Die Macht der Fürsorge - Matthieu Ricard - E-Book
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Die Macht der Fürsorge E-Book

Matthieu Ricard

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Beschreibung

Ein inspirierender Ratgeber für alle die wissen möchten, wie wir unsere Welt gemeinsam besser machen können. Der bekannte Buddhist Matthieu Ricard und die Empathie-Forscherin Tania Singer sind Herausgeber dieses wissenschaftlichen Ratgebers. Dieser fasst die Mind & Life Conference 2016 in Brüssel zusammen, die unter der Schirmherrschaft des Dalai Lama zum Thema "Fürsorge und Macht" stattfand. Im Mittelpunkt steht die Fragestellung, welche Forschungsergebnisse heute dazu beitragen können, eine bessere gemeinsame Zukunft zu gestalten und das Überleben der Menschheit zu sichern. 19 weltweit bekannte Wissenschaftler und Buddhisten berichten über ihre jeweiligen Forschungsbereiche und machen Vorschläge für konkretes Handeln. Dabei wird auf faszinierende Weise deutlich, welche Rolle Fürsorge in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit gespielt hat, wie sie das Überleben im Tierreich sichert, welchen Einfluss sie auf die neuronalen Verknüpfungen in unserem Gehirn hat und auch aus Ökonomie, nachhaltigem Handeln und globaler Verantwortung nicht mehr wegzudenken ist. Jeder Artikel wird vom Dalai Lama kommentiert, der die Relevanz verdeutlicht: ein inspirierender Brückenschlag von Buddhismus und Wissenschaft, der konkrete Maßnahmen aufzeigt, was jeder Einzelne tun kann, um einen sinnvollen Beitrag in dieser Welt zu leisten.

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Matthieu Ricard Tanja Singer

Kate Karius

Die Macht der Fürsorge

Für einen gemeinsame Zukunft. Wissenschaft und Buddhismus im Dialog mit dem Dalai Lama

Aus dem Englischen unter Berücksichtigung des Französischen übertragen von Gerd Bausch

Knaur e-books

Über dieses Buch

Ein inspirierender Ratgeber für alle die wissen möchten, wie wir unsere Welt gemeinsam besser machen können.

 

Der bekannte Buddhist Matthieu Ricard und die Empathie-Forscherin Tania Singer sind Herausgeber dieses wissenschaftlichen Ratgebers. Dieser fasst die Mind & Life Europe Conference 2016 in Brüssel zusammen, die unter der Schirmherrschaft des Dalai Lama zum Thema »Fürsorge und Macht« stattfand. Im Mittelpunkt steht die Fragestellung, welche Forschungsergebnisse heute dazu beitragen können, eine bessere gemeinsame Zukunft zu gestalten und das Überleben der Menschheit zu sichern.

19 weltweit bekannte Wissenschaftler und Buddhisten berichten über ihre jeweiligen Forschungsbereiche und machen Vorschläge für konkretes Handeln. Dabei wird auf faszinierende Weise deutlich, welche Rolle Fürsorge in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit gespielt hat, wie sie das Überleben im Tierreich sichert, welchen Einfluss sie auf die neuronalen Verknüpfungen in unserem Gehirn hat und auch aus Ökonomie, nachhaltigem Handeln und globaler Verantwortung nicht mehr wegzudenken ist.

Jeder Artikel wird vom Dalai Lama kommentiert, der die Relevanz verdeutlicht: ein inspirierender Brückenschlag von Buddhismus und Wissenschaft, der konkrete Maßnahmen aufzeigt, was jeder Einzelne tun kann, um einen sinnvollen Beitrag in dieser Welt zu leisten.

Inhaltsübersicht

Vorwort des Dalai LamaTania Singer und Matthieu Ricard: EinführungEin Plädoyer für die Fürsorge in einer Welt voller HerausforderungenDialoge für größere menschliche LebensqualitätÜber die Macht der FürsorgeDie verschiedenen Vorstellungen von Macht und FürsorgeEin kurzer Überblick über die Themen dieses BuchesEine mitfühlendere Welt schaffenI. Perspektiven aus Ethologie, Anthropologie und ÖkologieSeine Heiligkeit der Dalai Lama: EröffnungsanspracheFrans B. M. de Waal: 1. Die Macht der Fürsorge bei Primaten: die AlphamännchenSarah Blaffer Hrdy: 2. Die transformative Kraft der ErziehungJohan Rockström: 3. Die Menschheit braucht einen Planeten im GleichgewichtII. Perspektiven aus Psychologie, Endokrinologie und NeurowissenschaftenAlexandra M. Freund: 4. Psychologische Überlegungen zum MachtmotivMarkus Heinrichs: 5. Die Biologie der Fürsorge: soziale Hormone im menschlichen GehirnTania Singer: 6. Perspektiven der kontemplativen Neurowissenschaften zu Macht und Fürsorge: wie man sich in Fürsorge und Mitgefühl übtRichard Schwartz: 7. Mit Mitgefühl und Achtsamkeit: Macht und Fürsorge im GleichgewichtGespräch zwischen den Vortragenden, der Moderatorin und dem Dalai LamaIII. Perspektiven aus spirituellen und religiösen TraditionenSeine Heiligkeit der Dalai Lama: Eröffnung des dritten TeilsPauline Tangiora: 8. Eine Botschaft von den Ureinwohnern der ErdeMatthieu Ricard: 9. Mitgefühl als LebensprinzipRabbi Awraham Soetendorp: 10. Wir alle tragen Strahlen des Lichtes in unsBruder Thierry-Marie Courau, OP: 11. Zuhören und lieben, ohne etwas zurückzuerwartenAlaa Murabit: 12. Den Glauben voranbringenGespräch zwischen den Vortragenden, der Moderatorin und dem Dalai LamaIV. Perspektiven aus Wirtschaft und GesellschaftDennis J. Snower: 13. Eigeninteresse, Macht und FürsorgePaul Collier: 14. Drei Beispiele aus der WirtschaftTheo Sowa: 15. Die Arbeit der Frauen wertschätzenJody Williams: 16. Mit PeaceJam Veränderung bewirkenGespräch zwischen den Vortragenden, dem Moderator und dem Dalai LamaV. Persönliches Engagement und globale VerantwortungOlafur Eliasson: 17. Kunst als Motor für soziale VeränderungScilla Elworthy: 18. Wege zum Beenden der KriegeFrédéric Laloux: 19. Die Macht der Fürsorge in OrganisationenGespräch zwischen den Vortragenden, der Moderatorin und dem Dalai LamaTania Singer: Abschließende BemerkungenAnhangInspirierende WorkshopsDankÜber Mind and Life EuropeDie Mitwirkenden
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Vorwort

Ich freue mich sehr, dass die Konferenz zu Power and Care, der Macht der Fürsorge, stattfinden konnte. Mind-&-Life-Konferenzen sind inzwischen zu einer regelmäßigen Institution geworden, und es war die zweite, die von Mind & Life Europe in Brüssel organisiert wurde.

Diese Initiative nahm bereits vor mehr als dreißig Jahren ihren Anfang, als mein guter Freund, der inzwischen verstorbene Neurowissenschaftler Francisco Varela, mit einer Gruppe von Wissenschaftlern nach Dharamsala kam und wir die ersten Gespräche führten.

Der Austausch wurde bis heute fortgesetzt, er ist sowohl für tibetische Buddhisten als auch für Gelehrte und Wissenschaftler eine große gegenseitige Bereicherung – und nicht nur für sie, sondern ebenso für alle anderen, die sich für eine bessere Menschheit einsetzen.

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Einführung

Tania Singer und Matthieu Ricard, die derzeitigen Kuratoren des Macht-der-Fürsorge-Dialogs

Eines der großen Probleme der Geschichte ist, dass man Macht und Liebe meist in einer Weise beschrieben hat, als würden sie sich grundsätzlich widersprechen (…). Doch Macht im besten Sinne ist nichts anderes als Liebe, denn es ist die Kraft, die umsetzt, was für Gerechtigkeit notwendig ist, und Gerechtigkeit im besten Sinne überwindet alles, was sich der Liebe entgegenstellt.

Martin Luther King jr., 16. August 1967[1]

Ein Plädoyer für die Fürsorge in einer Welt voller Herausforderungen

Die Welt heute ist voller Herausforderungen. Von überall auf dem Planeten hören wir alarmierende Nachrichten wie jene über den Konflikt im Mittleren Osten, über die Flüchtlingskrise sowie hinsichtlich der Tatsache, dass Regierungen und ganze nationale Ökonomien kurz vor dem Bankrott stehen. All dies zeigt: Die Welt befindet sich in einer Krise. Selbst in Ländern, in denen Überfluss herrscht, erfahren Menschen Armut, die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer, der Rassismus verbreitet sich, und es kommt zu einer immer größeren Bedrohung durch die Verknappung der natürlichen Ressourcen sowie durch den Klimawandel. Auf individueller Ebene nehmen stressbedingte Krankheiten, Unsicherheit, Depression und Einsamkeit zu, und wir finden immer übertriebenere Ausdrucksformen des eigenen Individualismus und Narzissmus.

Auch wenn ermutigende Initiativen und Neuerungen – von den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung über das Übereinkommen von Paris bis hin zu großartigen Initiativen voller Entschiedenheit und Fürsorge in den sozialen Medien – uns als globale Bürger eines gemeinsamen Planeten näherbringen, fällt es vielen von uns weiterhin schwer, Wege zu finden, wie wir selbst die Verantwortung übernehmen und uns für eine nachhaltigere und gerechtere Welt engagieren können.[2] Wir stehen weiter vor ungelösten Fragen, etwa: Wie können wir die beängstigenden Herausforderungen unseres Planeten bewältigen? Wie können sich alle Mitglieder der globalen Gemeinschaft ermutigen, zu Bürgern dieser Welt zu werden, die verantwortungsvoller und zu mehr Fürsorge bereit sind? Wie können wir unsere egoistischen Tendenzen überwinden und unser Mitgefühl auch auf größere Kreise ausweiten, sodass wir uns nicht nur um unsere Liebsten, unsere nächsten Freunde oder Angehörige unserer Nation und Religion sorgen, sondern auch um jene, die uns fremd sind, sowie andere Gattungen und unsere natürliche Umwelt an sich?

Dialoge für größere menschliche Lebensqualität

Seit dreißig Jahren arbeitet Seine Heiligkeit der Dalai Lama gemeinsam mit Wissenschaftlern aus aller Welt daran, Wege der Weisheit zu fördern, die das menschliche Wohl, ethische Verantwortung und Mitgefühl mehren.

Der Austausch mit dem Dalai Lama begann in einem kleinen wissenschaftlichen Kreis in sehr persönlicher Atmosphäre. Diese Treffen führten zu der Gründung des Mind & Life Institute, das 1987 von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama, dem Neurowissenschaftler Francesco Varela und dem Unternehmer Adam Engle als nicht gewinnorientierte, gemeinnützige Organisation gegründet wurde. Sein Ziel ist, einen offenen Austausch und gemeinsame Forschungsvorhaben zwischen den modernen Naturwissenschaften, den kontemplativen Traditionen der Welt einerseits und den Wirtschafts-, Human- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften andererseits zu unterstützen.

Im Lauf der Jahre nahm die Zahl der Veranstaltungen des Mind & Life Institute zu, sie wurden bekannter, und auch die Medien berichteten umfassend über sie. 2008 wurde ein europäischer Zweig gegründet, der sich genau wie die Mutterorganisation zum Ziel gesetzt hat, Leiden zu mindern und die Entwicklung der kontemplativen Wissenschaften auf dem europäischen Kontinent zu fördern.

Über die Macht der Fürsorge

Im September 2016 fand der zweite Austausch von Mind & Life Europe statt, was gleichzeitig das 31. öffentliche Treffen von Mind & Life war, an dem der Dalai Lama teilnahm. Es fand in der europäischen Hauptstadt Brüssel statt und wurde die bis dahin größte Konferenz des Austauschs.[3] Neunzehn führende Experten trafen sich mit Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama, um sich der beiden treibenden menschlichen Eigenschaften Macht und Fürsorge anzunehmen und die Problematik im Kontext mit dem heutigen Zustand unseres Planeten zu betrachten. In diesen Diskussionen geht es unter anderem darum, wie man diese beiden Kräfte in Einklang bringen kann. Da Macht und Fürsorge sowohl in der Natur als auch in der Gesellschaft von Bedeutung sind, wird die Thematik aus den Perspektiven der verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen beleuchtet und bezieht auch Anthropologie, Ethologie, Psychologie, die Neurowissenschaften, Ökonomie, Führung und Management, sozialen Aktivismus sowie die kontemplativen Traditionen der Welt mit ein.

Die verschiedenen Vorstellungen von Macht und Fürsorge

Macht an sich ist weder schädlich noch hilfreich, sondern ein Mittel, um unsere Ziele zu erreichen. Allerdings wird Macht im Westen in historischer und psychologischer Perspektive oft mit Dominanz, Instrumentalisierung oder Herrschaftsgewalt in Verbindung gebracht. Diese Vorstellung der »Macht über jemanden«, die sich in Einkommensgefällen, ethnischen und geschlechtsspezifischen Ungleichheiten und anderem äußert, ist jedoch nur ein Aspekt der großen Bandbreite dessen, wie sich Macht in politischer, gesellschaftlicher und zwischenmenschlicher Hinsicht ausdrückt. Macht ist im Grunde nichts als eine treibende Kraft, die sowohl dafür eingesetzt werden kann, anderen zu helfen, als auch dafür, ihnen zu schaden, dazu, aufzubauen oder zu zerstören. Wie wir diese Kraft nutzen, liegt an uns.

In ähnlicher Weise ist auch Fürsorge eine wichtige Kraft, die uns zum Handeln motiviert. Im Gegensatz zu Macht ist sie allerdings keineswegs ethisch wertfrei, da sie darauf abzielt, das Wohl der anderen zu mehren, seien es die nächsten Angehörigen oder die Mitglieder der Gesellschaft als Ganzes. Mit Fürsorge assoziieren wir Altruismus, Mitgefühl, Verantwortung und Zusammengehörigkeitsgefühl. Es mag uns auf den ersten Blick vielleicht so scheinen, als seien Macht und Fürsorge nicht miteinander vereinbar, doch das Gegenteil ist der Fall. Macht, mit Fürsorge gepaart, kann weit mehr zum Wohle anderer bewirken als die Motivation, für andere zu sorgen, die aber über keine Mittel verfügt, sie umzusetzen. Umgekehrt wird Macht ohne die Motivation, anderen zu nutzen und das Wohl aller zu bewirken, leicht rücksichtslos und entbehrt oft der nötigen ethischen Maßstäbe.

Ein kurzer Überblick über die Themen dieses Buches

In diesem Buch veröffentlichen wir die Gespräche, die vom 9. bis 11. September 2016 im BOZAR Centre for Fine Arts in Brüssel stattfanden. Auch wenn die Reden zum besseren Verständnis editiert wurden, geben sie den Austausch der Konferenz originalgetreu wieder. Auf den nun folgenden Seiten werden Ihnen weltbekannte renommierte Wissenschaftler aus verschiedenen Sachgebieten einige ihrer Studienschwerpunkte vorstellen und erläutern, inwiefern diese in Bezug auf die Macht der Fürsorge von Relevanz sind. Gleichzeitig erfahren Sie, was der Dalai Lama, die Moderatoren und die anderen Teilnehmer der Sitzungen zu den jeweiligen Thematiken denken.

Der Dalai Lama nahm an der Diskussion in Begleitung seines langjährigen Übersetzers Thupten Jinpa teil. Auch wenn Seine Heiligkeit den komplexen wissenschaftlichen und philosophischen Zusammenhängen auf Englisch folgte und sich in dieser Sprache dazu äußerte, wechselte er manchmal ins Tibetische. In diesen Fällen übersetzte ihn Jinpa ins Englische, wobei wir dies im Buch nicht gesondert kenntlich gemacht haben.

Entsprechend den fünf verschiedenen Foren der Konferenz, bei denen jeweils andere Teams auf dem Podium saßen, ist das Buch in fünf Sektionen unterteilt. Jedem von ihnen geht eine inhaltliche Einführung voraus. Die einzelnen Kapitel entsprechen jeweils einem Vortrag eines Teilnehmers oder einer Teilnehmerin, wobei diese in der gleichen Reihenfolge abgedruckt sind, wie sie bei der Konferenz gehalten wurden.

Der erste Teil, »Perspektiven aus Ethologie, Anthropologie und Ökologie«, gibt einen Einblick in Macht und Fürsorge bei unseren nächsten Artverwandten, den Schimpansen. Gute Führung bedarf einer gesunden Dosis Fürsorge, und dies ist der Grund, weswegen Alphamännchen oft die anderen trösten. In ähnlicher Weise war bei den frühen Menschen Fürsorge eine der stärksten Instinkte und die biologische Basis für altruistisches Verhalten Nichtverwandten gegenüber. Diese Fürsorge war in unserer frühen Geschichte für die Entwicklung von Einfühlungsvermögen und Autonomie von großer Bedeutung. In diesem Abschnitt geht es auch um die Ausbreitung der menschlichen Zivilisation, wobei wir zu 95 Prozent unserer Geschichte als Jäger und Sammler lebten. Es geht gleichzeitig um die Tatsache, dass wir heute in eine Ära eingetreten sind, in der wir die Macht haben, den Zustand des Planeten in gefährlicher Weise drastisch zu verändern. Wenn sich nichts Grundlegendes ändert, wird es zum sechsten großen Artensterben in der Geschichte des Lebens auf der Erde kommen: Tausende von uns bekannten und unbekannten Gattungen drohen auszusterben, was auch enormes Leiden und Zerstörung für kommende Generationen nach sich ziehen wird – und dies, obwohl wir heute das technische Wissen haben, um die Katastrophe abzuwenden. Woran es uns allerdings fehlt, sind der Wille und die Entschlossenheit, die Lösungen auch anzuwenden, von denen wir wissen, dass sie wirkungsvoll wären.

Im zweiten Teil, »Perspektiven aus Psychologie, Endokrinologie und Neurowissenschaften«, geht es darum, dass es inzwischen sogar wissenschaftlich nachweisbar ist, dass wir das Potenzial haben, uns innerlich zu verändern: Wir besitzen die entsprechende »Plastizität«, also die Flexibilität des Gehirns, die es uns erlaubt, sowohl unser Verhalten als auch unseren Austausch mit anderen direkt zu beeinflussen. Es wird darüber hinaus behandelt, was Macht und Fürsorge motiviert, und es geht um unsere Fähigkeit, Macht in Fürsorge zu verwandeln. Diese Fähigkeit können wir auch dadurch aktivieren, dass wir uns bewusst den dunkleren Seiten unserer Persönlichkeit zuwenden, um auf solche Weise mehr Raum für Liebe zu schaffen.

Dieses Potenzial der Veränderung wird durch neuere Forschungen im Bereich der sozialen und kontemplativen Neurowissenschaften belegt. Schon durch kurze, aber regelmäßige meditationsbasierte Praxis können menschliche Qualitäten wie Achtsamkeit, Altruismus, Mitgefühl und Einfühlungsvermögen geübt und kultiviert werden, wobei dies nicht nur zu nachweisbaren Veränderungen im Gehirn führt, sondern darüber hinaus auch den Stress mindert und die Gesundheit, die Funktionen des Immunsystems, Zufriedenheit, Wohlbefinden, soziales Verhalten sowie die Fähigkeit zur Kooperation fördert. In diesem zweiten Teil werden darüber hinaus neueste Erkenntnisse aus dem Bereich der Neurowissenschaften vorgestellt, die Einsichten in die Funktionsweise der Hormone und Neurotransmitter vermitteln, die wiederum mit den Systemen in Zusammenhang stehen, die die genannten Prozesse motivieren.

Im dritten Teil, »Perspektiven aus spirituellen und religiösen Traditionen«, wird die verbindende Botschaft dargelegt, die allen großen Religionen gemeinsam ist: Liebe – eine Botschaft, die von theistischen und nontheistischen Glaubensrichtungen gleichermaßen verbreitet wird und die auch die Ureinwohner teilen, die mit großer Güte für die Harmonie mit Mutter Erde eintreten und für sie sorgen. Das Problem des Ungleichgewichts zwischen Macht und Fürsorge im religiösen Kontext wird thematisiert. Es wird aufgezeigt, dass dieser im Machtmissbrauch in der Religion begründet liegt, der in Unterwerfung, Eroberung, Gewalt und Zerstörung im Rahmen der Missionierung anderer ihren Ausdruck fand.

»Perspektiven aus Wirtschaft und Gesellschaft«, der vierte Teil der Konferenz, befasst sich mit unserer Fähigkeit, Herz und Verstand zu schulen, um unsere egozentrische und eigennützige Motivation in eine fürsorglichere und verbindlichere zu transformieren, also in eine, die soziales Verhalten und globale Kooperation fördert. Diese Kompetenzen sind von entscheidender Bedeutung für die Etablierung von nachhaltigeren Gesellschaften, in denen man zusammen auf gemeinsame Ziele hinarbeitet. In diesem Teil werden nicht nur Ereignisse der jüngeren Vergangenheit wie beispielsweise die Finanzkrise untersucht, sondern auch das Aufkommen von realistischeren, integrierenderen und empirisch fundierten Wirtschafts- und Organisationsmodellen, die unter anderem Erkenntnisse über Nachhaltigkeit und Fürsorge mit einbeziehen.

Abschließend widmet sich der fünfte Teil, »Persönliches Engagement und globale Verantwortung«, der Kunst und der Organisation. Anhand von Kunstwerken und engagierter Kunst wird beleuchtet, wie man mit ihnen Konzepte ausdrücken kann, die oft zu komplex sind, um sie intellektuell zu verstehen. Weiterhin geht es um Geschäftsmodelle für den Frieden und um die Entstehung neuer Unternehmen und Organisationen, die nicht mehr nach starren mechanistischen Gesetzen, sondern wie lebende Organismen funktionieren. Diese helfen maßgeblich, eine Gesellschaft mit verantwortungsvolleren und fürsorglicheren Menschen zu schaffen, in der sich alle gehört und beachtet fühlen, etwas, was auch den Horizont unseres Mitgefühls erweitert. Indem wir in uns und unserer Gesellschaft Fürsorge und Altruismus kultivieren, können wir unser volles Potenzial an Güte und Kooperation leben und diese Qualitäten zum größten Wohl aller einsetzen.

Eine mitfühlendere Welt schaffen

Der in diesem Buch wiedergegebene Austausch erkundet, wie Macht und Fürsorge, die die menschliche Entwicklung sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene so maßgeblich mitbestimmen, unsere Fantasie beflügeln können, um Wege zu finden, bei denen beide Kräfte bewusst und zum Nutzen aller verbunden werden.

Wir von Mind & Life hoffen, dass die Lektüre alle Leserinnen und Leser sowie mitfühlend Handelnde auf der ganzen Welt inspiriert. Wir würden uns außerdem freuen, wenn das Buch einen wichtigen Anstoß für neue Ansätze bei Forschungen und neue Ideen für Projekten gäbe sowie einen Beitrag zu neuen Visionen für Gesellschafts-, Regierungs- und Führungsmodellen leistet, die die positive Entwicklung aller auf unserem Planeten Lebenden und darüber hinaus die des Planeten selbst fördert.

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I. Perspektiven aus Ethologie, Anthropologie und Ökologie

Seine Heiligkeit der Dalai Lama wird gleich mit einer Ansprache unsere erste Sitzung eröffnen. Anschließend zeichnet Frans de Waal für uns ein umfassendes Bild von Macht und Fürsorge, indem er die ausgesprochen komplexen Interaktionen dieser Kräfte bei Primaten schildert. Die emeritierte Professorin Sarah Blaffer Hrdy stellt angesichts der Entwicklung von den frühen Menschen bis zur heutigen Zeit dar, auf welch einzigartige und gleichzeitig ausgesprochen unterschiedliche Weise sich Väter und Mütter um ihre Kinder und auch sonst umeinander kümmern. Schließlich erläutert Johan Rockström, welche Auswirkung Macht und Fürsorge auf den derzeitigen Zustand unseres Planeten und auf das Schicksal der kommenden Generationen haben.

Dr. Matthieu Ricard, Moderator der ersten Session, buddhistischer Mönch im Kloster Shechen in Nepal, humanitärer Helfer, Autor und Fotograf

Eröffnungsansprache

Seine Heiligkeit der Dalai Lama

Ich freue mich sehr, dass dieses Mind-&-Life-Treffen in Brüssel auf dem europäischen Kontinent stattfinden kann. Als ich 1973 zum ersten Mal Europa besuchte, konnte ich sehen, dass seine Länder dank moderner Technologie und Wissenschaft zwar weit entwickelt sind, diese Annehmlichkeiten die Menschen aber nicht unbedingt glücklich machten. Sie litten unter Stress und Konkurrenzdenken, das vor allem zu Eifersucht führte. Aus alldem zog ich den Schluss, dass materielle Entwicklung zwar fraglos körperliche Bequemlichkeit mit sich bringt, nicht aber geistiges Wohlbefinden.

Materieller Fortschritt allein ist kein Garant dafür, ein zufriedener Mensch zu sein oder eine glückliche Familie zu haben. Um psychische Probleme zu bewältigen – und dazu zählen auch Drogen- und Alkoholmissbrauch, die dazu dienen, sich zeitweilig etwas besser zu fühlen –, muss man sich dem Bewusstsein zuwenden.

Im Vergleich zur europäischen Tradition ist die buddhistische Kenntnis von Geist und Emotionen hoch entwickelt. Seit dem 8. Jahrhundert haben sich die Tibeter mit der alten indischen Weisheit beschäftigt, die auch eine buddhistische Psychologie umfasst, und dank rigorosen Studiums und intensiver Praxis konnten wir dieses Wissen über tausend Jahre bewahren.

Bei jenem ersten Besuch in Europa gewann ich die Überzeugung, dass es zum inneren Frieden der Menschen beitragen könnte, diese alte Weisheit mit ihnen zu teilen, und zwar ganz unabhängig davon, ob sie religiös waren oder nicht. Schließlich sind wir alle Menschen und unterscheiden uns in körperlicher, emotionaler, geistiger und psychischer Hinsicht nicht. Wir alle wünschen uns ein glückliches und zufriedenes Leben … und dazu gehört, das sollten wir nicht vergessen, innerer Frieden. Es war diese Überzeugung, die den Anstoß gab, den Mind-&-Life-Dialog ins Leben zu rufen.

Auf der Suche nach Antworten: der Dialog mit der Wissenschaft

Als ich begann, mich mit Wissenschaftlern zu treffen, hatten einige ältere Mönche und Gelehrte Bedenken – und nicht nur sie. Sie glaubten, die Perspektive der westlichen Wissenschaft sei viel zu begrenzt. Manche sahen in dem Austausch sogar eine Gefahr und warnten mich: »Der Dialog mit einem Wissenschaftler ist eine ernste Sache, pass also auf. Wissenschaft ist der Tod der Religion.«

Daraufhin kontemplierte ich den Rat, den Buddha seinen Schülern gegeben hatte: »Mönche und Gelehrte sollten meine Lehren nicht aus Glaube oder Hingabe einfach so übernehmen, sondern sie zuerst prüfen.« Dementsprechend sah ich in dem Austausch kein Problem. Auf der Suche nach Antworten ist es wirklich von entscheidender Wichtigkeit, die Problematik kritisch zu hinterfragen. Glaubt man etwas einfach so, hat man auch keine Fragen, und ohne Fragen fehlt einem der Anreiz, etwas näher zu untersuchen.

Ich kam also zu dem Schluss, dass sich – ganz grundlegend betrachtet – Wissenschaft und Buddhismus, besonders in der Tradition der Nalanda-Universität,[4] vom Ansatz her ähneln, da es beiden darum geht, die Dinge offen und unvoreingenommen zu untersuchen.

Erkenntnisse von gegenseitigem Nutzen

Dank des indischen buddhistischen Erbes im Allgemeinen und jenes der Nalanda-Universität im Besonderen kann die tibetische Tradition auf einen großen Schatz alter Weisheit zurückgreifen. Bereits die alte indische buddhistische Literatur spricht von Partikeln und Atomen, davon, dass die materielle Welt aus den fünf Elementen besteht und dass alles aus dem Raum entsteht und sich wieder in ihm auflöst. Obwohl uns dies also nicht neu war, waren die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Abendlandes, die bei diesen Dialogen geteilt wurden, für uns buddhistische Gelehrte von enormem Nutzen.[5]

Umgekehrt erhielten die Wissenschaftler bei diesen Treffen ihrerseits wertvolle Informationen über Geist und Psyche. Sie lernten Methoden kennen, mit denen man mit destruktiven Emotionen umgehen kann, Techniken, die Teil der Weisheit sind, die wir über die Jahrhunderte entwickelt und bewahrt haben. Selbst in einem vollkommen nicht religiösen Kontext konnten wir hinsichtlich der Natur der Realität und der Probleme, die uns als Menschen gemeinsam sind, viel voneinander lernen.

Die Europäer: aus der Vergangenheit lernen, in die Zukunft führen

Man hat mir oft erzählt, dass es in der Vergangenheit auf dem europäischen Kontinent über die Jahrhunderte große Kriege mit zahllosen Toten gab. Im 20. Jahrhundert brachen kurz nacheinander der Erste und der Zweite Weltkrieg aus, an denen hauptsächlich die Länder Europas beteiligt waren. Während dieser Kriege kam es zu unglaublicher Gewalt und Brutalität. Die Geschichtsschreibung spricht von hundert Millionen Toten.

Im 21. Jahrhundert sind wir nach wie vor mit Konflikten konfrontiert. Weiterhin zieht man angesichts von Problemen spontan immer noch eine Lösung durch Gewalt in Betracht. Auch religiöse Gruppen schaffen Spaltungen, und so kann Religion selbst zur Ursache von noch mehr Morden werden – und das, obwohl uns alle Glaubensrichtungen die Einheit der Menschheit lehren. Nach Überzeugung der monotheistischen Religionen wurden alle sieben Milliarden Menschen von Gott geschaffen, und nach den nicht theistischen Religionen sind wir fühlenden Wesen alle gleich, gleich in unserer Suche nach Frieden und Glück.

In der Geschichte gab es auf diesem Kontinent viel Gewalt und Krieg, und seine Bewohner haben sehr darunter gelitten. Aber dadurch sind sie auch reifer geworden. Ein Faktor, der in der Vergangenheit zum Ausbruch von Gewalt beitrug, war die große Gewichtung des Wertes der »eigenen« Nation, wodurch man sich von der »anderen« abgrenzte. Um dies zu überwinden, haben sich viele europäische Länder in der Europäischen Union zusammengeschlossen.

Einmal erzählte mir mein Freund Carl Friedrich von Weizsäcker, der damals genau wie das 20. Jahrhundert in seinen Neunzigern war und den ich als meinen Tutor in Sachen Quantenphysik ansehe, dass in seiner Jugend die Franzosen Deutschland als ihren Feind ansahen. Umgekehrt war nach Auffassung der Deutschen Frankreich eine feindliche Nation. All dies hat sich inzwischen vollkommen geändert. Heute sind innere Werte wichtiger geworden, und das ist ein Hinweis auf Fortschritt und Entwicklung. Wir finden dies in ähnlicher Weise in den USA, wo sich immer mehr Einzelne, Institutionen, Universitäten und sogar ganze Städte für die Kultivierung von innerem Frieden interessieren und Liebe und Mitgefühl praktizieren.

Mit der EU besitzt der europäische Kontinent heute eine gesunde Arbeitsgrundlage. Ich bin sicher, dass die Europäer ihre Arbeit dazu nutzen können, der gesamten Menschheit zu einem glücklicheren Leben zu verhelfen, das materiellen Komfort und körperliches Wohlbefinden mit der inneren Entwicklung verbindet, die sich auf die völlige Kenntnis unserer Psyche, unseres Geistes und unserer Emotionen stützt. Dies würde inneren Frieden ermöglichen. Und genau das ist mein Wunsch und meine Hoffnung.

1. Die Macht der Fürsorge bei Primaten: die Alphamännchen

Frans B.M. de Waal

Eure Heiligkeit, im Rahmen meiner Arbeit als Primatologe und Ethologe habe ich mein ganzes Leben lang zu unseren nahen Verwandten, den Schimpansen, geforscht. Hierbei bin ich zur Annahme gelangt, dass man auch bei ihnen Macht und Fürsorge finden kann.

Schimpansenpolitik

»Schimpansenpolitik« ist das Wort, mit dem wir das komplexe soziale Verhalten dieser Menschenaffen[6] in Hinsicht auf Macht und Dominanz beschreiben. Der Grund, warum wir von »Politik« sprechen, ist, dass nicht immer automatisch das größte und stärkste Männchen auch das dominante, also das Alphamännchen ist, sondern sogar manchmal der kleinste Affe diese Funktion übernimmt.

Ob man Anführer ist, hängt gänzlich davon ab, wie viel Verbündete man hat, also ob man die Unterstützung der Weibchen und anderer Männchen genießt. Als Alphamännchen muss man dafür sorgen, dass diese Unterstützer auch glücklich sind, da man sonst diesen Beistand verliert. Es ist also geradezu ein System mit politischem Kalkül. Auch wenn körperliche Stärke in diesem Zusammenhang sicherlich von großer Bedeutung ist, gibt sie jedoch nicht als Einziges den Ausschlag.

Macht und Dominanz bei Schimpansen

Die Körpersprache bei Schimpansen ist eindeutig. Die beiden Tiere, die man in Abbildung 1.1 sieht, sind zwar in etwa gleich groß, dennoch ist es leicht erkennbar, dass der linke Affe das dominante Männchen ist. Auf beiden Beinen steht es in prahlender Haltung und stellt dabei seine Haare auf, um beindruckender zu wirken sowie seine Überlegenheit zu demonstrieren. Daran, dass sich der rechte Schimpanse beugt und grunzt, kann man erkennen, dass er sich unterwirft.

Abbildung 1.1: Schimpansen zeigen mit ihrer Körpersprache deutlich, wer der dominante und wer der sich unterordnende Affe ist (Foto: Frans B.M. de Waal).

Macht und Dominanz bei Menschen

Auch wir Menschen zeigen mit unserer Körpersprache sehr deutlich, wer dominant ist und wer sich unterordnet, und hierin unterscheiden wir uns nicht sonderlich von den Schimpansen. Politiker und Angehörige von Herrscherhäusern richten sich gern in stolzer Haltung auf, machen sich größer, als sie sind, und sitzen auf Podesten, Bühnen, Thronen und so weiter. Wenn Sie zur Sitzung einer großen Firma mit mehreren Dutzend Teilnehmern den Raum betreten, können Sie allein anhand der Körpersprache binnen dreißig Sekunden erkennen, wer die dominanteste Person ist.

Studien zu Einfühlungsvermögen und tröstendem Verhalten

Ich möchte gern jüngere Forschungsergebnisse mit Ihnen teilen, die Einfühlungsvermögen und tröstendes Verhalten in verschiedenen Gattungen zum Thema haben und hinsichtlich des Fürsorgeverhaltens relevant sind. Im Lexikon können wir nachlesen, dass Empathie die Bereitschaft und Fähigkeit ist, sich in die Einstellungen anderer einzufühlen. Bereits anhand dieser kurzen Definition wird klar, dass Empathie einerseits eine kognitive Komponente umfasst, nämlich die Fähigkeit zu verstehen, sowie andererseits einen emotionalen Aspekt, also das Einfühlungsvermögen. Wenn wir das empathische Verhalten erforschen, achten wir meistens nur auf die emotionale Komponente und untersuchen Fragen wie: »Stellen die Betreffenden sich emotional aufeinander ein?« Dies tun alle Säugetiere. Die meisten von uns halten Katzen und Hunde als Haustiere und nicht Eidechsen und Fische, denn Menschen mögen Säugetiere. Wir genießen den emotionalen Austausch mit ihnen. Sie verstehen unsere Gefühle und wir die ihren.

In den letzten Jahren hat man das empathische Verhalten von Säugetieren immer besser dokumentiert. In einer Studie, die wir kürzlich an Wühlmäusen durchgeführt haben, zeigte sich, dass die Gehirnaktivität bei tröstendem Verhalten sehr der empathischen Gehirnaktivität der Menschen ähnelt. Die Mäuse trösten ihre leidenden Artgenossen durch beruhigenden Körperkontakt.

Im Rahmen einer ähnlichen Studie untersuchten wir im Lola-ya-Bonobo-Schutzgebiet in Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo das Trost spendende Verhalten bei Zwergschimpansen, die genau wie die Schimpansen eng mit uns verwandt sind. Wenn ein Zwergschimpanse einen Kampf verliert, so konnten wir beobachten, kam anschließend ein anderes Tier seiner Gruppe zu ihm, um ihn zu bestärken – ein Verhalten, das wir durchaus als »Trost« bezeichnen können. Dies ist die Art, in der sich bei ihnen Empathie in erster Linie ausdrückt. Während Zwergschimpansen und Schimpansen solch tröstendes Verhalten recht häufig zeigen, ist es bei anderen Primaten wie etwa bei den langschwänzigen Affen weit seltener.

Man muss wissen, dass fast alle Zwergschimpansen in diesem Reservat traumatisierte Waisen sind. Meist sind es Opfer von Händlern, die Dschungeltiere rechtswidrig für den Verzehr auf den Märkten anbieten. Die Tiere wurden von Behörden beschlagnahmt und anschließend von Mitarbeitern des Schutzgebiets aufgezogen. Entsprechend haben oder hatten die meisten Zwergschimpansen in diesem Reservat keine normale Kindheit. Allerdings gibt es auch einige Tiere, die von ihrer Mutter großgezogen wurden. Von ihnen allen möchte ich Ihnen jetzt erzählen.

In Abbildung 1.2, die tröstendes Verhalten und seine Häufigkeit darstellt, ist es unschwer erkennbar, dass Jungtiere mehr Trost spenden als Erwachsene. Vermutlich liegt das daran, dass die Tiere im Laufe ihres Lebens immer genauer auswählen, wem sie Trost zukommen lassen. Junge Tiere trösten fast alle, während ältere dies nur bei ihrer Familie und ihren Freunden und so weiter tun. Wenn Sie die Daten der Zwergschimpansen betrachten, die von ihren Müttern großgezogen wurden, sehen Sie, dass sie weit mehr tröstendes Verhalten als die anderen an den Tag legten (wobei alle Untersuchten noch im jugendlichen Alter waren).

Abbildung 1.2: Wahrscheinlichkeit, Trost zu spenden. Die Abbildung zeigt, wie viele Individuen bei Konflikten den Unterlegenen Trost spendeten.[7]

Empathiestudien bei Menschen

Die ersten Studien, die zu menschlicher Empathie durchgeführt wurden, untersuchten auch das Trostverhalten. Wissenschaftler baten Familienmitglieder zu weinen und beobachteten, wie ihre Kinder reagierten. Kleine Kinder – sogar zweijährige – gingen zum betreffenden Familienmitglied und berührten oder tätschelten es sanft, um es zu trösten, handelten also empathisch. Mädchen trösteten dabei häufiger als Jungen, und dies gilt für Säugetiere allgemein, da man auch hier bei weiblichen Tieren öfter Trost spendendes Verhalten beobachten kann als bei männlichen.

Manche Menschen waren nicht in der Lage zu trösten, wie etwa traumatisierte rumänische Waisenkinder, die nur sehr wenig Trost spendeten, da ihr Gefühlsleben aufgrund ihrer Geschichte ausgesprochen gestört ist. Bei den mutterlosen Zwergschimpansen war ein sehr ähnliches Verhalten zu beobachten.

Was charakterisiert einen guten Anführer?

Wenn wir im Rahmen von Macht und Fürsorge an Führungsqualitäten denken, neigen wir sicher zu der Annahme, dass der dominanteste einer Gruppe von Schimpansen sicher ein brutaler Kerl sein muss, der seine Macht des eigenen Vorteils wegen nutzt, ansonsten jedoch nicht viel tut. Aber das trifft es nicht. Ebenso wie bei den Menschen gibt es auch unter den Schimpansen zwei Arten von Alphamännchen: Diktatoren und gute Anführer.

Bei den Schimpansen zeichnet sich ein guter und kluger Anführer dadurch aus, dass er den Frieden bewahrt. In Abbildung 1.3 sehen Sie ein Alphamännchen, das zwischen zwei kämpfenden Weibchen steht. Es interveniert, um dem Kampf Einhalt zu gebieten. Ein gutes Alphamännchen schlichtet tatsächlich häufig die Konflikte zwischen den Angehörigen der Gruppe, selbst die kleinen Querelen zwischen Jungtieren. Und das ist wichtig, denn wenn es die Konflikte der Kinder nicht unterbindet, beginnen die Mütter miteinander zu zanken. Ich habe mir sagen lassen, dass dies auch in Kindertagesstätten keine Seltenheit ist. Und so wird das Schlichten der Konflikte zu einer wichtigen Aufgabe, die gelernt sein will. Ein gutes Alphamännchen beschützt die Schwachen und gewinnt dadurch an Beliebtheit. Gute Anführer spenden Trost, und Tausende meiner Fallstudien belegen das.

Abbildung 1.3: Ein Alphamännchen interveniert, um Frieden zu stiften (Foto: Frans B.M. de Waal).

In Abbildung 1.4 sieht man die Häufigkeit des Trostspendens in Relation zum Geschlecht. Man kann erkennen, dass Weibchen Leidenden mehr Trost zukommen lassen als Männchen, wobei es unter diesen eine Ausnahme gibt: Die Alphamännchen trösten mehr als alle anderen.

Abbildung 1.4: Alphamännchen sind die Toptröster. Die Abbildung zeigt die Trostrate Leidenden gegenüber, bereinigt durch die Gesamtzahl der Gelegenheit, in Bezug auf Geschlecht und Rang der Tröstenden.[8]

Beliebte Alphamännchen sind Friedensstifter und die wichtigsten Trostspender

Alles in allem bewahrt das Alphamännchen nicht nur den Frieden in der Gruppe, sondern ist darüber hinaus der wichtigste Trostspender der Gruppenmitglieder, die Ärger haben oder verprügelt wurden. Während es auch Alphamännchen gibt, die mit Stärke und Gewalt regieren, sind die überaus meisten von ihnen fürsorgliche Anführer. Ein erfolgreiches Alphamännchen ist ein solches, das Unterstützung braucht, diese auch bekommt, und zwar von der ganzen Gruppe. Anderenfalls könnte es wahrscheinlich seine Stellung nicht aufrechterhalten. Alphamännchen sind Friedensstifter und Haupttröster.

 

Der Dalai Lama: Diese biologischen Tatsachen sind faszinierend! Wir alle sind soziale Tiere. Natürlich lieben wir alle Zuneigung, sie ist eine der wichtigsten Gründe, warum wir zusammenkommen. Manche glauben, Liebe und Mitgefühl seien eine religiöse Praxis, was den völlig falschen Schluss nach sich zieht, dass Menschen, die sich nicht für die Weltreligionen interessieren, auch kein Interesse an Liebe und Mitgefühl hätten. Ich hingegen glaube, dass beide ganz grundlegende menschliche Qualitäten sind, die sich aus universellen Qualitäten nähren, die von Religion völlig unabhängig sind.

Ihre Ausführungen sind ausgesprochen interessant, besonders jener Teil, in dem Sie erklärten, dass Frauen auf das Verhalten anderer sensibler reagieren. Abgesehen von einigen gruppeninternen Kämpfen, gibt es weder bei den Schimpansen noch bei irgendwelchen anderen Tieren Hinweise darauf, dass sie Kriege beginnen. Bei uns Menschen hingegen ist Krieg Teil unserer Geschichte. Warum? Schimpansen sind weit stärker als wir, zumindest haben sie viel kräftigere Hände, und dennoch scheinen sie keine manipulative Intelligenz zu haben und keine Strategien zu entwickeln, um andere zu schlagen. Nur Menschen sind in der Lage, so etwas wie Atomwaffen zu bauen. Keine anderen Tiere tun so etwas. Um diese menschengemachten Probleme zu bezwingen, müssen wir unsere Intelligenz mit unseren Herzensqualitäten verbinden und sie konstruktiv nutzen. Wenn wir hingegen unsere Intelligenz in den Dienst von Wut und Hass stellen, kann das sehr destruktive Folgen haben.

 

Frans de Waal: Die Europäische Union ist ein Zusammenschluss, der auf den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs gründet. Eine ihrer ursprünglichen Intentionen war, Frankreich und Deutschland zusammenzubringen. Dies wollte man dadurch bewerkstelligen, dass man Beziehungen etablierte, in denen die beiden Länder aufeinander angewiesen sind, was wiederum die Wahrscheinlichkeit eines Konflikts zwischen ihnen reduzierte.

Auch bei den Primaten kann man häufig beobachten, dass Pakte geschlossen werden. Ich habe während meiner wissenschaftlichen Laufbahn Studien zu Versöhnung und Friedensschließung unter diesen durchgeführt und anhand meiner Beobachtung etwas festgestellt, was wir mit dem Terminus technicus Valuable Relationship Hypothesis