Plädoyer für die Tiere - Matthieu Ricard - E-Book

Plädoyer für die Tiere E-Book

Matthieu Ricard

4,8
19,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Für ein neues Miteinander: Mathieu Ricard liefert alle Hintergründe und zeigt Lösungen auf Jeder Einzelne kann etwas tun, damit das Leiden der Tiere aufhört. Das fängt mit unserer geistigen Einstellung an, unserem Überlegenheitsgefühl gegenüber Tieren, setzt sich fort in der Art, wie wir uns ernähren, unserem Fleischkonsum, bis hin zur Verwendung von Kosmetika, die auf Tierversuchen basieren. Wir können nicht länger wegschauen angesichts von Artensterben, Klimawandel, Tierversuchen, Massentierhaltung. Matthieu Ricard beleuchtet die heute in unserer Gesellschaft gängigen Mechanismen, den manipulativen Einfluss der Industrie und zeigt die Dringlichkeit für ein Umdenken und ein ethisch motiviertes Handeln.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 541

Bewertungen
4,8 (18 Bewertungen)
15
2
1
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Matthieu Ricard

Plädoyer für die Tiere

Aus dem Französischen von Gerd Bausch

Besuchen Sie uns im Internet unter

www.nym­phen­bur­ger-ver­lag.de

© für die Originalausgabe und das eBook:

2015 nymphenburger in der

F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlag: atelier-sanna.com, München

Umschlagmotiv: Raphaele Demandre

Satz und eBook-Produktion:

Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

www.Buch-Werkstatt.de

ISBN 978-3-485-06108-7

Inhalt

Einleitung

Kapitel 1

Eine kurze Geschichte der Beziehungen zwischen Mensch und Tier

Die Veränderung unserer Einstellung gegenüber Tieren

Die Rechtfertigung der Ausbeutung von Tieren: Das Christentum und die westliche Philosophie

Gegenstimmen

Der Standpunkt der östlichen Traditionen

Wie definiert man ein »fühlendes Wesen«?

Buddhismus und Vegetarismus

Die Bewunderung Indiens und der Vegetarismus in Europa

Die Befreiungsbewegung für Tiere

Die darwinistische Revolution und ihre Konsequenzen

Der Aufschwung der Nichtregierungsorganisationen zum Schutz der Umwelt und der Tiere

Kapitel 2

Aus den Augen, aus dem Sinn

Nichts sehen, nichts sagen oder wie man das Thema auf Distanz hält

Verlogene Werbung

Kognitive Dissonanz und rationale Verdrängung

Sprachliche Verharmlosung

Die Wahrheit aus dem Mund der Kinder

Kapitel 3

Alle verlieren dabei

Die Auswirkungen der Massentierhaltung und des Fleischverzehrs auf die Armut, die Umwelt und die Gesundheit

Der Eintritt ins Anthropozän

Das Fleisch für die Reichen kommt die Armen teuer zu stehen

Die Auswirkungen auf die Grundwasserreserven

Tierhaltung und Klimawandel

Die Exkremente der Tiere

Die Auswirkungen des industriellen Fischfangs

Fleischkonsum und menschliche Gesundheit

Der Aufschwung des Vegetarismus

Gute Nachrichten

Kapitel 4

Das wahre Gesicht der Massentierhaltung

Das Ausmaß der Schmerzen, die wir Tieren zufügen

Es muss sich vor allem lohnen

Die Heuchelei der »Behandlungen«

Zutritt verboten

Ein weltweites Unternehmen

Tag um Tag, Jahr um Jahr …

Eine Billion Meerestiere

Traditionelle und biologische Tierhaltung: das kleinere Übel?

Menschlich töten?

Kapitel 5

Faule Ausreden

»Wir dürfen Tiere nach unserem Ermessen ausbeuten, denn wir sind viel intelligenter als sie«

»Wir haben keine Wahl: entweder sie oder wir«

»Die Menschheit hat weit schwerwiegendere Probleme«

»Tiere leiden nicht oder zumindest weniger als wir«

»Das Raubtierverhalten und der Kampf ums Überleben sind Naturgesetze. Wir sind alle Rivalen und die Stärkeren fressen die Schwächeren.«

»Man muss schließlich von etwas leben!«

»Der Mensch muss Fleisch essen, damit er gesund bleibt«

»Wir halten uns an unsere Tradition«

Kapitel 6

Die Kontinuität des Lebens

Die Vielfalt der geistigen Fähigkeiten

Speziesismus, Rassismus und Sexismus

Widerspricht sich der Antispeziesismus selbst?

Vom Respekt gegenüber dem Leben und den Fähigkeiten der verschiedenen Gattungen

Anthropomorphismus oder Anthropozentrismus?

Verschiedene Kulturen

Der Mensch – eine Ausnahme?

Kapitel 7

Der Massenmord an Tieren

Genozid versus Zooizid

Versöhnen, ohne zu verletzen

Genozid und Zooizid

Kapitel 8

Kleiner Ausflug in die Welt der moralischen Urteile

Die drei Arten der Ethik

Ethik im Licht der Neurowissenschaft

Kapitel 9

Das Dilemma der Tierversuche

Der deontologische Standpunkt

Die anthropozentrischen Utilitaristen

Vergleichbar oder nicht vergleichbar?

Inwieweit sind die Erkenntnisse wissenschaft-licher Experimente für den Menschen wirklich dienlich?

Der Missbrauch: sinnlose und nicht zu rechtfertigende Tierversuche

Zurück zum Speziesismus

Ein kleiner Hoffnungsschimmer

Alternativen zu Tierversuchen

Kapitel 10

Der Handel mit wilden Tieren

Ökologischer Aderlass und Martyrium der Tiere

Tigerdämmerung

Die Begeisterung für Elfenbein, Rhinozeroshörner und Haifischflossen

Verbindungen zu Korruption, dem organisierten Verbrechen und Terrororganisationen

Hotspots

Massive Verluste beim Einfangen und während des Transports

Das ging nach hinten los

Unzureichende oder nicht angewandte Gesetze

Kapitel 11

Tiere als Objekte der Unterhaltung

Der Wille zur Macht

Der Stierkampf, Fest des Todes

Zirkustiere – der Schmerz versteckt sich hinter dem Glamour

Zoos: Gefängnisse zur Unterhaltung oder die Arche Noah?

Echte Reservate schaffen und den Tieren wieder beibringen, in der Natur zu leben

Und wenn man euch nicht mehr braucht …

Von Freizeitparks zum Massaker an Delfinen

Jagen und Angeln als Vergnügen: Töten als Sport oder Unterhaltung

Die Treibjagd, ein elitäres blutiges Vergnügen

Die »goldene Regel« muss man bei allen anwenden

Kapitel 12

Rechte von Tieren, Pflichten der Menschen

Gleichheit aus Respekt oder per Gesetz?

Moralisch Handelnde und moralisch Behandelte

Die Moral: eine Kompetenz, die der Evolution entstammt

Ist es notwendig, sich seiner Rechte bewusst zu sein, um sie zu haben?

Die Pflichten des Tieres gemäß der »humanistischen« Philosophie

Hat man nur Rechte, wenn diese auf Gegenseitigkeit beruhen?

Sind Pflichten Tieren gegenüber nicht »indirekte Pflichten« dem Menschen gegenüber?

Das Recht von Tieren im Gesetz

Die Kluft zwischen Gesetz und tatsächlicher Praxis

Schlussbemerkung

Dank

Anmerkungen

Bibliografie

Karuna-Shechen: Mitgefühl in Aktion

Tierschutzorganisationen

Für Pema Wangyal Rinpoche und Jigme Khyentse Rinpoche, zwei unermüdliche Verteidiger der Anliegen der Tiere. Sie haben bereits das Leben von mehreren Millionen Tieren gerettet, die zur Ernährung der Menschen gedacht waren.

Für Jane Goodall und all jene, die allein oder in einer Gruppe mutig das Wort für die Tiere ergreifen und sie beschützen.

»Tiere sind meine Freunde – und ich esse meine Freunde nicht.«

George Bernard Shaw

»Man hat nicht ein Herz für Menschen und eines für Tiere. Man hat ein einziges Herz oder gar keins.«

Alphonse de Lamartine

Einleitung

Es gibt Menschen, die kommen mit einer natürlichen Neigung zu Mitgefühl auf die Welt. Von frühester Kindheit an begegnen sie ihrer Umgebung mit spontaner Güte, die sie auch Tieren gegenüber zeigen. In meinem Fall war das anders. Ich stamme aus einer bretonischen Familie und ging bis zu meinem 15. Lebensjahr angeln. Auch erinnere ich mich noch gut daran, als kleines Kind zusammen mit meinen Kameraden, mit denen ich die kleine Schule im Ort besuchte, Sonnenstrahlen mithilfe einer Lupe gebündelt zu haben, um Ameisen zu grillen. Rückblickend schäme ich mich dafür, mehr noch, ich frage mich, wie ich dieses Verhalten damals normal finden konnte. Als ich fünf Jahre alt war, nahm mich mein Vater bei einem Mexikobesuch zu Stierkämpfen mit. Es waren rauschende Feste, die Musik war mitreißend und die Darbietungen begeisterten offensichtlich alle Gäste … Warum bin ich damals nicht heulend davongelaufen? War dies einem Mangel an Mitgefühl, Erziehung oder Vorstellungsvermögen geschuldet? Ich kam nicht auf die Idee, mich in die Lage des Fisches, der Ameise oder des Ochsen zu versetzen. War ich schlicht hartherzig? Oder hatte ich einfach nicht nachgedacht, nicht die Augen geöffnet?

Bevor ich mir all dessen bewusst wurde, sollte noch einige Zeit vergehen. Ich lebte viele Jahre bei meiner Großmutter, die alle Qualitäten hatte, die man sich von einer Oma nur wünschen kann. Wie viele Menschen, die auch gute Eltern oder gute Kinder sind, war sie eine begeisterte Anglerin. In unseren gemeinsamen Urlauben verbrachte sie ihre Nachmittage oft an den Ufern eines Sees oder, in Begleitung alter Bretoninnen, die noch die traditionellen weißen Hauben der Bigouden trugen, an den Kais von Le Croisic. Diesen ehrlichen und mutigen Menschen wäre es ansonsten nie in den Sinn gekommen, irgendjemandem Unheil anzutun. Ich erinnere mich noch genau, wie die kleinen zappelnden Fische in der Sonne funkelten, wenn wir sie am Angelhaken aus dem Wasser zogen. Sicherlich gab es dann diesen bedrückenden Augenblick, wenn sie in dem Weidenkorb erstickten und ihre Augen glasig wurden, aber dann schaute ich einfach schnell weg.

Einige Jahre später – ich war inzwischen 14 Jahre alt – machte mich eine Freundin ohne Umschweife auf mein Treiben aufmerksam: »Was? Du angelst?« Der Ton ihrer Stimme und der Ausdruck ihres Gesichts, gleichzeitig erstaunt und missbilligend, waren unmissverständlich.

»Du angelst?« Plötzlich sah ich die ganze Sache in einem anderen Licht: Erst jetzt fiel mir auf, dass der Fisch an einem Eisenhaken aus seinem Element gezogen wurde, um anschließend genauso elend an der Luft zu ersticken, wie wir im Wasser ertrinken würden. Hatte ich nicht eigenhändig Maden bei lebendigem Leib durchbohrt, um aus ihnen einen lebenden Köder zu machen? Opferte ich damit nicht ein Leben mit der Absicht, ein anderes noch einfacher zu zerstören? Wie hatte ich so lange diese Tatsachen, dieses Leid übersehen können? Mir krampfte sich das Herz zusammen und ich ließ fortan vom Angeln ab.

Angesichts der Tragödien, die überall auf der Erde das Leben so vieler Menschen vernichten, mag manchem meine Sorge um die kleinen Fische lächerlich erscheinen. Aber für mich war das ein entscheidendes Erlebnis.

Im Alter von 20 Jahren hatte ich das große Glück, spirituellen Meistern aus Tibet zu begegnen, die seither jeden einzelnen Augenblick meines Lebens inspirieren. Die Lehre, die ich von ihnen erhielt, basiert auf dem Königsweg von universeller Liebe und Mitgefühl.

Auch wenn ich mich lange nicht in andere hineinversetzen konnte, lernte ich dank der Anleitung dieser Meister langsam, was altruistische Liebe ist. Nach und nach öffnete ich meinen Geist sowie mein Herz so gut ich konnte dem Schicksal anderer. Ich übte mich in Mitgefühl und dachte sowohl über das menschliche Dasein als auch über das von Tieren nach. Es liegt zweifelsohne noch ein langer Weg vor mir, und ich gebe weiterhin mein Bestes, um die Lehren, die ich erhalten habe, besser zu verstehen.

Mir liegt es fern – das haben Sie sicher bereits gemerkt –, den Stab über jene zu brechen, die Tiere auf die eine oder andere Art leiden lassen – so wie ich es selbst früher oft und ohne darüber nachzudenken tat. Man übersieht in der Tat leicht, dass die Herstellung oder Entwicklung vieler Dinge, darunter alltägliche Konsumgüter wie Nahrungsmittel und Arzneien, die uns das Leben retten können, das Leiden von Tieren mit sich bringt.

Auch prägen kulturelle Traditionen maßgeblich die Art, wie wir Tiere, unsere Weggefährten auf diesem Planeten, wahrnehmen. Verschiedene Gesellschaften haben kollektive Denkmuster entwickelt, aufgrund derer sie der Überzeugung sind, Tiere seien dazu geschaffen, den Menschen zu dienen. Andere Kulturen wiederum sind schon seit Langem der Auffassung, dass jedes Lebewesen, ganz gleich, ob Mensch oder nicht, respektiert werden sollte.

Mein Anliegen ist es, in diesem Buch, das die logische Fortsetzung des Plädoyer für den Altruismus[1] ist, überzeugend die Gründe und den moralischen Imperativ darzulegen, weshalb wir den Altruismus ohne qualitative oder quantitative Einschränkung auf alle fühlenden Wesen ausweiten sollten. Es steht außer Zweifel, dass es auf der Welt bereits unter den Menschen so viel Leid gibt, dass man es selbst mit einem lebenslangen Engagement nur ein klein wenig mindern kann.

Dennoch ist es sinnvoll und somit keinesfalls unpassend, sich um die 1,6 Millionen anderen Arten zu sorgen, die unseren Erdball bevölkern. Schließlich ist es in den meisten Fällen nicht nötig, zwischen dem Wohl der Menschen und dem der Tiere abzuwägen. Wir leben in einer Welt, in der alles grundlegend voneinander abhängt und in der das Schicksal eines jeden Lebewesens immer eng mit dem der anderen verbunden ist. Es geht also nicht darum, sich nur um Tiere zu kümmern, sondern darum, auch für sie Sorge zu tragen.

Zudem bin ich nicht der Meinung, dass man Tieren menschliche oder Menschen tierische Eigenschaften zusprechen sollte, sondern plädiere dafür, unser Wohlwollen auf sie beide auszuweiten. Dies entspringt einer verantwortungsvollen Haltung denjenigen gegenüber, die uns umgeben, und ist nicht so sehr eine Frage der Verteilung der begrenzten Ressourcen, die uns zur Gestaltung des Zusammenlebens auf der Erde zur Verfügung stehen.

Mit diesem Buch möchte ich Sie zu einem Erkenntnisprozess einladen: Obwohl uns die Tierwelt einerseits immer wieder in Staunen versetzt, verüben wir andererseits an Tieren tagtäglich ein Massaker, dessen Umfang in der Geschichte der Menschheit beispiellos ist. Jedes Jahr werden 60 Milliarden Land- und eine Billion Meerestiere für unseren Konsum getötet.

Diese Massenschlachtereien und ihre logische Folge – der übertriebene Verzehr von Fleisch in reichen Ländern – stellen, wie wir sehen werden, darüber hinaus einen Wahnsinn globalen Ausmaßes dar: Sie sind für den Hunger auf der Welt mitverantwortlich, verschlimmern das ökologische Ungleichgewicht und schaden der menschlichen Gesundheit.

Auch wenn die industrielle Produktion von Fleisch und die Überfischung der Ozeane zweifellos das größte Problem darstellen, verursachen auch andere Formen der Missachtung von Tieren viel Leid und Tod, so etwa Tierversuche, der Schmuggel von Wildtieren, Jagd und Angeln als »Sport«, Stierkämpfe, der Umgang mit Zirkustieren und viele andere Formen der Instrumentalisierung von Tieren. Nur nebenbei bemerkt: Die Auswirkungen unserer Lebensart auf die Biosphäre ist beachtlich: Wenn wir weitermachen wie bisher, werden bis zum Jahr 2050 30 Prozent aller Tierarten der Erde ausgestorben sein.[2]

Wir wissen nicht, was wir Tieren alles antun, denn die wenigsten von uns haben je eine industrielle Tierhaltung oder einen Schlachthof von innen gesehen. Unsere Einstellung ist eine Art moralischer Schizophrenie: Während wir uns liebevoll um unsere Haustiere kümmern, stechen wir fast täglich unsere Gabeln in Schweine, die man zu Millionen in die Schlachthöfe schickt, obwohl sie nicht weniger bewusst, schmerzempfindlich oder intelligent sind als unsere Hunde und Katzen.

Das vorliegende Buch ist ein Plädoyer, unsere Beziehung zu Tieren zu ändern. Es belässt es jedoch nicht bei einer rein moralischen Ermahnung, sondern stützt sich gleichermaßen auf die Arbeit der Anhänger der Evolutionstheorie wie auf die Erkenntnisse von Ethikern und weltweit anerkannten Philosophen. Die in diesem Buch erwähnten Forschungsergebnisse beleuchten darüber hinaus den Reichtum der – zu oft ignorierten – emotionalen und intellektuellen Fähigkeiten eines Großteils der Tierarten. Sie zeigen außerdem die Kontinuität, die alle Tiere verbindet, und anhand derer wir die Evolutionsgeschichte der Arten, die heute auf unserem Planeten leben, nachverfolgen können. Seit der Zeit, in der wir mit anderen Tierarten gemeinsame Vorfahren hatten, sind wir durch einen langen, stufenweisen Prozess der minimalen Veränderungen zum Homo sapiens geworden. Im Laufe dieser langen Evolutionsgeschichte gab es keinesfalls einen »magischen Augenblick«, also eine Art Evolutionssprung, der es erlauben würde, uns eine grundlegend andere Natur zuzuschreiben als den vielen Arten der Hominiden, die uns vorangingen. Es gab also nichts, das eine absolute Vorherrschaft des Menschen über Tiere rechtfertigen würde.

Die beeindruckendste Gemeinsamkeit zwischen Mensch und Tier ist die Tatsache, dass beide Leid empfinden. Warum verschließen wir zu Beginn des 21. Jahrhunderts angesichts der unermesslichen Qualen, die wir Tieren zufügen, noch immer die Augen – und dies, obwohl wir wissen, dass ein großer Teil der Qualen, die wir ihnen antun, weder wirklich nötig noch unvermeidbar sind? Es ist moralisch nicht im Geringsten zu rechtfertigen, irgendjemandem unnötigerweise Leid und Tod aufzuerlegen.

Anmerkungen

[1]M. Ricard, Plaidoyer pour l’ altruisme, NiL éditions 2013.

[2]G. Mace et al., Biodiversity in Ecosystems and Human Wellbeing: Current State and Trends in: H. Hassan, R. Scholes & N. Ash, (Hrsg.), Island Press 2005, S. 79 – 115 und S. Díaz et al., ebenda, S. 297 – 329.

Kapitel 1 – Eine kurze Geschichte der Beziehungen zwischen Mensch und Tier

Die Evolution des Lebens basiert auf der stetigen Suche nach einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Kooperation, Konkurrenz und Desinteresse, das sich neuen Gegebenheiten anpasst. Die Biosphäre wird in ihrer Gesamtheit vom Prinzip der gegenseitigen Abhängigkeit geprägt: Da sie sich gemeinsam entwickelten, hängen die Tier- und Pflanzenarten unmittelbar und existenziell voneinander ab. Sowohl Kooperation als auch Konkurrenz unter Angehörigen einer oder verschiedener Gattungen sind Ausdruck dieser gegenseitigen Abhängigkeit. Natürlich überleben Raubtiere auf Kosten anderer Arten, aber die meisten Tiere leben in friedlicher Koexistenz oder gehen sich aus dem Weg, da sie sich weder gegenseitig nutzen, noch Rivalen im Kampf ums Überleben darstellen.

So entstanden im Verlauf der Evolution immer komplexere Gesellschaften und Kulturen. Beim Menschen erreichte diese zunehmende Differenzierung dank der Übertragung des Wissens und der Gebräuche von einer Generation zur nächsten einen ausgesprochen hohen Entwicklungsstand. Beim Tier und in noch weit größerem Maß beim Menschen führte die zunehmende Intelligenz zur Ausbildung von emotionaler Empathie (die Fähigkeit, die Gefühle anderer nachzuempfinden) und zu kognitiver Empathie (mit der man die Geisteszustände der anderen nachvollziehen kann). Die Individuen begannen, langfristige Beziehungen aufzubauen, die sich auf die Einschätzung des Nutzens des anderen und auf Gegenseitigkeit stützten.

Während 99 Prozent seiner Geschichte lebte der Mensch als Jäger und Sammler, war nicht sesshaft und hatte kaum Eigentum. Sein soziales Gefüge basierte auf Kooperation und wies geringe hierarchische Strukturen auf. Die ersten menschlichen Gemeinschaften lebten in kleinen, abgelegenen und weit verstreuten Gruppen. Sie hatten nicht den geringsten Grund, miteinander Krieg zu führen. Archäologen haben für diese Periode der Jäger und Sammler – also den größten Teil der menschlichen Geschichte – keinerlei Hinweise auf irgendwelche Kriege gefunden.[3] Die Geschichtsbücher und Medien zeichnen auch hier ein verzerrtes Bild, da sie eher Dramen und Konflikte darstellen als das alltägliche Leben.

Auch die Natur ist keineswegs fortwährend damit beschäftigt »sich blutig zu beißen und zu kratzen«, wie Alfred Tennyson schreibt.[4] Die Mehrzahl der Arten lebt relativ friedlich zusammen, auch wenn von Zeit zu Zeit Ausbrüche von Gewalt spektakuläre Ausmaße annehmen können. Aber selbst Raubtiere jagen nur einen kleinen Teil ihrer Zeit. Die Verhaltensforscherin Shirley Strum erklärt: »Die Aggression hat in der Evolution nicht den allumfassenden und wichtigen Einfluss, den man ihr sonst zuschreibt.«[5]

In der letzten Eiszeit war ein großer Teil der nördlichen Hemisphäre von mehreren Kilometern dicken Gletschern bedeckt. Dies verhinderte die Ausbildung größerer menschlicher Gemeinschaften sowie den Ackerbau – und das, obwohl die Durchschnittstemperatur damals nur vier bis fünf Grad niedriger war als heute (was zeigt, wie selbst Temperaturveränderungen, die auf den ersten Blick minimal erscheinen, die Lebensbedingungen radikal verändern können).

Vor etwa 12000 Jahren, zu Beginn des Holozäns, erlaubte eine Periode mit relativ stabilem Klima den Menschen, damit zu beginnen, die Erde zu kultivieren, Eigentum und Vorräte anzusammeln sowie Tiere zu halten. In der gleichen Epoche domestizierte man den Wolf, gefolgt von Schafen und Ziegen. Vor 9000 Jahren wurden in einigen Teilen Asiens erstmals Rinder und Schweine gehalten. Danach kamen Pferde, Kamele, Geflügel und schließlich – vor 3000 bis 4000 Jahren in Ägypten – die Katzen. In der neuen Welt hielten die Menschen Lamas, Alpakas, Truthähne und asiatische Schweine. Man begann, Pflanzen anzubauen und viele neue Arten zu züchten: Zu den neuen Sorten zählten in Europa Weizen und Gerste, in Asien Reis und in der neuen Welt Mais, Kartoffeln und Bohnen.[6]

Die Gesellschaften wurden hierarchischer, Häuptlinge wurden eingesetzt, und auf dem ganzen Globus verbreiteten sich die Landwirtschaft, das Schlachten von Tieren, das Tauschgeschäft und der Handel. Nach und nach entstanden verschiedene Zivilisationen, und die Menschen gewöhnten sich daran, in Gesellschaften zu leben, in denen sie nicht mehr jeden kannten. Um sich vor Missbräuchen zu schützen und die gegenseitigen Beziehungen der Mitglieder des Gemeinwesens zu vereinfachen, verfasste man fortan Regeln und Gesellschaftsverträge. Konflikte und persönliche Fehden entwickelten sich zu organisierten Kriegen zwischen Gruppen von Menschen, die untereinander keine persönlichen Verbindungen mehr hatten. Als Konsequenz begann man Abkommen zu schließen, um den Frieden wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten.[7]

Als die Jäger und Sammler vor etwa 10000 Jahren sesshaft wurden, beherbergte unser Planet Schätzungen zufolge zwischen einer und zehn Millionen Menschen.[8] Was mit der Suche nach Wegen für ein besseres Leben begann, führte aufgrund der Bevölkerungsexplosion und der Erweiterung der technischen Möglichkeiten zur Überausbeutung der Erde, zu Monokulturen und einer Abholzung der Wälder mit bis dahin unbekannten Ausmaßen.[9] Auch die Aufzucht von Tieren wurde perfektioniert, bis sie in unserer Zeit zu einer industriellen Produktion wurde, die jährlich Hunderten von Milliarden Tieren das Leben kostet. Seit den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts werden wir von der »großen Beschleunigung« überrollt, die unseren Eintritt in das Anthropozän, die »Ära des Menschen« markiert: Die Taten des Menschen hatten von nun an einen enormen Einfluss auf den ganzen Erdball. Seit 1950 sind die Weltbevölkerung (die von damals bis heute von 2,5 auf 7 Milliarden anstieg), der CO

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!