Die letzte Zigarette - Bruno Preisendörfer - E-Book

Die letzte Zigarette E-Book

Bruno Preisendörfer

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Beschreibung

Die Liebe, das Rauchen und die Literatur – ein Roman voller Intelligenz und Komik, ein Buch, das bildet und trotzdem glänzend unterhält. In diesem Roman geht es um drei Formen der Liebe: um die Liebe zu einer Frau (eigentlich sind es ja mehrere, aber am Ende führen alle dann doch zu der einen, und alle sind natürlich schwierig und wunderbar), die Liebe zur Literatur (die sich anfangs allerdings recht spröde gibt, denn der Autor liest zwar viel und gern, aber sein eigener Roman will nicht recht gelingen; irgendwann gibt es aber doch einen erzschönen Roman im Roman) und die Liebe zum blauen Dunst, der natürlich eine Obsession ist und eine Hassliebe (fast) von Anfang an. Dass der Leser dabei natürlich so ziemlich alle Geschichten über den Tabak und das Rauchen erfährt, die spannend und erzählenswert sind, gewissermaßen also gebildet wird, ja, dass er mithilfe dieses Liebesromans über das Rauchen (der auch ein Entliebungsroman ist) sogar mit dem Rauchen aufhören kann, sind nur zwei verhältnismäßig unbedeutende Nebenwirkungen dieses Buches neben der Hauptwirkung, sich natürlich nie unter Niveau glänzend amüsieren zu können.

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EPUB

Seitenzahl: 220

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Bruno Preisendörfer

Die letzte Zigarette

Ein Liebesroman

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Bruno Preisendörfer

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

GebrauchsinformationDankWidmungAnfangen aufzuhörenDie drei Missionen des Jean NicotAufhören anzufangen
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Gebrauchsinformation

Liebe Kundin, lieber Kunde!

 

Vielen Dank, dass Sie sich für dieses Produkt entschieden haben. Die letzte Zigarette wurde mit großer Sorgfalt hergestellt und hat mehrere Qualitätskontrollen durchlaufen. Damit ein ungetrübter Genuss gewährleistet bleibt, beachten Sie bitte, dass es sich um einen Roman handelt. Alles darin ist frei erfunden, abgesehen von den Zigarettenmarken einschließlich der jeweiligen Angaben in Milligramm Teer, Nikotin und Kohlenmonoxid. Falls Sie mit dem Rauchen aufhören wollen, können Sie nun damit anfangen. Folgen Sie bitte den in den Text integrierten Hinweisen. Bitte rauchen Sie nur, wenn das Signal erscheint: ---- ~ Unterbrechen Sie für die Dauer der Zigarette die Lektüre. Lesen Sie danach aufmerksam weiter, blättern Sie nicht vor und überspringen Sie keine Passagen, die nicht entsprechend gekennzeichnet sind. Nach der Lektüre werden Sie nicht mehr rauchen. Beachten Sie bitte außerdem: Rauchen kann tödlich sein. Es fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu, lässt Ihre Haut altern, führt zu Durchblutungsstörungen und zur Verstopfung der Arterien, verursacht Herzinfarkte, Schlaganfälle, Impotenz und gefährdet die Gesundheit Ihres Kindes bereits in der Schwangerschaft.

Sollten Sie am Ende des Buches immer noch rauchen:

Ihr Arzt oder

Apotheker kann

Ihnen dabei helfen,

das Rauchen

aufzugeben.

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Der Autor dankt der Stadt und der Stadsparkasse Baden-Baden für das Baldreit-Stipendium 2005/06.

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Meinen nicht rauchenden Schwestern Angelika und Edith

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Anfangen aufzuhören

 

 

 

 

 

 

Alle glücklichen Raucher gleichen einander. Die unglücklichen jedoch sind stets auf ihre eigene Weise unglücklich. Von Rauchfäden gefesselt, kämpfen sie gegen den Dschinn, dem sie sich ausgeliefert haben und ohne den sie nicht leben können, obwohl er sie umbringt. Manche verstecken vor dem Aufhören Zigaretten für den Rückfall, weil sie Angst haben, sich mitten in der Nacht vor einem Automaten wiederzufinden, der stur ihre Münzen zurückweist und weder durch einschmeichelndes Kratzen mit dem Geldstück noch mit wütenden Faustschlägen gegen die blecherne Brust zu bewegen ist, eine Schachtel herauszurücken. Andere scheitern am Aufhören, bevor sie überhaupt damit angefangen haben, fliehen in die Mangelwirtschaft, rationieren das Tagesquantum und geben Bezugsscheine an sich selber aus. Wieder andere stehen erbittert ihre Qualen durch, nur um nach vierzig Tagen in nikotinverwaister Wüste von Selbstvorwürfen gedemütigt Asche von der Zigarette zu streifen und auf ihr Haupt zu streuen, gewissermaßen.

Die meisten starken Raucher, die vom Aufhören träumen, haben sehr früh angefangen. Ich dagegen war ein Spätentwickler und rauchte meine Erste mit siebzehn. Viele meiner Freunde begannen mit zwölf und machten mit siebzehn frustrierende Versuche, wieder davon loszukommen. Ein Großteil von ihnen hatte im Alter von zehn Jahren dem Stamm der Komantschen angehört. Der Beratungsplatz des Stammes, der für die Squaws verbotenes Gebiet war – die geliebte Leserin wird ausdrücklich gebeten, trotz dieses unerfreulichen historischen Details mit der Lektüre fortzufahren –, lag unten am Fluss. Dort versammelten sich die Krieger und schnitten trockenes Schilfrohr, das beim großen Indianerrat angezündet und reihum gereicht wurde. Es war sehr wichtig, von dem scharfen und heißen Rauch wenigstens so viel zu inhalieren, dass man deutlich sichtbar eine kleine Wolke aus der Nase blasen konnte. Wer das nicht fertigbrachte, hatte keine Chance, je vom einfachen Komantschen zum Häuptling aufzusteigen. Bei diesem Spiel hing alles davon ab, das Schilfrohr in die Hände zu bekommen, wenn es noch lang genug war, um den zum Mund gezogenen Rauch unterwegs ein klein wenig abkühlen zu lassen. Natürlich zog der Häuptling immer als Erster, als Nächster sein Stellvertreter. Danach folgten die Unterhäuptlinge und zuletzt die einfachen Krieger. Je weiter es hinunterging, desto kürzer wurde das Rohr und desto heißer der Rauch. Bei meinem ersten und einzigen Versuch, bei den Komantschen Karriere zu machen, verbrannte ich mir dermaßen den Mund, dass ich am Abend mit der Zunge die Blasen am Gaumen ausdrücken musste und viel Willenskraft brauchte, nicht weinend zu meiner Mutter zu laufen und alles zu beichten. Das hätte sicher die erzieherische Befehdung der Komantschen zur Folge gehabt und mich für alle Zeiten öffentlich als Verräter gebrandmarkt. Dann lieber das Brandmal heimlich im Gaumen herumtragen und tapfer warten, bis Haut über die Sache gewachsen war.

In der schlaflosen Nacht, die meiner Niederlage folgte, traf ich eine Entscheidung, die noch heute mein Dasein bestimmt. Ich beschloss, das Indianerleben der Wirklichkeit zu meiden und stattdessen Romane zu schreiben. Die Wirklichkeit in Romanen wird von Philosophen und Literaturkritikerinnen ›Fiktion‹ genannt. Was immer Aristoteles in seiner Poetik und Elke Heidenreich im Fernsehen darüber gesagt haben: Der wesentliche Unterschied zwischen Fiktion und Wirklichkeit besteht darin, dass die Wirklichkeit in der Fiktion nicht wehtut.

In jener Nacht träumte ich davon, Schriftsteller zu werden, und leider ging dieser Traum auch in Erfüllung. Erfüllte Wünsche sind fast so deprimierend wie erhörte Gebete. Ein Wunsch geht im Moment seiner Erfüllung vom Konjunktiv ins Perfekt über, was bei den Wünschenden häufig Enttäuschung hervorruft. Beispielsweise ist ein Schriftsteller in der Fantasie oder in einem Roman etwas ganz anderes als ein Schriftsteller in der Wirklichkeit. In der Wirklichkeit gibt es nichts Langweiligeres als die Schriftstellerei. Das ganze Vergnügen ist aufseiten der Leserschaft. Wie sehr wünscht sich der Autor beim Buchstabenfädeln ein Lächeln von seiner geliebten Leserin oder ein Schulterklopfen von seinem verehrten Leser. Die hüllen sich stattdessen in Schweigen, denken an eine Zigarette und warten darauf, dass die Geschichte weitergeht.

Mein erster Roman hieß Morgengrauen, literarisches Vorbild war Karl Mays Der Schatz im Silbersee. Aber mein Titel war besser. Ich fand das Wort ›Morgengrauen‹ so vielversprechend schrecklich: Ein Mann reitet durch die staubigen Straßen einer verschlafenen Holzhäuserstadt im Wilden Westen zum Marktplatz. Das Pferd geht im Schritt, denn es lahmt an der Vorderhand (auf diesen Fachausdruck war ich besonders stolz). Mitten auf dem Marktplatz bleibt das Pferd stehen, aber der Mann steigt nicht ab. Er hat den Hut tief ins Gesicht gezogen, und zwischen seinen Zähnen steckt ein erloschener Zigarillo (den ich in meiner nicht rauchenden Unerfahrenheit als Zigarre bezeichnete). Nachdem die Sonne zu Ende aufgegangen ist (so drückte ich es in meiner literarischen Unerfahrenheit aus), kommt der Sheriff herbeigeritten und droht büchsenschwingend mit einem Strafzettel, denn auf dem Marktplatz ist Parkverbot. Der Fremde reagiert nicht. Der Sheriff wird wütend, drängt sein Pferd neben das des Fremden und packt ihn an der Schulter. Der Mann kippt zur Seite und rutscht langsam vom Sattel.

Es war ungeschickt, den Roman mit einem toten Helden zu beginnen. Meine Muse war wie ich selbst noch ein Greenhorn. Nachdem der Cowboy vom Pferd geglitten war, wusste ich nicht, wie es weitergehen sollte. Ich malte in großen Buchstaben ein schönes Morgengrauen auf eine leere Seite, zog mit dem Lineal einen Strich darunter und setzte meinen Namen dazu. Nach der Fertigstellung des Titelblatts ließ ich den Rest des Buches auf sich beruhen. Es war der erste einer langen Reihe unvollendeter Romane, die ich im Laufe meines hoffentlich noch lange unvollendeten Schriftstellerlebens geschrieben habe, aber er ist mir stets der liebste geblieben. Heute bedaure ich, dass das Manuskript einem dieser Verbrennungsrituale zum Opfer fiel, die angehende Schriftsteller nun einmal absolvieren müssen.

Auch die letzte Zigarette wird verbrennen, nicht aber der Roman, der nach ihr benannt ist. Ich werde ihn zu Ende schreiben und mit dem Rauchen aufhören. Und ich setze darauf, dass meine geliebte rauchende Leserin und mein verehrter rauchender Leser – ohne die nicht- oder mitrauchende Leserschaft diskriminieren zu wollen – es mir gleichtun. Ich verspreche aber, dass ich unsere Letzte mit allen mir zu Gebote stehenden literarischen Mitteln hinauszögern und für viele Zigarettenpausen sorgen werde.

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Mit zwölf entdeckten die ehemaligen Komantschen den Zusammenhang zwischen Nikotin und Virilität, auch wenn sie das zweite Wort noch nie gehört hatten. In einem Lexikon jener Zeit wird es lapidar als »Mannesalter, Manneskraft« definiert, und obwohl es beim Ersten noch haperte, wurde mit der Zweiten bereits fleißig geübt. Eines Tages, wenn aus den jungen Männern alte Knaben geworden sind, wird sich die Verbindung zwischen Nikotin und Virilität zur sexuellen Gelassenheit verflüchtigen, ganz so, wie es der spanische Filmregisseur Luis Buñuel in seiner Autobiografie beschrieben hat: »Ich habe an mir selbst in den letzten Jahren das allmähliche und schließlich vollständige Absterben des Sexualtriebs erlebt – die Träume eingeschlossen. Mir ist es sehr lieb so – als wäre ich endlich von einem Tyrannen befreit. Wenn Mephisto mir erschiene und mir die Wiedererlangung der sogenannten Virilität anböte, würde ich sagen: ›Nein, vielen Dank, daran liegt mir nichts, aber meine Leber und meine Lungen könntest du kräftigen, damit ich mehr trinken und rauchen kann.‹«

Die letzte Zigarette ist kein erotischer, sondern ein romantischer Roman. Erotische Romane sind solche, die nur mit einer Hand gehalten werden. Das hat jedenfalls der im 18. Jahrhundert lebende französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau einmal bemerkt. Seine praxisnahe Beobachtung büßte jedoch mit der Erfindung der Zigarette im 19. Jahrhundert die definitorische Schlüssigkeit ein. Raucher halten alle möglichen Bücher mit einer Hand, sogar solche, die erklären, wie man nicht raucht.

Bei den ehemaligen Komantschen kamen dem Rauchen vor allem kulturelle Aufgaben zu. Aber auch den Mädchen galt das Rauchen als Bildungspflicht. Auf den Schultoiletten kamen sie ihr mit umso größerem Eifer nach, je strenger die Kontrollen durch die Lehrer waren. Auf diese Weise schulten die jungen Menschen ihre Fähigkeit zur Voraussicht, ihre Reaktionsschnelligkeit und überhaupt die gesamte Auffassungsgabe.

Was mich betrifft, so hatte ich als gebranntes Kind an diesen Erfahrungen keinen Anteil. In einem Alter, in dem viele meiner Klassenkameraden schon für das Leben lernten, gab ich mich mit Kaugummizigaretten, zur Not sogar mit den Schokoladenzigaretten meiner jüngeren Schwester zufrieden. Sie hat übrigens noch nie eine Zigarette geraucht. NOCH NIE! Dabei haben Studien erwiesen, dass Kinder, die Schokoladenzigaretten lutschen, als Erwachsene doppelt so häufig rauchen wie Kinder, die keine Schokoladenzigaretten lutschen. Deshalb wird in Artikel 16 der Tobacco Convention der Weltgesundheitsorganisation das Verbot dieser Einstiegsdroge empfohlen.

Trotz meiner Abhängigkeit von Kaugummizigaretten und der gelegentlichen Übergriffe auf die Schokoladenzigaretten meiner Schwester waren für mich als Raucher

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die Jahre zwischen zwölf und siebzehn verlorene Jahre, und als solche blieben sie für immer prägend. Ich weiß nicht, wie viele Milligramm Nikotin ich im Laufe meines Lebens durch die Lungen gejagt habe, aber über eine Schachtel täglich bin ich nie hinausgekommen. Hoffentlich zieht mir das nicht gleich zu Beginn dieser Geschichte die Verachtung all jener zu, die stolz darauf sind, nach jahrelangem Kampf mit sich selbst den täglichen Konsum von zweieinhalb auf zwei Schachteln reduziert zu haben.

Zwischen der Gattung derer, die wie meine Schwester mit ihrer Schokozigarettenkindheit noch nie geraucht haben, und der Gattung des ›Gemeinen Rauchers‹, wie man in der Biologie sagen würde, gibt es zahlreiche Arten und Unterarten. Es bedürfte eines neuen Linné, um die Fauna der Raucherinnen und Raucher in ein stimmiges System zu bringen.

Der schwedische Naturforscher Carl von Linné hat die Tabakpflanze zur Familie der Solanaceae (Nachtschattengewächse) gerechnet, der auch die Kartoffel, die Tomate oder der Paprika angehören. Die Tabakpflanze hat Linné unter dem Gattungsnamen Nicotiana tabacum in sein Klassifikationssystem aufgenommen und damit den französischen Diplomaten Jean Nicot geehrt, der in der Mitte des 16. Jahrhunderts maßgeblich an der Verbreitung des Tabaks in Europa beteiligt war. Er hielt ihn für eine Heilpflanze. ---- ~

Ich gehöre zu den Durchschnittsrauchern. Mehr als meine gewohnte Schachtel schaffe ich nur mithilfe von viel Alkohol. Ich will auch zugeben, dass ich nur selten die sengende Wonne der Zigarette vor dem Frühstück genossen habe, und noch seltener den von Zahnpastageschmack besänftigten Rauch der Schlafenszigarette im Bett gleich nach dem Zähneputzen. Ebenfalls fremd geblieben ist mir die Aufgedrehtheit infolge der Koffein-Nikotin-Diät, die ich in der journalistischen Epoche meines sonst wenig abenteuerlichen Schriftstellerlebens bei den Kolleginnen und Kollegen so sehr bewundert habe. Während ich zwischen 12 und 14 Uhr wie Millionen anderer Angestellter auch durch unwiderstehlichen Herdendrang vom Schreibtisch in die Kantine getrieben wurde, blieben meine Kolleginnen und Kollegen vor den Bildschirmen sitzen, rauchten von Genialität umdunstet eine Zigarette nach der anderen und tranken schwarzen Kaffee dazu, manche ohne Zucker. Selbstquälerei kann sehr kreativ sein

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       und häufig fand ich ganze Bildunterschriften und sogar ausgewachsene Headlines vor, wenn ich in die Redaktion zurückkam, um dort meine Verdauungszigarette zu rauchen, denn in der Kantine herrschte Rauchverbot.

Eine weitere Leidenschaft, die mich nie gepackt hat, um auch das noch zu bekennen, ist die magische Praxis, durch das Anzünden von Zigaretten das Einlaufen der Züge in die U-Bahn-Stationen zu beschleunigen. Nichts ist so anmutig wie ein bestöckelter Damenschuh, der eine gerade angerauchte Zigarette auf den Bahnhofsfliesen zerdrückt. Verschiedene Geliebte, eine Lebensgefährtin auf Zeit und manchmal sogar meine beherrscht rauchende Exfrau huldigten diesem Brauch. Sie leben zum Glück alle noch. Mit den meisten von ihnen bin ich nachzerwürflich befreundet und verabrede mich hin und wieder zu einem Kaffee oder einem Glas Wein. Jede von ihnen hat schon einmal vorübergehend erfolgreich das Rauchen aufgegeben oder wenigstens eingeschränkt.

Melanie zum Beispiel

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Als ich mich vor einem Vierteljahrhundert in sie verliebte, rauchte sie täglich zehn filterlose Selbstgedrehte aus duftendem Javaanse Jongens Classic B (dick gedreht: Teer 10 mg, Nikotin 0,6 mg, Kohlenmonoxid 1,1 mg). Während unserer unvollendeten Beziehung stieg ihr Konsum auf das Doppelte, was nicht nur an mir gelegen haben kann, denn nachdem wir beschlossen hatten, künftig nur noch gute Freunde zu sein, was wir genau genommen auch bis dahin bloß gewesen waren, steigerte sie ihre Ration weiter und brachte es in den folgenden Jahren, allerdings mit eingedrehtem Filter, auf über fünfzig. Sie betrieb zu Hause eine eigene kleine Zigarettenfabrik, die aus einer Stopfmaschine, dem Rohstofflager und dem Warenlager bestand. Aus einer wunderschönen Porzellanschüssel, die Sie, geliebte Leserin, vielleicht mit frischem Obst gefüllt hätten, wuchs ein Berg aus weißen Filtermundstücken empor. In Schuhkartons, an denen bei Melanie nie Mangel war, wurden Hunderte, nein: Tausende von Papierhülsen aufbewahrt, und stets lagerte ein halbes Dutzend Javaanse-Päckchen im Gemüsefach des Kühlschranks, denn dort bleibt der Tabak länger frisch. Die fertig gedrehten Zigaretten wurden in zwei Zigarrenkisten gestapelt, die sie eigens dafür gekauft und leer geraucht hatte. Wenn Melanie unterwegs war, hatte sie neben den Vorgedrehten sicherheitshalber noch eine Packung Tabak mit Blättchen bei sich. Ging ihr Vorrat zur Neige, machte sie mit der Hand weiter. Die Resultate waren in Form und Festigkeit beeindruckend. Melanie wäre in einer entsprechenden Notlage auch dazu fähig, Zigaretten mit einer Hand in der Hosentasche zu drehen, wie ich es von meinem Großvater gewohnt war, der diese Kunst in russischer Kriegsgefangenschaft erlernt hatte. Eines Tages stieg Melanie völlig überraschend auf Marlboro (10 mg, 0,8 mg, 10 mg), danach auf Marlboro Light, heute Marlboro Gold (6 mg, 0,5 mg, 7 mg), und schließlich auf Marlboro Ultra, heute Silver (3 mg, 0,3 mg, 4 mg), um und kämpfte sich die Serpentine ihrer Sucht hinab, indem sie auf der Basis der Ultras auch die Anzahl Stück für Stück reduzierte.

Carmen

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Ihr langes Haar schimmert blauschwarz wie Rabengefieder, die Haut ist kupferfarben, die schräg stehenden Augen blicken sinnlich und grausam. Das ist Carmen in der Novelle von Prosper Mérimée. Die Carmen in der Oper von Bizet ist eine der Arbeiterinnen aus der Tabakfabrik von Sevilla, die im ersten Akt rauchend über die Bühne wirbeln und singen »Le doux parler des amants c’est fumée; leurs transports et leurs serments c’est fumée«, während die Raucherinnen und Raucher im Publikum verzweifelt die Hände um die Sessellehnen krampfen und sich fragen, wie sie diese meistgespielte aller Opern bis zur Pause durchstehen sollen – »Das zärtliche Flüstern der Liebenden ist Rauch; ihre Leidenschaften und ihre Schwüre sind Rauch« –, in der sie ebenfalls endlich eine anzünden dürfen.

Meine Carmen hatte kein Rabenhaar und arbeitete nicht in einer Tabakfabrik, sondern in einer Bibliothek. Sie war belesen, blond, blauäugig, rundlich, mit Sommersprossen auf dem Kuschelbusen, und in ihrer Sanftmut stets bereit, eine Dunhill Menthol (10 mg, 0,8 mg, 10 mg) mit mir zu teilen, wenn mich die Lust auf ein paar Züge überkam, deren Geschmack mich an die Kaugummizigaretten meiner Kindheit erinnerte.

Eines Tages verkündete sie aus heiterem Himmel, dass intelligente Menschen nicht rauchen, und dass sie in zehn Tagen damit aufhören werde, eine »blöde, fette Blondine zu sein, die ihr Leben nicht im Griff hat«. Genauso drückte sie sich aus! Ich war entsetzt. Ich erkannte meine Carmen nicht wieder. Und sagte das unglücklicherweise auch: »Aber Carmen, ich bin entsetzt, du bist ja nicht wiederzuerkennen.« Oh weh, dahin war ihre sommersprossige Sanftmut, wie die rabenschwarze Zigeunerin Mérimées ging sie auf mich los. Nach einem Liebesgefecht, in dem ich eine schnelle und vollständige Niederlage erlitt, begann ein unvergleichlicher Countdown. Mit der sinkenden Zahl der Tage stieg die Zahl der Zigaretten, die sie an jedem von ihnen rauchte. Ihre Wohnung, ihre Kleider, ihr Haar, die ganze Carmen roch nach einer Mischung aus Menthol und erkaltetem Rauch. Nie habe ich einen Menschen derart grimmig nach der Zigarette greifen sehen, nicht einmal Melanie. Die Philosophie Carmens bestand darin, die Frequenz bis zum Selbstekel zu steigern und dann für alle Zeiten erlöst aus dem Fegefeuer zu steigen, das sie zehn Tage am Glimmen hielt, zum Schluss buchstäblich eine an der anderen anzündend. Bei dieser denkwürdigen Methode musste sie sehr viel rauchen, um mit dem Rauchen aufzuhören.

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Die Methode war erfolgreich. Ich habe Carmen nie wieder eine Mentholzigarette anstecken sehen. Sie bevorzugt jetzt die Dunhill in der roten Packung (10 mg, 1,0 mg, 10 mg – das entspricht dreimal den 2004 von der EU festgelegten Höchstwerten).

Philine

war Nichtraucherin, als ich sie kennenlernte. Sie bewohnte zwei Zimmer mit einem winzigen Bad, in dem eine riesige Yucca aus einer Tonschale wuchs und ergeben unter der Decke entlangkroch. Ein Zimmer war für Philine, ihren Schreibtisch und ihre Bücher bestimmt, das andere für Philine, ihr Bett und ihre Schuhe. Für einen Mann hatte sie praktisch gar keinen Platz. Nein, verehrter Leser, auch nicht im Bett, dort hielten sich ebenfalls Bücher auf. Dennoch habe ich neben ihr in diesem Bett gelegen und aus Zeno Cosini vorgelesen, einem Roman von Italo Svevo, der in dem Buch, das Sie, geliebte Leserin, verehrter Leser, gerade in der Hand halten – womöglich ebenfalls vielversprechend nebeneinanderliegend – unausweichlich erwähnt werden muss. Die Gründe dafür werde ich später erläutern. Jetzt bleiben wir erst einmal, wo wir sind: Sie nebeneinander, ich neben Philine.

Sie war zauberhaft, mit haselnussbraunen Augen, wie ich nie wieder welchen begegnet bin, über die durchsichtig wirkende Lider niedergingen, wenn sie sich konzentrierte. Die Liebe machte sie immer sehr nachdenklich. Die Lider glitten über die Augen, und zwischen den Brauen wuchs eine Falte empor und teilte die Stirn. Für mich war sie wie eine wiedergeborene Botticelli-Venus, verträumt, anmutig, mit schockierend abfallenden Schultern. Ihre Anwesenheit machte mich so poetisch, dass ich anfing, Gedichte zu schreiben, was mir bis dahin noch nie passiert war. Dabei hielt sie sich in ihrer eigenen Wirklichkeit für ein durch und durch prosaisches Geschöpf, effizient in allem, was sie tat, und in der Substruktur, sie liebte solche Worte, in der Substruktur ihres Oberflächenchaos gut organisiert. Sie legte viel Wert auf wissenschaftliches Denken und war überzeugt, es ließe sich in ›Schritte‹ unterteilen, die – in der richtigen Reihenfolge absolviert – stets zu einem Ergebnis führen. Sie brachte es fertig, zwei Minuten, nachdem ihre Liebesfalte auf der Stirn verschwunden war, einen komplizierten Gedankengang von vorher wiederaufzunehmen, zu vervollständigen und das Ergebnis mit einem triumphierenden »Quod erat demonstrandum« zu bekräftigen, wenn sie glaubte, die Beweiskette abgeschlossen zu haben. Ich fand es hinreißend, wenn meine wissenschaftliche Venus lateinisch wurde, und war in meiner wirklichen Naivität furchtbar verliebt in ihre scheinbare. Mein Studium ging dem Ende zu, sie hatte das ihre gerade begonnen. Uns trennten zwölf Semester. Ich glaubte die Lebenserfahrung auf meiner Seite und machte Pläne, deren Ziel darin bestand, sie zu heiraten, vielleicht nach ihrer Zwischenprüfung. Ohne es zu merken, folgte ich exakt ihrer Methode: Ich teilte alles in Schritte ein, die – in der richtigen Reihenfolge absolviert – zum gewünschten Ziel führen sollten. Dieses Ziel hielt ich jedoch streng geheim. Ich versprach nur, keine Zigarette mehr anzurühren, sobald ich den Roman, in dem Zeno Cosini eine Letzte nach der anderen raucht, zu Ende vorgelesen hätte. Es sollte ganz anders kommen.

Anne

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Am Brustbein zwischen den beiden Rippengewölben über den Lungen befindet sich die Mea-culpa-Stelle. Meine Schuld, meine Schuld, meine übergroße Schuld – sagt Anne, und beklopft mit an den Kuppen zusammengelegten Fingern den geheimnisvollen Punkt wie eine übereifrige Nonne, die ein Kreuz nach dem anderen schlägt. Weitere Klopfpunkte befinden sich an den Schläfen, am Scheitel und hinter den Ohren. Das ist ihre neueste Methode. Sie hat auch viele andere mit Erfolg praktiziert. Manchmal rauchte sie drei Tage nicht, manchmal sechs Wochen, und einmal sogar über ein Jahr. Dieses Jahr der Wunder, wie sie es heute noch nennt, überstand sie mit Nikotinkaugummis, Kräuterzigaretten und autogenem Training unter besonderer Berücksichtigung der progressiven Muskelentspannung, das sie gelegentlich durch eine Akupunktur ergänzte, von der sie sich dann in der Sauna erholte. Wenn Anne mit dem Rauchen aufhört, wird sie zur Psychologin, Philosophin, Theologin und interessiert sich für Sport. Sie kombiniert Methoden, die nichts miteinander zu tun haben, und wäre fähig, montags zur Psychoanalyse zu gehen, dienstags in einen Kurs für Neurolinguistisches Programmieren, mittwochs zur Familienaufstellung, donnerstags zur Tantra-Gruppe, freitags zur Verhaltenstherapie, samstags auf den Fußballplatz und sonntags in die Kirche. Sie ist ein sehr vielseitiger Mensch. Neuerdings absolviert sie täglich vier Harmonys, beklopft zwischendurch ihr Brustbein und spricht ununterbrochen Affirmationen:

In mir ist Ruhe und Kraft

Ich bin glücklich und zufrieden mit meinem Leben

Ich bin glücklich und zufrieden, dass ich Nichtraucherin bin (was nicht ganz der Wahrheit entspricht, Anne kann dann sehr unduldsam sein)

In mir ist Ruhe und Kraft

Ich bin wie ich bin, und ich bin glücklich und zufrieden

Ich liebe die Menschen mit allen ihren Fehlern (was ebenfalls nicht ganz der Wahrheit entspricht, vor allem wenn Anne gerade nicht raucht)

In mir ist Ruhe und Kraft

Von den vier Harmonys sind eine im Stehen, zwei im Sitzen und die letzte im Liegen zu absolvieren. Eine genaue Schilderung, wie die Übungen im Einzelnen auszuführen sind, würde zu weit führen, aber in ihnen wird viel mit Seelenfreude und Weltumarmung gearbeitet, und jede von ihnen endet mit einem inbrünstig gehauchten: ES ATMET. Seit Anne diese Übungen macht, rufe ich an, bevor ich sie im Atelier besuche. Sie würde nie eine Übung unterbrechen, bloß um einem unangemeldeten Kunden oder einem unangemeldeten Freund die Tür zu öffnen. Anne zeichnet und webt. Ich bin vernarrt in die luftigen, duftigen Skizzen, die in dem Zimmer, in dem ihr Webstuhl steht, überall an der Wand hängen, derzeit in den Farben Gelb, Violett, Rosa und Blau, den vier Farben der vier Harmonys. Jedes Mal, wenn ich in ihrem Atelier vorbeischaue, versuche ich, ihr eine dieser Entwurfszeichnungen abzuschwatzen, und manchmal, wenn die Affirmation der Menschen mit allen ihren Fehlern nicht zu lange zurückliegt, gelingt mir das auch. Dann gebe ich ihr einen Kuss (auf den Mund, denn Anne ist ein vielseitiger Mensch) und laufe zum Blumengeschäft an der Ecke, um einen Strauß in Gelb, Violett, Rosa und Blau zu holen. Während wir den Strauss binden lassen, verehrter Leser, stehen wir mit einer

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in der Hand ruhe- und kraftlos vor der Ladentür auf dem Bürgersteig und atmen zwischendurch.

Kreta!

Dich habe ich von allen am meisten geliebt, doch deinen wahren Namen gebe ich nicht preis. Ich will dich nach der Insel nennen, auf der wir uns begegnet sind. Du warst für mich wie die Freskenmädchen von Kreta, die voll Anmut die Jünglinge erwarten, die über die Stiere springen. Und du warst handfest wie eine Bäuerin, die der roten Erde unnachgiebig die Früchte abringt. Du warst wie die Göttin im Olivenhain und wie der Wind an einem heißen Tag. Und meine Ariadne warst du, die mich an ihrem Faden aus dem Labyrinth eines Romans über Jean Nicot führte, obwohl es mir nicht gelungen war, den Minotaurus, der im Zentrum eines jeden Romans auf den Schriftsteller wartet, zu erschlagen und das Buch zu Ende zu schreiben. Kreta, ach Kreta. Dich habe ich von allen am meisten geliebt, und doch sprichst du nicht mit mir. Ich schreibe dir keine Mails mehr und keine Briefe, du hast nie geantwortet; und ich spreche keine Nachrichten auf die Telebox, du hast nie zurückgerufen. Rauchst du immer noch exakt neun Roth-Händle (10 mg, 1,0 mg, 6 mg) am Tag wie in den Jahren unserer Ehe, drei am Vormittag, drei am Nachmittag, drei am Abend? Hältst du unser Schlafzimmer – dein Schlafzimmer, verzeih – immer noch rauchfrei und verabscheust Zigaretten nach dem Sex? Du bist die Einzige, die nie versucht hat, mit dem Rauchen aufzuhören, und deren tägliche Dosis stets gleich geblieben ist, drei am Vormittag, drei am Nachmittag, drei am Abend – und niemals eine nach Mitternacht, auch nicht an Silvester. Nur einmal hast du das Rauchen vorübergehend eingestellt, aus Protest gegen Paula und um zu beweisen, wie einfach das Aufhören ist: Wer nicht mehr rauchen will, soll nicht mehr rauchen. Schluss, aus, Nikolaus! Ich stelle mir dein verächtliches Lächeln vor, wenn du dieses Buch zu Gesicht bekommst, wie du es mit beiden Händen packst und auseinanderbiegst, dass sein Rücken knackt, wie du das rechte Auge zusammenzwickst, um es vor dem dunstigen Faden zu schützen, der von der Filterlosen in deinem Mundwinkel aufsteigt, wie sich deine schwarzen Brauen heben wie Krähenflügel, wenn du beim Überfliegen auf Paula triffst, die du mir nie verziehen hast. Aber wenn du liest, dass ich dich immer noch liebe, Kreta, mein Mädchen, meine Frau, meine geschiedene Allerschönste, dann wird dein Lächeln mild, und du nimmst die Filterlose aus dem Mund, tupfst mit der Kuppe des Mittelfingers den Tabakkrümel von der Lippe und öffnest das rechte Auge, das wegen einer Verletzung aus Kindertagen einen bernsteinfarbenen Einschluss in der grünen Pupille hat, dem ich noch immer verfallen bin.

Paula

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Sie spricht noch mit mir, aber wir sehen uns selten. Sie hat mir meine untreue Treue zu Kreta nicht verziehen. Paula geht beim Rauchen systematisch vor. Sie hat stets ein altes Benzinfeuerzeug aus Nickelblech dabei, ein silbernes Zigarettenetui im Damenformat (sie sind unverständlicherweise nur halb so breit wie die üblichen) und einen winzigen tragbaren Aschenbecher mit einem Fassungsvermögen von einer Zigarettenkippe. Außerdem hat sie einen ständigen Begleiter Namens Paul. So nennt sie ihren inneren Schweinehund. Paula ist der Überzeugung, dass Schweinehunde grundsätzlich männlich sind, was der verehrte Leser ihr nicht übel nehmen sollte, denn Paula ist eine faszinierende Frau.

Sogar grundsätzlich männliche Schweinehunde haben das Recht auf einen Namen, und so lag es für sie nahe, einfach den letzten Buchstaben ihres eigenen Namens wegzulassen. Paula und Paul sind häufig verschiedener Meinung, und der innere Geschlechterkampf wird auf beiden Seiten mit großer Leidenschaft geführt. Ein dazustoßender Dritter kann leicht zwischen die Linien geraten. Genau das ist mir passiert, ich werde später davon erzählen.