Die Liebesfalle - Hans-Joachim Maaz - E-Book

Die Liebesfalle E-Book

Hans-Joachim Maaz

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Beschreibung

Liebe, das bedeutet oft nicht nur Leidenschaft und gute Gefühle, sondern auch Verstrickung und tiefe Enttäuschung aufgrund unerfüllt bleibender Erwartungen. Die Liebesfalle schnappt immer dann zu, wenn der Partner dazu benutzt wird, erlittenes Leid abzureagieren, und die Beziehung die Folgen vorhandener Störungen verstärkt.
Der bekannte Psychiater und Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz zeigt in diesem Buch, wie man der Liebesfalle entkommt. Den Schlüssel dazu sieht er in einer gelebten Beziehungskultur, zu der etwa gehört,
 -  die eigene Befindlichkeit zu reflektieren,
 -  erst zu fühlen und dann zu handeln,
 -  sich unverstellt mitzuteilen,
 -  Mut zu klaren Ansagen und Aussagen zu haben,
 -  zuzuhören, ohne Druck auszuüben,
 -  stets verhandlungsbereit zu bleiben.
Das Buch ist voller Zuversicht: Eine lebendige Beziehung kann zur Quelle dynamischer Weiterentwicklung beider Partner werden und ihnen tiefe Befriedigung jenseits von Konsum und Erfolgsdruck verschaffen.

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Seitenzahl: 247

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HANS-JOACHIM MAAZ

Die Liebesfalle

SPIELREGELN FÜR EINE NEUEBEZIEHUNGSKULTUR

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

VERLAG C.H.BECK

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Zum Buch

Liebe, das bedeutet oft nicht nur Leidenschaft und gute Gefühle, sondern auch Verstrickung und tiefe Enttäuschung aufgrund unerfüllt bleibender Erwartungen. Die Liebesfalle schnappt immer dann zu, wenn der Partner dazu benutzt wird, erlittenes Leid abzureagieren, und die Beziehung die Folgen vorhandener Störungen verstärkt.

Der bekannte Psychiater und Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz zeigt in diesem Buch, wie man der Liebesfalle entkommt. Den Schlüssel dazu sieht er in einer gelebten Beziehungskultur, zu der etwa gehört,

—  die eigene Befindlichkeit zu reflektieren,

—  erst zu fühlen und dann zu handeln,

—  sich unverstellt mitzuteilen,

—  Mut zu klaren Ansagen und Aussagen zu haben,

—  zuzuhören, ohne Druck auszuüben,

—  stets verhandlungsbereit zu bleiben.

Das Buch ist voller Zuversicht: Eine lebendige Beziehung kann zur Quelle dynamischer Weiterentwicklung beider Partner werden und ihnen tiefe Befriedigung jenseits von Konsum und Erfolgsdruck verschaffen.

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Über den Autor

Hans-Joachim Maaz, seit 40 Jahren praktizierender Psychiater und Psychoanalytiker, war lange Zeit Chefarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik des Diakoniekrankenhauses Halle. Bei C.H.Beck erschienen von ihm zuletzt Der Gefühlsstau. Psychogramm einer Gesellschaft (22014), Die narzisstische Gesellschaft. Ein Psychogramm (42013) und Hilfe! Psychotherapie. Wie sie funktioniert und was sie leistet (2014, unter Mitarbeit von Ulrike Gedeon-Maaz).

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INHALT

Vorwort

    I. DIE LIEBESFALLE

Verliebtheit und Partnerschaftshölle

   II. «BEZIEHUNGEN» BESTIMMEN ÜBER GLÜCK ODER LEID DES LEBENS

  III. «MÜTTERLICHKEIT» UND «VÄTERLICHKEIT» ALS PRÄGENDE BEZIEHUNGSERFAHRUNGEN

1. Diskriminierung der Mütterlichkeit

2. Störungen der Mütterlichkeit: Mutterbedrohung, Muttermangel, Muttervergiftung

3. Störungen der Väterlichkeit: Vaterterror, Vaterflucht, Vatermissbrauch

4. Im Dienste des Mutterschutzes

5. Plädoyer für eine «Elternschule»

  IV. DIE FOLGEN DER «FRÜHSTÖRUNGEN» ERSCHWEREN «BEZIEHUNGSKULTUR»

   V. DIE BEZIEHUNGSSTÖRUNGEN IN DER KOMMUNIKATION

1. Ich bin das Problem

2. Fühlen, um nicht zu «übertragen»

3. Ich kann mich nur selbst ändern

  VI. DIE GRUNDLAGEN EINER BEZIEHUNGSKULTUR

1. Beziehung zu sich selbst

2. Beziehung durch authentische Mitteilung

3. Gelebte Beziehungskultur: Reflektieren, Fühlen, Kommunizieren, Klare Ansagen, Zuhören, Bezeugen und Halten, Verhandlungsbereitschaft

 VII. DIE GRUNDSÄTZE EINER BEZIEHUNGSKULTUR

1. Keine Lust ohne Trauer und Schmerz

2. Erst fühlen, dann handeln

3. Die Akzeptanz der Begrenzung

4. Eigenständigkeit in Bezogenheit

VIII. PARTNERSCHAFT ALS BASIS EINER BEZIEHUNGSKULTUR

1. Wut, Schmerz und Trauer sind auch der Humus für Beziehungsglück

2. Gute Partnerschaft kennt keine Enttäuschung

3. Kein Partner für alles

4. Partnerschaft als «Geschäftsbeziehung»

  IX. GLÜCK UND LEID DURCH PARTNERSCHAFT Männliche und weibliche Übertragungsformen

   X. SPIELREGELN FÜR EINE GELINGENDE PARTNERSCHAFT AUF DER BASIS VON BEZIEHUNGSKULTUR

1. Lass dich nur auf Partnerschaft ein, wenn du dir sicher bist, dass du auch allein leben kannst, und lebe nicht allein, weil du Angst vor Partnerschaft hast

2. Du bist nicht für das Wohlbefinden deines Partners bzw. deiner Partnerin verantwortlich, aber du trägst Verantwortung für die Gestaltung der Beziehung

3. Lass dich nur auf Partnerschaft ein, wenn du akzeptierst, dass es nicht fürs ganze Leben sein muss

4. Partnerschaft kann erst nach Ablösung von den Eltern gelingen

5. Du musst dich bei jedem Konflikt fragen, was dein Anteil daran ist

6. Nichts ist selbstverständlich

SCHLUSS: WEGE ZU EINER ANDEREN GESELLSCHAFT

1. Liebe statt Geld

2. Lust statt Sucht

3. Schmerz statt Streit

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VORWORT

Ohne Liebe kein Leben. Um der Liebe willen tun Menschen alles, häufig allerdings auch in der Absicht, ihr zu entgehen, sie zu bekämpfen oder sie zu töten. Dass man die Liebe flieht und sie verhindern will, obwohl man ihrer so bedürftig ist, diese Paradoxie bleibt vielen unverständlich.

Wer in seiner Kindheit keine Liebe erfahren hat, der wird sie im weiteren Leben fürchten wie die Pest. Jede liebevolle Zuwendung würde den Ungeliebten an seine tragische Geschichte von Bedrohung, Ablehnung, Verlassenheit und Unterdrückung erinnern, die er mühevoll verdrängen und verleugnen musste, um überhaupt zu überleben.

Wo es um Liebe geht, sitzen viele Menschen in einer Falle. Sie brauchen die Liebe, um zu wachsen, zu reifen, um den ganz individuellen Lebenssinn zu erfahren und sich zu verwirklichen. Aber der Liebesmangel (ver)führt sie auf falsche Wege. Sie verleugnen und verstellen sich, sie passen sich an und strengen sich an, um sich Liebe zu verdienen. Mit vielfältigen Leistungen erwerben sie sich vielleicht Ansehen; dessen Beständigkeit ist aber erfolgsabhängig. Liebe hingegen kann man sich weder erwerben noch kaufen. Unerfüllte Liebessehnsucht bleibt ein Leben lang angstvoll besetzt. Denn wer möchte schon an den schmerzvollen Mangel erinnert werden? So kann es dazu kommen, dass jede liebevolle Zuwendung als Fallstrick interpretiert wird. Das Liebesbedürfnis und die Liebesangst gehen dann oft pervertierte Wege: Der Kampf um Geld, das Ringen um Macht, die Eitelkeit des Erfolgs, kurz: die Anbetung von Götzen speisen sich energetisch aus der Frustration darüber, ohne Liebe zu sein. Geht dann aber auch noch der Liebesersatz verloren, so kann dies lebensbedrohliche Züge annehmen.

In die Liebesfalle gerät, wer glaubt, die verlorene Mutterliebe in einer Partnerschaft, in der Sexualität, durch Dienen und Leisten doch noch ausgleichen zu können. Je mehr die Liebe ersehnt und erfleht wird, desto weniger hat sie Chancen, überhaupt wahrgenommen zu werden; und je mehr man glaubt, selber zu lieben, desto weniger wird der nötigende und erpresserische Charakter des eigenen Begehrens erkannt.

In der Liebesfalle sitzt jeder, der sich bemüht zu lieben oder alles tut, um geliebt zu werden. Die Liebe entzieht sich dem menschlichen Willen. Wir können nur ihre Wirkungen wahrnehmen, annehmen, strömen lassen und weiterreichen. Auch die Eltern sind nicht die Quelle der Liebe, sie sind ihre Gärtner, sie können die Liebe in ihren Kindern erblühen oder verdorren lassen.

Das Liebesgeschenk bedarf der Hege und Pflege, und wenn die Eltern diesen Dienst versagen oder ihn schlecht versehen, gerät das Kind in eine tragische Situation, in der seine Liebesbedürftigkeit ausgebeutet und seine Liebesfähigkeit missbraucht werden.

Mit diesem Buch will ich aufzeigen, wie und warum die Liebesfalle funktioniert und wie man ihr entkommen kann.

Hans-Joachim Maaz

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I. DIE LIEBESFALLE

Verliebtheit …

Die Verwirrung über das Verständnis von Liebe ist umfassend. Im Namen der «Liebe» wird gequält, missbraucht, ausgebeutet und Leben zerstört. Das menschliche Liebesbedürfnis ist so fundamental, dass viele beim Gebrauch des Wortes «Liebe» allzu leicht auf Suggestionen, Verheißungen und Versprechungen hereinfallen. Illusionen und Verwechslungen beherrschen viele Handlungen, die im Namen der Liebe erfolgen.

Liebe ist ein Grundbedürfnis des Menschen mit zwei Seiten: dem Wunsch, geliebt zu werden, und dem Bedürfnis, lieben zu können. Beide Formen der Liebe sind an «Objekte» gebunden: an jemanden, der liebt, und an jemanden, der sich lieben lässt. Das Liebesbedürfnis bringt jeder Mensch mit auf die Welt, die Entwicklung der beiden Liebesfunktionen ist hingegen von den frühen Beziehungserfahrungen abhängig.

Liebe ist die Fähigkeit und Bereitschaft, dafür zu sorgen, dass es dem Geliebten gut geht. Der Maßstab dafür ist aber nicht das eigene liebende Tun, sondern das, was dem Geliebten wirklich nützt. Der Liebende steht damit vor einer schier unlösbaren Aufgabe, sich in den Geliebten einzufühlen und zu erspüren, was dieser wirklich braucht. Dazu sind ein hohes Maß an Empathie und Uneigennützigkeit vonnöten. Wie aber kann man sich befreien von eigenen Vorstellungen und Erwartungen – wie kann Liebe tatsächlich bedingungslos sein? Und wie kann man wissen, was dem anderen wirklich guttut? Eine Erwartung, ein Wunsch oder eine Bitte bieten noch keinerlei Gewähr dafür, dass es wirklich um Liebe geht und dass die Erfüllung tatsächlich liebevolle Zuwendung bedeutet. Der Ruf nach Liebe ist gar nicht so selten ein Erpressungsversuch. Im Glauben, das Beste für den anderen zu tun, ist schon reichlich Terror ausgeübt worden.

Ist es Liebe, dem Süchtigen im Entzug die Droge zu verschaffen? Ist es Liebe, dem Bettler ein Almosen zu geben und für karitative und humanitäre Zwecke zu spenden? Ist es Liebe, einem Kind gegen dessen Wunsch Grenzen zu setzen? Ist es Liebe, dem Partner bittere Wahrheiten zu sagen? Auf viele solche Fragen gibt es keine eindeutige Antwort, weil das Wissen über das eigene Motiv des Handelns und erst recht über die tatsächliche Situation des Empfängers nie umfassend und zweifelsfrei ist.

Das, was wir das Unbewusste, das Komplexe, das Systemische und Prospektive nennen, entzieht sich unseren Berechnungen und Überlegungen. Damit soll keiner fatalistischen Resignation das Wort geredet werden. Die genannten Schwierigkeiten und Unsicherheiten lassen sich natürlich verringern und das liebende Tun optimieren, nur letzte Sicherheit gibt es in dieser Hinsicht nicht.

Was wir als «Liebe» erleben oder aus «Liebe» vollbringen, gehört meist in den Zustand des Verliebtseins. Die Vorsilbe «ver» lässt sich schon als ein Hinweis darauf lesen, dass es sich um einen Irrtum handelt. Ist man verliebt, schwebt man förmlich in glückseligen Zuständen. Man ist erregt, hitzig, voller Tatendrang, begeistert sich für den anderen und überschüttet ihn mit überschwänglichen positiven Zuschreibungen. Verliebtheit ist ein Zustand veränderten Bewusstseins mit Verzerrung der Wahrnehmung und Einschränkung der kritischen Reflexion. Man sieht sich das «Liebesobjekt» schön! Es ist dann einmalig, großartig, phantastisch! Meist ist es eine unerfüllt gebliebene kindliche Liebessehnsucht, die heute den Blick verklärt und das Denken lähmt. So ist bei Verliebtheit gewöhnlich schon von Anfang an Eifersucht vorhanden, und die quälende Sorge um Erwiderung der galoppierenden Gefühle verrät die Bedürftigkeit des Verliebten, die mit wirklicher Liebe wenig zu tun hat. Mit ungeduldig-schmerzlichem Drang wird eine Erfüllung ersehnt, die prinzipiell nicht mehr möglich ist. Der erlebte Mangel ist längst Geschichte und durch nichts mehr wirklich aufzufüllen. So bleibt der Inhalt der Sehnsucht lange Zeit oder grundsätzlich unklar und unbestimmt. Man sucht etwas, das nicht mehr zu finden, das schon längst auf immer verloren ist.

Im Zustand des Verliebtseins wird das «Objekt» mit unbewussten Wünschen und Phantasien besetzt, deren Realisierung in Form von Gesten, Worten und Taten erhofft wird. Anfangs mag es ein Blick sein, ein freundliches Wort, ein Körperkontakt, dann wohltuende Gespräche, intime Geständnisse, schließlich Wunschvorstellungen von Partnerschaft, Familie und dauerhaftem Glück. Die Pläne und Phantasien sind abgehoben, irrational und künden vom tiefen Wunsch nach Verschmelzung, Bestätigung, Sicherheit und Gemeinschaft. Wir werden in den folgenden Kapiteln sehen, dass solche Sehnsucht aus der Frühbedürftigkeit des Menschen erwächst, insbesondere dort, wo sie mit Störungen und Defiziten an Mütterlichkeit und Väterlichkeit verbunden war. So ist Verliebtheit der drängende und aus der Kontrolle laufende Wunsch, endlich jemanden gefunden zu haben, der alles gut werden lässt und ausgleicht, was Vater und Mutter offengelassen oder gar verbrochen haben. Mit dieser frühen Last ist jede gegenwärtige Beziehung überfrachtet und letztlich zur Enttäuschung verdammt.

Die großen Lieben enden fast immer dramatisch. So findet denn auch die Verliebtheit bald ein bitteres Ende: Unvermeidliche Ernüchterung im Alltag sorgt für ihre Abkühlung, an der Realität erlahmen die Gefühle, und unerwartete Reaktionen führen zu Kränkungen. Auf das Erlebnis der Überforderung, die mit der Verliebtheit transportiert worden ist, reagieren nicht wenige mit Flucht aus der Beziehung. Abweisung kann im Extremfall zu Selbstmord, rasende Enttäuschungswut gar zu Mord führen.

Nach der Verklärung kommt der Absturz. Die Schönheit wird zur Fratze, Hass und Ekel vernichten alle Zuneigung. Auf die Irrationalität der Verliebtheit folgen die gleichermaßen verzerrten Zustände der Abwertung und Verachtung. Die eigene Fehleinschätzung und die Verkennung werden in der Regel jedoch nicht wahrgenommen. Fast immer finden sich Gründe und Eigenschaften, die einem das enttäuschende Objekt madig machen. Die bittere Erkenntnis, dass die Verliebtheit aus unerfüllten frühen Bedürfnissen und Sehnsüchten gespeist war, die sich prinzipiell nicht nachholen und durch nichts und niemanden später erfüllen lassen, muss unbedingt verhindert werden. Wesentlich einfacher und schützender ist es, den Adressaten der eigenen Verliebtheit zum Träger schlechter Eigenschaften und zum Schuldigen zu machen.

Die großen Hoffnungen, die man häufig erwartungsvoll auf einen Partner richtet, werden fast immer mit ebenso großer Enttäuschung bezahlt. Der Abwehrkampf gegen den frühen Ursprung der Liebesbedürftigkeit produziert neue Verletzungen und Kränkungen im Hier und Jetzt. Der im Stadium der Verliebtheit gerade noch idealisierte Partner wird zum Inbegriff des Bösen, ein lächerlicher Versager, ein Ekelpaket, gleich einem Verbrecher, der jetzt an allem Lebensunglück Schuld haben soll.

… und Partnerschaftshölle

Wir wundern uns immer wieder über Menschen, die permanent miteinander im Streit liegen, sich mit Vorwürfen belasten, sich immer wieder verletzen und kränken. Sie leben in einer quälenden Beziehung, klagen und jammern über ihre Situation. Meistens wird der Partner zum Inbegriff des Schlechten, Bösen, Falschen und Verlogenen stilisiert. Im Extremfall duldet ein Partner über Jahre hinweg sogar Gewalt, Vergewaltigung und Ausbeutung. Warum nur akzeptiert ein Erwachsener, so schlecht behandelt zu werden? Die häufigste Erklärung, es handle sich um einen Zustand der Angst und Einschüchterungen, verbunden mit seelischer Erpressung und ökonomischer Abhängigkeit, greift in der Regel zu kurz. Bei genauerem Hinsehen wird ein tiefenpsychologischer Zusammenhang erkennbar, der nahezu paradox anmutet: Das gegenwärtige Leid aus den realen Konflikten in der Partnerschaft ist das kleinere Übel! Das Opfer schlechter Behandlung hat ein tieferes, ihm selbst allerdings in aller Regel unbewusst bleibendes Interesse daran, im Hier und Jetzt unglücklich zu sein. Mit dem gegenwärtigen realen Leid wird das schon längst erlittene frühe Leid überdeckt. Die gegenwärtige Gewalt soll von der Kindheitsnot ablenken und weist zugleich auf das verdrängte und tabuisierte frühe Schicksal hin.

Alles das, was man sich als Erwachsener bieten lässt, ließe sich auch in Maßen steuern, kontrollieren, erwidern oder sogar bestrafen, und man könnte sich ihm immer auch entziehen. Deshalb ist es das «kleinere Übel», ohne damit wirklich böses und kriminelles Verhalten bagatellisieren zu wollen. Das «größere Übel» hingegen sind die bedrohlichen und verletzenden Erfahrungen, die man in der Kindheit hat machen müssen. Als Kind bleibt man ausgeliefert, kann sich kaum entziehen und verfügt lediglich über geringfügige Gegenmittel. Seelische Verletzungen des Kindes, wie sie vor allem durch die Mütterlichkeits- und Väterlichkeitsstörungen verursacht werden, haben häufig für das Kind eine lebensbedrohliche Wirkung, die sein Selbstwertgefühl vernichten und seine Identität zerstören; überlebt werden sie nur durch seelische Notreaktionen. Die Seele des Kindes weigert sich, realitätsgerecht wahrzunehmen und die schlimmen Erlebnisse zu verarbeiten. Stattdessen wird ausgeblendet, nicht mehr wahrgenommen, das Gefühl ausgeschaltet, das Verstehen blockiert. So überlebt das Kind halbwegs, bleibt aber seelisch erheblich eingeengt, verbunden mit schwerwiegenden Funktionsstörungen der Realitätswahrnehmung, der Gefühlsverarbeitung, der Beziehungsfähigkeit und des Denkens.

Nur wer um die mörderische Aggression und den zerreißenden Schmerz weiß, die sich in einem Menschen aufgrund bedrohlicher und verletzender Kindheitserfahrungen aufstauen können, der versteht auch die erduldeten, mitunter auch mitprovozierten destruktiven Verhältnisse, in denen Betroffene später ausharren. Sie brauchen gewissermaßen den schlechten Partner, der durch sein kritikwürdiges Verhalten den aufgestauten Hass und den Schmerz in kleineren Portionen aufsaugen kann. So ist die schlechte Partnerschaft die Rettung des seelisch Verletzten, weil sie ihm ermöglicht, das unerträgliche und bedrohliche frühe Leid in einem halbwegs erträglichen – wenn auch noch so schlimmen – Rahmen abzureagieren. Der böse Partner wird sozusagen zum Sparringspartner des abgelenkten Kampfes gegen Mutter und Vater. Was damals nicht möglich war – sich gegen die Eltern aufzulehnen, sie wegen ihres Tuns oder Unterlassens anzuklagen und ein liebevolleres Verhalten einzufordern –, das wird nun in der Partnerschaft umso heftiger unternommen und ausgetragen.

Das ehemalige Verhalten der Eltern ist zur inneren Erfahrung geworden, die die Matrix für die Partnerschaftskämpfe liefert. Diese späte Verwechslung endlich zu erkennen ist ein wesentliches Ziel psychotherapeutischer Arbeit. Absurd wäre es allerdings, als Konsequenz daraus vom Partner abzulassen und hier und jetzt zur großen Abrechnung mit den Eltern zu schreiten. Es sind die inneren Elternbilder, die entmachtet werden müssen, und dies geht nur über Erinnerung und die emotionale Verarbeitung der erinnerten Wahrheit. Den Eltern heute Vorwürfe über die damalige Situation zu machen schafft meistens keine Klärung und Entlastung, sondern provoziert nur neue Konflikte. Hätten die Eltern etwas von ihrer Schuld verstanden, dann hätten sie schon von sich aus Bedauern gezeigt und ihre Kinder um Vergebung gebeten. Werden sie aber ohne diese Selbsteinsicht angeklagt, verstärkt das nur die schon längst vorhandene Distanz, provoziert Rechtfertigungen, schafft neue Missverständnisse und Enttäuschungen. Selbst bei Einsicht der Eltern entsteht höchstens ein Gefühl der Genugtuung, aber keine befreiende Entlastung, die sich nur durch eigene Gefühlsarbeit erreichen lässt.

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II. «BEZIEHUNGEN» BESTIMMEN ÜBER GLÜCK ODER LEID DES LEBENS

Wir Menschen sind primär soziale Lebewesen. Allein könnten wir anfangs nicht leben und später nur mit Not überleben. Der Säugling ist ohne seine Mutter nicht denkbar. Mutter und Kind bilden zu Anfang eine dynamische Einheit, die erst allmählich – idealerweise mit Hilfe des Vaters – aufgelöst werden kann.

Die ersten Beziehungserfahrungen prägen nachhaltig das weitere Leben, auch und gerade unsere Liebesbeziehungen. Das gilt offensichtlich nicht nur für reale Erlebnisse. Auch unausgesprochene Einstellungen – Wünsche, Hoffnungen, Ängste, Bedenken und Ablehnungen seitens der Eltern – beeinflussen das Kind. Wie die Erkenntnisse der Säuglings- und Kleinkindforschung lehren, dürfen wir uns das Kind allerdings nicht länger als ein zu erziehendes «Objekt» vorstellen, dem sozusagen das rechte Leben erst beigebracht werden muss und dessen vermeintliche «Triebe» zu zügeln und zu kultivieren sind. Vielmehr betrachten wir das Kind von Anfang an als ein «Subjekt», das über vielfältige Möglichkeiten verfügt, seine Mutter zu beeinflussen. Dies bedeutet allerdings auch, dass bereits vor der Geburt ein schwerwiegender Konflikt zwischen Mutter und Kind beginnen kann: Hat die Mutter eine bestimmte Erwartung, wie ihr Kind sein soll, oder besitzt sie die Freiheit und Größe, neugierig, fasziniert und tolerant ihr Kind erfahren und entdecken zu wollen? Die Einstellung der Mutter zu ihrem Kind entscheidet über dessen wesentliche existenzielle Grunderfahrung: sich in seinem Einmalig- und Anderssein berechtigt zu fühlen oder dies nur geknüpft an bestimmte Bedingungen und Erwartungen zu dürfen. Dies ist der Grundkonflikt der individuellen Existenz: «Ich bin, und das ist gut so» – ohne Wenn und Aber – oder «Ich darf nur sein, wenn …»

Mutter und Kind stehen in einem dynamischen Austausch, der für das Kind durch drei wesentliche Erfahrungen geprägt wird:

—  Bin ich berechtigt?

—  Werde ich geliebt?

—  Darf ich so sein und werden, wie es meinen Möglichkeiten und Begrenzungen entspricht?

Das Kind hingegen konfrontiert die Mutter mit folgenden Fragen: Bin ich eine gute Mutter? Kann ich mein Kind verstehen, in seinen Eigenarten gelten lassen und lieben? Wie kann ich Mutterschaft, Partnerschaft und berufliche Interessen gut zusammenbringen?

Für die Eltern ist es ganz wichtig, sich der Frage zu stellen: Wozu wollen wir eigentlich ein Kind?, und dabei auch mögliche unbewusste Motive mit zu bedenken, die sich nur allmählich – am besten mit Hilfe Dritter – erforschen lassen. Ebenso sollten die Veränderungen der partnerschaftlichen Zweierbeziehung zu einer Dreierbeziehung bedacht und die potenziellen Erwartungen an ein Kind reflektiert werden:

— Ein Kind spiegelt die eigene Vergänglichkeit,

—  ein Kind ist immer auch eine Last,

—  ein Kind verändert das partnerschaftliche Gefüge, und

—  ein Kind ist immer anders als von den Eltern gedacht und gewollt.

Ein Kind kann vielfältige «Aufträge» der Eltern auferlegt bekommen:

—  Sei unser Stolz!

—  Sei mein Sonnenschein!

—  Mach mich glücklich!

—  Gib mir Bedeutung!

—  Kitte unsere Beziehung!

—  Dir soll es besser ergehen!

—  Verleihe uns «Unsterblichkeit»!

—  Wir brauchen einen Schuldigen!

—  Du bist unser Prügelknabe!

—  Du behinderst mein Leben!

—  Deinetwegen habe ich auf das Studium verzichtet!

—  Deinetwegen wäre ich fast gestorben!

—  Wir erwarten Dankbarkeit und brauchen deine Hilfe!

—  Du darfst mich nie verlassen!

Das dynamische Wechselspiel zwischen Mutter–Vater–Kind prägt die kindlichen Beziehungserfahrungen. Sie bilden die Grundlage für Lebensberechtigung und Lebensbedrohung, für Bedürftigkeit und Befriedigung, für Sehnsucht und Erfüllung, für Identität und Verwirrung, für Abhängigkeit und Autonomie.

Ich habe bei dieser Aufzählung das «und» statt des «oder» gewählt, weil jeweils beide Pole das Leben in seiner Gesamtheit ausmachen. Beziehungsstörungen und Krankheiten entstehen bei einseitiger Gewichtung und Fixierung auf einen Pol und den dadurch bedingten Verlust der dynamischen Regulierung im Spannungsfeld der Gegensätze. Um dies verständlich zu machen, benenne ich stichpunktartig die Folgen einseitiger Fixierung:

Betonte und fixierte …

…  Lebensberechtigung führt zu expansivem bis manischem Lebensstil.

…  Lebensbedrohung bedeutet aufgestauter Hass mit Tendenz zu Gewalt, Streit, Kampf und Krieg.

…  Befriedigung führt zu Erlahmung, Überdruss und Langeweile.

…  Bedürftigkeit führt zur Ausbildung von Suchtverhalten.

…  Sehnsucht provoziert Verschmelzungswünsche und umklammerndes Verhalten.

…  Erfüllung macht egoistisch und führt zur sozialen Abgrenzung und Isolierung.

…  Identität verursacht arrogante Überheblichkeit.

…  Verwirrung führt zu einem chaotischen Lebensstil, macht orientierungslos, haltlos und endet mitunter in der Psychose.

…  Abhängigkeit produziert Mitläufer, Mittäter, Konsumenten, Soldaten.

…  Autonomie macht «Machos» und «Emanzen» aus den Menschen.

Gesundheit liegt also in der Dynamik zwischen den Polen, in der Regulierungsfähigkeit, im Zulassen und Begrenzen der gegensätzlichen Eigenschaften je nach Lebenslage. Der Erwerb dieser Fähigkeiten setzt voraus, sowohl einander widersprechende Erfahrungen zu machen als auch Empathie und Toleranz gegenüber den eigenen Möglichkeiten und Begrenzungen zu entwickeln.

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III. «MÜTTERLICHKEIT» UND «VÄTERLICHKEIT» ALS PRÄGENDE BEZIEHUNGSERFAHRUNGEN

Unter den Begriffen «Mütterlichkeit» und «Väterlichkeit» fasse ich zentrale Eigenschaften und Fähigkeiten für die beziehungsdynamische Begleitung von Kindern zusammen, die darüber hinaus auch in allen anderen sozialen Bezügen wirken. «Mütterlichkeit» ist die Fähigkeit und Bereitschaft, zuzuhören, sich in die Befindlichkeit und Gedanken des Gegenübers einzufühlen, andere Empfindungen und Meinungen gelten zu lassen und zu verstehen, den Gefühlen Raum zu geben.

Damit ist «Mütterlichkeit» gewissermaßen eine Voraussetzung, um den Artikel 1 des Grundgesetzes: «Die Würde des Menschen ist unantastbar» überhaupt erfüllen zu können. Auf der Grundlage der mütterlichen Basisfunktion können sich dann auch mütterliche Aufgaben wie Nähren, Versorgen, Hegen, Pflegen oder Beschützen entfalten. Nur wer sich einfühlen und individuelles Anderssein respektieren kann, wird auch die angemessene Form und Dosis notwendiger und sinnvoller Betreuung finden. Gute Mütterlichkeit wird durch Mangel an Präsenz, Empathie, Hingabe, Toleranz und Freiheit eingeschränkt. Dabei hat falsche Liebe häufig verhängnisvollere Auswirkungen als deutlich erkennbare mütterliche Schwächen. «Falsch» ist alles, was nicht die wirkliche innere Situation des Kindes hilfreich berührt. Äußerlich kann ein Kind bestens versorgt sein und bleibt innerlich doch unerfüllt, weil nicht die wirklichen Bedürfnisse des Kindes, sondern die Vorstellungen und Erwartungen der Mutter der Maßstab der mütterlichen Zuwendung sind. Die erkennbaren und später meist gut erinnerbaren Versorgungsbemühungen der Mutter machen es oft unmöglich, die tatsächlichen Liebesdefizite überhaupt wahrzunehmen.

«Väterlichkeit» steht für den anderen Pol elterlicher Funktionen. Väterliche Aufgaben sind Zeugen, Führen, Fördern und Fordern, Begleiten, Entdecken, Ermutigen, Bestärken. Mit diesen Fähigkeiten hilft der Vater dem Kind, die Mutter allmählich verlassen zu können. Der Vater öffnet die dyadische Beziehung und weist den Weg aus der Zweisamkeit über die «Dreisamkeit» in die Autonomie. Von der Mutter zum Vater zum Ich in der Welt – so ließe sich der Entwicklungsweg des Menschen umschreiben.

Die Mutter vermittelt Berechtigung, Vertrauen, Gewissheit und Sicherheit, der Vater ermöglicht vielseitige Erfahrung, gibt Orientierung, befördert Mut und Kraft und verhilft zu eigenständigem Leben. Vater und Mutter sind wie Schiff und Hafen, die nur miteinander eine gute Seefahrt ermöglichen. Sie stehen für Eigenständigkeit in Bezogenheit. Erst die Dynamik der polaren Fähigkeiten und Bedürfnisse ermöglicht im Zusammenleben der Menschen auch ein Gemeinwesen, in dem individuelle Bedürfnisse und soziale Verantwortung zusammenfinden.

Mütterlichkeit und Väterlichkeit sind nicht an das Geschlecht und an die Person von Mutter oder Vater gebunden. Im Grunde genommen braucht jeder Mensch beide Fähigkeiten und sollte je nach Bedarf die angemessene Funktion ausüben können. Natürlich kann auch die Mutter väterlich und der Vater mütterlich sein. Unter Eltern muss die Verteilung väterlicher und mütterlicher Eigenschaften gut ausgehandelt und in Entsprechung zu den verschiedenen Lebenssituationen immer wieder neu abgesprochen werden. Die Eltern können sich helfen, unterstützen, auch teilweise ersetzen und in der Funktion wechseln, aber die grundsätzlichen Unterschiede von Mütterlichkeit und Väterlichkeit lassen sich nicht auflösen oder reduzieren. Für das Kind ist es natürlich am besten, wenn am Anfang die Mutter auch mütterlich ist, wenn also Person und primäre Versorgungsfunktion übereinstimmen. Mit der Entwicklung des Kindes können sich die Funktionen dann immer stärker von den Personen ablösen.

Auch innerhalb von Kindergarten, Schule, Krankenhaus, selbst in Behörden, Organisationen und Betrieben sind mütterliche und väterliche Funktionen gefragt. Wie anders würde unsere Gesellschaft aussehen, wenn ein mütterlich-einfühlsames Verständnis für die Andersartigkeit eines jeden Menschen und für seine spezifischen Schwierigkeiten die Grundlage aller väterlichen Entscheidungen und Maßnahmen bildete, wenn liebevolle Bestätigung entsprechenden Entfaltungsraum fände und wenn Einsicht in die Begrenzung und soziale Forderungen zusammenpassen würden.

Ein Schüler braucht nicht nur Herausforderungen seiner Leistungsbereitschaft, sondern auch ein tiefes Verständnis für seine Fähigkeiten und Begrenzungen. Zensuren werden dieser wichtigen Aufgabe nicht gerecht. Ein Patient braucht nicht nur die diagnostisch-technische Hochleistung und das richtige Medikament, sondern Zeit und Raum für ein ganzheitliches Verstehen seines Krankseins und möglichen Gesundwerdens. Ein Arbeitsloser braucht keine demütigende Kontrolle und höchstens ein Minimum an sinnvoller Verwaltung, er braucht – wenn schon keine Erwerbsarbeit mehr zur Verfügung steht – vor allem eine Sozialpolitik, die ihm eine würdige Tätigkeit verschafft, und ein gesellschaftliches Verständnis, das ihm ein Gefühl für seine Nützlichkeit zurückgibt. Um produktiv sein zu können und gesund zu bleiben, braucht ein Arbeitnehmer anderes als ständigen Leistungsstress und Konkurrenzdruck. Seine individuellen Fähigkeiten müssen gefördert und seine besonderen Schwächen und Behinderungen berücksichtigt werden. Die Bedrohung des Arbeitsplatzes macht krank, egoistisch und militant, nur sinnvolle Beteiligung und Mitsprache erhalten die Aktivität und Kreativität.

Die Mütterlichkeit innerhalb der Gesellschaft bestimmt über die Verteilungsgerechtigkeit und sichert damit sozialen Frieden. Die Väterlichkeit innerhalb der Gesellschaft hingegen reguliert die Leistungsbereitschaft, vermittelt Orientierung und organisiert die erforderlichen Pflichten.

1. Diskriminierung der Mütterlichkeit

Die notwendige Emanzipationsbewegung der Frauen hat einen verhängnisvollen Schwachpunkt: Sie hat die «Mütterlichkeit» diskriminiert und Frauen bestenfalls zu mehr «Väterlichkeit» geführt. Die große soziale Frage, wie Mutterschaft, Partnerschaft, Berufstätigkeit und ganz normale egoistische Interessen gut integriert werden können, ist weniger denn je gelöst. Die sogenannten emanzipierten Frauen befinden sich nicht nur in einem «Gebärstreik», sondern die vermeintliche Befreiung hin zu einem sinnerfüllten Berufsleben mit hohem sozialen Ansehen hat das ganzheitliche, biopsychosozial verwurzelte Bedürfnis, Kinder zu kriegen und Mutter zu sein, sträflich vernachlässigt. So fehlt uns mittlerweile nicht nur der Nachwuchs, sondern aus unerfülltem und verleugnetem Kinderwunsch erwachsen darüber hinaus zahlreiche individuelle Krisen. Auf Kinder zu verzichten – aus welchem Grund auch immer – bleibt stets ein zu bewältigender Konfliktstoff.

Nach allem, was wir heute entwicklungspsychologisch wissen, bleibt die reale Mutter mit ihren Mütterlichkeits-Qualitäten in den ersten drei Lebensjahren des Kindes die wichtigste Bezugsperson. Zwar lassen sich Mütterlichkeitsdefizite bereits von Anfang an durch andere Personen ausgleichen, aber ein Ersatz der Mutter bedeutet in dieser frühen Zeit immer eine belastende Erfahrung für das Kind.

So kann der Vater die Mutter natürlich von Anfang an bei der Kinderbetreuung unterstützen, er kann helfen, die Familie sozial abzusichern, und ein guter – eventuell sogar mütterlicher – Partner für seine Frau sein, für ihre neue Mehrfachfunktion Verständnis aufbringen, angemessene Hilfestellung leisten oder organisatorische Aufgaben übernehmen. Er kann die Not des Säuglings aber nicht wirklich lindern, wenn die Mutter sich entfernt, er kann nur den Schmerz des Kindes akzeptieren und den Gefühlsausdruck entsprechend unterstützen und halten und damit dem Kind wenigstens Entlastung verschaffen. Die primären mütterlichen Aufgaben hingegen – Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit – lassen sich nicht delegieren. Die Mütterlichkeit entscheidet über Lebensberechtigung, den Selbstwert, die Bindungsfähigkeit und die Identitätssicherheit des Kindes, die Qualität der Väterlichkeit beeinflusst die Fähigkeit zur Autonomie, die Einstellung zu Leistung und Pflicht sowie zur Verantwortung.

Besonders alleinerziehende Mütter oder Väter befinden sich häufig in einem fast unlösbaren Konflikt, Mütterliches und Väterliches gleichermaßen ausfüllen zu müssen. In dem Maße, wie die mütterlichen Funktionen mit dem Heranwachsen des Kindes unwichtiger werden, nehmen die väterlichen Aufgaben zu. Erst auf dem Arm des Vaters macht das Kind die Erfahrung, dass seine Mutter eine von ihm getrennte, eigenständige Person ist. An der Hand des Vaters ist es leichter, von der Mutter loszukommen und schließlich mit Vaters Segen in die eigenständige Welterkundung und Lebensgestaltung entlassen zu werden.

2. Störungen der Mütterlichkeit

Das Kind überfordert seine Mutter zwangsläufig mit seinem umfassenden Befriedigungswunsch. Es will die Mutter praktisch jederzeit, sofort, umfassend und angemessen zur Verfügung haben. Dies kann keine Mutter leisten. Mütterlichkeit bleibt begrenzt. Für die Entwicklung des Kindes ist es aber entscheidend, wie ihm diese natürliche Begrenzung vermittelt wird. Wird das Kind in seiner Bedürftigkeit akzeptiert und respektiert, obwohl die Mütterlichkeit der Eltern eingeschränkt ist und die sozialen Verhältnisse mitunter bittere Grenzen setzen, dann kann das Kind den unvermeidlichen Mangel schmerzlich annehmen lernen, ohne sich für seine Ansprüche und Bedürfnisse schuldig fühlen zu müssen. Die begrenzte Mütterlichkeit lässt sich etwa so vermitteln: «Du bist in Ordnung mit deinen Wünschen, ich verstehe dich. Es tut mir leid, dass ich jetzt keine Zeit für dich habe, dass ich mit meiner Geduld, mit meiner Zuwendung, letztlich mit meiner Liebe an meiner Grenze bin und erst einmal für mich selbst sorgen muss.» So bleibt die Verantwortung für die Begrenzung bei den Eltern, und dem Kind wird Raum gegeben für Empörung, Trauer oder Schmerz. Und die Realität wird dem Kind auf eine Weise vermittelt, dass es die unvermeidliche Begrenzung als ein wesentliches Grundprinzip des Lebens verarbeiten und schließlich annehmen kann.

Mütterlichkeit erfährt durch individuelle und soziale Bedingungen vielfältige Einschränkungen. Selbst die beste Mutter ist und bleibt ein egoistischer Mensch wie jeder andere, ist weiterhin sexuelle Partnerin und Frau. Selbstverständlich ist sie an der Erfüllung von Bedürfnissen außerhalb ihrer Mutterschaft, etwa an beruflicher Entwicklung und sozialen Kontakten, interessiert. Dies alles ist völlig normal und kann dem Kind auch angemessen verständlich gemacht werden. Zu Störungen der Mutter-Kind-Beziehung mit entwicklungspsychologischen Folgen für das Kind kommt es erst durch ein Übermaß mütterlichen Mangels, durch mütterliche Gewalt, durch verlogene mütterliche Bemühungen und durch Verschiebung des Begrenzungsproblems zu Lasten des Kindes. Das allein gelassene, unverstandene, gedemütigte