Die Magie der Flamm - Leann Porter - E-Book

Die Magie der Flamm E-Book

Leann Porter

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Beschreibung

Zwanzig Schritte. Weiter dürfen sich Dashan und Flint nicht voneinander entfernen, sonst werden sie von ihren Giftarmreifen getötet. Ein Schmied verspricht Hilfe. Doch zunächst müssen Dashan und Flint einen Auftrag für ihn erledigen, bei dem sie von einer Katastrophe in die nächste schlittern. Sie legen sich mit der Diebesgilde an, kämpfen mit Dashans neuentdeckten Flamm-Fähigkeiten und werden zu allem Überfluss von einem rachsüchtigen Meisterdieb verfolgt. Ist ihre Liebe stark genug, um gegen ihre inneren Dämonen zu bestehen? Überlebt sie eine Reise voller Gefahren und Zweifel? Denn Freiheit ist nicht immer das, was sie zu sein scheint.

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Seitenzahl: 732

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Die Flamm-Chroniken

Teil 2: Die Magie der Flamm

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2020

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© Stunning Art – shutterstock.com

© Studio DMM Photography,

Designs & Art – shutterstock.com

© Daniela Pelazza – shutterstock.com

© herryfaizal – shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-386-8

ISBN 978-3-96089-387-5 (epub)

Inhalt:

Zwanzig Schritte.

Weiter dürfen sich Dashan und Flint nicht voneinander entfernen, sonst werden sie von ihren Giftarmreifen getötet.

Ein Schmied verspricht Hilfe. Doch zunächst müssen Dashan und Flint einen Auftrag für ihn erledigen, bei dem sie von einer Katastrophe in die nächste schlittern. Sie legen sich mit der Diebesgilde an, kämpfen mit Dashans neuentdeckten Flamm-Fähigkeiten und werden zu allem Überfluss von einem rachsüchtigen Meisterdieb verfolgt.

1. Kapitel

Der Schatten.

Nachtjäger.

Panther.

Dunkler Geist.

Die Katze.

So nannten sie ihn, doch den Namen, den er sich selbst gegeben hatte, kannte nur einer.

Er mochte die Namen, jedenfalls die meisten. Sie passten zu seinem dritten Leben. Angeblich besaßen Katzen sieben davon, genau wie er. Zwei hatte er bereits verloren.

Geschmeidig wie eine Katze, schattengleich, glitt er im Schutz der Mauer durch die Dunkelheit. Betäubend schwer kroch ihm Blütenduft in die Nase. Die Königin der Nacht blühte nur ein Mal im Jahr für ein paar Tage. Diesmal hatte sie sich ein besonderes Datum ausgesucht. Ein besseres Geschenk hätte Janus sich nicht wünschen können. Er folgte der Spur des Duftes, alle Sinne offen. In einem Baum über ihm tschilpte ein Vogel, nur ein zaghafter Laut, wie in einem tiefen Traum hervorgebracht. Wovon mochten Vögel träumen?

Auch dieser Gedanke ein Geschenk, das nur einer zu würdigen wüsste.

Geduckt pirschte Janus durch den weitläufigen Garten. Bei Tageslicht bot die Tempelanlage einen prachtvollen Anblick, die richtige Mischung aus Verspieltheit und Ordnung. In Mustern angelegte Beete wechselten sich mit seerosenbedeckten Teichen und verwunschen wirkenden Brunnen ab. Janus stellte sich vor, wie die Tempeldiener nachmittags zwischen den Blüten umherschritten, hier ein welkes Blatt abzupften, dort eine Pflanze mit Wasser versorgten.

Tan würde nicht unter ihnen sein. Dazu auserwählt, für immer ein Dasein in der Dunkelheit zu fristen, kannte er den Garten nur aus Erzählungen. Wenigstens den Duft der Königin der Nacht wollte Janus ihm bringen, die Blüte vergänglich und flüchtig wie das Band zwischen ihnen. Ein Band, das Janus seit einem Jahr wieder und wieder dazu brachte, sich in den Tempel zu schleichen. Die Gefahr einer Entdeckung nahm er auf sich. In anderen Nächten riskierte er seine Freiheit für ein Schmuckstück, ein Gemälde oder sonst etwas, das seine Auftraggeber begehrten. Die Treffen im Tempel waren kostbarer für ihn als jegliches Geschmeide. Und sie waren es mehr als wert, einen ebenso hohen Einsatz zu erbringen wie für seine Diebstähle.

Flink wie eine Maus schlich er auf das Beet zu, in dem die Königin der Nacht wuchs. Die Maus. Ein frischer Name, der Janus eine völlig neue Bedrohlichkeit verleihen würde. Die maskierte Maus vielleicht? Janus grinste. Damit könnte er Tan zum Lachen bringen. Doch zuerst das Geschenk. Im Mondlicht schimmerten die Blüten weiß, schienen von innen zu leuchten. Auf den Mond hätte Janus gut verzichten können. In dieser Nacht wurde er einem seiner Grundsätze untreu: Niemals bei Vollmond auf die Jagd gehen. Doch es war ihr Jahrestag und Grundsätze waren dazu da, um gebrochen zu werden.

Ein paar Schritte musste Janus ohne Deckung zurücklegen. Die Runde der Wachen kannte er. In diesem Moment befanden sie sich auf der anderen Seite des Tempels. Niemand würde bemerken, dass er eine Blüte mitnahm. Schon stand er vor der Königin, verneigte sich, halb spöttisch, halb in Vorfreude versunken. Er sah Tans Gesicht vor sich, sein überraschtes Lächeln, wie er sich mit gesenkten Lidern über die Blüte beugen und an ihr schnuppern würde und ihn danach …

»Halt! Stehenbleiben!«, schallte es durch den Garten.

Janus riss, ohne zu zögern, eine Blüte ab und wandte sich zur Flucht. Er hielt sich in den Schatten der Bäume, verschmolz mit ihnen.

»Stehen bleiben!«

»Ein Dieb!«

»Schneidet ihm den Weg ab!«

Keuchend und mit knirschenden Schritten trampelten die Wachen über die Kieswege. Janus verzog unwillkürlich den Mund. Die machten mehr Lärm als eine Rotte Wildschweine. Doch ihre stümperhafte Art der Verfolgung täuschte ihn nicht darüber hinweg, dass er sich in Bedrängnis befand. Woher beim zehnarmigen Wasserdämon waren die plötzlich gekommen? Warum hatten sie ihre gewohnte Runde geändert?

Verrat.

Jemand musste ihn verraten haben. Es gab nur eine Möglichkeit, und die wollte Janus jetzt nicht in Erwägung ziehen. Er brauchte all seine Geistesgegenwart, um den Verfolgern zu entkommen. Wie ein Panther setzte er über ein Wasserbecken, tauchte in einen Säulengang, schlug einen Haken und sprang, zog sich auf die mit Weinreben bewachsenen Holzstreben und tänzelte von einer zur nächsten. Der Dunkle Tänzer. Einer seiner Lieblingsnamen.

»Da oben!«

Verdammter Vollmond!

Mit einem Überschlag ließ Janus sich von dem Laubendach fallen. Vor seinem inneren Auge sah er den Grundriss des Tempelgartens. Er kannte die Lage jedes Teichs, jedes Beets, jeder gestutzten Hecke. Rasch schätzte er ein, wo sich die Wachen aufhielten. Sie machten es ihm leicht, da sie sich ständig Hinweise zubrüllten und sich auch sonst keinerlei Mühe gaben, sich an ihn anzuschleichen. Sie waren sich zu sicher, ihn schon so gut wie gefasst zu haben. Da kannten sie den Nachtjäger schlecht!

Er huschte zwischen den Beeten hindurch auf die Mauer zu. Aus vollem Lauf sprang er, streckte sich in der Luft und packte mit beiden Händen die Eisenspitzen, die aus der Mauerkrone ragten. Eigentlich dafür gedacht, um Eindringlinge abzuschrecken, nutzte er sie nun für seine Zwecke. Kraftvoll zog er sich auf die Mauer und verharrte einen Moment. Sein Atem ging nur kaum merklich schneller. Gut so. Die Wachtposten dagegen schnauften und riefen, rannten ziellos durch den Garten. Einer von ihnen fiel gar in ein Wasserbecken. Zum Lachen hatte Janus keine Zeit. So komisch das unbeholfene Vorgehen der Wachen auch wirken mochte, sie waren in der Überzahl und er musste schleunigst verschwinden.

Dank seiner guten Nachtsicht konnte er über die dolchscharfen Spitzen auf der Mauerkrone hüpfen wie eine Amsel. Die Amsel des Schreckens. Auch dieser Name würde ihm gefallen. Tan sicher auch.

Tan. Scharfer Schmerz schoss durch Janus’ Brust. Hatte Tan ihn wirklich verraten? Ausgerechnet heute? Hatte sich Tan etwa diese Begrenzung gesetzt? Ein Jahr mit dem Dieb, nicht länger?

Nein, so eine Denkweise passte eher zu Janus. Doch was Tan anging, würde er sich nie Begrenzungen auferlegen. Tan – was war das nur, das Janus immer stärker zu ihm hinzog, ihn alles vergessen ließ? Wegen Tan vernachlässigte er seine Arbeit als Meisterdieb. Viel zu viel Zeit verbrachte er im Tempel, mehr als auf Diebeszügen und selbst, wenn er nicht bei Tan war, beherrschte dieser seine Gedanken.

Janus tanzte über die kaum mehr als zwei Hand breite Mauerkrone und bedauerte beinahe, dass niemand seine Vorstellung bewunderte. Er befand sich nun auf der anderen Seite des Gartens. Die Wachen, dunkle Umrisse im Mondlicht, irrten noch immer ohne ersichtlichen Plan zwischen den Beeten und Teichen umher. Die Lampen in ihren Händen wirkten aus der Entfernung wie Glühwürmchen. Nach einem letzten prüfenden Blick schwang sich Janus von der Mauer und wollte durch das offene Tor in das Tempelgebäude schleichen. Zu seiner Überraschung stand er vor einem Wachtposten, der sofort die Laterne hochriss. Janus’ Körper übernahm das Kommando. Ohne, dass er darüber nachdenken musste, schoss sein linker Arm nach vorn. Die Handkante krachte gegen den Hals des Wachtpostens. Bevor die Laterne ihm aus den Fingern glitt, erhaschte Janus einen Blick auf nach oben verdrehte Augen. Mit einem erstickten Gurgeln ging der Mann zu Boden.

Verdammt, das hätte nicht passieren dürfen. Wütend auf sich selbst sprang Janus über den reglosen Körper. Während er lautlos durch die Flure und Säle des Tempels huschte, bedachte er sich mit Schmähnamen: Blindfisch, Taubfrosch, Dummbratz. Abgelenkt durch Tans Verrat, an den er immer noch nicht recht glauben konnte, es einfach nicht wollte, hatte er nicht aufgepasst und wäre um ein Haar aufgeflogen. Wenn er schlau wäre, würde er den Tempel auf schnellstem Weg verlassen. Bald würden die Wachen, nachdem sie im Garten nicht fündig geworden wären, sämtliche Räume des Tempels durchsuchen. Wenn er schlau wäre, würde er es in dieser Nacht beenden. Die unsägliche Verbindung zu Tan, die ihn allmählich in einen verliebten Trottel verwandelte, passte nicht zu ihm, dem Nachtjäger, dem einsamen Maskenmann, dem gefürchteten Meisterdieb.

Als er die Tür zu Tans Gemächern aufschob, fühlte er sich keinem seiner Namen auch nur halbwegs gewachsen. Er wollte nur eins wissen: War Tan seiner überdrüssig geworden? Hatte er ihn wirklich verraten? Er musste sich Gewissheit verschaffen, und das konnte er nur jetzt, da er in Tans Gesicht die Wahrheit zu lesen vermochte. Was würde er finden? Schuld? Reue?

Seine Schritte verursachten auf den Marmorfliesen des Vorraums kein Geräusch. Nachtwind spielte mit den bodenlangen Vorhängen an den geöffneten Fenstern. Vom Balkon aus hätte Janus einen Blick in den Garten werfen können, nachsehen, ob die Wachen ihre Suche fortsetzten, aber er wollte erst zu Tan.

In der Mitte des Raumes befand sich ein Wasserbecken, in dem rotglitzernde Fische träge die Flossen bewegten. Nur der gedimmte Schein einer einzigen Laterne, die auf einem niedrigen Tisch stand, erfüllte das Zimmer mit schwachem Licht. Mehr als genug für Janus. Auf leisen Sohlen betrat der Tans Schlafzimmer.

Mit einem Rascheln seiner Flügel hob der Rabe auf der Sitzstange in der Ecke den Kopf. Janus sah seine Augen funkeln, dann schob der Rabe den Schnabel wieder zwischen die Federn. Er kannte Janus gut genug, um keinen Alarm zu schlagen.

Tan lag auf dem breiten Bett, auf die Seite gedreht, seine Wange ruhte auf dem Unterarm. Ein Streifen Mondlicht fiel auf Tans blasses Gesicht. Eine helle, knielange Tunika schmiegte sich an seine schlanke Gestalt, der Stoff so dünn, dass Janus sich einbilden konnte, Tans samtige Haut hindurch schimmern zu sehen. Ein paar Strähnen weißblonden Haares fächerten ihm in die Stirn. Janus pirschte sich an ihn heran, lauschte seinen ruhigen, gleichmäßigen Atemzügen, beobachtete das kaum merkliche Zucken der Lider. Tans geschwungene Lippen waren leicht geöffnet. Ein dünner Speichelfaden rann ihm aus dem Mundwinkel. Mehr als seine unbestreitbare Schönheit versetzte gerade diese kleine Unzulänglichkeit Janus einen Stich. Er wehrte sich gegen das ungewollte Aufwallen von Zärtlichkeit, kämpfte gegen den Drang, die Hand auszustrecken und Tan das Haar aus der Stirn zu streichen. Seine Fingerkuppen prickelten in dem sehnlichen Wunsch, die weichen Strähnen zu spüren.

»Tan«, flüsterte er.

Tan schlug die Augen auf. Janus wandte den Blick nicht von ihm, achtete auf jede Regung. Er fürchtete sich nicht vor dem, was er sehen würde. Selbst wenn sich sein Verdacht bestätigte, könnte er damit umgehen. Ihm war schon Schlimmeres widerfahren als der Verrat eines Mannes, den er kaum kannte und mit dem ihn nichts weiter verband als ein paar gestohlene Nächte.

Tans Lippen verzogen sich zu einem gleichermaßen schläfrigen wie glücklichen Lächeln. »Janus.« Er gähnte, räkelte sich und setzte sich auf, streckte die Hand nach Janus aus.

»Woher weißt du, dass ich es bin?«, sagte Janus aus Gewohnheit die Worte, die er schon so oft an Tan gerichtet hatte, nur um immer die gleiche Antwort zu erhalten. Auch diesmal schüttelte Tan sacht den Kopf und flüsterte: »Wie sollte ich es nicht wissen, wenn mein Herz tanzt und dein Duft mir die Sinne betört?«

»Das ist nicht … Ach, Scheiße.« Erst jetzt erinnerte sich Janus an die Blüte. Er öffnete die zur Faust geballte Hand. Ein paar zerknautschte weiße Blätter rieselten zu Boden. Tan reckte die Nase in die Luft und schnupperte. »Ah, die Königin der Nacht ist erblüht. Die Wachen erzählten davon.«

»Ja«, knurrte Janus. »Ich wollte dir eine Freude machen, und jetzt …«

»Kommst du darum so spät?« Tan tastete nach Janus.

Eigentlich hatte sich Janus von ihm fernhalten wollen, bis er sich Gewissheit verschafft hatte, doch brauchte er wirklich noch mehr? Tan lächelte ihn an wie immer und als Janus seine Hand ergriff, drückte er sie vertrauensvoll. So benahm sich kein Verräter. Es sei denn, er war ein guter Schauspieler. Wie Tan.

»Die Wachen haben ihre Runde geändert«, stieß er mit zusammengebissenen Zähnen hervor.

Tan runzelte die Stirn, dann riss er die Augen auf. Von einem milchweißen Schleier bedeckt vermochten sie nichts zu sehen, trotzdem fühlte es sich für Janus so an, als könnte Tan ihm sein Misstrauen vom Gesicht ablesen. Vermutlich konnte er es riechen.

»Oh nein. Haben sie dich gesehen? Suchen sie nach dir?«

»Sie suchen nach irgendjemandem. Besonders schlau stellen sie sich nicht an.«

»Wundert dich das? Es gibt nicht viele Wagemutige, die in das Allerheiligste des Tempels der Ukonie eindringen.« Tans Lächeln täuschte nicht über seinen besorgten Ton hinweg. »Dann werden sie wohl bald hier sein.«

Wie auf ein Stichwort hämmerte es gegen die Tür. Tan glitt aus dem Bett und lief mit schlafwandlerischer Sicherheit durch das Zimmer. Janus folgte ihm durch den Vorraum. Nun würde sich zeigen, ob sein Misstrauen berechtigt war.

Tan trat dicht an die Tür heran. Die Wachen riefen draußen etwas, das Janus nicht verstand.

»Hier ist alles ruhig«, antwortete Tan, verlieh seiner Stimme eine schläfrige Note. »Mein Rabe würde mich warnen, seid unbesorgt. Ja, viel Erfolg.«

Polternde Schritte entfernten sich. Tan drehte sich um und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Tür. Mit erhobenen Brauen wandte er das Gesicht in Janus’ Richtung, der längst aufgegeben hatte, sich zu fragen, woher Tan immer so genau wusste, wo er sich befand. »Du warst unvorsichtig.«

Da musste ihm Janus recht geben. Erleichterung überwog den Ärger über sein Versagen, nur um sogleich von Scham abgelöst zu werden. Tan hatte ihn nicht verraten und er fühlte sich mies, weil er auch nur einen Atemzug lang an ihm gezweifelt hatte.

Mit wenigen Schritten war Tan bei ihm, tastete nach seiner Kapuze und schob sie nach hinten, legte die Handflächen an den Stoff der Maske, die Janus’ Gesicht bedeckte.

»Ich weiß, du hast es getan, weil du mir eine Freude bereiten wolltest«, wisperte er, dicht an Janus’ Lippen. So zierlich er auch wirkte, war er genauso groß wie Janus. »Aber ich bitte dich, tu das nicht noch mal. Die größte Freude bist du. Ich brauche keine Geschenke.«

»Es ist unser Jahrestag.«

Tan lächelte strahlend. »Du hast daran gedacht!«

»Wie könnte ich nicht? Eigentlich ganz passend, dass ich ausgerechnet heute fast erwischt worden wäre.«

Tans leises Lachen klang ihm wie Musik in den Ohren.

»Damals bist du nicht nur fast erwischt worden, sondern richtig.« Tan grinste. »Und zwar von mir.«

»Auch das habe ich nicht vergessen.«

Bereitwillig ließ sich Janus von Tan zurück ins Schlafzimmer ziehen und nahm neben ihm auf dem Bett Platz. Tan streifte ihm die Handschuhe ab, küsste seine Fingerspitzen. »Also ist es ein Jahr her, dass ich einen gefährlichen Meisterdieb gefangen habe. Das ist wahrlich ein Grund zum Feiern.«

»Du hast den gefährlichen Meisterdieb freigelassen.«

»Und doch kommt er immer wieder zu mir zurück.« Tan ließ seine Hand über Janus’ Umhang gleiten, drückte seine Schulter und zog ihm behutsam die Maske vom Gesicht. Ein Windhauch strich über Janus’ Wangen wie eine Liebkosung. Nur selten kam Luft an sein Gesicht. Er genoss das ungewohnte Gefühl von kühler Freiheit. Noch mehr genoss er den Kuss, den Tan ihm gab und dabei auf seinen Schoß rutschte, bis er rittlings über ihm kniete, die Arme um seine Schultern geschlungen.

Janus konnte nichts gegen das zittrige Stöhnen tun, das ihm entkam. Für einige furchtbare Augenblicke hatte er gedacht, er hätte dies hier verloren. Dass er Tan verloren hätte. Er legte die Hände auf seine Schulterblätter, zog ihn näher an sich heran und versank in Tans Duft, der Art, wie er sich an ihn schmiegte.

»Weißt du noch?«, raunte Tan. »Die Nacht, in der du in den Tempel eingebrochen bist und ich dich mit einer Opferschale niedergeschlagen habe?«

»Die Beule habe ich jetzt noch.«

Sanfte Finger strichen durch sein Haar, über die Stelle, die Tan damals getroffen hatte. In Wahrheit war nichts zurückgeblieben. Der Schlag hatte keine Spuren hinterlassen. Die Begegnung mit Tan hingegen schon. Unsichtbare Spuren auf Janus’ Seele, von der er bis zu der besagten Nacht nie geahnt hatte, dass er überhaupt eine besaß.

»Du hattest Angst vor mir.«

»Und du keine vor mir.«

Natürlich war Janus sofort klar gewesen, wen er vor sich hatte. Der blinde Seher von Scull war bis weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt für seine ebenso weisen wie rätselhaften Vorhersagen und seine Fähigkeit, Verlorenes aufzuspüren. Janus hatte ihn selbst mehrmals aufgesucht, bis die Besuche seine Ersparnisse aufgezehrt hatten. Doch es war etwas anderes, ihm bei einer bewachten Anhörung zu begegnen, ihn nur aus der Ferne sehen zu können, wie er auf dem Podest saß, die Beine untergeschlagen, den Rücken sehr gerade und den milchigen Blick in eine Welt gerichtet, die nur ihm offenstand. An seiner Seite hatte eine Statue gestanden, die Ukonie zeigte, mit gütigem Lächeln, die Hand zum Segen ausgestreckt. Tan hatte selbst wie eine Statue gewirkt, kühl und unnahbar, mit feingemeißelten Gesichtszügen.

Kein Vergleich zu dem jungen Mann mit den geröteten Wangen und dem zerzausten hellen Haar, der sich mit erhobener Opferschale über Janus gebeugt hatte, bereit, noch einmal zuzuschlagen.

»Du hast mich gefragt, was ich im Tempel zu finden hoffe.«

»Und du hast geantwortet, dass du vorhast, eine goldene Statue von Ukonies Wassergeistern zu stehlen.«

»Ja, nur eine kleine, damit ich sie leicht mitnehmen kann.«

»Als hätte mich das besänftigen können.«

»Nun ja, das hat es doch auch.«

Tan gluckste. »Nein, das war deine Ehrlichkeit.«

»Weil ich schließlich zugegeben habe, dass es mir nicht um die Statue ging, sondern darum, etwas zu tun, was mir niemand zugetraut hat?«

»Vielleicht.«

Tan strich durch Janus’ Haar, ließ die Strähnen durch seine Finger gleiten. Es war viel zu lang. Janus musste es schon zu einem Knoten winden, damit es ihn bei der Arbeit nicht behinderte. Wenn er klug wäre, hätte er es längst abgeschnitten. Doch Tan mochte es so und Janus mochte es, wie Tan mit seinen Händen hindurchfuhr und die Nase darin vergrub.

Janus strich mit den Lippen über Tans schlanken, weißen Hals. Alles an Tan war hell, rein und makellos. Die Sonne hatte seine Haut lange nicht berührt. Er hielt sich seit seiner frühesten Kindheit nur im Tempel auf.

»Wie war die Anhörung?«

»Langweilig.« Tan verzog das Gesicht und schaffte es, dabei so bezaubernd auszusehen, dass Janus ihn küssen musste. Als sie beide wieder zu Atem gekommen waren, fuhr Tan fort: »Sie erhoffen sich so viel, sie opfern ihr letztes Geld und müssen sich mit dem wenigen bescheiden, das ich ihnen geben kann.«

»Du gibst ihnen Trost und Hoffnung.«

»Ich gebe ihnen Lügen.«

Mit den Fingerspitzen folgte Janus der perfekten Linie von Tans Kinn hinauf zu seinem Ohr. »Was geschieht, wenn jemand herausfindet, dass der berühmte Seher von Scull gar nicht in die Zukunft schauen kann?«

»Sie wissen es. Sie wollen es nur nicht wahrhaben. Die Menschen sehen das, was sie sehen wollen.«

Weise Worte aus dem Mund eines Mannes, der gar nichts sah.

»Willst du mich sehen?«, rutschte es Janus heraus. Er biss sich auf die Lippe und hielt den Atem an.

»Ich sehe dich.« Tan legte wieder die Handflächen auf seine Wangen, diesmal ohne den Schutz der Maske. Er strich mit den Daumen über die vernarbte Haut. »Ich sehe sogar mehr von dir als alle anderen.«

Ja, denn von den Narben angewidert hatte sich außer Tan niemand die Mühe gemacht, sich mit Janus abzugeben. Nicht in seinem zweiten Leben. In seinem dritten verbarg er sein Gesicht hinter Masken, seinen Körper unter einem Umhang. In der Unterwelt von Scull hatte er sich einen Ruf und einen Namen erworben, nein, nicht einen, sondern viele. Und alle sprach man mit Respekt und einer gewissen Scheu aus. Doch den Namen, den Janus für sich gewählt hatte, kannte nur Tan. So wie er einer der wenigen war, die den Namen des Sehers von Scull kannten. Tanolar. Schön wie ein Lied. Schön wie Tan.

»Janus«, sagte Tan, als hätte er Janus’ Gedanken erraten. »Ich bin sehr froh darüber, dass du vor einem Jahr hier eingebrochen bist.«

»Und ich bin froh darüber, dass du mich nicht erschlagen hast.«

Tan knuffte ihn in die Seite, nur um ihn gleich darauf zu küssen. »Erinnerst du dich an unseren ersten Kuss?«

»Nein. Zeig ihn mir.«

Als Tan ihn freigab, konnte er sich für einen tiefen Atemzug kaum noch an einen seiner Namen erinnern. Er war froh, dass Tan sein törichtes Grinsen nicht sehen konnte. Wie könnte er sich nicht an den Kuss erinnern? Seinen allerersten Kuss, den er nie zu erhoffen gewagt hatte. Immer öfter hatte er Tan besucht, sich in den Tempel geschlichen, nur um Zeit mit ihm zu verbringen. Sie hatten geredet, gelacht, den Opferwein getrunken und eines Nachts, kurz bevor Janus aufbrechen musste, hatte Tan seine warmen Finger in Janus’ Nacken gelegt, wie um ihn an einer Flucht zu hindern, und ihn geküsst, als wäre es das Einfachste von der Welt. Seitdem war viel Zeit vergangen und sie hatten weit mehr getan, als sich lediglich zu küssen.

Tan rückte ein Stück von ihm ab und er musste sich zusammennehmen, um ihn nicht gleich wieder an sich zu ziehen. So viele Jahre ohne eine Berührung. Er litt zweifellos an Nachholbedarf, und für gewöhnlich zeigte sich Tan mehr als bereit, diesen zu decken.

»Hast du was für mich?«

»Tut mir leid, die Blüte …«

»Nein.« Tan streckte auffordernd die Hand aus. »Du wolltest doch etwas mitbringen. Ein altes Spielzeug deines Bruders.«

»Ja, ich habe etwas.« Janus zögerte. In einer der verborgenen Taschen seines Umhangs wartete das hölzerne Spielzeugpferd samt Ritter darauf, von Tan berührt zu werden. In jeder Nacht, die sie gemeinsam verbrachten, suchte Tan nach Janus’ Bruder. Im Gegensatz zu den schwammigen Vorhersagen und Zukunftsdeutungen besaß Tan nämlich wirklich die Gabe, Verlorenes zu finden. Besonders gut war er im Entdecken verschwundener Menschen. Und so berührte er bei jedem von Janus’ Besuchen einen Gegenstand, der einst Dashan gehört hatte. Manchmal konnte er Dashan sehen, manchmal nicht. Zuletzt hatte er ihn vor ein paar Zehnttagen gefunden, hoch oben auf einem Berg. Er konnte keine Aussagen darüber treffen, wo genau sich die Orte befanden, an denen er Dashans Spur aufnahm. Wie auch, da er blind war und den Tempel nie verlassen hatte. Doch allein die Tatsache, dass Dashan lebte und sich offenbar aus der Sicherheit der Burg von Moscary gewagt hatte, schenkte Janus Hoffnung. Irgendwann würde er ihn erwischen, und dann …

»Und? Gib es mir«, forderte Tan ihn auf und riss ihn aus seinen Gedanken. Er schob die Hand in die Tasche, betastete das kantige Holz des Pferdes.

»Nein.« Er zog die Hand zurück und legte sie auf Tans Knie. »In dieser Nacht will ich nicht den Seher von Scull. Ich will nur dich, Tan.«

Tan lächelte, erst ungläubig, dann glücklich. Janus’ Brust zog sich zusammen, als er begriff, dass er Tan soeben ein viel größeres Geschenk gemacht hatte als eine seltene Blüte.

»Dann sollst du mich haben, Janus Nachtjäger.«

2. Kapitel

Spätestens, als Dashan einem Händlerkarren ausweichen musste und in einen Hundehaufen trat, wurde ihm klar, dass der frühe Nachmittag keine gute Zeit war, um sich ins Schmuckviertel zu begeben. Er versuchte, die braune Matsche an einem hervorstehenden Pflasterstein abzustreifen. »Wir sollten besser morgen in aller Frühe gehen.«

Flint hob die Brauen. »Meinst du, dann ist es sinnvoller? Marktbeginn, die Händler füllen die Straßen, um ihre Waren zum Blauen Platz zu schaffen, die meisten Menschen machen sich auf den Weg zur Arbeit oder gehen vorher noch schnell zum Markt, und …«

»Markt, Markt, Markt«, brummte Dashan. »So langsam gehen mir die ständigen Märkte hier auf den Sack. Warum machen die Leute es hier nicht wie in Moscary? Ein Mal in der Woche ein Markt für sämtliche Waren und das war es. Warum brauchen die hier einen besonderen Markt für jeden Pups? Schmuckmarkt, Teppichmarkt, Gewürzmarkt, und warum bei sämtlichen Wasserdämonen müssen die alle an unterschiedlichen Tagen stattfinden?«

Er tat, als würde er Flints Schmunzeln nicht beachten, freute sich aber insgeheim, dass er ihn zum Lächeln bringen konnte. In letzter Zeit war Flint meist in düsterer Stimmung versunken und ein Lächeln oder gar Lachen ein rares Gut geworden. Dashan redete sich ein, dass es nicht an ihm lag, sondern einfach daran, dass sie hier in Scull festsaßen, doch das gelang ihm nicht immer. Er entspannte sich, als Flint den Arm um seine Schultern legte, während sie sich einen Weg durch die schmalen Gassen des Gewürzviertels suchten.

»Scull ist nun mal eine Hafenstadt, die vom Handel lebt. Und zum Handel gehören Märkte wie … wie …«

»Scheiße zum Hund?«

»Genau.«

Dashan hatte es geschafft, Flint lachte und er lachte erleichtert mit. Was kümmerte ihn jetzt noch die Kacke am Stiefel?

»Haltet den Dieb!«, brüllte jemand. Die mit Waren bepackten Händler, die an Dashan und Flint vorbei durch die Gasse hasteten, schauten sich nicht um. Auch Dashan hatte sich längst an den allgegenwärtigen Ruf gewöhnt. Offenbar gehörte zum Handel auch Diebstahl, denn in Scull wimmelte es von Taschendieben, die in dem Gedränge, das überall herrschte, reiche Beute machten. Wenn sie nicht erwischt wurden, denn dann bekamen sie strenge Strafen zu spüren. Diesen gedachte der Flüchtige zu entgehen, denn er huschte wieselflink durch die Menge, zwischen Dashan und Flint hindurch und rempelte Dashan an. Feuerrotes Haar leuchtete auf. Keine sonderlich gute Tarnfarbe für einen kleinen Dieb. Klein sah er wirklich aus, wie er sich unter den ausgestreckten Armen eines selbsternannten Stadtwachenhelfers hinwegduckte, ein Kind noch. Mit der rechten Hand umklammerte der Dieb einen Apfel.

Nur ein Blickwechsel und Dashan und Flint waren sich einig. Mit scheinbarer Lässigkeit drehte sich Dashan um, gerade rechtzeitig, um zwei Soldaten der Stadtwache auf sich zurennen zu sehen. Er trat zur Seite, um sie passieren zu lassen, nur um im passenden Moment einen Fuß auszustrecken. Der erste Soldat stolperte darüber und stürzte, der zweite konnte nicht schnell genug ausweichen und fiel der Länge nach über seinen Kameraden. Wüst fluchend rollten sie über die Gasse, mussten sich Spottrufe gefallen lassen und versuchten, wieder auf die Füße zu kommen. Es gelang ihnen, doch der Dieb war längst in der Menge untergetaucht.

»Du!«, brüllte der Soldat und zeigte mit dem Finger auf Dashan.

Dashan setzte sein unschuldigstes Lächeln auf. Während seiner Zeit als Ritteranwärter am Hof von Moscary hatte er es darin zu einer gewissen Meisterschaft gebracht. »Ja, Herr?«

»Du hast mir ein Bein gestellt!«

»Aber nein, warum sollte ich denn so etwas tun?«

»Steckst du mit dem Dieb unter einer Decke?«

Das Gesicht zorngerötet marschierte der Soldat auf Dashan zu. Der andere kratzte sich am Kopf und wartete ab. Flint nutzte den Moment und rief: »Dahinten rennt er!« Er zeigte unbestimmt in die Ferne.

Der eher mäßige Hinweis reichte den Wachen jedoch, um Dashan zu vergessen und die Verfolgung wieder aufzunehmen. Dashan und Flint tauschten ein Grinsen, doch Flints Miene verzog sich viel zu schnell zu einer Grimasse des Abscheus. »Ein Apfel. Ein hungriges Kind, und die Wachen können es nicht gut sein lassen.«

Auch Dashan fand, dass die Soldaten ein Auge hätten zudrücken können. Doch in Scull herrschten strenge Regeln. Womöglich war das nötig in einer Hafenstadt, in der sich Menschen aus vielen unterschiedlichen Ländern begegneten, um die Ordnung aufrechtzuhalten und Streit zu vermeiden. Streit gab es trotzdem genug. Nicht nur zwischen ihm und Flint. Gedankenverloren passte er nicht auf und bemerkte den Händlerkarren erst, als er ihm schon fast über den Fuß fuhr. Er wollte Platz machen, aber irgendetwas hinderte ihn daran und zerrte ihn vorwärts, näher an den Karren heran. Verwirrt stemmte er sich dagegen, nur um ins Stolpern zu geraten. Er konnte sich gerade noch am Karrenrand festhalten. Nun merkte er, dass sich sein Lederbeutel, den er am Gürtel trug, an einem weit vorstehenden Haken des Karrens verfangen hatte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als neben dem Karren herzutraben und zu versuchen, den Beutel frei zu bekommen. Er nestelte an dem Lederband herum, zuerst nur verärgert, dann immer hektischer.

»Flint!«, brüllte er. Sie durften um keinen Preis getrennt werden. Schwierig genug, neben dem Karren zu bleiben, ohne zu Boden gerissen zu werden und sich gleichzeitig umzudrehen. Dashan schaffte es und riss entsetzt die Augen auf. Flint war von einem weiteren Händler abgedrängt worden. Der Mann zerrte einen Esel mit riesigen Tragekörben hinter sich her und Flint versuchte sichtlich verzweifelt, sich an dem ausladenden Hindernis vorbeizuquetschen.

Hitze flutete über Dashans Handgelenk. Nur die Ruhe. Nur nicht durchdrehen. Aber wie sollte ihm das gelingen, wenn ihn bloß noch wenige Schritte vom sicheren Tod trennten? »Halt den Karren an!«, schrie er. Der Händler bemerkte erst jetzt, dass er einen Gefangenen mit sich führte und starrte Dashan verblüfft an. »Verschwinde, lass meinen Wagen in Ruhe!«

»Ich hänge fest, du Trottel!«

»Was, du nennst mich einen Trottel, du hergelaufener Schönling?«

Der Händler warf sich mit erhobenen Fäusten auf Dashan. Dem war das recht, immerhin war er stehengeblieben. Unter dem ersten Schlag duckte sich Dashan weg, der zweite traf ihn an der Schläfe und brachte ihn ins Taumeln. Wichtiger war ihm, dass der Armreif nicht mehr heiß war. Schon war Flint an seiner Seite und gab dem Händler einen kräftigen Stoß vor die Brust. »Was fällt dir ein, meinen Freund zu entführen?«

Dashan prustete los. Endlich gelang es ihm, den Beutel und damit sich zu befreien. Mit vor Erleichterung weichen Knien stolperte er gegen Flint und packte seinen Arm, um das Gleichgewicht wiederzufinden.

Der Händler starrte Flint mit offenstehendem Mund an. »Da hol mich doch der … wenn das mal kein Flamm ist!«

Flint verbeugte sich, griff nach Dashans Hand und zog ihn weiter, bevor sich der Händler von der Überraschung erholt hatte. »Das war knapp!«

»Kann man wohl sagen«, stieß Dashan hervor. Übelkeit wallte in ihm auf. »Ein Bier auf den Schreck?«

Flint warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Später. Erst der Schmied.«

»Ich glaube kaum, dass der uns weiterhelfen kann.« Genauso wenig wie die Schmiede, die sie vor ihm aufgesucht hatten. Nach einem Blick auf die Armreifen hatten sie alle abgewunken. Zu gefährlich. Es hätte kein gutes Licht auf sie geworfen, wenn sie ihre Kunden umbringen würden. Mittlerweile hegte Dashan den Verdacht, dass die Sturmreiter sie hereingelegt hatten. Es gab in Scull gar keinen Schmied, der ihnen helfen konnte. Das hatten sie nur behauptet, um sie hier in der Hafenstadt zu halten, bis sie zu dem Blutritual abgeholt werden sollten.

»Abwarten.« Flint zog ihn weiter. Endlich verließen sie den Hauptweg zum heutigen Markt und schritten durch eine Gasse, in der nicht ganz so viel Betrieb herrschte. Die Ladenfassaden sahen sauber und gepflegt aus, die Schilder glänzten wie frisch gemalt: »Burts Bronzeschmuck«, »Glänzende Aussichten«, »Die Magie der Edelsteine«. Sah nach dem Schmuckviertel aus.

Dashan befreite sich aus Flints festem Griff und betastete seine schmerzende Braue. »Hier finden wir keinen Schmied. Was soll der hier? Silberne Hufeisen verkaufen? He, ich blute!«

Flint blieb stehen und umfasste Dashans Kinn. »Augenbraue ist ein bisschen aufgeplatzt. Hier.« Er zog ein erstaunlich sauberes Tuch aus der Tasche und drückte es auf die Wunde. »Halt das so fest, dann hört es gleich auf.«

»Ein Bier könnte da helfen.«

»Verdammt, Dashan! Allmählich kommt es mir vor, als wolltest du die Armreifen gar nicht loswerden!«

Dashan zuckte zusammen. Er mied Flints Blick, starrte lieber auf die braunen Flecken an seinem Stiefel. »Doch. Natürlich will ich das.«

Das Erlebnis vorhin hatte ihm einen gewaltigen Schreck eingejagt. Es war leicht, zu vergessen, in welcher Gefahr sie ständig schwebten. Leicht und notwendig, denn sonst hätten sie kaum so lange durchgehalten. Zwanzig Schritte – das war nicht sonderlich viel. Wenn sie sich weiter voneinander entfernten, stürben sie. Vergiftet durch Nadeln, die aus den Armreifen schießen und sich in ihre Haut bohren würden.

»Suchen wir den Schmied«, sagte Flint versöhnlich. »Danach trinken wir ein Bier, bevor unsere Schicht beginnt.«

Stumm ging Dashan neben ihm her. Er wusste, dass es nur vernünftig von Flint war, darauf zu beharren, die Armreifen so schnell wie möglich loszuwerden. Und doch verletzte es ihn, weil er sich nicht gegen die Sorge wehren konnte, dass Flint nicht nur den Armreif loswerden wollte, sondern auch ihn. Solange sie die Reifen trugen, musste Flint bei ihm bleiben, ob er wollte oder nicht. Natürlich trachtete auch Dashan danach, die Reifen entfernen zu lassen. Aber das musste doch nicht sofort sein. Eigentlich gefiel es ihm gut in Scull. Mit Flint an seiner Seite. Bisher hatten sie es ja auch gut geschafft, die magische Grenze nicht zu überschreiten. Kein Grund zur Eile.

Dashan übersah Flints ungeduldige Blicke und blieb vor einem Ladenfenster stehen. Auf der breiten Fensterbank hinter der Scheibe lagen aus blauen Steinen gefertigte Schmuckstücke. Ringe, Armbänder und Anhänger.

Flint kam zu ihm zurück. »Drachentalismane.«

Unwillkürlich zuckte Dashans Hand zu seiner Brust, legte sich auf die Stelle, an der viele Jahre lang sein eigener Talisman gehangen hatte, ein Anhänger in Form eines Baumes. Seit er wusste, was dieses Ding ihm angetan hatte, wollte er es nicht mal mehr ansehen. Es lag ganz unten in der Truhe in der Ecke des Zimmers, das er mit Flint teilte.

»Glaubst du an Drachen?«, fragte er.

»Nein. Aber hier in Scull scheinen die Menschen sie noch immer zu fürchten. Und du?«

»Na ja, eigentlich nicht. Aber ich habe auch nicht daran geglaubt, dass es Flamm gibt. Und nun bin ich selbst einer. Ein halber. Dreiviertel.«

Flint zupfte an einer Strähne, die sich aus Dashans Knoten gelöst hatte. »Was meinst du, sollen wir uns mit blauen Talismanen eindecken, wenn wir unseren nächsten Lohn bekommen haben?«

»Hier in der Stadt wird das nicht nötig sein.« Dashan deutete auf die Hauswand, die blau glänzte, als wäre sie unlängst frisch gestrichen worden. Scull, die blaue Stadt. Als ein Gast der Schenke Dashan erzählt hatte, warum die meisten Häuser blau waren, hatte er das für den schlechten Scherz eines Betrunkenen gehalten. Doch es stimmte: Die Bewohner von Scull glaubten nicht nur an Drachen, sondern auch daran, dass die Farbe Blau sie fernhielt. Ein schöner Aberglaube. Dashan mochte die blauen Häuser.

Sie schlenderten weiter zum nächsten Laden. Auch Flint schien es nicht mehr sonderlich eilig zu haben. Müßig ließ Dashan den Blick zur gegenüberliegenden Häuserreihe schweifen und wünschte, er hätte es nicht getan. »Ich habe den Schmied gefunden.«

Auf die dunkelblaue Fassade des Ladens hatte jemand mit silbern schimmernden, verschnörkelten Buchstaben »Silberschmied« geschrieben.

»Ah. Sehr gut.« Flints ernste Miene hellte sich auf. »Darauf hätten wir auch sofort kommen können, dann hätten wir uns sparen können, all die anderen Schmiede aufzusuchen. Meister Godehard hatte uns doch gesagt, dass man die Armreifen nicht mit roher Gewalt entfernen darf. Und es sind Armreifen. Schmuckstücke. Wer könnte sich besser damit auskennen als ein Schmuckhersteller mit Fingerspitzengefühl?«

Energischen Schrittes eilte er zum Laden und drückte die Tür auf. Dashan folgte ihm mit weit weniger Schwung. Im Laden empfingen ihn schummriges Licht und der süßliche Duft von Räucherstäbchen. Es gab nur ein einziges Möbelstück, einen hölzernen Tisch, wuchtig genug, um den Raum beengt wirken zu lassen. Darüber hing die einzige Lichtquelle, ein mehrarmiger Leuchter, bestückt mit Öllämpchen. Die Flammen warfen ihren tanzenden Schein auf die silbernen Schmuckstücke, die auf der Tischplatte drapiert lagen. Bevor Dashan einen genaueren Blick darauf werfen konnte, kam ein Mann aus dem Hinterzimmer.

Er musste sich ducken, um durch die Tür zu passen. Über seinen Bauch spannte sich eine graue Schürze. Das ärmellose Hemd erlaubte die Sicht auf massive Arme. Der kahle Schädel wies mehrere gezackte Narben auf, die sich hell von der braunroten Haut abhoben. In Dashans Augen sah der Mann eher wie ein Schlachter aus als ein Kunsthandwerker.

»Womit kann ich dienen?«

»Guten Tag. Seid Ihr der Silberschmied?«, erkundigte sich Flint.

Der Mann musterte ihn mit wachem Blick. »Ich bin Meister Raskal.« Er deutete auf ein gerahmtes Papier an der Wand, vermutlich ein Meisterbrief. »Meines Zeichens Silberschmied. Eine Auswahl meiner Stücke findet Ihr auf dem Tisch. Ich fertige auch Schmuck nach Euren Wünschen an. Einen Moment, bitte.«

Wesentlich flinker, als Dashan es ihm zugetraut hätte, verschwand er im Hinterzimmer.

Dashan trat näher an Flint heran und raunte ihm ins Ohr: »So viel zum Fingerspitzengefühl. Guck dir mal die Wurstfinger von dem an. Besonders feinfühlig sieht der nicht aus.«

Flint gab ein Brummen von sich und betrachtete den Schmuck auf dem Tisch. »Dann sieh dir mal das hier an, das …«

Der Silberschmied kam zurück, ein ledergebundenes Buch unter dem Arm. »Hier habe ich ein Buch mit einigen der Stücke, die ich für Kunden angefertigt habe. Wenn Ihr Euch davon anregen lassen wollt … oder habt Ihr schon feste Vorstellungen?«

»Ja«, sagte Dashan rasch. Er wollte das hier schnell hinter sich bringen, umso eher kam er an sein ersehntes Bier. »Kennt Ihr Euch mit Armreifen aus?«

Meister Raskal fing schon an, in dem Buch zu blättern. Dashan verkürzte die Suche, indem er ihm sein Handgelenk vor die Nase hielt. Der Armreif schimmerte golden, trügerisch, wie ein gewöhnliches Schmuckstück.

»Goldschmuck kann ich leider nicht … ah!« Meister Raskal beugte sich vor, um den Reif aus der Nähe zu betrachten. Dashan wartete, bis er sich aufrichtete und Flint heranwinkte. »Und Ihr müsst das Gegenstück haben, wenn ich mich nicht irre.«

»Ganz recht.« Flint streckte ihm ebenfalls den Arm hin und bedachte Dashan mit einem Hab-ich-es-nicht-gesagt-Blick.

Meister Raskal trat zurück und verschränkte die Arme. »Was habt Ihr ausgefressen?«

Dashan winkte ab. »Nicht Eure Sache. Könnt Ihr die Armreifen entfernen?«

Diesmal sah Flint ihn eindeutig verärgert an. Dashan war sich keiner Schuld bewusst. Warum lange darum herumreden?

»Nein«, antwortete Meister Raskal.

Dashan atmete auf und packte Flints Arm. »Danke für die Auskunft. Wir gehen.«

Flint rührte sich nicht. War er taub? Sie hatten hier nichts mehr zu schaffen.

Einer von Meister Raskals Wurstfingern schoss in die Höhe. »Jedenfalls nicht sofort.«

Unter Dashans Hand spannten sich Flints Armmuskeln an. »Was meint Ihr damit?«

»Ich verfüge zurzeit nicht über das nötige Werkzeug.« Meister Raskal rieb sich das Kinn. »Wir können das wohl besser bei einem Glas Tee besprechen.«

Mühsam unterdrückte Dashan ein Seufzen. Tee. Und Gläser. Offenbar zwei Errungenschaften, auf die Scull besonders stolz war, denn noch nie zuvor in seinem Leben war Dashan so oft ein Glas Tee angeboten worden wie in Scull. Die Glasbläsereien von Scull, die noch berühmter als die blauen Häuser waren, versorgten die Stadt mit Fensterscheiben und Geschirr. Glas war Sculls wichtigstes Handelsgut, leider zerbrechlich. In Moscary tranken nur die Adeligen aus Gläsern. Hier in Scull benutzten die Bettler bunte Glasschalen, um Almosen zu sammeln. Und aus blauem Glas fertigte man die Talismane, die Dashan vorhin noch bewundert hatte.

»Sehr gern«, sagte Flint höflich und gab Dashan unauffällig einen warnenden Knuff in die Seite. Dashan fügte sich in sein Schicksal und folgte ihm und dem Silberschmied in das Hinterzimmer, bei dem es sich um die Werkstatt handelte. Sie durchquerten es jedoch nur und gelangten in einen weiteren Raum, in dem Sitzkissen um einen niedrigen Tisch verteilt lagen. In der Mitte des Tisches stand eine Kanne, aus der Meister Raskal dampfende, hellbraune Flüssigkeit in drei bunte Gläser einschenkte. »Ihr seid dieses Jahr die interessanteste Kundschaft, die bisher den Weg in meinen Laden gefunden hat«, erklärte er freimütig. »Solche Armreifen habe ich lange nicht gesehen. Und einen Flamm noch nie.«

Flint ließ sich nichts anmerken, doch Dashan wusste, dass er insgeheim die Augen verdrehte. Er war es gewohnt, angestarrt zu werden, wenn er durch die Straßen von Scull ging. Schließlich bot er eine beeindruckende Erscheinung, groß und breitschultrig, wie er war, die dunkle Haut von aschefarbenen Tätowierungen bedeckt und die Augen strahlend grün. Viele bezeichneten Dashan als Schönling, doch wenn er neben Flint stand, beachtete ihn kaum jemand, dann richteten sich aller Augen auf Flint, den Flamm, dessen Volk die Bewohner von Scull nur aus Märchen und Legenden kannten.

»Was wisst Ihr über die Armreifen?«, fragte Dashan und nippte am Tee. Widerlich. Schmeckte wie abgestandener Kräutersud und leider kein bisschen nach Bier oder Wein.

»Sie sind mit dem Saft der Knallfrüchte gefüllt und werden Euch töten, wenn Ihr euch zu weit voneinander entfernt«, sagte Meister Raskal in demselben gleichmütigen Ton, in dem er ihnen eben noch seinen Schmuck angepriesen hatte. »Wie viel?«

»Zwanzig Schritte. Was meintet Ihr damit, Ihr könnt uns von den Reifen befreien, aber nicht sofort? Was für ein Werkzeug benötigt Ihr?« Flint beugte sich vor. Dashan bemerkte den angespannten Zug um seine vollen Lippen und eine Woge von Scham überrollte ihn. Er dachte mal wieder nur an sich. Was war er für ein armseliger Wurm, dass er sich wünschte, Meister Raskal könnte ihnen nicht helfen?

»Erzählt uns erst noch mehr von den Reifen«, verlangte er. Wurm hin oder her, bevor er zuließ, dass sich dieser Mann an den Armreifen zu schaffen machte, wollte er testen, ob er alles über sie wusste, oder doch zumindest genug, dass sie ihm ihr Leben anvertrauen konnten.

Meister Raskal schien ihm sein offensichtliches Misstrauen nicht übel zu nehmen. »In Euren Reifen befindet sich der Saft von je einer Knallfrucht aus einem Früchtepaar. Entfernt man die Säfte zu weit voneinander, erhitzen sie sich und explodieren. Durch den Druck schnellt eine Nadel aus dem Reif und vergiftet den Träger. Dies kann nur verhindert werden, wenn man die Wirkung der Knallfrüchte aufhebt, indem man den Saft der männlichen mit dem der weiblichen Frucht vermischt. Dafür müssen beide Reifen geöffnet werden. Am einfachsten ist die Methode, in beide Reifen den vermengten Saft eines Knallfrüchtepaars zu geben, da erwischt man auf jeden Fall den richtigen.«

»Könnt Ihr die Reifen mit dem passenden Werkzeug öffnen?«, fragte Flint. In seiner Stimme lag so viel Hoffnung, dass sich Dashan noch mehr schämte.

»Zunächst möchte ich die Reifen genauer untersuchen. Wenn Ihr gestattet.«

Wortlos legte Flint seinen Arm auf den Tisch. Meister Raskal stand auf, verschwand in der Werkstatt nebenan und kehrte mit einer hell leuchtenden Öllampe und einer kleinen, gerahmten Glasscheibe zurück. So eine hatte Dashan schon gesehen. Godehard hatte sie verwendet, ebenfalls um die Armreifen zu untersuchen. Die Scheibe vergrößerte alles, was man durch sie hindurch betrachtete.

Mit konzentrierter Miene beugte sich Meister Raskal über Flints Armreif. Er drehte ihn hin und her, hielt die Scheibe über verschiedene Stellen. Flint und Dashan schwiegen. Ob Meister Raskal zu demselben Schluss gelangen würde wie Godehard? Auch Dashans Reif unterzog er einer sorgfältigen Prüfung. Dashan beobachtete mit angehaltenem Atem, wie er die Stirn runzelte und ein wissendes Grunzen ausstieß. Das zeigte Dashan, dass der Silberschmied sich tatsächlich mit den Reifen auskannte, denn er schien soeben ihr grausames Geheimnis entdeckt zu haben.

Der Tee war kalt, als sich Meister Raskal aufrichtete und erst Flint, dann Dashan ernst anschaute. »Ist Euch bekannt, dass ein Armreif keine Öffnung hat? Diejenige, die es gegeben haben muss, um den Reif zu füllen, ist sorgfältig zugelötet worden.«

»Ja«, sagte Dashan schnell. »Darum sind wir hier.«

»Für gewöhnlich reicht ein kleiner Stopfer aus, um die dafür vorgesehene Stelle im Reif zu öffnen und den Saft einzufüllen. Doch in Eurem Fall muss das Loch erst noch gebohrt werden. Das geht nicht mit dem üblichen Werkzeug. Die Reifen sind so gemacht, dass man nicht mit jedem Material daran herumpfuschen darf. Eine unsachgemäße Behandlung würde die Giftnadel auslösen. Das Gleiche passiert, wenn nur ein Reifen geöffnet wird und nicht innerhalb einer kurzen Zeitspanne auch der zweite.«

»Was für ein Werkzeug braucht Ihr?«, fragte Dashan widerstrebend.

»Einen Bohrer.« Meister Raskal schaute Flint auffordernd an, als erwartete er die Antwort von ihm. Flint sah genauso ratlos aus, wie sich Dashan fühlte, und hob die Schultern. »Ich bin kein Handwerker.«

»Aber ein Flamm. Für die Herstellung eines passenden Bohrers benötige ich die Schale eines Dracheneis.«

Was für ein Arschloch! Konnte der nicht einfach sagen, dass er ihnen nicht helfen wollte? Was sollte das?

Dashan stand so hastig auf, dass er gegen den Tisch stieß und ein Glas umfiel. »Alles klar. Gehen wir!«

Er erwartete, dass auch Flint verärgert war, doch der blieb seelenruhig sitzen. Meister Raskal hob beschwichtigend die Hände. »Ihr könnt gehen, doch Ihr werdet in ganz Sculvere niemanden finden, der mein Fachwissen und die nötige Fingerfertigkeit besitzt, um den Bohrer anzufertigen. Wartet …«

Erneut verschwand er in der Werkstatt.

»Der Typ verarscht uns doch«, zischte Dashan Flint zu. »Es gibt keine verdammten Drachen!«

»Setz dich wieder hin«, sagte Flint ruhig. »Ob es nun Drachen gibt oder nicht, er weiß etwas über die Flamm und ich will herausfinden, was das ist.«

Grummelnd nahm Dashan auf dem Sitzkissen Platz. Es gab nur eines, das Flint wichtiger war als die Entfernung der Armreifen: die Flamm. Sein Volk. Von dem er rein gar nichts wusste, denn er war noch nie einem anderen Flamm begegnet.

Meister Raskal kam zurück und legte behutsam etwas auf den Tisch. »Dies hier ist eine Zange aus Dracheneischale.«

Dass er sein Spiel so weit treiben würde, hätte Dashan nicht erwartet. Mit widerwilliger Neugier beugte er sich über das Werkzeug. Selbst er, der keine Ahnung von Handwerkskram hatte, erkannte sofort, dass es sich um ein besonders fein gearbeitetes Stück handelte. Die winzige Zange schimmerte perlmuttartig und hätte gut als Schmuck durchgehen können.

»Und mit einem Bohrer aus der … Eierschale … könnt Ihr ein Loch in meinen Armreif machen?«, fragte Dashan zur Vorsicht nach.

»Ja. Das ist die einzige Möglichkeit, den Reif zu bearbeiten, ohne die Nadel auszulösen«, bestätigte Meister Raskal.

»Gut, das reicht. Woraus ist diese Zange wirklich gemacht?«

Ein verständnisvolles Lächeln spielte um Raskals dünne Lippen. »Ihr seid nicht von hier. Ich sehe, dass Ihr nicht an Drachen glaubt. Woher kommt Ihr? Aus Moscary?«

Auf diese Frage antwortete Dashan nur mit einem finsteren Blick. Meister Raskal hob die massigen Schultern. »Hier in Sculvere wissen die Menschen, dass es Drachen gibt. Und Ihr, Herr Flamm, kennt sowieso die Wahrheit, oder?«

Flint musterte ihn kühl. »Und die wäre?«

»Es gibt Drachen.« Nun klang Raskal erstaunt. »Wenn Ihr kein Flamm wärt, würde ich dieses Gespräch nicht mit Euch führen. Ihr als Flamm könnt mir die Eierschale gewiss besorgen. Wenn Ihr mir eine vollständige Schale bringt, lasse ich sie als Bezahlung gelten und nehme Euch ohne weitere Kosten die Armreifen ab.«

»Wie viele Werkzeuge könnt Ihr aus einer Schale denn herstellen?«, fragte Flint.

Dashan stöhnte. »Es gibt keine Drachen und es gibt keine Eier! Muss ich mir das hier wirklich anhören?«

Weder Flint noch Meister Raskal beachteten ihn.

»Aus der Schale eines Eis kann ich auf jeden Fall einen passenden Bohrer anfertigen.«

»He, könnt Ihr nicht einfach die Zange zu einem Bohrer umbauen?«, fragte Dashan. Er erwartete nicht, dass Meister Raskal überhaupt darauf einging, doch der erklärte bereitwillig: »Damit das Werkzeug benutzt werden kann, muss es nach der Herstellung in Feuer gehärtet werden. Danach können leider keine Änderungen mehr vorgenommen werden.«

Schade.

»Erzählt mir mehr über die Flamm und ihre Verbindung zu Drachen«, forderte Flint den Silberschmied auf.

»Verzeiht mir meine Offenheit.« Meister Raskal klang beleidigt. »Es liegt mir fern, Gerüchte zu verbreiten, doch wie Ihr wissen dürftet, ist es in Sculvere allgemein bekannt, dass die Flamm ein besonderes Verhältnis zu den Drachen haben. Mehr will und werde ich dazu nicht sagen. Ihr braucht meine Verschwiegenheit nicht zu prüfen.« Mit einem vielsagenden Blick auf Flints Armreif fuhr er fort: »Übrigens solltet Ihr Euch nicht zu lange Zeit lassen. Nach einer gewissen Zeit wird der Saft unabhängig vom Abstand explodieren.«

Was? Dashan starrte den Meister fassungslos an. Das konnte der doch nicht wissen, oder? Der wollte sicher nur, dass sie möglichst schnell die Schalen beschafften. Andererseits schien er sich schon recht gut mit den Armreifen auszukennen …

»Was meint Ihr mit gewisser Zeit?«, fragte Flint scharf.

»Ich bin nur ein Silberschmied. Das müsst ihr jemanden fragen, der sich besser damit auskennt.«

Ach, auf einmal! Dashan wollte auffahren, doch Flint legte die Hand auf seinen Arm.

»In einem Mond habt Ihr die Eierschale«, sagte er. »Wir verlassen uns auf Euer Wort, dass Ihr daraus den Bohrer fertigen und die Armreifen entfernen werdet.«

»Hand drauf.«

Mit einem warnenden Grummeln im Bauch beobachtete Dashan, wie Flint und Meister Raskal sich die Hand schüttelten.

»Ach ja, für den Knallfruchtsaft seid Ihr verantwortlich«, teilte Meister Raskal ihnen mit einem schmierigen Lächeln mit.

Großartig.

3. Kapitel

»Mir gefällt das nicht.« Dashan trat gegen einen Apfelbutzen, der die ansonsten verdächtig saubere Straße verunzierte. Dieses ganze Schmuckviertel kam ihm verlogen und falsch vor, wie eine hübsche Fassade, hinter der Betrug lauerte. »Der will uns doch übers Ohr hauen. Und außerdem – glaubst du das? Dass die Dinger uns sowieso bald um die Ohren fliegen?«

»Darauf lassen wir es doch gar nicht ankommen.« Im Gegensatz zu Dashan schien Flint bestens gelaunt zu sein. Er schritt so beschwingt aus wie seit Tagen nicht und legte sogar den Arm um Dashan, zog ihn an sich und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Das machte er sonst nie in der Öffentlichkeit. Na schön, hier bestand die Öffentlichkeit lediglich aus einer menschenleeren Gasse. Dashan verachtete sich dafür, dass Flints unerwartete Zuneigungsbekundung ihn milde stimmte. So schnell wollte er aber nicht klein beigeben. »Es macht die Sache nicht gerade leichter, dass es keine Drachen gibt.«

»Wer hat denn vorhin vor dem Talismanladen noch in Erwägung gezogen, dass es sie möglicherweise doch geben könnte, genau wie die sagenumwobenen Flamm?«, neckte Flint ihn.

»Na gut, vielleicht gibt es sie. Irgendwo. Aber das heißt nicht, dass wir einfach ein Ei von ihnen holen können. Ist ja nicht so, dass die einen Laden im Drachenviertel führen würden.«

»Dashan.« Flint blieb stehen, packte Dashan an der Schulter und drehte ihn zu sich herum. Mit ernster Miene sah er ihn an. »Das ist die erste halbwegs erfolgversprechende Gelegenheit, die Giftarmreifen loszuwerden. Wir sollten alles daransetzen, sie zu nutzen, meinst du nicht? Besonders, da wir jetzt von … der anderen Sache wissen.«

Flint hatte natürlich recht. Dashan senkte den Blick. Er schaffte es nicht, in Flints Augen zu sehen. Vor allem aber wollte er nicht, dass Flint in seine sah und darin entdeckte, was er sich selbst nicht eingestehen wollte. Er ließ zu, dass Flint ihn an sich zog.

»Wir haben schon ganz andere Sachen geschafft«, raunte Flint ihm ins Ohr. Allein Flints Nähe reichte aus, um Dashans Widerstand schmelzen zu lassen. »Da ist die Beschaffung von einem Drachenei doch wohl ein Klacks, oder?«

»Hm«, machte Dashan und drückte die Nase an Flints Hals. »Wie wäre es jetzt mit einem Bier?«

Flint lachte. »Hört sich gut an.«

Wenig später saßen sie in der Schenke »Zum singenden Drachen«. Sehr passend. Das Bier war jedenfalls gut, wie Dashan feststellte. Mit einem zufriedenen Rülpser stellte er den schäumenden Krug auf den Tisch. »Tut mir leid, dass der Silberschmied dir nichts über die Flamm sagen wollte.«

Flint verzog das Gesicht. »Er hat wohl geglaubt, ich wollte prüfen, ob er ein Geheimnis wahren kann. Allerdings glaube ich nicht, dass er wirklich etwas weiß. Zumindest nicht mehr, als die üblichen Gerüchte, die man sich hier in jeder Schenke erzählt.«

»Flamm und Drachen – das passt zu gut zusammen. Beide speien Feuer …« Dashan zwinkerte Flint zu, der lachend den Kopf schüttelte.

»Daran hätten wir mal Meister Raskal erinnern sollen, als er versucht hat, uns Angst einzujagen. Der verpfeift uns doch niemals an die Stadtwache. Und selbst wenn, es ist kein Verbrechen, Giftarmreifen zu tragen.«

»Er hält uns aber für Verbrecher.« Dashan fühlte sich ein bisschen geschmeichelt. Es war ihm nicht gelungen, ein großer Held zu werden, warum also nicht danach streben, als Schurke gefürchtet zu sein? »Aber mal im Ernst, was könnte uns schlimmstenfalls passieren, wenn er uns meldet?«

»Von Rechts wegen bin ich Eigentum von Prinz Denst von Radosyr. Der König von Moscary hat mich als Brautgeschenk zu ihm geschickt, falls du es vergessen hast.«

»Haha. Du scheinst vergessen zu haben, welchem Umstand wir die Giftfesseln verdanken. Wenn ich nicht dazu erwählt worden wäre, dich zu bewachen, hätte ich jetzt nicht diesen Reif am Arm.«

»Genau genommen war das deine Strafe dafür, dass du die wertvolle Sammlung vom König abgefackelt hast.«

»Das warst du doch!«

Sie grinsten sich an. Dieses Geplänkel über ihr Kennenlernen fühlte sich für Dashan immer an, als würde er seine Stammschenke in Moscary betreten. Vertraut und heimelig. Er vermisste »Zum grinsenden Schurken« und seine Kameraden. Ob sie ab und zu an ihn dachten? Die unbeschwerten Zeiten, in denen er auf einem Tisch in der Schenke gestanden und Sauflieder zum Besten gegeben hatte, waren noch gar nicht lange her und doch kam es ihm wie eine Ewigkeit vor, dass er zuletzt einen fröhlichen Abend mit Freunden verbracht hatte. Das bedeutete nicht, dass er sich an den Hof von Moscary zurückwünschte. Oder gar in ein Leben ohne Flint.

Flint, dessen grüne Augen sogar im Schenkenschummerlicht leuchteten und der ihm nun ungefragt auch noch seinen kaum angerührten Bierkrug hinschob. »Übrigens sollten wir mal weiter an deinen Flammfähigkeiten arbeiten.«

Oh nein. Nicht dieses leidige Thema und nicht ausgerechnet jetzt. Das neue Wissen über seine Flammabstammung flößte Dashan nach wie vor Unbehagen ein. So genau wollte er sich nicht damit befassen und schon gar nicht üben, wie er Flammen aus den Fingern schießen lassen konnte. Damit hatte er als Kind genug Unheil angerichtet.

»Wie soll das denn gehen, mitten in der Stadt? Die Bewohner von Scull mögen es nicht, glaube ich, wenn man ihre schönen blauen Häuser ankokelt.«

Flint verzog keine Miene. »Ich habe Gerüchte gehört, dass es möglich sein soll, die Stadt zu verlassen.«

»Sehr witzig. Verschieben wir das besser, ja? Schließlich haben wir Wichtigeres zu tun. Dracheneierschalen besorgen zum Beispiel. He, vielleicht sind die nur ein komischer Name für eine Pflanze. Einen Baum oder so.«

»Hat sich nicht danach angehört. Und du hast diese Zange doch gesehen. Die sah nicht aus, als hätte Meister Raskal sie aus Rinde geschnitzt.«

»Das war nur ein Beispiel. Nach Eierschale sah das Ding aber auch nicht gerade aus.«

Eine Weile brüteten sie über ihren Bierkrügen. Dashan über seinem halb vollen und Flint starrte in den von Dashan bereits fast geleerten. »Hm, Dracheneier …«, murmelte Flint. »Woher nehmen, wenn nicht …« Sein Kopf ruckte hoch. »Stehlen!«

Unbeeindruckt trank Dashan den Rest Bier. Der Krug musste undicht gewesen sein. »Ja, gute Idee. Stehlen. Dazu müssten wir aber erst mal wissen, wer so ein Ei besitzt. Außer den Drachen natürlich. Von denen möchte ich die nicht klauen, hab gehört, die spucken Feuer.«

»Keine Angst, ich besorge dir vorher einen schönen blauen Glastalisman.« Flint lachte, als hätte er die beiden Bierkrüge geleert und nicht Dashan. »Ich meinte aber etwas anderes. Wenn jemand weiß, wo es Dracheneier zu stehlen gibt, dann ein Dieb, oder?«

»Die meisten Diebe hier sind schon froh, wenn sie es schaffen, unbemerkt einen Geldbeutel vom Gürtel zu schneiden. Denk mal an den Rothaarigen, der hätte es ohne unser Einschreiten nicht mal hinbekommen, einen Apfel zu klauen. Geschweige denn Dracheneier.«

»Nein.« Flint legte die Hand auf Dashans Unterarm und beugte sich mit verschwörerischer Miene über den Tisch. »Vergiss die kleinen Taschendiebe und Beutelschneider. Ich rede von einem Meisterdieb.«

»Gut, dass wir eine Menge davon kennen.«

»Wir nicht, aber die Diebesgilde von Scull bestimmt.«

»Ah … ja.« Dashan dachte darüber nach. Im Gegensatz zu Drachen gab es die Diebesgilde ganz sicher. Wie Dashan in Scull schnell gelernt hatte, gehörten zu einer Handelsstadt nämlich nicht nur Märkte, sondern auch alle Arten von Gilden. Und da gab es nicht nur Brauergilden und andere ehrenwerte Zusammenschlüsse von Handwerkern. Niemand sprach offen über sie, doch jeder wusste, dass sie zur dunklen Seite von Scull gehörten, wie die Hehlergilde, die sogenannte Lustgilde und nicht zuletzt die Diebesgilde.

»Und wie finden wir die? Habe noch kein Gildenhaus von denen gesehen«, gab Dashan zu bedenken.

Flints Augen funkelten siegessicher. »Du vergisst, dass ich selbst jahrelang als Dieb unterwegs war. Nicht hier in Scull, und es gab auch keine Gilde, sondern verschiedene Banden, aber im Grunde genommen ist es überall gleich. An die Diebesgilde kommen wir über eines ihrer Mitglieder heran.«

Dashan verstand. »Also gut. Suchen wir uns einen Dieb.« Er warf einen bedauernden Blick auf die leeren Krüge. »Schaffen wir das noch vor unserer Schicht?«

»Auf dem Weg können wir über den Markt gehen. Vielleicht haben wir Glück.«

Doch obwohl es für gewöhnlich auf den Märkten von Taschendieben nur so wimmelte, schienen sie ausgerechnet an diesem Tag eine Pause einzulegen. Enttäuscht kamen Flint und Dashan an dem Gasthaus an, in dem sie arbeiteten. Flint betätigte sich dort als Rausschmeißer und Dashan als männliche Schankmaid, wie Flint es scherzhaft nannte. Ein Glücksfall, dass sie schnell Arbeit gefunden hatten. Und dann auch noch eine, bei der sie sich nicht mehr als zwanzig Schritte voneinander zu entfernen brauchten. Ja, wirklich ein großes Glück. Wenn Dashan sich das oft genug sagte, glaubte er vielleicht sogar irgendwann selbst daran.

Es war das erste Mal, dass er für seinen Lebensunterhalt arbeiten musste. Die Zeit als Ritteranwärter am Königshof von Moscary zählte er nicht als Arbeit. Da hatte er sich sowieso meist in Schenken, im Badehaus oder auf Feiern vergnügt. Immerhin war er seinem liebsten Aufenthaltsort treu geblieben, denn das Gasthaus bot gleichzeitig einen Schankbetrieb. Nur war es nicht ganz so erfreulich, die Gäste zu bedienen, wie selbst Gast zu sein.

Gasthaus und Schenke waren unter dem Namen »Bei der dicken Erna« bekannt, obwohl das Schild über der Tür die Einkehrstätte als »Gasthaus am Zimtmarkt« auswies. Sie lag nicht am Zimtmarkt, Dashan war nicht sicher, ob es überhaupt einen solchen Markt gab, und wurde auch nicht von einer Erna geführt. Der Gastwirt hieß Erno und war nicht sonderlich dick, obwohl man munkelte, er würde sich ab und an nach Feierabend Frauenkleider anziehen und als Sängerin im »Blauen Hund« auftreten.

Nun trug er allerdings Männerkleidung und dazu die Wirtsschürze. »Ihr kommt zu spät«, rief er ihnen durch die dürftig besuchte Gaststube zu. »Das ziehe ich euch vom Lohn ab!«

»Jaja«, murrte Dashan. Der Kerl würde sie selbst dann der Unpünktlichkeit bezichtigen, wenn sie gleich morgens nach dem Aufstehen zur Schicht antreten würden. Dashan vergewisserte sich, dass die wenigen Gäste alle ein Getränk vor sich stehen hatten, und begab sich zur Theke. »Gib mir lieber erst mal ein Bier, mit trockener Kehle kann ich nicht arbeiten.«

»Du kannst sowieso niemals arbeiten«, zeterte Erno, wobei er gleichzeitig einen Krug unter den Zapfhahn hielt. »Wie konnte ich nur so blöd sein und einen Kerl einstellen, der meinen Gästen das gute Dunkle wegsäuft?«

»Von mir aus kann ich auch dein Helles trinken. Danke.« Dashan nahm den Krug und gönnte sich einen großen Schluck.

»Du auch was?«, fragte Erno Flint, der sich neben Dashan an die Theke lehnte.

Flint schüttelte den Kopf. »Was Besonderes heute?«

»Ihr könnt ein Auge auf den Jungen da in der Ecke haben. Der kommt mir verdächtig vor.«

Unauffällig schielte Dashan in die Richtung, in die Ernos Kopf geruckt war. Dicht am Kamin kauerte eine schmale Gestalt, verhüllt von einem Umhang. Dashan hätte nicht sagen können, ob es sich um einen Jungen, ein Mädchen oder eine Frau handelte, doch das zu erkennen traute er Erno gerade noch zu. Sogar die Kapuze hatte der Junge sich über den Kopf gezogen. In den Händen hielt er einen Becher.

»Hat nur Wasser bestellt und hockt da schon eine ganze Weile«, sagte Erno missbilligend.

»Unverzeihlich. Ich werde auf ihn achten.« Flint legte Dashan die Hand auf die Schulter. »Sollen wir noch ein Fass raufholen?«

»Ja, macht mal. Heute haben acht große Handelsschiffe angelegt, wird gleich voll.«

Dashan stieg hinter Flint die steinerne Wendeltreppe hinab in den Keller, in dem Erno sein gutes Bier und seinen weniger guten Wein lagerte.

»Seit wann bist du so …« Vorausschauend, hatte Dashan sagen wollen, doch bevor er ein Wort herausbringen konnte, packte Flint ihn an den Schultern und drängte ihn an die Wand, um ihn zu küssen, so leidenschaftlich, dass Dashan die Knie weich wurden. Er schloss die Augen und lehnte sich in den Kuss, mit dem er gar nicht gerechnet hatte. Der verdammte Flamm schaffte es immer wieder, ihn zu überraschen. Wenn es so angenehme Überraschungen waren, hatte er nichts dagegen einzuwenden. Er erwiderte den Kuss hungrig, genoss die Hitze, die durch seinen Leib strömte wie jedes Mal, wenn Flint ihn berührte. Diese Hitze konnte Menschen töten, doch nicht Dashan. Er war der Einzige, den Flint gefahrlos anfassen konnte. Das gab Dashan Hoffnung, denn aus diesem Grund war Flint nicht nur durch die Armreifen an ihn gefesselt.

»Wofür war das denn?«, fragte Dashan, als sie ihren Kuss unterbrachen, um Atem zu schöpfen.

»Einfach so.« Flint legte die Hand an seine Schläfe, strich mit dem Daumen über die Wunde, die Dashan schon vergessen hatte. »Wir müssen besser aufpassen. Diese Sache mit dem Händlerwagen …«