Die Macht des Zuhörens - Michael Nichols - E-Book

Die Macht des Zuhörens E-Book

Michael Nichols

4,8

Beschreibung

Kaum etwas schafft so viel Vertrauen wie das Gefühl, gehört zu werden! Der Psychoanalytiker und Familientherapeut Michael P. Nichols hat 35 Jahre lang in seiner Praxis mit Menschen gearbeitet und erlebt, wie Missverständnisse, Vorwürfe und Frustration echte Kommunikation verhindern. Seine Erkenntnis: Erst durch achtsames Zuhören entstehen Nähe und Vertrauen. Und das ist genau das, was uns glücklich macht! Das Dilemma: Wir haben verlernt, wirklich zuzuhören. Die Aufmerk-samkeitsspanne ist in den letzten Jahren stetig gesunken. Und der Wunsch, selbst etwas zu sagen, ist oft größer als die Bereitschaft, dem Gegenüber mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu begegnen. Wie wir wieder lernen, einander zuzuhören und dadurch Vertrauen gewinnen, zeigt Nichols mit diesem Leitfaden. Die Macht des Zuhörens hilft dabei die eigenen Reaktionen zu verstehen und zu erkennen, welche Vorgänge dahinterstecken, wenn wir nicht richtig zuhören: versteckte Annahmen, unbewusste Bedürfnisse und emotionale Reaktionen. Darüber hinaus widmet sich Nichols ausführlich den unterschiedlichen Beziehungsarten: der Beziehung zum Partner, zu Kindern, Freunden, Kollegen – und erklärt, was in diesen Konstellationen oft schiefläuft und wie Sie es besser machen können. Dieses Buch ist ein wahrer Kommunikationstrainer mit praktischen Übungen am Ende jedes Kapitels – für Privatleute wie für Menschen, die sich beruflich mit Kommunikation beschäftigen. Es hat bereits 125.000 Lesern effektiv dabei geholfen, ihre Beziehungen zu verbessern. Eine Hymne an die Empathie und ein Garant fürs Glücklichsein. Probieren Sie’s aus! “Nichols zeigt in diesem Buch, wie man die Kunst des Zuhörens verbessern kann und die Beziehung zu seinem Partner, Familie, Freunden und Kollegen dadurch stärkt. Humor, Beispiele aus dem echten Leben und einfache Übungen machen dieses Buch zu einem praktischen und gleichzeitig ausgesprochen unterhaltsamen Ratgeber.“ – Publishers Weekly “Die Macht des Zuhörens setzte ich mit Vorliebe bei meinen Studenten ein. Es enthält praktische Beispiele aus dem echten Leben, um aktives Zuhören zu veranschaulichen. Ich empfehle das Buch auch mit großem Erfolg Paaren, die in meine Praxis kommen.“ – Dr. Iverson M. Eicken, California State University, Fullerton, USA

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DR. MICHAEL P. NICHOLS

DIE MACHT

DES

ZUHÖRENS

Wie man richtiges Zuhören lernt und Beziehungen stärkt

Dr. Michael P. Nichols

Die Macht des Zuhörens

Wie man richtiges Zuhören lernt und Beziehungen stärkt

1. deutsche Auflage 2018

ISBN: 978-3-96257-050-7

© 2018, Narayana Verlag GmbH

Titel der Originalausgabe:

The Lost Art of Listening

How Learning to Listen Can Improve Relationships

Copyright © 2009 Michael P. Nichols

Published by arrangement with The Guilford Press

Übersetzung aus dem Englischen: Julia Augustin

Coverlayout © Marie Wölk

Coverfotos: Ohr © Gomolach - Bigstockphoto.com, Blaue Linien © Bella D. - Bigstockphoto.com. Abbildungen Inhalt: Ohr © Dn Br - shutterstock.com;

Autor © Dr. Michael P. Nichols

Herausgeber:

Unimedica im Narayana Verlag GmbH, Blumenplatz 2, 79400 Kandern

Tel.: +49 7626 974 970–0

E-Mail: [email protected]

www.unimedica.de

Alle Rechte vorbehalten. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlags darf kein Teil dieses Buches in irgendeiner Form – mechanisch, elektronisch, fotografisch – reproduziert, vervielfältigt, übersetzt oder gespeichert werden, mit Ausnahme kurzer Passagen für Buchbesprechungen.

Sofern eingetragene Warenzeichen, Handelsnamen und Gebrauchsnamen verwendet werden, gelten die entsprechenden Schutzbestimmungen (auch wenn diese nicht als solche gekennzeichnet sind).

Die Empfehlungen dieses Buches wurden von Autor und Verlag nach bestem Wissen erarbeitet und überprüft. Dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Weder der Autor noch der Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen.

INHALT

Einführung

TEIL 1 DER WUNSCH, VERSTANDEN ZU WERDEN

KAPITEL 1

„Hast du gehört, was ich gesagt habe?“

Warum Zuhören so wichtig ist

KAPITEL 2

„Danke fürs Zuhören“

Wie Zuhören uns formt und miteinander verbindet

KAPITEL 3

„Warum hören die Leute nicht zu?“

Wie Kommunikation scheitert

TEIL 2 DIE WAHREN GRÜNDE FÜR DAS NICHT-ZUHÖREN

KAPITEL 4

„Wann bin ich dran?“

Die Essenz des Zuhörens: Das mühsame Ringen darum, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen

KAPITEL 5

„Du hörst nur, was du hören willst!“

Wie heimliche Voreingenommenheit das Zuhören erschwert

KAPITEL 6

„Warum reagierst du immer so heftig?!“

Wie emotionale Reaktionen uns defensiv machen

TEIL III ZUEINANDER DURCHDRINGEN

KAPITEL 7

„Lass dir Zeit – ich höre dir zu.“.

Wie Sie die eigenen Bedürfnisse zurückstellen und wirklich zuhören

KAPITEL 8

„Ich hatte ja keine Ahnung, wie du dich fühlst!“

Empathie beginnt mit Offenheit

KAPITEL 9

„Ich sehe, dass dich das sehr mitnimmt“.

Wie Sie emotionale Reaktionen entschärfen

TEIL IV ZUHÖREN IM KONTEXT

KAPITEL 10

„Wir reden nicht mehr miteinander“

Zuhören in Paarbeziehungen

KAPITEL 11

„Niemand hört mir hier zu!“

Zuhören und Gehörtwerden in der Familie

KAPITEL 12

Von „Muss ich wirklich?“ bis „Das ist nicht fair!“

Wie Sie Kindern und Teenagern zuhören

KAPITEL 13

„Ich wusste, dass du mich verstehen würdest!“

Wie Sie Freunden und Kollegen zuhören

Nachwort

Über den Autor

Referenzen

Index

EINFÜHRUNG

Nichts verletzt uns so stark wie das Gefühl, dass die Menschen, die uns wichtig sind, uns nicht wirklich zuhören. Dem Bedürfnis, unserem Gegenüber unsere Gefühle verständlich zu machen, entwachsen wir nie. Darum hat ein offenes Ohr auch so eine große Bedeutung für zwischenmenschliche Beziehungen, und darum schmerzt es auch so, nicht angehört und verstanden zu werden.

Meine Gedanken über das Zuhören habe ich während meiner fünfunddreißigjährigen Tätigkeit als Psychoanalytiker und Familientherapeut gesammelt, verdichtet und strukturiert. Beim Schlichten von Auseinandersetzungen zwischen vertrauten Partnern und der Beratung von Eltern, die die Kommunikation mit ihren Kindern verbessern wollten, sowie bei meinem eigenen Ringen darum, mir meine Empathie zu bewahren, wenn meine Patienten gegen ihre Dämonen kämpften, kam ich zu dem Schluss, dass viele Konflikte in unserem Leben sich mit einer einfachen Tatsache erklären lassen: Wir hören einander nicht richtig zu.

Zu reden ohne zuzuhören ist, als würden Sie ein elektrisches Kabel zerschneiden und hoffen, dass trotzdem irgendwo ein Licht angeht. Meistens wollen wir diese Verbindung natürlich nicht absichtlich kappen. Tatsächlich sind wir stattdessen oft ratlos und bestürzt, wenn wir das Gefühl haben, völlig im Dunkeln zu tappen.

Unsere moderne Gesellschaft hat Konzepte des Individualismus entwickelt, die uns zeigen, wie wir uns von innen heraus selbst finden und von den kommunikativen Strukturen unabhängig erklären können, die uns geformt haben. Während wir als Kinder auf fremde Hilfe angewiesen waren und daher auf uns aufmerksam machen mussten, ist es so, als würden wir uns als Erwachsene hiervon immer weiter verabschieden, wie von Stützrädern, die wir nicht mehr benötigen. Nun soll dies nicht bedeuten, dass wir nicht autonom sein können – wenn autonom selbstbestimmt bedeuten soll und heißt, dass wir für uns allein denken und handeln können. Der menschlichen Natur aber können wir nicht entkommen und glauben, dass wir auch ohne Gespräche sicher und zufrieden leben könnten – ohne Gespräche im weitesten Sinne, die den Austausch mit anderen Menschen meinen.

Die Zwänge und Belastungen unseres modernen Alltags haben dazu geführt, dass unsere Aufmerksamkeitsspanne sich immens verkleinert und die Qualität des Zuhörens in unserem Leben abgenommen hat. Wir leben in hektischen Zeiten, in denen das Abendessen schnell in die Mikrowelle geschoben wird und das Mithalten mit den neuesten Büchern und Filmen nur noch darin besteht, deren Rezensionen zu lesen. Nur dafür reicht unsere Zeit noch. Wir rennen ständig neuen Verpflichtungen hinterher und gleichzeitig alten davon. Dadurch haben wir jede Menge Übung darin, nicht zuzuhören. Wenn wir im Auto sitzen und das Radio läuft, kommt manchmal etwas Interessantes, und wir hören zu. Andere Male müssen wir uns auf den Verkehr konzentrieren oder werden von unseren Gedanken abgelenkt, und es vergehen Minuten, ohne dass wir hören, was eigentlich gesagt wird. Wenn wir fernsehen und die Werbung kommt, bekommen wir die meiste Zeit überhaupt nichts mehr mit.

Wir werden dank Fernsehen, E-Mails, Internet, Smartphones, iPads, MP3-Playern und der Gesamtheit der sozialen Medien mit derartig vielen Informationen bombardiert, dass unsere Aufmerksamkeit ständig in kleine Stückchen zerhackt wird. Wir reden uns gern ein, wir seien gute „Multitasker“. Wir checken unsere E-Mails, während wir telefonieren. Wir blättern durch Kataloge, während wir fernsehen. Wir machen uns vor, dass wir mehr als eine Sache auf einmal erledigen können. In Wahrheit aber machen wir nur eine halbe Sache nach der nächsten.

Wir haben unbegrenzten Zugang zu Informationen gewonnen, dabei aber etwas sehr Wichtiges verloren: die Gewohnheit, unsere Aufmerksamkeit zu konzentrieren. Ob Popmusik im Fitness-Studio oder Werbung in TV und Radio, wir werden unablässig mit so viel Krach beschallt, dass wir Experten darin geworden sind, Dinge auszublenden. Wenn eine Fernsehsendung uns nicht in den ersten zwei Minuten fesselt, wechseln wir den Sender. Wenn wir jemandem zuhören, der nicht sofort ein Thema bedient, das uns interessiert, schalten wir ab.

In der begrenzten Zeit, die wir noch für unsere Familie und Freunde reservieren, werden Unterhaltungen oft schon von vornherein vom Einfluss angenehmer und passiver Ablenkungen bestimmt. Zu müde zum Reden und Zuhören lassen wir uns lieber vom beruhigenden Charme elektronischer Geräte einlullen, die Bilder an die Wand werfen, Musik abspielen oder piepsende und blinkende Videospiele über den Bildschirm wuseln lassen. Ist es dieser Lebensstil, der dazu geführt hat, dass wir das Zuhören verlernt haben? Vielleicht. Vielleicht ist diese moderne Herangehensweise an das Leben aber auch eine Auswirkung und nicht die Ursache des Niedergangs dieses bedeutungsvollen zwischenmenschlichen Austauschs. Vielleicht führen wir dieses Leben, weil wir irgendeine Art von Trost suchen, etwas, um der gedämpften Stimmung entgegenzuwirken, die wir empfinden, wenn uns keiner zuhört.

Darüber, wie wir die Fähigkeit des Zuhörens verloren haben, lässt sich sicherlich streiten. Doch es lässt sich nicht darüber streiten, dass dieser Verlust uns mit einer immer größer werdenden Leere in unserem Leben zurücklässt. Diese Leere kann sich als vages Gefühl von Missbehagen, Traurigkeit oder Verlust bemerkbar machen. Wir vermissen das tröstliche Gefühl, jemandem ein offenes Ohr zu leihen und gleichzeitig selbst in diesen Genuss zu kommen, wissen aber nicht, was falsch läuft und wie wir das Problem beheben können. Mit der Zeit macht dieser Mangel an gegenseitigem Zuhören unsere wichtigsten Beziehungen immer ärmer. Wir verletzen einander unnötig, indem wir nicht anerkennen, was der andere zu sagen hat. Unabhängig vom Platz des Geschehens empfinden wir dieses versagte Zuhören als mangelndes Interesse.

Konflikte verschwinden nicht automatisch, wenn wir die Sichtweise des anderen anerkennen. Tun wir dies aber nicht, werden sie mit ziemlicher Sicherheit noch größer. Warum nehmen wir uns also nicht die Zeit, einander zuzuhören? Weil die Kunst des Zuhörens keine so einfache Sache ist.

Oft ist sie eine Last. Nicht die Art des Zuhörens, die wir dem anderen als oberflächliche Aufmerksamkeit und als Teil des alltäglichen Gebens und Nehmens zugestehen, sondern die anhaltende Aufmerksamkeit des genauen Zuhörens – die Art, die eine mühsame und uneigennützige Selbstbeherrschung erfordert. Um gut zuzuhören, müssen wir uns selbst zurücknehmen und das Bedürfnis unseres Gesprächspartners nach Aufmerksamkeit über das unsere stellen.

Einigen Menschen kann man leichter zuhören als anderen. Dennoch finden alle Unterhaltungen immer zwischen zwei Menschen statt, die beide zu einem Ergebnis beitragen. Leider tendieren wir zu Schuldzuweisungen, wenn wir es nicht schaffen, zueinander durchzudringen. Es ist seine Schuld: Er ist egoistisch und unsensibel. Oder es ist meine Schuld: Ich bin zu abhängig oder kann mich nicht gut genug ausdrücken.

Die meisten Verständnisprobleme hängen nicht mit Egoismus oder bösen Absichten zusammen, sondern mit dem eigenen Bedürfnis, selbst etwas zu sagen. Wir konzentrieren uns darauf, auf das Gesagte zu reagieren, statt darauf, zuzuhören, was die andere Person uns eigentlich mitteilen möchte. Emotionale Reaktionen sorgen dafür, dass wir antworten, ohne nachzudenken, und unser Verständnis und unser Wohlwollen verdrängen. Jeder von uns hat seine eigene charakteristische Art, defensiv zu reagieren. Wir hören nicht, was gesagt wird, weil irgendetwas in der Aussage des Sprechers bei uns Verletzungen, Wut oder Ungeduld auslöst.

Leider können all die Ratschläge dieser Welt zum „aktiven Zuhören“ nicht viel gegen die ärgerliche Tendenz ausrichten, in Gesprächen defensiv zu reagieren. Um zu besseren Zuhörern zu werden und unsere Beziehungen zu stärken, müssen wir die emotionalen Tretminen, die uns wütend werden lassen und zu Missverständnissen und Konflikten führen, identifizieren und zu kontrollieren lernen.

Wenn diese Aufgabe Ihnen zu gewaltig erscheint, erinnern Sie sich daran, dass die meisten von uns zu weit mehr in der Lage sind, als sie sich selbst eingestehen. Wir konzentrieren uns stark bei der Arbeit, und die meisten von uns können mit ein paar Freunden ehrliche und offene Gespräche führen. Die Gespräche mit Freunden sind ein gutes Beispiel dafür, wie Konversationen sein können: sicher genug, um über wichtige Dinge zu sprechen, interessiert genug, um richtig zuzuhören, ehrlich genug, um die Wahrheit zu sagen, und taktvoll genug, um zu wissen, wann besser nicht. Auch andere Beziehungen können so sein.

Während ich dieses Buch schrieb, habe ich selbst versucht, ein besserer Zuhörer zu werden – sowohl privat wie auch bei meiner Arbeit. Ich habe versucht, den Beschwerden meiner Frau etwas besser zuzuhören, ohne defensiv zu reagieren, und die Meinungen meiner Kinder erst anzuhören, bevor ich meine eigene loswerden musste. Trotzdem hatte ich einige Unterhaltungen, aus denen ich verletzt und mit einem Gefühl der Niederlage herausging. Meine Frau sagte mir mit harschen Worten, dass ich ihr nicht genug im Haushalt helfen oder ihr nicht zuhören würde, wodurch ich mich angegriffen fühlte. Oder ich rief meine Lektorin einmal zu oft an, um mich über die Last des Schreibens zu beschweren, und sie gab mir das Gefühl, eine jammernde Belastung zu sein. Oder mein Freund Rich bezeichnete mich mit dem anatomischen Begriff des Körperteils, auf dem wir sitzen, weil ich mich so verhielt, als gebühre mir besonders viel Aufmerksamkeit. In diesen Momenten hörte ich dem anderen Menschen nicht nur nicht zu, das heißt ich hörte nicht, was er sagte, und erkannte es auch nicht an, sondern ich fühlte mich dabei auch angegriffen und wurde wütend, und hatte darüber hinaus keinerlei Lust mehr, ein weiteres Mal mit diesem Menschen zu sprechen – niemals wieder, solange ich lebe.

Ich bin mir sicher, Sie wissen, wie schmerzhaft solche Missverständnisse sein können. Wenn meine Frau „mich anschrie“, meine Lektorin „gemein zu mir war“ und mein Freund „auf mir herumhackte“, reagierte ich verletzt und zog mich zurück. Besonders schmerzhaft machte diese Situationen, dass sie herbe Rückschläge waren, da ich ja glaubte, bereits auf dem Weg zu einem besseren Zuhörer zu sein. Stattdessen katapultierten sie mich wieder zurück an meinen Anfangspunkt. Anstatt davon auszugehen, dass diese Gespräche einfach nicht gut gelaufen waren und einer Überprüfung bedurften, fühlte ich mich vernichtet und minderwertig. Wie konnte jemand wie ich, der selbst nicht mit den Menschen in seinem eigenen Leben klarkam, die Unverfrorenheit haben, ein Buch über richtiges Zuhören zu schreiben? Wie sollte gerade ich in der Lage sein, anderen etwas über die richtige Art der Kommunikation beizubringen?

Vielleicht wissen Sie, wie sich das anfühlt. Wir versuchen, unser Leben zu ändern, sei es unsere Ernährung, unsere Arbeitsgewohnheiten oder unsere Fähigkeit, zuzuhören, und wir müssen Niederlagen einstecken, die dazu führen, dass wir die Hoffnung aufgeben und die Flinte ins Korn werfen wollen. Plötzlich scheinen all die Fortschritte, die wir glaubten, gemacht zu haben, nur noch eine Illusion zu sein. Wenn ich einen Ratgeber über das Zuhören gelesen und all diese Rückschläge eingesteckt hätte, dann hätte ich vielleicht aufgegeben. Aber da ich dieses Buch selbst schrieb, bemühte ich mich, nachdem ich zurückgezogen meine Wunden geleckt hatte, wieder auf den Menschen zuzugehen, mit dem ich mich gestritten hatte – aber diesmal mit dem festen Vorsatz, mir seine oder ihre Sicht der Dinge anzuhören, bevor ich meine darlegte. Während dieses Prozesses lernte ich wahrzunehmen, wie meine Beziehungen verschiedene Zyklen von Nähe und Distanz durchliefen, und, was noch wichtiger war, wie ich diese Zyklen durch die Qualität meines eigenen Zuhörens beeinflussen konnte.

Mit diesem Buch möchte ich Sie einladen, darüber nachzudenken, wie wir miteinander sprechen und wie wir einander zuhören, warum das Zuhören so eine zentrale Rolle in unserem Leben spielt, wie wir aufmerksam zuhören und uns dabei wirklich in die Erfahrungswelt unseres Gegenübers hineinversetzen können, und wie wir es vermeiden, dass unser Zuhören durch schlechte Gewohnheiten beeinträchtigt wird. Zu den Geheimnissen einer erfolgreichen Kommunikation gehört Folgendes:

 Wie kommt es zu einem echten Dialog und keinem bloßen Nacheinander-Reden?

 Wie kann ich hören, was andere Menschen tatsächlich meinen, und nicht nur das, was sie sagen?

 Wie kann ich mit einer Person in Verbindung kommen, die nie zuzuhören scheint?

 Wie lassen sich Streitigkeiten reduzieren?

 Wie kann ich um Unterstützung bitten, ohne ungebetene Ratschläge zu bekommen?

 Wie kann ich verschlossene Menschen dazu bringen, sich zu öffnen?

 Wie kann ich eine andere Meinung vertreten, ohne dass sich andere Menschen kritisiert fühlen?

 Wie kann ich sicherstellen, dass bei hitzigen Diskussionen beide Seiten gehört werden?

 Wie Redner ihre eigene Botschaft abschwächen

 Wie wirkt sich die Art einer Beziehung auf das Zuhören aus?

 Wie kann ich Menschen dazu bringen, mir zuzuhören?

Die Macht des Zuhörens ist in vier Teile gegliedert. Teil I erklärt, warum das Zuhören in unserem Leben so wichtig ist – weitaus wichtiger, als uns oft bewusst ist –, und dass weder Stress noch Überarbeitung, sondern ein Mangel an einfühlsamer Zuwendung dazu führt, dass viele Menschen ihre Begeisterungsfähigkeit und ihren Optimismus verlieren. Teil II untersucht die heimliche Voreingenommenheit, unbewussten Bedürfnisse und emotionalen Reaktionen, die die wahren Gründe dafür sind, warum Menschen einander nicht zuhören. Wir werden sehen, was Zuhörer zu defensiv werden lässt, um wirklich zu hören, was ihr Gegenüber sagt, und warum Sie manchmal nicht gehört werden, obwohl Sie etwas Wichtiges zu sagen haben.

Nachdem wir uns die größten Hindernisse auf dem Weg zum richtigen Zuhören angesehen haben, geht es in Teil III darum, wie Sie Ihre eigenen emotionalen Reaktionen verstehen und kontrollieren können, um ein besserer Zuhörer zu werden. Außerdem erkläre ich Ihnen, wie Sie sich bei anderen Menschen Gehör verschaffen, und zwar auch in sehr schwierigen Situationen. Abschließend sehen wir uns in Teil IV an, wie das Zuhören in verschiedenen Arten von Beziehungen abläuft, d. h. in Paarbeziehungen, Familienbeziehungen, Beziehungen zu Kindern und Beziehungen zwischen Freunden und Kollegen. Ich zeige Ihnen, wie das Zuhören durch die jeweilige Dynamik dieser verschiedenen Beziehungsarten erschwert wird, und wie Sie dieses Wissen nutzen können, um zueinander durchzudringen.

Am Ende jedes Kapitels finden Sie eine Reihe von Übungen, die Sie dabei unterstützen sollen, besser zuzuhören. Das Praktizieren dieser Übungen wird Ihnen dabei helfen, die passive Leseerfahrung in einen aktiven Prozess umzuwandeln, der Ihre Fähigkeit, zuzuhören, merklich verbessern wird.

Wir mögen es für selbstverständlich halten, doch die große Bedeutung des Zuhörens kann nicht genug gewürdigt werden. Das Geschenk unserer Aufmerksamkeit und unseres Verständnisses gibt anderen Menschen das Gefühl, anerkannt und wertgeschätzt zu werden. Unsere Fähigkeit, zuzuhören, und zwar gut zuzuhören, schafft eine gemeinsame Atmosphäre des guten Willens. Richtiges Zuhören ist auch der beste Weg, um die Gesellschaft anderer Menschen zu genießen, von ihnen zu lernen und die gemeinsam verbrachte Zeit zu schätzen. Ich hoffe, dieses Buch hilft uns allen dabei, einen großen Schritt in Richtung gegenseitiger Achtung und Zuneigung aufeinander zuzugehen.

Teil I

Der Wunsch, verstanden zu werden

KAPITEL 1

„HAST DU GEHÖRT, WAS ICH GESAGT HABE?”

Warum Zuhören so wichtig ist

Manchmal scheint es so, als ob niemand mehr richtig zuhört.

„Er erwartet, dass ich mir seine Probleme anhöre, fragt aber nie nach meinen.”

„Sie beschwert sich ständig.“

„Ich finde nur dann heraus, was in seinem Leben los ist, wenn ich zufällig mitbekomme, was er anderen Menschen erzählt. Warum erzählt er mir diese Dinge nicht?”

„Mit ihr kann ich nicht reden, weil sie an allem herumkritisiert.“

Ehefrauen beschweren sich darüber, dass ihre Ehemänner sie als selbstverständlich betrachten. Ehemänner beschweren sich, dass ihre Frauen ständig nörgeln oder Ewigkeiten brauchen, um zum Punkt zu kommen.

Sie fühlt sich in der Beziehung nicht geachtet. Er vertraut der Beziehung nicht.

In der menschlichen Erfahrung sind nur wenig treibende Kräfte so stark wie der Wunsch, verstanden zu werden. Wenn uns jemand zuhört, haben wir das Gefühl, ernst genommen zu werden, dass unsere Gedanken und Gefühle anerkannt werden und dass es wichtig ist, was wir zu sagen haben.

Der Wunsch nach Gehör entspringt unserem Bedürfnis, unserer Isolation zu entfliehen und den Raum, der uns trennt, zu überbrücken. Wir gehen auf andere zu und versuchen, die Distanz zwischen uns zu verkleinern, indem wir offenbaren, was sich in unseren Gedanken und in unserem Herzen abspielt, und hoffen dabei auf Verständnis. Dieses Verständnis zu bekommen, sollte eigentlich recht einfach sein. Das ist es aber nicht.

Joan hatte ein Kostüm entdeckt, das sie sich gern für die Arbeit kaufen wollte, war sich aber nicht sicher, ob sie wirklich das Geld dafür ausgeben sollte. „Schatz“, sagte sie, „ich habe ein sehr schönes Kostüm im Outlet-Geschäft gesehen.“ „Das ist schön“, sagte Henry und sah weiter fern.

Justin war niedergeschlagen, weil er einen kleineren Autounfall mit Blechschaden hatte, wollte Denise aber nichts davon erzählen, damit sie ihm deswegen nicht in den Ohren lag. Also sagte er nichts und machte sich Gedanken darüber, wie er den Schaden schnellstmöglich reparieren lassen könnte. Denise spürte Justins Distanz und nahm an, dass er aus irgendeinem Grund über sie verärgert war. Sie wollte aber keinen Streit provozieren, also sagte sie ebenfalls nichts.

Die Essenz guten Zuhörens ist Empathie, die nur dann erreicht werden kann, wenn wir nicht uns selbst in den Vordergrund stellen, sondern in die Erfahrungswelt eines anderen Menschen eintauchen. Ein Teil Intuition und ein Teil Anstrengung – das ist der Stoff, aus dem menschliche Verbindungen entstehen.

Die Empathie eines Zuhörers – das Verstehen des Gesagten und das Zeigen, dass es verstanden wurde – führt zu einer verständnisvollen Verbundenheit, die uns jemandem nahebringt, der uns anhört und dem wir wichtig sind und der bestätigt, dass unsere Gefühle legitim und nachvollziehbar sind. Die Macht des empathischen Zuhörens ist gleichzeitig die Macht, die Beziehungen verwandeln kann. Wenn tief empfundene, aber nicht ausgedrückte Gefühle plötzlich Gestalt in Worten annehmen und abgeklärt zu uns zurückkommen, ist das Ergebnis ein ermutigendes Gefühl des Verstandenwerdens und eine dankbare Empfindung geteilter Menschlichkeit mit dem, der uns versteht.

Zuhören ist unverzichtbar für erfolgreiche Beziehungen.

Das Zuhören stärkt unsere Beziehungen, indem es unsere Verbindung miteinander festigt, aber es stärkt außerdem auch unser Selbstwertgefühl. In Gegenwart eines aufmerksamen Zuhörers können wir unsere Gedanken ordnen und herausfinden, was wir fühlen. Wenn wir unsere Erfahrung jemandem mitteilen, der uns zuhört, können wir auch uns selbst besser zuhören. Unser Leben wird durch den Dialog mit anderen geprägt.

Es tut weh, nicht gehört zu werden

Unser Bedürfnis, ernst genommen zu werden und Antworten zu bekommen, wird täglich enttäuscht. Eltern beschweren sich, dass ihre Kinder nicht zuhören. Kinder beschweren sich, dass ihre Eltern sie ausschimpfen, um ihre Sicht der Dinge bestätigt zu bekommen. Sogar Freunde, die normalerweise eine zuverlässige Quelle von mitfühlendem Verständnis sind, sind heutzutage zu beschäftigt, um einander zuzuhören. Und während wir teils schon im privaten Bereich das Gefühl haben, keine Sympathie und kein Verständnis entgegengebracht zu bekommen, haben wir schon längst gelernt, im öffentlichen Raum erst recht keine Freundlichkeit und auch keine Aufmerksamkeit zu erwarten.

Unser Recht, angehört zu werden, wird auf unzählige Arten verletzt, an die wir uns nicht immer erinnern, verletzt von anderen Menschen, denen es nicht immer bewusst ist. Das macht es nicht weniger schmerzhaft.

Als ich einem befreundeten Psychiater erzählte, dass ich Erfahrungsberichte zum Thema „Es tut weh, nicht gehört zu werden“ sammelte, schickte er mir folgendes Beispiel:

„Ich rief einen Freund an und hinterließ eine Nachricht mit der Frage, ob wir uns nicht zu einer bestimmten Zeit treffen könnten. Er antwortete nicht, und ich fühlte mich etwas angespannt und verwirrt. Sollte ich ihn nochmals anrufen, um ihn daran zu erinnern? Schließlich weiß ich, dass er immer sehr beschäftigt ist. Sollte ich einen oder zwei Tage warten und darauf hoffen, dass er antwortet? Hätte ich ihn gar nicht erst fragen sollen? Das Ganze ließ mich mit einem unschönen Gefühl zurück.”

Zuerst fiel mir an diesem Beispiel auf, wie schon eine kleine Sache wie eine unbeantwortete Nachricht auf dem Anrufbeantworter dazu führen kann, dass jemand sich vernachlässigt und unwohl fühlt. Dann traf es mich wie ein Schlag, als ich feststellte, dass mein Freund über mich sprach! Plötzlich fühlte ich mich verlegen, und dann defensiv. Der Grund dafür, dass ich meinem Freund nicht geantwortet hatte, spielt keine Rolle. (Wir haben immer Gründe dafür, nicht zu antworten.) Entscheidend ist, dass meine unterlassene Antwort dazu führte, dass mein Freund verletzt und verwirrt war, und ich davon nicht einmal die geringste Ahnung hatte.

Wenn schon in so einem Fall Gefühle verletzt werden, wie viel mehr schmerzt es dann, wenn einem Redner eine Angelegenheit sehr wichtig und sie seiner Ansicht nach dringend ist?

Zuhören ist etwas so Grundlegendes, dass wir es als selbstverständlich voraussetzen. Leider glauben die meisten von uns, dass sie bessere Zuhörer sind, als es eigentlich der Fall ist.

Wenn Sie von einer Geschäftsreise zurück nach Hause kommen und darauf brennen, ihrem Partner davon zu erzählen, aber sein Blick schon nach einer Minute desinteressiert in die Ferne schweift, fühlen Sie sich verletzt und betrogen. Wenn Sie Ihre Eltern anrufen, um ihnen einen persönlichen Erfolg mitzuteilen, und diese nicht wirklich viel Interesse zeigen, fühlen Sie sich ernüchtert und vielleicht sogar töricht, weil Sie sich selbst erlaubt haben, auf Anerkennung zu hoffen.

So wie es schmerzt, wenn jemand Ihnen nicht zuhört, wenn Sie ihm etwas Aufregendes mitteilen wollen, schmerzt es auch, wenn Sie das Gefühl haben, dass jemand Ihnen nicht zuhört, der Ihnen viel bedeutet, jemand, von dem Sie eigentlich erwarten, dass Sie ihm wichtig sind.

An der Universität war Derek Rogers bester Freund. Sie absolvierten beide ein Masterstudium in Politikwissenschaft und teilten ihre große Leidenschaft für Politik. Zusammen verfolgten sie jedes einzelne Detail der Watergate-Untersuchungen und genossen jede neue Enthüllung, als wäre sie ein wunderbar böser und morbider Cartoon von Charles Addams. Doch so groß ihre geteilte zynische Freude über den Untergang der Nixon-Regierung auch war, ging ihre Freundschaft doch weit über das Politische hinaus.

Roger erinnerte sich an das großartige Gefühl, sich stundenlang mit Derek zu unterhalten. Diese Gespräche wurden von der Dynamik einer sehr tiefen und unerklärlichen Sympathie füreinander beflügelt. Da war das Glück, alles sagen zu können, was er wollte, und das Glück, Derek das sagen zu hören, was er schon immer gedacht, aber noch nicht in Worte gefasst hatte. Anders als die meisten von Rogers anderen Freunden sah Derek ihre Unterhaltungen nicht als Wettbewerb an. Er hörte wirklich zu.

Als sie ihre Universitätsausbildung in unterschiedlichen Städten abschlossen, erhielten sie ihre enge Freundschaft aufrecht. Roger besuchte Derek oder Derek Roger mindestens einmal im Monat. Sie spielten Billard, gingen ins Kino oder chinesisch essen. Danach blieben sie einfach wach und redeten, egal, wie spät es wurde.

Dann heiratete Derek, und die Dinge änderten sich. Derek wurde weder distanzierter, wie es bei manchen Freunden der Fall ist, wenn sie heiraten, noch hatte Dereks Ehefrau ein Problem mit Roger. Die Distanziertheit, die Roger empfand, war eine kleine Sache, die allerdings einen großen Unterschied bewirkte.

„Es ist schwer zu beschreiben, aber ich fühle mich oft seltsam und enttäuscht, wenn ich mit Derek spreche. Er hört zwar zu, aber irgendwie scheint er nicht mehr richtig interessiert zu sein. Er stellt keine Fragen. Früher nahm er immer Anteil und hat die Dinge nicht einfach nur zur Kenntnis genommen. Das macht mich traurig. Ich freue mich immer noch über das, was in meinem Leben passiert, aber wenn ich Derek davon erzähle, fühlt es sich so an, als ob da keine Verbindung mehr ist, und ich mit diesen Dingen allein bleibe.”

Rogers Klage sagt etwas ganz Entscheidendes über das Zuhören aus. Was wir wollen, ist nicht nur, nicht unterbrochen zu werden. Manchmal scheint es nur so, als ob Leute zuhören, und sie tun es nicht wirklich. Einige Menschen können gut still bleiben, während andere sprechen. Manchmal verrät sich ihr Desinteresse dadurch, dass sie in der Gegend umherschauen oder ständig ihr Gewicht verlagern. Ein anderes Mal zeigen manche Zuhörer keine Anzeichen von fehlender Aufmerksamkeit, und trotzdem wissen wir, dass sie nicht wirklich hören, was wir sagen. Es fühlt sich so an, als sei es ihnen egal.

Dereks passives Interesse war für Roger besonders schmerzhaft, da sie zuvor eine so enge Freundschaft verband. Die Freunde waren in einer Sackgasse gelandet: Roger konnte sich seinem Freund gegenüber nicht mehr so öffnen wie früher, und Derek war von der Distanz überrascht, die sich zwischen ihnen beiden entwickelt hatte.

Eine Freundschaft ist etwas Freiwilliges, also ist auch das Sprechen darüber freiwillig. Roger wollte sich bei Derek nicht beschweren oder Forderungen stellen. Und abgesehen davon: Wie sagt man einem Freund, dass man das Gefühl hat, dass sich der andere nicht mehr für einen interessiert? Also sprach Roger nie mit Derek darüber, dass er das Gefühl hatte, dass sie sich entfremdet hatten. Das ist sehr schade, denn wenn eine Beziehung sich ernstlich verschlechtert, ist das Sprechen darüber wahrscheinlich der einzige Weg, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen.

Es verletzt uns besonders, wenn uns in den Beziehungen nicht zugehört wird, auf die wir zählen, wenn wir verstanden werden wollen.

Nach einer Weile lernen die meisten von uns ziemlich gut, so zu tun, als seien sie erwachsen und könnten viele Kränkungen und Missverständnisse einfach von sich abschütteln. Wenn wir dabei die eine oder andere Schramme davontragen, ist das eben der Preis dafür, in dieser Welt zurechtzukommen. Manchmal verletzen uns unbeantwortete Fragen aber so stark, dass es dazu führen kann, dass wir uns aus Beziehungen zurückziehen, mitunter sogar jahrelang.

Als eine Frau erfuhr, dass ihr Mann eine Affäre hatte, empfand sie dies so, als hätte ihr jemand mit voller Wucht einen Stoß in den Magen versetzt. In ihrer Trauer und Wut wandte sie sich an die Person, der sie am nächsten stand – ihre Schwiegermutter. Die Schwiegermutter versuchte, Verständnis zu zeigen und für ihre Schwiegertochter da zu sein. Dies war nicht leicht für sie, denn es war mitunter schwierig, all diesen harten Dingen zuzuhören, die ihre Schwiegertochter über ihren Sohn sagte. Trotzdem versuchte sie es. Doch anscheinend reichte ihre Unterstützung nicht aus. Die Krise wurde überwunden und das Paar versöhnte sich. Die Schwiegertochter aber, die das Gefühl hatte, ihre Schwiegermutter sei nicht für sie da gewesen, als sie sie am meisten brauchte, sprach nie wieder mit ihr.

Die Schwiegermutter in diesem traurigen Beispiel stand aufgrund des hartnäckigen Schweigens ihrer Schwiegertochter vor einem Rätsel. Die Reaktionen anderer Menschen erscheinen uns selbst oft unangemessen. Aus ihrer Sicht aber ist ihr Verhalten logisch und angemessen, da sie das Gefühl haben, durch (unser) fehlendes Verständnis verletzt worden zu sein.

Zuhören heißt aufmerksam zu sein, Interesse zu zeigen, anderen Fürsorge entgegenzubringen, sich die Dinge zu Herzen zu nehmen, wertzuschätzen, anzuerkennen, berührt zu sein, zu würdigen. Zuhören ist so bedeutsam für die menschliche Existenz, dass es oft übersehen wird, bzw. es tritt in so vielen Formen in Erscheinung, dass es selten als das allumfassende Bedürfnis erkannt wird, das es wirklich ist. Manchmal erkennen wir, so wie Roger, die oben erwähnte Schwiegertochter und so viele andere Menschen auch, erst dann, wie wichtig es uns ist, wirklich angehört zu werden, wenn wir das Gefühl haben, darum betrogen worden zu sein.

Dann und wann aber wird uns bewusst, wie viel es bedeutet, wenn uns zugehört wird. Sie können sich nicht entscheiden, ob Sie eine neue Stelle annehmen sollen oder nicht, also rufen Sie eine alte Freundin an, um sich mit ihr zu beraten. Sie sagt Ihnen nicht, was Sie tun sollen, aber allein die Tatsache, dass Sie sie anhört, Ihnen richtig zuhört, hilft Ihnen dabei, die Dinge klarer zu sehen. Ein anderes Mal lernen Sie jemanden kennen, den Sie so sehr mögen, dass Sie es nach einem wunderbaren Essen in einem Restaurant wagen, ihn zu sich nach Hause auf einen Kaffee einzuladen. Wenn er erwidert: „Nein danke, ich muss morgen früh raus“, fühlen Sie sich zurückgewiesen. Sie sind davon überzeugt, dass er Sie nicht mag, und fangen an, ihm aus dem Weg zu gehen. Ein paar Tage später aber fragt er Sie, was los ist, und Sie gehen erneut ein Risiko ein und sagen ihm, dass Ihre Gefühle verletzt sind. Zu Ihrer großen Erleichterung hört er Ihnen zu und akzeptiert, was Sie sagen, statt mit Ihnen zu streiten. „Ich kann verstehen, warum du so empfunden hast, aber ich würde dich wirklich gern wiedersehen.“

Warum kann es nicht immer so sein? Ich rede, du hörst zu. Es ist doch ganz einfach, oder nicht? Leider ist es das nicht. Das Reden und Zuhören führt zu einer einzigartigen Beziehung, bei der die redende und die zuhörende Person ständig die Rollen wechseln und versuchen, sich selbst in Position zu bringen, während einer mit dem Bedürfnis des anderen wetteifert. Wenn Sie daran Ihre Zweifel haben, probieren Sie es einmal selbst aus. Erzählen Sie jemandem von einem Problem, das Sie haben, und warten Sie, wie lange es dauert, bis der andere Sie unterbricht, um ein ähnliches Problem zu schildern, das er selbst einmal hatte, oder gleich einen Ratschlag erteilt – einen Ratschlag, der ihm besser hilft als Ihnen in Ihrer momentanen Situation.

Ein Mann wollte bei der Therapie seine Beziehung zu seinem distanzierten Vater ergründen, als er sich plötzlich an die glücklichen Zeiten erinnerte, die beide zusammen beim Spielen mit seiner Modelleisenbahn verbracht hatten. Es war ein Spielzeug der Marke Lionel, das zuvor seinem Vater und davor seinem Großvater gehört hatte, bevor er selbst es bekam. Überwältigt von dieser Erinnerung wurde er immer vergnügter und dachte daran zurück, wie stolz er gewesen war, diese Familientradition mit seinem Vater zu teilen. Als die Freude des Mannes während des Erzählens immer größer wurde, unterbrach ihn sein Therapeut plötzlich, um über seine Modelleisenbahn und darüber zu berichten, wie er die anderen Kinder aus der Nachbarschaft dazu gebracht hatte, alle ihre Schienen zu ihm nach Hause zu bringen und dort im Keller eine riesige Zugstrecke aufzubauen. Nachdem sich der Therapeut ausführlich darüber ausgelassen hatte, konnte der Patient seinen Unmut über die Unterbrechung nicht länger unterdrücken. „Warum erzählen Sie mir jetzt etwas über Ihre Eisenbahn?!“, polterte er. Der Therapeut zögerte. Dann erwiderte er monoton mit dieser typischen beherrscht-ausgeglichenen Stimme, die wir dafür aufheben, wenn wir besonders reflektiert erscheinen wollen: „Ich habe nur versucht, freundlich zu sein.“

Es braucht zwei Menschen, um ein Gefühl zu teilen – einen, der spricht, und einen, der zuhört.

Der Therapeut hatte einen allzu häufigen Fehler begangen (gut, eigentlich waren es gleich mehrere, aber wir haben gerade die „Sei nett zu Therapeuten“-Woche). Er ging davon aus, dass das Teilen seiner eigenen Erfahrung das Gleiche wie Empathie sei. Eigentlich aber richtete er dadurch den Fokus auf sich selbst, was dazu führte, dass sich sein Patient ignoriert, missverstanden und nicht genügend gewürdigt fühlte. Das war es, was so schmerzte.

Wie es so oft mit häufig gebrauchten Worten der Fall ist, kann die Worthülse Empathie die Kraft des Verstehens und Würdigens der inneren Erfahrungswelt eines anderen Menschen nicht wirklich adäquat ausdrücken. Empathisches Zuhören ist wie das genaue Lesen eines Gedichts: Es erfordert das Aufnehmen der Worte und das Ergründen, was mit diesen Worten gemeint ist. Der Unterschied zwischen Gedicht und Empathie besteht darin, dass Empathie zwar in aktiver Weise schöpferisch, aber grundlegend rezeptiv und nicht kreativ ist. Wenn wir in Kontakt mit einem Kunstwerk kommen, hat unsere eigene individuelle Antwort darauf ihre eigene Gültigkeit. Wenn wir aber jemandem zuhören, der uns etwas sagen möchte, geht es um Verständnis, und nicht um die eigene Kreativität.

Zeuge sein

Zuhören hat nicht nur ein Ziel, sondern zwei: Informationen aufzunehmen und Zeuge der Erfahrungen eines anderen Menschen zu sein. Indem die Person, die uns zuhört, für eine bestimmte Zeit aus ihrem eigenen Bezugsrahmen heraus und in den unsrigen tritt, würdigt und bestätigt sie uns. Diese Bestätigung ist essentiell, um das aufrechtzuerhalten, was wir als Respekt bezeichnen. Wenn uns keiner zuhört, sind wir in der Einsamkeit unserer eigenen Herzen eingeschlossen.

Eine sechsunddreißigjährige Frau war von einem kleinen Zwischenfall so verunsichert, dass sie sich fragte, ob sie eine Psychotherapie bräuchte. Marnie, Vizepräsidentin einer Politik-Beratungsgesellschaft, hatte ein Treffen mit dem Vizegouverneur ihres Bundesstaates organisiert, um diesem einen von ihr ausgearbeiteten Vorschlag zu unterbreiten, der die Regulierung eines großen staatlichen Industriesektors enthielt. Notgedrungen lud sie auch ihren Vorgesetzten zu diesem Meeting ein, obwohl sie ohne diesen eine erfolgreichere Präsentation hätte halten können. Der Vorgesetzte wiederum hatte den Cheflobbyisten des Instituts dazu eingeladen, der die Gesetzgeber später von der Notwendigkeit der vorgeschlagenen Regulierung überzeugen sollte. Das Meeting begann, wie Marnie befürchtet hatte, damit, dass ihr Vorgesetzter sich in einer unbestimmten philosophischen Diskussion verlor, die sich im Kreis drehte, ohne wirklich zum Punkt zu kommen. Als er fertig war, drehte er sich zu dem Lobbyisten, nicht aber zu Marnie um, damit dieser den eigentlichen Vorschlag vorstellte. Marnie war komplett vor den Kopf gestoßen. Der Lobbyist begann zu reden, und fünfzehn Minuten später war das Meeting vorbei, ohne dass Marnie dazu gekommen wäre, auch nur ein Wort zu sagen – zu ihrem eigenen Vorschlag.

Marnie brannte darauf, ihrem Mann alles zu erzählen. Leider war dieser gerade in Europa, wo er noch die nächsten drei Tage bleiben würde. An die Geschäftsreisen ihres Mannes war sie gewöhnt, nicht aber daran, wie alleingelassen sie sich fühlen würde. Sie musste einfach mit ihm reden. Im weiteren Verlauf des Abends wuchs Marnies Enttäuschung immer mehr und verwandelte sich schließlich in etwas anderes. Statt einfach nur frustriert zu sein, begann sie plötzlich, sich unzulänglich zu fühlen. Warum war sie so sehr von ihrem Mann abhängig? Warum bekam sie ihre Gefühle nicht allein in den Griff?

Marnie schlussfolgerte, dass ihr Problem ihre eigene Unsicherheit sei. Wenn sie selbstsicherer wäre, bräuchte sie andere nicht so sehr. Sie wäre nicht so verletzlich, sondern käme bestens allein zurecht.

Marnies Problem – ihr dringender Wunsch nach einem Zuhörer – und ihr Glaube, wenn sie selbstbewusster erzogen worden wäre, brauchte sie überhaupt niemanden, der ihr zuhört, ist weit verbreitet. Jemanden zu brauchen, der uns zuhört und bestärkt, kann uns glauben lassen, dass wir nicht so stark auf andere angewiesen wären, wenn wir ein größeres Selbstwertgefühl hätten. Dann gelänge es anderen nicht, uns so sehr zu enttäuschen.

Wird uns zugehört, hilft uns das, mit einem Gefühl der Sicherheit aufzuwachsen. Doch entgegen der Vorstellung, die einige Menschen haben, werden wir nie zu „fertigen Produkten“, so wie Statuen oder Denkmäler. Ganz im Gegenteil – so wie alle anderen Lebewesen brauchen auch Menschen nicht nur Hege und Pflege, um erwachsen und stark zu werden, sondern auch später, um ihre Stärke und Vitalität aufrechtzuerhalten. Das Zuhören kräftigt uns und stärkt unseren Selbstwert.

Je unsicherer wir sind, umso mehr Bestätigung brauchen wir. Dennoch brauchen alle von uns Aufmerksamkeit, egal wie selbstsicher und angepasst wir auch sein mögen, um auf dieser Welt zu bestehen. Falls das nicht besonders offensichtlich zu sein scheint, müssen Sie nur einmal darauf achten, wie jeder von uns seine eigene bevorzugte Weise hat, bestimmte Nachrichten zu verkünden. Wenn meine Frau Neuigkeiten hat, wird sie mich zum Beispiel bei der Arbeit anrufen oder mir diese mitteilen, sobald sie nach Hause kommt. Ich tue das nicht. Wenn ich gute Neuigkeiten habe, dann hamstere ich sie und spare sie mir auf, bis ich sie mit Fanfarengetöse zum Besten geben kann, damit sie auch gebührend gewürdigt werden.

Einmal hatte ich Monate lang darauf hingearbeitet, einen Buchvertrag an Land zu ziehen. Meine Frau wusste, dass ich an dem Buch arbeitete, aber ich sagte ihr nicht, dass ich einen Vertrag in Aussicht hatte. Voller Hoffnung und Ungeduld versuchte ich, meine eigenen Erwartungen nicht zu groß werden zu lassen, hatte dabei aber dennoch überzogene Fantasien davon, wie ich die gute Nachricht bekommen – nein, wie ich sie selbst verkünden würde! Es endlich meiner Frau sagen zu können, das würde das i-Tüpfelchen sein. Keinesfalls wollte ich es ihr einfach direkt sagen. Ich wollte, nein, ich brauchte großes Tamtam für diese Verkündung. An dem Tag, als ich den Vertrag endlich bekam, war ich völlig aus dem Häuschen. Das Beste daran aber war die Vorfreude, es meiner Frau bald verraten zu können. Also rief ich sie bei der Arbeit an und sagte ihr, dass ich eine Überraschung für sie hätte: Ich würde sie zu einem schicken Abendessen ausführen. Sie willigte ein und stellte keine weiteren Fragen. (Sie kennt mich ja auch erst seit dreißig Jahren.)

Als ich nach Hause kam, trug meine Frau schon ein Seidenkleid und war zum Ausgehen bereit. Sie sah, dass ich aufgeregt war, wartete aber geduldig darauf, den Grund dafür zu erfahren. Im Restaurant bestellte ich eine Flasche Champagner. Als die Flasche unseren Tisch erreichte, fragte sie mich, immer noch geduldig: „Möchtest du mir etwas sagen?“ Ich zog meinen Vertrag aus der Tasche und präsentierte ihn ihr mit der Kunstfertigkeit eines Zehnjährigen, der stolz sein Zeugnis herumzeigt. Sie sah, was es war, und auf ihrem Gesicht erstrahlte ein großes Lächeln. Dieser Anblick – ihre Liebe und ihr Stolz – war unbeschreiblich schön. Zu meinem eigenen Lächeln gesellten sich ein paar Tränen.

Was wir nicht alles auf uns nehmen, um solche Momente zu genießen. Diejenigen von uns, die glauben, für ihre Ankündigungen besondere Gelegenheiten schaffen zu müssen, haben trotzdem jede Menge mit denen gemein, die nicht so planen. Der Zeitraum, den wir damit verbringen, auf das Verkünden unserer Nachricht zu warten, ist mit nervöser Vorfreude aufgeladen. Wir fühlen, wie die Spannung immer größer wird. Diese Spannung hat mit einem aufflackernden Impuls zu tun: dem Drang, etwas zu gestehen, jemanden zu konfrontieren, anzugeben oder etwas vorzuschlagen, um eine Wirkung auf die andere Person zu erzielen und eine Reaktion hervorzurufen. Unsere Aufregung entspringt der Hoffnung auf eine positive Antwort; unsere Angst entspringt der Furcht vor Zurückweisung oder Gleichgültigkeit.

Welche Person Sie auswählen und welche Dinge Sie ihr anvertrauen, sagt etwas über Ihre Beziehung zu sich selbst und zu den anderen Menschen in Ihrem Leben aus. Wie Sie Ihr Selbst nach außen präsentieren, hängt mit Stolz und Scham zusammen, und damit, wen Sie auswählen, diese Dinge mit Ihnen zu teilen. Bei wem fühlen Sie sich sicher genug, um zu weinen? Sich zu beschweren? Sich aufzuregen? Anzugeben? Etwas wirklich Peinliches zu gestehen?

Ein guter Zuhörer ist ein Zeuge und nicht der Richter Ihrer Erfahrungen.

Sobald Sie loswerden können, was Sie bewegt, und dies angehört und gewürdigt wird, fühlen Sie, wie eine Last von Ihnen abfällt. Es ist fast so, als würden Schmerzen plötzlich nachlassen. Wenn dies recht schnell geschieht, so wie es bei alltäglichen Gesprächen oft der Fall ist, werden Sie sich Ihres Bedürfnisses, verstanden zu werden, wahrscheinlich kaum bewusst werden. Doch die Enttäuschung, die Sie empfinden, wenn Sie nicht angehört werden, und der Druck, der entsteht, wenn Sie darauf warten und hoffen, angehört zu werden, sind klare Zeichen dafür, wie wichtig es ist, dass man Ihnen zuhört. Es gibt Momente, in denen wir all das, was wir denken, auch ausdrücken und teilen müssen; Momente, in denen Ignoranz und Stille schmerzen, und das Aussprechen von Dingen der Versuch ist, diesen Schmerz loszuwerden.

Angehört zu werden, bedeutet ernst genommen zu werden

Der Wunsch nach Gehör – etwas, das wir für selbstverständlich halten – ist einer der stärksten menschlichen Beweggründe. Das Gehörtwerden ist das Medium, durch das wir uns selbst als versteh- und annehmbar wahrnehmen – oder eben nicht. Die Menschen, die uns zuhören, sind uns wichtig. Wir lieben sie oftmals sogar. Trotzdem benutzen wir sie, zumindest für einen gewissen Zeitraum.

Wenn wir von dem Bedürfnis nach Anerkennung gesteuert werden, sehen wir andere als Selbstobjekte. Als Selbstobjekte bezeichnete der Psychoanalytiker Heinz Kohut treffend andere uns zugewandte Menschen, die wir nicht als unabhängige Personen mit eigenen Zielen und Interessen wahrnehmen, sondern als Menschen, die für uns da sind.1

„Rate mal!”

Erinnern Sie sich an das letzte Mal, als Ihnen etwas wirklich Wunderbares passiert ist? Wissen Sie noch, wie Sie darauf warteten, es schnell jemandem zu erzählen? Wen haben Sie sich dafür ausgesucht, und wie lief Ihr Gespräch ab?

Vielleicht erinnert Sie die Vorstellung, dass Zuhörer als Selbstobjekte benutzt werden, an diese Langweiler, die immer nur über sich selbst reden und sich nicht darum zu scheren scheinen, was Sie zu sagen haben. Sollten sie zuhören, tun sie es bestenfalls halbherzig. Sie warten eigentlich nur auf die Gelegenheit, das Gespräch wieder auf sich selbst lenken zu können.

Fehlende Anerkennung kann vor allem dann besonders schmerzhaft sein, wenn es die Interaktion zwischen uns und unseren Eltern betrifft. Es ist kaum auszuhalten, wenn sie uns nicht als eigenständige Menschen ansehen, als Individuen mit eigenen berechtigten Ideen und Zielen.

Dabei zuzusehen, wie unsere Eltern anderen Leuten in unserer Gegenwart aufmerksam zuhören, kann besonders ärgerlich sein. Warum können sie uns nicht ein bisschen von dieser Beachtung zeigen? Der Schriftsteller Harold Brodkey hat diese aufwühlende Erfahrung in seinem Roman Die flüchtige Seele mittels eines Gesprächs zwischen einer jungen Frau und ihrem Freund beschrieben. Der Freund spricht zuerst:

„Hört dein Vater eigentlich je zu, oder spult er nur Monologe ab?“

„Er spult nur Monologe ab. Lässt er dich auch nicht zu Wort kommen?“

„Nur wenn ich darauf bestehe. Dann halten wir abwechselnd Monologe.“

„Tja, mehr ist eben nicht drin. In letzter Zeit spricht er mehr mit dir als mit mir. […]“

(Harold Brodkey, Die flüchtige Seele. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag GmbH, 1997, S. 386)

Natürlich redet der Vater der jungen Frau mehr mit ihrem Freund als mit ihr. Der Freund ist ein neues Publikum, frisches Blut.

Die Leute, die uns durchweg am meisten verletzen, sind die, deren Beziehung zu uns wir für etwas Besonderes halten, und die uns das Gefühl geben, dass unsere Aufmerksamkeit und unser Verständnis ihnen besonders wichtig sind – bis wir herausfinden, wie schnell und leicht sie ihre Aufmerksamkeit jemand anderem zuwenden. Gerade noch sind sie dabei, uns etwas Wichtiges anzuvertrauen, da erblicken sie auch schon jemand anderen und brechen das Gespräch ab, um plötzlich mit dieser Person zu reden. Wir erkennen, dass dieses besondere Verständnis, von dem wir glaubten, dass es nur zwischen uns existiere, auch mit Dutzenden anderen Leuten geteilt wird. Soviel zu unserem Sonderstatus als Eingeweihte! Was an dieser Promiskuität unserer intimen Vertrauten so schmerzt, ist nicht, dass sie uns benutzen, sondern dass sie uns des Gefühls berauben, dass wir ihnen wirklich wichtig und etwas ganz Besonderes sind.

Auch wenn keiner von uns gern diesen unverhohlenen Narzissmus wahrnehmen möchte (vor allem nicht bei sich selbst), der die Gefühle anderer Menschen ignoriert, sieht es in Wahrheit leider doch so aus, dass wir die meiste Zeit über hoffnungslos mit uns selbst beschäftigt sind. Das Thema Narzissmus ist außerordentlich wichtig, wenn es darum geht, die Kunst des Zuhörens zu ergründen. Ich erwähne dies hier nur, um festzuhalten, dass ein Aspekt unseres Bedürfnisses nach der Anerkennung anderer Menschen vollkommen egoistisch ist. Wenn uns zugehört wird, wird dadurch unser narzisstisches Gleichgewicht gestärkt, oder, um es einfacher auszudrücken, wird uns dabei geholfen, dass wir uns gut fühlen.

Als Roxanne und ihre Eltern das Auto ausgeladen hatten, fühlte sie sich plötzlich niedergeschlagen und wurde sich das allererste Mal all der Dinge bewusst, die sie nicht besaß. Angespannt sah sie dabei zu, wie die anderen Studenten mit ihren Eltern in das Wohnheim marschierten, bepackt mit schönen Kissen und Daunendecken, iPods und DVDs, Laptops, Tennis- und Hockeyschlägern. Roxanne hatte bis dahin noch nie einen Hockeyschläger gesehen. Als ihre Eltern wegfuhren und sie allein vor dem Wohnheim stehen blieb, war ihre Begeisterung über ihren Studienbeginn der Angst gewichen.

Roxanne kam das ganze erste Studienjahr nicht über dieses Gefühl der Isolation hinweg. Allen anderen schien es so leicht zu fallen, neue Freunde zu finden. Ihr nicht. Sie rief oft zu Hause an und versuchte, ihren Eltern zu erklären, wie schrecklich alles war. Doch die sagten nur Dinge wie: „Mach dir keine Sorgen, Schatz. Jeder ist am Anfang ein bisschen einsam“ oder „Du solltest neue Freunde kennenlernen“ oder aber „Vielleicht musst du ein bisschen mehr lernen …“ Wenn es doch nur so einfach wäre!

Jemanden zu bestärken ist nicht dasselbe wie zuzuhören.

Es war Anfang Dezember, und Roxanne begann, Kurse zu schwänzen, Mahlzeiten ausfallen zu lassen und sich abends in den Schlaf zu weinen. Als sie es nicht mehr aushielt, vereinbarte sie schließlich einen Beratungstermin.

Roxanne war überrascht, als die Therapeutin ihr sagte, sie solle sie Noreen nennen. Sie war diese Art der Offenheit von Erwachsenen nicht gewohnt. Noreen entpuppte sich als die mitfühlendste Person, die Roxanne je getroffen hatte. Sie sagte Roxanne nicht, was sie tun sollte, und analysierte auch nicht ihre Gefühle, sondern hörte einfach nur zu. Für Roxanne war dies eine komplett neue Erfahrung.

Mit Noreens Hilfe gelang es Roxanne, das erste und auch die weiteren drei Studienjahre durchzustehen. Noreen half ihr, herauszufinden, dass ihre Unsicherheit daher stammte, dass sie sich von ihren Eltern nie richtig geliebt gefühlt hatte. Roxanne dachte immer, dass sie eigentlich ganz gute Eltern hatte, sah aber jetzt, dass ihre Eltern sie eigentlich gar nicht richtig kannten und auch nie gekannt hatten. Ihr Vater war ständig beschäftigt, und ihre Mutter hatte sie als Mensch nie ernst genommen.

Irgendwann überzeugte Noreen Roxanne davon, dass sie sich mit ihren Eltern auseinandersetzen müsste, wenn sie ihre Wut und auch ihre Verletzlichkeit und ihre depressiven Phasen überwinden wollte. Als Roxanne zustimmte, setzte sich Noreen mit mir in Verbindung, um einige Familientherapiesitzungen zu organisieren.

Roxanne und ihre Eltern kamen getrennt zu unserem ersten Treffen. Sie lächelten zwar alle, schienen aber so argwöhnisch und wachsam wie Katzen zu sein, die eine Schlange umkreisen. Ich hatte Roxanne zuvor am Telefon dazu geraten, es bei diesem ersten Treffen langsam angehen zu lassen: Sie solle ihren Eltern gegenüber nicht sofort ihrem ganzen Unmut Luft machen, sondern stattdessen zunächst lieber nach einer gemeinsamen Basis suchen. Aber das entsprach nicht der Wahrheit und auch nicht dem, was sie fühlte. Und Roxanne hatte es auf die Wahrheit abgesehen. Sie fing mit ihrem Vater an. Als sie klein war, sagte sie, liebte sie ihn, doch je älter sie wurde, desto mehr sah sie ihn nur noch als lächerliche und unwichtige Person an. (Er arbeitete hart, hatte einen Bürstenhaarschnitt, wählte die Republikaner und war Patriot. Fast nichts in seinem Leben brachte ihn dazu, Dinge zu hinterfragen.) Nachdem er sich die wenig schmeichelhafte Einschätzung seiner Tochter angehört hatte, sagte Roxannes Vater: „So also siehst du mich?“ und zog sich dann in eisernes Schweigen zurück, seine altbewährte emotionale Rüstung.

Dann schoss Roxanne sich auf ihre Mutter ein. Sie nannte sie „oberflächlich”, „scheinheilig” und – das Schlimmste, was ein Kind zu seiner Mutter sagen kann – „nur an sich selbst interessiert“. Roxannes Mutter versuchte, zuzuhören, konnte es aber nicht. „Das ist nicht wahr!“, protestierte sie. „Warum musst du immer alles übertreiben?“ Das aber ließ Roxanne noch wütender werden, und die beiden bekriegten sich gegenseitig immer stärker und mit immer schriller werdenden Stimmen.

Ich versuchte sie zu beruhigen, war aber nicht sehr erfolgreich. Roxanne war wild entschlossen, etwas mitzuteilen – nicht sich zu unterhalten, in diesem altmodischen Prozess des Gebens und Nehmens, sondern etwas bekannt zu geben –, also diesen wichtigen Entwicklungsschritt zu tun, wenn ein unnachgiebiges Familienmitglied den anderen Familienmitgliedern einige elementare Informationen übermittelt, sie mit „der Wahrheit“ konfrontiert, egal ob diese es hören wollen oder nicht. Roxannes Mutter verließ die Therapiesitzung tränenüberströmt.

Die Woche darauf traf ich Roxanne allein. Es tat ihr leid, dass die letzte Sitzung nicht besser verlaufen war, doch sie war erleichtert, dass sie ihren Gefühlen freien Lauf gelassen hatte. Sie glaubte, ihre Mutter hätte sich als die nicht zu Akzeptanz fähige Person gezeigt, für die Roxanne sie hielt. Sie sprachen nicht mehr miteinander, und Roxanne kam bestens damit zurecht.

Sechs Monate später rief Roxanne mich zu meiner Überraschung an, um mir zu sagen, dass sie und ihre Eltern zu einer weiteren Sitzung kommen wollten. Dieses Mal verlief das Gespräch freundlich, aber oberflächlich. Roxanne lobte die Schuhe ihrer Mutter und fragte, wie es ihrer jüngeren Schwester ging. Ihre Mutter fragte wiederum Roxanne, wie es ihr ging. Hatte sie ihre Verbitterung mittlerweile überwunden? Roxanne, die sich wieder bevormundet und abgelehnt fühlte, versuchte, nicht darauf zu reagieren, doch es gelang ihr nicht. Wütend warf sie ihrer Mutter vor, sie wäre gar nicht wirklich daran interessiert, wie es ihr ginge, sondern würde sich nur darum kümmern, möglichst höflich zu erscheinen. Ich erwartete das Schlimmste. Doch dieses Mal reagierte Roxannes Mutter nicht verärgert und versuchte auch nicht, ihre Tochter zu unterbrechen. Sie sagte nicht viel, aber sie unterbrach sie auch nicht, um sich selbst zu verteidigen. Wie schaffte sie es, den wütenden Anschuldigungen ihrer Tochter dieses Mal zuzuhören? Ich weiß es nicht. Aber sie tat es.

Eine der schwersten Bürden einer Mutter ist es, die Zielscheibe der Launen ihrer Kinder – zwischen Bedürfnis und Wut – zu sein. Diese Wut richtet sich gegen die Mutter, ganz egal, wie liebevoll sie auch sein mag. Es ist ein Teil des Ablöseprozesses. Roxannes Mutter schien dies zu fühlen und erinnerte sich womöglich daran, dass ihre Tochter auf die eine oder andere Art doch noch ein kleines Mädchen war.

Roxanne schien von ihrer Mutter eine Art Vergeltung zu erwarten. Als dies aber nicht eintrat, beruhigte sie sich sichtlich. Sie wollte scheinbar einfach nur angehört werden.

Danach schien sich die Beziehung von Roxanne zu ihrer Familie grundlegend zu verändern. Wo vorher Monologe oder Schweigen dominierten, entwickelte sich nun ein Dialog. Roxanne rief zu Hause an und schrieb. Sie vertraute sich ihrer Mutter an. Nicht immer, natürlich, und auch nicht immer erfolgreich. Dennoch hatte Roxanne es geschafft, offener zu ihrer Mutter als Mensch zu sein und sie nicht ständig als Mutter anzusehen, die alles richtig zu machen hatte. Roxanne löste sich dadurch von ihrer Rolle als Kind und entwickelte sich mehr zu einer jungen Frau, die bereit für ihr eigenes Leben war.

Roxannes unerfülltes Bedürfnis, angehört zu werden, führte zu einer Isolation von anderen Menschen und einer tiefen inneren Verbitterung. Das Loswerden dieser Last war wie das Einreißen einer Mauer, die sie daran gehindert hatte, sich anderen Menschen verbunden zu fühlen. Dass ihre Gefühle etwas infantil waren, zeigt nur, dass sie eine sehr lange Zeit unter Verschluss gehalten wurden. Das Gespräch mit Noreen, der es nicht darum ging, sich zu verteidigen, half Roxanne dabei, ihre eigene Stimme zu finden.

Bei jenem zweiten Treffen hatten Roxanne und ihre Eltern einen dieser Momente herbeigeführt, die ab und zu in Familien entstehen, wenn jemand etwas sagt und sich plötzlich alles verändert. Nur war es diesmal nicht das, was Roxanne gesagt hatte, das zu dieser Veränderung führte. Sie hatte all diese Dinge schon früher geäußert. Anders war diesmal, dass ihre Mutter ihr eigenes Bedürfnis, recht zu haben, zurückstellte und ihr einfach nur zuhörte.

Wenn wir die unausgesprochenen Gefühle hinter der Wut oder Ungeduld eines anderen Menschen bemerken, entdecken wir die Kraft, die die Verbitterung verschwinden lassen kann, die viele Menschen voneinander trennt. Mit ein bisschen Mühe können wir den Schmerz, der sich hinter einer feindseligen Haltung verbirgt, das Ressentiment, das hinter Vermeidungsstrategien steckt und die Verletzlichkeit, die Menschen davon abhält, miteinander zu reden oder einander wirklich zuzuhören, spüren. Wenn wir uns der heilsamen Kraft des Zuhörens bewusst werden, können wir uns sogar Dinge anhören, die uns unangenehm sind.

Angehört zu werden heißt ernst genommen zu werden. Es stillt unser Bedürfnis, uns selbst auszudrücken und uns anderen verbunden zu fühlen. Ein aufmerksamer Zuhörer erlaubt uns, all das auszudrücken, was wir denken und fühlen. Angehört und anerkannt zu werden hilft uns dabei, sowohl unsere Gedanken wie auch unsere Gefühle zu ordnen und dabei unsere Selbstwahrnehmung zu stärken. Indem wir versichert bekommen, dass unser Verhalten verständlich ist, hilft uns der Zuhörer dabei, uns unsere Menschlichkeit zu bestätigen. Wenn uns nicht zugehört wird, fühlen wir uns ignoriert, übergangen, nicht anerkannt und allein. Das Bedürfnis, dass man anerkannt, von jemandem, der zuhört, akzeptiert und die eigene Erfahrungswelt verstanden wird, ist für das menschliche Herz so wichtig wie Essen und Trinken für den Körper.

Ohne genügend wohlwollendes Verständnis in unserem Leben werden wir von einer kaum greifbaren Beklemmung verfolgt, die uns ängstlich und einsam werden lässt. Solche Gefühle lassen sich nur schwer ertragen, also suchen wir Trost in passiver Realitätsflucht: Wir schalten den Fernseher ein, flüchten uns zu Tom und Jerry oder stürzen uns in die fiktive Welt von Popstars und anderen Berühmtheiten, die ein aufregendes Leben führen. Natürlich ist nichts Verwerfliches daran, sich entspannen zu wollen. Aber warum schalten wir den Fernseher an, wenn gerade nichts läuft? Und warum fühlen wir uns unwohl, wenn das Autoradio nicht läuft, auch wenn wir nicht zuhören?

Normalerweise verbinden wir passive Realitätsflucht mit Stressbewältigung. Es mag stimmen, dass viele von uns sich am Ende des Tages fix und fertig fühlen, doch kann das statt an Überarbeitung auch daran liegen, dass uns in unserem Leben nicht genug Verständnis entgegengebracht wird. Was uns besonders fehlt, ist die Aufmerksamkeit und die Anerkennung responsiver Selbstobjekte, also von Menschen, denen wir wichtig sind und die uns interessiert zuhören. Wenn die Qualität unserer Beziehungen nicht ausreicht, um unser inneres Gleichgewicht und unseren Enthusiasmus aufrechtzuerhalten, oder wenn wir nicht in der Lage sind, diese Qualität herbeizuführen, flüchten wir vor unserem kränkelnden Selbstwertgefühl. Wir suchen nach Stimulation, Aufregung, Empfänglichkeit, Befriedigung – denselben Gefühlen, die durch ein Gespräch von Herz zu Herz mit einem Menschen, der uns wichtig ist, entstehen können. Doch ohne eine Person, mit der wir reden können, werden einige von uns weiter versuchen, die Stille zu übertönen, da wir ohne ablenkende Unterhaltung womöglich das leise Rumoren der Verzweiflung hören würden.

ÜBUNGEN

1. Wer ist der beste Zuhörer, den Sie kennen? Was macht diese Person zu einem guten Zuhörer? (Unterbricht sie Sie nicht? Stellt sie interessierte Fragen? Erkennt sie an, was Sie gesagt haben?) Wie fühlt es sich an, mit dieser Person zusammen zu sein? Was können Sie von dieser Person lernen, das Sie selbst zu einem besseren Zuhörer machen könnte?

2. Worüber reden Sie nicht so gern mit Ihrem Partner? Warum? Was geschieht mit diesen unterdrückten Gedanken und Gefühlen? Welche Folgen hat das Verschweigen dieser Gefühle für Sie? Und für Ihre Beziehung?

3. Wer sollte es bemerken, wenn Sie ein besserer Zuhörer werden? Welche Gespräche würden Ihrem Wunsch nach anders verlaufen?

4. Welche Schlüsse ziehen Menschen, die glauben, dass Sie ihnen nicht richtig zuhören, Ihrer Meinung nach daraus? Wozu führt dies schlussendlich?

5. Welche Schlüsse ziehen Menschen, die glauben, dass Sie ihnen zuhören, Ihrer Meinung nach daraus? Wozu führt dies schlussendlich?

6. Wenn Sie das nächste Mal etwas stark belastet, spüren Sie nach, wie sehr Ihr Wunsch wächst, mit jemandem darüber zu reden. Hält etwas Sie zurück? Worüber machen Sie sich Sorgen? Wenn Sie Ihre Gefühle doch mit jemandem teilen, was passiert dann?

KAPITEL 2

„DANKE FÜRS ZUHÖREN“

Wie Zuhören uns formt und uns miteinander verbindet

Durch Gespräche mit anderen definieren und stärken wir uns selbst. Anerkennung – wirklich angehört zu werden – ist die bestätigende Reaktion einer anderen Person uns gegenüber, die unsere Erfahrungen bedeutungsvoll macht. Diese Anerkennung lässt uns begreifen, dass wir die Urheber unsere eigenen Handlungen sind. Wie wir in Kapitel 1 gesehen haben, ist das Ausdrücken von Gefühlen und deren Anerkennung ein wechselseitiger Prozess, der für unser seelisches Wohlergehen sehr wichtig ist. Wir gestalten unser Leben im Dialog. Wenn bestätigendes Zuhören uns definiert und stärkt, muss es von jemandem kommen, den wir selbst ebenfalls anerkennen. Der Versuch, ein Gleichgewicht zwischen Ausdruck (Reden) und Anerkennung (Zuhören) zu finden, erlaubt es uns und den Menschen, die uns wichtig sind, als souveräne Gleichgestellte zu interagieren.

Wenn Ihr Leben oder eine sehr wichtige Beziehung nicht im Gleichgewicht ist – wenn Sie nicht genügend Möglichkeiten bekommen, sich auszudrücken, und es auch nicht genügend gegenseitige Anerkennung gibt – haben Sie das Nachsehen. Zuhören ist wichtig für die Bildung eines starken und gesunden Selbstwertgefühls und die Bildung starker und gesunder Beziehungen.

Was dem Zuhören einen derartig großen Einfluss verleiht, ist die Kraft von Worten, Erfahrungen zu teilen und nachfühlbar zu machen – oder aber diesen zu widersprechen und sie zu verfälschen. Was verstanden und akzeptiert wird – „Ja, ist das nicht großartig!“ – wird zum Teil des sozialen Selbst, des Selbst, das Sie besitzen und mit anderen teilen. Was nicht anerkannt wird – „Solche Gefühle solltest du gar nicht haben!“ – wird zum Teil des privaten Selbst, das uns insgeheim zwar bekannt ist, das aber nicht geteilt oder sogar abgelehnt und versteckt wird, manchmal sogar vor uns selbst. Verhängnisvollerweise wird vieles von dem, was keine Akzeptanz findet, sogar als Teil von uns abgelehnt, was der Psychoanalytiker Harry Stack Sullivan als „Nicht-Ich“ bezeichnet hat.1 Einige Eltern sind womöglich zu angespannt, um die Wut ihres Kindes zu tolerieren, andere zu peinlich berührt, um die sexuellen Gefühle ihres Kindes zu billigen. Jeder von uns wächst mit einigen Erfahrungen auf, durch die das Selbst so stark mit Ängsten vergiftet wurde, dass sie sich nicht in den Rest unserer Persönlichkeit integrieren lassen. Zuhören formt uns, während ein Nichtgehörtwerden uns verformt.

Eine junge Mutter im sportlichen Jeans-Look schimpfte mit ihrem kleinen Mädchen, weil es eine Barbiepuppe wollte. Es wäre ein dummes Spielzeug, das Kind sollte sich schämen, so etwas zu wollen, sie sollte etwas mehr Selbstwertgefühl haben. Es tat weh, das mit anhören zu müssen. Die traurige Ironie dieser Situation, in der eine Mutter verbal auf ihre kleine Tochter eindrosch, um ihr Selbstachtung zu vermitteln, ließ sich kaum verdrängen. Sollte eine Mutter ihrer Tochter eine Barbiepuppe zugestehen, weil all die anderen Kinder eine haben? Das ist allein ihre Sache. Sie sollte ihrer Tochter aber ihre eigene Meinung zugestehen.

Nach und nach entsteht durch das Zusammenspiel von Eltern und Kind ein Selbst, das durch Sprache und Zuhören organisiert ist, zum Teil auf der natürlichen Erfahrungswelt des Kindes basierend, und zum Teil auf den Werten, die ihm seine Eltern vermitteln. Das Kind, dem zugehört wird, wächst unversehrt und selbstsicher auf. Dem Kind, dem nicht zugehört wird, fehlt das Verständnis, das es für die Entwicklung der Selbstannahme braucht, und es wird durch die Wünsche und Ängste der anderen „verbogen“. Das meinte der Psychotherapeut Carl Rogers damit, als er sagte, die angeborene Tendenz zur Selbstaktualisierung des Kindes werde durch das Bedürfnis, anderen zu gefallen, untergraben.2

Was nie gehört wird, betrifft mehr als nur den Unterschied zwischen dem gesellschaftlich Teilbaren und dem Privaten; es treibt einen Keil zwischen das wahre Selbst und das falsche Selbst.

Der Samen unserer Fähigkeit, zuzuhören, wird im frühen Kindesalter gesät. Sein Gedeihen ist von der Qualität unserer Beziehung zu unseren Eltern abhängig. Eltern, die zuhören, geben ihrem Kind das Gefühl, wertgeschätzt und anerkannt zu werden. Wem zugehört wird, dem wird dabei geholfen, ein sicheres Selbstwertgefühl zu entwickeln. Dadurch geben wir einem Kind genügend Selbstachtung mit auf den Weg, um seine eigenen Talente und Ideen zu entwickeln und neue Beziehungen mit Vertrauen einzugehen.