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Das Buch ist die Lebensgeschichte einer über 40 jährigen Frau, die durch ihre Liebe zu einem jungen Mann völlig aus den Fugen gerät. Sie hat ihr ganzes Leben, sehr viel Leid und Schmerz erlebt, und ist nun an dem Punkt angekommen, wo sie niemandem mehr vertraut ,und sich von der Welt da draußen zurückzieht. Sie war stets eine Kämpferin, aber nun hat sie keine Kraft mehr zu kämpfen. Sie versucht, ihr Leben und all das was passiert ist, aufzuarbeiten mit Hilfe ihres Therapeuten in der Klinik, in die sie selbst freiwillig gegangen ist. Bis sie auf jemanden aus der Vergangenheit trifft, den sie einst sehr geliebt hatte….
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Veröffentlichungsjahr: 2020
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Impressum:
Copyright: © 2019 Denise Devillard
Inhaltsangabe:
Melissa
Leben mit Vergangenheit
Nach einer wahren Geschichte
von
Sie starrte aus dem Fenster. Die Regentropfen hinterließen Spuren an der Scheibe. Ihr Blick fiel auf den Horizont ins Nirgendwo.
Sie fühlte sich leer und allein. Sie konnte nicht hinaus aus diesem Haus, in dem sie war, doch sie wollte es auch gar nicht.
Sie fühlte sich hier sicher, obwohl es eine sehr kalte Ausstrahlung hatte dieses große Haus, in dem sie nun ihr Zimmer hatte. Lange leere Gänge,
große Hallen mit Marmorböden, die nichts als Kälte ausstrahlten.
Und doch war es der einzige Platz, an dem sie sich sicher fühlte. Sie hatte sich schon lange zurückgezogen von dieser Welt da draußen.
Sie hatte jahrelang gekämpft und doch verloren. Nun hatte sie einfach keine Kraft mehr zu kämpfen. Es war der Punkt erreicht, an dem gar nichts mehr ging. Ihre Seele war zerrissen von all den schmerzlichen Dingen, die sie durchgemacht hatte. Ihr Körper hatte um Hilfe gerufen und sie erlitt einen totalen Kreislaufkollaps. Dann kam sie freiwillig hierher in diese Privatklinik.
Dr. Klein, ihr zuständiger Arzt, war außer ihrem Therapeuten, der einzige, der sich sehr um sie bemühte. Er versuchte, ihr ein klein wenig Halt zu geben. Medikamente hatte sie schlichtweg abgelehnt, da sie Chemie hasste. Er bestand jedoch darauf, dass sie eine Therapie machte, was sie auch annahm. Sie nannte ihren Therapeuten Dr. Kies heimlich „Sushi“, weil er immer einen leichten Geruch von Fisch um sich verbreitete. Er war ein Mittdreißiger ohne Kinder und sein Haar schon etwas schütter. Man merkte jedoch, dass er seinen Beruf mit Liebe erfüllte und den Menschen, die er betreute, wirklich zu helfen versuchte.
Da saß sie nun wieder einmal alleine vor diesem großen Fenster, das den weiten Blick, auf den riesigen, zum Krankenhaus gehörigen Garten freigab. Sie liebte es, hier stundenlang zu sitzen und ihren Gedanken nachzuhängen.
Sie hatte ja auch sonst nichts zu tun. Da war niemand, der sie besuchen kam. Kein Vater, keine Mutter und auch sonst niemand.
Sie war ganz auf sich gestellt. Sie versuchte, hier Antworten zu finden und einen Weg zurück ins normale Leben.
Melissa strich durch ihre langen roten glatten Haare und seufzte tief. Die Vergangenheit hatte sie zu dem gemacht, was sie heute war.
Eine ängstliche Person mit dreiundvierzig Jahren, die kein Vertrauen mehr zu anderen Menschen aufbauen konnte. Es war ihr einfach nicht mehr möglich, nach all ihren schrecklichen Erlebnissen, die sie schlussendlich in dieses Haus geführt hatten.
Traurig starrte sie hinaus in den Regen. Sie liebte den Regen und den Wind, weil sie ihr das Gefühl zu leben gaben. Im Sommer, wenn es warm war und der Regen fiel, ging sie am liebsten draußen spazieren.
Doch heute war es noch etwas zu früh und zu kalt, sonst wäre sie schon längst in ihren Mantel geschlüpft und hätte den Regen draußen genossen.
Bilder von ihrer Kindheit tauchten vor ihren Augen auf.
Sie war damals ein kleines Mädchen mit langen Haaren gewesen, das in einer sehr schwierigen Umgebung aufwuchs.
An ihren Vater hatte sie nur wenige Erinnerungen. Er war ein großer schlanker Mann, der immer ein wenig depressiv und traurig wirkte.
Sie hat ihn geliebt ihren Vater, ihren richtigen Vater und sie vermisste ihn, auch wenn er nicht immer gut zu ihr war.
Eines Tages kam ihre Mutter nach Hause und sagte Melissa, dass er niemals mehr zurückkommen werde, denn er sei gestorben.
Für Melissa, die damals gerade mal dreizehn Jahre alt war, einfach unbegreiflich. Ihr Vater hatte sich das Leben genommen und sich erhängt. Sie war wie erstarrt und weinte sich jeden Abend in den Schlaf, allein. Beim Begräbnis hatte ihre Mutter geweint wie ein Schlosshund und jeder fragte sich warum, denn schließlich war sie schuld an seinem Tod.
Ihre Mutter war ein Mensch gewesen, der keinerlei Gefühle zeigen konnte. Sie nahm sie nie in den Arm und auch die vier Worte: „Ich hab dich lieb“, kamen ihr zeitlebens nicht ein einziges Mal über ihre Lippen.
Melissa litt sehr unter dieser jahrelangen Gefühlskälte. Sie bekam von ihrer Mutter
nur immer eines zu hören: „Ohne dich hätte ich mehr im Leben erreichen können, deinetwegen musste ich arbeiten gehen, hatte keine Ausbildung und musste auf alles verzichten!“
Dabei war sie doch selbst schuld daran, sie hatte ihren Vater auf einem Fest kennengelernt, hatte sich in ihn verliebt, als sie gerade mal sechzehn Jahre alt war und kurze Zeit später war sie auch schon schwanger gewesen mit Melissa.
Von ihrer Großmutter erfuhr Melissa damals mit sechzehn Jahren, dass sie sie eigentlich nie behalten und lieber abtreiben lassen wollte. Was für Melissa die Erklärung für ihre jahrelange Gefühlskälte ihr gegenüber war. Sie war ein ganz und gar unerwünschtes Kind gewesen.
Sie hatte es nur ihrer Großmutter zu verdanken, dass sie lebte, die damals darauf bestand, dass sie Melissa behalten musste.
So wurde ihre Mutter dazu gezwungen, Mutter und Ehefrau zu sein, obwohl diese das eigentlich nie wollte. Sie heiratete ihren Vater, als Melissa zwei Jahre alt war. Sie zogen dann weg in ein anderes Bundesland, in eine große Dachgeschosswohnung mit drei Zimmern, Küche, ebenerdigem Dachboden und Balkon.
Als ob es heute wäre, konnte Melissa sich an diesen Dachboden erinnern, in dem sie immer alleine mit ihrem Dreirad fuhr.
Sie konnte die Türe zur Küche nicht alleine öffnen, weil sie so schwer war, und hatte oft das Gefühl dort eingesperrt zu sein.
Sie hatte Angst, dort zu spielen, da es viel zu oft vorkam, dass sie an die Türe klopfte, damit ihr geöffnet wurde, doch keiner öffnete. Mit ihren drei Jahren machte ihr das schreckliche Angst.
Obgleich sie des Nachts schlimme Träume von Schlangen hatte, und das sehr oft, kam niemand um sie zu trösten und sie im Arm zu halten. Sie weinte dann immer so lange, bis sie vor Erschöpfung einschlief.
Solange sie sich erinnern konnte, war sie dauernd allein.
Ihre Mutter verbot ihr, mit den Kindern, die auch in diesem Haus wohnten, zu spielen. Also blieb ihr nichts außer ihrem schwarzen Kater Blacky, den sie über alles liebte. Manchmal legte sie ihn in ihren Puppenwagen, zog ihm eine alte Unterhose von ihr an und band ihm eine Puppenhaube um. Blacky ließ alles mit sich machen und rührte sich nicht, im Gegenteil, er schnurrte. Es war, als konnte er spüren, dass sie ihn brauchte. Melissa war ein sehr eingeschüchtertes, trauriges Kind gewesen. Von Ängsten geplagt und dauernd allein gelassen. Niemand der wirklich mit ihr spielte, außer ihrem Kater.
Nie hatte sie erlebt, dass ihre Mutter mit ihr spielte.
Ihre Eltern gingen von früh bis spät arbeiten und kümmerten sich nicht wirklich viel um sie. Wenn ihr Vater nach Hause kam, war er immer müde und abgeschlagen und setzte sich vor den Fernseher.
Aber wirklich wahrgenommen hatte er sie nicht.
Melissa versuchte immer, sich an die Gebote der Eltern zu halten, doch das war nicht leicht. Wie jedes Kind hätte sie viel lieber draußen mit den anderen Kindern gespielt, als jeden Tag daheim zu verbringen nach der Schule und alleine ihre Hausaufgaben zu machen.
Mit sieben Jahren musste sie tägliche Hausarbeiten verrichten. Sie wusch jeden Tag alleine das Geschirr ab, während ihr Vater vor dem Fernseher saß und sich Zeichentrickfilme ansah. Wie gerne hätte sie die doch auch einmal gesehen. Die Küche war gleich neben dem Wohnzimmer und ab und zu erhaschte sie einen Blick auf den Fernseher. Doch wenn er registrierte, dass das Geschirr nicht mehr klapperte, bekam sie sofort sein lautes Schimpfen zu hören.
Er war selbst als Kind von seinem Stiefvater sehr streng erzogen worden. Als Nachkriegskind wurde er mit Zucht und Ordnung erzogen und hatte es nicht leicht, seinem Stiefvater zu gefallen, der ihn eher als notwendiges Übel betrachtete, denn als seinen Sohn. Auch wenn er seine Familie finanziell gut versorgte, hatte er sonst für seinen Stiefsohn nicht viel übrig. Er regierte mit viel Härte.
Und so gab Melissas Vater das nun auch an sie weiter.
Sie war in Mathematik nicht gerade ein Genie. Ihre Talente lagen auf anderen Gebieten. Das versuchte er ihr durch ewig lange zwanzigstellige Divisionen einzubläuen. Jeden Tag saß sie nach den Schulhausaufgaben danach noch an diesen von ihm eigens erstellten Rechenaufgaben. Und es fiel ihr wirklich sehr schwer, diese richtig zu lösen.
War wieder etwas falsch, stand ihr Vater schon hinter ihr und gab ihr eine Kopfnuss. Der Schmerz, der sie jedes Mal durchfuhr, tat höllisch weh. Warum machte er das? Warum?? Konnte er nicht, ohne ihr wehzutun mit ihr lernen?
Er bestrafte sie auch jedes Mal mit Schlägen, wenn er merkte, dass sie gelogen hatte. Und sie log nur aus einem Grund. Wenn sie wie jeden Tag ihr Schulbrot mitbekam, das jeden einzelnen Tag aus Streichwurstbroten bestand, warf sie es jeden Tag weg. Jeden Tag fragte er sie, ob sie es gegessen hätte, und sie antwortete mit Ja. Ihr blieb ja nichts anderes übrig, da sie diese Brote hasste und einfach nicht mehr sehen und riechen konnte. Aber zu sagen: „Ich möchte bitte etwas anderes“, kam überhaupt nicht infrage, da der Ärger dann nur noch größer war. Also log sie.
Ab und zu passierte es, dass sie vergaß, sie wegzuwerfen und ihr Vater sie in der Schultasche fand. Dann wurde er immer sehr wütend, weil sie gelogen hatte. Was darauf folgte, war ihr bis heute gut in Erinnerung.
Da Melissa genau wusste, was auf sie zukam, fing sie vor Angst an zu weinen und bat ihren Vater um Verzeihung.
Doch das nützte nichts. Nie.
Er brüllte sie an und verlangte, dass sie ihre Hose selbst herunterzog. Melissa bettelte und bettelte und weinte, aber es half nichts.
Er war erbarmungslos. Bis sie schließlich ihre Hose widerwillig herunterzog und nackt dastand.
Dann schlug er ihr mit aller Härte auf ihren Po, bis das der schon knallrot war. Es tat höllisch weh und Melissa schrie und weinte.
Das ging jedes Mal über Minuten, die nie zu enden schienen.
Danach konnte sie kaum sitzen vor Schmerz und flüchtete in ihr Kinderzimmer aus Angst vor noch mehr Schlägen. Sie weinte stundenlang und fühlte sich so alleine auf dieser Welt, wie man es nur sein konnte. Keine Liebe und keine Unterstützung von ihrer Mutter, da war niemand, der ihr geholfen hätte. Ihrer Mutter war das völlig egal, sie sah es als gerecht an und pflichtete ihrem Vater noch bei.
Nie kam von ihr ein liebes Wort, eine Umarmung oder gar ein zärtliches über den Kopf streicheln. So etwas kannte Melissa nicht, es war für sie fremd. Sie liebte trotz allem ihre Eltern, weil sie gar nicht anders konnte, sie war ein kleines Kind und sie hatte nie etwas anderes kennengelernt. Sie bemühte sich, ihren Eltern immer alles recht zu machen. Doch so sehr sie sich auch bemühte, kam nie ein Wort des Lobes.
Als Melissa neun Jahre alt war, verbrachte sie die Osterferien wie so oft alleine bei ihren Großeltern. Die Zugfahrt war für sie längst Gewohnheit und sie kannte die Strecke gut. Sie dauerte knappe drei Stunden.
Sie liebte ihre Großmutter von mütterlicher Seite, die die einzige zu dieser Zeit war, die sehr lieb zu ihr war. Sie bekam von ihr die Zuneigung, die sie so sehr brauchte. Deshalb liebte Melissa es, in den Ferien bei ihr zu sein. So sehr, dass sie gar nicht mehr nach Hause zurückwollte.
Der Abschied fiel ihr jedes Mal sehr schwer und auch ihre Großmutter weinte jedes Mal. Ihr Großvater brachte sie zum Zug und sie fuhr nach Hause. Ihr Verhältnis zu ihm war eher sehr zurückhaltend, sie wusste nie, ob sie auch ihm willkommen war.
Als sie daheim ankam, war sie gerade beim Auspacken ihres Koffers,
da stand schon ihr Vater in der Türe ihres Kinderzimmers und sagte:
„Du kannst dann gleich anfangen mit den Rechnungen, die ich dir auf den Tisch gelegt habe, und danach putzt du das Bad und wäschst das Geschirr ab!“ Er drehte sich um und ging zurück ins Wohnzimmer.
Kein „Hallo, mein Kind“, kein Wort der Begrüßung. Nichts.
Keine Wiedersehensfreude, gar nichts. So als wäre sie nur eine ungeliebte Person, die gerade nach Hause zurückgekehrt ist. War sie das?
Melissa verstand mit ihren neun Jahren nur eines. Nämlich, dass es ein großer Unterschied war, ob sie daheim oder bei ihrer Großmutter war.
Ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Nachdem ihr Vater gegangen war, saß sie wie vor den Kopf geschlagen auf dem Boden vor ihrem Koffer.
Sie wollte weg. Einfach nur noch weg aus dieser Hölle. Zurück zu ihrer Großmutter, der sie eben nicht egal war. Die für sie immer ein liebes Wort und Zärtlichkeit hatte. Und vor allem keine Schläge.
In diesem Moment fasste sie einen Entschluss.
Sie packte ihren Koffer wieder ein, und versteckte ihn unter dem Bett.
Ihre Eltern bemerkten es nicht, da sie sich sowieso nicht um sie kümmerten und nur selten in ihr Zimmer kamen.
Sie ging am Abend zu Bett wie immer und wartete am nächsten Morgen, dass ihre Eltern zur Arbeit fuhren und sie allein war. Sie hatte in ihrem Märchenbuch noch Geld versteckt, das sie von ihrer Großmutter bekommen hatte. Sie musste es verstecken, weil ihre Mutter ihr sonst alles weggenommen hätte.
Also nahm sie ihren Koffer und schleppte ihn tapfer zum nächsten Bus, der sie zum Bahnhof brachte. Der Busfahrer sah sie zwar etwas verwundert an, dass sie alleine so einen schweren Koffer schleppte, sagte aber nichts. Am Bahnhof angekommen, kaufte sie sich ein Bahnticket und ging auf den Bahnsteig, den sie ja schon kannte, da es immer derselbe war. Mit ihren neun Jahren war sie fast ein kleines Bisschen stolz auf sich selbst, dass sie schon so groß war, und ganz alleine mit dem Zug fahren konnte. Niemand, der sie fragte, warum sie denn alleine sei. Darüber war sie sehr froh, denn sie hätte nicht gewusst, was sie darauf sagen sollte. Sie hätte lügen müssen und das wollte sie nicht.
Sie setzte sich in den Zug und ein Glücksgefühl überkam sie.
Sie saß die drei Stunden im Zug und genoss die Aussicht auf die Landschaft.
Am Bahnhof angekommen, ging sie zum nächsten Münzfernsprecher und wählte die Telefonnummer ihrer Großeltern. Die wusste sie auswendig. Ihre Großmutter nahm den Hörer ab und war hörbar geschockt über das, was Melissa getan hatte. Etwa zwanzig Minuten später, kam ihr Großvater, um sie abzuholen. Er sagte kein Wort und sein Blick war finster. Melissa ahnte schon, dass es nach ihrem Gespräch am Telefon zu einer Auseinandersetzung wegen ihr zwischen ihren Großeltern gekommen war.
Im Haus ihrer Großeltern angekommen, empfing sie ihre Großmutter mit Tränen in den Augen und umarmte sie.
Ihr Großvater trug ihren Koffer ins Haus, in ihr Zimmer, in dem sie immer wohnte, wenn sie bei ihnen war.
Als sie in der Küche beim Abendessen saßen, fing Melissa das erste Mal an zu erzählen, was sich bei ihr zu Hause abspielte seit Jahren.
Ihre Großmutter weinte und sagte lange nichts. Ihr Blick fiel auf den Großvater, der sie ernst ansah.
Dann sagte sie: „Mein Gott Kind, was soll ich denn tun?
Melissa antwortete: „Oma, bitte schicke mich nicht mehr dahin zurück, ich habe Angst, ich will bei dir bleiben.“
Ihr Großvater sagte kein Wort, stand auf und verließ den Raum. Er hielt immer zu seiner Tochter Anna und hieß es nicht gut, wenn Melissa nun bei ihnen blieb. „Ein Kind gehört zu seinen Eltern“, das war sein ganzer Kommentar dazu.
Melissa blieb alleine mit ihrer Großmutter in der Küche zurück und hoffte nun von ganzem Herzen, dass ihre Großmutter ihr sagte, dass sie bei ihr bleiben konnte. Sie wollte nicht mehr nach Hause zurück, wo sie nicht geliebt und behandelt wurde wie eine Aussätzige.
Noch am selben Abend griff ihre Großmutter schweren Herzens zum Telefon und rief ihre Tochter Anna an, um ihr mitzuteilen, wo ihre Tochter sich aufhält. Diese rastete völlig aus vor Wut wie erwartet und Melissa war froh, ihr in diesem Moment nicht gegenüberstehen zu müssen. Sie mochte erst gar nicht daran denken, wie ihr Vater darauf reagierte. Würde sie in dem Moment neben ihm stehen, würde es mit Sicherheit mit sehr vielen Schlägen für sie enden.
Sie verweigerte mit ihrer Mutter am Telefon zu sprechen, sie hatte Angst. Große Angst. Davor das sie ihre Großmutter wieder nach Hause schicken würde.
Ihre Großmutter versuchte, beruhigend auf ihre Tochter einzuwirken, jedoch ohne Erfolg. Sie verlangte, dass man ihre Tochter umgehend wieder in den nächsten Zug nach Hause setzte. Melissas Großmutter sagte jedoch, sie werde sich das Ganze erst mal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen und legte den Hörer auf.
In Melissa, die angespannt zugehört hatte, keimte die Hoffnung, dass sie bleiben konnte.
Die nächsten zwei Tage hörte sie durch die Türe immer wieder Gespräche ihrer Großeltern mit an, die zu großen Auseinandersetzungen führten zwischen den beiden.
Melissa fühlte sich schuldig, dass sie nun der Grund war, der ihrer Oma so viel Kummer bereitete. Sie lief dann immer in den Garten hinaus, um zu spielen, weil sie das alles nicht hören wollte. Sie hoffte so sehr, dass sich ihr Opa erbarmen ließ.
Am dritten Tag klingelte das Telefon und sie hörte ihre Großmutter sagen: „Ja, in Gottes Namen, ich setze sie heute Nachmittag in den Zug und du holst sie dann dort am Bahnhof ab. Aber pass in Zukunft mehr auf sie auf! Das kann doch nicht so weitergehen, dass sie vor euch davonläuft!“
Als sie diese Worte vernahm, zerbrach in Melissa alle Hoffnung. Ihr war klar, dass es keinen Ausweg mehr gab, sie würde wieder zurück in ihre tägliche Hölle müssen.
Sie ging in ihr Zimmer und packte ihre Sachen zusammen. Sie fühlte sich von ihren Großeltern verraten. Nun war sie ganz allein. Keiner wollte ihr helfen.
Ihre Großmutter versuchte, sie damit zu trösten, dass sie ja in den Sommerferien wiederkommen könne. Nur dass der Großvater es nicht erlaubt, dass sie bleibt und sie wieder heimmüsse, deshalb. Sie versuchte verzweifelt, ihre Tränen zu unterdrücken, aber man konnte sehen, dass sie wohl erahnte, was Melissa zu Hause zu erleiden hatte. Sie packte Melissa noch ein paar Kuchenstücke ein und verabschiedete sich weinend von ihr. Der Großvater fuhr Melissa zum Bahnhof, schärfte ihr noch einmal eingehend ein, dass ein Kind seinen Eltern zu gehorchen hatte, und setzte sie dann in den Zug und fuhr nach Hause.
Melissa hatte Angst. Sie sah dauernd auf die Uhr, und hoffte inständig, dass der Zug niemals ankam.
Am Bahnhof angekommen, sah sie schon ihre Mutter, die auf sie wartete. Ihr Blick sprach Bände und man sah, dass sie sehr verärgert war.
Sie riss ihr förmlich den Koffer aus der Hand und hieß sie, ins Auto einzusteigen. „Ich rate dir, so was nie wieder zu tun!“, schrie sie Melissa an.
Dann fuhren sie nach Hause, wo ihr Vater sie schon erwartete.
Es kam, wie es kommen musste, und Melissa bekam an diesem Abend Schläge wie noch nie. Sie schrie vor Schmerz, doch ihr Vater prügelte weiter auf sie ein, als wollte er ihr jeden Funken Rebellion herausprügeln.
Am nächsten Tag saß Melissa allein beim Frühstück.
Sie straften sie mit Ignoranz. Sie hoffte, dass dieser Tag bald vorüber war, und freute sich schon auf den Montag, an dem die Schule wiederbegann.
Sie hatte keine Freunde, weil sie nie mit anderen spielen durfte, nie ein anderes Kind zu sich einladen konnte. Sie war auch in der Schule, anderen gegenüber sehr zurückhaltend und schüchtern.
So war sie auch unter anderen eigentlich alleine. Doch sie war in der Schule sehr viel lieber als zu Hause. Da war keiner böse und gemein zu ihr wie zu Hause. Sie hatte auch keine größeren Probleme beim Lernen und mochte ihre jungen Lehrer, die den Unterricht immer sehr spannend gestalteten.
Ein paar Monate später kam ihre Mutter eines Tages nicht wie gewohnt nach Hause. Keiner wusste, wo sie war. Melissas Vater wusste nicht, was passiert war und wo sie sich aufhielt. Bis er feststellte, dass sie offenbar das gemeinsame Konto bei der Bank völlig abgeräumt hatte, wofür auch immer. Da er dadurch in einer Zwangslage war und kein Geld mehr hatte, benachrichtigte er seine Mutter und bat sie, ihm zu helfen, auch Melissas wegen.