Die Magie der tausend Welten - Die Schöpferin - Trudi Canavan - E-Book

Die Magie der tausend Welten - Die Schöpferin E-Book

Trudi Canavan

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Beschreibung

Der Abschluss der großen Fantasy-Saga von SPIEGEL-Bestsellerautorin Trudi Canavan!

Die tausend Welten stehen vor dem Abgrund, ihre Magie schwindet. Sowohl die Magierin Rielle als auch der Magier Tyen haben sich der Macht verweigert, mit der sie sich gegen den Verfall hätten wehren können. Dennoch fühlen beide sich verantwortlich, auch wenn nicht einmal ihre vereinte Macht ausreicht, die Menschen zu retten. Da tritt eine dritte Partei aus dem Dunkel und bietet eine Lösung. Rielle und Tyen müssen sich entscheiden – denn nur gemeinsam können sie das Gesetz der tausend Jahre beenden …

Die Magie der tausend Welten bei Penhaligon:
1. Die Begabte
2. Der Wanderer
3. Die Mächtige
4. Die Schöpferin

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Buch

Die tausend Welten stehen vor dem Abgrund, ihre Magie schwindet. Sowohl die Magierin Rielle als auch der Magier Tyen haben sich der Macht verweigert, mit der sie sich gegen den Verfall hätten wehren können. Dennoch fühlen beide sich verantwortlich, auch wenn nicht einmal ihre vereinte Macht ausreicht, die Menschen zu retten. Da tritt eine dritte Partei aus dem Dunkel und bietet eine Lösung. Rielle und Tyen müssen sich entscheiden – denn nur gemeinsam können sie das Gesetz der tausend Jahre beenden …

Autorin

Trudi Canavan wurde 1969 im australischen Melbourne geboren. Sie arbeitete als Grafikerin und Designerin für verschiedene Verlage und begann nebenbei zu schreiben. 1999 gewann sie den Aurealis Award für die beste Fantasy-Kurzgeschichte. Ihr Erstlingswerk, der Auftakt zur Trilogie Die Gilde der Schwarzen Magier, erschien 2001 in Australien und wurde weltweit ein riesiger Erfolg. Seither stürmt sie mit jedem neuen Roman die internationalen Bestsellerlisten. Allein in Deutschland wurden bislang über 2,5 Millionen Bücher von Trudi Canavan verkauft.

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Trudi Canavan

Die Schöpferin

DIE MAGIE DER TAUSEND WELTEN 4

Roman

Deutsch von Michaela Link

Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel

»Millenium’s Rule 04: Maker’s Curse« bei Orbit, an imprint of Little, Brown Book Group, an Hachette Livre UK company, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © der Originalausgabe 2020 by Trudi Canavan

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2020 by Penhaligon in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Alexander Groß

Umschlaggestaltung und -illustration: © Melanie Korte, Inkcraft

HK · Herstellung: sam

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-22308-3V001

www.penhaligon.de

ERSTER TEIL

1 Rielle

Der Ankunftsort war kreisförmig von drei niedrigen Mauern umgeben, von innen nach außen ansteigend, als wären es Sitzreihen um eine Bühne. Ein großer Felsbrocken beherrschte das Zentrum des Kreises. Während Rielle sich seitwärts zwischen den Welten fortbewegte, damit ihre Beine bei ihrer Ankunft nicht mit dem Felsbrocken verschmolzen, starrte sie auf den dunklen Fleck auf seiner Oberfläche und versuchte die Vorstellung zu unterdrücken, dass es sich um Blut handelte. Als Sauerstoff sie umgab, atmete sie ein, und ihr Herz krampfte sich bei dem vertrauten Geruch zusammen.

Es war tatsächlich Blut.

Schaudernd sah sie sich um. Das Gelände war eben und in Felder aufgeteilt. Auf der Straße, die zum Ankunftsort führte – oder wurde er inzwischen als Opferaltar genutzt? –, war niemand unterwegs, und an beiden Seiten wucherte Unkraut. Auf den Feldern konnte sie jedoch Arbeiter ausmachen. Noch hatte keiner von ihnen sie gesehen. Was da auf den Feldern wuchs, kannte sie nicht, und in der kühlen Luft hing auch nichts von dem Duft der Pflanzen, bei deren Ernte sie während ihres letzten Aufenthalts in dieser Welt mitgeholfen hatte. Ihre Sinne sagten ihr, dass sie nur sehr wenig Magie umgab. Das machte ihr aber keine Sorgen. Sie hatte genug mitgebracht, sodass es sehr unwahrscheinlich war, hier zu stranden.

Sie war seit fünf Zyklen nicht mehr in dieser Welt gewesen – wobei ein Zyklus das Zeitmaß war, das in den meisten Welten einem Jahr gleichkam. Als sie diese Welt verlassen hatte, hatte sie einen neuen Pfad erschaffen, doch nach so langer Zeit würde wohl keine Spur mehr davon übrig sein. Die verlässlichste Methode, hierher zurückzufinden, war gewesen, den Spuren des einst oft benutzten Pfades zu folgen, um dann bei ihrer Ankunft die Gegend aufzusuchen, in der sie damals gelebt hatte.

Nach den Pflanzen zu schließen, war sie in einem ganz anderen Teil der Welt angekommen als dem, an den sie sich erinnerte.

Sie hatte erfahren, dass ein plötzlicher Abzug der Energie unvorhersehbare Effekte auf Zivilisationen haben konnte und es dann häufig zu Gewalt und Chaos kam. Ohne Magie stellten die hiesigen Zauberer keine Gefahr für sie dar, und gewöhnliche Menschen schon gar nicht. Dennoch hatte sie gezögert, hierher zurückzukehren, weil sie befürchtete, dass sie durch ihren kurzen Besuch diese Welt möglicherweise zum Schlechteren verändert hatte und die Bewohner ihr diese Veränderungen anlasten könnten.

Denn sie trug tatsächlich die Schuld daran.

Sie war Qall nachgejagt, dem jungen Mann, dessen Körper dazu bestimmt war, den Geist des ehemaligen Herrschers über alle Welten mit Namen Raen zu empfangen. Dahli, der ergebenste Diener dieses Herrschers, hatte versucht, ihn wiederzuerwecken, und seine Gefolgsleute ausgeschickt, Qall zu finden und zu entführen. Als das gelungen war, hatte Qall sich dazu entschlossen, mit seinem Feind zusammenzuarbeiten, in der Hoffnung einen Ausweg aus der Situation zu finden. Um Rielle daran zu hindern, ihm zu folgen und damit die Situation zu verkomplizieren, hatte er die gesamte Magie aus einer Welt abgezogen, damit sie nicht mehr von dort wegkam.

Aber die Bewohner dieser Welt hatten das nicht gewusst, sondern nur bemerkt, dass sie ungefähr zur selben Zeit angekommen war wie Qall. Die Feinfühligeren unter ihnen hatten möglicherweise die Flut von Magie gespürt, die sie mehrere Tage später erschuf, als sie ihre Fähigkeit, nicht zu altern, geopfert hatte, um wieder eine Schöpferin zu werden. Denn nur so konnte sie die Magie erzeugen, die sie brauchte, um aus dieser Welt zu entkommen. Bestimmt hatten sie gespürt, dass jemand diese Magie nahm, und die Arbeiter und Verwalter der Kleiderfabrik hatten sie direkt danach verblassen und verschwinden sehen. Es dürfte die ansässigen Zauberer keine besonders große Mühe gekostet haben, um dahinterzukommen, dass sie etwas damit zu tun gehabt hatte.

Rielle griff nach dem rhombusförmigen Anhänger, der an einer Kette um ihren Hals hing, und drehte ihn zwischen den Fingern. Sie hatte die Borsten des Pinsels, der sich darin verbarg, schon dreimal ersetzen müssen, seit sie begonnen hatte, Welten wiederherzustellen, weil sie sich abnutzten, während sie malte, um Magie zu erzeugen. Beim Gedanken an das Bild, das sie im Dampfraum in der Fabrik in den Schmutz gezeichnet hatte, seufzte sie unwillkürlich. Sie hatte Arbeiter gezeichnet, die frei und in Wohlstand lebten, statt von Zauberern fast wie Sklaven gehalten zu werden. Mitgefühl und Zorn hatten sie dazu getrieben, das zu malen, aber seither hatte sie es jeden Tag bereut. Wenn die Arbeiter rebelliert hatten, war davon auszugehen, dass es zu Gewalttätigkeiten gekommen war. Obwohl die ansässigen Zauberer über keinerlei Magie geboten, hatten sie dennoch physische Möglichkeiten der Überzeugung und Bestrafung. Sie senkte den Blick auf den befleckten Felsbrocken. Es war unwahrscheinlich, dass sie ihre Macht ohne Blutvergießen aufgegeben hatten.

Sich in die Angelegenheiten von Welten einzumischen, war gefährlich. Das hatten sie und Tyen lernen müssen, als sie versucht hatten, einen Frieden zwischen den beiden Welten von Murai und Doum auszuhandeln. Sie hatten festgestellt, dass ihr Auftrag lediglich zur Ablenkung diente, während die Anführer von Doum bereits den Einmarsch in Murai planten. Daraufhin hatten sie beschlossen, sich nie wieder in die Zwistigkeiten von Welten hineinziehen zu lassen.

Und dann hatte sie es doch wieder getan, in dieser Welt, von der sie jetzt wusste, dass sie Infae genannt wurde.

Ein Ruf lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Umgebung. Einer der Arbeiter hatte sie gesehen und zeigte in ihre Richtung. Sie suchte nach seinem Geist, fand jedoch nichts. Damit die Gedanken eines anderen zugänglich waren, musste ein gewisses Maß an Magie in einem Gebiet vorhanden sein. Sie könnte genug davon freisetzen, um das zu erreichen, aber je näher sie einer Person war, desto weniger Magie brauchte man dazu. Also trat sie an den Rand des Kreises, stieg über die Steinmauern und ging auf die Menschen zu.

Die Arbeiter sammelten sich. So, wie sie ihre Erntewerkzeuge hoben, kündete es von Entschlossenheit und dem Bedürfnis, sich zu verteidigen. Auf ein Signal eines der Männer kamen sie auf sie zu und verteilten sich, um sie zu umstellen. Sie brauchte nicht erst in ihre Gesichter zu blicken, um zu wissen, dass sie ihr Böses wollten.

Sie blieb stehen, ließ Magie aus sich herausströmen und las ihre Gedanken.

Ihr stockte der Atem. Ihre fremdartige Kleidung und der Umstand, dass sie innerhalb des Steinkreises aufgetaucht war, hatten sie zu dem Schluss kommen lassen, sie sei eine Zauberin. Zauberer mussten getötet werden – um sie der Göttin Rel zu opfern, die Infae seiner Magie beraubt hatte.

Die Göttin Rel?

Die Gruppe war gleichermaßen verängstigt wie entschlossen. Sie wussten, dass sie möglicherweise mit Magie angekommen war. Zauberer ergaben sich nicht kampflos, um sich opfern zu lassen. Sie konnte nicht umhin, ihren Mut zu bewundern, auch wenn sie Entsetzen darüber erfüllte, wie sich diese Welt entwickelt hatte. Den Leuten war bewusst, dass sich die Priesterinnen und Priester in der nahe gelegenen Stadt um die Fremde kümmern würden, wenn sie scheiterten. Wenn nicht … würde man sie gut bezahlen, weil sie ihnen den Kopf dieser Frau brachten.

Rielles Magen krampfte sich zusammen. Sie holte tief Luft, stieß sich aus der Welt ab und flog gerade rechtzeitig davon, als auch schon die erste tödliche Erntesichel an der Stelle durch die Luft sauste, an der sie eine Sekunde zuvor noch gestanden hatte.

Im Geist der Erntearbeiter lag ein Bewusstsein für die Richtung, in der sich die Stadt befand. Sie flog diesem Ziel entgegen und stieg noch höher, sodass sie das Gebiet besser überblicken konnte. Das Land war in alle Richtungen flach, bis auf die Stellen, wo Felsen aus der Erde ragten. Es machte auf sie einen ganz anderen Eindruck als die Landschaft, die sie bei ihrem letzten Besuch Infaes vor fünf Zyklen kennengelernt hatte. Die nächstgelegene Stadt war definitiv nicht die, die sie von damals kannte und die an einem Flussdelta lag. Hier beherrschte ein besonders großer Felsen die Ebene, auf dessen Oberfläche sich Gebäude und Straßen befanden.

Sie erhöhte ihr Tempo und beschloss, erst zum Atmen in der Welt aufzutauchen, wenn sie die Stadt erreicht hatte. Sie näherte sich von oben den Dächern und positionierte sich über einem verlassenen runden Turm aus Ziegelsteinen, die so dunkel waren, dass sie beinahe schwarz wirkten.

Die Luft um sie herum war feucht und roch nach Rauch. Als ihre Füße das Dach des Turms berührten, verriet ihr eine Woge von Übelkeit, dass sie sich länger außerhalb der Welt aufgehalten hatte, als ihr bewusst gewesen war. Im luftleeren Dazwischen spürte man nichts Körperliches, daher wusste sie nie genau, wie nah sie dem Ersticken war. Da sie die Fähigkeit zum Musterwandel geopfert hatte, um wieder zur Schöpferin zu werden – damit sie über die Gabe verfügte, ihren Körper mit Magie zu heilen –, konnte sie dort nur so lange überleben, wie sie imstande war, den Atem anzuhalten.

Gedämpfte Rufe lenkten ihre Aufmerksamkeit auf die Straßen unter ihr. Rauch und Flammen schlugen aus dem halb eingestürzten Dach eines großen Gebäudes in der Nähe. Wo sie Straßen ausmachen konnte, sah sie Leute mit Wassereimern bergauf laufen in dem offensichtlich nutzlosen Versuch, das Feuer zu löschen. Sie bemerkte grelles orangefarbenes Licht und beobachtete eine Gruppe von zwanzig oder mehr Personen, die mit Fackeln am Eingang einer Gasse vorbeimarschierten und gleichermaßen Befriedigung wie Bedrohung ausstrahlten. Der Anblick ließ ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken rieseln, und sie sandte ihre Sinne aus, um die Sache zu ergründen.

Natürlich fand sie nichts. Obwohl sie hier ein wenig Magie spürte, war sie zu spärlich verteilt. Es existierten jedoch tatsächlich einige Bereiche, die vielleicht stark genug waren, um ihr zu gestatten, die Gedanken der Männer und Frauen zu lesen.

Wenn sie Magie freisetzte, während sie auf dem Turm stand, würde das Aufmerksamkeit auf sie lenken, daher stieß sie sich ein wenig aus der Welt ab und flog hinunter zu der Gasse, an der die Fackelträger vorbeigezogen waren. Sie befand sich jetzt innerhalb eines Bereichs mit mehr Magie. Die Nachzügler der Gruppe liefen immer noch an der Gasse vorbei. Sie suchte nach ihrem Geist und fing Bruchstücke von Gedanken auf.

… sollten es besser wissen, als Zauberer in ihren Häusern zu verstecken …

Keine Zauberer mehr! Keine Zauberer mehr!

… gesagt, es sei niemand darin, aber ich bin mir sicher, gehört zu haben …

… wussten, wer der Nächste sein würde, daher beraubten sie sie in der Nacht, was ihnen als Warnung ausreichte und sie entkommen ließ …

… hoffe, dass sie nie dahinterkommen, dass ich Magie nutzen kann, oder ich bin tot und mit mir meine ganze Familie und …

Als die Männer und Frauen vorbeimarschiert waren, spähte Rielle aus der Gasse. Dort, wo einst drei weitere Häuser gestanden hatten, befanden sich jetzt nur noch verkohlte Ruinen. In der Straße herrschte unheimliche Stille. Sie erblickte einige Leute, die durch die Vorhänge aus den Fenstern ihrer Häuser schauten, und nahm in den Gebäuden, die ihr am nächsten lagen, noch mehr Gedanken wahr. Sie waren voller Furcht und Erleichterung, dass die Gefolgschaft Rels sie sich dieses Mal nicht vorgenommen hatte.

Rielle zog sich in die tieferen Schatten der Gasse zurück.

Sie haben aus mir eine Göttin gemacht, die Zauberer hasst. Die Ironie, die in dieser Entwicklung lag, wäre erheiternd gewesen, hätte sie nicht tödliche Konsequenzen gehabt. Was kann ich tun? Gibt es irgendeinen Weg, wie ich sie überzeugen kann, dass ich keine Göttin bin? Und wenn das fehlschlägt, kann ich sie überreden, nicht in meinem Namen zu töten?

Sie musste mehr in Erfahrung bringen. Also stieß sie sich so weit wie möglich aus der Welt ab in eine Entfernung, in der sie trotzdem noch in der Lage war, genug von der Stadt zu sehen, um sich zurechtzufinden. In der Hoffnung, dass niemand aufschauen und ihre geisterhafte Gestalt vorbeischweben sah, flog sie über die Dächer. Sie musste ein stilles Plätzchen in der Nähe eines der Gebiete mit stärkerer Magie finden, von wo aus sie weiter Menschen beobachten konnte. Die Untersuchung des Unrats in einer anderen Gasse verriet ihr, dass hier ein vielversprechender Standort war. Der Abfall bestand aus lauter Stoffresten, Drähten und anderen Materialien. Wo etwas gefertigt wurde, wurde auch Magie erzeugt, die dann das Gebiet damit erfüllte.

Als sie sich in die Gasse hinunterließ, überraschte es sie nicht zu sehen, dass die Gebäude hier Tischler, Schneider und Hutmacher beherbergten. Das Viertel war sehr belebt, sodass vermutlich bald jemand in die Gasse treten und sie hier sehen würde. Sie hatte bemerkt, dass sowohl Männer als auch Frauen gemusterte, knielange Wickelröcke über einem locker fallenden, ärmellosen Oberteil trugen. Also zog sie sich ihr Tuch vom Kopf, schlang es sich um die Taille, sodass der untere Teil ihres schlicht geschnittenen Kleides nun darunter verborgen war.

Hier gab es Magie, aber nicht so viel, wie sie brauchte. Sie ließ einen Teil dessen, was sie in sich trug, sachte aus sich herausströmen. Ihre Magie intensivierte langsam die stärkere Magie dieses Ortes, und schon bald konnte Rielle die Gedanken der Männer und Frauen in der Nähe wahrnehmen.

Was war das?, dachte eine Frau und hielt in ihrer Arbeit inne. Der Magiestrom hatte sich ganz in der Nähe, wenn auch nicht innerhalb des Gebäudes, aufgetan. Die Frau schaute sich im Raum um und sah, dass keiner der anderen Hutmacher von seiner Näharbeit aufblickte. Der Rücken ihres Sohnes war jedoch ganz steif, und als sie seinem Blick begegnete, stieg eine Woge der Zuneigung in ihr auf. Toyr ist feinfühliger als die meisten, rief sie sich ins Gedächtnis. Auch wenn er kein Schöpfer ist, spürt er dessen Wirken besser als alle Priesterinnen Rels. Wenn er einen neuen Schöpfer findet und niemand sonst ihn gemeldet hat, ist die Belohnung vielleicht hoch genug, dass wir uns eine bessere Werkstatt suchen können.

»Geh nur«, sagte sie zu ihm. »Aber nicht weiter als zwei Häuser von hier.«

Der Junge sprang auf und lief aus dem Raum, aufgeregt bei der Vorstellung, für seine Familie Geld zu verdienen.

In Rielle regte sich angesichts dieser Suche, auf die die Frau ihren Sohn geschickt hatte, kein Gefühl von Bedrohung. Schöpfer waren nicht so verhasst wie Zauberer. Man glaubte, dass sie über gottähnliche Fähigkeiten verfügten, da Rel selbst Magie erschaffen hatte, bevor sie sie Infae wieder geraubt hatte. Rielle hatte aufgehört, Magie freizusetzen, damit der Junge sie nicht bemerkte, aber ihm würde vielleicht ihr seltsames Aussehen auffallen. Sie erhob sich und las weiter seine Gedanken, während sie in die entgegengesetzte Richtung durch die Gasse ging.

Es ist wahrscheinlich jemand, von dem die Priesterinnen bereits wissen, dachte Toyr gerade. Ein neuer Tuchmacher hatte sich vor einigen Tagen hier niedergelassen und suchte nach Webern, die er einstellen konnte. Aber drei Straßen entfernt. Weiter, als Mutter mir erlaubt hat zu gehen. Er näherte sich trotzdem diesem Bereich. Aber es würde ihr nichts ausmachen, wenn ich einen Schöpfer fände und wir die Belohnung bekämen.

Neid durchfuhr ihn bei dem Gedanken. Einer der seltenen Zauberer zu sein, die reichlich Magie erzeugten, wenn sie schöpferisch tätig waren, das wäre wunderbar. Ihnen gab man alles, was sie sich wünschten, solange sie jeden Tag etwas erschufen. Sie durften machen, was immer ihnen beliebte. Seine Mutter sagte ihm ständig, er solle dankbar sein, dass die Priesterinnen alle Kunsthandwerker der Stadt aus der Knechtschaft befreit hatten und sicherstellten, dass man ihnen einen gerechten Lohn zahlte, aber es war so langweilig, Hüte zu machen. Wäre er ein Schöpfer, müsste er nie wieder einen Hut machen. Was er stattdessen tun würde, wusste er selbst nicht, aber er war sich sicher, dass er etwas finden würde, was ihm gefiel.

Die Gedanken des Jungen wurden undeutlicher, als er sich aus dem magisch verstärkten Umkreis herausbewegte, den Rielle erschaffen hatte. Sie erreichte das Ende der Gasse. Läden, die alle möglichen Kleidungsstücke, Schuhe und Hüte feilboten, hatten ihre Schaufenster zur Straße dahinter. Als sie in der Gasse gegenüber einen weiteren Bereich mit stärkerer Magie spürte, schlüpfte sie aus der Welt hinaus und flog schnell über die Straße. Dort angelangt, ging sie die zweite Gasse bis zum Ende, von wo aus sie auf einen kleinen, offenen Bereich inmitten von Imbissständen schauen konnte. Mit ihrer Magie verstärkte sie die schon vorhandene und suchte nach dem Geist von drei jungen Männern, die sich in der Nähe unterhielten.

… die Sklaverei zu beenden, war eine gute Sache, aber das hier geht ein wenig zu weit, dachte einer gerade. »Glaubt ihr, dass sie herkommen werden?«, fragte er seine Freunde. »Was ist, wenn sie beschließen, auch die Geschäfte niederzubrennen?«

»Das werden sie nicht«, erwiderte der größte der jungen Männer. »Unsere Geschäfte waren immer familiengeführt. Wir haben die Angestellten stets gut bezahlt.«

»Ich habe gehört, dass familiengeführte Werkstätten in Defka niedergebrannt worden sind«, warf der dritte ein.

»Warum?«, fragte der erste junge Mann.

»Soweit ich gehört habe, weil sie ihre Kinder gezwungen haben, dort zu arbeiten.«

»Aber wie soll jemand die Fertigkeiten erwerben, die man als Erwachsener braucht, wenn man nicht jung anfängt?«

»Unterrichten ist in Ordnung«, sagte der Hochgewachsene. »Es geht darum, sie unentgeltlich arbeiten zu lassen. Das ist …«

»Wer bist du?«

Ganz nah bei Rielle übertönte eine Stimme die Unterhaltung der drei. Als sie sich umdrehte, sah sie einige Schritte entfernt einen jungen Mann stehen, alle Muskeln angespannt, als sei er bereit, jeden Augenblick die Flucht zu ergreifen. Was auch zutraf, wie sie in seinen Gedanken las. Er war hergekommen, um die Quelle des plötzlichen Aufwallens von Magie in der Gegend zu finden, wie es ihm die Gefolgschaft Rels befohlen hatte. Er war ein Zauberer, und die Gefolgschaft hatte ihn nur am Leben gelassen, weil er ein enger Freund eines der Priester war, der erklärt hatte, Annad sei ein freundlicher Gelehrter und Heiler und habe noch nie auch nur einen Dienstboten gehabt, geschweige denn seine Magie eingesetzt, um über andere zu herrschen.

Jetzt, da er die Quelle der Magie gefunden hatte, sorgte er sich darüber, dass er sie der Gefolgschaft Rels würde ausliefern müssen. Sie war offensichtlich eine Fremde, wenn nicht in dieser Welt, dann in diesem Teil der Welt. Aber wenn sie eine Schöpferin war, war sie vielleicht nicht in Gefahr …

All das dachte er ganz bewusst in der Sprache der Fahrenden, die sein Mentor ihm beigebracht hatte und die die Zauberer, die zwischen den Welten reisten, beherrschten. Er hoffte, dass sie erkennen würde, in welcher Gefahr sie sich befand, und rechtzeitig fliehen würde.

»Ich bin nicht in Gefahr«, versicherte sie ihm. »Aber ich will dir keine Schwierigkeiten machen. Können wir uns irgendwo unterhalten?«

Er dachte nach. Es war ein Risiko. Wahrscheinlich ein zu großes. Aber sie verdiente eine Erklärung. Wenn es ihr gelang, zu den Räumlichkeiten seines verstorbenen Mentors zu kommen, ohne gesehen zu werden …

Sie trat näher und streckte eine Hand aus. Er betrachtete sie zweifelnd. Als sie sie gerade zurückziehen wollte, überwog die Neugier doch seine Ängste, und er ergriff sie.

Rielle stieß sich aus der Welt ab und brachte sie weit genug hinein in das Dazwischen, dass die Stadt beinahe nicht mehr zu erkennen war. Doch es blieben genug Einzelheiten sichtbar, um sich zurechtzufinden, während sie hoch über die Stadt hinwegflog. Annad riss die Augen auf, aber seine Überraschung wurde schnell von Faszination verdrängt. Er wusste vom Reisen zwischen den Welten, vermutete sie, auch wenn er vielleicht nicht wusste, wie man es anstellte.

Um mehr von den Straßen und Gebäuden der Stadt sehen zu können, brachte sie sie wieder weiter in die Welt zurück.

»Wo sind die Räumlichkeiten deines Mentors?«, erkundigte sie sich.

Er streckte die Hand aus. »Es ist der höchste Raum des Turms, dessen Dach aus fünf Flächen besteht.«

Nur ein Dach entsprach dieser Beschreibung. Sie flog hinunter, durch das Dach hindurch und hinein in einen runden Raum. Zu ihrer Erleichterung befand sich niemand darin. Sie wollte seine Situation nicht noch komplizierter und gefährlicher machen.

Am Ziel angekommen, ließ sie seine Hand los. »Ich bin Rielle«, stellte sie sich vor.

»Ich heiße Annad«, erwiderte er.

»Was ist in dieser Welt passiert?«

Er erzählte ihr vom Verlust der Magie. Man hatte fremdländische Zauberer dafür verantwortlich gemacht und viele von ihnen ermordet. Nachdem sie gestorben oder geflohen waren, war die Gefolgschaft Rels aufgetaucht und hatte ihre Geschichten von einer Göttin verbreitet, die aus Abscheu davor, dass Zauberer Nicht-Zauberer versklavten und ausbeuteten, alle Magie Infaes abgezogen habe. Mittlerweile wurden auch die einheimischen Zauberer ermordet, und obwohl er bisher überlebt hatte, dachte Annad nicht gern über seine Chancen nach, auch dieses Jahr zu überleben, falls sein Freund seinen Einfluss bei der Gefolgschaft Rels verlieren sollte.

»Aber Schöpfer töten sie nicht«, versicherte er ihr. »Seid Ihr eine mächtige Schöpferin?«

»Ja. Aber ich bin auch eine Zauberin.«

»Wie lange seid Ihr schon hier?«, fragte er weiter.

»Ich bin heute in dieser Welt angekommen.«

Überrascht zog er die Augenbrauen hoch. Gleichzeitig spürte er Aufregung in sich aufsteigen, als ihm klar wurde, wie mächtig sie sein musste, um im Dazwischen bis in andere Welten zu reisen. »Habt Ihr nicht gewusst, dass diese Welt tot ist?«

»Doch, das wusste ich.«

»Warum habt Ihr sie dann betreten?«

»Um herauszufinden, was passiert ist, seitdem die Magie daraus abgezogen wurde.«

Er runzelte die Stirn. »Woher wusstet Ihr denn davon?«

Sie seufzte. »Weil ich hier war, als es geschah.«

Er starrte sie an und musste daran denken, was die Priesterinnen glaubten. Ist sie das? Ist das Rel? Die Gefolgschaft der Göttin sagt, dass sie zurückkehren wird. Wenn wir uns gebessert haben und alle frei sind, wird sie die Welt wiederherstellen.

Rielle schüttelte den Kopf. »Ich bin keine Göttin. Ich wollte nicht, dass das passiert, aber es ist meine Schuld. Ich hätte früher zurückkommen sollen. Ich war …« Sie seufzte. »Ich hätte mich nicht einmischen dürfen.«

Annad betrachtete sie schweigend. Er sah nicht die Göttin, von der die Gefolgschaft Rels erzählte. Er sah eine offensichtlich bestürzte mächtige Zauberin und Schöpferin. Für einen Moment dachte er an Sentah, seinen Mentor, der mächtig genug gewesen war, um nicht nur zwischen den Welten zu reisen, sondern auch, um nicht zu altern. Als die Magie aus der Welt verschwunden war, hatte Sentah sich nicht heilen können, nachdem die Gelblunge-Krankheit sich in der Stadt ausgebreitet hatte. Aber er hatte diesen Tod willkommen geheißen und gesagt, er habe schon viel zu lange gelebt. Das Einzige, was er bedauert hatte, war der Umstand, dass er Annad nicht alles hatte beibringen können, was er wusste.

»Das tut mir leid«, sagte Rielle.

Er schüttelte den Kopf. »Es ist nicht Eure Schuld, dass er sich an Gelblunge angesteckt hat.«

Und genauso wenig war es allein ihre Schuld, dass der alte Mann nicht in der Lage gewesen war, sich selbst zu heilen. Die Magie, die sie erschaffen und dann mitgenommen hatte, als sie Infae verließ, hätte sowieso nicht so weit gereicht.

»Also … was werdet Ihr jetzt tun?«, fragte er.

Sie holte tief Luft und richtete sich auf. »Entscheiden, ob ich diese Welt wiederherstellen soll oder nicht. Ich denke, bevor ich das tue, muss ich mehr über die Gefolgschaft Rels in Erfahrung bringen. Wo ist ihr Stützpunkt?«

»In Vohenn.«

Die Delta-Stadt. Sie nickte. »Dann werde ich mich dorthin aufmachen.«

Annad verschränkte die Arme vor der Brust. »Meint Ihr mit wiederherstellen, dass Ihr Infae mit Magie füllen werdet?«

»Ja. Ich bin eine Schöpferin. Eine besonders starke.«

Er nickte. »Das hat Sentah auch geglaubt. Er hat gesagt, Schöpfer könnten keine Götter sein, da sie nicht alterslos werden können. Nicht ohne die Welten zu zerstören. Das sei der Preis, den sie für ihre Gabe bezahlten.«

Sie blinzelte überrascht. »Ihr wisst vom Fluch des Schöpfers?«

Annad straffte die Schultern und strahlte vor Stolz, weil sie sich von seinem Wissen über Magie beeindruckt zeigte. »Sentah hat mir davon erzählt.«

»Wie hat er davon erfahren?«

»Er war Mitglied einer geheimen Bibliothek, also nehme ich an, dass er dort etwas darüber gelesen hat.«

Hoffnung flammte in ihr auf. »Wo ist diese Bibliothek?«

Annad verzog das Gesicht. »Verloren. Sentahs Mitgliedschaft ist vor vielen Zyklen aufgehoben worden, und alle, die der Bibliothek angehörten, sind mittlerweile gestorben. Zwar hat er mir, als er im Sterben lag, Hinweise auf ihren Standort gegeben und gesagt, dass ich, wenn ich sie entschlüsseln könnte, ihrer Schätze würdig sei, doch sie befindet sich nicht in dieser Welt.« Der junge Mann zuckte die Achseln. »Und selbst wenn diese Welt wiederhergestellt würde, weiß ich nicht, wie man zwischen den Welten reist.«

Rielle musterte ihn. Ich könnte es ihm beibringen. Falls ich beschließe, Infaes Magie doch nicht wiederherzustellen, müsste ich ihn zuerst aus dieser Welt wegbringen. Um ihn dann auf seiner Suche zu begleiten? Aber was ist mit der Wiederherstellung der Welten?

Sie würde später darüber entscheiden, nachdem sie die Angelegenheiten hier geklärt hatte.

»Wo liegt Vohenn?«, fragte sie.

Eine vage Vorstellung vom Standort der Stadt flatterte durch seinen Geist, ein Wissen, das sich auf Sentahs Landkarten gründete.

»Darf ich mir die Karten ansehen?«

Er nickte und eilte zu einem Schrank, öffnete ihn mit zitternden Händen und durchstöberte eine Vielzahl von Schriftrollen, Päckchen und losen Papierstapeln. Schließlich zog er eine große Rolle hervor, ging zu einem Tisch und schob die schmutzigen Utensilien und Geschirr mehrerer früherer Mahlzeiten beiseite, um Platz für die ausgebreitete Landkarte zu schaffen.

Rielle betrachtete seinen Geist, während er auf verschiedene Einzelheiten hinwies. Vohenn war eine halbe Welt entfernt. Es hatte nur fünf Zyklen gedauert – fast sieben Jahre nach Infaes Zeitrechnung –, bis der Kult von Rel sich so weit verbreitet hatte.

Sie tippte auf die Landkarte. »Kann ich die mitnehmen?«

»Wenn Ihr mich ebenfalls mitnehmt«, antwortete Annad.

Rielle sah ihn an. »Sollte ich diese Welt plötzlich verlassen müssen, würdest du dort an ihrem anderen Ende festsitzen.«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich bin bereit, dieses Risiko einzugehen.« Nicht nur für den Ruhm, als ihr Führer zu dienen, sagte er sich, sondern weil ich im Namen der Zauberer sprechen muss, wenn sie hier ist, um zu entscheiden, ob sie die Magie wiederherstellen wird. »Es ist nicht so, als würde mich im Moment irgendetwas hier halten.«

»Dann pack eine Tasche. Selbst wenn ich die Magie wiederherstelle, würdest du nicht überleben, wenn du nichts zum Tauschen hast.«

Sie griff nach der Landkarte und studierte sie, während er hin und her lief und einige Sachen einpackte. Dafür brauchte er nicht lange, und er hielt nur inne, um rasch zwei Notizen zu schreiben, eine für den Vermieter und die andere für einen Freund. Als er fertig war, streckte Rielle die Hand aus. Zaghaft ergriff er sie.

»Hol tief Luft.«

Während er das tat, atmete sie ebenfalls tief ein, stieß sich dann mit ihm aus der Welt ab und flog aufwärts. Die Landschaft unter ihnen wurde kleiner, und schon bald konnte sie Einzelheiten von der Karte ausmachen. Nachdem sie sich orientiert hatte, schoss sie mit Annad auf die nächste Küste zu. Daran entlangzufliegen, würde länger dauern, als direkt nach Vohenn zu reisen, aber zwischen ihnen und ihrem Ziel befand sich ein großer Ozean, ohne irgendetwas, woran sie sich hätte orientieren können.

Sie hielt mehrere Male an, um zu atmen, und Annad wurde bemerkenswert gut damit fertig, auf einer unsichtbaren Plattform hoch über der Welt zu stehen. Er war ein- oder zweimal mithilfe dieser Methode mit seinem Mentor gereist, wenn auch nie so hoch über dem Boden und nicht so weit weg von daheim. Schließlich erschien eine Delta-Stadt. Die Wasserläufe glänzten hell, und das Spiegelbild des Morgenhimmels ließ das Wasser sauber erscheinen und nicht wie die Kloake voller Unrat, die sie in Erinnerung hatte. Nach einer Weile brachte sie sich und Annad nach unten, und ihr wurde klar, dass der Eindruck nicht ganz falsch war. Das Wasser war jetzt viel weniger verunreinigt, und es erstreckte sich auch kein Schlamm aus Abfällen bis zum Horizont.

Die Stadt wirkte zwar immer noch heruntergekommen, aber in ihrem Zentrum befand sich ein glänzendes neues Bauwerk, das noch nicht ganz fertiggestellt war. Rielle hatte schon viele Tempelanlagen gesehen, und es war klar, dass dieses Bauwerk eine werden sollte. Sie hielt hoch über der Stadt inne und brachte sie wieder in die Welt hinein, um über ihren nächsten Schritt nachzudenken.

Zu ihrer Überraschung waren sie von reichlich Magie umgeben. Sie entströmte der Stadt unter ihnen wie ein tröstlicher Nebel und breitete sich ein kleines Stück weit in die Landschaft aus. Es gab zahlreiche Quellen, aus denen sich diese Magie speiste, aber eine war viel stärker als die anderen, und Rielle konnte sie schließlich in einem Gebäude im Tempelkomplex ausmachen. Sie suchte dort nach Gedanken.

Ein Mann, der gerade an einer Skulptur arbeitete, wandte sich konzentriert seinem Werk zu und nutzte die Stille des frühen Morgens, um etwas zu schaffen, bevor die übrigen Schöpfer eintrafen. Dies war der Ort, an dem der Kult Rels die Schöpfer untergebracht hatte, die er mit dem Versprechen auf gute Lebensbedingungen herlockte. Viele arbeiteten an der Verschönerung des Tempels, und ihre Berufe reichten von Bildhauern über Maler bis zu Webern. Überwacht wurden sie von einer Priesterin namens Bel.

Das Gesicht im Geist des Bildhauers war Rielle bekannt. Als die jüngste und schüchternste der drei jungen Frauen, die Rielle geholfen hatten, strotzte Bel jetzt vor Selbstbewusstsein und Entschlossenheit. Sie arbeitete gern mit den Kunsthandwerkern, und diese schauten zu ihr auf als einer der drei Frauen, die die Göttin für würdig befunden und die Rielle für das Bildnis Das Versprechen porträtiert hatte.

Rielle zuckte zusammen. Wie es ihre Befürchtung gewesen war, hatte man die Gemälde an der Mauer der Fabrik, die sie von ihnen gezeichnet hatte, als eine Art Prophezeiung und Befehl aufgefasst. Man glaubte, dass sie die Darstellung von Wohlstand und Gleichheit vor Rielles Rückkehr in die Wirklichkeit umsetzen mussten.

Wie hatte das zu der Ermordung von Zauberern geführt? Als sie sich in der Stadt umschaute, sah sie keine Spur von niedergebrannten Häusern. Sie durchforstete den Geist der Männer und Frauen dort, bis sie auf einen Zauberer stieß, der gerade mit seiner Familie frühstückte. Er hatte keine Angst, ermordet zu werden. Als sie weitersuchte, fand sie keinen Hinweis darauf, dass Zauberer hier angegriffen wurden. Viele waren nicht mehr so wohlhabend wie früher, aber nur wenige waren in Not geraten. Es existierte genug Magie, dass sie kleine Dienste gegen Bezahlung verrichten konnten. Mehrere waren dem Tempel beigetreten und Priester und Priesterinnen geworden.

Rielle wandte sich wieder dem Tempelkomplex zu und suchte in den Geistern dort. Sie fand junge Priester und Priesterinnen, die sich zu ihrer morgendlichen Unterrichtsstunde versammelten.

»Hier werden keine Zauberer getötet«, bemerkte sie.

»Sie nennen sich den Kult Rels«, entgegnete Annad. »Nicht ihre Gefolgschaft.«

Rielle schaute in den Geist der Leute im Zentrum des Tempels. Ein vertrauter Name erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie reichte Annad die Landkarte, stieß sich mit ihm aus der Welt ab und lenkte sie dann nach unten.

»Es ist Zeit herauszufinden, was hier los ist.«

Sie kamen durch das Tempeldach in einen großen Raum. Eine junge Frau stand vor einem Spiegel und zog ihr schlichtes weißes Gewand zurecht, das sie als Hohepriesterin auswies. Rielle ließ Annads Hand los und ging auf die junge Frau zu.

»Sei mir gegrüßt, Hohepriesterin Bel«, sagte Rielle.

Die junge Frau schaute in den Spiegel und blinzelte, als sie Rielles Gestalt darin sah, dann fuhr sie herum. Rielle lächelte, während im Geist der jungen Frau Ungläubigkeit mit Wiedererkennen rang und verlor.

»Ihr seid es!«, rief Bel. »Ihr seid es wirklich!« Staunend schlug sie die Hand vor den Mund und verdeckte ihr Grinsen. Die junge Frau überlegte, welches Verhalten wohl angemessen wäre, und beschloss dann, sich der Länge nach vor Rielle niederzuwerfen.

»Nein«, sagte Rielle schnell und griff nach Bels Händen. »Mach dich nicht klein vor mir. Ich bin nicht … Wir sind Freundinnen. Und wir haben viel zu besprechen.« Sie ließ die Hände des Mädchens los. »Sind Mai und Vil auch hier?«

Bel nickte. »Ich werde nach ihnen schicken.« Sie ging zur Tür, öffnete sie einen Spaltbreit und sprach mit jemandem auf der anderen Seite. »Such nach den Hohepriesterinnen Mai und Vil und sag ihnen, dass ich sie unverzüglich hier sehen will.« Sie schloss die Tür und sah dann zu Rielles Begleiter hinüber.

»Das ist Annad«, erklärte Rielle. »Ich bin auf der anderen Seite dieser Welt angekommen, und er hat sich erboten, mein Führer zu sein.«

Bel lächelte ihn an. »Willkommen im Tempel von Rel, Annad. Ihr habt einen weiten Weg hinter Euch gebracht.«

Er zuckte die Achseln. »Ja. Danke«, entgegnete er stockend, unvertraut mit ihrer Sprache, aber imstande, sie zu verstehen und ihr zu antworten, weil er ihre Gedanken lesen konnte.

Bel hielt inne und überlegte, ob sie etwas zu essen bringen lassen sollte. Die Entscheidung blieb ihr erspart, weil die Tür geöffnet wurde. Alle drei drehten sich um und sahen Mai eintreten.

»Rel! Du bist wieder da!« Die junge Frau strahlte, eilte auf Rielle zu und hielt dann abrupt inne. »Ich meine … Göttin Rel, willkommen zurück.« Sie machte Anstalten niederzuknien.

»Vielen Dank«, antwortete Rielle. »Bitte, tu das nicht.«

Mai stockte, dann straffte sie sich und ging den Rest des Weges auf Rielle zu, gemessenen Schrittes und mit gelassenem Gesichtsausdruck, trotz der vielen widerstreitenden Gefühle, die in ihr vibrierten. Furcht, Entzücken, sogar ein wenig schlechtes Gewissen. Sie, Vil und Bel hatten sich weit vorgewagt, indem sie all das hier aufgezogen hatten, nicht weil sie Rielle für eine Göttin hielten, sondern weil sie wussten, dass sie keine war.

»Warum erzählt ihr dann den Leuten, ich sei eine Göttin?«, fragte Rielle.

Mai erbleichte. »Äh …«

»Wir haben nicht damit gerechnet, dass du zurückkommen würdest«, sagte Bel. »Die Idee, dass du wiederkehren könntest, kam nicht von uns. Wir wollten, dass die Leute ihre Probleme selbst lösen, statt auf dich zu warten. Deshalb suchen wir nach Schöpfern und bezahlen sie gut als Gegenleistung dafür, dass sie etwas erschaffen. Wir glauben, dass wir die Magie selbst zurückbringen können.«

»Aber die Leute finden den Gedanken, dass eine Göttin unsere Welt besucht, sehr aufregend. Sie wollen dich persönlich kennenlernen«, erklärte Mai. »Sie wünschen es sich so sehr, dass sie das Interesse verloren haben, für die Freiheit zu kämpfen, als wir andeuteten, du würdest nicht zurückkehren.«

Bel lächelte. »Und du warst offensichtlich so mächtig, dass du genauso gut eine Göttin hättest sein können.«

Rielle schüttelte den Kopf. »Götter machen keine Fehler. Ich schon.«

»Alle Götter machen Fehler«, widersprach Mai ihr stirnrunzelnd. »Wie kann irgendjemand an unfehlbare Götter glauben, wenn er sieht, wie unvollkommen die Welt ist?«

Darauf hatte Rielle keine Antwort.

»Warum hast du das Gemälde zurückgelassen?«, fragte Bel.

Bevor Rielle antworten konnte, wurde erneut die Tür geöffnet. Vil trat ein, und als sie Rielle sah, blieb sie stehen und starrte sie an.

»Ja«, sagte Rielle. »Ich bin wieder da. Ich wäre eher gekommen, aber …« Was konnte sie sagen? Dass sie es vermieden hatte, diese Welt zu besuchen, aus Angst vor dem, wozu ihre Einmischung möglicherweise geführt hatte?

»Du musst dich nicht entschuldigen«, warf Mai ein. »Warum bist du zurückgekommen?«

Rielle seufzte und wandte sich an Bel. »Das Gemälde war … Ich habe mir für euch ein besseres Leben gewünscht. Ich wollte euch zeigen, dass ihr es verdient, gerecht und mit Würde behandelt zu werden. Es war meine Art, mich für eure Hilfe zu bedanken.« Sie hielt inne. »Aber … um ehrlich zu sein, ich habe tatsächlich gehofft, dass es euch und die anderen Arbeiter dazu inspiriert, eine Veränderung herbeizuführen, auch wenn ich mich gleichzeitig gesorgt habe, dass meine Einmischung Zwietracht säen könnte. Und so ist es ja auch gekommen.« Sie sah Annad an. »Als ich auf der anderen Seite der Welt ankam, fand ich heraus, dass die Gefolgschaft Rels in meinem Namen Zauberer tötet.«

»Ah«, murmelte Vil, und ihre Augen verfinsterten sich. »Die Gefolgschaft.«

»Sie waren anderer Meinung als wir«, erklärte Bel. »Und haben ihren eigenen Kult gegründet.«

»Es war nicht leicht, zumindest am Anfang nicht.« Vil, die sich endlich von dem Schock erholt hatte, Rielle zu sehen, trat zu ihnen. Sie war immer die Selbstbewussteste und Pragmatischste der drei gewesen. »Die Leute wussten nicht, ob das, was du gemalt hast, ein Versprechen oder eine Anweisung sein sollte. Oder ob es überhaupt etwas zu bedeuten hat. Wir und die anderen Arbeiter sind zu dem Schluss gekommen, dass es irgendetwas bedeuten müsse. Wir wollten nicht zulassen, dass es nichts bedeutet, daher haben wir die Arbeit verweigert.«

»Es war wirklich nicht leicht.« Mai schauderte. »Die Fabrikdirektoren hatten zwar keine Magie, aber sie verfügten über andere Mittel. Prügel. Die Zurückhaltung des Lohns. Sie haben die Kinder vom Gelände gejagt und ihre Eltern drinnen festgehalten. Aber die Fabrikbesitzer verdienten kein Geld, wenn wir nicht arbeiteten, daher mussten sie irgendwann nachgeben.«

»Die Kontrolleure, die dich haben verschwinden sehen, haben anderen von dir erzählt, bevor die Direktoren ihnen befahlen zu schweigen«, ergänzte Bel. »Weil sich die Neuigkeit herumsprach, dass eine Göttin bei uns gewesen war, weigerten sich viele Kontrolleure, uns zu verprügeln, und manche schlossen sich uns sogar an. Einer hat eine Kopie deines Gemäldes angefertigt, indem er ein Tuch gegen die Wand gedrückt hat, damit andere es sehen und es kopieren konnten.«

»Als die Fabrikanten schließlich bereit waren zu verhandeln, war es zu spät«, beendete Vil den Bericht. »Sie hatten die Kontrolle verloren. Alle hatten die Kontrolle verloren. Die Leute suchten bei uns nach Antworten. Es gefiel ihnen nicht, dass wir keine Antworten hatten, daher haben wir angefangen, uns welche auszudenken. Regeln aufzustellen und Befehle zu erteilen. Es ist uns gelungen zu verhindern, dass alles völlig aus dem Ruder läuft.«

»Da sich die Strömung nicht aufhalten lässt, haben wir uns darauf konzentriert, das Boot zu steuern«, fügte Bel in einem Ton hinzu, der die Vermutung nahelegte, dass sie diesen Spruch schon oft benutzt hatte.

»Das alles scheint lange her zu sein«, sagte Mai. »Wir haben jetzt schon seit einigen Jahren die Kontrolle über die Dinge hier. Anderswo … bedauerlicherweise ist die andere Seite der Welt zu weit entfernt, als dass wir dort Einfluss nehmen könnten. Eines Tages werden wir stark genug sein, um mit der Gefolgschaft Rels fertig zu werden, aber noch ist es nicht so weit.«

»Bist du … bist du unglücklich über das, was wir zu tun versucht haben?«, fragte Bel.

Rielle schaute jeder Einzelnen von ihnen ins Gesicht. Die Frauen hielten den Atem an. Ihr wurde bewusst, dass sie die Stirn runzelte, und sie entspannte ihre Züge.

»Nein. Es erstaunt mich, wie viel ihr erreicht habt. Und doch …« Rielle zögerte und versuchte, den Zweifel, der an ihr nagte, in Worte zu fassen.

»Was?«, hakte Vil nach.

Rielle streckte die Hände aus. »Es bedrückt mich, dass das alles auf einer Lüge aufgebaut ist. Ich bin keine Göttin.«

Sie senkten die Köpfe.

»Möchtest du, dass wir alles rückgängig machen?«, fragte Mai.

Rielle seufzte. »Nein. Die Wahrheit könnte genauso gefährlich sein wie die Lüge.« Sie verzog das Gesicht. »Obwohl es der Gefolgschaft Rels vielleicht Einhalt gebieten würde.«

»Könntest du dafür so tun, als wärst du eine Göttin?«

Rielle wand sich unbehaglich. »Wenn es sein müsste, wahrscheinlich schon.« Sie sah Annad an. »Was meint Ihr, Annad?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube, sie würden dafür kämpfen, sich ihre Macht zu bewahren. Sie würden Euch zu einer Betrügerin erklären – einer Zauberin, die sich als Rel ausgibt.«

»Selbst wenn ich die Magie dieser Welt wiederherstellen würde?«

Er zog die Schultern hoch. »Dann müsstet Ihr sie vielleicht von gar nichts mehr überzeugen, weil die Zauberer sich dann wieder verteidigen könnten.«

Rielle wandte sich den Mädchen zu. »Die Leute hier gehorchen euch und haben große Veränderungen durchgeführt, weil ihr sie dazu gebracht habt zu glauben, ich würde zurückkehren und dieser Welt ihre Magie wiedergeben. Das war ein Risiko. Es hätte gut sein können, dass ich nie zurückgekehrt wäre. Aber ich bin hier, und das bedeutet, dass ihr jetzt vor einem neuen Dilemma steht: Wenn ich diese Welt wiederherstelle, lege ich damit die Macht in die Hände jener zurück, die euch unterdrückt haben.«

Mai schüttelte den Kopf. »Wenn sie wieder in die alten Gleise geraten, werden sie feststellen, dass die Leute nicht mehr bereit sind, sich ihren Forderungen zu fügen.«

»Du hast also gar nicht vor, die Magie wiederherzustellen?«, fragte Bel und drehte sich wieder zu Rielle um. »Oder musst du dir zuerst ganz sicher sein, dass es keinen Schaden anrichtet?«

Rielle schüttelte den Kopf. »Ich bezweifle, dass ich mir jemals ganz sicher sein kann. Vielleicht wäre ich als Göttin in der Lage, die Zukunft vorauszusagen, aber ich bin keine. Und da ich keine Göttin bin und nicht aus dieser Welt stamme, habe ich kein Recht, diese Entscheidung zu treffen.«

Annad trat einen Schritt auf sie zu und öffnete den Mund, bereit, die Gründe aufzulisten, die dafür sprachen, die Magie wiederherzustellen. Aber die drei Frauen sahen ihn stirnrunzelnd an und warnten ihn stumm, ihnen in die Quere zu kommen. Er schluckte seine Worte herunter und senkte respektvoll den Kopf.

»Wessen Entscheidung ist es dann?«, fragte Vil.

»Es ist die Entscheidung der Bevölkerung von Infae.« Rielle lächelte. »Aber da es zu lange dauern würde, sie alle zu befragen … würde diese Aufgabe ihren Repräsentanten zufallen.«

»Würden wir als Repräsentanten genügen?«, wollte Bel wissen. »Gemeinsam mit deinem Führer?«

»Euch liegt bei dem, was ihr tut, das Wohl aller am Herzen. Das scheint mir die beste Qualifikation zu sein, die es geben kann.« Rielle schaute zu Annad hinüber. »Und mein Führer spricht für die Zauberer von der anderen Seite von Infae. Ich denke, wir wissen, was er sich wünscht.« Sie drehte sich wieder um. »Was soll ich eurer Meinung nach tun?«

Die drei wechselten einen Blick. Rielle las in ihren Gedanken und ihren zweifelnden Gesichtern, dass sie schon oft darüber diskutiert hatten, was geschehen könnte, wenn die Magie nach Infae zurückkehren würde, auch wenn sie vermutet hatten, dass es ganz langsam über viele Jahrhunderte hinweg vonstattengehen würde. Sie hatten alle möglichen Konsequenzen in Betracht gezogen, sowohl positive als auch negative, sich mit Männern und Frauen beraten, deren Weisheit sie achteten, und über ihre Ratschläge debattiert.

Nachdenklich sah Bel Rielle an. »Du hast schon früher Welten wiederhergestellt, nicht wahr?«

»Ja. Schon oft.« Immer aufgrund von Bitten anderer. Dies war das erste Mal, dass sie selbst die Bürde der Entscheidung tragen würde, und dennoch ließ sie diese drei jungen Frauen in dem Glauben, es läge bei ihnen. Doch es fühlte sich an, als sei es richtig so. »Ich habe genug gesehen, um zu wissen, dass ich nicht voraussagen kann, was geschehen wird. Ich bin mir sicher, dass es eine große Veränderung zur Folge haben würde.«

»Dann …« Mai sah ihre beiden Freundinnen an. »Dann sage ich, wir sollten es tun. Wir haben schon einmal eine Veränderung überstanden. Wir werden auch eine weitere überleben. In Magie liegt so viel Gutes. Wir brauchen sie vielleicht, wenn wir uns mit der Gefolgschaft befassen. Und das werden wir. Sie sind durch unser Handeln erstarkt, also müssen wir diejenigen sein, die ihnen Einhalt gebieten.«

Vil nickte. »Ich stimme dir zu. Wir haben das Fundament für eine gerechtere Welt gelegt. Ich war ohnehin skeptisch, was die Chancen betrifft, dass es so bleibt, Magie hin oder her. Es wird immer Menschen geben, die versuchen, andere auszunutzen. Also können wir auch genauso gut Magie haben.«

»Dann sind wir uns einig«, sagte Bel. Sie lächelte und wandte sich Rielle zu. »Ich bitte dich demütig, unserer Welt die Magie zurückzugeben.«

Rielle neigte den Kopf. »Dann werde ich das tun.«

Annad brach in Jubel aus, was ihm belustigte Blicke von den Frauen eintrug.

»Müssen … müssen wir dir irgendetwas bringen?«, fragte Bel.

»Nein, ich bin gut vorbereitet gekommen.« Rielle ging in die Mitte des Raums. Sie legte ihr Bündel ab, öffnete es und holte ein Brett heraus, außerdem einen Stapel Papiere und einen Zeichenstift. Die Materialien erschienen ihr angesichts der Aufgabe, die vor ihr lag, immer sehr bescheiden, aber sie handhabte sie mit großer Ehrfurcht, dankbar für die Gelegenheit, ihre Gaben einzusetzen.

»Ich denke, ein weiteres Porträt wird genügen«, entschied sie. »Setzt euch in diese Sessel dort drüben, wo das Licht besser ist.«

Während sie ihrer Bitte Folge leisteten, holte sie tief Luft, komponierte im Geiste ein Bild und machte sich daran, es auf Papier zu bannen.

2 Rielle

Das ist alles, was ich Euch beibringen kann«, erklärte Rielle Annad spät am nächsten Tag. »Denkt an meine Warnungen und trefft alle Vorsichtsmaßnahmen. Doch mein wichtigster Rat ist, Euch jemanden zu suchen, der Erfahrung im Reisen zwischen den Welten hat, damit er Euch weiter anleiten und Euch die Zeichen und Hinweise zeigen kann, die andeuten, dass Ihr im Begriff steht, eine unbewohnbare oder tote Welt zu betreten.«

Annad legte eine Hand aufs Herz, ein Zeichen der Dankbarkeit. »Vielen Dank, Rielle. Ich werde vorsichtig sein. Ich stehe in Eurer Schuld. Wenn ich die Bibliothek finde, werde ich Euch über die Wiederhersteller eine Nachricht schicken.«

Sie lächelte. »Und wenn ich sie finde, werde ich Euch aufsuchen und hinbringen. Aber ich bezweifle, dass ich in absehbarer Zeit danach suchen kann. Es gibt noch so viele Welten, die wiederhergestellt werden müssen.«

Annad nickte. »So oft es mir möglich ist, werde ich in den Tempel gehen, um nachzusehen, ob Ihr eine Nachricht für mich hinterlassen habt.«

»Lebt wohl, Annad.« Rielle trat einen Schritt zurück, atmete tief ein, stieß die Luft wieder aus, sog dann noch einmal Atem in die Lunge und hielt ihn dort fest. Nachdem sie sich aus der Welt abgestoßen hatte, flog sie nach oben, und als sie das Dach des Turms, auf dem sie ursprünglich in Annads Stadt angekommen war, entdeckt hatte, flog sie rasch darauf zu. Dort angelangt, stieß sie sich unverzüglich aus der Welt ab und folgte ihrem eigenen Pfad zurück zum Ankunftsort mit seinem blutverschmierten Altar und dann direkt in das Weiß des Dazwischen.

Langsam tauchte der Ankunftsort, von dem aus sie nach Infae aufgebrochen war, wieder auf. Sie achtete darauf, in dessen Mitte anzukommen, ein Stückchen über dem Boden, wo die Pflanzen, die sie dort niedergetreten hatte, sich wieder aufgestellt hatten. Nach einer kurzen Pause, die sie zum Luftholen nutzte, stieß sie sich in die nächste Welt ab.

Sie hätte nicht gedacht, dass sie die Fähigkeit zum Musterwandel vermissen würde, aber sie fehlte ihr jedes Mal, wenn sie zwischen den Welten reiste. Mit dessen Hilfe hätte sie so lange sie wollte zwischen den Welten bleiben können, ohne zu ersticken. Nun, das stimmt nicht ganz. Wenn mir die Magie ausgegangen wäre, wäre ich irgendwann gestorben.

Andere Gelegenheiten, bei denen sie den Musterwandel vermisst hatte, waren die, wenn sie sich einen gewöhnlichen Husten einfing oder sich an einem scharfen Gegenstand schnitt. Bisher hatte sie keine größeren Verletzungen davongetragen oder Krankheiten bekommen, da sie Magie einsetzen konnte, um sich gegen die meisten Gefahren zu schützen. Aber sehr oft hatte sie bedauert, andere Menschen nicht heilen zu können.

Das Wissen, dass sie nicht länger alterslos war, machte ihr nicht besonders zu schaffen. Sie würde altern und sterben, aber das taten schließlich die meisten Menschen. Wenn sie erst die Folgen des Alters spürte, würde sie den Verlust wahrscheinlich stärker empfinden, doch vorläufig hatte es keinen Sinn, darüber nachzugrübeln. Vor allem, da sie jederzeit ihre Schöpfergaben opfern und wieder alterslos werden konnte.

Aber jetzt noch nicht. Ihre Fähigkeiten als Schöpferin waren einzigartig, und wie sie Annad erklärt hatte, mussten noch viele Welten wiederhergestellt werden. Sie hatte es immer Baluka überlassen zu entscheiden, was als Nächstes geschah, da er der Anführer der Wiederhersteller war. Infae war die erste Welt, die wiederherzustellen sie von sich aus beschlossen hatte.

Dies gab ihr das Gefühl, etwas abschließen zu können, wonach sie sich lange gesehnt hatte. Nicht nur wegen der Art und Weise, in der sie die Welt vor fünf Zyklen verlassen hatte, sondern auch wegen des Grundes, warum sie überhaupt dazu in der Lage gewesen war.

Bei ihrem ersten Besuch von Infae war sie alterslos gewesen und hatte ihre natürlichen Fähigkeiten als Schöpferin verloren, als sie den Musterwandel erlernt hatte. Während sie in Infae festgesessen hatte, hatte sie den letzten Rest der Magie, den sie besaß, nicht nur benutzt, um sich ihrer Fähigkeit des Musterwandels zu entledigen und ihre Gabe als Schöpferin wiederherzustellen – vielmehr hatte sie die Gabe auch weit über ihre ehemalige Stärke hinaus vergrößert, bis sie rasch und mühelos ganze Welten wiederherstellen konnte. Also fühlte sie sich Infae seltsam verpflichtet, denn ohne ihre Zeit dort wäre sie nicht in der Lage gewesen, andere Welten wiederherzustellen. Dieser Welt schuldete sie die gleiche Unterstützung.

Eines Tages würde es keine Welten mehr geben, die ihrer Hilfe bedurften, und sie würde ihre Gabe als Schöpferin gegen die zum Musterwandel eintauschen und wieder alterslos werden. Die Welten, die in den Schlachten der vergangenen zehn Jahre ihrer Magie beraubt worden waren, würden wiederhergestellt sein: angefangen bei denen, die in dem Chaos gelitten hatten, nachdem der Raen, der Herrscher aller Welten, gestorben war, bis hin zu denen, auf die sich die Auseinandersetzung zwischen Dahli und den Wiederherstellern ausgewirkt hatte. Letztere waren ganz in der Nähe des Ortes, an dem dieser Konflikt stattgefunden hatte. Andere tote Welten jedoch – die ihrer Magie beraubt worden waren, weil Zauberer, die nun nicht mehr durch die Gesetze des Raen davon abgehalten wurden, versucht hatten, den Musterwandel zu erlernen – waren über das ganze bekannte Universum verteilt.

Flüchtlinge aus diesen Welten hatten im Laufe der Zyklen ihren Weg zu Baluka gefunden, um ihn um Hilfe zu bitten, ihre Heimatwelt wiederherzustellen. Einige hatten fünf Zyklen auf diese Hilfe warten müssen. Der Gedanke daran ließ in ihr ein Gefühl von Dringlichkeit aufkommen. Ihr Besuch von Infae war eine spontane Regung gewesen – sie hatte eine Welt in der Nähe wiedererkannt, und ihr war klar geworden, dass sie die seltene Gelegenheit hatte hinzufliegen. Sie bereute es nicht, diese Chance ergriffen zu haben – oder Zeit auf die Unterrichtung Annads verwendet zu haben –, aber es bedeutete, dass sie erst spät bei Baluka und zu ihrer nächsten Wiederherstellung erscheinen würde. Die Bemühungen der Wiederhersteller, den Frieden zu bewahren, hingen häufig vom richtigen Zeitpunkt ab, und dass Balukas wichtigstes Instrument dafür mehrere Tage verschwand, konnte alles Mögliche durcheinanderbringen. Doch wenn sie geschickt reiste, konnte sie ihre Abwesenheit auf einen Tag beschränken.

Der Ankunftsort in der nächsten Welt war ein Podest auf einem Marktplatz einer Stadt. Bewacht wurde er von Straßenkindern, die hofften, sich einen Edelstein oder ein Stückchen kostbares Metall als Gegenleistung für Informationen über ihre Welt oder Beschreibungen von Reisenden, die an diesem Tag hindurchgekommen waren, zu verdienen. Dies war ein gewöhnlicher Ankunftsplatz in einer lebendigen Stadt – weit und offen, sodass große Gruppen oder mehrere Gruppen gleichzeitig bequem die Welt betreten konnten.

In der nächsten Welt befand sich der Ankunftsort auf einer Waldlichtung. Auch Orte ohne einen Hinweis auf menschliche Bewohner in der Nähe waren an der Tagesordnung. Häufig waren sie mit einem städtischen Ankunftsort verbunden. Die Chancen standen schlecht, dass ein Pfad, der direkt aus einer Stadt hinausführte, einen zu einer perfekt passenden menschlichen Siedlung in der nächsten Welt brachte. Manchmal erhoben sich dort, wo so ein Pfad mündete, Städte, die gänzlich auf das Reisen zwischen Welten angewiesen waren, um zu existieren. Doch waren sie immer anfällig dafür, aufgegeben und dem Verfall preisgegeben zu werden.

Der folgende Ankunftsort war wieder einmal eine Ruine. Ruinen traf man überhaupt am häufigsten an. Zivilisationen entwickelten sich und gingen unter, aber die Pfade, die sie miteinander verknüpften, blieben in Benutzung, bequeme, sichere Verbindungen zwischen den Welten.

Tempel waren weit weniger verbreitete Orte für Ankunftsplätze, und als Nächstes passierte sie einen davon. Es war keine Überraschung, dass das Erscheinen und Verschwinden von Personen unterschiedlichen und manchmal seltsamen Aussehens Ankunftsorten eine geheimnisvolle, mystische Aura verlieh. Menschen, die an so einem nicht von ihnen selbst erzeugten Ankunftsort lebten, sahen ihre Besucher vielleicht als Gottheiten an; allerdings konnte man davon ausgehen, dass sie, was die Gepflogenheiten von Zauberern anging, nicht lange unwissend bleiben würden. Doch auch wenn die Wahrheit bescheidener war, ließ sich die Gewohnheit, übernatürlichen Begebenheiten Göttlichkeit zuzuschreiben, schwer ausrotten.

Rielle hatte gelernt, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass die Engel ihrer Welt Zauberer gewesen waren. Wahrscheinlich hatten sie vor langer Zeit die religiösen Regeln, mit denen sie aufgewachsen war, festgelegt in der Hoffnung, dass ihre Welt sich von den großen Kriegen erholen würde, die sie ihrer Magie beraubt hatten. Aber obwohl sie das als wahrscheinliche Wahrheit akzeptierte, verspürte sie trotzdem eine abergläubische Furcht, wenn sie darüber nachdachte, und sie fragte sich dann immer, ob sie von zornigen Engeln niedergestreckt werden würde, falls sie jemals in ihre Heimat zurückkehrte.

Vielleicht lag darin der wahre Grund, warum es ihr nicht behagte, für eine Göttin gehalten zu werden.

Rielle schob diesen Gedanken beiseite und reiste weiter, bis ihre Konzentration vor Erschöpfung nachließ. Mittlerweile verspürte sie großen Hunger, den sie immer erst wahrnahm, wenn sie in einer Welt ankam. Sie legte in einer Welt, die sich auf die Versorgung reisender Zauberer spezialisiert hatte, eine Pause ein, um sich etwas zu essen und ein Quartier zu suchen, da sie mitten in der Nacht ankam. Nicht lange nach Morgengrauen setzte sie ihre Reise fort, obwohl ihr vor Müdigkeit immer noch alles wehtat. Dutzende von Welten später verringerte sie abermals ihr Tempo, als Schwindel sie zwang, haltzumachen und für eine Weile zu atmen.

Schließlich erreichte sie Affen, die Basiswelt der Wiederhersteller. Wie immer war ihr Auftauchen an den Ankunftsorten in der Nähe nicht unbemerkt geblieben, und man hatte Boten ausgeschickt, um Baluka zu informieren. Er erwartete sie in der großen Halle des Hauptquartiers der Wiederhersteller.

»Rielle«, begrüßte er sie und löste sich aus einer kleinen Gruppe von Zauberern, die die Gelegenheit genutzt hatten, um mit ihrem Anführer zu sprechen. »Du bist spät dran.«

Sie nickte. »Ich hatte auf dem Weg zurück eine kleine Privatangelegenheit zu regeln.«

Er runzelte die Stirn, und die Falten zwischen seinen Augenbrauen vertieften sich. Aber es ist doch noch gar nicht so weit, dachte er. Einmal in jedem Zyklus verschwand sie tagelang, und immer weigerte sie sich zu erklären, warum sie das tat. Ist sie diesmal früher aufgebrochen? Als sie seinem Blick schweigend standhielt, schob er seine Fragen beiseite. Es frustrierte ihn zwar, aber er respektierte ihr Recht auf ein Privatleben neben der Arbeit für die Wiederhersteller. Er hoffte, ihr Schweigen bedeutete nicht, dass sie seine Gedanken las.

Beinahe wäre sie rot geworden. Sie hatte ihm versprochen, es nicht zu tun, aber es war schwer, alte Angewohnheiten abzulegen. Sie zog ihre Sinne zurück und schaute zu den Zauberern hinüber, mit denen er sich unterhalten hatte.

»Willst du lieber später mit mir sprechen?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, das ist schon in Ordnung. Lass uns hinunter in den Planungsraum gehen.«

»Muss eine weitere Welt wiederhergestellt werden?«, fragte sie.

»Nein. Da ist etwas anderes, worum ich dich bitten möchte.«

Rielle bezähmte ihre Neugier und folgte ihm zu der Treppe, die in die zahlreichen unterirdischen Etagen des Gebäudes hinabführte.

Baluka warf ihr einen Blick zu und hielt inne, bevor er mit dem Abstieg begann. »Du siehst müde aus.«

»Ich habe in den letzten Tagen nicht viel Schlaf bekommen«, antwortete sie. Der Begriff Tag war ungenau, da die Zeitzyklen jeder Welt unterschiedlich waren. Die Spanne zwischen einem Sonnenaufgang und dem nächsten konnte kurz sein und nach dem Maßstab ihrer eigenen Welt nur wenige Stunden umfassen, genauso aber konnte das auch ein ganzes Jahr in Anspruch nehmen. Wie maß man einen Tag, wenn es zwei Sonnen oder mehr gab? Und viele Welten hatten Monde – ein Phänomen, das ihr nicht bekannt gewesen war, bevor sie ihre Welt verlassen hatte.

Weltenreisende Zauberer maßen längere Zeitspannen mithilfe von Zyklen, was die Länge der Zeit war, die die Fahrenden, ein alter Volksstamm von Kaufmannszauberern, brauchten, um eine Runde durch die Welten zu drehen, mit denen sie Handel trieben. Die Sprache der Fahrenden, die sie einte, war auch die gemeinsame Sprache unter Zauberern. Baluka war einst ein Fahrender gewesen. Sie sah ihn an und erinnerte sich an den jungen Mann, der sie einst, als sie in einer Wüstenwelt gestrandet war, gefunden hatte. Jetzt waren die seltsamen Linien, die sich die Fahrenden in die Haut einschrieben, verblasst, und neue Falten betonten seinen Mund und seine Augen. Er sah älter aus, als das der Fall sein sollte. Die harte Arbeit und die Anstrengungen, eine Truppe zu führen, die für Frieden in den Welten sorgte, hatten ihn altern lassen. In seiner Erscheinung erinnerte er sie mehr und mehr an Lejikh, seinen Vater.

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir Zeit zum Ausruhen geben kann«, sagte Baluka entschuldigend.

»Dann ist diese Aufgabe dringend?«

»Ein wenig.«

Sie waren jetzt fünf Etagen nach unten gegangen. Baluka führte sie in einen vertrauten Sitzungssaal und zog die Tür hinter sich zu. Rielle warf sich in einen der großen Polstersessel und seufzte über die einfache Freude, ihrem müden Körper eine Ruhepause gönnen zu können.

Baluka ließ sich auf der Kante eines Stuhls ihr gegenüber nieder. »Erinnerst du dich daran, eine Welt namens Prama wiederhergestellt zu haben?«, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf.

»Es war vor mehr als zwei Zyklen. Prama wurde von einem Zauberer ihrer Magie beraubt, der danach trachtete, unsterblich zu werden. Daran ist er zweimal gescheitert.«

»Ah, richtig. Beim ersten Versuch hat er sich sämtliche Magie einer Seite der Welt einverleibt, ist dann auf die andere Seite gereist und hat es noch einmal versucht. Dabei war doch offensichtlich, dass er beim zweiten Mal weniger Magie ansammeln würde, da sie sich während seiner Reise über die Welt verteilt hatte.«

»Magische Fähigkeiten sind keine Garantie für Intelligenz.« Baluka lächelte gequält.

»Ich habe ihn auf Bitten von Pramas Anführern zu dir gebracht«, erinnerte sie sich. »Sie wussten, dass er es erneut versuchen würde, sobald ich ihre Welt wiederherstelle, und sie wollten ihn nicht hinrichten.«

Baluka nickte. »Wir haben ihn nach Dearns geschafft.«

Zusammen mit vielen hundert anderen Zauberern, die Welten zu ihrem eigenen Gewinn der Magie beraubt hatten. Rielle fragte sich oft, wie es wohl jetzt dort zugehen mochte, in einer Welt, die von törichten und habgierigen Zauberern ohne Zugang zu Magie bewohnt wurde.

»Seit wir ihre Welt wiederhergestellt haben, hat Prama uns Ärger gemacht«, berichtete ihr Baluka. »Sie hatten Whun, eine ihrer Nachbarwelten, Hunderte von Jahren als feindlich betrachtet. Während der letzten drei Viertelzyklen haben sie gedroht, Whun wegen kleinerer Ärgernisse anzugreifen. Wir haben beiden Seiten versichert, dass wir nicht zulassen werden, dass die andere Seite ihnen Schaden zufügt. Jetzt haben die Pramaner ihre Drohung wahr gemacht und behaupten, dass die Whuns, wenn nicht sie Whun angegriffen hätten, sich als Erste auf sie gestürzt hätten.« Er schüttelte den Kopf. »Wir müssen unser Versprechen, zu beschützen und zu bestrafen, einhalten.«

Rielle runzelte die Stirn. »Du willst von mir, dass ich die Whuns beschütze? Das können doch sicherlich deine Generäle regeln.«

»Die Truppen der Wiederhersteller sind ziemlich angeschlagen.« Er schüttelte erneut den Kopf. »Es gibt eine einfachere Lösung. Ich will, dass du Prama wieder seiner Magie beraubst.«

»Ihnen die Magie wegnehmen …« Rielle starrte ihn an. »Das kann nicht dein Ernst sein.«

Sein Blick war hart, aber sie las auch Bedauern darin. »Doch. Ich weiß, dass das hier nicht die Art Aufgabe ist, für die du dich uns angeboten hast, aber es ist eine bessere Lösung, als Kämpfer hinzuschicken, besser für uns und die Pramaner. So wird niemand sterben oder zu Schaden kommen.«