vorgibt.

Um Orangen zu kaufen, brauchen wir keine Quantenphysik

So haben wir also starke Verfechter für die Freiheit und ebenso starke für die Unfreiheit des Willens. Doch ehrlich gesagt ist diese Diskussion sophistisch und hat mit dem Alltag wenig zu tun. Die Unfreiheit des Menschen wird nur gerne ins Treffen geführt, weil die Suche nach Entschuldigungen uns näher ist als die Suche nach Möglichkeiten. Das retrospektive »Ich konnte nicht anders« ist einfacher als das prospektive »Was könnte ich?«. Die Argumentation zugunsten der Unfreiheit schießt mit Kanonen auf Spatzen. Sie entspricht nicht der Lebenspragmatik.

Wir wissen, dass die Erde eine Kugel ist, und doch werden manche mathematischen Modelle in der Weltraumforschung so durchgeführt, als wäre die Erde flach. Weil die Berechnungen dann einfacher sind und es für manche Modelle völlig irrelevant ist, ob die Erde rund ist oder eine Scheibe. Desgleichen wissen wir heute aus der Kybernetik, dass jede Handlung unerwartete Effekte an unerwarteten Stellen bewirken und unvorhergesehene Rückkoppelungsschleifen erzeugen kann, und doch werden wir uns, wenn wir gerade ein Kilo Orangen kaufen, davon nicht irre machen lassen.

So dürfen wir auch die Thesen zugunsten der Unfreiheit beruhigt beiseite schieben, wenn es um Fragen von Ernährung, Partnerschaft und Lebensumbrüchen geht. Natürlich haben wir ein soziales Drehbuch, kulturelle Reflexe und Glaubensmuster. Doch sie bestimmen uns in unseren Lebensentscheidungen nicht wie ein Marionettenspieler seine Puppen, sondern eher wie eine Seekarte die Entscheidungen eines Kapitäns. Sie sagen, wo Untiefen und befahrbare Stellen sind und helfen uns bei der Navigation. Wie sehr wir uns nur auf die Karte verlassen und ob wir sie als alleinige Navigationshilfe betrachten, ist eine Frage der Ausbildung und Erfahrung. Je mehr Erfahrung wir als Kapitäne des Lebens haben, desto eher können wir die alten Karten infrage stellen und auf die Idee kommen, ihre Angaben einmal nachzuprüfen. Vielleicht finden wir günstigere Routen durch die Untiefen und bessere Handelsrouten für unsere Bedürfnisse.

Gegen das persönliche Glück haben die »egoistischen Gene« gewiss keine Einwände. Die wollen ja angeblich nur eines – Überleben und Fortpflanzung. Und das geschieht wahrlich am besten im Zustand von Glück und Zufriedenheit. Wir mögen nicht restlos frei sein, aber wir sind frei genug, um glücklich zu sein.

ÜBUNG

Nehmen Sie jetzt alte Tagebücher zur Hand. Lesen Sie, was Sie damals bewegt hat. Was denken Sie heute über die Probleme von damals? Würden Sie wieder so handeln? Würden Sie wieder so empfinden? Wie ginge es Ihnen heute mit so viel mehr an Erfahrung?

Sie haben keine Tagebücher? Dann besteht die Übung darin, eines zu beginnen. Sie müssen keine Essays verfassen. Schreiben Sie in Stichworten Ihre Erlebnisse und Empfindungen auf. Besonders die Empfindungen. Sie sind wichtig. Legen Sie sich Rechenschaft ab über das, was sie fühlen.

Das Wollen wollen – über das Selbstbewusstsein

Das Gefühl von Machtlosigkeit, das uns mitunter überkommen mag, hat nichts zu tun mit Fragen der Freiheit oder Unfreiheit unseres Willens, sondern ausschließlich mit unserem Selbstbewusstsein. Ein Selbst ist dazu da, verwirklicht und gefeiert zu werden, doch es wird uns in unserer Kultur kaum gestattet, dieses Fest zu feiern. Selbstbewusste werden mit der Egoismus-Keule geschlagen.

Dabei ermöglicht Ihnen nur ein gesundes Selbstbewusstsein, Ihr Potenzial zu entfalten. Der Glaube an sich selbst verleiht Ihnen die Kraft, Ihre Schmetterlingsflügel zu entfalten. Die Dinge, die Sie hervorbringen, müssen gewürdigt werden, damit sie gedeihen können. Sie müssen auf Ihre Ideen und Talente stolz sein und sie in die Welt hinausschreien wollen. Das Selbstvertrauen ist Ihr seelisches Immunsystem. Je besser die Konstitution Ihres Selbst ist, desto weniger können Ihnen Schmach, Scham und andere psychische Infekte etwas anhaben.

Lassen Sie sich also nicht beirren, wenn jemand meint, Sie hätten ganz schön viel Selbstvertrauen oder gar zu viel davon. Niemand kann zu viel Selbstvertrauen haben. Das wäre, als sagte jemand, Sie hätten zu viel Gesundheit. Der Vorwurf ist absurd. Selbstvertrauen ist wie Schwangerschaft – man hat es oder nicht. Es lässt sich darüber hinaus nicht wägen und quantifizieren.

Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen sind menschliche Grundbedürfnisse, die nicht verhandelbar sind. Es ist das heilige Recht auf Asyl bei sich selbst und niemand darf Ihnen das nehmen. »Gehen wir dem Bedürfnis nach Selbstvertrauen nicht nach, so bleibt uns nur Fremdvertrauen«, mahnt der amerikanische Therapeut Nathaniel Branden, der sich wie kaum jemand mit dem Thema Selbstwert auseinandergesetzt hat, »wir bleiben uns selbst ein Rätsel und andere geben vor, es für uns lösen zu können.«

Selbst-Vertrauen statt Selbst-Losigkeit

Die Behauptung anderer, das Rätsel Ihres Lebens für Sie zu lösen, ist verführerisch, führt aber in Abhängigkeit. In meinem Buch »Warum es uns so schlecht geht, obwohl es uns so gut geht« erinnere ich daran, dass jede Lebensenergie eine wichtige Ressource ist und daher, wie um jede Ressource, ein Wettkampf um die Nutzung stattfindet. Ihr Leben, Ihre Empathie, Ihre Liebesfähigkeit, Ihre Intelligenz, Ihre Arbeitskraft – all das sind äußerst wertvolle Ressourcen und Sie können ganz gewiss sein, dass nichts davon verschleudert wird. Sie und alle Ihre Energien werden ganz gewiss genutzt. Die Frage ist nur – von wem? Von Ihnen selbst und für die Zwecke, die Ihnen heilig sind? Oder von anderen für deren Zwecke und Absichten? Ungenutzt bleiben Sie selbst, wertvolle Leserin und wertvoller Leser, gewiss nicht. Dazu sind Sie zu kostbar.

Geben Sie daher den Ermutigungen zur Passivität nicht nach. Sie können sich selbst jederzeit in den Mittelpunkt Ihrer ur­eigenen Interessen stellen. Diese ganze Aufopferung, die in unserer Kultur gefordert wird, entsteht nur aus einer immer größer werdenden Gemeinschaft von Menschen ohne Selbstwert. Jeder lässt sich für irgendetwas Sinnloses ausbeuten und muss daher, um halbwegs über die Runden zu kommen, jemand anderem wieder Energie absaugen, um irgendwie das Gefühl zu haben, geliebt zu werden. Das lässt sich dieser andere mehr oder weniger gefallen, weil auch er oder sie viel zu schwach ist, um Nein zu sagen. Wir sind im Wortsinn selbst-los, also ohne unser Selbst, weil wir es leider immer schon anderweitig vergeben haben. Die Verstrickung in ein Brauchen und Gebraucht-Werden gaukelt uns Liebe vor und wir ahnen doch, dass all das mit Liebe gar nichts zu tun hat, bloß mit Bedürftigkeit.

Bewusstsein heißt, sich seiner selbst bewusst zu sein, also wissen zu wollen, wer man ist. Ja, es ist eine Frage des eigenen Willens, denn für diese Kleinigkeit brauchen wir keine all­mächtigen Götter und Gurus. Diese Frage beantworten wir selbst. Will ich mich selbst kennenlernen oder nicht? Will ich wach sein oder schlafen? Will ich den Verstand einsetzen oder nicht? Will ich fühlen oder nicht? All das hat nichts mit Intelligenz zu tun, sondern bloß mit einem Zustand der Wachheit. Es be­deutet: Handeln nach dem, was ich weiß und so wie ich es verstehe.

Selbstvertrauen ist nichts anderes als das Vertrauen darauf, denken und fühlen zu können, und das Vertrauen darauf, dass das, was ich denke und fühle, wirklich mein eigenes Denken und Fühlen ist. Ich fühle, wie ich fühle und lasse mir das nicht von einer äußeren Instanz ausreden. Ich vertraue mir selbst und den Reaktionen meines Körpers und meiner Seele. Ich vertraue darauf, den Anforderungen des Lebens gewachsen zu sein. Bewusstheit ist eine Frage des menschlichen Willens. Entweder ich will wollen oder nicht.

ÜBUNG

Nehmen Sie ein Blatt Papier und schreiben Sie folgenden Satzanfang auf: »Wenn ich meinem Leben ab sofort mehr Bewusstheit entgegenbrächte, würde ich …«. Dann stellen Sie einen Timer auf 90 Sekunden. Nicht mehr! Das reicht völlig. Und los geht’s. Ergänzen Sie den Satzanfang mit allem, was Ihnen sofort in den Sinn kommt. Auch wenn es Ihnen unsinnig erscheint. Sie sollen nicht nachdenken, sondern aufschreiben. Das ist übrigens der Grund, warum das Ganze nur 90 Sekunden dauert. Ab dann beginnen Sie zu denken. Denken hilft nicht, wenn es um das Unterbewusste geht. Heben Sie den Zettel gut auf und wiederholen Sie die Übung ab sofort jeden Montagmorgen. Immer wieder, ein paar Wochen lang. Lesen Sie die Zettel, vergleichen Sie das Aufgeschriebene. Hat sich etwas verändert im Laufe der Zeit? Tauchen immer dieselben Dinge auf? Können Sie die scheinbar unsinnigen Texte deuten? Diese Mini-Übung ist ein wunderbares Training zur Erlangung von Bewusstsein.

Wandel ist unaufhaltsam

Das Schiff des Odysseus

Nachdem Odysseus wieder nach Ithaka gekommen war, wurde sein Schiff an Land gezogen und nie wieder verwendet. Langsam verfiel es im Sonnenlicht, doch zugleich war es eine Ikone und sollte erhalten werden. Die BewohnerInnen der Insel taten das Ihre, um das Schiff und damit die Geschichte zu bewahren. Es war den Leuten ein Anliegen und eine Ehre, das Schiff dort auszubessern, wo es morsch wurde. Hier wurde eine Planke am Rumpf erneuert, dort am Heck, und als das Steuerrad zusammenbrach, wurde es originalgetreu ersetzt. Schließlich fiel gar der Mast in einem heftigen Unwetter um. Auch er wurde durch einen neuen, massiven Holzstamm ersetzt, in Form und Größe dem ursprünglichen Mast ganz gleich, und schließlich war auch die Farbe nachgedunkelt, sodass sich auch darin kein Unterschied mehr fand. Die Leute von Ithaka gaben wahrlich ihr Bestes. Irgendwann war es so weit, dass auch der allerletzte Holzspan, der noch tatsächlich vom Schiff des Odysseus stammte, gegen ein Imitat ausgetauscht werden musste. Das Schiff des Odysseus lag immer noch am Strand, regungslos und scheinbar unverändert wie vor Hunderten von Jahren. Nicht ein einziger Teil stammte mehr vom ursprünglichen Schiff. War es noch das Schiff des Odysseus? Oder war es das nicht mehr? Was war es dann? Und spielte das eine Rolle?

Heraklits Fluss

Panta rhei. Alles fließt. Dieses kürzeste aller philosophischen Zitate stammt von Heraklit (535–475 v. u. Z.) und ist Allgemeingut. Man kann Heraklit zufolge nicht zweimal in denselben Fluss steigen. Es sieht wohl aus wie derselbe Fluss, die Umgebung ist dieselbe, das Ufer hat sich seit gestern auch nicht verändert, und doch – andere Wassertropfen, andere Luft, andere Konstella­tion der Algen und Tiere im Fluss. Jeder Moment ist einzigartig und unwiederbringlich. Kaum geschehen, schon vorbei. Das Leben definiert sich durch permanente Veränderung. Alles scheint gleich zu bleiben, doch das ist eben nur Schein.