Hilfe! Psychotherapie - Hans-Joachim Maaz - E-Book

Hilfe! Psychotherapie E-Book

Hans-Joachim Maaz

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Beschreibung

Ein Leitfaden für die Praxis Wie erkenne ich eine psychische Erkrankung und finde den richtigen Arzt für mein individuelles Leiden? Welche Form der Therapie ist für mich geeignet und wie steht es um meine Heilungschancen? Der bekannte Psychiater Hans-Joachim Maaz legt mit diesem Buch einen Leitfaden vor, der anschaulich und mit vielen Fallbeispielen die verschiedenen Therapieformen und den Verlauf einer Therapie beschreibt. So bietet das Buch Orientierung – für Patienten, aber auch für Therapeuten. Darüber hinaus will es zur kritischen Reflexion anregen; es macht Mut, thematisiert aber ebenso die unvermeidlichen Grenzen von Psychotherapie und warnt vor zu viel Wellness und Effizienzdenken in der Therapie. Stattdessen plädiert Maaz für Würde als oberstes und wichtigstes Lebensziel. Würde aber gewinnt man nicht durch Erfolg und Leistung, sondern nur durch das Finden und Leben der individuellen Wahrheit. Psychotherapie, so unvollkommen sie konkret auch sein mag, kann auf diesem Weg unverzichtbare Hilfe leisten.

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Seitenzahl: 359

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HANS-JOACHIM MAAZunter Mitarbeitvon Ulrike Gedeon-Maaz

Hilfe! Psychotherapie

Wie sie funktioniertund was sie leistet

 

 

 

 

 

 

C.H.Beck

 

 

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Zum Buch

Ein Leitfaden für die Praxis

 

Wie erkenne ich eine psychische Erkrankung und finde den richtigen Arzt für mein individuelles Leiden? Welche Form der Therapie ist für mich geeignet und wie steht es um meine Heilungschancen?

Der bekannte Psychiater Hans-Joachim Maaz legt mit diesem Buch einen Leitfaden vor, der anschaulich und mit vielen Fallbeispielen die verschiedenen Therapieformen und den Verlauf einer Therapie beschreibt. So bietet das Buch Orientierung – für Patienten, aber auch für Therapeuten. Darüber hinaus will es zur kritischen Reflexion anregen; es macht Mut, thematisiert aber ebenso die unvermeidlichen Grenzen von Psychotherapie und warnt vor zu viel Wellness und Effizienzdenken in der Therapie. Stattdessen plädiert Maaz für Würde als oberstes und wichtigstes Lebensziel. Würde aber gewinnt man nicht durch Erfolg und Leistung, sondern nur durch das Finden und Leben der individuellen Wahrheit. Psychotherapie, so unvollkommen sie konkret auch sein mag, kann auf diesem Weg unverzichtbare Hilfe leisten.

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Über die Autoren

Hans-Joachim Maaz, seit 40 Jahren praktizierender Psychiater und Psychoanalytiker, war lange Zeit Chefarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik des Diakoniekrankenhauses Halle. Bei C.H.Beck erschienen von ihm zuletzt Die Liebesfalle. Spielregeln für eine neue Beziehungskultur (42009), Die neue Lustschule. Sexualität und Beziehungskultur (2009) sowie Die narzisstische Gesellschaft. Ein Psychogramm (42013).

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Inhalt

Vorwort

1 Was ist eigentlich Psychotherapie?

2 Die therapeutische Beziehung

3 Wie finde ich «meinen» Psychotherapeuten?

4 Eine klare Basis: Therapievereinbarung und Arbeitsbündnis

5 Die Macht des Therapeuten und die Macht des Patienten

6 Stuhl, Couch oder Matte? Das Setting

7 Die Mitarbeit des Patienten

8 «Haben Sie das so gemeint?» Therapeutische Interventionen

9 Was macht krank? Das Ringen um die Psychogenese

10 Wunsch und Wirklichkeit – Therapieerwartungen und Therapieziele

11 Wohlgefühl und Irritation im therapeutischen Prozess

12 Ohne Konfrontation geht es nicht!

13 Nadelöhr der therapeutischen Erkenntnis – der Fokus

14 Die therapeutische Übersetzungsarbeit – vom Symptom zur Beziehung

15 Die große Not – Konflikte und Strukturstörungen

16 Der unvermeidbare Widerstand

17 Überlebenstechniken für die Seele – die Abwehrmechanismen

18 Wahrnehmungsverzerrungen – Übertragung und Gegenübertragung

19 Sprechen – Schweigen – Zuhören

20 «Mir bricht das Herz!» – das Dilemma mit den Gefühlen

21 Der circuläre Prozess oder Der Umgang mit einer aktuellen Krise

22 Die Abstinenz des Therapeuten

23 Verliebtheit und sexuelle Fantasien in der therapeutischen Beziehung

24 Wie Patienten den Therapeuten benutzen und Therapeuten den Patienten brauchen

25 Alkohol, Drogen, Medikamente und Psychotherapie

26 Lebevertrag – Suizidalität und Psychotherapie

27 Manchmal geht gar nichts – die häufigsten Fehler

28 Die Beendigung der Therapie

29 Die Suche nach dem längst verlorenen Glück

30 Elternliebe erübrigt Psychotherapie

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Vorwort

Die Psychotherapie fristet im Medizinbetrieb ein kümmerliches Dasein, sie umfasst gerade einmal circa vier Prozent des Gesamtvolumens der Krankenkassenleistungen. Dabei gehört Deutschland noch zu den wenigen Ländern der Welt, in denen sie überhaupt als Kassenleistung anerkannt und honoriert wird. Denn insgesamt ist Psychotherapie nur in elf EU-Staaten gesetzlich geregelt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht aber davon aus, dass weltweit etwa 400 Millionen Menschen von einer ernsten psychischen Erkrankung betroffen sind. Die Zahl psychischer krankheitswertiger Symptome ist jedoch wesentlich höher; die Dunkelziffer wird auf 30 bis 40 Prozent der Patienten aller medizinischen Fachgebiete geschätzt. Das heißt auch, dass die Zahl derer, die in einem organmedizinischen Fach landen und dort unnötig oder gar falsch behandelt werden, weil sie eigentlich Psychotherapie bräuchten, etwa jeden dritten Patienten betrifft.

Mit diesem Buch will ich mein Psychotherapieverständnis aus über 40 Jahren praktischer Erfahrung zusammenfassen. Ich will aufklären und informieren und dabei auch uns Psychotherapeuten kritisch sehen, Patienten ernüchtern, die sozialen Verhältnisse anprangern, aber auch Hoffnung machen. Wo keine vollständige Heilung möglich ist, kann Entlastung helfen, wo normabweichende Individualität verfolgt wird, kann Empathie Kontakt ermöglichen, wo Verlassenheit droht, kann Solidarität Halt geben. Und wenn schon die Welt nicht verändert werden kann, so kann ich mich – mit Respekt für alle Begrenzungen – doch verstehen lernen. Wenn manchmal auch die Spaltung zwischen Wissen, Gefühl und Handlung ausgehalten werden muss, so ist das unvergleichlich besser, als begeistert und blind jeder Mode und Verheißung zu folgen. Ich halte Würde für das oberste und wichtigste Lebensziel, und die gewinnt man nicht durch Erfolg und Leistung, sondern nur durch die individuelle Wahrheit, die es zu finden und zu leben gilt.

«Hilfe! Psychotherapie» entstand auf zweifache Anregung hin. Zum einen wünschten sich die Kolleginnen und Kollegen, die bei mir und meiner Frau in der Aus- und Weiterbildung waren, einen Leitfaden für die psychotherapeutische Praxis, der das Erfahrene und Gelernte zusammenfasst. Zum anderen äußerten viele Patienten die Bitte, für ihre Orientierung einen Ratgeber zur Hand zu haben, der nicht nur gute Hinweise gibt, sondern auch zur kritischen Reflexion auf dem Weg der Selbsthilfe anregt; ein Ratgeber, der einerseits ermutigt und andererseits auch unvermeidliche Begrenzungen anzunehmen lehrt. So habe ich mein psychotherapeutisches Wissen zusammengefasst – und dabei auf andere Literatur vollkommen verzichtet.

Bei den von mir gemachten Erfahrungen stütze ich mich besonders auf die von mir und Kollegen entwickelte «Psychodynamische Einzeltherapie». Mit ihr führen wir mittels psychoanalytischer Grundlagen seit 1984 eine Aus- und Weiterbildung durch, die Theorie, Methodik, Selbsterfahrung und Supervision in mehrjährigen Seminaren praxisbezogen verbindet. Etwa 500 ärztliche und psychologische Psychotherapeuten haben diese Kurse absolviert und mir dabei tiefe Einsicht in das Innenleben von Psychotherapeuten und in die Belastungen und Freuden ihrer Arbeit ermöglicht.

Wesentliches habe ich von meinen geistigen Vätern Sigmund Freud, Wilhelm Reich, Erich Fromm und Horst-Eberhard Richter gelernt und in mein psychotherapeutisches Verständnis und Handeln übernommen. In meiner Arbeit wurde ich durch Jürgen Ott, Kurt Höck, Harro Wendt, Ulrike Beyer, Eva Reich und Walther Lechler geprägt und beeinflusst. Hunderten Kolleginnen und Kollegen sowie Tausenden Patientinnen und Patienten, die mich in ihr Innerstes haben blicken lassen, mit denen ich um Erkenntnisse gerungen habe und deren Entwicklung ich begleiten durfte, verdanke ich den Reichtum an praktischer Erfahrung, den ich immer mehr geschätzt habe als alle Theorie und Wissenschaft.

Mit meiner Frau – Dr. Ulrike Gedeon-Maaz, Psychiaterin, Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin – arbeite ich seit 14 Jahren eng zusammen. Mit ihr habe ich dieses Buch konzipiert, sie hat die Fallbeispiele beigesteuert. Unsere theoretische Orientierung und psychotherapeutische Praxis ist, wie gesagt, psychodynamisch ausgerichtet. In der ambulanten Praxis bieten wir als Richtlinien-Psychotherapie die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die analytische Psychotherapie an. In der klinischen Arbeit hatten wir ein multimodales Behandlungskonzept entwickelt, in das Methoden der Körperpsychotherapie, Gestalttherapie, der Bewegungs-, Gestaltungs- und Musiktherapie sowie der Katathym-imaginativen Psychotherapie Eingang gefunden haben, ebenso das Psychodrama und Entspannungsverfahren. Dabei war uns wichtig, keine Polypragmasie, also eine Konzeptlosigkeit verschiedener Methoden und Schulen, zu betreiben, sondern unterschiedliche psychotherapeutische Techniken zu einem psycho- und beziehungsdynamischen Gesamtkonzept zusammenzufassen. Wir haben darauf geachtet, die Anwendung verschiedener Vorgehensweisen nicht auf mehrere Therapeuten zu verteilen, sondern die Behandlung patienten- beziehungsweise gruppenbezogen in «einer Hand» zu belassen – so bleiben eine klare Übertragungsmöglichkeit und Beziehungsarbeit gesichert.

Die stationäre Arbeit unter Bedingungen, die einer Klausur ähneln (sechs Stunden Therapie pro Tag über acht Wochen), hat eine intensive, regressive (auf vergangene Erfahrungen zurückführende) psychotherapeutische Arbeit ermöglicht, mit der ein Zugang zu den frühesten Entwicklungsbedingungen der jeweiligen Patienten gewagt werden konnte. Unter dem Anschein «normaler» Verhältnisse wird zum Beispiel vielen Kindern so Ungeheuerliches und Entsetzliches angetan – und keiner weiß davon oder will etwas davon wissen –, dass ich mich verpflichtet sehe, davon Zeugnis abzulegen. Aus dieser Erfahrung heraus erklärt sich mein unbedingtes Plädoyer für die so wichtige Elternliebe und die Bedeutung optimaler früher Bindung. Deshalb liegt ein Schwergewicht meines psychotherapeutischen Verständnisses auf dem Einfluss von Mütterlichkeit und Väterlichkeit auf die jeweiligen Störungen. Bereits in meinem Buch über den «Lilith-Komplex» habe ich auf die verhängnisvollen Folgen einer mangelhaften und falschen Mütterlichkeit hingewiesen, die weit verbreitet ist, aber meist hartnäckig geleugnet wird.

Um den Lesefluss nicht zu stören, wähle ich, wo Patienten und Patientinnen, Therapeuten und Therapeutinnen gemeint sind, jeweils nur die männliche Sprachform, es soll aber stets die weibliche mitverstanden werden.

Allen Patienten und Kollegen sei herzlich für ihre oft so schmerzvolle Arbeit gedankt. Meiner Sekretärin, Frau Maria Weidner, danke ich für ihre unermüdliche Bereitschaft und Unterstützung bei der Aufbereitung und Niederschrift der Texte.

Wir wünschen uns, dass dieses Buch als ein «Denkmal der seelischen Not» seine Leser findet.

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1Was ist eigentlich Psychotherapie?

Es überrascht mich immer wieder, wie viel Unkenntnis und falsche Vorstellungen mit dem Begriff Psychotherapie verbunden sind. Dabei ist noch ein altes Vorurteil gegen psychische Erkrankungen wirksam: «Ich bin doch nicht verrückt!» Wenn Menschen den Weg zur Psychotherapie gefunden haben, kommt es nicht selten vor, dass sie Befürchtungen äußern, es könnten Bekannte, Arbeitskollegen oder Vorgesetzte davon erfahren, und diese würden dann mit Unverständnis, Abwertungen oder Hohn reagieren. Die Sorge, als «psychisch Kranker» auf dem Arbeitsmarkt an Chancen zu verlieren, ist jedoch berechtigt. Leider.

Als Psychotherapeut in der DDR hatte ich darum gekämpft, dass nicht nur eine Selbsterfahrung von Therapeuten absolviert wird, sondern dass wir uns auch als Patienten begreifen und in einer «Therapie für Therapeuten» ebenfalls tiefere seelische Probleme eröffnet und heilsam durchgearbeitet werden können. Im vereinten Deutschland wurde uns die qualitative Trennung von Patient und Therapeut nahegelegt, es hieß, man sei zum Therapeutenberuf nicht geeignet, wenn man selbst eine Therapie absolviert habe. Meiner Erfahrung nach hat das dazu geführt, dass mancher Kollege seine Selbsterfahrung nur noch sehr formal absolviert, ohne sich darauf tiefer einzulassen.

Es ist notwendig, psychische Erkrankungen nach Ursachen, Störungsgrad und Folgen zu differenzieren. Es gibt sehr schwere, durch organische Erkrankungen (vor allem Gehirnerkrankungen) verursachte Psychosen, die von Fachärzten für Psychiatrie und von psychiatrischen Kliniken behandelt werden. Diese Behandlungen folgen vor allem den medizinischen Erkenntnissen, die zur Therapie organischer Erkrankungen vorliegen und sich auch auf die Verordnung von Medikamenten stützen. Soziotherapie und Psychotherapie sind dabei natürlich auch wichtig, aber eher unterstützend, begleitend.

Die meisten psychischen Erkrankungen jedoch entstehen aus krankmachenden Lebensumständen, sind Folgen früher Beziehungsstörungen zu Mutter und Vater, Folgen einer falschen Erziehung oder durch soziale Belastungen bedingt. Dabei handelt es sich um eine erfahrene seelische Verletzung, um Kränkung oder Vernachlässigung, um Bedrohungen, Verlassenheit oder mangelhafte Befriedigung, um erlittene Gewalt oder seelische Traumatisierung.

Psychotherapie ist die Disziplin, mit der man als Therapeut helfen will, mit psychosozialen Mitteln die Folgen der genannten psychosozialen Ursachen zu mildern. Deshalb sind in der Psychotherapie die Kommunikation und die Beziehungsgestaltung wichtigste therapeutische Mittel. Durch verbale (Gespräche) und nonverbale (Bewegung, Gestaltungen, Musik etc.) Kommunikation sollen Erinnerungen angeregt, Einsichten und Verständnis für Ursachen und Zusammenhänge gefördert und die Patienten zu verändertem Verhalten ermutigt werden.

Psychotherapeuten können Ärzte oder Psychologen sein. Ärztliche Psychotherapeuten haben ein Medizinstudium absolviert, sind als Ärzte approbiert und haben eine zusätzliche Fachausbildung absolviert, durch die sie Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und/oder Facharzt für psychotherapeutische/psychosomatische Medizin und Psychotherapie geworden sind. Psychologen müssen nach dem Psychologiestudium eine Approbation als «Psychologischer Psychotherapeut» oder «Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut» erwerben, deren Weiterbildungsbedingungen durch das Psychotherapeutengesetz vom 16. Juni 1998 geregelt sind. Ärztliche und psychologische Psychotherapeuten können darüber hinaus durch eine spezielle Weiterbildung den Zusatztitel «Psychoanalyse» erwerben. Um in der vertragsärztlichen Versorgung zur Behandlung von Patienten zugelassen zu werden, besteht eine «Psychotherapie-Vereinbarung» zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Krankenkassen, die die nachzuweisende fachliche Befähigung ärztlicher und psychologischer Psychotherapeuten festlegt.

In Deutschland werden drei psychotherapeutische Verfahren von den Krankenkassen bezahlt:

1. die Verhaltenstherapie

2. die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie

3. die analytische Psychotherapie

Diese drei Methoden gelten nach den «Psychotherapie-Richtlinien» als wissenschaftlich gesicherte Verfahren, denen ein umfassendes Theoriesystem der Krankheitsentstehung zugrunde liegt und deren spezifische Behandlungsmethoden in ihrer therapeutischen Wirksamkeit belegt sind. Eine Vielzahl anderer Psychotherapieverfahren, die ebenfalls angeboten werden, aber privat bezahlt werden müssen, sind ungeachtet ihrer sehr wertvollen und effektiven Methoden nicht als Kassenleistung anerkannt, weil der jeweilige wissenschaftliche Nachweis ihrer Wirksamkeit (noch) nicht erfolgt oder gelungen ist.

Ärzte und Psychologen sind also gleichermaßen bei erfüllten Voraussetzungen zur Führung der Berufsbezeichnung «Psychotherapeut» berechtigt. Der unterschiedliche Studiengang als Mediziner oder Psychologe hat bei der Ausübung der Psychotherapie insofern noch Bedeutung, als es zu erkennen und zu differenzieren gilt, inwieweit organische Erkrankungen mit psychischer Symptomatik ausschließlich oder begleitend auftreten, ob psychische Erkrankungen somatisierend als körperliche Erkrankung erscheinen oder organische Erkrankungen wesentlich beeinflussen können. Deshalb gehört eine entsprechende medizinische Voruntersuchung und Abklärung ins Vorfeld jeder psychotherapeutischen Behandlung. Der psychologische Psychotherapeut ist verpflichtet, diese medizinische Abklärung durch einen ärztlichen Bericht abzusichern.

Soll Psychotherapie als Leistung der Krankenkassen honoriert werden, müssen körperliche, psychische, psychosomatische Beschwerden und/oder soziale Konflikte als krankheitswertig eingeschätzt werden. Dabei muss die Arbeitsfähigkeit als beeinträchtigt und die Lebensqualität als erheblich gestört erlebt und bewertet werden. Auch die psychotherapeutische Behandlungsfähigkeit des Patienten muss begutachtet und entsprechend bestätigt werden. Die Grenzen zwischen Kranksein oder sich «bloß» belastet, gestört und behindert zu fühlen (einem eher «normalen» Befinden) sind fließend und nicht immer eindeutig zu bestimmen. Sie unterliegen stark einer subjektiven Bewertung. Ich habe nach medizinischen und psychologischen Befunden sehr kranke Menschen kennengelernt, die sich subjektiv wohlfühlen, und Menschen, die erheblich leiden, ohne dass dafür objektivierbare Befunde vorliegen. Besonders schwierig wird die Beurteilung, wenn krankes Verhalten und Erleben als normal angesehen werden, weil Menschen mehrheitlich so sind, oder wenn ein gesundes Abweichen vom Massenverhalten als abnorm diffamiert wird. In pathologischen Gruppen- und Gesellschaftsstrukturen ist das regelmäßig so.

Unser Verständnis von Psychotherapie erfasst die Kassenleistungen als Krankenbehandlung, aber auch die psychotherapeutischen Hilfen für alle Menschen, ohne dass sie als «Kranke» zu verstehen sind. Diese Hilfen können für schwierige Lebenslagen wichtig und nützlich sein, um zu guten Entscheidungen zu finden, die eigenen Möglichkeiten zu entfalten und Begrenzungen akzeptieren zu lernen, um damit Fehlhaltungen, Konflikte und Erkrankungen zu vermeiden.

Deshalb verstehen wir unser Buch nicht nur als Leitfaden für Therapeuten und Ratgeber für Patienten, sondern auch als Lesebuch für alle Interessierten, die Psychotherapie als eine Lebenseinstellung, als eine Grundlage für eine Beziehungskultur nutzen wollen, um ein friedfertiges und befriedigendes Zusammenleben zu erreichen und für sich selbst Entlastung, Entspannung, Zufriedenheit und lustvolle Augenblicke zu finden. Nicht ohne Grund haben ehemalige Patienten einen Verein gegründet, dem sie den Namen «Psychotherapie als Lebensweg» gegeben haben. Damit bekunden sie die Eigenverantwortung und Selbsthilfe für ein gutes Leben trotz aller seelischer Verletztheit und Begrenzung.

Wir sind bemüht, wichtige psychodynamische Hypothesen und Theoreme allgemeinverständlich zu machen. Dabei wollen wir den praktischen Vollzug von Psychotherapie erklären und für uns ganz wichtige Haltungen und Einstellungen hervorheben, die sicher nicht jeder teilen wird. Aber uns geht es nicht um richtig oder falsch oder um «wissenschaftliche Beweise», sondern um zusammengefasste Erfahrungen, an denen man sich orientieren kann oder durch die man zur Auseinandersetzung, zum kritischen Reflektieren und zum weiteren Nachdenken angeregt werden soll.

Psychotherapie als Krankenbehandlung, verwandelt in eine Beziehungskultur des Zusammenlebens, halten wir für die entscheidende Grundlage für eine überlebensfähige demokratische Gesellschaft. Ohne eine solche Beziehungskultur befürchten wir eine Zukunft, in der unbewältigte und oft sogar unerkannte innerseelische Konflikte und Defizite vieler Menschen weiterhin und erneut erhebliche destruktive gesellschaftliche Fehlentwicklungen bewirken. Erkrankungen, sozialer Unfrieden und gewaltsames Ausagieren würden sich vermehren.

Leider hat die Geschichte immer wieder gezeigt, dass spezifische Lebensbedingungen Menschen krank machen und dass psychisch entfremdete Menschen auch weiterhin kranke gesellschaftliche Verhältnisse ausgestalten oder zumindest tolerieren. Wesentliche Verbesserungen können erst gelingen, wenn die psychosozialen Wurzeln der Gesellschaftspathologie verstanden und aufgelöst werden – sonst restaurieren sich die alten Kräfte selbst nach revolutionären Veränderungen wieder und erscheinen nur in einem veränderten sozialen Gewand oder anderer Machtverteilung.

Das Krankhafte wird schwer erkenntlich und hartnäckig geleugnet, wenn es, wie gesagt, zum Massenverhalten geworden ist. Was alle tun, wird wohl gut und richtig sein, gegen den Strom schwimmt es sich eben auch schwer. Und was die Mächtigen durchsetzen, wird schließlich ebenso akzeptiert und befolgt, sodass die mögliche Lüge, der Irrtum, die Verführung – also das Krankhafte und Destruktive – gar nicht aufgehalten werden können. Diktaturen leben gesellschaftliche Pathologie offen und exzessiv aus, in Demokratien ist die soziale Pathologie oft nur verschleiert. Die freie Meinungsäußerung, Demonstrationen und Proteste ändern in aller Regel wenig an der Macht der Mehrheiten. Das ist die Achillesferse jeder Demokratie, dass die Mehrheit abnorme Inhalte prägen kann, dann auch verteidigt, und sich damit die Pathologie auch demokratisch durchsetzt. Ein demokratisches Gesellschaftssystem kann nur der Fehlentwicklung entgehen, wenn in psychosoziale Bildung und Reife der Menschen investiert wird, damit die politische Meinungsbildung nicht durch die seelischen Störungen und Einschränkungen der Mehrheiten geprägt wird. Denn die verletzte Seele bedarf der Hoffnung, dafür sind die Lüge und Beschönigung der tatsächlichen Realität unerlässlich.

Wir dürfen nicht übersehen, dass Machtpositionen ganz wesentlich der narzisstischen Kompensation dienen, also der Beschwichtigung seelischer Verletzungen. Deshalb darf niemals auf die vorgetragenen Motive und Begründungen für politische Entscheidungen vertraut werden. Demokratie lebt von der Meinungsfreiheit und dem Meinungsstreit, die das narzisstische Agieren begrenzen, und Demokratie stirbt an einer psychischen Epidemie, wenn psychosoziale Störungen mehrheitlich dominieren.

Eine therapeutische Kultur bleibt Utopie, weil die Mächtigen das immer verhindern werden und die Einsichtigen und Willigen vor der schmerzlichen Erschütterung bitterer Wahrheiten zurückschrecken. So bleibt die Suche nach gesünderen Lebensformen eine ganz persönliche Herausforderung und Verantwortung mit einem Funken Hoffnung auf einen energetischen Zusammenfluss befreiter Erfahrungen.

Aber auch in der Psychotherapie besteht immer die Gefahr, einerseits den seelischen Aufschrei, das Erkranken an sozialer Pathologie durch Tröstung und Beruhigung zu verschleiern, andererseits durch wirkliche Erkenntnis einem Patienten sehr viel Belastung zuzumuten. Das ist ein moralisches Dilemma, das ich für ein zentrales Thema jeder einzelnen Therapie halte. Es muss ganz subjektiv verantwortet werden, sowohl von Patienten als auch von Therapeuten. Wobei Therapeuten anfangs eine ungleich höhere Verantwortung haben, weil sie um diese Schwierigkeit wissen und sie erst allmählich dem Patienten übereignen müssen.

Aus der psychotherapeutischen Arbeit mit einzelnen Menschen und mit Gruppen ist uns eine Erfahrung bittere Wahrheit geworden: Es ist nicht möglich, einem Menschen zu einem besseren Leben zu verhelfen, ohne dass dunkle Gegenkräfte aus dem Innersten sowie aus der engeren oder weiteren sozialen Umwelt dies verhindern wollen oder bestrafen werden. Ich verstehe mittlerweile jede Erkrankung und vor allem alle psychischen Störungen als ein Symptom eines kranken Systems, in dem Genetik, Erziehung, psychosoziale Entwicklungsbedingungen, Werte und Normen einer Gesellschaft mit ihren ökonomischen Verhältnissen wie auch den ideologischen und religiösen Machtmitteln zusammenwirken. Ein Kranker ist immer das Spiegelbild seiner Lebensbedingungen. Art und Häufigkeit von Erkrankungen sind immer Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse. So ist Gesundung ohne gesundende Lebensverhältnisse nicht möglich, und einer, der «gesünder» wird als seine Umwelt, dem droht, dass er gemobbt wird. Für mich ist der Christusmord der symbolisierte Ausdruck dieser ungeheuren Wahrheit.

Psychotherapie ist in krankmachenden Lebensverhältnissen also ein Hoffnungsschimmer. Er zeigt sich immer dann, wenn die Bereitschaft besteht, das subjektive Leiden in bittere Wahrheiten, schmerzvolle Gefühle und anstrengende soziale Auseinandersetzungen zu übersetzen. Darin besteht der einzige, aber auch großartige Trost: über die subjektive Wahrheit sein Leben wirklich zu verantworten. Psychotherapie ist niemals nur Kassenleistung zur Behandlung von Krankheiten, sondern stets auch Lebensform: die beharrliche kritische Auseinandersetzung mit Erkrankungen oder Konflikten auf der Suche nach dem aufrichtigsten Weg.

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2Die therapeutische Beziehung

Doch nun zur therapeutischen Beziehung selbst: Eine psychotherapeutische Behandlung muss der Patient bei seiner Krankenkasse beantragen, der gewählte Therapeut diese fachlich begründen, ein Gutachter den Antrag befürworten – und die Krankenkasse bewilligt schließlich die zu honorierende Behandlung. Diese hat die letzte Entscheidung, sie kann auch eine vom Gutachter nicht befürwortete Behandlung bewilligen oder eine befürwortete verweigern. In aller Regel folgen die Kassen aber der gutachterlichen Empfehlung.

In unserem Buch beziehen wir uns ausschließlich auf die psychodynamischen Psychotherapien: auf die tiefenpsychologisch fundierte und die analytische. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Behandlungen liegt in der für einen Erfolg gebotenen Zielstellung, im Behandlungssetting (siehe S. 52ff.) sowie in der Methodik der Therapie. Die Verhaltenstherapie wird von uns nicht bedacht, weil wir keine ausreichenden Erfahrungen damit haben.

Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie verfolgt eine lediglich begrenzte Zielstellung. Ausgehend von einer aktuellen Symptomatik oder sozialen Krise, wird auf die innerseelischen Konflikte oder Persönlichkeitsprobleme des Patienten fokussiert, deren Inhalte und Wirkungen ihm anfangs noch nicht verständlich sind, da sie unbewussten seelischen Vorgängen entstammen. Das Behandlungsziel bleibt also auf eine aktualisierte Problematik begrenzt, deren Ursachen und Folgen geklärt werden sollen, damit der Patient einen Ausweg aus seiner Belastungssituation finden kann. Therapeut und Patient einigen sich auf einen Behandlungsschwerpunkt und kommen in der Regel einmal pro Woche für 50 Minuten zur Therapie zusammen. Der mögliche Behandlungsumfang wird von den Krankenkassen in Bewilligungsschritten bestätigt: 25 – 50 – 80 und maximal 100 Stunden.

Eine analytische Psychotherapie hat eine allgemeinere und umfassendere Zielstellung; deshalb sind auch die Bewilligungsschritte der Krankenkassen wesentlich weiter gefasst: 80 – 160 – 240 und maximal 300 Stunden, die in aller Regel zwei- bis dreimal pro Woche absolviert werden. Die Therapie zielt auf die gesamte Persönlichkeitsproblematik eines Patienten, sie muss deshalb die komplette Entwicklungs- und Lebensgeschichte berücksichtigen. Die gestörten Beziehungsformen sollten möglichst in der Übertragung zum Therapeuten erkennbar werden, um diese dann in ihrer Entstehungsgeschichte mitsamt den Folgen zu verdeutlichen und gefühlsmäßig zu verarbeiten. Dadurch gewinnt der Patient Erfahrungen, um günstigere Beziehungsmöglichkeiten zu finden. Eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie bietet sich also an, wenn ein begrenzter Konflikt behandelt werden kann (konfliktorientierte Therapie), eine analytische Psychotherapie dagegen, wenn eine therapeutische Veränderung der Gesamtpersönlichkeit des Patienten angestrebt wird (strukturorientierte Therapie).

Es gibt zunehmend Tendenzen, sehr wirkungsvolle Techniken und Methoden aus psychotherapeutischen Verfahren, die aber nicht als Richtlinien-Verfahren anerkannt sind, zum Beispiel aus der Körperpsychotherapie, der Gestalttherapie oder der Katathym-imaginativen Psychotherapie, in die tiefenpsychologisch fundierte und die analytische Psychotherapie zu integrieren. Das wird auch von uns praktiziert. Die Traumatherapie ist ebenfalls kein Richtlinien-Verfahren, jedoch lassen sich mittlerweile traumatherapeutische Techniken in die Richtlinien-Verfahren integrieren, sofern das psychodynamische Grundverständnis für die Behandlung gewahrt bleibt. Neben traumatisierenden Erlebnissen müssen nämlich immer auch die entwicklungs-, konfliktdynamischen und strukturbedingten Störungen berücksichtigt werden.

Was Psychotherapie eigentlich ist und wie sie wirkt beziehungsweise was sie bewirkt, ist vielen unverständlich. Es ist auch schwer zu erklären. Exakte Aussagen dazu sind kaum möglich, das Objektivierbare bleibt spärlich. Psychotherapie ist und bleibt – darin liegt ihre Faszination – etwas subjektiv Menschliches, ein Beziehungsgeschehen zwischen zwei Menschen (in der Gruppe zwischen mehreren Menschen), ein intersubjektiver Vorgang mit einer kaum jemals genau vorhersehbaren Dynamik. Nie kann Psychotherapie als ausreichend sicher, als richtig oder falsch, als geboten oder verboten, als wirklich hilfreich oder doch hinderlich eingeschätzt werden. Das subjektive Erleben, die Wirkungen und die Folgen der Begegnung zwischen Patient und Therapeut geben jedoch wichtige Informationen über den Wert der Beziehung und mithin auch der Therapie. Für den Therapeuten erwächst daraus Erfahrungswissen, das für seine Arbeit in der Regel wichtiger ist als alle Theorie. Dass Psychotherapie wirkt, ist wissenschaftlich gesichert. Ihre individuelle Anwendung aber bleibt eine Kunst und ist von ganz subjektiven Wirkfaktoren abhängig.

Beziehung ist demnach das Schlüsselerlebnis für die psychotherapeutische Arbeit. Beziehung aber entzieht sich letztlich allen Manualen, allen Regeln und Vorschriften und insbesondere erlernbaren Techniken. Therapeutische Methoden und Interventionen sind nicht an sich wirksam, sondern nur Vehikel, die Beziehung transportieren. So kann dieselbe therapeutische Technik bei verschiedenen Patienten sehr unterschiedliche Reaktionen zeitigen. Auch wird eine gelernte therapeutische Technik von jedem Therapeuten anders verstanden und angewendet. Therapeuten lernen natürlich Methoden, aber sie sind gut beraten, darin nur Hilfsmittel zu sehen, wie sie mit Patienten in eine hilfreiche Beziehung kommen.

Was aber ist hilfreich? Auch das bleibt eine Sache subjektiver Bewertung. Patienten und/oder Therapeuten können eine Entwicklung als sehr hilfreich erleben, die sich letztlich dann doch als Sackgasse erweist. Der Therapeut handelt etwa nach seiner theoretischen Überzeugung (er gibt eine ihn selbst überzeugende Deutung) und ist zufrieden bis stolz auf seine erlernten Fähigkeiten. Aber wie seine Deutung beim Patienten ankommt und verstanden wird, liegt nicht in seiner Macht. Oder der Patient fühlt sich in einer Abwehrleistung vom Therapeuten bestätigt – zum Beispiel in einer Behauptung wie: «Das stimmt für mich so, das lasse ich mir auch nicht ausreden!» – und erlebt die therapeutische Zusammenarbeit als hilfreich. Aber in Wirklichkeit wird er nur in einer verzerrten Wahrnehmung oder trotzigen Haltung bestärkt und damit an tieferer Einsicht gehindert.

Hilfreich ist also nicht gleich hilfreich. Die subjektive Einschätzung kann durchaus ein Symptom der neurotischen Störung sein, und zwar gleichermaßen beim Therapeuten wie beim Patienten. Wir müssen mehr Zweifel und Unsicherheit bei der Beurteilung zulassen, annehmen, dass unser Wissen nie ausreichend sicher ist, und auf den Verlauf, die Entwicklung warten. Genauso müssen wir aber auch zu unerwarteten Erkenntnissen und schmerzlichen Einsichten bereit sein und die Zusammenarbeit immer wieder neu daraufhin justieren, was der Patient wirklich sucht, braucht und aushält und was der Therapeut noch verstehen, akzeptieren und verkraften kann.

Dabei sind stets die Wirkungen therapeutischer Erkenntnis und Veränderung zu berücksichtigen. Wie wird jemand mit neuen Einsichten und vor allem mit den Reaktionen wichtiger Bezugspersonen auf sein verändertes Verhalten fertig? Psychotherapie geschieht nicht in einem luftleeren Raum, sondern immer in einem sozialen Netzwerk, das nicht nur aus Nahestehenden, sondern auch aus sozialen Regeln und Zwängen besteht. Was zunächst subjektiv als richtig und befreiend erlebt wird, kann im sozialen Kontext als gefährlich und sehr belastend erfahren werden. Die Kräfte, die ursprünglich zu neurotischen Fehlentwicklungen geführt haben, sind keineswegs nur in den Eltern, sondern darüber hinaus in vielen Personen und Strukturen der sozialen Realität verkörpert.

So nimmt das systemische Denken in der Psychotherapie einen wichtigen Raum ein. Ein leidender Mensch ist aus dieser Perspektive eben nicht nur ein Individuum mit belastenden Erfahrungen, sondern ein Teil in einem belastenden System, das etwa die Partnerschaft, die Familie, das Arbeits- und Berufsmilieu, die soziale Gruppe und natürlich die Gesellschaft mit ihren Normen, Geboten und Verboten einschließt. Der einzelne Patient ist dann Symptomträger des pathogenen Systems. Infolgedessen glauben er selbst und das soziale Umfeld, es handele sich um einen Kranken in sonst normalen Verhältnissen. Eine verhängnisvolle Kurzsicht! Denn wenn es dem Einzelnen gelingt, seine individuellen Symptome zu überwinden, wird er in der Regel für alle wesentlichen Bezugspersonen erst recht zum Problem. Denn jetzt wird das Gestörte bei den «Normalen» deutlich – jedenfalls für den Patienten erkennbar –, und nicht selten entbrennt daraufhin ein heftiger Konflikt, der den ehemals Kranken erneut zum Symptomträger eines gestörten Beziehungssystems macht. Oder er lässt den mittlerweile Gesundeten zum Kritiker von jenen Personen seiner Umwelt werden, deren Verhalten er als problematisch beziehungsweise gestört erkannt hat. Nicht selten zerbrechen daran Partnerschaften, Familienmitglieder gehen auf Distanz, bisherige Arbeitsverhältnisse werden nicht mehr akzeptiert. Die Abnormität gesellschaftlicher Verhältnisse lässt sich nicht länger übersehen. Es gibt eine alte psychoanalytische Weisheit, die sinngemäß besagt, dass neurotisches Elend durch Therapie in reales Leid verwandelt wird.

Der deutsche Vereinigungsprozess war in dieser Hinsicht eine Art Massenversuch: In der DDR litten viele Menschen unter der Anpassung und Unterwerfung, der Enge und Repression. Gelang es dem Einzelnen, durch Therapie autonomer, selbstbewusster, offener und kritischer zu werden, erhöhte diese Entwicklung auch den gesellschaftlichen Anpassungsdruck, oder er galt als politisch-ideologisch «subversives Element». Mit der Verwestlichung waren aber plötzlich andere Werte und Normen von Bedeutung: Nun musste der Einzelne möglichst eigenständig, souverän, durchsetzungsfähig, clever und gerissen sein, um im sozialen Wettkampf eine Chance zu haben. Bislang kultivierte Verhaltensweisen wie Schwäche, Abhängigkeit, Unsicherheit, Ängstlichkeit oder Hilfsbedürftigkeit zu zeigen und auszuleben, wurden nun zum Verhängnis für den «humanen» Marktwert im Wettbewerb um Arbeitsplätze.

Therapeutische Ziele, seien es Wunschvorstellungen des Patienten, seien es Erwartungen und Vorstellungen des Therapeuten, sind in hohem Maße von den Verhältnissen abhängig, in denen man lebt. So kann ein psychisch relativ gesunder Mensch zum Störenfried in einengenden Umweltverhältnissen werden oder ein sozial sehr erfolgreicher Mensch psychisch erheblich gestört oder krank sein. Erkennbar wird das jeweils erst, wenn die Verhältnisse sich ändern oder der Erfolg verloren geht. Die von unserem Mediensystem erst gehätschelten, dann abservierten Prominenten sind diesbezüglich die besten Beispiele.

Eine Psychotherapie wird also Wunschziele des Patienten in kritischer Auseinandersetzung mit den individuellen und sozialen Realitäten relativieren müssen. Ein guter Psychotherapeut ist stets dazu bereit, seine Vorstellungen davon, wie ein Mensch leben soll und kann, kritisch zu hinterfragen und zu revidieren. Dies bleibt die Aufgabe einer nie abzuschließenden Verständigung in der therapeutischen Zusammenarbeit. Manche Therapeuten – vor allem solche mit einer eher orthodoxen psychoanalytischen Einstellung – glauben, sich dieser Problematik dadurch entziehen zu können, dass sie eine wertfreie, tendenzlose, neutrale Einstellung gegenüber dem Patienten einnehmen. Ich halte das für eine Illusion. Um sie zu erfüllen, müsste sich der Therapeut nahezu entmenschlichen in dem Glauben, jede Haltung, die den Patienten beeinflussen würde, ablegen zu können. Außerdem würde man ihm mit einer solch aufgesetzten Neutralität eine wesentliche Beziehungsdynamik vorenthalten, die er zur Auseinandersetzung und Orientierung jedoch braucht.

Der Therapeut benötigt zum einen große Geduld und Toleranz, um dem Patienten ausreichend Freiheit zu lassen. Zum anderen bedarf er der permanenten Selbstkorrektur seiner Einstellungen und Haltungen. Was der Therapeut im Kontakt mit dem Patienten denkt und fühlt, wird sich diesem stets übermitteln, auch wenn davon explizit nie die Rede ist. Er ist besser beraten, seine mögliche Tendenz zu reflektieren, statt eine Tendenzlosigkeit einnehmen zu wollen. Er sollte auch seine Machtbedürfnisse kennen und um seine reale Macht wissen, statt einen machtfreien Raum vorzugaukeln. Ob, wann und wie er seine Macht kommuniziert und zur Auseinandersetzung mit dem Patienten bringt, gehört zur therapeutischen Verantwortung. Er wird in besonderer Weise zur Ehrlichkeit und Offenheit gefordert, wenn der Patient seine Wahrnehmung und seine Fantasien dazu zur Sprache bringt. Der Therapeut wird natürlich nicht alles von seinem Erleben offenbaren können, aber was er mitteilt, muss echt und wahr sein und darf nicht allein einer theoretischen Überlegung folgen oder gar seiner psychischen Abwehr dienen. Deshalb braucht er eine fortdauernde kritische Selbsterfahrung der eigenen Werte und Einstellungen.

Der Therapeut, der sich für ganz «neutral» hält, ist gefährlich, da seine wirkliche Haltung die Beziehung unterschwellig beeinflusst und der Patient dadurch unerkannt manipuliert wird. Ein Patient wird immer die Position des Therapeuten erspüren und sich auch ganz unbewusst führen lassen – zustimmend oder ablehnend. Aus diesem Grund wird im therapeutischen Prozess die klärende Auseinandersetzung so wichtig.

Psychotherapie ist also ein höchst subjektives Geschehen, belastet von einem unsicheren Ausgang und unerwarteten Folgen. Allgemein gültige Bewertungen der therapeutischen Arbeit werden der psychotherapeutischen Realität genauso wenig gerecht wie etwa Manuale, die festlegen, wie bestimmte Symptome oder Störungen zu behandeln sind. Eine erfolgreiche Entwicklung kann durch Psychotherapie angeregt und unterstützt werden, wenn der Patient eine hilfreiche Beziehung erlebt. Und dies ist relativ unabhängig von den Theorien des Therapeuten und seinen Methoden. So muss man davon ausgehen, dass zwischen dem, was theoretisch durch Psychotherapie geschehen und wirken soll, und dem, was wirklich wirkt – im Guten wie im Schlechten –, erhebliche Unterschiede bestehen können. Die reflektierte therapeutische Beziehung wird also immer im Mittelpunkt stehen müssen.

Denn, ganz ehrlich gesagt, was wissen wir vom Menschen? Was wissen wir darüber, warum welche therapeutische Intervention wie wirkt? Wie wird die Beziehung gerade erlebt, und mit welchen Auswirkungen? Was geht im anderen Menschen tatsächlich vor? Ich kann das ja nicht einmal an mir selbst umfassend und mit Sicherheit wahrnehmen und beschreiben. Therapeuten sollten sich nicht so viel einbilden und sich in ihrer Kompetenz nicht so sicher fühlen. Eher passt zu ihnen eine kreative, suchende Unsicherheit und die Bereitschaft, Überraschungen zu akzeptieren.

Das gilt auch für ihren Gegenpart: Patienten neigen zu Anfang einer Therapie zu maßlosem Vertrauen und zur Delegation von Verantwortung. Das ist ihrer Not geschuldet und demzufolge in Ordnung. Im Prozess ihrer therapeutischen Entwicklung sollten sie jedoch immer kritischer prüfen, wie der Therapeut sich verhält und was für sie selbst davon nützlich und hilfreich ist und was nicht. Wenn ein Patient in einer Krise alles, was vom Therapeuten kommt, zunächst dankbar annimmt, dann ist das gar nicht anders denkbar – selbst wenn dadurch das wirkliche Problem abgewehrt wird. Aber im weiteren Verlauf kann eine Therapie ohne Irritation und Destabilisierung des Patienten keine wirkliche Therapie sein. Eine solche führt zwangsläufig zur Erkenntnis verleugneter seelischer Verletzungen. Eine therapeutisch unumgängliche seelische Erschütterung setzt eine vertrauensvolle Zusammenarbeit voraus, die erst miteinander gewonnen werden muss.

Doch Vorsicht: Einige Patienten sind in ihrer seelischen Struktur so nachhaltig geschwächt, dass sie unbedingt Halt in der therapeutischen Beziehung brauchen und keiner Belastung ausgesetzt werden dürfen. In diesen Fällen sind auch Deutungen innerseelischer Vorgänge und die Regression (das Zurückfallen) auf frühkindliche Zustände unbedingt zu vermeiden. Der betreffende Patient könnte dies gar nicht verarbeiten, dafür fehlen ihm die innerseelischen Voraussetzungen. Die Therapie gleicht dann einer Krücke für einen Gehbehinderten. Aber immerhin, auf diese Weise können auch seelisch schwer verunsicherte und verletzte Menschen lernen, durch mitmenschliche Hilfe ausreichend gut zu leben.

Über den subjektiven Charakter von Psychotherapie ist genug gesagt. Ich wende mich nun den Erfahrungen zu, die für eine erfolgreiche Psychotherapie wichtig sind, ohne gleich einen objektivierbaren Wert behaupten zu wollen. Die notwendigen Einstellungen sowie die möglichen «Techniken», die Therapeut und Patient wissen und beachten sollten, sind vonseiten des Patienten folgende:

•  Der Patient sollte Motivation mitbringen oder sich diese erwerben. Viele werden vom Hausarzt überwiesen oder von Familienangehörigen, manchmal sogar von Vorgesetzten oder Gerichten geschickt. Solange kein eigener Therapiewunsch vorhanden ist, ist die Therapie nicht erfolgversprechend. Ein Patient muss sagen: «Ja, ich will Psychotherapie! Ich leide so sehr an Lebensproblemen oder Beschwerden, die allein medizinisch nicht zu behandeln sind, die ich nicht mehr verstehe und allein bewältigen kann, dass ich Hilfe brauche.» Ohne subjektiven Leidensdruck sollte keine Psychotherapie versucht werden.

•  Der Patient muss verstanden haben, dass er nicht gesund «gemacht» werden kann, dass sich Psychotherapie nicht verordnen lässt, sondern dass es im Grunde um Hilfe zur Selbsthilfe geht, für die er bereit sein muss.

•  Für die notwendige Selbsthilfe bekommt der Patient von seiner Krankenkasse bezahlte Zeit und entsprechenden Raum mit Begleitung durch einen Therapeuten zur Verfügung gestellt.

•  Der Patient muss akzeptiert haben, dass er sich sprachlich mitteilen oder zu nonverbalen Informationen bereit sein muss, etwa durch den Ausdruck von Gefühlen oder auf dem Weg der Selbsterfahrung über Bewegung, Gestaltung oder Musik. Dabei ist er gehalten, vor allem von sich zu sprechen, sein Erleben und Befinden mitzuteilen, weniger über andere oder anderes zu reden.

•  Die sprachliche Mitteilung umfasst vor allem Erinnerungen aus der eigenen Lebensgeschichte, die kritische Reflexion über das Erlebte, über die eigene Lebensform. Im Grunde stehen alle Erfahrungen zur kritischen Analyse an: warum, weshalb, wieso, woher. Welchen Wert haben sie, welche Überzeugung hat man selbst? Dabei sollte nichts tabu sein. Die ideale Einstellung zur Therapie ist eine unzensierte Mitteilung aller Assoziationen und Gedanken. Das erfüllt kein Patient (damit wäre er schon kein Patient mehr), aber das Bemühen darum gibt der therapeutischen Arbeit die Richtung vor. Das heißt aber auch, die Anstrengung, die eigentliche therapeutische Arbeit liegt beim Patienten.

•  Indem der Patient sich erinnert und befragt, reflektiert und mitteilt, werden zugleich Gefühle aktiviert, die er wahrzunehmen und auszudrücken lernen sollte: Dadurch wird es ihm ermöglicht, sich umfassender zu verstehen – und er erfährt zugleich eine emotionale Entlastung.

•  Der Patient muss die in der Therapie gewonnenen Erkenntnisse dahingehend überprüfen, ob und wie sie in seiner sozialen Realität lebbar sind. Gegebenenfalls muss er um die Weiterentwicklung und die entsprechende Anpassung oder Durchsetzung seiner Erkenntnisse ringen. Das Ergebnis jeder gelungenen Therapie ist Übung, Übung und nochmals Übung. Ohne Anstrengung mit dem Ziel realer Veränderung sind psychotherapeutische Erfolge nicht nachhaltig.

Der Patient muss anfangs überzeugt werden, er muss daran glauben, dass im Sich-Mitteilen, Sich-Reflektieren, im Gefühlsausdruck und im Üben von Verhaltensänderungen die psychotherapeutische Arbeit besteht. Seine Mitarbeit ist entscheidend für den Erfolg. Den Patienten dafür zu gewinnen gehört zur Kunst des Therapeuten. Psychotherapie wirkt also dadurch,

•  dass man sich vertrauensvoll mitteilen kann (und muss) – das ist schon Entlastung an sich;

•  dass zugehört wird im Bemühen zu verstehen, was der Patient denkt, meint und empfindet, sodass er sich verstanden fühlen kann (was viele Menschen nie wirklich erleben durften);

•  dass man zum Reflektieren angeregt, ermutigt und unterstützt wird, sodass Zusammenhänge entdeckt werden können;

•  dass Zeit und Raum zur Verfügung stehen, um sich zu erinnern, zu assoziieren, um die mögliche Bedeutung von Gedankenbruchstücken, Einfällen, Fantasien und Träumen zu erforschen;

•  dass man sich selbst wahrnehmen, das eigene Erleben und Befinden spüren und aufkommenden Gefühlen Ausdruck geben kann;

•  dass neue Beziehungserfahrungen und davon ausgehend neue Verhaltensweisen möglich werden und erprobt werden können.

Aus der Sicht des Patienten ist Psychotherapie:

•  eine aktive, reflektierte Beziehung;

•  Erkenntnis und emotionale Abreaktion;

•  Übung;

•  die Übernahme von Verantwortung für verändertes Verhalten;

•  Selbsterkenntnis und Selbstveränderung;

•  Erkenntnis der Wirklichkeit und Akzeptanz von Begrenzung;

•  Entwicklung eigener Möglichkeiten unter Beachtung der sozialen Bezogenheit.

Auf einen Punkt gebracht: Psychotherapie ist vor allem anstrengende, belastende Arbeit für den Patienten. Sie wird ausgefüllt durch die Suchhaltung des Patienten, die zu Erkenntnissen, Gefühlen und zur Verhaltensänderung führt.

Was Psychotherapie hingegen nicht ist:

•  Eine Methode, die passiv verändert oder gar gesund macht.

•  Eine Form der Beratung mit Hinweisen auf richtiges oder falsches Verhalten.

•  Ein garantierter Weg zu Beschwerdefreiheit, Gesundheit, Zufriedenheit und zum Glück (vielmehr ist sie die Erkenntnis über hinderliche und förderliche Umstände auf diesem Weg).

•  Die Beseitigung erlittener Not und schmerzvoller Verletzungen (stattdessen ist sie das Suchen, Finden und Erlernen von Möglichkeiten, trotz allem so gut wie möglich leben zu lernen).

•  Die Chance zur Veränderung der «Welt», wahlweise des Partners, der Familie, der Umwelt oder der gesellschaftlichen Verhältnisse. Eher ist sie eine Möglichkeit, sich so anzupassen oder zu widersetzen, dass man nicht krank werden muss, im Sinne von: «Ich kann niemanden und nichts verändern außer mich selbst – und das hat Auswirkungen auf die Umwelt.»

Auf diesem anspruchsvollen und anstrengenden Erkenntnis- und Befreiungsweg sollte der Therapeut hilfreicher Begleiter sein. Diese Funktion erfüllt er am besten, wenn

•  er zuzuhören gelernt hat (auf das hört, was der Patient meint);

•  er empathisch ist, sich also in das Erleben des Patienten einfühlen kann;

•  der Therapeut sich zurückhalten kann und sich selbst nicht so wichtig nimmt, um dem Patienten Freiraum zu lassen;

•  er beziehungsfähig ist und menschlich authentisch, statt nur professionell zu reagieren. Natürlich braucht der Therapeut theoretisches Wissen und praktische Erfahrung, all das darf aber nicht zur therapeutischen Ideologie werden, sondern dient nur der Orientierung. Das Maß für therapeutische Interventionen ist nicht die Bedürftigkeit des Therapeuten (zum Beispiel wichtig zu sein!), sondern die Entwicklung des Patienten. Dabei ist das Nützliche und Hilfreiche für den Patienten immer auch kritisch zu sehen: Ein Patient kann subjektiv sehr zufrieden sein, weil er in seiner Abwehr therapeutisch unterstützt worden ist, oder er kann ziemlich ärgerlich und enttäuscht reagieren, weil ihm eine bittere, aber notwendige Wahrheit widergespiegelt wird.

•  er über eine Vielzahl therapeutischer Interventionsmöglichkeiten verfügt, die er situativ und dynamisch anbietet, ohne auf bestimmte therapeutische Regeln und empfohlene Interventionen festgelegt zu sein.

Aus der Sicht des Therapeuten ist Psychotherapie:

•  Geduld und Toleranz;

•  Zuhören und Empathie;

•  Ermutigung, Unterstützung, Konfrontation und Begrenzung;

•  eine ehrliche Beziehung, in deren Mittelpunkt der Patient steht.

Der Therapeut bleibt in aller Regel zurückhaltend, abwartend; bei Bedarf stellt er seine Erfahrung zur Verfügung, belastet den Patienten aber nicht mit Persönlichem und Privatem.

Auf einen Punkt gebracht: Psychotherapie ist für den Therapeuten Beziehungskunst, um den Patienten Entwicklung zu ermöglichen und Begrenzung zu akzeptieren zu lehren.

Psychotherapie wirkt also durch eine Beziehungskultur, wie sie der Patient vorher nie kennengelernt hat und die in der gesellschaftlichen Realität sehr selten geworden ist. Deshalb bringt erfolgreiche Therapie reale Belastungen für den Einzelnen mit sich und ist stets eine kritische Herausforderung der sozialen Realität.

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3Wie finde ich «meinen» Psychotherapeuten?

Die Suche nach einem Psychotherapeuten ist relativ einfach: Internet, Telefonbuch, Therapeutenlisten bei der zuständigen Ärztekammer oder der Kassenärztlichen Vereinigung. Es empfiehlt sich auch, persönlichen Empfehlungen zu folgen. Aber kein Psychotherapeut ist für alle Patienten gleich geeignet. Eine Faustregel lautet: Jeder Psychotherapeut ist für etwa ein Drittel aller Patienten sehr gut, für ein weiteres Drittel akzeptabel und für ein Drittel nicht wirklich hilfreich.

Empfehlenswert ist, sich im Vorfeld bereits Gedanken zu machen, welche der drei von den Krankenkassen bezahlten Psychotherapie-Methoden am besten zur eigenen Problematik passt. Natürlich kann man das als Laie nicht hinreichend wissen und ist auf Beratung angewiesen. Die Art und Weise, wie diese erfolgt, ist aber bereits ein Kriterium dafür, ob man an den richtigen Therapeuten geraten ist. Natürlich möchte jeder «seine» Methode verkaufen, davon lebt er schließlich. Seriös ist der Therapeut jedoch erst, wenn er die anderen Methoden, die nicht zu seinem Repertoire gehören, mitbedenkt und darüber angemessen informiert. Schlägt er eine andere Methode vor, als er selbst anbietet, dann darf das wohl als ein Hinweis auf seine Qualifikation gewertet werden. Die sogenannte «Warteliste» ist dabei aber ebenfalls zu bedenken. Hat ein Therapeut eine lange Warteliste, bis ein Therapieplatz frei wird, spricht das durchaus für seinen guten Ruf (aber nicht zweifelsfrei, denn Therapieplätze sind immer noch knapp). Jedenfalls wird er freier darin sein, einem Patienten auch andere Methoden nahezulegen (und damit andere Therapeuten). Hat ein Therapeut hingegen noch viele freie Plätze, ist das Risiko selbstverständlich größer, dass er den Patienten braucht, um auf seine Einkünfte zu kommen.

Alter und Geschlecht des Therapeuten spielen eine wichtige Rolle bei der Therapeutensuche. Aber das ist nicht so einfach. Wer unbedingt zu einem Mann oder einer Frau will, kann damit einen spezifischen Widerstand gegenüber dem abgewählten Geschlecht signalisieren. Dann könnte es für den Therapieerfolg geradezu geboten sein, einen Therapeuten des «gemiedenen» Geschlechts zu wählen, da sich bereits in der Geschlechterwahl ein Konfliktfeld ankündigt, um das es in der Therapie gehen muss. Aber ein Patient hat zu dieser Thematik in aller Regel noch keinen Zugang, er entscheidet nach seinem Gefühl. Der Therapeut dagegen weiß um die Bedeutung der Geschlechterrolle in einer therapeutischen Beziehung und muss sie bedenken, womöglich auch mit der Empfehlung, besser zu einem Mann oder einer Frau zu gehen. Auf jeden Fall sollte darüber zwischen Therapeut und Patient gesprochen werden, um Argumente für oder wider das jeweilige Geschlecht des Therapeuten zu finden, diese zu verstehen und in der weiteren Arbeit zu berücksichtigen.

Warum ist das Geschlecht so wichtig? In fast jeder Therapie spielen der Einfluss von Mutter und Vater auf die eigene Entwicklung, Fragen nach der eigenen Weiblichkeit und Männlichkeit, der eigenen Mütterlichkeit und Väterlichkeit eine wichtige Rolle. Als Faustregel mag hier gelten, dass man mit einer Therapeutin die Beziehung zur Mutter und Fragen der eigenen Weiblichkeit und Mütterlichkeit besser bearbeiten kann als mit einem Therapeuten. Und das mag ebenso für das männliche Geschlecht zutreffen. Dass Probleme mit Männlichkeit und Väterlichkeit bei einem Therapeuten mehr Verständnis finden, ist aber kein Gesetz. Man kann nicht wissen, ob derjenige selbst mit dem eigenen Geschlecht beziehungsweise der Elternfunktion im Reinen ist. Wichtiger ist deshalb, wie die Verständigung zwischen Therapeut und Patient über diese Themen gelingt. Dabei ist in erster Linie die Offenheit des Therapeuten gemeint, auf Fragen nach seiner Kompetenz und Einstellung angemessen Auskunft zu geben, besonders dann, wenn der Therapeut in manchen Bereichen wenig Erfahrung hat. Ein Mann mag gute mütterliche Seiten haben – und doch bleibt ihm das Muttersein fremd. Eine Frau mag väterliches Verhalten in ihrem Repertoire haben – und dennoch bleibt ihr die Innenwelt eines Vaters verschlossen. Selbst bei bester Empathie kann man sich beim Einfühlen immer nur annähern. Deshalb sollte sich kein Therapeut einbilden, seinen Patienten jemals wirklich verstehen zu können, und kein Patient darf erwarten, ganz und gar verstanden zu werden. Die konflikthafte Spannung zwischen Hoffnung und Realität gehört zum Kern der therapeutischen Arbeit.