Die letzten zehn Tage - Richard Overy - E-Book

Die letzten zehn Tage E-Book

Richard Overy

4,7
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

September 1939: Drei Tage schwebte Europa in einem Niemandsland zwischen Krieg und Frieden

Richard Overy, einer der führenden britischen Historiker, nimmt in seinem Buch die dramatischen Entwicklungen im Spätsommer 1939 in den Blick, in denen das Schicksal der Welt am seidenen Faden hing. Spannend und auf breiter Quellenbasis schildert er jene atemlosen zehn Tage, die dem deutschen Überfall auf Polen und damit dem Beginn des Krieges vorangingen, und berichtet von diplomatischen Manövern, unmöglichen Ultimaten und folgenreichen Fehleinschätzungen.

Ende August 1939, die Menschen in Europa erlebten gerade ihren letzten Sommer in Friedenszeiten, war die Stimmung unter Politikern und Diplomaten in den Hauptstädten des Kontinents bereits äußerst angespannt. Ein Jahr zuvor war mit dem Münchner Abkommen ein Krieg gerade noch einmal abgewendet worden. Im März 1939 hatte Hitler die sogenannte Rest-Tschechei annektiert und damit einmal mehr bewiesen, dass ihm am Frieden in Europa nicht viel gelegen war. Am 1. September schließlich marschierten deutsche Truppen in Polen ein.

Richard Overy gewährt dem Leser einen Blick hinter die Bürotüren der Regierenden und Machthaber in Berlin, Paris, London und Moskau und zeigt, dass sich auf der politischen Bühne ein Nerven zerreißendes Drama abspielte. Drei Tage schwebte Europa in einem Niemandsland zwischen Krieg und Frieden. Hitlers Hoffnungen, dass Daladier und Chamberlain seinem Expansionsstreben weiterhin tatenlos zusehen würden, wurden enttäuscht. Am 3. September erklärten Frankreich und England Deutschland den Krieg.

Ein atemberaubender Blick auf die letzten Tage vor Kriegsbeginn von einem der führenden Historiker zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 197

Bewertungen
4,7 (18 Bewertungen)
14
3
1
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis
 
Vorwort
PROLOG
Copyright
Die Originalausgabe erscheint 2009 unter dem Titel 1939: Countdown to War bei Penguin, UK.
Vorwort
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bot sich regelmäßig alle zehn Jahre Gelegenheit, noch einmal über die außergewöhnlichen Umstände nachzudenken, die zu einem Krieg von so erschreckendem Ausmaß, so ungeheuerlicher Zerstörungskraft geführt haben, einem Krieg, vor dem sich selbst die Opfer und Verluste des vorausgegangenen Ersten Weltkriegs (1914 - 1918) klein ausnahmen. So konnte man sich auch die Ursachen dieses gewaltigen Konflikts nur sehr groß vorzustellen. Tatsächlich gab es in der Weltordnung der Nachkriegszeit, im kapitalistischen System oder in der politischen Geographie Europas systemische Schwächen, die den kommenden Konflikt schürten. Und es lag Untergangsstimmung über dem Kontinent, überall mühte man sich darum, mit einer düsteren Wirklichkeit zurechtzukommen; überall herrschte das Gefühl, dass dieser Weltteil, der gewohnt war, sich für den Mittelpunkt der modernen Zivilisation und Kultur zu halten, offenbar davorstand, in den Abgrund neuerlicher Barbarei zu stürzen.
Das ist der Hintergrund dieses kleinen Buchs. Die Absicht ist, eine kurze Geschichte zu erzählen, die mächtige Folgen hatte und die sich am Ende von zwanzig Jahren Unsicherheit und Krise zutrug, die auf den Ersten Weltkrieg folgten. So umfassend, so nachhaltig die Gründe gewesen sein mögen, einen Krieg zu beginnen und zu führen, es gab einen Augenblick, in dem sich die politischen Hauptakteure diesen Kräften stellen und schwere Entscheidungen treffen mussten. Noch immer war vieles im Lot, auch im Verlauf dieser dramatischen Tage kurz vor Kriegsbeginn. Große Ereignisse entwickeln ihre eigene Dynamik und ihre eigene innere Geschichte. Heute erscheint uns der Ausbruch des Kriegs als natürliche Konsequenz einer internationalen Krise, die hauptsächlich durch Hitlerdeutschland provoziert worden war. Mit den folgenden Ausführungen möchte ich zeigen, dass nichts in der Geschichte unausweichlich ist. Der eigentümliche Austausch zwischen System und Akteuren vollzieht sich im Innersten der historischen Erzählung. Ereignisse können beides sein: Auslöser und Folge, und das gilt umso mehr für die Ereignisse, die Europa vor siebzig Jahren in den Krieg führten.
 
Richard Overyim März 2009
PROLOG
Polen, Deutschland und der Westen
1933 veröffentlichte der englische Schriftsteller H. G. Wells The Shape of Things to Come, einen fiktiven Bericht, der die Weltgeschichte der kommenden fünfzig Jahre erzählt, zentriert um die Voraussage eines »letzten Kriegs« in naher Zukunft. Als Datum seines Beginns wählt Wells den Januar 1940, und als Auslöser erfindet er einen kleinen Zwischenfall in Danzig: Ein polnischjüdischer Handelsvertreter wird im Danziger Hauptbahnhof von einem jungen Nationalsozialisten erschossen, der den Versuch des Polen, eine zerbrochene Zahnprothese zurechtzurücken, als Verspottung eines Repräsentanten des »Dritten Reichs« missverstanden hatte. In Wells’ Geschichte ist dieser Zwischenfall nur der Funke, der nötig war, das Pulverfass europäischer Rivalitäten und gegenseitigen Misstrauens zu zünden. Es dauert zwei Tage, und der Krieg hat Europa erfasst. Die Spannung, heißt es bei Wells, »stieg bis zu einem Punkt, an dem die Katastrophe als Erlösung erschien, und Europa war frei, sich selbst in Stücke zu reißen«.1
Etwas ganz Ähnliches ereignete sich im Herbst 1939 - gut vier Monate früher als Wells dies erwartet hatte. Innerhalb von drei Tagen nach den ersten deutschen Schüssen auf die Danziger Westerplatte stand Europa im Krieg. Die Forderung, die ehemals deutsche Stadt zurückzugeben, löste einen gewaltsamen Konflikt aus, der am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen begann und der zwei Tage später, mit der Kriegserklärung der beiden Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich, zum Weltkrieg wurde. Hinter dem formellen Anlass des Konflikts verbarg sich, dass sich Europa 1939 in einem Zustand extremer Spannung befand, ausgelöst durch den Zusammenbruch der internationalen Ordnung und des Gleichgewichts, die nach Ende des Ersten Weltkriegs hergestellt worden waren. Der Konflikt, der im September 1939 den Zweiten Weltkrieg entzündete, hatte weiter gespannte Ursachen als den Streit um den Status der Stadt Danzig. Vor dem britischen Unterhaus erklärte Premierminister Neville Chamberlain am 24. August 1939, dieser Krieg, sollte er kommen, werde nicht »für die politische Zukunft einer weit entfernten Stadt in einem fremden Land« geführt, sondern für die Erhaltung der Grundprinzipien des internationalen Rechts.2 Auch Adolf Hitler hatte den Generälen der Wehrmacht, die er am 23. Mai zu einer Besprechung bestellt hatte, um den Polenfeldzug vorzubereiten, erklärt: »Danzig ist nicht das Objekt, um das es geht. Es handelt sich für uns um Arrondierung des Lebensraumes im Osten und Sicherstellung der Ernährung.«3
Der Krieg, der im September 1939 ausbrach, lässt sich angemessen nur im Zusammenhang der politischen Verhältnisse in Europa erklären, die sich während der 1930er Jahre verschlechtert hatten. Wirtschaftskrise, der Aufstieg autoritärer Diktaturen, tiefe ideologische Gräben, nationale Rivalitäten und das Scheitern des Völkerbunds bei seinen Bemühungen, den Frieden zu erhalten, wirkten zusammen, und dies machte einen größeren Konflikt wahrscheinlich. Gleichwohl war es ein Krieg, der, so hieß es, für die Unabhängigkeit Polens geführt wurde, und tatsächlich sind die unmittelbaren Ursachen des Kriegs im Konflikt um Polens Zukunft zu finden. Vor allem die unnachgiebige Weigerung der Polen, ihrem mächtigen deutschen Nachbarn irgendwelche Zugeständnisse einzuräumen, machte den Krieg fast unausweichlich. Polen, so schrieb ein Vertreter des britischen Außenministeriums im Mai 1939, sei der einzige Staat in Europa, »der fähig und bereit ist, der deutschen Aggression ernsthaft Widerstand zu leisten«.4
Die »polnische Frage« führt zurück in die Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, als die alliierten Siegermächte beschlossen, einen unabhängigen polnischen Staat zu schaffen und diesem mit einem Korridor durch ehemals deutsches Territorium Zugang zur Ostsee zu garantieren. Damit verbunden war die Zusage, dass Polen die deutsche Stadt Danzig als Haupthafen für seinen Import- und Exporthandel nutzen konnte. Danzig wurde zur Freien Stadt, der Hafen zum Freihafen erklärt, beide standen unter Aufsicht des Völkerbunds. Ein Hochkommissar des Völkerbunds überwachte die Einhaltung des Abkommens, das einerseits den polnischen Handel schützen, andererseits der mehrheitlich deutschen Bevölkerung des Freistaats Danzig Selbstverwaltung garantieren sollte.5 Von deutscher Seite wurde diese Lösung nie akzeptiert, und der polnischen Führung war klar, dass dieses Abkommen Zündstoff für künftige Krisen enthielt. Der Status einer Freien Stadt, so Marschall Józef Piłsudski - von 1926 an, nach einem Putsch, bis zu seinem Tod im Jahr 1935 führte er als Ministerpräsident die polnische Regierung -, werde stets das »Barometer der polnisch-deutschen Beziehungen« sein.6 Im Mai 1933, kurz nachdem Hitler im Deutschen Reich an die Macht gelangt war, errang die NSDAP im Danziger Stadtparlament die absolute Mehrheit (38 von 72 Sitzen) und stellte die Regierung; bis zum Kriegsbeginn war Danzig ein Außenposten des Deutschen Reichs. Von 1936 an herrschte faktisch ein Einparteiensystem, und im November 1938 übernahm der Stadtrat gegen den Willen des Völkerbunds und seines Hochkommissars die im Reich seit 1935 geltenden Nürnberger Gesetze, die den Juden in Danzig die vollen Bürgerrechte raubten.7 1939 agitierte die deutsche Bevölkerung Danzigs, mehrheitlich nationalsozialistisch eingestellt, unter der Parole »Heim ins Reich«.
Doch die »polnische Frage« betraf nicht nur Danzig. Der im Juni 1919 unterzeichnete Versailler Vertrag gewährte Polen nicht nur den Korridor durch Westpreußen, sondern auch bedeutende Teile des oberschlesischen Kohlereviers. Deutsche Freikorps, 1919 aus demobilisierten deutschen Soldaten rekrutiert, kämpften, bis sie 1920 aufgelöst wurden, an der östlichen Reichsgrenze gegen Polen und seine Forderungen. Auch gehörten große Gebiete, die zuvor russisches Territorium gewesen waren, zum neuen polnischen Staatsgebiet. 1922, nach ihrem Sieg im russischen Bürgerkrieg, fielen Teile der revolutionären Roten Armee in Polen ein und versuchten, den gerade gebildeten polnischen Staat zu zerstören und die proletarische Revolution weiter nach Europa hineinzutragen. Die rote Kavallerie erreichte fast die deutsche Grenze, gleichzeitig drohten die schlecht ausgerüsteten Truppen unter General Michail Tuchatschewski Warschau einzuschließen, die Hauptstadt des ehemaligen Russisch-Polen. Großbritannien und Frankreich unterstützten den Staat, den sie gerade gegründet hatten, nicht, dennoch konnten die Polen unter Józef Piłsudski, einem polnischen Nationalisten, der 1914 eine polnische Armee aufgestellt hatte, die an der Seite Österreich-Ungarns gegen das zaristische Russland kämpfte, einen bemerkenswerten Sieg erringen. Man hat dieser frühen Schlacht um Warschau in den historischen Berichten nie das Gewicht gegeben, das ihr gebührt, rettete sie doch Osteuropa vor einem kommunistischen Kreuzzug und verteidigte Polens Unabhängigkeit gegen zwei gefährliche Nachbarn: gegen Deutschland und die Sowjetunion. In Polen selbst wurde der Sieg von 1920 zum Gründungsmythos des neuen Staats, und darin gründete dann auch die spätere Entschlossenheit, sich keinem der beiden übermächtigen Nachbarn zu beugen.8
In der Zwischenkriegszeit konnte Polen seine fragile Unabhängigkeit bewahren und zu einer bedeutenden Regionalmacht in Osteuropa werden: Einige führende Politiker Polens träumten gar davon, den polnischen Einfluss bis ans Schwarze Meer und in die sowjetische Ukraine hinein auszudehnen. 1932 schloss Polen einen Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion und unterzeichnete 1934 ein ähnliches Abkommen mit Hitlerdeutschland. Gemessen an den kleineren Staaten Europas war Polen hochgerüstet: Mitte der 1930er Jahre floss etwa die Hälfte des Staatsbudgets in Rüstung und Militär. Die größeren Staaten Westeuropas jedoch betrachteten Polen nicht als möglichen Bundesgenossen. Der polnische Antisemitismus und der autoritäre Stil des Regimes waren nicht gerade hilfreich für einen Brückenschlag in den Westen. Und im Sommer 1938 befürwortete die polnische Führungsschicht sogar die Zerschlagung der Tschechoslowakei: Sie hoffte nämlich, Polen könne eine unabhängige Slowakei dominieren und zwischen den baltischen Staaten und den Grenzen Rumäniens zu einer einflussreichen Macht werden. Nach dem Münchner Abkommen vom 30. September 1938, mit dem die Aufteilung des tschechoslowakischen Staats besiegelt wurde, sicherte sich Polen seinen Anteil an der Beute, indem es den Tschechen ultimativ und erfolgreich abverlangte, die wirtschaftlich starke Region Teschen (Cieszyn) abzutreten. So erschien es den westlichen Staaten nicht unwahrscheinlich, dass sich die Polen dem deutschen Lager anschließen könnten.9
Die abrupte Verschlechterung der deutsch-polnischen Beziehungen, die schließlich dazu führte, dass Deutschland 1939 den Krieg begann, resultierte daraus, dass sich die polnische Führung selbst keineswegs als Partner des deutschen Lagers betrachtete. Zwar herrschten 1938 kaum offensichtliche Spannungen zwischen Polen und Deutschland, selbst wenn der Status von Danzig und die Zukunft des polnischen Korridors weiterhin zu den Punkten der Nachkriegsverträge gehörten, die die deutsche Führung gern revidiert hätte. Doch im Wiedererstarken Deutschlands unter Hitler sah Polens Elite eine ernsthafte Bedrohung und war entschieden der Meinung, dass die Polen betreffenden Regelungen des Versailler Vertrags um jeden Preis zu verteidigen seien. Selbst wenn sie durchaus bereit war, vom Zusammenbruch des tschechischen Widerstands 1938 zu profitieren, wollte Polens Führung keinesfalls, dass Regelungen wie die in München getroffenen auch für deutsche Minderheiten in Polen oder in der Freien Stadt Danzig Anwendung fänden. Der deutschen Seite öffnete die Zerstückelung der Tschechoslowakei den Weg zu weiteren Revisionen des Status quo in Osteuropa, bedeutete aber noch nicht notwendig Krieg. Am 1. Oktober 1938, als deutsche Truppen, dem Münchner Abkommen folgend, ins Sudetenland einmarschierten, erklärte Hitler seinem Heeresadjutanten, dass die Polenfrage damit nicht erledigt sei: »Zur gegebenen Zeit würde er die Polen sturmreif schießen, dazu werde er die nunmehr bewährten Mittel anwenden.«10 Es ist unwahrscheinlich, dass Hitler damals schon an einen Krieg gegen Polen dachte. Seine bevorzugte Lösung war, sich mit Warschau über eine Revision der Grenzen und die Rückgabe Danzigs an Deutschland zu einigen; außerdem sollte Polen dem prodeutschen Block in Osteuropa beitreten. Am 24. Oktober 1938 lud Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop den polnischen Botschafter Józef Lipski zu einem Mittagessen ins Grand Hotel in Berchtesgaden ein, nahe Hitlers Ferienresidenz auf dem Obersalzberg. Bei dieser Gelegenheit schlug er zum ersten Mal vor, Polen solle Danzig an das Reich zurückgeben und dem Bau einer Autobahn sowie dem Ausbau der Eisenbahnlinie (der ehemaligen Preu ßischen Ostbahn) durch den Korridor zustimmen und Deutschland exterritoriale Rechte für diese Landverbindungen einräumen. Im Gegenzug werde Deutschland alle anderen deutsch-polnischen Grenzen anerkennen und den deutsch-polnischen Nichtangriffspakt auf fünfundzwanzig Jahre verlängern; außerdem lud von Ribbentrop die Polen ein, dem Antikominternpakt zwischen Deutschland, Italien und Japan beizutreten, der gegen die Sowjetunion gerichtet war.11
Lipski kehrte nach Warschau zurück und erstattete Józef Beck, dem starken Mann in der polnischen Regierung, der seit 1932 das Außenministerium leitete, Bericht. Beck gewann den Eindruck, dass die deutsche Führung dabei war, einen »Nervenkrieg« um Danzig zu entfesseln. Erst gegen Ende November erklärte Beck seinem deutschen Amtskollegen, dass es nicht infrage komme, Danzig wieder ins Deutsche Reich einzugliedern, doch könne man über ein Ende des Völkerbundmandats für Danzig und ein deutsch-polnisches Abkommen verhandeln, das die Interessen beider Völker an Danzig, aber auch dessen Selbstständigkeit anerkenne. Am 24. November wies Hitler die Wehrmacht an, einen Plan für »eine handstreichartige Besetzung Danzigs« zu erarbeiten. Am 5. Januar 1939 wurde Beck nach Berlin eingeladen, wo Hitler darauf bestand, dass Danzig deutsch werden müsse. Bis zum Frühjahr wurden die Töne aus Deutschland immer entschiedener. Von Ribbentrop erklärte Botschafter Lipski am 20. März 1939, Danzig müsse an Deutschland zurückgegeben und eine exterritoriale Landverbindung geschaffen werden. Außenminister Beck solle zu Verhandlungen nach Berlin kommen.12 Diese Aufforderungen ergingen in einer aufgeheizten Atmosphäre, nur fünf Tage nachdem der tschechische Staatspräsident Emil Hácha unter Androhung der Bombardierung Prags gezwungen worden war, in Berlin einen »Protektoratsvertrag« zu unterzeichen. Am Tag darauf rückten die Wehrmachtseinheiten in die »Resttschechei« ein. Zwei Tage später, am 22. März, wurde Litauen gezwungen, das Memelland an das Deutsche Reich abzutreten. Beck erkannte die Zeichen und weigerte sich, nach Berlin zu kommen - das war das Ende der freundlichen Verhandlungen. Es kam zu keinem weiteren Treffen zwischen Botschafter Lipski und Hitler oder von Ribbentrop - bis zum 31. August, dem Tag vor dem deutschen Überfall auf sein Land. Am 24. März skizzierte Beck seinen Mitarbeitern im Außenministerium die polnischen Optionen: Deutschland habe »seine Berechenbarkeit verloren«, Hitler müsse mit einer Entschlossenheit konfrontiert werden, die ihm anderswo in Europa bislang nicht begegnet sei, es gebe eine Linie, die Polen in Verhandlungen nicht aufgeben könne. Und eines sei klar: »Wir werden kämpfen.«13
In der letzten Märzwoche 1939 waren die Fronten für den Krieg abgesteckt. Einen Tag nach Becks Sitzung und der endgültigen Zurückweisung der deutschen Vorschläge durch Polen befahl Hitler dem Oberkommando des Heeres (OKH), einen Angriffsplan auf Polen zu entwickeln - für den Fall, dass Polen die deutschen Forderungen weiterhin ablehne und international isoliert werden könne. Ebenfalls in dieser Woche wurden die polnischen Streitkräfte an der Westgrenze in Alarmbereitschaft versetzt. Die deutsche Besetzung der Tschechoslowakei hatte alle Illusionen der englischen Regierung zerstört, man könne Hitler auf einen Rahmen verpflichten, der englischen und französischen Interessen entsprach. Und mit der Annexion des Memellands wuchs die Furcht, dass ein Überraschungsangriff auch Danzig zur Beute der Deutschen machen könne. Geheimberichte, die London aus Polen erreichten, zeigten, dass sich die polnische Haltung verhärtete. Am 27. März hatte der polnische Kabinettschef angedeutet, das Polen um Danzig kämpfen werde. »Selbst für vernünftige Diskussionen« sei die öffentliche Meinung nicht mehr zugänglich, und die Armee sei nicht weniger unnachgiebig. Geheimdienstberichte legten den Briten dar, dass Deutschland tatsächlich im Begriff war, Danzig mit einem Überraschungsangriff einzunehmen. Chamberlain erhielt die Nachricht: »Angriff steht bevor«14 und verkündete am 31. März vor dem Unterhaus eine Garantie der polnischen Unabhängigkeit, der sich ein paar Tage später auch Frankreich anschloss. Weil der Überraschungsangriff ausblieb, gingen die Briten davon aus, die polnische Teilmobilmachung und die britisch-französische Garantie hätten Hitler zurückweichen lassen - eine Ansicht, die die Briten ermutigte, in den Sommermonaten immer entschiedener aufzutreten. Niemand jedoch betrachtete Danzig weiterhin als den eigentlichen Streitpunkt. Eine Kabinettsvorlage zur Danzig-Frage, die der britische Außenminister Lord Halifax am 5. Mai 1939 verfasste, erläuterte, das Problem seien nun einerseits
 
Der Pantheon Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH.
 
Erste Auflage Juli 2009
 
Copyright © 2009 by Richard Overy Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2009 by Pantheon Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
 
Lektorat: Annalisa Viviani, München Karte: Peter Palm, Berlin
eISBN : 978-3-641-03298-2
 
www.pantheon-verlag.de
 
Leseprobe
 

www.randomhouse.de