Die Magier von Stonehenge - Denise Devillard - E-Book

Die Magier von Stonehenge E-Book

Denise Devillard

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Beschreibung

Neufassung 2019 Seine Kindheit verbrachte Matthew in einem Waisenhaus, nachdem seine Mutter starb, als er noch ganz klein war. Eine der Betreuerinnen hatte Mitleid mit dem armen Waisenjungen und nahm ihn bei sich und ihrem Mann auf. Jahre später erfüllt er sich mit dem Nachlass seiner Mutter den lange gehegten Traum einer eigenen Farm und lebt glücklich und zufrieden, bis er plötzlich seltsame Veränderungen an sich wahrnimmt. Unerklärliche Ereignisse und Phänomene mehren sich und treiben ihn dazu an nach seiner Herkunft zu suchen. Da erhält er eines Tages einen Brief aus England...

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Seitenzahl: 626

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Impressum:

Druck: epubli ein Service der neopubli GmbH, Berlin 2019

Copyright: Denise Devillard

[email protected]

Printed in Germany

ISBN: 978-3-750260-52-8

Die Magier von Stonehenge

von

Denise Devillard

Inhaltsverzeichnis:
1.Kapitel - Matthew
2.Kapitel - Das seltsame Buch
3.Kapitel - Der Brief
4.Kapitel - Reise in die Vergangenheit
5.Kapitel - Die Heimreise
6.Kapitel - Die Entscheidung
7.Kapitel - Macht und Geld
8.Kapitel - Die Macht der Magie
9.Kapitel - Die Veränderung
10.Kapitel - Entbranntes Feuer
11.Kapitel - Der Schwur

Diese uralte Geschichte erzählt von den Mysterien der Magie, die seit Tausenden von Jahren den Lauf der Welt bestimmt. Sie berichtet von geheimnisvollen und sagenumwobenen Magiern, die die Macht mit Hilfe der Elemente und verborgener Kreaturen an sich rissen. Dabei stürzten sie die Menschen in ihr unaufhaltsames Unglück. Ihre Gier nach Macht wurde immer größer. Somit bekämpften sie sich auch untereinander, so dass am Ende der Tage nur noch wenige von ihnen übrigblieben. Doch eines Tages begann ihr Schicksal sich zu wenden….

1.Kapitel

Matthew

Die Abendsonne verlieh dem Firmament einen ganz besonderen Glanz und färbte es purpurrot mit einem hellen, goldgelben Schimmer. Matthew fuhr mit seinen kräftigen Fingern durch seine schulterlangen dunklen Haare, um die einzelnen Strähnen, die ihm ins Gesicht gefallen waren, zurückzuschieben. Seine tiefblauen Augen spiegelten das Licht der Abendsonne wider. Sein Blick wanderte nachdenklich in die weite Ferne. Dieses wunderbare, seltene Lichtspiel erfreute sein Gemüt. Er wiegte sich gleichmäßig in seinem alten, hölzernen Schaukelstuhl hin und her. Die Veranda vor seinem in die Jahre gekommenem Haus, bot einen grandiosen Ausblick, der bis an den fernen Horizont reichte. Die Ernte war vorüber. Die abgeernteten Felder gaben nun den Blick frei. Es war Spätsommer geworden und der Herbst war nahe. Allerdings stand das bislang nur im Kalender, denn es war immer noch sehr warm, und die schwüle Luft schien nicht weichen zu wollen. Die Tage waren heiß und drückend. Für die Menschen erschienen sie schier unerträglich und vor allem schweißtreibend. Abends saß Matthew dann stets alleine vor seinem Haus in seinem alten Schaukelstuhl. Er genoss diese gnadenvolle Stille, bevor die Nacht das Land in ihr dunkles Schweigen hüllte.

Er genoss es, sein eigener Herr zu sein. Es gab niemand, der ihm vorschreiben konnte, was er zu tun oder zu lassen hatte. Dieses beruhigende Gefühl der Unabhängigkeit bestätigte ihm immer wieder aufs Neue, dass er das Richtige getan hatte. Er hatte sich vor einem Jahr eine kleine Farm gekauft mit dem Geld, das aus dem Nachlass seiner verstorbenen Mutter stammte. Er baute Weizen an für sein tägliches Brot und hielt sich zwei Kühe, ein paar Hühner und Schweine für seinen Eigenbedarf. Was er nicht selber benötigte, verkaufte er auf dem Markt in der Stadt, damit er etwas Geld hatte für all die weiteren Gebrauchs- und Verbrauchsartikel, die er nicht selber herstellen konnte.

Er hatte schon als kleiner Junge lernen müssen, dass er sich nur auf sich selbst verlassen konnte. Da war niemand, der sich um ihn gekümmert hätte. An seine Mutter konnte er sich kaum erinnern. Er war damals erst fünf Jahre alt gewesen, als sie bei einem tragischen Autounfall verunglückte. Verwandte gab es keine. Keine Menschenseele konnte sich um ihn kümmern, vor allem bei sich aufnehmen. Ein Vater konnte auch nicht gefunden werden. Somit brachte man den kleinen Waisenjungen ins nächstgelegene Kinderheim, wo er verblieb, bis er erwachsen geworden war.

Die einzige Bezugsperson, zu der er eine Art Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte im Laufe der Jahre, war Tante Sally. Sie war eine der Betreuerinnen im Kinderheim gewesen. Sally war eine gute Seele. Sie kümmerte sich rührend um ihren Schützling all die Jahre. Sie war sehr darum bemüht gewesen, ihm Geborgenheit zu geben, soweit das in ihrer Macht stand. Mit ihrer liebevollen Art, hatte sie ihn auch oft besänftigt, wenn er sich wieder einmal in sturer Weise den Regeln im Heim widersetzt hatte.

„Oh ja, Tante Sally“, dachte er, indem ein Lächeln über sein Gesicht huschte. Er erinnerte sich mit etwas Wehmut an sie, weil sie die Einzige war, die immer zu ihm hielt in all den Jahren, solange er zurückdenken konnte. Er hatte sonst keine Person des Vertrauens außer ihr. Mit den anderen Kindern konnte er nie viel anfangen. Er saß viel lieber bei den Erwachsenen und hörte ihnen zu, wie sie sich über Dinge des Lebens unterhielten. Manchmal nahm ihn Sally auch mit zu sich nach Hause zu ihrem Mann Tom. Auch mit ihm verstand sich Matthew sehr gut. Dabei genoss er die Zeit immer sehr, die er bei den beiden verbringen durfte. Tom hatte einen kleinen Buchladen gehabt, der mehr schlecht als Recht, florierte. Dennoch war er sehr stolz auf seinen kleinen, gemütlichen Laden, weil er Bücher über alles liebte. Der kleine Laden gab ihm das Gefühl, sein eigener Herr zu sein. Das hatte Matthew wohl auch von ihm so übernommen, dass es besser war, sein eigenes Ding zu machen, um von niemandem abhängig zu sein. Er schmunzelte bei dem Gedanken an dieses alte Raubein. Er wusste schon beim ersten Treffen, dass sein sanfter und gütiger Kern von einer rauen Schale umgeben war. Tom war ihm ein gutes Vorbild gewesen, an dem er sich orientieren konnte. Er war für ihn eine Art Vater gewesen, den er nie gehabt hatte.

Matthew war den beiden sehr dankbar, dass sie ihm so viel Zeit und Liebe gewidmet hatten. Er würde ihnen für immer ein liebevolles Gedächtnis bewahren. Tom war im Alter von 63 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben, und seine Frau Sally folgte ihm Jahre später, knapp vor ihrem 70. Geburtstag im Tode nach. Seit dem Ableben ihres Mannes hatte sie sich zurückgezogen und den Kontakt zu den meisten Leuten vermieden. Sie hatte ihn sehr geliebt, und konnte nie wirklich verwinden, dass er sie alleine zurückgelassen hatte. Deshalb sah sie ihrem Tod sehr froh entgegen, als ihre Zeit des Abschiedes gekommen war. Matthew war sehr traurig gewesen, als sie starb. Er hatte das Gefühl, eine Mutter verloren zu haben. Dieses Gefühl blieb zurück. Er brauchte einige Zeit, um sich mit dem Verlust abzufinden. Zwei Wochen nach Sallys Tod bekam Matthew einen Brief vom Notar. Darin bat er ihn zu sich in seine Kanzlei. Als Matthew zu besagtem Termin erschien, teilte ihm der Notar mit, dass alles, was Sally noch besessen hatte, nun ihm gehörte. Da Sally und Tom keine eigenen Kinder hatten, bedachte sie ihren Schützling in ihrem Testament. Es war nicht mehr viel, was übrig war. Aber es gab noch das alte Auto, ein paar Möbel, einige Bücher, alte Schallplatten und einige persönliche Habseligkeiten, die ihm nun zugesprochen worden waren. Der Notar hatte ihm einen Brief übergeben und zudem eine augenscheinlich sehr alte, silberne Schatulle, die auf ihrem Deckel einen Löwenkopf trug.

„Dies hier war der ausdrückliche Wunsch und Auftrag von Sally, dass ich ihnen das hier nach ihrem Tod persönlich übergeben sollte“, sagte der Notar. „Ich kenne den Inhalt nicht, ich habe nur den Auftrag, ihnen das zu überreichen und mitzuteilen, dass diese alte Schatulle aus dem Nachlass ihrer Mutter stammt.“ Die Verwunderung stand Matthew ins Gesicht geschrieben. Er konnte nicht fassen, dass Sally ihm all die Jahre etwas verheimlicht hatte. Oft hatte er sie nach seiner Mutter gefragt, aber sie konnte oder wollte seine Fragen nicht beantworten. Und nun saß er da beim Notar und war völlig überrascht, dass es doch noch Hinweise über seine Mutter zu geben schien, von denen er bisher nichts gewusst hatte.

Er hatte keine Ahnung, woher seine Mutter eigentlich gekommen, respektive, wer sein Vater gewesen war. Er wusste so gut wie nichts über seine eigene Familie. Seine Mutter hatte dieses Geheimnis mit in ihr Grab genommen.

Matthew bedankte sich bei dem Notar, nahm den Brief und die Schatulle und fuhr zurück nach Hause in seine kleine Wohnung in der Stadt. Sie war nichts Besonderes, vielmehr schon etwas heruntergekommen, jedoch für seine einfachen Ansprüche war sie ausreichend. Matthew verdiente seinen Lebensunterhalt auf der Farm des alten John, der ihn schon von Kindesbeinen an kannte. Er war ein guter Freund von Tom und Sally gewesen. John war schon in einem stolzen Alter, dessen ungeachtet war er gesund und noch sehr aktiv. Die Arbeit auf der Farm hielt ihn jung. Sein Sohn Buck war in Matthews Alter. Beide waren inzwischen gute Freunde geworden. So gestaltete sich das Verhältnis der drei zueinander eher einer Familie als das eines bloßen Arbeitsverhältnisses. Matthew hatte sich dort sehr wohl gefühlt. Er kannte jeden Stein auf der Farm und lernte im Laufe der Jahre viel über die Bewirtschaftung einer Farm. Eines Tages wollte er selbst eine besitzen. Das hatte er sich schon mit zwölf Jahren geschworen. Da er mit Tom und Sally schon als kleines Kind auf der Farm zu Besuch gewesen war, war ihm eine andere Möglichkeit zu leben nicht bekannt. Er liebte es, über die Felder zu laufen und bei den Tieren zu sein. So konnte er sich dann auch in späteren Jahren nichts Schöneres vorstellen, als selbst eine Farm zu besitzen.

Als er dann vom Notar zurück nach Hause fuhr, war er sehr nachdenklich. Er fragte sich, was sie eventuell wohl noch gewusst hatte über seine Herkunft. In seiner kleinen Wohnung angekommen, stellte er die silberne Schatulle auf den Tisch und öffnete den Brief.

Er war von Sally; das sah er sofort an ihrer Handschrift, die er nur zu gut kannte.

„Mein lieber Junge!

Es ist nun an der Zeit für mich zu gehen, und in meinen letzten Tagen, schreibe ich diesen Brief an Dich, der Dir erklären soll, warum es mir nicht möglich war, ihn Dir schon früher zu geben.

Ich habe deine Mutter damals nach dem Unfall noch im Krankenhaus drei Tage vor ihrem Tod besucht, weil ich einige Sachen von dir holen musste und auch deine Papiere benötigte für unser Heim.

Sie war schon sehr schwach gewesen und die Ärzte wussten, dass sie nichts mehr für sie tun konnten, weil ihre inneren Verletzungen einfach zu schwer waren.

Sie gab mir ihren Schlüssel und beauftragte mich, aus ihrer Wohnung das Nötige zu holen. Hierzu gehörte diese silberne Schatulle, die du nun in deinen Händen hältst. Es war ihr sehr wichtig, dass du sie eines Tages, wenn du in einem reifen Alter bist, bekommst. Ich kann dir nicht sagen, was ihr Inhalt ist, da ich ihn nicht kenne. Ich habe nie hineingesehen, sondern die Schatulle nur in ihrem Auftrag für dich so lange aufbewahrt, bis du über 30 Jahre alt warst, so wie deine Mutter es gewollt hatte. Ich durfte sie dir nicht früher aushändigen, aus welchem Grund auch immer. Ich weiß, dass du gerne mehr erfahren hättest über sie und deinem Vater. Aber diese Fragen hatte sie mir nicht beantwortet. Mir schien, sie hatte wohl auch einen guten Grund, dies zu verschweigen. Ich weiß nur, dass sie mit Mary Smith bezeichnet wurde, was meiner Meinung nach wohl auch nicht ihr richtiger Name war. Vielleicht hatte sie ihn auch nur aus irgendeinem uns verborgenen Grund angenommen. Ich kann dir nur meine Eindrücke von diesem Besuch damals schildern, soweit ich mich noch daran erinnere. Deine Mutter war eine wunderschöne Frau mit blauen Augen und langem dunklen Haar. Sie war eine sehr zarte Person, sie drückte sich auch sehr gewählt aus, sodass ich annahm, dass sie aus sehr gutem Hause stammen musste. Aber sie hat mir nichts weiter- erzählt, was ich Dir hätte mitteilen können. Sie war aber auch schon viel zu schwach. Das Reden strengte sie sehr an. Worauf ich mir keinen Reim machen konnte, war ihre Aussage: „Die Macht ist mit ihm bei den Steinen.“ Sie hatte nichts weiter dazu gesagt. Ich habe nicht verstanden, was sie damit gemeint hat. Vielleicht hat sie auch nur im Delirium gesprochen, hervorgerufen durch die Medikamente. Ich kann es Dir nicht sagen. Sie war danach auch nicht mehr ansprechbar. Damit war dieser Satz das Letzte, was sie zu mir sagte. Ich vermute, dass Du vielleicht in der Schatulle weitere Hinweise finden wirst, die Dir etwas über deine Herkunft verraten könnten.

Alle meine Sachen, die ich noch besaß, vermache ich Dir, und ich hoffe, dass Du sie als Erinnerung an Tom und mich aufbewahrst. Habe viel Freude daran!

Mein lieber Matthew, Du warst immer wie ein eigener Sohn für mich, und ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass Du glücklich wirst. Vielleicht findest Du ja auch irgendwann die richtige Frau, die an Deiner Seite mit Dir glücklich sein kann. Das hoffe ich sehr.

Welchen Weg Du auch immer gehen wirst, gib immer gut auf Dich acht und bleib so, wie Du bist.

In Liebe deine

Sally“

Matthew legte den Brief auf den Tisch, wobei er tief durchatmete. Er war enttäuscht, dass er nun wieder nicht viel mehr wusste als zuvor. Er war innerlich sehr aufgewühlt. Gefühle von Trauer, Frust und auch ein wenig Angst durchfluteten ihn. Was würde er nun gleich finden?

Mit zittrigen Händen versuchte er, das Behältnis zu öffnen. Die Schatulle hatte einen sehr seltsamen Verschluss, den er nie zuvor gesehen hatte. Am Deckel war eine Art Ring, den man anheben und drehen musste, damit jener aufging. Der Löwe, der den Ring in seinem Maul hielt, hatte zwei blaue glänzende Steine als Augen. Matthew betrachtete das Tier und sah, dass seine Pranken an den Seiten die Schatulle festhielten, so als ob das Tier den Inhalt schützen wollte. Die Augen waren kraftvoll und warnend zugleich. Nie zuvor hatte er etwas Vergleichbares gesehen. Das warf bei ihm noch mehr Fragen auf, denn das hier war keine übliche Schmuckschatulle, die man überall kaufen konnte. Es war eindeutig zu erkennen, dass sie sehr alt und von findiger Hand hergestellt worden war. Was ihn wiederum auf die Frage zurückkommen ließ, wer seine Mutter gewesen und woher sie gekommen war. Er hatte keine Verwandten, die er hätte fragen können. Auch seine Geburtsurkunde gab keinerlei Aufschlüsse darüber. Vater unbekannt, stand auf der Urkunde zu lesen.

Schon sein ganzes Leben lang fragte sich Matthew, wer er eigentlich war. Aber niemand konnte diese zutiefst in ihm brennenden Fragen beantworten. Als er nun den Ring drehte, war ein mechanisches Geräusch zu hören, und zwar so, als ob sich im Inneren Teile verschieben und der obere Part der Schatulle dadurch freigegeben würde. Matthew atmete tief durch. Seine Anspannung war fast greifbar. Nervös hob er den Deckel an und klappte ihn zurück. Das Innere der Schatulle war ebenfalls aus altem Silber, und mit blauem Samt ausgeschlagen.

Sein erster Blick fiel auf einen Briefumschlag, der prall gefüllt war, und seinen Namen trug. Er nahm ihn vorsichtig heraus und öffnete ihn.

Er staunte nicht schlecht, als dann vor ihm tausende von Dollar lagen. Sein Herz pochte wie wild, als er das Geld zählte. Es waren genau 79.800.- Dollar. Er freute sich wie verrückt, denn nun konnte er sich endlich seinen Traum von einer eigenen Farm erfüllen. Gleichzeitig warf das für ihn noch mehr Fragen auf, was seine Mutter betraf. Wer war sie, dass sie so viel Geld besessen hatte? Woher hatte sie es, wenn sie doch laut anderen Leuten nur als Näherin gearbeitet hatte, wenn sie gar nicht viel verdient hatte? Fragen über Fragen schwirrten in Matthews Kopf umher. Er hätte nur zu gerne gewusst, wer sie wirklich gewesen war, damit seine ewigen Fragen ein Ende hätten finden können. Nichts bewegte ihn schon so lange und intensiv wie seine ihm völlig verborgene Herkunft. Doch da war niemand, der all das beantworten hätte können. Seine Mutter hatte mit keinem je darüber gesprochen. Und so gab es keinerlei Aufschlüsse darüber, wer er wirklich war.

Er betrachtete das Geld und beschloss, am nächsten Tag zu Farmer Gregory Mac Allys zu fahren, der seine Farm schon einige Zeit zum Verkauf anbot. Ein sehr schönes kleines Stück Land mit einem kleinen Häuschen, das von einer großen Veranda umrahmt war. Ein kleiner Wald samt großem Teich gehörte auch zu dem Besitz Er schien ihm nicht zu groß und nicht zu klein, sodass man alles hatte, was man brauchte, um alleine und unabhängig leben zu können. Es war perfekt für ihn.

Er sah in das Innere der Schatulle, ob da vielleicht noch etwas war, was ihm mehr Aufschluss hätte geben können. Sein Blick fiel auf einen kleinen Beutel aus rotem Samt, der mit Bändern verschnürt war. Das war das Einzige, was noch darin lag. Er nahm ihn heraus und zog an den Bändern. Vorsichtig nahm er eine Kette heraus, an der ein sehr auffälliger, großer Anhänger baumelte. Der schimmernde große, blaue Stein in der Mitte des Anhängers war kunstvoll mit geschwungenem Silber umrahmt worden. Matthew wusste sofort, dass dies kein neuer Schmuck war, sondern ein sehr alter, aus längst vergangenen Tagen. Er betrachtete ihn lange und dachte daran, dass dies wohl ein Lieblingsstück seiner Mutter gewesen sein musste. Sonst hätte sie ihn wohl kaum so sorgsam aufbewahrt wie einen wertvollen Schatz. Er betrachtete ihn lange und strich mit dem Zeigefinger vorsichtig über den glänzenden Stein, der sein ganz eigenes Leuchten zu haben schien. Matthew hatte ein ganz seltsames Gefühl, als er den Stein berührte. Es war ihm, als ob der Stein ein Geheimnis in sich trug. Irgendwie schien ihm diese Kette vertraut und doch fremd zugleich. Heutzutage trug man keinen solchen Schmuck mehr. Er fragte sich, woher er wohl stammen mochte und wie alt er wohl war. Letztendlich hatte er auch darauf keine Antworten. Schnell schob er ihn zurück in den Samtbeutel, verschnürte ihn, legte ihn vorsichtig zurück in die Schatulle und verschloss wieder sorgsam den Deckel. Er stellte die Schatulle in seinen alten Schrank und schloss ihn ab. Er hatte das Gefühl, dass sie etwas ganz Besonderes war. Und so gab er von diesem Tag an gut auf sie acht. Alleine die Erinnerung an seine Mutter und ihr Geheimnis, das sie zu umgeben schien, war genug Anlass für ihn, die silberne Schatulle ebenso wie einen kostbaren Schatz zu verwahren.

Am nächsten Morgen stand er ganz früh auf, kochte sich Kaffee, und machte sich dann auf den Weg zu Mac Allys Farm.

„Guten Morgen Matthew!“, begrüßte ihn Mac Allys überrascht. „Was treibt dich denn so früh zu mir heraus? Willst du dir wieder mal mein schönes Stück Land ansehen?“, lachte er. Sein betagtes Gesicht war von einem breiten Grinsen durchzogen. Er wusste ja, dass Matthew schon lange sparte, um das Geld für seine langersehnte Farm zusammen zu bekommen. „Kaffee?“, sagte er zu Matthew. „Ja gerne“, antwortete Matthew. „Ich habe gute Neuigkeiten für dich Gregory. Ich habe etwas Geld geerbt, und kann mir somit nun endlich deine Farm kaufen!“ Beseelt von seinem Glück, setzte sich Matthew an Gregorys Tisch und nahm den dampfenden schwarzen Kaffee entgegen, den ihm Gregory in einem alten, blauen Keramikbecher hinstellte. „Na, das freut mich für dich, Junge, und auch für mich natürlich, dann kann ich endlich zu meinen Kindern in die Stadt ziehen auf meine alten Tage, um mich nur noch von meiner Tochter umsorgen zu lassen“, lachte er erfreut. Gregory war bereits in einem hohen Alter von 81 Jahren, deshalb wollte er nicht seine restlichen Tage alleine auf der Farm verbringen. Auch die Arbeit war ihm zu viel und zu schwer geworden, um sie alleine bewältigen zu können.

Matthew genoss den Kaffee. Ein Gefühl kam in ihm auf, als ob er endlich am Ziel angekommen wäre. Mit seinen bereits einunddreißig Jahren war es Zeit für ihn, etwas zu haben, das nur ihm allein gehörte. So war er nun sehr stolz, dass er diese Farm nun endlich kaufen konnte. „Ich wünsche dir sehr, dass du hier genauso glücklich wirst, wie ich es hier war, mein Junge“, sagte Gregory, während er ihm väterlich auf die Schulter klopfte. „Du weißt, dass mein ganzes Herz an der Farm hängt. Nun bin ich froh, dass du sie bekommst. Denn ich weiß, dass du sie genauso weiterführen wirst, wie ich es getan habe viel Jahre lang. Respekt haben vor der Natur und der behutsame Umgang mit ihr, ist eines der wichtigsten Dinge, die man lernen muss im Leben. Das beachten leider nicht mehr viele Menschen heutzutage. Deshalb ist es beruhigend für mich zu wissen, dass sie nun in deinen Händen gut aufgehoben ist. Meine Kinder haben leider auch kein Interesse, auf dem Land zu leben. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als sie zu verkaufen. Natürlich hätte ich es mir anders gewünscht. Aber jetzt bin ich jetzt froh, dass du sie bekommst.“ Er lächelte Matthew zu und streckte ihm seine Hand entgegen. So besiegelten sie ihren Vertrag per Handschlag. Damit war Matthew fortan stolzer Eigentümer einer wunderschönen Farm. So war er zu diesem Stück Land gekommen, dessen Ruhe und Friedlichkeit er nun jeden Abend auf seiner Veranda genießen konnte.

Er sah zum Himmel auf, dessen Röte sich langsam in der hereinbrechenden Dunkelheit der Nacht verlor. Ja, er war glücklich geworden hier, so wie Sally es sich gewünscht hatte. Besser hätte er es sich nicht vorstellen können.

Er lebte alleine auf der Farm. Ab und zu kam Buck vorbei und besuchte ihn oder half ihm bei der Arbeit. Er kam immer, wenn Not am Mann war wie bei der Ernte. Buck war sein bester Freund. Er war immer zur Stelle, wenn er ihn brauchte. Die übrige Arbeit schulterte er im Alleingang. Und darauf war er sehr stolz. Er konnte sich selbst sehr gut versorgen, war mittlerweile auch perfekt im Brot backen und kochen geworden. Vieles hatte ihm auch Sally vor Jahren schon beigebracht. Nach ihrem Tod hatte er ihr altes Auto, und die paar Möbel und persönlichen Habseligkeiten abgeholt, die von ihr geblieben waren. So wurde er täglich an sie erinnert, wenn er in ihrem alten, samtbezogenen Ohrensessel saß, der nun bei ihm im Wohnzimmer seinen Platz gefunden hatte. Er bekam dann immer ein wenig das Gefühl, dass sie noch hier war. Die Bücher von Tom hatte er in eine alte Glasvitrine gestellt, wo sie vor Staub gut geschützt waren. Es waren hauptsächlich Bücher über Geschichte und Literaturklassiker. Gelesen hatte er sie noch nicht, denn dafür hatte er noch keine Zeit gefunden. Er hörte sich auch viel lieber die alten Platten von Tom an, als dass er ein Buch las. Damit konnte er schon wesentlich mehr anfangen. Er kannte die Musik ja auch schon von früher, da er ja als Kind oft bei ihnen gewesen war. Deshalb legte er des Öfteren abends Toms Platten auf und schwelgte dann in Erinnerungen. Die Sammlung reichte von Bing Crosby und Sammy Davis Jr., bis Janis Joplin. Er mochte diese Musik, und überdies waren einige Platten dabei, die heute nur noch schwer zu bekommen waren. Für Matthew war diese wertvolle Sammlung auch eine Art Schatz. Trotzdem würde ihm nie in den Sinn kommen, sie eines Tages zu verkaufen. Für ihn hatten all diese Gebrauchsartikel einen ganz speziellen Wert.

Das alte Auto, ein Ford F 100 Pickup, mit dem Tom vor Jahren das letzte Mal gefahren war, musste Matthew erst wieder fahrtüchtig machen. Er stand schon viel zu lange im Schuppen. Aber es war ein sehr robuster PKW, der auch einen grobschlächtigen Fahrer ertrug! Deshalb behielt ihn Matthew auch so lange man noch Ersatzteile beschaffen und ihn immer wieder reparieren konnte. Der Geruch der alten Ledersitze hatte es ihm sehr angetan. Er genoss ihn, wenn er mit dem Auto unterwegs war. Das ererbte Auto vermittelte ihm ein echtes Fahrgefühl. Kurzum, er liebte dieses Auto.

Es war spät geworden. Matthew löschte das Licht im Haus und ging zu Bett. Da fiel ihm der Satz aus dem Brief wieder ein: „Die Macht ist mit ihm bei den Steinen.“ „Seltsam“, dachte er, was wollte seine Mutter wohl damit sagen? Und welche Steine hatte sie damit gemeint? Oder hatte sie wirklich nur im Delirium gesprochen? Das wäre dann trotzdem eine sehr merkwürdige Aussage gewesen. Da er aber nichts damit anfangen konnte, schob er den Gedanken beiseite und schlief ein.

2.Kapitel

Das seltsame Buch

Ein paar Wochen später, war es noch früh am Morgen, als Matthew wie jeden Tag in den Stall ging, um seine Kühe zu melken. Liebevoll tätschelte er seiner Lieblingskuh Gloria den Hals, und strich ihr über das Fell. „Na, meine Süße, gut geschlafen?“ Er kraulte sie hinter den Ohren, und Gloria genoss sichtlich seine Liebkosungen. Danach fütterte er seine vier Schweine, mistete den Stall aus, und ging dann auf den Hof, um seine Hühner zu füttern. Nach getaner Arbeit ging er zurück ins Haus, kochte sich Kaffee und aß sein Frühstück, das aus selbst gebackenem Brot, mit Wurst und Käse bestand.

Zwei Stunden später sah er überrascht zum Fenster, als er ein lautstarkes Hupen hörte. Er lief hinaus und sein Blick fiel auf Buck, der gerade aus dem Wagen stieg. „Guten Morgen, Matthew! Du wirst überrascht sein, was ich für Neuigkeiten für dich habe!“, rief er mit einem breiten verschwörerischen Grinsen im Gesicht. „Na komm, spann mich nicht auf die Folter! Erzähl schon!“, antwortete Matthew. Er war gespannt, was es so Wichtiges gab, dass Buck schon so früh am Morgen extra zu ihm hinausfuhr, um ihm das mitzuteilen.

Buck stellte sich vor ihm hin, und grinste über das ganze Gesicht. „Halte dich fest! Sarah ist wieder da!“

Matthew war, als hätte ihm gerade jemand einen Schlag versetzt. Damit hatte er nun wirklich nie und nimmer gerechnet.

Matthew richtete seinen Blick auf den fernen Horizont, und sagte mit fester Stimme: „Ich will gar nichts davon hören, sie ist für mich ein für alle Mal gestorben, das weißt du sehr genau Buck.“ „Na, das weiß ich doch Matthew, ich wollte dich nur vorwarnen, falls sie dir eines Tages über den Weg laufen sollte“, entgegnete Buck. „Ich muss dann auch gleich mal weiter, ich habe noch einiges zu erledigen, Matt.“ Er verabschiedete sich, stieg in sein Auto und brauste davon.

Matthew war ganz froh, dass er weg war, so, blieb ihm ein ihm unangenehmes Thema erspart. Er wollte und konnte nicht darüber sprechen, was Sarah ihm vor ein paar Jahren angetan hatte. Er war damals schwer in sie verliebt gewesen, doch sie hatte ihn mit Andrew, einem der Vorarbeiter betrogen und ihn somit vor allen Leuten zum Gespött gemacht. Das konnte er ihr nicht verzeihen. Seither hatte er kein wirkliches Interesse mehr an Frauen. Folglich mied er sie weitgehend, wo und wann er nur konnte. Er bevorzugte sein einsames Leben auf seiner Farm, wo ihm niemand in die Quere kam und wo nur er allein das Sagen hatte.

Matthew schob die Erinnerung an diese Frau so weit weg, wie er nur konnte. Er ließ nicht zu, dass ihn diese Enttäuschung noch weiter quälte. Das war lange her, und er sah keinen Grund dafür, sich gedanklich damit noch weiter zu befassen.

Dieser Herbst brachte nun ständig viel Regen und Wind mit sich. Die Temperaturen ließen auch schon zu wünschen übrig. Matthew sah zum Himmel und entdeckte einige große dunkle Regenwolken, die nichts Gutes verhießen.

Er fuhr den Traktor in die große Scheune, brachte das Werkzeug, das noch im Hof lag, ins Trockene und verschloss dann das Tor. Als er die Haustür erreichte, fielen bereits die ersten Tropfen. Nach den schwarzen, unheilvollen Wolken zu urteilen, die sich über den Himmel schoben, ahnte er schon, dass sich bald ein Sturm zusammenbrauen würde. Er schloss die Haustür hinter sich zu, ging in die Küche und setzte frischen Kaffee auf. Mit einer Tasse dampfendem, köstlichem brasilianischen Kaffee setzte er sich dann gemütlich im Wohnzimmer in den alten großen, von Sally geliebten Sessel. Auch Matthew mochte ihn, weil er so bequem war und man sich ihn ihm wie geborgen fühlte. Er nippte an der Tasse und genoss den Duft. „Ah, es geht doch nichts über guten Kaffee“, sagte er laut vor sich hin, und nahm noch einen großen Schluck. Draußen hörte er den Wind aufheulen. Er blickte durch das Wohnzimmerfenster in den Regen, der gegen das Fenster prasselte.

Es war kalt im Haus. Deshalb ging Matthew zum Kamin und legte Holzscheite auf Papier, um ein Feuer zu entzünden. Die Flammen fraßen sich gierig ins trockene Holz und loderten bald schon steil in die Höhe. Es knackte und knisterte. Eine wohlige Wärme verbreitete sich im Raum. Matthew hockte vor dem Kamin und rieb sich die Hände. „Schon viel besser“ murmelte er. Er überlegte, ob er eine der alten Platten auflegen sollte, aber er entschied sich dann doch dafür, endlich einmal eines der Bücher zu lesen. Da er jetzt sowieso draußen nicht viel tun konnte, hatte er nun endlich Zeit dafür. Er ging zum Buchregal, öffnete die Vitrine, strich sanft über die alten Buchrücken und las deren Titel. Die Auswahl fiel ihm nicht leicht, denn diese reichte von Tolstois Krieg und Frieden, vielen Büchern über die Geschichte, bis Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Und Matthew war nun nicht gerade eine Leseratte von Klassikern. Er bevorzugte eher, wenn er denn mal ein Buch las, einen aktuellen Bestseller der modernen Literatur. Doch als er so von Buch zu Buch streifte mit seinen Fingerspitzen, blieb sein Blick an einem sehr alten Exemplar hängen, das sein Interesse weckte. Sein Einband war aus sehr altem, braunem Leder hergestellt und trug den in Gold geprägten Titel: Die Weisheit der Macht.

Matthew nahm das Buch vorsichtig aus dem Regal und setzte sich in seinen Sessel.

Er rückte sich das kleine, grüne Samtpolster an der Seite zurecht und legte das Buch darauf.

Er klappte es auf und las:

„Von Anbeginn der Zeit sind den Menschen die wichtigsten Dinge des Lebens auf dieser Erde verborgen. Sie gehen durch ihr klägliches Leben, ohne die wahren Hintergründe des Lebens je zu entdecken. Dieses Buch soll den Menschen, die dafür auserwählt wurden, die Wahrheit erzählen, über all die Dinge der Magie der Macht, die diese Welt regiert. Nur wenigen ist die Wahrheit gewährt.“ Matthew blätterte um und las weiter: „Nur wer die Weisheit der Macht besitzt, wird im Bann der Magie bestehen...“

Das war alles, was dort zu lesen war. Matthew blätterte alle Seiten um, doch alles war weiß und unbeschrieben.

Er schüttelte verwundert den Kopf, und konnte sich keinen Reim darauf machen, was das für ein merkwürdiges Buch war. Das ganze restliche Buch war völlig leer! Er drehte und wendete es mehrmals, ohne daraus schlau zu werden. Schon fast ein wenig verärgert, legte er es zur Seite und sah in das Kaminfeuer. Die Flammen waren etwas kleiner geworden. Er stand auf und legte ein paar Scheite Holz nach. Als ob sie darauf gewartet hätten, züngelten die Flammen gierig nach dem Holz. Sogleich stieg der Rauch nach oben durch den Abzug.

Matthew setzte sich wieder und überlegte, ob sich Tom vielleicht einen Scherz mit ihm erlaubt hatte mit besagtem Buch. Denn was konnte ein leeres Buch denn für einen Sinn haben? Zuerst eine so mysteriöse Einleitung und dann nichts mehr. Er schüttelte abermals den Kopf und lachte. Das war bestimmt ein Scherz, es konnte gar nicht anders sein. „Na hoffentlich gibt es nicht noch mehr solche Überraschungen“, sagte er leise vor sich hin, indem er sich in seinem Sessel zurück-lehnte. Er richtete seinen Blick starr auf das prasselnde Kaminfeuer, während draußen der Sturm heulend an den Fenstern rüttelte.

Er liebte diesen Anblick. Da konnte er dann oft stundenlang davorsitzen, es still betrachten und genießen. Er legte die Füße hoch auf den kleinen Hocker, gleichzeitig sah er den tanzenden Flammenzungen zu, wie sie das Holz nach und nach verschlangen. Und ganz langsam wurden seine Augenlider immer schwerer, und er schlief ein….

Matthew schlug die Augen auf und konnte kaum etwas erkennen. Dichter Nebel umfing ihn und er fand sich auf freiem Feld. Ein seltsames Gefühl durchströmte seinen ganzen Körper, dass er sich nicht erklären konnte. In einiger Entfernung sah er ein altes Gebäude, in dem Licht brannte. Ihm war eisig kalt und er beschloss, dorthin zu gehen. Er wusste nicht, wo er war, jedoch hoffte er, dass die Leute, die womöglich darin wohnten, ihm sagen konnten, wo er sich befand. Alles hier schien ihm so fremd und unwirklich. Er kannte weder die Gegend noch konnte er sich daran erinnern, jemals hier gewesen zu sein. Er setzte langsam Fuß vor Fuß und versuchte, sich den Weg durch den dicken Nebel zu bahnen. Das Licht des Hauses schien sich immer weiter von ihm zu entfernen, je mehr er darauf zuging. In dem dunklen Nebel meinte er, Gestalten zu erkennen, die jedoch sofort wieder verschwanden, sobald er genauer hinsah. Er vernahm ein lautes Grollen aus der Ferne wie von einem Gewitter. Doch es regnete nicht und auch kein Blitz war zu sehen. Nur dieser alles umhüllende Nebel. Matthew zog eine Zündholzschachtel aus seiner Hosentasche und entzündete ein Streichholz. Doch der Nebel verschlang sofort das Licht. Er hatte die komische Empfindung, dass er bereits seit Stunden auf dem Weg zu dem Haus war. Und dennoch kam er dem Haus einfach nicht näher! Die Kälte machte ihm zu schaffen und der Nebel bohrte sich zusätzlich feucht in seine Kleider. Er hoffte inständig, dass er das Haus bald erreichen konnte. Ganz plötzlich stand er vor einem riesigen Tor, an dem ein silberner Löwenkopf prangte mit einem schweren Ring in seinem Maul. Rundherum waren dicke hohe Steinmauern, über die er nicht wegsehen konnte. Matthew fasste sich ein Herz, griff nach dem Ring und schlug damit laut gegen das Tor. Dann trat er einen Schritt weit zurück und wartete. Plötzlich öffnete sich das Tor, ein etwas untersetzter alter Mann erschien. Sein schlohweißes Haar hing ihm in Strähnen bis zur Schulter, unter seinen dicken weißen Augenbrauen lugten seine schmalen, dunklen Augen hervor. Matthew schluckte. Ein sonderbares Gefühl breitete sich in ihm aus. Angst hatte er nicht, aber dennoch ein sehr merkwürdiges Gefühl. Es war ihm, als hätte man hier schon auf ihn gewartet, vielmehr als hätte er ein Ziel erreicht, von dem er bisher nichts wusste.

Da sagte der alte Mann zu ihm: „Meister, ihr werdet bereits erwartet. Tretet bitte ein!“

Verwundert sah Matthew auf den alten Mann und wusste nicht, was er sagen sollte. So blieb er wortlos. Er trat in den langen Gang, der vor ihm lag. In einigem Abstand voneinander, hingen brennende Fackeln an den Wänden, die den Gang erleuchteten. Eine seltsame Stille lag in dem alten Gemäuer, die ihm unheimlich war. Dicke Spinnweben überzogen die Wände, er sah, wie da und dort Spinnen die Wände entlang krabbelten. Unbehagen überkam ihn bei dem Anblick des Hundes, der ganz plötzlich vor ihm saß, mit leuchtend roten, gefährlich blitzenden Augen. Er schien mehr aus Haut und Knochen zu bestehen denn aus Fleisch. Er knurrte grimmig, als er Matthew erblickte und ihm den Weg versperrte. Matthew blieb wie angewurzelt stehen. Dabei blickte er sich hilfesuchend nach dem Alten um. „Barco, gib dem Herrn den Weg frei!“, rief dieser hinter ihm. Der Hund trollte sich und verschwand so plötzlich, wie er gekommen war im Nichts.

„Ihr werdet im großen Saal erwartet, Herr“, sagte der weißhaarige Mann hinter ihm. Matthew nickte und ging weiter in Richtung der großen, schweren, eisenbeschlagenen Tür, die vor ihm lag. Er wunderte sich darüber, dass der Alte ihn Meister nannte, aber er wagte es nicht, danach zu fragen, denn er hatte einen seltsamen Kloß im Hals und das Gefühl, als würde seine Stimme den Dienst verweigern, sobald er es auch nur versuchte. Als er nun an der Tür angekommen war, huschte der Alte an ihm vorbei, öffnete flink, und deutete ihm an einzutreten. Als sich nun die Tür vor seinen Augen öffnete, trat er ein, erblickte eine Frau, die in lange, blaue sonderbar glänzende Kleider gehüllt war. Sie hatte langes, dunkles Haar und strahlende blaue Augen, die ihm freundlich entgegenblickten. Ihre Gestalt war von solcher Zartheit, dass man befürchten musste, dass sie wohl zerbrechen würde, sobald man sie auch nur berühren wollte. Ein weiches, schimmerndes Licht umgab sie, als würde es sie beschützen wollen. Matthew sah sich im Raum um und entdeckte, dass der ganze Raum voll von Porträtgemälden an den Wänden war, die uralt zu sein schienen. In der Mitte des Raumes befand sich ein großer Kamin, in dem ein loderndes Feuer brannte, wobei jedoch das Holz nicht verzehrt wurde. Davor standen zwei sehr große, goldene, alte Stühle, die aus schwerem Holz mit rotem Samt bezogenen Polstern gefertigt worden waren. Sie luden förmlich ein, darauf Platz zu nehmen.

Da erklang die sanfte Stimme der Dame: „All das sind deine Vorfahren Matthew. Sie alle haben ihr Leben dem Kampf gegen die bösen Mächte auf dieser Welt gewidmet, genau, wie ich es getan habe. Nur war es mir leider nicht vergönnt, mein Werk fortzuführen.“

Da keimte eine Vermutung in Matthew auf, er fragte zaghaft: „Bist du, …?“ Da nickte die Dame und sagte: „Ja Matthew, das bin ich. Ich bin deine Mutter. Es tut mir sehr leid, dass ich dich schon in jungen Jahren zurücklassen musste. Ich hätte dir noch so vieles sagen müssen, aber dazu kam es leider nicht mehr. Sie haben dafür gesorgt. Nun ist es an dir dich zu entscheiden. Du bist nun in einem Alter, in dem du reif genug dafür bist. Ich wünschte, ich könnte dich lehren, was du wissen musst.“ Ihr Blick war traurig. Sie hielt kurz inne und leise seufzend fuhr sie fort: „Suche deinen Weg, mein Sohn, es ist allein deine Entscheidung! Aber ich hoffe inständig, dass du den richtigen Weg erwählst. Alles wird zu dir kommen, wenn du so weit bist. Achte auf die Zeichen, und suche nach der Wahrheit!“

Dann tat es einen lauten Donnerschlag. Alles, was er zuvor gesehen hatte, war verschwunden. Matthew sah sich plötzlich weit weg von dem Haus auf einer grasbewachsenen und weiten Fläche, auf der in einiger Entfernung riesige Steine in seltsamer Formation standen. Es war sehr dunkel. Deswegen musste er sich sehr anstrengen, um etwas erkennen zu können. Er sah Menschen in langen schwarzen Gewändern, die das Geweih eines Hirsches auf ihrem Kopf trugen und brennende Fackeln in ihren Händen hielten. Plötzlich breitete sich dichter, dunkler Nebel aus. Die schnell entstandene Dunkelheit umhüllte alles, sodass er überhaupt nichts mehr sehen konnte. Er bekam Angst und versuchte, um Hilfe zu rufen, doch es kam kein Laut aus seiner Kehle. Panik breitete sich in ihm aus, und er rannte so schnell, er nur konnte davon…

Schwer atmend und schweißgebadet erwachte Matthew und schreckte aus dem Sessel hoch. Er konnte die Angst noch in seinen Knochen spüren. Matthew war völlig verwirrt. Er konnte kaum glauben, was er gerade geträumt hatte. Das konnte doch unmöglich wahr sein! Wahrscheinlich hatte er wohl nur einen Albtraum gehabt? Dessen war er sich nunmehr ziemlich sicher. Es lag bestimmt daran, dass er diese geheimnisvollen Zeilen des Buches zuvor gelesen hatte. Und sein Gehirn hatte alles zu einem Brei vermischt. Das musste es wohl sein! Zuerst dieses seltsame Buch und dann dieser unwirkliche Traum, der mehr als Rätsel aufgab. Er schüttelte die Gedanken an den Traum ab und stand auf. Matthew sah in das Kaminfeuer und bemerkte, dass das Holz fast vollständig verbrannt war. Er musste Stunden geschlafen haben. Er drehte sich um und sah auf die alte Standuhr auf dem Sideboard hinter ihm. Hierbei stellte er überrascht fest, dass vier Stunden vergangen waren, seit er sich hier hingesetzt hatte. Es war bereits nach Mittag und so versuchte er, den Traum so schnell wie möglich zu vergessen. Auf solche abstrusen Träume konnte er getrost verzichten.

Ein Hungergefühl im Magen machte sich bemerkbar. So ging er in die Küche, um Essen vorzubereiten. Als er dann am Küchentisch seine aufgewärmten Bohnen mit Speck verspeiste, versuchte er sich den Traum in Erinnerung zu rufen und logisch zu ergründen, was die Ursache dafür sein konnte. Hatte er wieder einmal an seine Herkunft gedacht und daraufhin diesen absolut schrägen Traum in seinem Gehirn heraufbeschworen? Irgendeine Erklärung müsste sich doch finden lassen? Er grübelte noch lange darüber nach, kam jedoch auf keine passende Erkenntnis. Er vermutete nun die Ursache seines Traumes darin, dass er sich jahrelang nach seiner Mutter gesehnt hatte. Ja, das musste es wohl sein. Sein Gehirn hatte ihm einen bösen Streich gespielt. Mit dieser Erklärung gab sich Matthew zufrieden.

Er brachte das Buch wieder an seinen Platz nach dem Essen. Dann ging er nach hinaus auf den Hof, um nachzusehen, ob der Sturm Schäden hinterlassen hatte.

Matthew stapfte über den stark aufgeweichten Boden der Farm und inspizierte alle Zäune, den Stall und die Scheune, um dann endlich wieder beim Haus anzukommen, wobei er feststellte, dass ein paar Dachziegel fehlten. Der Sturm hatte sie weggefegt und sie lagen nun zerbrochen auf dem Boden. „So ein Mist!“, fluchte er ärgerlich und ging ins Haus zurück.

Doch im Moment konnte er nicht viel tun, da es noch regnete und es deshalb zu gefährlich war, auf das Dach zu steigen wegen der Rutschgefahr. Er stieg die Treppe zum Dachgeschoss hinauf, sah sich nach den Stellen um, wo nun außen die Löcher klafften. Und tatsächlich tropfte es hier schon auf den Boden. Matthew war verärgert und ging nochmals hinunter, um zwei Eimer zu holen, Er stellte sie dann genau unter die Tropfstellen. Bis morgen sollte das Provisorium halten, dann wollte er das Dach reparieren, sobald der Regen aufgehört hatte. Er ging zurück ins Wohnzimmer, schaltete den Fernseher ein und streckte sich der Länge nach auf der Couch aus. Der Tag war für heute gelaufen. Bei dem Mistwetter konnte man sowieso nicht viel anfangen. Im Fernsehen wurde ein alter Liebesfilm gesendet und Matthew schaltete sofort auf einen anderen Kanal, denn auf einen oberflächlichen Schmalzfilm hatte er so gar keine Lust. Er suchte nach etwas Bodenständigerem und fand eine Dokumentation über die Kelten, einem alten indoeuropäischen Volk. Er verfolgte die Sendung mit wachsendem Interesse, vor allem, weil er sich schon so oft gefragt hatte, woher seine Familie stammte und wo seine Wurzeln waren. Er wusste bis heute absolut nichts darüber. Deshalb sah er sich öfter solche Beiträge an, wenn sie von anderen Ländern und anderen Kulturen berichteten. Er tat es immer in der vagen Hoffnung, etwas Vertrautes zu entdecken, das ihm vielleicht mehr Aufschluss darüber gab. Obwohl sein Verstand es ihm sagte, dass dies völlig unsinnig und aussichtslos war, trieb ihn oft dieses unbestimmte Gefühl vor das TV-Gerät.

Nachdem er Stunden vor dem Fernsehgerät verbracht hatte, war es später Abend geworden. Er richtete sein Abendbrot an und kehrte dann wieder ins Wohnzimmer zurück. Er wollte zu Bett gehen, also beendete er das Fernsehen und wollte gerade die alte Stehlampe neben dem Ohrensessel ausschalten, als er verdutzt auf das Papier starrte, das da unter dem Sessel ein kleines Stück hervorragte. Er wunderte sich, wo es herkam, denn er konnte sich nicht daran erinnern, dass er überhaupt in letzter Zeit ein Papier hier in der Hand gehabt hatte. Matthew bückte sich, um es aufzuheben, und klappte das zweimal gefaltete Papier auseinander.

Da stand mit Tinte in alter Handschrift geschrieben:

Per Omnia saecula saeculorum pro domo

Magia est aeterna

Mundus vult decipi, ergo decipiatur

Audivimus solam virtutem

quod est in mundo, in medio lapidum

quintum in eadem es

possim vestros probare peritias

quae dantur tibi nascenti.

Nos viceritis huius saeculi!

Hereditatem tuam et suscipe verba Magistri jurare

Matthew starrte wie gebannt auf das Papier. Es war lange her, seitdem er Latein in der Schule gelernt hatte. Dennoch setzte er sich auf den Sessel und versuchte, die Sätze zu übersetzen. Er brauchte einige Zeit dafür, aber er brachte in etwa eine Übersetzung zustande, die da lautete:

„Von Ewigkeit zu Ewigkeit für das Haus. Die Magie ist ewig. Die Welt will betrogen, werden also soll sie betrogen werden. Uns gehört die alleinige Macht, die im Herzen der Welt bei den Steinen ist. Du bist der Fünfte unter Gleichen. Finde deine Fähigkeiten die dir von Geburt an gegeben sind. Schwöre auf des Meisters Worte und nimm dein Erbe an.“

Matthew starrte auf die Buchstaben und konnte es nicht glauben, was er da las. Er war wie vor den Kopf geschlagen. Langsam fing er an, daran zu zweifeln, dass der erlebte Traum wirklich nur ein Traum war. Denn dieses Papier, das er nun in seinen Händen hielt, war so echt wie die Tatsache, dass es ihn gab. Es musste von ihm unbemerkt aus diesem merkwürdigen Buch gefallen sein. Anders konnte er es sich nicht erklären, wo es hergekommen war. Matthew hatte nun immer mehr Fragen im Kopf, die ihm keine Ruhe mehr ließen. War dieses Buch überhaupt von Tom? Wenn nicht, woher kam es dann, und wer hatte es ihm ins Regal gestellt? Denn er selbst konnte sich nicht daran erinnern, es je vorher gesehen zu haben. Und wer genau war gemeint in diesem Brief? Er? Oder betraf dies jemand anderen? Vielleicht wurde er mit jemand anderem verwechselt? Möglich war eigentlich alles nach Matthews Ansicht. Doch beantworten konnte ihm das keiner. Sein Kopf schwirrte und war nur noch ein einziges großes Fragezeichen.

Er war inzwischen sehr müde nach all der Aufregung. Er löschte das Licht im Haus, ging in sein Schlafzimmer, zog sich aus, streifte seinen Pyjama über und legte sich ins Bett. Er beschloss, nicht mehr darüber nachzudenken, sonst würde er wohl kaum Schlaf finden diese Nacht. Er zupfte sich sein Kissen zurecht und zog die Decke bis über die Ohren, als ob er die Welt um sich herum aussperren wollte. Bald darauf schlief er ein.

3.Kapitel

Der Brief

Matthew lag seit Stunden in tiefem Schlaf, als er plötzlich aufschreckte. Ihm war, als hätte ihn jemand gerüttelt und aus dem Schlaf gerissen. Er rieb sich die Augen und setzte sich im Bett auf. Als er die Nachttischlampe einschaltete, fiel sein Blick auf den Wecker. Es war zehn Minuten nach zwei Uhr. Er spürte, dass irgendetwas nicht stimmte. Als wäre er nicht alleine im Haus. Er horchte angespannt in die Stille hinein. Waren etwa Einbrecher im Haus? So abgelegen wie er wohnte, war das eher unwahrscheinlich. Trotzdem hatte er das sichere Gefühl, das noch jemand im Haus war. Er konnte es förmlich spüren. Es lag etwas in der Luft, und er wusste, dass gleich etwas geschehen würde. Die Anspannung wurde immer stärker. Er stand auf und ging über die Treppe hinunter, um nachzusehen. Das ganze Haus lag im Dunkeln. Matthew sah zum Fenster hinaus, konnte aber niemanden sehen. Es war stockdunkel da draußen. Nur das schwache Licht des Mondes drang zaghaft durch das Fenster. Plötzlich sah er im Augenwinkel, einen schwarzen Schatten, der an ihm vorbeihuschte. Er drehte sich blitzschnell um. Es war, als ob etwas auf ihn lauern und jeden Moment auf ihn einschlagen würde. Er starrte in die Finsternis hinein, ohne jedoch etwas erkennen zu können. Er war bereit für das, was da kommen sollte. Was auch immer es sein konnte. Als jedoch nichts weiter geschah, ließ seine Anspannung etwas nach. Dann drehte er sich um und ging wieder hinaus auf den Flur Richtung Schlafzimmer, als plötzlich ein Buch auf ihn zugeflogen kam mit aller Wucht und ihn schmerzhaft am Arm traf. „Au, verdammt!“, fluchte er laut. Er wusste nun, dass sein Gefühl ihn nicht getäuscht hatte. Er rief ins Dunkel hinein: „Wer bist du verdammt?! Komm heraus und zeig dich!“ Da hörte er ein leises Wispern und Zischen wie aus weiter Entfernung. Als plötzlich ein weiteres Buch auf ihn zugeschossen kam, reagierte er blitzschnell und reflexartig und hob seine rechte Hand. Mit voller Wucht schmetterte er das Buch mit einem Schlag ab, ohne es auch nur berührt zu haben.

Da vernahm er ein lautes verzerrtes Lachen, das schließlich in einem unverständlichen, flüsternden Stimmengewirr verhallte und nach und nach verschwand. Es war nun still im ganzen Haus. Der geheimnisvolle Spuk war offensichtlich vorbei.

Matthew stand wie erstarrt im Flur. Was war hier gerade geschehen? Was war das oder besser gesagt, wer war das? Er hatte keine Erklärung dafür. Er hatte nur im Reflex reagiert und das Buch abgewehrt, mit dem irgendjemand nach ihm geworfen hatte.

Er konnte sich nicht erinnern, das Buch direkt berührt zu haben. Matthew schob es auf die ganze unheimliche Situation. Er war sich dann doch ziemlich sicher, dass er es nur nicht wirklich realisiert, aber das Buch doch ganz bestimmt berührt hatte. Ja, es konnte ja gar nicht anders sein. Er schüttelte irritiert den Kopf und ging zurück ins Schlafzimmer. Was für eine verrückte Nacht! Er hatte sich bestimmt alles nur eingebildet, ja so musste es wohl sein.

Matthew ging zurück ins Bett, zog die Decke weit über die Ohren und grub sein Gesicht tief in das Kissen. Er wollte, egal was vielleicht noch geschehen mochte, nichts mehr davon mitbekommen. Er wollte nur noch seine Ruhe haben und endlich schlafen. Er hörte noch, wie der Regen an sein Fenster trommelte, dann schlief er endlich ein.

Als der Wecker klingelte, griff er schlaftrunken danach und warf ihn auf den Boden, sodass er abrupt verstummte. Ärgerlich rieb er sich die Augen und streckte sich noch gemütlich im Bett, bevor er sich dann schließlich doch nach einigen Minuten aus seinem Bett quälte. Er hatte ja keine Wahl. Seine Kühe warteten ja um diese Zeit schon darauf, gemolken zu werden. Also schlüpfte er in seine Jeans, zog ein rot-kariertes Flanellhemd über, und streifte sich seine Socken und Hausschuhe über die Füße. Er ging zum Fenster, um zu sehen, wie es um das Wetter heute bestellt war. Es regnete immer noch leicht und der Boden war inzwischen sehr matschig und aufgeweicht. Das hatte ihm noch gefehlt! Jetzt konnte er das Dach heute nicht flicken wegen der Nässe.

Er ging in die Küche, drehte den Herd auf und stellte den Wasserkessel für den Kaffee auf. Er war müde und lustlos. So eine miese Nacht hatte er lange nicht erlebt. Er war sich nun nicht mal mehr sicher, ob nicht alles einfach nur ein Traum gewesen war. „Bestimmt war es so, und ich hab` mir all das nur eingebildet“ murmelte er gähnend vor sich hin.

Der Wasserkessel fing an zu pfeifen. Er nahm ihn vom Herd und goss das Wasser über die zermahlenen Kaffeebohnen in der Kanne. Der Duft, der ihm in die Nase stieg, stimmte ihn gleich etwas fröhlicher. Das war das Wichtigste am Morgen. Die Tasse Kaffee, auf die er nicht verzichten konnte. Ein Morgen ohne Kaffee war für ihn schier unmöglich. Bevor er auch nur einen Handgriff tat, trank er immer zuerst seinen Morgenkaffee. Völlig egal, was war.

Er goss sich den heißen, dampfenden Kaffee in seine große blaue Lieblingstasse und nahm sie mit an den Küchentisch. Er gähnte laut, und fuhr sich mit der Hand durch seine Haare. Nein, heute würde er es gemütlich angehen lassen.

Nachdem er ausgetrunken hatte, ging er die Stufen hinauf zum Dachboden und sah nach den Eimern, die bereits randvoll waren. Es musste die ganze Nacht in Strömen geregnet haben. Matthew tauschte die vollen, gegen leere Eimer aus und nahm die vollen dann mit nach unten, um sie zu entleeren. Eine Dauerlösung war das nun nicht, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten, bis der Regen endlich aufhörte.

Er schloss die Haustür hinter sich und ging in den Stall. Nach dem Ausmisten nahm er den Melkschemel und setzte sich dann zu Gloria seiner Lieblingskuh, um sie an die Melkmaschine anzuschließen. Er strich ihr sanft übers Fell und flüsterte ihr zu: „Braves Mädchen.“

Er ging kurz hinaus in den Hühnerstall, um die Hühner zu versorgen. Als er zurückkam, nahm sein Gesicht eine verdutzte Mimik an, nachdem er gesehen hatte, dass fast keine Milch im Auffangbehälter war. „Na, heute auch nicht gut geschlafen oder warum hast du heute so wenig Milch, Gloria?“, sagte er zu ihr. Sie sah ihn fragend an, und rieb ihre Schnauze an seinem Arm. Er molk auch noch die andere Kuh und als dann bei ihr dasselbe Ergebnis sich einstellte, wunderte er sich sehr. „Drehen die Kühe jetzt auch schon durch?“, fragte er kopfschüttelnd. Er konnte sich das nicht erklären. Alles war wie immer und es gab keinen ersichtlichen Grund dafür. Vielleicht sollte er den Tierarzt anrufen. Obwohl es eigentlich gar keine Anzeichen dafür gab, dass sie krank waren. Er streute den Stall frisch ein und legte mit der Gabel neues Heu für sie auf. Dann verschloss er die Stalltür hinter sich und ging ins Haus zurück. Nachdem er sich eine zweite Tasse Kaffee eingegossen hatte, ging er den Flur entlang in Richtung Wohnzimmer. Er stutzte, als er auf dem Fußboden zwei Bücher liegen sah. Eines davon war das merkwürdige Buch, in dem nur die paar Zeilen standen und an das zweite konnte er sich nicht erinnern, dass er es je zuvor schon gesehen hätte. Er hob sie auf und nahm sie mit ins Wohnzimmer. „Es war also doch kein Traum“, dachte er, und legte die Bücher auf das kleine Tischchen neben dem Ohrensessel. Er nippte an seinem Kaffee und überlegte, ob er sich überhaupt auf das neue Phänomen einlassen sollte. Wenn das jetzt schon wieder so eine Überraschung war, dann konnte er gut darauf verzichten! Das, was in dem ersten Buch stand, war ihm schon nicht ganz geheuer gewesen und er hatte nicht wirklich ein gutes Gefühl bei der ganzen Sache. Er könnte sie genauso gut einfach ins Regal stellen und sie einfach ignorieren. Ja, das wäre bestimmt die bessere Lösung. Er hatte keine Lust, noch einmal derartige schlafraubende Träume zu durchleben. Und sein Gefühl sagte ihm, dass all das irgendetwas mit dem Buch zu tun haben musste. Denn bis zu dem Tag, an dem er es aufgeschlagen hatte, hatte er nie solch merkwürdige Träume gehabt. Also musste das Buch der Grund für sie sein. Seine Fantasie hatte daraus einen irrealen Traum geformt und ihm einen Streich gespielt. Es war sicherlich das Beste, das Ganze zu vergessen und einfach nicht mehr daran zu denken.

Er nahm also die genannten Bücher und stellte sie in seine Glasvitrine. Matthew streckte sich auf der Couch aus und schaltete mit der Fernbedienung das TV-Gerät ein. Nachdem er genervt festgestellt hatte, dass das Programm heute absoluter Schrott war, schaltete er ihn wieder aus und ging zur Stereoanlage, um eine der Platten aufzulegen. Etwas Musik würde ihm guttun und ihn ablenken. Also kramte er in seiner beachtlichen Sammlung an alten Platten und entschied sich dann für Etta James. Er nahm sie aus der Hülle, und legte sie vorsichtig auf den Plattenteller. Als die Musik den Raum erfüllte, seufzte er, da Erinnerungen an früher in ihm wach wurden. Er setzte sich auf seinen alten Ohrensessel, nippte an seiner Tasse und stellte sie dann auf dem kleinen Tischchen neben sich ab. Er schloss die Augen und genoss die Musik. Sein rechter Fuß wippte im Takt der sanften Melodie mit.

Matthew hörte sich mehrere Platten an und als der Hunger in ihm langsam hochkroch, beschloss er zu Sam`s Kitchen zu fahren und heute ausnahmsweise dort zu essen. Er hatte keine Lust, selbst zu kochen. Also verließ er das Haus, sperrte die Haustür sorgsam ab, ging in den Schuppen und startete den alten Pickup. Dann fuhr er die Straße entlang, die von der Farm wegführte, in Richtung der Stadt. Sun Valley war nur eine kleine Stadt in Idaho, aber man bekam dort alles, was man benötigte. Matthew fuhr nicht sehr oft in die Stadt. Er mochte einfach keine Touristen. In die Stadt begab er sich nur, wenn er dort etwas zu erledigen hatte. Doch heute hatte er keine Lust, zu Hause zu hocken. Ferner verspürte er den Wunsch nach einer gepflegten Unterhaltung. Ab und zu war es ganz gut, die Einsamkeit auf der Farm zu unterbrechen, obgleich er sie doch im Allgemeinen bevorzugte.

Sam, der Inhaber des Pubs grüßte ihn freundlich, als er zur Tür hereinkam. „Hey Matt, na alles klar bei dir? Wie geht es dir? Schön, dass du dich auch mal wieder blicken lässt.“ Er grinste Matthew an und stützte seine Hände auf den Tresen. Matthew setzte sich zu ihm an den Tresen und erwiderte verschmitzt grinsend: „Klar Sam, kennst mich doch. Mir geht’s immer gut. Danke der Nachfrage. Was gibt’s heute zu essen?“ Sam antwortete ihm scherzhaft: „Aha, da hat wohl jemand Kohldampf! Na, dann sehen wir mal, was wir dagegen tun können.“ Er zwinkerte ihm belustigt zu und drehte sich um zu Mary, die in der Küche hinter ihm stand: „Mary, was kannst du Matt heute anbieten?“ Sie streckte den Kopf durch die Öffnung der Durchreiche. „Hallo Matt! Ich kann dir heute Steak mit Kartoffeln anbieten, oder sonst das Übliche auf der Karte. Ganz wie du willst“, sagte sie lächelnd. Matthew schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, nein, Steak wäre prima Mary.“ Mary nickte und machte sich gleich an die Arbeit. Matthew wandte sich um und sah hinter sich in die Runde. Da waren auch Andrew und Lester, die an dem Tisch neben dem Fenster ihr Bier tranken und Karten spielten. Matthew schnaubte heftig durch die Nase, als er Andrew sah. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Andrew war der Vorarbeiter bei Bucks Vater, John. Er war derjenige, der ihm Sarah damals ausgespannt hatte. Seit jenem Tag hatte er mit Andrew kein Wort mehr gewechselt. Er war für ihn gestorben. Ein für alle Mal. Er wusste sehr genau, wie sehr er Sarah damals geliebt hatte und trotzdem hatte er ihm das angetan. Das konnte er ihm nicht verzeihen.

Matthew wandte sich wieder Sam zu. Dieser hatte längst bemerkt, dass Matthew nicht gerade begeistert war, als er Andrew entdeckt hatte. „Sieh einfach nicht hin, Matt! Vergiss ihn, er ist es gar nicht wert! Du solltest dich gar nicht mehr darum kümmern. Ist doch alles schon so lange her. Außerdem hat sie jetzt auch einen anderen.“ Matthew sah Sam fragend an: „Was, wer?“ Sam sah sich um, als ob ihm jemand zuhörte, dann beugte er sich zu Matthew und sagte: „Ich weiß nichts Genaues, aber man hört so einiges. Sie soll ja wieder zurück sein und auch ein Kind haben von einem anderen.“ Seine Augen blitzten beinah verschwörerisch auf, und es war unschwer zu übersehen, dass Sam die alte Tratsch-Tante hierbei ganz in seinem Element war. Matthew zuckte mit den Schultern und tat völlig gleichgültig. „Na, soll sie doch, ist mir doch völlig egal, was sie macht. Ist ihr Leben, ihre Entscheidung. Geht mich alles nichts mehr an.“ Er nahm ganz bewusst demonstrativ den Teller entgegen, den ihm Mary brachte und konzentrierte sich ganz auf sein Steak. Was juckte ihn das, was diese Frau jetzt tat? Was ging ihn das noch an? Er versuchte, das Thema zu wechseln, und sagte zu Sam: „Ey Sam, Mary ist wirklich die beste Köchin weit und breit. Das Steak ist absolut perfekt.“ „Das habe ich gehört, Matt, danke dir!“, schallte es lachend aus der Küche. „Ist nur die Wahrheit, Mary!“, antwortete Matthew lachend. Sam nickte zustimmend. „Da hast du wohl recht, Matt, sie ist die Beste. Bin froh, dass ich sie habe.“ Die Jukebox in der hinteren Ecke spielte gerade einen Oldie von Janis Joplin. Matthew lauschte aufmerksam der Musik und versank förmlich in dem Genuss des Fleisches auf seinem Teller. Er hatte nur eine gekannt, die auch so gut gekocht hatte und das war definitiv Sally. Jedes Mal, wenn er bei ihr zum Essen eingeladen war, hatte sie ihm nur das Beste aufgetischt. Er hatte ihr Essen geliebt und war nach dem Verzehr jedes Mal überaus satt gewesen.

Sam und Mary waren seit vielen Jahren ein Paar, aber hatten nie geheiratet, weil er eine starke Abneigung gegen die Ehe hatte. Mary hatte es sich auch anders vorgestellt, aber sie hat ihn letztlich so akzeptiert, wie er war. Nun waren sie seit vielen Jahren ehelos glücklich und führten gemeinsam das Pub. Sie hatten auch Tom und Sally noch gut gekannt.

Sam bediente seine Gäste. Als er zurückkam, stieß er Matt sanft in die Seite und sagte, als könnte er seine Gedanken lesen: „Na, mein Junge, ist fast wie bei Sally nicht wahr?“ Er grinste breit. „Ja fast“, murmelte Matthew und stopfte gierig den nächsten Bissen in sich hinein. „Du solltest dich öfter hier blicken lassen“, sagte Sam. Dabei klopfte er bestätigend auf den Tresen mit seiner rechten Faust.

„Ja, ja Sam. Schon ok. Ich sehe mal, was sich da machen lässt“, lachte Matthew und schabte mit der Gabel die letzten Essensreste auf dem Teller zusammen, um sie dann genüsslich in seinen Mund zu stecken.