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Leann Porter

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Beschreibung

Nur eine alte Flasche? Angus, Taxifahrer und frischgebackener Erbe eines maroden Herrenhauses, findet in einem Pub in Edinburgh vermeintlich grundlos Gefallen an einer staubigen Flasche und kauft sie kurzerhand. Was er nicht weiß: Damit hat er sich den zugehörigen Flaschengeist Bekir eingehandelt. Da dieser ohne die Nähe zu seiner Flasche nicht überleben kann, bleibt Bekir nichts anderes übrig, als seinem Meister wider Willen in das Herrenhaus in den schottischen Highlands zu folgen. Während Angus und Bekir nach einer Lösung suchen, sich aus ihrer ungewollten Verbindung zu befreien, spricht Angus unbedacht Wünsche aus und macht alles noch schlimmer. Denn Bekir ist zwar an die Flasche gebunden, verfügt aber über keinerlei magische Fähigkeiten. Oder doch? Wie sonst ist es zu erklären, dass er und Angus sich trotz aller Probleme unwiderstehlich zueinander hingezogen fühlen? Für zusätzlichen Ärger sorgen eine beleidigte Wassernymphe und ein rebellisches Wolfswandlerrudel. Und die Zeit läuft: Wenn Bekir nicht innerhalb von drei Tagen die Wünsche erfüllt, ist er dem Tode geweiht …

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Seitenzahl: 423

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Leann Porter

Wünschelbräu Premium

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2023

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© Fox Ave Design – stock.adobe.com

© Nick Fox – stock.adobe.com

© Maxim – stock.adobe.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-613-5

ISBN 978-3-96089-614-2 (ebook)

Inhalt:

Nur eine alte Flasche?

Angus, Taxifahrer und frischgebackener Erbe eines maroden Herrenhauses, findet in einem Pub in Edinburgh vermeintlich grundlos Gefallen an einer staubigen Flasche und kauft sie kurzerhand.

Was er nicht weiß: Damit hat er sich den zugehörigen Flaschengeist Bekir eingehandelt. Da dieser ohne die Nähe zu seiner Flasche nicht überleben kann, bleibt Bekir nichts anderes übrig, als seinem Meister wider Willen in das Herrenhaus in den schottischen Highlands zu folgen.

Während Angus und Bekir nach einer Lösung suchen, sich aus ihrer ungewollten Verbindung zu befreien, spricht Angus unbedacht Wünsche aus und macht alles noch schlimmer. Denn Bekir ist zwar an die Flasche gebunden, verfügt aber über keinerlei magische Fähigkeiten. Oder doch? Wie sonst ist es zu erklären, dass er und Angus sich trotz aller Probleme unwiderstehlich zueinander hingezogen fühlen?

Für zusätzlichen Ärger sorgen eine beleidigte Wassernymphe und ein rebellisches Wolfswandlerrudel. Und die Zeit läuft: Wenn Bekir nicht innerhalb von drei Tagen die Wünsche erfüllt, ist er dem Tode geweiht …

Schwarzer Daumen

Alles außer Pflanzen.

Das stand dick und fett in Beks Kurierprofil. Was, bei sämtlichen Dämonen der vierten Dimension, war daran so schwer zu verstehen? Warum sollte ausgerechnet er eine Lieferung von einem Blumenladen abholen? In der Hoffnung, es könnte sich um ein Versehen handeln, starrte Bek ein paar Minuten auf das Smartphone und wartete auf die nächste Nachricht, die nur einen Widerruf der ersten darstellen konnte.

Nichts.

Schließlich tippte er eine Antwort. Sie bestand nur aus zwei Worten. Keine. Pflanzen.

Die Rückmeldung ließ nicht lange auf sich warten. »Ausnahme. Danach hast du frei. Küsschen, Ayse.«

Na großartig! Bek hatte sowieso schon Feierabend. Die Nachricht war fünf Minuten nach seiner Schicht eingetrudelt. Kurzerhand rief er in der Zentrale an. Das wurde gar nicht gerne gesehen, aber er sah es auch nicht gerne, wenn die sich einfach über seine wirklich nicht besonders exzentrische Ausnahmeregelung hinwegsetzten. Alles außer Pflanzen war harmlos gegen das, was zum Beispiel Zeke in sein Profil geschrieben hatte: Keine Lebensmittel, keine Tiere, nichts über drei Kilo, nichts weiter als zwei Kilometer von der Packstation, keine Lieferungen an Hexen, Magier, Gargoyles oder an die SAW-Zentrale. Keine Pizza!

Ein Wunder, dass der überhaupt noch Aufträge bekam. Und was hatte er gegen Pizza? Vermutlich befürchtete er, dass er sie unterwegs aufessen könnte.

 Ayse meldete sich. »Hallo Süßer«, flötete sie. »Du, sei mir nicht böse wegen des Auftrags. Ich weiß, du hast eigentlich schon Feierabend.«

Bek stellte sich vor, wie Ayse mit zerknirschter Miene hinter ihren Monitoren saß, das Headset wie üblich schief auf den violett gefärbten Locken, und sein Unmut verflüchtigte sich so schnell wie sein letzter Lohn vom Konto. »Es geht nicht um den Feierabend, sondern um das Grünzeug. Alles außer Pflanzen!«

»Sie ist total gut verpackt. Da dringt keine Polle durch. Ich habe es extra dazu gesagt. Bitte, Bekki! Wir sind heute echt unterbesetzt und du bist doch gerade in der Nähe.«

Bek hasste es, Bekki genannt zu werden. Und in der Nähe war ein wenig euphemistisch für eine Entfernung von drei Kilometern. Er kannte den Blumenladen, weil er auf dem Heimweg regelmäßig daran vorbeifuhr. Okay, das wäre natürlich schon praktisch. Nur, dass es leider nicht an einer Allergie lag, warum er keine Pflanzen transportieren konnte ...

»Ist gut«, murrte er. »Aber wirklich nur dieses eine Mal.« Vermutlich würde Ayse das bald selbst einsehen, wenn die Beschwerde des Kunden sie erreichte.

»Danke, Bekki! Bist ein Schatz! Küsschen! Ach ja, kommst du morgen mit zu …«

Was Ayse noch sagen wollte, ging in einem statischen Rauschen unter. Nicht ungewöhnlich, auch nicht im Raum Edinburgh, den ein magischer Schutzschild vor den schlimmsten Auswirkungen der Dimensionslöcher schützte. Trotzdem versagte die Technik im Stadtgebiet regelmäßig und Handyempfang war Glücksache. Daher erhielten die Fahrradkuriere ihre Aufträge auch gesammelt zu Beginn ihrer Schicht in der Zentrale. Solche spontanen Lieferungen wie die des Blumenladens kamen selten vor. Wäre Bek doch nur nicht so vorschnell mit dem Öffnen der Nachricht gewesen, dann hätte er später alles auf interdimensionales Rauschen schieben können, und wäre damit davongekommen. Zu spät. Nun musste er da durch. Der Kunde tat ihm jetzt schon leid. Er verzog das Gesicht und schwang sich auf sein Rad. Vielleicht, wenn er schnell fuhr und der Kunde nicht allzu weit weg wohnte ...

Vor dem Blumenladen drängten sich Töpfe mit Blumen, Zimmerpalmen, Efeu und sonstigen Gewächsen auf Regalen und Bänken. Mit zusammengebissenen Zähnen hielt Bek so viel Abstand wie möglich und winkte vom Rand des Bordsteins aus. Hinter dem Schaufenster bewegte sich etwas, kurz darauf trat eine junge Frau aus dem Laden, in den Händen ein unförmiges Gebilde, das in mehrere Schichten Packpapier gehüllt war.. Wenigstens war die Pflanze nicht groß. Und hoffentlich nicht wertvoll.

»Hallo, das ging ja schnell!« Die Frau strahlte und überreichte Bek das Paket. »Dieses Schätzchen soll in die Grüne Gans. Weißt du, wo das ist?«

Verblüfft ließ Bek beinahe sein Transportgut fallen. Natürlich wusste er, wo das war. Er arbeitete und wohnte in dem Pub. »Und zu wem genau?«, fragte er.

»Zu einer Maggie Carpenter. Ist wohl die Besitzerin. Bitte schön, das hier ist für dich und gute Fahrt heute noch!«

Automatisch nahm Bek das Trinkgeld, einen Fünf-Pfund-Schein, den die Frau ihm gab. Die Pflanze steckte er zusätzlich in eine Plastiktüte und verstaute sie rasch in der Kuriertasche am Gepäckträger. Möglich, dass die wasserfeste Umhüllung auch Schutz vor anderen Widrigkeiten bot. Zum Beispiel vor ihm.

Auf dem Weg zum Pub überlegte er, warum Maggie sich Grünzeug bestellte. Das Ding wollte sie doch wohl nicht in der Schankstube aufstellen? Oder sollte das ein blöder Witz sein, um ihn zu ärgern?

Zügiger als sonst trug Bek sein Rad in den Keller des alten Gebäudes aus grauem Stein, in dessen Erdgeschoss sich der Pub befand. Seine Lieferung am ausgestreckten Arm tragend, lief er die Treppe wieder hoch. Über dem Eingang quietschte das Blechschild mit der verblassten grünen Gans, die eher einer seekranken Ente glich, melancholisch im Abendwind. Bek stieß die Tür auf und musste nur einen Blick in den Schankraum werfen, um das Rätsel um die mysteriöse Bestellung zu lösen.

Am Ecktisch unter dem Fenster saß Emily, ihre füllige Figur in einem Nadelstreifenkostüm zur Geltung gebracht, die perfekt manikürten Finger um ein Halfpint Cider gelegt, das sie zum Mund führte, es aber hastig abstellte, als sie Bek entdeckte. Ein freudiges Lächeln breitete sich auf ihrem dezent geschminkten Gesicht aus und sie hob eine Hand, um ihm zuzuwinken.

Bek seufzte. Er grüßte zurück und ging weiter zur Theke, die Maggie mit einem pinkfarbenen Tuch polierte. Jedenfalls gab sie das vor. In Wahrheit huschte ihr Blick wie bei einem Tennismatch von ihm zu Emily und zurück. »Hey, Bek. Du hast Besuch.«

»Schon gesehen. Tja, schlechter Zeitpunkt, da meine Schicht jetzt anfängt.«

Maggie hob die Brauen. »Ach ja? Hier ist niemand außer uns oder hab ich wieder ein paar Magier übersehen, die sich an Unsichtbarkeitszaubern versuchen? Ich würde sagen, den Andrang schaffe ich so eben noch allein. Was trinkst du?«

»Einen Kaffee bitte. Schwarz.«

So schwarz, wie das bedauernswerte Gewächs bald sein würde. Bek seufzte erneut. Wochenlang war es ihm gelungen, Emily und die anderen abzuwimmeln. War ja klar, dass sie ihm irgendwann hier auflauern würden.

»Du hast eine Pflanze bestellt?« Er stellte das verpackte Gebilde auf die Theke.

»Ich? Nicht, dass ich wüsste.« Maggie zupfte an dem Papier. »Bestimmt ein Irrtum.«

»Die Frau vom Blumenladen hat deinen Namen genannt.«

»Hmm, könnte von einem meiner zahlreichen Verehrer sein.« Maggies Ton ergab auf der Sarkasmus-Skala eine glatte Zehn von zehn. »Mal sehen.« Mit einer Schere rückte sie der Verpackung zu Leibe und enthüllte …

… ein vertrocknetes Ding, das vermutlich mal eine Grünlilie gewesen war. Nun befand sich etwas in dem Topf, das der Mumie eines Tentakeldämons ähnelte.

Zu zweit betrachteten sie das Elend eine Weile. Bek wusste, dass Maggie wusste, wer an dem Zustand des armen Dings schuld war. Und sie wusste, dass er wusste, dass sie es wusste. Dazu gab es nichts zu sagen. Also hob Maggie nur die Schultern und beförderte alles in den Biomüll.

Bek nahm seinen Kaffeebecher mit zu dem Ecktisch, an dem Emily ihn mit strahlenden Augen erwartete. Er freute sich tatsächlich auch, sie zu sehen. Gleichzeitig packte ihn die Sehnsucht nach den Unternehmungen mit seinen Freunden. Na ja, Ex-Freunden.

Nach dem Gefrotzel und den ernsten Gesprächen über alles, worüber er sonst mit niemandem reden konnte. Nach den Pen and Paper Abenden und den angeblichen Lerngruppen, die sie meistens auch verquatscht hatten. All das fehlte ihm und es war so schon schwer genug zu verdrängen, auch ohne, dass  Emily wie ein Geist aus seiner Vergangenheit auftauchte und ihn umarmte wie einen verschollenen und plötzlich wieder aufgetauchten Bruder.

Bek drückte sie trotzdem kurz an sich. Der zarte Duft ihres Parfums verstärkte die Erinnerung an die gemeinsamen Zeiten noch, daher trat er rasch zurück und setzte sich auf die Bank. Er kam gleich zur Sache: »Warst du das mit der Pflanzenbestellung?«

»Ist ja nicht so leicht, dich zu einem Treffen zu bewegen.« Emily lächelte ihn unschuldig an. »Gut siehst du aus!«

»Du hättest einfach so herkommen können, da du offenbar herausgefunden hast, wo ich arbeite. Der Lieferauftrag war unnötig.«

»Sorry!«, rief jemand hinter Bek und rutschte im nächsten Moment neben ihn. Stone schenkte ihm ein schiefes, schuldbewusstes Grinsen. »Das war meine Idee. Nicht meine beste, wie mir scheint.«

»Ja, das scheint mir auch so. Die Pflanze ist jedenfalls tot. Was habt ihr denn erwartet? Dass ich den Fluch plötzlich wieder losgeworden bin wie eine Grippe?« Bek spähte an Stone vorbei zum Eingang. Ihn beschlich eine Ahnung, dass sie diesen Abend nicht zu dritt verbringen würden. Tatsächlich schwang die Tür wieder auf und Penny marschierte nach einem kurzen Orientierungsblick auf ihren Tisch zu. Sie warf die langen, roten Locken zurück und ließ sich mit angriffslustiger Miene auf einem Stuhl nieder. Ihre schwarzen Lederklamotten knirschten. »Hallo Leute«, sagte sie forsch. »Wir haben heute hier zusammengefunden, um …«

»Moment mal!« Bek hob die Hand. »Ist das hier ein Komplott?«

Penny fletschte die Zähne. Ab und zu konnte sie ihre Werwolfnatur nicht verbergen. »Nur ein Treffen unter Freunden. Um dich auf den Pfad des Lasters und der Sünde, sprich des Studiums der magischen Künste, zurückzuholen.«

»Vergesst es.« Bek ließ die Hand gleich da, wo sie war, vollführte aber nun abwehrende Wedelbewegungen mit ihr. »Das ist vorbei. Ich habe einen tollen Job. Vier sogar, um genau zu sein. Tausend Mal besser als ein ödes Studium.« Bevor jemand widersprechen konnte, wandte er sich an Stone. »Was sollte das mit dem Grünzeug? Falls ihr vorhattet, mich an meine geheime Superkraft des Pflanzenkillens zu erinnern, ist es euch gelungen. Nicht, dass ich sie je vergessen hätte. Aber warum sollte mich das dazu bewegen, an die Academy zurückzukehren? Aus der ich, nur um euch auch an etwas zu erinnern, achtkantig rausgeflogen bin.«

»Du bist nicht rausgeflogen«, erklärte Emily sachlich und glich mehr denn je einer Rechtsanwältin, was nicht nur an ihrem Outfit lag. »Du bist für zwölf Tage suspendiert worden. Danach hättest du dein Studium wieder aufnehmen sollen.«

Bek lachte, was selbst in seinen Ohren unecht klang. »Ach, Bullshit. Die können mich mal. Hab sowieso schon lange vorher überlegt, zu schmeißen.«

»… und was das Pflanzenexperiment angeht«, fuhr Emily fort, als hätte er nichts gesagt, »… damit wollten wir einerseits herausfinden, ob es sich bei deinem Ausbruch botanischer Destruktivität um einen einmaligen Ausrutscher gehandelt hat oder eine Manifestation des Schwarzdaumen-Phänomens vorliegt. Zum anderen hofften wir, dich im Falle von Letzterem mit einer Demonstration der Problematik dazu bewegen zu können, dir professionelle Hilfe zu suchen.«

»Echt? So was hatten wir geplant?« Stone sah Penny verwirrt an, die ihre Augen verdrehte.

»Übersetzung: Bek, benimm dich nicht wie ein trotziger Leprechaun, sondern kehre zurück zur Academy, weil wir da bestimmt was gegen deinen Grüngewächsescheiß unternehmen können.«

»Ich hab das schon verstanden«, erklärte Bek würdevoll. »Und nur fürs Protokoll: Ich bin nicht trotzig. Ich habe nur einfach keine Lust mehr auf den Academykram und diese Pflanzensache ist nun wirklich nicht so tragisch. Ich hatte sowieso noch nie ein Faible für Grünzeug. Kein Problem!«

»Das ist doch nicht dein Ernst!«, jammerte Stone. Sein langes Gesicht, das durch seine Pferdeschwanzfrisur noch hagerer wirkte, zeigte einen Ausdruck tiefen Kummers und bescherte Bek prompt ein schlechtes Gewissen. Er hatte gute Gründe gehabt, sich nicht mehr mit den Leuten aus seinem Semester zu treffen, und jetzt fielen sie ihm alle wieder ein. Zugegeben, diese drei hier bedeuteten ihm mehr als Kommilitonen. Sie waren die ersten richtigen Freunde, die er je gehabt hatte und das machte es umso schwerer.

»Wir sind doch ein Team«, fuhr Stone fort. »Wir gehören zusammen. Du kannst uns doch nicht im Stich lassen!«

»Hätte nicht gedacht, dass du noch vor dem zweiten Semester schlappmachst«, fiel nun auch Penny mit ein. »Willst du wirklich klein beigeben, nur weil einmal was schiefgelaufen ist bei dir?«

»Das war mehr als Schieflaufen«, erinnerte Bek sie. »Das war eine mittlere Katastrophe. Schon davor hatte ich meinen Ruf als Loser weg und jetzt nimmt mich doch erst recht niemand mehr ernst.«

»Das ist der Grund?«, fragte Emily mit skeptisch zusammengekniffenen Augen. »Du kümmerst dich auf einmal darum, was andere von dir halten? Darüber hast du sonst nur gelacht und weiter dein Ding durchgezogen.«

Bek verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. »Genau das mache ich jetzt auch! Ich lache und mache, was ich will!«

»In einem Pub kellnern?«

»Was ist schlecht daran? Ich hab schon immer gekellnert, auch als ich an der Academy war. Außerdem bin ich zusätzlich noch Fahrradkurier, Tourguide und jeden Dienstag spiele ich Dudelsack im botanischen Garten.«

»Seit wann kannst du Dudelsack spielen?«, fragte Stone, gleichzeitig sagte Emily: »Lenk jetzt bloß nicht ab!«

»Könnte ich dich da auf dem E-Bass begleiten?«, erkundigte sich Stone.

In Beks Kehle ballte sich ein Klumpen Reue zusammen. Er mochte seine Freunde so sehr. Und er vermisste sie. Ganz schrecklich sogar. Aber er konnte nicht zurück an die Academy. Er konnte Direktor Hartfield nicht unter die Augen treten. Er wollte diesen Mann niemals wiedersehen. Ja, er sah ein, dass er seine Strafe verdient hatte, aber er wollte nicht darum betteln, dass sie zurückgenommen wurde. Seine magischen Kräfte mochten begrenzt sein und er hatte die Aufnahmeprüfung nur mit viel Glück bestanden, das hieß aber nicht, dass er keinen Stolz besaß. Eigentlich war Stolz sogar das Einzige, was ihm geblieben war. Der und die Einsicht, einen Fehler begangen zu haben, den keine Strafe der Welt wieder gutmachen konnte. Darum war er auch nach Ablauf der zwölf Tage Suspendierung dem Institut ferngeblieben.

Leider gehörte zu seiner Abkehr vom Studium, dass er seine Freunde nicht mehr treffen konnte. Denn sie wussten noch gar nicht alles. Das Schlimmste hatte er ihnen verschwiegen und das aus gutem Grund. Er kannte sie. Sie würden alles tun, um ihm zu helfen, und sich damit nur selbst in Schwierigkeiten bringen. Das hatten sie nicht verdient.

Er sah in ihre vertrauten Gesichter, in denen sich unterschiedliche Grade der Hoffnung spiegelten, und schaffte es irgendwie, ein Grinsen aufzusetzen. »Hey, guckt nicht so bedröppelt. Dass ich nicht mehr zur Academy gehe, heißt doch nicht, dass wir uns nicht mehr sehen können.«

Doch genau das hieß es in seinem Fall, aber er vertraute darauf, dass sie ihn noch vor dem Beginn des nächsten Semesters vergessen haben würden. Nur eine Frage der Zeit.

»Unsere Pen and Paper Runde findet also wieder statt?« Emily sah aus, als wollte sie einen Stift zücken und diese Tatsache zu Protokoll nehmen.

»Von mir aus ja«, log Bek. Ihm würde dann schon eine passende Ausrede einfallen. Er war ersetzbar. Schließlich gab es genug Leute, die Rollenspiele mochten. »Aber erstmal gebe ich einen aus. Was trinkt ihr?«

Wenigstens einmal noch wollte er Zeit mit seiner Chaos-Crew genießen. Einen Abend lang vergessen, dass er sein altes Leben unwiederbringlich verloren hatte.

Leider erinnerte ihn Emily bereits nach dem zweiten Pint wieder daran. Dabei hatten sie gerade so schön unverfänglich über ihre neuen Lieblingsserien gesprochen. »Ach übrigens, ich habe hier die Anmeldeformulare für deine Prüfung.« Sie schob ihm einen Stapel feinsäuberlich mit Heftklammern zusammengehaltene Papierbögen über den runden Tisch zu.

Bek stellte sein feuchtes Pint Bier darauf. »Ich bin kein Student mehr.«

»Doch, bist du!«, sagten die drei Verräter im Chor.

»Du bist noch immatrikuliert«, ergänzte Emily.

»Mach halt die Prüfung«, fügte Penny schroff hinzu. »Oder hast du Schiss?«

»Ich weiß nicht mal, was für eine Prüfung das sein soll«, log Bek. Er wusste es nur zu genau. Für dieses Semester fehlte ihm nur noch eine Prüfung. Und ja, er hatte Schiss. Vor allem aber sah er keinen Grund darin, sich dieser Demütigung auszusetzen. Auf keinen Fall würde ihn Hartfield durchkommen lassen.

»Die Prüfung in praktischer Anwendung deiner Schwerpunktmagie«, sagte Stone unschuldig, der offenbar wirklich glaubte, Bek hätte das vergessen.

»Nun ja, es gibt da ein winziges Problem.« Bek hob sein Pint zu einem ironischen Salut. »Ihr wisst es vielleicht nicht, aber meine Schwerpunktmagie hatte was mit Pflanzen zu tun. Damit wäre wohl alles zu diesem Thema gesagt.« Er nahm einen großen Schluck und stellte das Glas härter als nötig zurück auf den Papierstapel, ein Stück neben den feuchten Abdruck, den es bereits darauf hinterlassen hatte.

»Es sind noch ein paar Wochen bis zur Prüfung. Du könntest …«

»Nein«, unterbrach Bek Penny. Er milderte seinen unwirschen Ton mit einem charmanten Lächeln ab oder jedenfalls dem, was er dafür hielt. »Leute, wirklich, ich habe genug von der Academy und allem, was damit zu tun hat. . Das war einfach nichts für mich und es ist doch super, dass ich das noch rechtzeitig gemerkt und nicht Jahre meines Lebens damit verschwendet habe.«

Stone musterte ihn anklagend. »Du hast das Studium geliebt! Alles davon! Sogar das Kampftraining!«

Bek verzog das Gesicht. Das Kampftraining vermisste er nicht wirklich. Anders als Penny und Emily, die sich schon für die Fortgeschrittenenkurse eingeschrieben hatten. »Eigentlich habe ich mich sowieso nur bei der Academy beworben, damit mein Dad Ruhe gibt.« Das war ausnahmsweise nicht gelogen. Sein Dad hatte ihn zwar nicht offen zu dieser Laufbahn gedrängt, doch allzu oft durchblicken lassen, dass es ihn sehr glücklich machen würde, sollte sich Bek für die HAM entscheiden, die berühmte Hamilton Academy für Magiebegabte.

»Das ist der größte Quatsch, den ich je gehört habe.« Penny knallte ihr Pintglas ebenfalls auf den Tisch. »Wir sind deine verdammten Freunde. Wir durchschauen dich.«

»Uh, gruselig.« Bek schauderte übertrieben. »Soll das heißen, ihr wisst, was ich letzten Sommer gemacht habe?«

»Für die Aufnahmeprüfung gelernt?« Stone lächelte ihn sonnig an.

»Was Penny sagen will: Wir mögen dich und werden immer für dich da sein«, sagte Emily ernst. »Wir wissen zwar nicht, was genau mit dir passiert ist, aber wir helfen dir, das wieder hinzubekommen.«

Da lag ja gerade das Problem. Bek wollte nicht, dass sie ihm halfen. Es würde nichts bringen und nur dazu führen, dass sie ihre begehrten Studienplätze verloren. Er hatte schon genug Mist gebaut, daran wollte er auf keinen Fall auch noch schuld sein.

»Letzte Ansage! Ich werde nicht weiterstudieren! Ich gehe nicht zurück an die Academy! Mein Leben ist cool, so wie es ist. Wer holt die nächste Runde?«

Da ihn alle nur finster anstarrten, sammelte er die leeren Gläser ein und ging zur Theke. Die Tische des Pubs waren mittlerweile zu knapp einem Drittel besetzt und voller würde es an einem Dienstag auch nicht werden.

Maggie griff nach den Gläsern. »Weißt du was, ich geb dir für heute frei«, erklärte sie zu Beks Schrecken. »Amüsier dich mit deinen Freunden. Hab gar nicht gewusst, dass du welche hast. Die sehen nett aus.«

Bek warf einen Blick über seine Schulter und versuchte, die Chaos-Crew durch Maggies Augen zu sehen. Eine gepflegte, füllige Blondine, die wie eine junge, aufstrebende Anwältin aussah. Eine drahtige Rothaarige in schwarzem Leder, der die meisten Leute vermutlich lieber nicht im Dunkeln begegnen wollten. Und ein dürrer, bleicher Schlaks mit traurigem Hundeblick, der völlig übernächtigt wirkte.

»Ja, sie sind total nett«, stimmte Bek zu. Er wusste, dass Emily topfit war und ihn jederzeit quer durch die Trainingshalle prügeln konnte, wenn sie es beim Krav Maga darauf anlegte, und dass sie sich später bei SAW bewerben würde. Dämonenjagd, Außendienst. Penny dagegen wollte ihre magischen Fähigkeiten als Heilerin einsetzen und jobbte schon jetzt in einem Pflegeheim. Und Stone war ein wahres Musikgenie und konnte jedes Instrument nach wenigen Wochen Übung meistern. Seine große Liebe galt jedoch dem E-Bass und er spielte in fünf verschiedenen Bands von Death Metal bis Folk.

Bek liebte sie alle. Das waren seine Freunde. Vielleicht könnte er doch …

Sein Blick flog zu dem Regal hinter dem Tresen. Aus der Entfernung konnte er sie zwar nicht erkennen, aber unter all den Flaschen war auch eine unauffällige Bierflasche versteckt, von der sein Schicksal abhing.

Sein Schicksal..

Er würde diese großartigen Menschen nicht mit ins Verderben reißen. Er hatte sich den Mist eingebrockt und musste allein damit klarkommen. Und das würde er. Schließlich war er ein Flaschengeist.

Die Flasche

Kaum hatte Angus die Stadtgrenze Edinburghs hinter sich gelassen, fing sein Smartphone an zu brummeln und auf dem Beifahrersitz herumzurutschen. Fluchend fuhr er links ran und schnappte sich das Teil. Einen Vorteil musste er seiner neuen Unterkunft zugestehen: Es gab dort keinen Empfang. Er hatte noch nicht herausgefunden, ob diese erfreuliche Tatsache auf ein frisches Dimensionsloch zurückzuführen war, oder ob es sich um einen Dauerzustand wegen der landschaftlichen Gegebenheiten oder der allgemeinen Netzabdeckung handelte.

»Ja?«, bellte er in das Gerät, ohne einen Blick auf das Display zu werfen. Er konnte sich ohnehin denken, wer ihn anrief. Wie erwartet drang die konsternierte Stimme von William Abercrombie an sein Ohr, dem Anwalt und Nachlassverwalter seiner kürzlich verstorbenen Tante.

»Mr. Curran?«

Wer sollte es denn sonst sein. »Ja, Curran hier«, sagte Angus schroff. Dieser Anruf verhieß nichts Gutes.

»Entschuldigen Sie bitte die Störung. Es geht um Ihren Termin mit Castleton Incorporated.«

Schon beim Klang der blasierten Stimme kam ihm beinahe sein Frühstück hoch. Er mochte diesen verdammten Snob von Anwalt nicht und ihr erstes Gespräch war mehr als unerfreulich verlaufen. Abercrombie hatte von Anfang an keinen Hehl daraus gemacht, dass er nichts von dem Neffen seiner Mandantin hielt und nicht verstand, warum die von ihm verehrte alte Dame ausgerechnet einem ungebildeten Taxifahrer ihr Herrenhaus vermacht hatte. Angus kapierte  selbst nicht, was seine Tante dazu bewogen hatte, das gab dem Anwalt jedoch noch lange nicht das Recht, ihn zu behandeln wie einen lästigen Bittsteller. Natürlich mit ebenso ausgesuchter wie aufgesetzter Höflichkeit. Auch jetzt teilte er ihm in gewählten Worten mit, dass der Kaufinteressent sein Angebot zurückgezogen hatte und sich nicht mehr mit Angus treffen wollte.

Angus schloss die Augen und ließ den Kopf schwer gegen die Nackenstütze fallen, die prompt knirschend nachgab und auf Nimmerwiedersehen im Fußraum vor den Rücksitzen verschwand. Er verkniff sich einen weiteren Fluch und wartete ab, bis Abercrombie seine von Entschuldigungen und bedauernden Floskeln gespickte Rede endlich beendet hatte. Der Kerl lachte sich doch in Wahrheit ins Fäustchen! Dem war alles recht, wenn nur Angus keinen Profit aus dem alten Kasten schlagen konnte.

»Warum?«, fragte er möglichst kühl, obwohl es in ihm brodelte. Er wollte dem Anwalt ja nichts unterstellen, aber er konnte den Verdacht nicht ganz verdrängen, dass der etwas mit dem plötzlichen Rückzug des Käufers in spe zu tun gehabt hatte.

»Nun, nach einem Studium des Gutachterberichts sah sich Castleton leider nicht mehr in der Lage, das bisherige Angebot aufrechtzuerhalten.«

»Was hätten die denn gezahlt? Sind Sie mit dem Preis runtergegangen?«

»Natürlich nicht«, erwiderte sein Gesprächspartner so pikiert, als hätte Angus ihm einen unsittlichen Antrag gemacht. »Wie ich Ihnen bereits mehrmals mitgeteilt habe …«

Angus knirschte mit den Zähnen und hielt das Smartphone weiter weg von seinem Ohr. Diese Predigt hatte er tatsächlich schon einige Male über sich ergehen lassen müssen. Abercrombie vertrat die Meinung, dass sich das Herrenhaus nach einer gründlichen Renovierung zu einem weitaus besseren Preis verkaufen lassen würde. Statt besser verwendete er allerdings den Ausdruck angemessen. Ohne es direkt auszusprechen, ließ er deutlich durchblicken, dass er es für schändlich hielt, wenn Angus das Haus zu einem Schleuderpreis verhökern würde. Ab und zu hatte er auch erwähnt, dass sich seine Mandantin gewünscht hätte, dass die Bruchbude in Familienbesitz bliebe.

Tja, Pech, dann hätte sie den alten Kasten eben nicht ausgerechnet ihm vermachen dürfen. Er verspürte nicht die geringste Lust, das Ding zu renovieren. Und um jemanden damit zu beauftragen, fehlte ihm das Geld. Er hätte ohnehin Unmengen von Kohle in das marode Gemäuer stecken müssen, ohne Garantie, es dann zu einem Preis verkaufen zu können, der seine Ausgaben wieder hereingeholt hätte. Im Gegenteil. Er war  dazu bereit, das Haus an den Nächstbesten zu verramschen, nur um es los zu sein.

»Was ist mit diesem anderen Heini?«, fragte er resigniert.

»Sie meinen die Serendipity Group?« Jetzt hörte Abercrombie sich an, als hätte Angus vor, das Haus in einen Puff zu verwandeln. »Ich halte diesen Käufer keinesfalls für angemessen.«

Angemessen. Da war es wieder. Das Lieblingswort des Rechtsverdrehers. Und Angus wusste genau, dass er auch ihn für alles andere als angemessen hielt, nicht nur, was die Erbschaft anging.

»Zudem dürften auch diese Gentlemen sich wenig begeistert von dem Gutachten zeigen. Um nicht zu sagen, es könnte erheblich dazu beitragen, sie zu einem …«

»Ja, schon gut, ich hab’s verstanden!«, unterbrach Angus ihn. Er konnte dieses schnöselige Geseier nicht länger ertragen. »Okay, ich sag Ihnen was, ich mach was an dem Haus und lasse ein neues Gutachten erstellen. Ein … angemessenes. Und das legen Sie dann den Serendipity-Heinis vor. Deal?«

Eine Weile herrschte Stille. Angus sah Abercrombie deutlich vor sich, wie er mit gerümpfter Nase imaginäre Staubkörnchen von seinem Anzug wischte. »Ähm, ja. Deal.« Er sprach es aus, als hätte er etwas Widerwärtiges im Mund. »Teilen Sie mir bitte mit, wenn Greystone Manor bereit für die nächste Beurteilung ist.«

»Aye. Bis dann.« Angus unterbrach die Verbindung und stöhnte verzweifelt auf. Ihm blieb nichts anderes übrig, als selbst Hand anzulegen. Seine Klempnerausbildung käme ihm dabei zugute, aber die reichte nicht. Er war niemand, der sich scheute, auch mal anzupacken, doch dieses Haus ... das konnte man eigentlich nur noch abreißen, und genau das hatte die Serendipity Group auch vor, wie er dem Kaufangebot entnommen hatte. Warum also vorher noch Arbeit in ein Gebäude stecken, das ohnehin einer schicken Luxuslodge weichen sollte? Am liebsten hätte er es ohne die vermeintliche Hilfe von Abercrombie vertickt. Leider stand im Testament, dass der Verkauf unbedingt von ihm abgewickelt werden sollte. Und der Anwalt war strikt gegen einen Abriss des Herrenhauses. Er würde versuchen, andere Käufer zu finden. Dabei könnte es so einfach sein …

Als wäre jemals etwas in Angus’ Leben einfach gewesen. Na ja, wenn er seine frühere Lage mit der aktuellen Situation verglich, stellte sich sein Alltag als Taxifahrer als geradezu erstrebenswert dar. Das Herrenhaus hing wie ein Klotz an seinem Bein. Ein Klotz aus grauem Sandstein und unübersichtlichen Ländereien, die Angus, selbst zu einem Schleuderpreis verhökert, ein mehrjähriges gutes Leben verschaffen könnten. Wenn er das Geld klug anlegte, eventuell sogar bis zu seiner Rente. Er sah sich bereits an einem thailändischen Strand liegen. Da kostete das Leben nicht viel. Eine Bambushütte, eine Hängematte und Sonne, mehr brauchte er nicht. Endlich raus aus dem grauen Loch Schottland, wo es jeden Tag regnete.

Gerade jetzt schien allerdings die Sonne, als wollte sie ihn verhöhnen. Angus angelte seine Sonnenbrille aus dem Handschuhfach. Großartig, eine Stunde Fahrt umsonst. Fast. Es gab noch etwas, was er in der Stadt erledigen musste. Eigentlich hatte er sich davor drücken wollen. Wenn er sich allerdings wirklich an die Renovierung begeben wollte, brauchte er Geld. Er sah nur einen Weg, sich zügig welches zu beschaffen. Kein schöner Weg. Das einzig Positive an der unliebsamen Aufgabe bestand darin, dass er noch in der Stadt bleiben konnte. Er verspürte nicht die geringste Lust, sich auf den Rückweg in das löchrige Mausoleum zu machen, das sich hochtrabend Greystone Manor nannte. Wie hatte seine Tante es bloß so lange in dem Ding ausgehalten? Nun, sie war ja gestorben. Vermutlich an Unterkühlung oder weil sie zu viel Schimmel eingeatmet hatte, der sich über die Wände zog. Dass sie einundneunzig Jahre alt gewesen war, könnte natürlich auch mit hineinspielen.

Ach, verdammt. Wenn Angus schon einen miesen Job erledigen musste, konnte er sich genauso gut ein Pint genehmigen. Er griff nach dem Smartphone und schickte Nachrichten an seine Kumpel.

Eine halbe Stunde später traf er Jack und Walter in der Grünen Gans. Sie saßen bereits an einem Tisch in der Nähe der Theke und begrüßten ihn mit »Hallo, werter Herr Großgrundbesitzer, gibt es was zu feiern?«

»Reicht es nicht, dass ich in der Stadt bin?«

Jack und Walter lachten höflich. Vermutlich wollten sie sich wenigstens so lange mit ihm gut stellen, bis er sie an seinem Millionenerbe hatte teilhaben lassen. Angus ließ sich nicht lumpen und erbot sich, die erste Runde zu holen.

»Leider können wir nur auf ein Pint bleiben«, sagte Jack bedauernd. »Muss noch ein paar Touren machen heute.«

Angus hatte die beiden Taxen vor dem Pub parken sehen. »Wie laufen die Geschäfte denn?«

»Na, mies. Aber das interessiert einen reichen Erben wohl nicht wirklich.«

Angus war sich manchmal nicht sicher, ob Jack und Walter ihre Frotzeleien nicht doch ernster meinten, als sie vorgaben. Er ging zur Theke und wappnete sich für das, was er nun tun musste. Er hasste es. Bisher war immer er es gewesen, der Schulden bezahlen sollte. Welche bei anderen einzutreiben, lag ihm überhaupt nicht. Wie stellte man das vernünftig an, ohne dass entweder man selbst oder das Gegenüber das Gesicht verlor? Während er noch einen passenden Einstieg überlegte, stapfte Maggie Carpenter, Pächterin der Grünen Gans, bereits auf ihn zu, das Gesicht düsterer als eine Gewitterwolke und ein kariertes Geschirrtuch in der Hand wie eine Waffe. Angus duckte sich unwillkürlich, in der Befürchtung, sie würde ihm das Tuch jeden Moment um die Ohren schlagen.

»Sie wünschen?«, fragte Maggie drohend.

Angus räusperte sich. »Ähm.« Kein guter Anfang. Gar nicht gut. Zu devot, zu kriecherisch, keine Spur selbstbewusst. Er war hier nicht der Bittsteller, er verlangte nur, was ihm zustand. Es handelte sich um eine Geschäftsbeziehung, die auf einem eindeutigen Vertrag basierte. Warum also fühlte er sich wie ein mieser Kredithai, der unschuldige Menschen drangsalierte?

»Drei Pints Tenants, bitte«, fuhr er reichlich lahm fort.

Die Wirtin hob die Brauen und fing kommentarlos an zu zapfen. Angus sah ihr zu. Der Anblick von drei formschönen Gläsern, die sich allmählich mit bernsteinfarbener Flüssigkeit füllten, beruhigte ihn.

Maggie knallte die Getränke nacheinander vor ihn auf den Tresen. »Neun Pfund.«

Angus reichte ihr einen Zehnpfundschein und gab ihr mit einer Geste zu verstehen, dass er kein Wechselgeld wollte. Maggies Brauen näherten sich gefährlich ihrem Haaransatz. »Ich hab noch zwei Tage«, sagte sie in eisigem Ton. Angus hätte wetten können, dass die Temperatur des Biers um zehn Grad sank.

»Ich bin jetzt in der Stadt«, erklärte Angus, merkte, dass dies absolut überflüssig war, schließlich stand er leibhaftig vor ihr. Er ärgerte sich über sich selbst und fuhr schroff fort: »Werd bestimmt nicht in zwei Tagen nochmal herkommen, nur um die Pacht zu kassieren.«

»Tja, dann ist das wohl so.« Sie hob das Kinn und verschränkte die Arme.

»Wie haben Sie das denn mit meiner Tante geregelt?«

»Das geht Sie nichts an. In zwei Tagen habe ich das Geld.«

»Auch das für die letzten drei Monate?«

Wenn Angus auch nicht viel von Abercrombie hielt, er hatte ordentlich Buch über die Vermögenswerte seiner Tante geführt und ihm zudem bereitwillig mitgeteilt, dass die Zahlungen für den Pub, den sie seit zwanzig Jahren an die Familie Carpenter verpachtet hatte, seit mehreren Monaten nicht eingegangen waren. Bei seinem darauf folgenden ersten Besuch in der Grünen Gans hatte Maggie dies nicht bestritten, aber behauptet, sie würde den fehlenden Betrag beschaffen. Angus hatte sich damit zufriedengegeben. Ihm war die Situation schon da unangenehmer gewesen als eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt und er war froh gewesen, sich schnellstmöglich wieder vom Acker machen zu können.

Jetzt brauchte er das Geld aber. Dringend. Ohne Kohle kein Material für wenigstens die gröbsten Instandsetzungen des Herrenhauses. Und er hatte nicht vor, sich länger hinhalten zu lassen.

»Die zahle ich auch in zwei Tagen«, beschied Maggie ihm.

»Angus, wo bleibt unser Bier?«, rief Jack herüber.

»Besorgen Sie das Geld. Ich bleibe noch eine halbe Stunde, so lange haben Sie Zeit.« Angus bemühte sich, ebenfalls kühl und geschäftsmäßig aufzutreten, klang aber in seinen Ohren nur genervt und miesepetrig. Na schön, dann war er eben das. Ein miesepetriger Schuldeneintreiber, der keine Gnade kannte. Die Wirtin wirkte allerdings wenig beeindruckt. Sie wandte sich wortlos von ihm ab und polierte die Biermarkenaufsätze an den Zapfhähnen.

Angus zog mit seinen Pints ab. Das war noch schlechter gelaufen als befürchtet. Maggie hasste ihn und er sich selbst ebenfalls. Er wollte diese Rolle nicht spielen. Er wollte kein abbruchreifes Haus am Hals haben und auch keinen Pub mit einer zahlungsunwilligen Pächterin. Besitz brachte nur Ärger ein, er hatte es immer geahnt.

»Ah, der Großgrundbesitzer hält schon die Augen offen.« Jack zwinkerte ihm zu. Angus begriff nicht, was er meinte und trank erst mal einen Schluck.

Walter ruckte mit dem Kinn Richtung Theke. »Hübsches Mädel. Und kann echt gut zapfen.« Anerkennend betrachtete er den Zentimeter Schaum auf seinem Pint, der genau mit der oberen Glaskante abschloss. »Hast du ihre Nummer bekommen?«

»Da liegt ein Missverständnis vor«, knurrte Angus. Er wollte seinen Kumpeln nicht auf die Nase binden, dass er neuerdings nicht nur ein Haus samt mehreren Hektar Land besaß, sondern auch noch einen Pub. So dicke waren sie nun auch wieder nicht und er bereute sowieso schon, dass er ihnen von dem Erbe erzählt hatte. Wieso hatte er ihnen bei seinem Abschied vor acht Wochen nicht einfach weisgemacht, er würde nach Thailand auswandern?

»Gib ihr deine Nummer«, riet Jack und schob ihm auch gleich einen Bierdeckel zu. »Schreib sie hier drauf. Die Kleine hat Interesse an dir, sie schaut ständig rüber.«

Und warf Angus wahrscheinlich mordlüsterne Blicke zu. Wie hatte Jack bloß seinen letzten Sehtest bestanden?

Eine Weile lenkte sich Angus mit nichtssagendem Geplänkel über Straßensperrungen, neue Einbahnstraßen, die Parksituation und eine Brückensprengung wegen eines Aufstands rebellischer Trolle ab. Dann klingelte Jacks Smartphone und der nahm erfreut eine Tour zum Flughafen an. Walter verabschiedete sich ebenfalls. Angus starrte trübe in sein leeres Glas. Er hatte keine Lust, zurück in die muffige Schimmelbude zu fahren. Er hatte keine Lust, auch noch Arbeit in den alten Kasten hineinzustecken, der sowieso abgerissen werden sollte. Aber am allerwenigsten Lust hatte er auf ein weiteres Gespräch mit Maggie Carpenter.

Außer ihm befand sich am frühen Nachmittag kein weiterer Gast im Pub. Er beschloss, Klartext zu reden. Im Kopf legte er sich die Worte zurecht, die sogar das Herz einer abgehärteten Wirtin erweichen würden. Geliebte Tante, schweres Erbe, marodes Haus, dringende Renovierungen, armer Ex-Taxifahrer, bla bla. Angus spielte mit dem Gedanken, eine mitleiderregende Miene aufzusetzen. Leider wusste er aber, wie er auf andere wirkte. Eher Typ Räuberhauptmann als Sonnyboy. Also behielt er seinen üblichen mürrischen Gesichtsausdruck bei und wagte sich erneut an die Theke.

Maggie tat zunächst so, als bemerke sie ihn nicht. Er lehnte sich lässig an den Tresen und ließ den Blick über das Getränkearsenal auf den Regalen schweifen. Die üblichen Whiskysorten waren dort aufgereiht und ganz am Rand stand eine alte Bierflasche mit vergilbtem Etikett. Trotzdem wusste Angus sofort, um welches Bier es sich handelte. Smithwicks, das er damals während seines einzigen gemeinsamen Urlaubs mit seinem Vater getrunken hatte. Sie waren mit einem alten Ford und einem nicht ganz so alten Zelt durch Irland gefahren, hatten angehalten, wo es ihnen gefiel und immer einen Vorrat Bier im Kofferraum gehabt. Im Gegensatz zu dem heutigen roten Etikett, zierte damals ein grünes die Flaschen dieser Marke. Und dieses spezielle Exemplar hier stammte vermutlich sogar aus der Zeit ihres denkwürdigen Roadtrips. Ein Jahr später war sein Vater an einem Herzinfarkt gestorben.

Angus war niemand, der in der Vergangenheit lebte oder ihr erlaubte, Macht über seine Gegenwart auszuüben. Vorbei war für ihn vorbei. Ließ sich nicht mehr ändern. Er lebte im Jetzt. Aber warum konnte er dann seinen Blick nicht von dieser ollen Pulle losreißen? Seine Fingerspitzen kribbelten in dem Wunsch, über das Glas zu streichen, das ausgefranste Etikett zu berühren. Er wollte diese Flasche. Er musste sie haben. Dann konnte er alles erreichen. Er wusste es genau.

»Noch eins?« Maggie Carpenters Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

»Kann ich die Flasche da mal sehen?«, fragte er. Verspätet fiel ihm ein, wie seltsam das auf die Frau wirken musste. Sie drehte sich um. »Was für eine … Wie kommt denn die da hin?«

Mit sicherem Griff nahm sie die Flasche aus dem Regal. Nun sah Angus, dass sie leer war. Besser so, wäre sonst schade um den Inhalt gewesen. Selbst Bier hielt nicht ewig und es war wirklich eines der ganz alten Exemplare, wie er erkannte, als sie vor ihm stand. »Kann ich die haben?«

Wieso hatte er denn das gefragt? Was wollte er mit einer leeren, staubigen Bierflasche? Wurde er auf seine alten Tage sentimental? Woher kam der drängende Wunsch, sie zu berühren, sie zu besitzen, sie …

»Klar. Weiß sowieso nicht, warum die im Regal stand. Sie ist leer.«

Zumindest war Angus nicht der Einzige, der offensichtliche Tatsachen kommentierte. Fast ohne sein Zutun schlossen sich seine Finger um den gläsernen Hals. Unendliche Erleichterung breitete sich in ihm aus, vermischt mit einem seltsamen Flattern im Bauch. Jetzt ist alles möglich. Woher kam denn dieser Gedanke, der wie eine Leuchtreklame in seinem Kopf aufblinkte? Irgendwas stimmte nicht mit ihm. Er brauchte dringend frische Luft.

»Danke. Bis dann«, stieß er hervor und stürzte aus dem Pub, seinen kostbaren Schatz an die Brust gedrückt. Er merkte, wie albern das war, konnte sich aber nicht dazu durchringen, sie loszulassen oder wenigstens lässig in einer Hand zu halten.

Erst draußen fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, auf die sofortige Zahlung der Pacht zu bestehen. Dafür hatte er jetzt eine leere Flasche, die ihm seltsame Gefühle bescherte. Der Tag konnte nur noch besser werden.

Geist ohne Flasche

Mühsam hob Bek die verklebten Lider. Die Zunge lag ihm wie ein ausgetrockneter Putzlappen im Mund und schmeckte nach totem Biber. Jedenfalls so, wie er sich toten Biber vorstellte, und das war nicht angenehm. Halbblind tastete er neben seiner Matratze nach der Wasserflasche, fand sie und musste feststellen, dass sie nur noch eine trübe Pfütze enthielt, die dem Biberaroma eine säuerliche Note hinzufügte. Würgend setzte er sich auf und wischte sich mit dem Handrücken über die spröden Lippen. Durch die schmalen Fenster, die sich unter der Decke seines Zimmers befanden, drang erschreckend helles Licht. Verdammt, wie spät war es?

Fahrig griff er nach dem Smartphone, das neben seinem Kopfkissen lag. Schwarzes Display. Das Ding war tot. Er hatte vergessen, es rechtzeitig aufzuladen. Ergeben suchte er nach dem Ladekabel, das sich wie eine dünne weiße Schlange auf dem Boden ringelte. Nach zwei Anläufen schaffte er es mit zitternden Fingern, das Telefon einzustöpseln. War das schon das erste Anzeichen der Alkoholsucht? So viel war das gestern doch gar nicht gewesen. Na ja, doch. Aber bei den vier Pints aus seiner Erinnerung handelte es sich um einen Ausrutscher. Seit der Aufgabe des Studiums war sein Alkoholkonsum geradezu auf null gesunken, was umso merkwürdiger war, da er in einem Pub arbeitete. Doch bei der Arbeit galt es, stets nüchtern zu sein.

Bis auf gestern.

Bek hatte seine Schicht gründlich verkackt. Oder nicht? Dunkel tauchte das Bild einer grinsenden Maggie vor ihm auf, die ihm sagte, er könnte sich den Abend freinehmen. Noch dunkler erinnerte er sich an seine begeisterte Zustimmung. Da musste sein Pegel schon bei mindestens drei Pints gewesen sein, sonst hätte er sich nicht darauf eingelassen. Er brauchte das Geld.

Dudelnd erwachte sein Smartphone zum Leben. Ein Blick auf die Uhrzeit ließ ihn stöhnend auf die Matratze zurücksinken. Viertel nach drei! Nachmittags! Zu spät für die Schicht bei Botenglück. Nach einem weiteren Studium der Anzeige atmete er halbwegs erleichtert auf. Kein Netz. Wie wäre es mit der Ausrede,, krank geworden zu sein und keine Möglichkeit gehabt zu haben, die Zentrale zu kontaktieren? Nichts Ungewöhnliches in Schottland nach dem Wandel. Da konnten die Magier noch so viel Aufhebens um ihr Schutzschild machen, es funktionierte auch nach Jahrzehnten nicht zuverlässig, um eine störungsfreie Netzverbindung zu garantieren. Die Menschen hatten sich damit arrangiert und manchmal war Bek sogar ganz froh über diese Einschränkung.

Zumindest blieb noch genug Zeit bis zur Abendschicht im Pub. Probeweise hob er den Arm und schnüffelte an seiner Achselhöhle. Puh. Da war eine Dusche fällig. Außerdem fiel ihm auf, dass er noch seine Jeans trug und es lediglich geschafft hatte, sein Shirt und eine Socke auszuziehen. Mit ungutem Gefühl versuchte er, sich an den vergangenen Abend zu erinnern. Emily, Stone und Penny hatten ihm im Pub aufgelauert. Na ja, sie würden es wohl eher Besuch nennen. Und es war auch schön gewesen. Zu Anfang.

Blitzartig zuckten Bilder durch Beks Hirn, die sein Gesicht glühen ließen. Er gab auf dem Tisch, eine fragwürdige Version eines Songs von Snow Patrol zum Besten, während Stone zwei Löffel als Percussion-Instrumente nutzte, um ihn zu begleiten. Emily, die ihm zusammengefaltete Geldscheine in den Bund seiner Jeans steckte. Hä? Irritiert tastete Bek an sich herum, bis Papier zwischen seinen Fingern knisterte. Er zog den schwitzigen Zettelwust aus seinen Jeans und stellte halb erleichtert, halb enttäuscht fest, dass es sich keineswegs um Geld handelte, sondern um die Anmeldeunterlagen für die Prüfung. Eingerissen, durchfeuchtet und vermutlich auch stinkig. Bek verzichtete diesmal auf eine Geruchsprobe, knüllte die Blätter zusammen und schleuderte sie von sich.

Keine Prüfung für ihn. Und auch keine peinlichen Abende im Pub mehr mit der Chaos-Crew. Immerhin hatte er ihnen eine Abschiedsvorstellung geliefert, an die sie sich noch eine Zeit lang erinnern würden. Hoffte er. Nach seiner Tanz- und Gesangseinlage versank der Abend in einem diffusen Wirbel aus Gelächter, kaltem Bier, noch mehr Bier und dem Echo eines unbegründeten Glücksgefühls.

Bek stemmte sich von der Matratze hoch. Seine Beine fühlten sich an wie zu lange gekochte Spaghetti. Komisch, sonst war er besser mit ein paar Pints zu viel zurechtgekommen. Als er noch Student der Academy für magisch Begabte gewesen war und nicht alle Pflanzen in seiner Gegenwart sofort zu vertrockneten Mumien wurden. Mit bebenden Händen sammelte er sein Duschzeug zusammen. Bestimmt war er nur unterzuckert. Erst duschen, dann ein Frühstück bei Maggie schnorren. Es hatte schon Vorteile, im Keller unter einem Pub zu wohnen.

Die Wirtin hatte ihm den Raum zur Verfügung gestellt, nachdem er aus dem Zimmer im Studentenwohnheim der Academy geflohen war. Ein paar leere Bierkästen dienten ihm als Tisch und Sitzgelegenheiten und Maggie hatte eine gebrauchte Matratze und einen mottenzerfressenen Teppich beigesteuert. War ziemlich gemütlich und vor allem billig. Da sich die Herrentoilette des Pubs ohnehin im Keller befand, konnte Bek sie benutzen. Und als Dusche verwendete er den Wasserschlauch in dem Raum, in dem Maggie die Bierfässer lagerte. Sie maulte zwar ab und zu ein wenig herum, wenn er vergaß, den Seifenschaum richtig wegzuspülen, aber hatte sonst nichts gegen die Zweckentfremdung einzuwenden. Schließlich lag es auch in ihrem Interesse, dass ihr bester Mitarbeiter sauber zur Schicht erschien.

In diesem Fall auch ihr einziger Mitarbeiter.

Beks Hoffnung, das kalte Duschwasser würde seine Lebensgeister wecken, bestätigte sich nicht. Er fühlte sich noch so schwach und zittrig wie direkt nach dem Aufwachen. Womöglich wurde er einfach alt. Klar. Mit Anfang zwanzig. Oder er brütete eine Erkältung aus. Maggie machte ihm sicher einen Ingwertee mit Zitrone. Diese Aussicht belebte ihn so weit, dass er sich die Treppe hochschleppen konnte. Der vertraute Geruch von Putzmitteln und einem Hauch schalem Bier stieg ihm in die Nase. Ein paar tapfere Sonnenstrahlen, die es durch die Ritzen der Rollos schafften, tauchten den  leeren und penibel sauberen Schankraum in trübes Licht. Unter der Woche schloss Maggie den Pub nach der Mittagszeit und öffnete erst am frühen Abend wieder. Bek hörte Geschirrklappern aus der Küche und sah bereits Tee und Frühstück in greifbare Nähe rücken. Aus Gewohnheit warf er einen Blick auf das Regal hinter der Theke. Whiskyflaschen und daneben ... war nichts!

Hitze flutete seinen Körper, gefolgt von einem Kälteschauer. Ihm hämmerte das Herz gegen die Rippen. So schnell, dass er über seine eigenen Füße stolperte, stürzte er auf den Tresen zu. Wo war seine Flasche? Sie konnte doch nicht weg sein! Bestimmt hatte Maggie sie nur woanders hingestellt. Sein Blick huschte über das Bord, von rechts nach links und wieder zurück . Eine Menge Flaschen, aber seine war nicht darunter. Gegen jede Logik streckte er die Hand aus und legte sie auf die Stelle neben dem Glenfiddich, an der sie gestanden hatte, an die Wand gerückt, im Schatten, unauffällig … und jetzt fort.

War sie heruntergefallen und zerbrochen? Nein, unmöglich, dann würde er nicht hier stehen können. Die Aussage des Direktors zu diesem Thema war eindeutig gewesen. Die Flasche musste noch irgendwo sein. Aber wo?

»Maggie«, krächzte er. Seine Stimme verlor sich in dem stillen Raum wie die feinen Staubkörnchen, die in einem Lichtstreifen tanzten. »Maggie!« Er rief so laut er konnte und hörte sich doch jämmerlich schwach an. Waren das schon die ersten Auswirkungen? Fühlte es sich so an, wenn man als Flaschengeist seine Flasche verlor? Seine Sicht verschwamm. Ein heller Umriss kam auf ihn zu, wie aus weiter Ferne hörte er Maggies Worte.

»Bek! O Mann, siehst du Scheiße aus!«

»Wo ist die Flasche?«, stammelte Bek.

»Hast du gestern nicht genug gehabt?«

Bek blinzelte, sah ein wenig klarer. Maggies besorgtes Gesicht, das Glas mit sprudelnder Flüssigkeit, das sie in der Hand hielt.

»Hier, trink das. Aspirin.«

Bek machte eine abwehrende Bewegung. »Die Flasche!«, schrie er. »Wo ist die verdammte Flasche? Die hier stand? Da, da!« Er drehte sich um, taumelte hinter die Theke und klopfte auf die leere Stelle. Das Versteck war ihm so sicher vorgekommen! Wo konnte man eine leere Flasche unauffälliger deponieren als hinter einer Theke in einem Pub?

»Beruhig dich mal!«, rief Maggie. »Wenn du die alte leere Bierpulle meinst – die hat gestern jemand mitgenommen.«

»Was? Aber … wie konntest du das zulassen?« Beks Stimme überschlug sich.

Maggie hob die Schultern, streckte die Hände nach vorne, Innenflächen nach oben, und sah aus wie ein Fußballspieler, der nach einem besonders üblen Foul Unschuld vorspielte. »Sie war leer! Mir war sie vorher nie aufgefallen! Warum hätte ich sie ihm nicht geben sollen?«

Ja, warum nicht? Aber weshalb hatte sie das Ding überhaupt gesehen? Angeblich konnte das niemand. Angeblich war sie durch einen Zauber verborgen. Hatte Direktor Hartfield Bek etwa angelogen? Wütend genug war er gewesen. Aber würde er den Tod eines seiner Studenten, Ex-Studenten, in Kauf nehmen?

Beks Beine trugen ihn nicht mehr. Er konnte sich gerade noch auf einen der Barhocker ziehen. Das hier war eine Katastrophe.

»Wem?«, flüsterte er matt. Ohne Hoffnung. Wenn Maggie die Flasche einem Fremden überlassen hatte, war sein Schicksal besiegelt. Er würde sterben. Und so mies, wie er sich fühlte, schon sehr bald.

»Trink das erstmal«, befahl Maggie resolut und stellte das Glas vor ihn hin. »Ich wusste doch nicht, wie viel dir an dem alten Ding liegt. Ist das ein Sammlerstück?«

Automatisch nippte Bek an dem Wasser. »Sowas Ähnliches.«

»Tja, dann verstehe ich auch, warum er die unbedingt haben wollte. Seine Augen haben richtig gierig geglitzert. Ich hätte sie ihm beinahe nicht gegeben, aber ich dachte, dass ich ihn dann für ein paar Tage los bin.«

Bek horchte auf. »Du kennst den Typ also?«

»Na klar kenn ich den.« Maggie schnaubte. »Das war Angus Curran.« Sie spie den Namen aus wie einen Fluch.

Irgendetwas sagte Bek dieser Name. Er trank noch einen Schluck. Das Zeug half wirklich, denn langsam dämmerte es ihm. »Etwa der Angus Curran, dem jetzt der Pub gehört?«

Maggie hatte vor einigen Wochen erwähnt, dass es einen Besitzerwechsel gegeben hatte. Auf seine Fragen hatte sie nur mit verschlossener Miene den Kopf geschüttelt. Er hatte die Trauer in ihrem Blick gesehen und daraus geschlossen, dass sie den Vorbesitzer gemocht hatte und der wohl gestorben war. Irgendwann hatte sie dann Angus Curran erwähnt, der auf sofortiger Zahlung der Pacht der letzten drei Monate bestand. Bek hatte sich weiter keine Gedanken darüber gemacht und Maggie war auch nicht mehr auf das Thema zurückgekommen.

Bis jetzt.

»Ja, genau der«, knurrte sie. »Ein kaltschnäuziger Mistkerl, so ein richtig grober Klotz.«

Das klang zwar nicht sonderlich ermutigend, aber Bek war schon froh, überhaupt einen Namen zu haben. »Wo ist er jetzt?«

»Woher soll ich das wissen? Vermutlich fährt er mit seinem Taxi durch Edinburgh.« Maggie runzelte die Stirn. »Dir liegt wirklich viel an der Flasche, was?«

Bek hätte fast gelacht. Sein Leben hing davon ab! »Ja, das kann man wohl sagen. Hast du denn keine Adresse von ihm? Telefonnummer?«

»Hmm, doch. Telefonnummer hab ich. Auf einem Brief von seinem Anwalt, dass ihm jetzt der Pub gehört.« Maggies Augen schimmerten feucht. »Ich versteh nicht, wie Millicent einem Arschloch wie ihm die Grüne Gans vererben konnte.«

»Vielleicht hatte sie keine anderen Angehörigen«, sagte er ungeduldig. »Kannst du mir die Nummer bitte geben?«

»Okay. Hör mal, Bek, es tut mir echt leid wegen der Flasche. Aber ich glaube kaum, dass Curran sie dir zurückgibt. Der war echt scharf auf das Teil und er ist ein sturer Hund.«

»Ich regele das schon. Gib mir einfach die Nummer.« Bek widerstand der Versuchung, seinen Kopf auf die Theke sinken zu lassen. Er musste sich zusammenreißen. Da er keine Ahnung hatte, wie lange er ohne überleben konnte, musste er sie schnellstmöglich wiederbekommen.

Maggie machte sich auf den Weg in ihre Wohnung, die eine Etage über dem Pub lag, und Bek horchte angespannt in sich hinein. Tatsächlich ging es ihm nicht mehr allzu schlecht. Das Schmerzmittel hatte erstaunlich gut geholfen. Trotzdem wollte er lieber nichts riskieren. Er spielte mit dem Gedanken, Direktor Hartfield zu fragen, wie sich der Verlust der Flasche genau auswirkte. Dazu hätte er aber in die Academy fahren müssen und das wollte er nicht. Außerdem fürchtete er, dass Hartfield ihm höhnisch die Tür vor der Nase zuschlagen würde. Ihre letzte Begegnung war nicht gerade freundlich verlaufen.

Maggie polterte die Treppe herunter, kam in die Schankstube und reichte Bek einen Notizzettel. »Das ist seine Nummer. Brauchst es aber jetzt nicht zu versuchen, wir haben kein Netz.«

»Hab ich schon gemerkt. Wann war das? Wann ist er gegangen?«

»Müsste so kurz vor zwei gewesen sein, eine Stunde, bevor ich geschlossen habe. Er war mit zwei anderen Taxifahrern hier. Die haben alle direkt vor dem Haus im Halteverbot geparkt.«