Die Maybe-Reihe - Colleen Hoover - E-Book
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Die Maybe-Reihe E-Book

Colleen Hoover

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Beschreibung

Die Maybe-Reihe in einem Bundle: Ein Muss für alle Colleen Hoover Fans Diese Ausgabe enthält folgende Einzeltitel: Maybe Someday, Maybe Not, Maybe Now Maybe Someday: Sydney, 22, hat gerade ihren Freund verlassen, der sie mit ihrer besten Freundin und Mitbewohnerin betrogen hat - und das schon seit Jahren. Nun steht sie plötzlich und sprichwörtlich völlig im Regen mit ihren zwei Koffern und wird von Ridge, ihrem Gitarre spielenden Nachbarn, den sie seit einiger Zeit abends auf dem Balkon belauscht, übergangsweise aufgenommen. Das Letzte, was Sydney will, ist, sich in Ridge zu verlieben – denn Ridge hat eine Freundin. Doch als sie das erfährt, ist es schon zu spät ... Maybe Not: Ein Mädchen als Mitbewohnerin in der WG? Nichts lieber als das, denkt Warren. Vor allem, wenn besagte Mitbewohnerin so überaus attraktiv und sexy ist wie Bridgette. Doch Warren gegenüber verhält sich Bridgette kaltschnäuzig und abweisend. Offensichtlich hasst sie ihn aufs Blut … oder doch nicht? Was, wenn die Leidenschaft, mit der sie ihn verabscheut, eine ganz andere Leidenschaft verbirgt? Genau die plant Warren aus ihr herauszukitzeln. Ein gefährliches Spiel beginnt, bei dem Warren Gefahr läuft, sein Herz zu verlieren … Maybe Now: Endlich sind Sydney und Ridge auch offiziell ein Paar, und eigentlich könnte alles perfekt sein. Dies umso mehr, als Ridges Exfreundin Maggie dabei ist, sich umzuorientieren: Beim Skydiving hat sie Jake kennengelernt, und der ist ganz offenkundig ebenso interessiert an Maggie wie sie an ihm. Doch als ihre Krankheit erneut ausbricht, gibt sie ihm aus lauter Angst gleich wieder den Laufpass – und sucht Hilfe bei dem Menschen, der ihr so vertraut ist wie kein anderer: Ridge …

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Seitenzahl: 1186

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Colleen Hoover

Die Maybe-Reihe

Buch 1: Maybe SomedayBuch 2: Maybe NotBuch 3: Maybe Now

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Kattrin Stier

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Die Maybe-Reihe

Buch 1: Maybe Someday

 

 

 

Für Carol Keith McWilliams

Prolog

Sydney

Eben habe ich ein Mädchen geschlagen, mitten ins Gesicht. Und zwar nicht einfach irgendein Mädchen, sondern meine beste Freundin. Meine Mitbewohnerin.

Allerdings fürchte ich, dass ich sie seit fünf Minuten eher als meine Ex-Mitbewohnerin bezeichnen sollte.

Natürlich fing ihre Nase gleich an zu bluten, und im ersten Augenblick hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich sie geschlagen hatte. Doch dann fiel mir wieder ein, was für eine verlogene, hinterhältige Schlampe sie ist, und da hätte ich ihr am liebsten gleich noch mal eine geknallt. Und genau das wäre auch passiert, wenn Hunter sich nicht zwischen uns gestellt und es verhindert hätte.

Und dann habe ich stattdessen ihm eine reingehauen, was Hunter allerdings, ganz im Gegensatz zu meiner Hand, keinerlei Schaden zugefügt hat. Nervig.

Jemandem so richtig eine zu verpassen ist viel schmerzhafter, als ich es mir vorgestellt hätte. Nicht dass ich bislang übermäßig viel Zeit damit verbracht hätte, mir auszumalen, wie es sich anfühlen könnte, Leuten ins Gesicht zu boxen. Aber während ich auf meinem Handy die soeben eingetroffene Nachricht von Ridge anstarre, verspüre ich schon wieder das Bedürfnis danach. Mit Ridge hätte ich nämlich auch noch ein Hühnchen zu rupfen. Ich weiß zwar, dass er theoretisch nichts für meine beschissene Lage kann, aber er hätte mich etwas früher warnen können. Und deswegen würde ich auch ihm am liebsten eine scheuern.

Ridge: Alles okay bei dir? Willst du hochkommen, bis es aufhört zu regnen?

Natürlich will ich nicht. Meine Hand tut so schon weh genug, und wenn ich zu Ridge in die Wohnung hochginge, würde sie noch viel mehr wehtun, nachdem ich mit ihm fertig wäre.

Ich drehe mich um und schaue zu seinem Balkon hinauf. Mit dem Telefon in der Hand lehnt er an der Glasschiebetür und beobachtet mich. Es ist schon fast dunkel, aber das Hoflicht leuchtet sein Gesicht an. Der Blick aus seinen dunklen Augen und die Art, wie sich sein Mund zu einem sanften, traurigen Lächeln verzieht, lassen mich fast vergessen, warum ich überhaupt sauer auf ihn bin. Er fährt sich mit der freien Hand durch die Haare, die ihm locker in die Stirn fallen, und zeigt damit noch mehr von seinem sorgenvollen Gesichtsausdruck. Oder vielleicht ist es auch ein reumütiger Gesichtsausdruck. Das wäre jedenfalls angemessen.

Ich beschließe, nicht zu antworten, und klicke die Nachricht weg. Er schüttelt nur den Kopf und zuckt die Schultern, als wollte er sagen: Bitte, ich hab’s versucht, bevor er in seine Wohnung zurückgeht und die Schiebetür hinter sich zumacht.

Ich stecke das Handy in die Hosentasche, damit es nicht nass wird, und sehe mich im Innenhof des Wohnblocks um, in dem ich bereits zwei ganze Monate gewohnt habe. Als wir hier einzogen, verleibte sich der heiße Texas-Sommer gerade die letzten Überreste des Frühlings ein, während sich dieser Innenhof noch immer an das Leben zu klammern schien. Leuchtend blaulila Hortensien säumten die Wege, die zu den verschiedenen Treppenaufgängen und dem Springbrunnen in der Mitte führen.

Inzwischen hat der Sommer seinen unschönen Höhepunkt erreicht, und das Wasser im Brunnen ist längst verdunstet. Die Hortensien sind nur noch eine klägliche, verwelkte Erinnerung an die Vorfreude, die ich empfunden habe, als Tori und ich hier eingezogen sind. Der Sommer hat diesen Innenhof fertiggemacht, und der Anblick spiegelt auf geradezu unheimliche Weise mein momentanes Befinden. Traurig und fertig mit der Welt.

Ich sitze auf dem Betonrand des ausgetrockneten Brunnens, die Ellbogen auf die beiden Koffer gestützt, in denen sich der Großteil meiner Habseligkeiten befindet, und warte auf ein Taxi. Ich habe zwar keine Ahnung, wohin es mich bringen soll, aber ich weiß, dass alles besser wäre als mein derzeitiger Status. Denn der ist leider: obdachlos.

Ich könnte meine Eltern anrufen, aber damit würde ich ihnen nur Munition liefern, und sie würden ihr übliches Wir haben es dir ja gleich gesagt auf mich abfeuern.

Wir haben es dir ja gleich gesagt, dass du nicht so weit wegziehen sollst, Sydney.

Wir haben es dir ja gleich gesagt, dass du dich nicht auf diesen Typen einlassen sollst.

Wir haben es dir ja gleich gesagt, dass du dich für Jura anstelle von Musik entscheiden solltest, das hätten wir auch finanziert.

Wir haben es dir ja gleich gesagt, dass man beim Zuschlagen den Daumen lieber außerhalb der Faust halten soll.

Okay, sie haben mir nie beigebracht, wie man am besten zuschlägt, aber wenn sie schon ständig so verdammt recht haben, dann hätten sie das wenigstens auch tun können.

Ich balle die Faust, strecke dann die Finger aus und balle sie wieder zusammen. Das ist verblüffend schmerzhaft, und ich bin ziemlich sicher, dass ich die Hand lieber kühlen sollte. Also mir tun Männer echt leid. Schlägereien sind scheiße.

Und außerdem ist dieser Regen scheiße. Es regnet immer in den ungünstigsten Augenblicken, so wie jetzt, wo ich obdachlos bin.

Als das Taxi endlich kommt, stehe ich auf und greife nach meinen Koffern. Ich rolle sie hinter mir her, während der Taxifahrer aussteigt und den Kofferraum öffnet. Noch bevor ich ihm das erste Stück reiche, wird mir plötzlich mit Schrecken klar, dass ich meine Handtasche nicht bei mir habe.

Mist.

Suchend blicke ich zurück zu der Stelle, wo ich mit meinen Koffern gesessen habe, und betaste meine Schulter, als würde meine Tasche plötzlich wie durch Zauberhand dort hängen. Aber ich weiß genau, wo sie jetzt ist. Ich habe sie auf den Boden fallen lassen, bevor ich Tori einen Fausthieb auf ihre überbewertete Cameron-Diaz-Nase gegeben habe.

Ich seufze. Und muss lachen. Natürlich, ich habe meine Handtasche liegen lassen. Mein erster Tag als Obdachlose wäre ja auch zu einfach gewesen, wenn ich meine Handtasche bei mir hätte.

»Tut mir leid, ich hab’s mir anders überlegt«, sage ich zu dem Taxifahrer, der gerade mein zweites Gepäckstück einlädt. »Ich brauche doch kein Taxi.«

Ich weiß, dass es nicht weit von hier ein Hotel gibt. Wenn ich nur den Mut aufbrächte, nach oben zu gehen und meine Tasche zu holen, könnte ich dort hinlaufen und mir ein Zimmer nehmen, bis ich mir überlegt habe, was ich tun will. Noch nasser kann ich ja ohnehin nicht mehr werden.

Der Fahrer hebt die Koffer wieder aus dem Taxi, stellt sie vor mich auf die Straße und geht zurück zur Fahrertür, ohne mir ein einziges Mal in die Augen zu sehen. Er steigt einfach ein und fährt weg, als wäre er erleichtert über meine Absage.

Sehe ich so übel aus?

Ich nehme meine Koffer und gehe dahin zurück, wo ich gesessen habe, bevor mir klar wurde, dass ich handtaschenlos bin. Ich werfe einen Blick zu meiner Wohnung hinauf und frage mich, was wohl passieren würde, wenn ich wieder nach oben ginge, um mein Portemonnaie zu holen. Ich habe bei meinem Abmarsch ein ziemliches Chaos hinterlassen, und ich glaube, ich würde lieber weiter obdachlos im Regen sitzen, als noch einmal dort hinaufzugehen.

Also setze ich mich wieder auf meine Koffer und denke über meine Lage nach. Ich könnte jemandem Geld bieten, damit er für mich nach oben geht. Aber wem? Hier draußen ist keiner, und wer weiß, ob Hunter oder Tori demjenigen überhaupt meine Handtasche geben würde?

So ein Mist. Ich weiß, dass ich letzten Endes irgendeinen von meinen Freunden anrufen muss, aber noch bin ich nicht so weit. Es ist mir einfach zu peinlich, anderen eingestehen zu müssen, wie ahnungslos ich in den vergangenen zwei Jahren gewesen bin. Das Ganze hat mich wirklich aus heiterem Himmel getroffen.

Ich finde es jetzt schon beschissen, 22 zu sein, und dabei bleiben mir noch 364 Tage!

Es ist so schlimm, dass mir tatsächlich die Tränen kommen.

Na toll. Jetzt heule ich auch noch. Ich bin handtaschenlos, verheult, gewalttätig und obdachlos. Und auch wenn ich es mir nicht eingestehen will, steht noch dazu zu befürchten, dass ich an einem gebrochenen Herzen leide.

Stimmt. Ich werde von Heulkrämpfen geschüttelt. Genau so muss es sich anfühlen, wenn einem jemand das Herz bricht.

»Mach schon. Es regnet.«

Ich blicke auf und sehe eine junge Frau, die sich über mich beugt. Sie hält sich einen Regenschirm über den Kopf und schaut nervös auf mich herab. Dabei hüpft sie von einem Fuß auf den anderen, als würde sie auf irgendeine Reaktion von mir warten. »Ich bin schon ganz nass. Beeil dich.«

Ihr genervter Tonfall legt nahe, dass sie mich für undankbar hält. Vermutlich ist sie der Meinung, sie tue mir gerade einen Gefallen. Mit hochgezogenen Augenbrauen blicke ich zu ihr empor und halte mir dabei die Hand vor die Augen, um diese vor dem Regen zu schützen. Ich weiß gar nicht, warum sie eigentlich von wegen Nasswerden rumjammern muss, wo sie doch praktisch keine Klamotten anhat, die überhaupt nass werden könnten. Sie trägt nämlich so gut wie gar nichts. Ein Blick auf ihr Shirt, dem die gesamte untere Hälfte fehlt, lässt mich erkennen, dass sie eine superknappe Hooters-Uniform anhat.

Was für ein Tag! Ich hocke hier im strömenden Regen auf meinen gesamten Habseligkeiten und lasse mich von einer zickigen Fastfood-Bedienung herumkommandieren.

Ich starre noch immer wie gebannt auf ihr Shirt, während sie mich unwirsch bei der Hand packt und nach oben zieht. »Ridge meinte schon, dass du so sein würdest. Ich muss zur Arbeit. Komm mit, und ich zeig dir, wo die Wohnung ist.« Sie schnappt sich einen meiner Koffer, zieht den Griff raus und drückt ihn mir in die Hand. Sie selbst nimmt den anderen und marschiert schnurstracks aus dem Innenhof. Ich folge ihr, schon alleine weil sie meinen Koffer mitgenommen hat und ich ihn zurückhaben will.

Auf halber Treppe ruft sie über die Schulter zurück: »Ich weiß ja nicht, wie lange du vorhast zu bleiben, aber es gibt nur eine einzige Regel. Mein Zimmer ist absolutes No-go! Kapiert?«

Ohne einen Blick zurück, ob ich ihr überhaupt folge, macht sie schließlich vor einer Wohnung halt und öffnet die Tür. Ich bleibe auf dem Treppenabsatz stehen und betrachte den Farn, der ungeachtet der Dürre draußen in einem Topf vor der Tür gedeiht. Die Blätter sind üppig grün, so als wollten sie mit ihrer Weigerung, sich der Hitze zu ergeben, dem Sommer den Stinkefinger zeigen. Beeindruckt lächele ich die Pflanze an, bevor ich leicht irritiert feststellen muss, dass ich jetzt schon eine Pflanze um ihre Widerstandsfähigkeit beneide.

Kopfschüttelnd wende ich den Blick ab und betrete zögernd die fremde Wohnung, deren Grundriss der von Tori und mir ähnelt. Hier scheint es allerdings vier Schlafzimmer zu geben, während unsere Wohnung nur zwei Schlafzimmer hat, aber die Wohnzimmer sind in etwa gleich groß.

Der andere auffällige Unterschied ist der, dass hier keine verlogenen, hinterhältigen Schlampen mit blutigen Nasen rumstehen. Ebenso wenig wie Toris dreckiges Geschirr oder ihre schmutzige Wäsche, die bei uns überall rumfliegt.

Das Hooters-Girl stellt die Koffer an der Tür ab, macht einen Schritt beiseite und wartet darauf, dass ich … tja, ich habe keine Ahnung, was sie eigentlich von mir erwartet.

Sie verdreht die Augen, packt mich am Arm und zieht mich von der Tür weg in die Wohnung hinein. »Was zum Teufel ist los mit dir? Kannst du nicht sprechen?« Sie macht Anstalten, die Tür hinter mir zu schließen, bevor sie sich plötzlich mit weit aufgerissenen Augen zu mir umdreht und einen Finger in die Höhe hält. »Warte mal«, sagt sie. »Du bist doch nicht etwa …« Sie verdreht die Augen und schlägt sich mit der Hand vor die Stirn. »Oh mein Gott, du bist taub.«

Häh? Was hat die eigentlich für ein Problem? Ich schüttele den Kopf und will ihr antworten, doch sie unterbricht mich.

»Mein Gott, Bridgette«, nuschelt sie vor sich hin. Sie fährt sich übers Gesicht und stöhnt, ohne im Geringsten auf mein Kopfschütteln zu achten. »Was bist du nur manchmal für ein unsensibler Klotz.«

Wow. Die Frau scheint wirklich Probleme im Umgang mit anderen Menschen zu haben. Einerseits nervt sie rum wie sonst was, andererseits versucht sie offenbar nett zu sein. Und weil sie jetzt glaubt, ich sei taub, weiß ich echt nicht mehr, wie ich reagieren soll. Sie murmelt etwas vor sich hin, als wäre sie von sich selbst enttäuscht, bevor sie mich direkt anschaut.

»ICH … MUSS … JETZT … IN … DIE … ARBEIT!«, brüllt sie sehr laut und übertrieben langsam. Ich verziehe das Gesicht und weiche ein Stück zurück, was ihr eigentlich klarmachen sollte, dass ich ihr Gebrüll sehr gut hören kann, aber sie nimmt keinerlei Notiz davon. Sie deutet auf eine Tür am Ende des Flures. »RIDGE … IST … IN … SEINEM … ZIMMER!«

Bevor ich Gelegenheit habe, ihr zu sagen, dass sie nicht so zu schreien braucht, ist sie schon zur Wohnungstür hinaus und lässt sie hinter sich ins Schloss fallen.

Ich habe keine Ahnung, was ich von alldem halten, und auch nicht, was ich jetzt tun soll. Ich stehe hier klatschnass mitten in einer fremden Wohnung, und der einzige Mensch, dem ich außer Hunter und Tori jetzt noch gerne eine runterhauen würde, befindet sich nur ein paar Schritte entfernt im nächsten Zimmer. Und warum zum Teufel muss Ridge eigentlich seine abgefahrene Hooters-Freundin zu mir rausschicken? Ich ziehe das Handy aus der Tasche, um ihm eine Nachricht zu schreiben, doch da geht die Tür zu seinem Zimmer auf.

Mit einem Stapel Decken und einem Kissen im Arm tritt er auf den Flur heraus, und mir stockt der Atem, als sich unsere Blicke begegnen. Ich hoffe, dass man es mir nicht anmerkt, aber ich bin ihm noch nie so nahe gekommen, und aus ein paar Metern Entfernung sieht er einfach noch viel besser aus als von der anderen Seite des Innenhofes.

Ich glaube, ich habe noch nie Augen gesehen, die sprechen können. Was ich damit eigentlich meine, kann ich gar nicht sagen. Es kommt mir einfach so vor, als könnte er mir mit dem kleinsten Blick aus seinen dunklen Augen genau vermitteln, was er will. Sie sind durchdringend und intensiv und – oh mein Gott, ich starre ihn an.

Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem wissenden Lächeln, als er an mir vorbei direkt zum Sofa hinübergeht.

Trotz seines sympathischen und geradezu naiv wirkenden Gesichtsausdrucks habe ich das Bedürfnis, ihn anzuschreien. Wie konnte er mich nur so hintergehen? Er hätte nicht mehr als zwei Wochen warten dürfen, um es mir zu sagen. Dann hätte ich noch eine Chance gehabt, all das hier etwas besser zu planen. Ich verstehe nicht, wie wir ganze zwei Wochen lang intensive Gespräche führen konnten, ohne dass er es für nötig befunden hätte, mir mitzuteilen, dass mein Freund mich mit meiner besten Freundin betrügt.

Ridge wirft die Decken und das Kissen aufs Sofa.

»Ich bleibe nicht hier, Ridge«, sage ich, damit er nicht unnötig Zeit verschwendet, mir seine Gastfreundschaft anzubieten. Ich weiß, dass ich ihm leidtue, aber ich kenne ihn doch kaum und würde mich in einem Hotelzimmer sehr viel wohler fühlen anstatt hier auf einem fremden Sofa.

Aber ein Hotelzimmer kostet Geld.

Und genau das habe ich momentan nicht bei mir.

Genau das befindet sich in meiner Handtasche auf der anderen Seite des Innenhofs, in einer Wohnung mit genau den beiden Leuten, denen ich auf der ganzen Welt momentan am allerwenigsten begegnen möchte.

Vielleicht ist das mit dem Sofa doch keine so schlechte Idee.

Er macht das Sofa zurecht und wendet sich dann zu mir, um meine klatschnassen Klamotten zu mustern. Ich blicke an mir hinab zu der kleinen Pfütze, die ich auf seinem Fußboden hinterlasse.

»Oh, sorry«, murmele ich. Die Haare kleben mir im Gesicht. und mein Shirt ist ein lächerlich durchsichtiges Etwas, das nur so tut, als würde es meinen ebenso knallpinken wie auffälligen BH von den Blicken der Außenwelt abschirmen. »Wo ist hier das Bad?«

Er deutet mit dem Kopf in Richtung Badezimmertür.

Ich wende mich um, öffne einen der Koffer und krame darin herum, während Ridge in sein Zimmer zurückgeht. Ich bin froh, dass er nicht fragt, was nach unserer Unterhaltung von vorhin geschehen ist. Ich habe absolut keine Lust, darüber zu sprechen.

Ich zerre eine Sporthose und ein Tanktop hervor, schnappe mir meinen Kulturbeutel und ziehe mich dann ins Bad zurück. Es irritiert mich, dass mich mit Ausnahme einiger Kleinigkeiten alles in dieser Wohnung an meine eigene erinnert. Das Badezimmer ist identisch, mit Türen rechts und links, die in die jeweils angrenzenden Schlafzimmer führen, von denen das eine offenbar Ridge gehört. Ich wüsste gerne, wer in dem anderen Zimmer wohnt, bin aber nicht neugierig genug, die Tür zu öffnen. Das Hooters-Girl hatte nur eine einzige Regel, und die war, sich von ihrem Zimmer fernzuhalten. Und ich glaube, dass man sich mit ihr lieber nicht anlegen sollte.

Nachdem ich die Tür zum Wohnzimmer zugemacht und abgeschlossen habe, kontrolliere ich, ob auch die beiden anderen Türen zu den Schlafzimmern verriegelt sind, damit keiner reinkommen kann. Ich habe keine Ahnung, ob hier außer Ridge und dem Hooters-Girl noch jemand wohnt, und will kein Risiko eingehen.

Ich ziehe die tropfenden Klamotten aus und lasse sie ins Waschbecken fallen, um hier nicht auch noch den Boden zu überschwemmen. Ich stelle die Dusche an und warte, bis das Wasser die richtige Temperatur hat, bevor ich hineinsteige. Während ich das warme Wasser über mich strömen lasse, schließe ich die Augen und bin dankbar, dass ich nicht länger draußen im Regen stehe. Und doch bin ich alles andere als glücklich darüber, nun hier zu sein.

Ich hätte nie damit gerechnet, dass ich an meinem 22. Geburtstag in einer fremden Wohnung duschen und auf einem Sofa schlafen würde, das einem Typen gehört, den ich seit gerade mal zwei Wochen kenne. Und schuld daran sind die beiden Menschen, die mir am meisten bedeuten und denen ich am meisten vertraut habe.

1.

Zwei Wochen zuvor

Sydney

Ich schiebe meine Balkontür auf und trete nach draußen, froh, dass die Sonne bereits hinter dem Nachbarhaus verschwunden ist und die Luft sich auf eine beinahe perfekte Herbsttemperatur abgekühlt hat. Fast wie auf ein Stichwort schwebt der Klang seiner Gitarre quer über den Innenhof, während ich mich in meinen Liegestuhl setze und genüsslich zurücklehne. Tori gegenüber behaupte ich, ich würde mich hier hinsetzen, um meine Hausaufgaben zu erledigen, weil ich nicht zugeben will, dass die Gitarre der eigentliche Grund dafür ist, warum ich jeden Abend pünktlich um acht hier bin.

Schon seit Wochen sitzt der Typ aus der Wohnung gegenüber auf seinem Balkon und spielt mindestens eine Stunde lang. Jeden Abend sitze ich ebenfalls draußen und höre ihm zu.

Ich habe bemerkt, dass auch einige andere Nachbarn auf ihre Balkons herauskommen, wenn er spielt, aber keiner ist so treu wie ich. Ich begreife nicht, wie man diese Songs hören kann, ohne das Verlangen zu verspüren, ihnen jeden Tag aufs Neue zu lauschen. Aber ich konnte mich eben schon immer für Musik begeistern und bin deswegen vielleicht noch mehr als andere von seinem Klang fasziniert. Solange ich denken kann, spiele ich Klavier, und auch wenn ich das noch niemandem verraten habe, komponiere ich selbst gerne. Ich habe sogar vor zwei Jahren mein Hauptfach gewechselt und studiere jetzt Musikerziehung, weil ich später gerne Musik an Grundschulen unterrichten möchte. Wenn es nach meinem Vater gegangen wäre, würde ich allerdings noch immer Jura studieren.

»Ein mittelmäßiges Leben ist ein vergeudetes Leben«, war sein Kommentar, als ich ihn über den Wechsel meines Studienfaches informierte.

Ein mittelmäßiges Leben. Ich finde das eigentlich eher amüsant als beleidigend, da er selbst der unzufriedenste Mensch ist, den ich kenne. Und er ist Rechtsanwalt. Da frage ich mich: Wie passt das zusammen?

Nachdem einer der altbekannten Songs geendet hat, spielt der Typ mit der Gitarre ein Stück, das ich noch nie zuvor gehört habe. Mir ist seine inoffizielle Playlist mittlerweile vertraut, da er jeden Abend die gleichen Songs in der gleichen Reihenfolge zu üben scheint. Aber diese Melodie kenne ich noch nicht. Die Art und Weise, wie er dieselben Akkorde mehrfach wiederholt, erweckt den Eindruck, als würde er sich diesen Song gerade erst ausdenken. Es gefällt mir, diesen Entstehungsprozess mitzuerleben, vor allem weil das Stück schon nach ein paar Akkorden zu meinem neuen Lieblingslied wird. Alles, was er spielt, hört sich nach Eigenkompositionen an. Ob er damit wohl hier in der Gegend irgendwo auftritt oder ob er sie nur so für sich schreibt?

Ich beuge mich in meinem Liegestuhl vor, lege die Arme auf die Balkonbrüstung und beobachte ihn. Sein Balkon liegt direkt gegenüber auf der anderen Hofseite. Weit genug weg, dass ich mir nicht komisch vorkomme, wenn ich ihn so verfolge, aber doch so nah, dass ich immer darauf achte, es nicht in Anwesenheit von Hunter zu tun. Ich glaube nicht, dass es Hunter besonders gut gefallen würde, dass ich mich ein winziges bisschen in das Talent dieses Typen verliebt habe.

Aber ich kann es nicht leugnen. Jeder, der sieht, mit welcher Leidenschaft er spielt, wie er sich mit geschlossenen Augen auf jeden Schlag gegen jede einzelne Gitarrensaite konzentriert, muss sich einfach in sein Talent verlieben. Ich mag es am liebsten, wenn er mit überkreuzten Beinen dasitzt und die Gitarre senkrecht zwischen den Beinen hält. Er zieht sie ganz nah an seine Brust und spielt sie wie einen Kontrabass, immer mit geschlossenen Augen. Es ist so faszinierend, ihm zuzuschauen, dass ich mich manchmal dabei ertappe, wie ich den Atem anhalte. Ich merke es nicht einmal, bis ich plötzlich keuchend Luft hole.

Dass er dazu noch megasüß aussieht, macht die Sache auch nicht leichter. Zumindest wirkt er von hier aus so. Sein hellbraunes Haar ist wirr und genau wie er immer in Bewegung. Wenn er den Kopf senkt, um auf seine Gitarre zu schauen, fällt es ihm in die Stirn. Er ist zu weit weg, als dass ich seine Augenfarbe oder andere bestimmte Merkmale erkennen könnte, aber die Details spielen keine Rolle angesichts der Leidenschaft, mit der er sich seiner Musik widmet. Er strahlt eine geradezu betörende Selbstsicherheit aus. Ich habe schon immer bewundert, wie manche Musiker es schaffen, alles und jeden um sich herum zu vergessen und sich voll und ganz auf ihre Musik zu konzentrieren. Dieses Selbstvertrauen, das man braucht, um sich von der Welt abzuschotten und sich ganz und gar in etwas zu vertiefen, hätte ich mir immer gewünscht, aber ich habe es leider nicht.

Ganz im Gegensatz zu diesem Typen, der nur so strotzt vor Selbstvertrauen und Talent. Musiker haben einfach was. Das fand ich schon immer, allerdings nur in meiner Fantasie. Sie sind nämlich eine Art für sich. Eine Art, die sich für eine ernsthafte Beziehung meistens nicht besonders gut eignet.

Er wirft mir einen Blick zu, als könnte er meine Gedanken hören. Und dann huscht langsam ein Lächeln über sein Gesicht. Er hört nie auf zu spielen, während er mich beobachtet. Der Blickkontakt lässt mich erröten, und ich lasse die Arme fallen, ziehe meine Bücher wieder auf meinen Schoß und senke den Blick darauf. Es ist mir unangenehm, dass er mich eben dabei ertappt hat, wie ich ihn angestarrt habe. Es ist ja nichts Schlimmes dabei, aber es fühlt sich irgendwie komisch an, dass er jetzt weiß, dass ich ihn beobachtet habe. Ich hebe den Blick ein wenig und sehe, dass er noch immer zu mir herüberschaut, aber er lächelt nicht mehr. Die Art und Weise, wie er mich jetzt anstarrt, lässt meinen Puls schneller gehen. Also schaue ich weg und konzentriere mich auf meine Hausaufgaben.

Jetzt hat man dich erwischt, Sidney, du alte Stalkerin!

»Ach, hier bist du«, sagt eine vertraute Stimme hinter mir. Ich lege den Kopf in den Nacken und lasse die Augen nach oben wandern zu Hunter, der gerade auf den Balkon heraustritt. Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass mir sein Anblick einen kleinen Schock versetzt, denn bestimmt hätte ich wissen müssen, dass er kommen wollte.

Nur für den Fall, dass Guitar-Boy noch immer zu uns herschaut, gehe ich betont zärtlich auf Hunters Begrüßungskuss ein, damit ich nicht ganz so als aufdringliche Stalkerin rüberkomme, sondern eher, als würde ich nur zufällig auf meinem Balkon chillen. Ich fahre mit der Hand über Hunters Hals, während er sich von hinten über den Stuhl beugt und mich kopfüber küsst.

»Rutsch mal«, sagt Hunter und schiebt meine Schultern nach vorne. Ich gehorche und rutsche auf dem Sitz nach vorne, während er ein Bein über den Stuhl schwingt und sich hinter mich quetscht. Er zieht meinen Rücken an seine Brust und schlingt seine Arme um mich.

Als das Gitarrenspiel plötzlich aufhört, kann ich es mir nicht verkneifen, noch einmal auf die andere Hofseite hinüberzuschauen. Guitar-Boy mustert uns scharf, steht auf und geht in seine Wohnung zurück. Seine Miene ist seltsam. Beinahe wütend.

»Wie war’s in der Uni?«, fragt Hunter.

»Zu langweilig, um davon zu erzählen. Und bei dir? Wie war die Arbeit?«

»Interessant«, sagt er und streicht mir mit der Hand die Haare aus dem Nacken. Er drückt seine Lippen auf meinen Hals und bedeckt ihn mit Küssen.

»Was war denn so interessant?«

Er drückt mich fester an sich, legt sein Kinn auf meine Schulter und zieht mich dann mit, als er sich im Stuhl zurücklehnt. »Beim Mittagessen hatte ich ein total schräges Erlebnis«, sagt er. »Ich war mit einem Kollegen beim Italiener und wir haben draußen auf der Terrasse gesessen. Ich hatte gerade den Kellner gefragt, welchen Nachtisch er mir denn empfehlen könnte, als ein Polizeiauto um die Ecke kam und direkt vor dem Restaurant hielt. Dann sind zwei Polizisten mit gezückten Pistolen rausgesprungen und haben uns Befehle zugerufen, während unser Kellner nur leise geflucht hat. Er hat dann ganz langsam die Hände hochgehoben, die Polizisten sind über die Umzäunung der Terrasse gestiegen, haben ihn zu Boden geworfen und ihm direkt vor uns Handschellen angelegt. Nachdem sie ihn über seine Rechte belehrt hatten, haben sie ihn hochgezerrt und zum Polizeiauto geführt. Der Kellner hat sich noch zu mir umgedreht und gerufen: ›Das Tiramisu ist echt gut!‹ Dann haben sie ihn in den Wagen geschoben und sind weggefahren.«

Ich lege den Kopf nach hinten und blicke zu ihm auf. »Im Ernst? Ist das echt passiert?«

Er nickt und lacht. »Ich schwör’s, Syd. Es war total abgedreht.«

»Und? Habt ihr das Tiramisu probiert?«

»Allerdings, das haben wir, und es war das beste Tiramisu, das ich je gegessen habe.«

Er küsst mich auf die Wange und drückt mich nach vorn. »Wo wir gerade vom Essen reden: Ich bin kurz vorm Verhungern.« Er steht auf und streckt mir seine Hand hin. »Hast du heute Abend was gekocht?«

Ich ergreife seine Hand und lasse mich von ihm hochziehen. »Wir haben eben erst einen Salat gegessen, aber ich kann dir auch einen machen.«

Drinnen lässt Hunter sich neben Tori auf dem Sofa nieder. Sie hat ein Lehrbuch auf dem Schoß und bemüht sich halbherzig, ihre Aufmerksamkeit zwischen Lernen und Fernsehen aufzuteilen. Ich hole ein paar Plastikdosen aus dem Kühlschrank und mache ihm einen Salat. Dabei habe ich ein leicht schlechtes Gewissen, weil ich vergessen habe, dass er heute Abend kommen wollte. Normalerweise koche ich immer, wenn ich weiß, dass er da ist.

Wir sind jetzt schon fast zwei Jahre zusammen. Ich habe ihn im zweiten Studienjahr kennengelernt, er war ein Jahr über mir. Nachdem Tori in mein Studentenwohnheim gezogen war und wir uns angefreundet hatten, fand sie, dass ich ihn unbedingt kennenlernen sollte. Sie war sich sicher, dass wir uns gut verstehen würden, und damit hatte sie recht. Nach nur zwei Dates waren wir ganz offiziell zusammen, und seither läuft alles wunderbar.

Natürlich gibt es auch in unserer Beziehung Höhen und Tiefen, vor allem seit er mehr als eine Stunde entfernt wohnt. Als er letztes Semester den Job in der Steuerkanzlei bekam, hatte er vorgeschlagen, ich könnte doch mit ihm dort hinziehen. Ich habe abgelehnt, mit der Begründung, dass ich erst einmal mein Examen machen wollte, bevor ich mich zu einem so großen Schritt entschließen könnte. Und ganz ehrlich, die Vorstellung, wir würden zusammenziehen, hat etwas Beängstigendes an sich. Es kommt mir so endgültig vor, als würde ich damit mein Schicksal besiegeln. Ich weiß, dass das nur der erste Schritt wäre, als nächster käme dann die Hochzeit, und ich hätte nie mehr die Möglichkeit, alleine zu leben. Ich hatte bislang immer eine Mitbewohnerin, und bis ich mir eine eigene Wohnung leisten kann, werde ich mir das Apartment mit Tori teilen. Ich habe Hunter noch nichts davon gesagt, aber eigentlich will ich unbedingt ein Jahr ganz alleine wohnen, bevor ich heirate. Das habe ich mir fest vorgenommen. Und ich werde ja erst 22, es besteht also wirklich kein Grund zur Eile.

Ich bringe Hunter sein Essen ins Wohnzimmer.

»Warum schaust du dir das an?«, fragt er Tori. »Diese Frauen lästern doch nur rum und machen sich gegenseitig fertig.«

»Genau deswegen schau ich es mir an«, erwidert Tori, ohne den Blick vom Fernseher zu wenden.

Hunter zwinkert mir zu. Er nimmt seinen Teller und legt die Füße auf den Couchtisch. »Danke, Schatz.« Dann wendet er sich dem Fernseher zu und fängt an zu essen.

Ich gehe zurück in die Küche und Hunter ruft mir hinterher: »Bringst du mir ein Bier mit?« Ich öffne die Kühlschranktür und schaue in das Fach, in dem er immer sein Bier aufbewahrt. Während ich so »sein« Fach anschaue, wird mir klar, dass das vermutlich der Anfang ist. Zuerst hat er ein Fach im Kühlschrank. Dann eine Zahnbürste im Bad, eine Schublade in meiner Kommode, und schließlich wird sich sein Zeug an so vielen Stellen mit meinem vermischen, dass ich niemals mehr alleine sein kann.

Ich fahre mir mit den Händen über die Arme, um den kleinen Anflug von Unbehagen abzurubbeln, der mich ganz plötzlich überkommt. Ich habe das Gefühl, als würde sich meine Zukunft vor mir ausbreiten, und ich bin nicht so sicher, ob mir das gefällt, was ich da sehe.

Bin ich dazu bereit?

Bin ich schon so weit?

Bin ich schon so weit, dass dieser Typ derjenige ist, dem ich jeden Abend das Essen hinstelle, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt?

Bin ich schon so weit, dass ich mich in so einem bequemen Leben mit ihm einrichten möchte? In dem ich den ganzen Tag unterrichte, während er die Steuererklärungen für andere Leute macht, und wenn wir nach Hause kommen, koche ich was und »bringe ihm ein Bier mit«, während er die Füße hochlegt und mich Schatz nennt, und dann gehen wir ins Bett und schlafen miteinander, so gegen 21 Uhr, damit wir am nächsten Tag nicht zu müde sind und aufstehen und uns anziehen und zur Arbeit gehen und mit allem wieder von vorne anfangen können?

»Erde an Sydney«, sagt Hunter. Ich höre, wie er zweimal mit den Fingern schnippt. »Bier? Bitte, Schatz!«

Schnell greife ich nach seinem Bier und bringe es ihm, bevor ich direkt ins Bad gehe. Ich stelle das Wasser in der Dusche an, ohne hineinzusteigen. Stattdessen schließe ich die Tür ab und lasse mich zu Boden sinken.

Wir haben eine gute Beziehung, und ich weiß, dass er mich liebt. Ich kapiere nur nicht, warum ich den Gedanken an eine gemeinsame Zukunft mit ihm nie so besonders aufregend finde.

Ridge

Maggie beugt sich vor und küsst mich auf die Stirn. »Ich muss jetzt gehen.«

Ich liege auf dem Rücken, Kopf und Schultern teilweise gegen das Betthaupt gestützt. Sie sitzt rittlings auf mir und blickt bedauernd zu mir herab. Ich finde es furchtbar, dass wir jetzt so weit auseinander wohnen, aber dadurch bekommt die Zeit, die wir gemeinsam verbringen, umso mehr Bedeutung. Ich greife nach ihren Händen, damit sie aufhört zu reden, und ziehe sie an mich in der Hoffnung, sie doch noch für ein Weilchen zum Bleiben zu überreden.

Sie lacht und schüttelt den Kopf. Sie küsst mich flüchtig und löst sich dann wieder von mir. Sie rutscht von meinem Schoß, aber ich lasse sie nicht sehr weit entkommen, bevor ich mich auf sie stürze und sie auf die Matratze werfe. Ich deute auf ihre Brust.

»Du« – ich beuge mich vor und küsse sie auf die Nase – »musst noch eine Nacht hierbleiben.«

»Geht nicht. Ich hab Uni.«

Ich packe ihre Handgelenke und halte ihre Arme über ihrem Kopf fest, dann drücke ich meine Lippen auf ihre. Ich weiß schon, dass sie nicht noch eine Nacht bleiben wird. Sie hat in ihrem Leben noch keine einzige Unterrichtsstunde verpasst, solange sie nicht so krank war, dass sie sich überhaupt nicht mehr rühren konnte. Ich wünschte fast, dass sie sich auch jetzt ein klein wenig krank fühlte, damit ich sie überreden könnte, mit mir im Bett zu bleiben.

Ich streiche mit den Händen ganz zart von den Handgelenken ihre Arme empor, bis ich ihr Gesicht umfasse. Dann gebe ich ihr noch einen letzten Kuss, bevor ich mich widerstrebend von ihr löse. »Dann geh. Und pass gut auf dich auf. Sag mir Bescheid, wenn du zu Hause bist, ja?«

Sie nickt und drückt sich vom Bett hoch. Dann angelt sie über mich hinweg nach ihrem Shirt und zieht es sich über den Kopf. Ich sehe ihr zu, wie sie im Zimmer umhergeht und die Klamotten zusammensammelt, die ich ihr in aller Eile ausgezogen habe.

Die meisten Paare, die schon seit fünf Jahren zusammen sind, wären wohl mittlerweile zusammengezogen. Aber die meisten anderen Paare bestehen eben nicht zur Hälfte aus Maggie. Sie ist so unglaublich unabhängig, dass es schon fast beängstigend ist. Aber es ist verständlich, wenn man bedenkt, wie ihr bisheriges Leben so verlaufen ist. So lange ich sie kenne, kümmert sie sich schon um ihren Großvater. Und davor hat sie ihm viele Jahre lang geholfen, ihre Großmutter zu pflegen, die gestorben ist, als Maggie 16 war. Inzwischen ist ihr Großvater in einem Pflegeheim und sie hat zum ersten Mal die Möglichkeit, alleine zu leben, während sie ihre Ausbildung beendet. Und so gerne ich sie auch hier bei mir hätte, weiß ich doch, wie wichtig dieses Praxissemester für sie ist. Ich muss also noch für das kommende Jahr damit leben, dass ich hier in Austin bin, während sie in San Antonio wohnt. Und ich kann mir null Komma null vorstellen, dass ich aus Austin wegziehe, schon gar nicht nach San Antonio.

Es sei denn, sie würde mich darum bitten.

»Sag deinem Bruder, ich drück ihm die Daumen.« Sie steht in der Tür und ist kurz davor zu gehen. »Und du solltest wirklich aufhören, dich zu zermartern, Ridge. Musiker haben nun mal Blockaden, genau wie Schriftsteller. Dir kommen schon wieder neue Inspirationen. Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch.«

Sie lächelt und verlässt rückwärts mein Zimmer. Ich stöhne, denn mir ist klar, dass sie mich mit dieser Schreibblockade-Bemerkung nur aufmuntern will, aber mich stresst die Sache schon. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass Brennan sich so total auf diese neuen Songs verlässt, oder daran, dass ich komplett ausgebrannt bin, aber mir fallen einfach keine Texte ein. Und ohne verlässliche Songtexte ist es sehr schwer, sich auf das eigentliche Komponieren der Stücke einzulassen.

Mein Handy brummt. Eine Nachricht von Brennan, bei der ich mich wegen meiner Blockade noch schlechter fühle.

Brennan: Das geht jetzt schon wochenlang so. Bitte sag, dass du was für mich hast.

 

Ich: In Arbeit. Wie läuft die Tour?

 

Brennan: Gut, aber erinnere mich daran, dass ich Warren sage, er soll beim nächsten Mal nicht so viele Gigs hintereinander ausmachen.

 

Ich: Aber nur durch die Gigs kannst du dir einen Namen machen.

 

Brennan: WIRUNS! Tu doch nicht immer so, als wärst du nicht Teil des Ganzen.

 

Ich: Das werde ich bald nicht mehr sein, wenn ich diese Scheißblockade nicht überwinde.

 

Brennan: Vielleicht solltest du mehr rausgehen. Etwas unnötige Aufregung in dein Leben bringen. Mach mit Maggie Schluss, der Kunst zuliebe. Sie wird das verstehen. Liebeskummer ist eine tolle Inspiration für Liedtexte. Du brauchst bloß mal Country zu hören …

 

Ich: Arschloch.

 

Brennan: Ah! Lese ich da etwa so etwas wie Wut aus deinem Text? Mach sie dir zunutze. Schreib einen wütenden Song darüber, wie sehr du deinen kleinen Bruder hasst, und den schickst du mir dann. ;-)

 

Ich: Okay. Ich geb ihn dir, wenn du endlich deinen Scheiß aus deinem alten Zimmer räumst. Vielleicht zieht da nächsten Monat Bridgettes Schwester ein.

 

Brennan: Hast du Brandi schon mal kennengelernt?

 

Ich: Nein. Sollte ich das?

 

Brennan: Nur, falls du mit zwei Bridgettes zusammenwohnen willst.

 

Ich: Oh, shit.

 

Brennan: Genau. Bis später.

Ich lache und schließe den Chat mit Brennan und öffne den mit Warren.

Ich: Wir sind jetzt so weit, dass wir uns auf die Suche nach einem Mitbewohner machen können. Brennan sagt: auf keinen Fall Brandi! Ich überlasse es dir, Bridgette die Neuigkeit zu verkünden, weil ihr zwei euch schließlich so gut versteht.

 

Warren: Motherfucker.

Ich lache und springe vom Bett und gehe dann mit meiner Gitarre auf den Balkon hinaus. Es ist fast acht, und ich weiß, dass sie auf ihrem Balkon sitzen wird. Ich weiß nicht, wie komisch ihr mein Verhalten vorkommen wird, aber ich kann es nur versuchen. Ich habe nichts zu verlieren.

2.

Sydney

Gedankenverloren tippe ich mit den Füßen im Takt und singe meinen eigenen, selbst erfundenen Text zu seiner Musik, als er plötzlich mitten im Song aufhört. Das hat er noch nie getan, und natürlich schaue ich jetzt zu ihm hinüber. Er beugt sich vor und starrt mich direkt an. Dann streckt er den Zeigefinger in die Höhe, als wollte er sagen: »Warte mal«, legt die Gitarre neben sich und rennt in seine Wohnung.

Was macht er da nur?

Und, oh mein Gott, warum macht mich die Tatsache, dass er mich bemerkt hat, so nervös?

Er kommt wieder nach draußen mit einem Block und einem Filzstift in der Hand.

Er schreibt. Was, zum Teufel, schreibt er da?

Er hält zwei Bögen Papier in die Höhe, und ich kneife die Augen zusammen, um erkennen zu können, was er geschrieben hat.

Eine Telefonnummer.

Etwa seine Handynummer?

Als ich mich mehrere Sekunden lang nicht bewege, wedelt er mit den Blättern und deutet darauf, bevor er auf mich deutet.

Er ist durchgeknallt. Ich werde ihn nicht anrufen. Ich kann ihn nicht anrufen. Das kann ich Hunter nicht antun.

Der Typ schüttelt den Kopf, dann schnappt er sich ein neues Blatt, kritzelt etwas anderes darauf und hält es hoch:

Schreib mir.

Als ich mich immer noch nicht vom Fleck rühre, dreht er das Blatt um und schreibt wieder.

 

Ich hab eine?

 

Eine Frage. Per Handy. Scheint harmlos zu sein. Als er wieder das Blatt mit der Telefonnummer hochhält, hole ich mein Handy raus und gebe sie ein. Dann starre ich ein paar Sekunden lang auf das Display, weil ich nicht recht weiß, was ich schreiben soll. Schließlich entscheide ich mich für:

Ich: Was für eine Frage?

Er schaut auf sein Handy, und ich kann sehen, dass er lächelt, als er meine Nachricht empfängt. Er lässt das Blatt fallen, lehnt sich in seinem Stuhl zurück und tippt. Als mein Handy brummt, zögere ich kurz, bevor ich einen Blick darauf werfe.

Er: Singst du unter der Dusche?

Kopfschüttelnd stelle ich fest, dass ich mit meiner ersten Vermutung doch richtiglag. Er will mich anbaggern. Na klar. Schließlich ist er Musiker.

Ich: Was ist das denn für eine Frage? Aber wenn das ein Versuch ist, mich anzubaggern … Ich habe einen Freund. Vergeude nicht deine Zeit.

Ich drücke auf Senden und beobachte, wie er die Nachricht liest. Er lacht, und das irritiert mich. Vor allem weil sein Lächeln so … lächelig ist. Gibt es das Wort überhaupt? Ich weiß nicht, wie ich es sonst beschreiben soll. Es ist, als würde sein ganzes Gesicht mit seinem Mund mitlächeln. Wie dieses Lächeln wohl aus der Nähe aussieht?

Er: Ich weiß doch, dass du einen Freund hast, und auf diese Weise würde ich dich ganz bestimmt nicht anbaggern. Ich will nur wissen, ob du unter der Dusche singst. Ich habe nämlich ganz zufällig eine besonders hohe Meinung von Leuten, die unter der Dusche singen, und muss die Antwort auf diese Frage wissen, bevor ich meine nächste Frage stelle.

Ich lese diese ziemlich lange Nachricht und bewundere, wie schnell er tippen kann. Jungs sind normalerweise nicht so fix wie Mädels, wenn Speed-Texting gefragt ist, aber seine Antworten kamen beide sofort zurück.

Ich: Ja, ich singe unter der Dusche. Und du?

 

Er: Ich singe nicht.

 

Ich: Wie kommt es, dass du viel von Leuten hältst, die unter der Dusche singen, wenn du selbst es nicht tust?

 

Er: Vielleicht ist genau die Tatsache, dass ich selbst nicht unter der Dusche singe, der Grund dafür, dass ich viel von Leuten halte, die unter der Dusche singen.

Diese Unterhaltung ist ziemlich zweckfrei.

Ich: Und wozu brauchtest du nun diese entscheidende Information über mich?

Er streckt die Beine aus und legt die Füße auf die Brüstung, dann starrt er mich ein paar Sekunden lang an, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder seinem Handy zuwendet.

Er: Ich will wissen, woher du die Texte hast, wenn du meine Songs singst, wo ich doch selbst noch nicht mal Texte dazu habe.

Wie peinlich! Meine Wangen fangen an zu glühen, und ich fühle mich ertappt.

Ich starre auf mein Handy und dann zu ihm hinüber. Er beobachtet mich ausdruckslos. Verdammt! Warum habe ich nie darüber nachgedacht, dass er mich natürlich hier draußen sitzen sehen kann? Ich hätte nie geglaubt, dass ihm auffallen würde, wie ich seine Lieder mitsinge. Bis gestern Abend war ich der Meinung, er hätte mich noch nicht einmal bemerkt. Ich atme tief ein und wünschte, ich hätte gar nicht erst Blickkontakt zu ihm aufgenommen. Ich weiß nicht, warum, aber mir ist die Situation peinlich. Es kommt mir so vor, als wäre ich irgendwie in seine Privatsphäre eingedrungen, und das gefällt mir gar nicht.

Ich: Ich mag Lieder mit Texten lieber und hatte keine Lust mehr, mich zu fragen, welche Texte deine Songs wohl haben, und da hab ich mir eben selbst was dazu ausgedacht.

Er liest die Nachricht und blickt dann auf, ohne die leiseste Andeutung seines ansteckenden Lächelns. Seine ernsthaften Blicke sind mir unangenehm. Mir gefällt nicht, was sie in meinem Bauch auslösen. Mir gefällt auch nicht, was sein lächeliges Lächeln in meinem Bauch auslöst. Ich wünschte, er könnte einfach nur einen ganz einfachen, unattraktiven, emotionslosen Gesichtsausdruck aufsetzen, aber ich weiß nicht, ob er dazu überhaupt fähig ist.

Er: Schickst du sie mir?

Oh Gott! Auf keinen Fall!

Ich: Auf gar keinen Fall.

 

Er: Bitte!

 

Ich: Nein.

 

Er: Bitte, bitte!

 

Ich: Nein, danke.

 

Er: Wie heißt du?

 

Ich: Sydney. Und du?

 

Er: Ridge.

Ridge, das passt zu ihm. Klingt irgendwie künstlerisch-tiefsinnig.

Ich: Tja, Ridge, tut mir leid, aber ich schreibe keine Texte, die irgendjemand hören möchte. Schreibst du die Texte zu deinen Songs selbst?

Er fängt an zu tippen, und es dauert richtig lange, obwohl sich seine Finger rasend schnell über das Display bewegen. Ich fürchte, ich bekomme gleich einen ganzen Roman von ihm. Er blickt auf, und im selben Augenblick vibriert schon mein Handy.

Ridge: Also, es sieht so aus, als hätte ich eine ganz üble Schreibblockade. Und deswegen wäre es einfach toll, wenn du mir die Texte schickst, die du singst, während ich spiele. Auch wenn du sie für blöd hältst. Ich will sie lesen. Du scheinst irgendwie alle meine Songs zu kennen, obwohl ich sie noch keinem vorgespielt habe, außer wenn ich hier draußen übe.

Woher will er wissen, dass ich alle seine Songs kenne? Ich fahre mir mit der Hand über die Wange, die sich schon wieder rötet, weil mir jetzt klar wird, dass er mich schon viel länger beobachtet, als ich ursprünglich gedacht hatte. Ich scheine ja wohl absolut nichts mitzukriegen. Ich blicke zu ihm hinüber, und er schreibt schon die nächste Nachricht. Also schaue ich auf mein Handy und warte darauf.

Ridge: Ich kann sehen, wie dein ganzer Körper auf die Gitarre reagiert. Du tippst mit den Füßen, du bewegst deinen Kopf. Und ich habe sogar versucht, dich zu testen, indem ich von Zeit zu Zeit langsamer gespielt habe, um zu sehen, ob es dir auffällt. Und das war jedes Mal der Fall. Dein Körper hält plötzlich still, wenn ich etwas verändere. Ich kann also schon von Weitem sehen, dass du musikalisch bist. Und weil du außerdem unter der Dusche singst, bedeutet das, dass du vermutlich auch ganz gut singst. Was wiederum bedeutet, dass du vielleicht das Zeug dazu hast, gute Songtexte zu schreiben. Und deswegen würde ich deine Songtexte gerne lesen, Sydney.

Ich bin noch immer mit Lesen beschäftigt, als schon die nächste Nachricht eintrifft.

Ridge: Bitte. Ich bin verzweifelt.

Ich hole tief Luft und wünschte nichts sehnlicher, als dass diese Unterhaltung nie begonnen hätte. Wie, zum Teufel, konnte er all diese Rückschlüsse ziehen, ohne dass mir überhaupt aufgefallen ist, dass er mich beobachtet? Immerhin mildert es gleichzeitig die Peinlichkeit der Tatsache, dass er mich ertappt hat, wie ich ihn beobachtet habe. Aber dass er jetzt wissen will, welche Texte ich mir zu seinen Songs ausgedacht habe, ist mir aus ganz anderen Gründen peinlich. Ich singe gerne, aber nicht gut genug, um irgendwie professionell was damit anzufangen. Mir ist vor allem die Musik wichtig, nicht die Performance. Und ich schreibe zwar gerne Liedtexte, aber ich habe sie noch nie jemandem gezeigt. Das kam mir immer zu persönlich vor. Jetzt wäre es mir lieber, er hätte mir einfach nur eine primitive Anmache geschickt.

Ich zucke zusammen, als mein Handy schon wieder vibriert.

Ridge: Okay, wie wär’s mit einem Kompromiss: Du suchst dir einen von meinen Songs aus und schickst mir den Text zu diesem einen Song. Dann lasse ich dich in Ruhe. Vor allem wenn der Text blöd ist.

Ich lache. Und winde mich. Er wird nicht aufgeben. Ich werde meine Handynummer wechseln müssen.

Ridge: Ich kenne jetzt deine Handynummer, Sydney. Ich gebe nicht auf, bis du mir den Text von mindestens einem Song geschickt hast.

Oh Gott. Der lässt sich wirklich nicht abschütteln.

Ridge: Außerdem weiß ich, wo du wohnst. Ich bin mir nicht zu blöd, dich an deiner Wohnungstür auf Knien darum zu bitten.

Uah!

Ich: Hör mit den fiesen Drohungen auf. Ein Song. Aber ich muss den Text aufschreiben, während du es spielst, weil ich das ja noch nie vorher aufgeschrieben habe.

 

Ridge: Abgemacht. Welchen Song? Ich spiel ihn sofort.

 

Ich: Woher soll ich wissen, welchen Song, Ridge? Ich hab doch keine Ahnung, wie die alle heißen.

 

Ridge: Klar, ich auch nicht. Halt einfach die Hand hoch, wenn ich bei dem bin, den ich für dich spielen soll.

Er legt das Telefon aus der Hand und nimmt die Gitarre und spielt dann einen der Songs. Es ist nicht der, den ich hören will, also schüttele ich den Kopf. Er wechselt zum nächsten, und ich schüttele immer weiter den Kopf, bis ich die vertrauten Akkorde von einem meiner Lieblingslieder höre. Ich halte die Hand hoch, und er grinst, bevor er diesen Song noch einmal ganz von vorne spielt. Ich ziehe meinen Block zu mir her und nehme den Stift in die Hand. Dann fange ich an, den Text aufzuschreiben, den ich mir zu diesem Stück ausgedacht habe.

Er muss den Song insgesamt dreimal spielen, bis ich schließlich alles zu Papier gebracht habe. Es ist jetzt fast dunkel, und ich kann kaum noch etwas sehen, deswegen greife ich nach meinem Handy.

Ich: Es ist zu dunkel zum Lesen. Ich geh nach drinnen und schicke es dir, aber du musst mir versprechen, dass du mich nie mehr um so etwas bittest.

Das Licht von seinem Handy beleuchtet sein Lächeln. Er nickt mir zu, nimmt die Gitarre und geht zurück in seine Wohnung. Mir kommt es vor, als hätte dieses ganze Hin- und Hergeschreibe jetzt für immer meine schönen Abendstunden auf dem Balkon verdorben. Ich kann nie mehr da rausgehen und ihm zuhören. Ich fand es schöner, als ich noch dachte, er wäre sich meiner Gegenwart gar nicht bewusst. Da war es für mich wie in einer Privatloge bei meinem ganz persönlichen Konzert. Jetzt nehme ich ihn viel zu sehr wahr, um die Musik richtig genießen zu können, und dass er mir das verdorben hat, nehme ich ihm wirklich übel. Voller Bedauern schicke ich ihm meinen Text. Dann schalte ich das Telefon stumm und lasse es auf meinem Bett liegen, während ich ins Wohnzimmer gehe und zu vergessen versuche, dass das hier jemals passiert ist.

Ridge

Holy shit. Sie ist gut. Echt gut. Brennan wird begeistert sein. Ich weiß, dass sie der Verwendung zustimmen und eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnen muss, für die wir ihr auch etwas zahlen müssen. Aber das ist es wert, vor allem wenn auch ihre anderen Texte so gut sind wie dieser hier.

Die Frage ist nur: Wird sie dazu bereit sein? Sie scheint offenbar kein besonders großes Zutrauen zu ihren eigenen Fähigkeiten zu haben, aber das ist momentan noch die kleinste meiner Sorgen. Die größte Sorge ist, wie ich sie dazu bringe, mir noch mehr Texte zu schicken. Oder wie ich sie dazu bringen kann, sie mit mir zusammen zu schreiben. Ich bezweifle, dass ihr Freund davon begeistert wäre. Er ist ja wohl das größte Arschloch, das ich jemals zu Gesicht bekommen habe. Ich kann nicht fassen, wie dreist der Kerl ist. Vor allem nach dem, was ich gestern Abend gesehen habe. Er kommt raus auf den Balkon und küsst Sydney und kuschelt sich im Liegestuhl an sie, als wäre er der aufmerksamste Freund der Welt. Und dann, sobald sie ihm den Rücken zuwendet, ist er wieder draußen auf dem Balkon mit der anderen Tussi. Sydney war wohl unter der Dusche oder so, weil die beiden plötzlich nach draußen gestürmt kamen, als hätte sie jemand aufgezogen. Und schneller als ich gucken konnte, hatte das Mädel ihre Füße um seine Taille geschlungen und ihren Mund auf seinen gepresst. Und es war nicht das erste Mal. Ich hab das schon unzählige Male miterlebt.

Es ist ja nun wirklich nicht meine Aufgabe, Sydney darüber zu informieren, dass ihr Freund mit ihrer Mitbewohnerin rummacht. Und per Handy oder so kann ich ihr das schon gar nicht mitteilen. Aber wenn Maggie mich betrügen würde, wüsste ich das schon gerne. Ich kenne Sydney einfach nicht gut genug, um ihr so etwas zu sagen. Mal abgesehen davon, dass der Überbringer der schlechten Nachricht meistens die Schuld kriegt. Vor allem wenn der oder die Betrogene es nicht glauben will. Ich könnte ihr eine anonyme Botschaft schicken, aber dieser Fiesling von Freund würde es bestimmt schaffen, sich da irgendwie rauszureden.

Ich warte erst mal ab. Es ist nicht meine Aufgabe, und bis ich sie besser kenne, kann ich ohnehin nicht erwarten, dass sie mir vertraut. Das Handy vibriert in meiner Hosentasche, und ich ziehe es raus, weil ich hoffe, dass Sydney vielleicht beschlossen hat, mir noch mehr Texte zu schicken, aber die Nachricht ist von Maggie.

Maggie: Fast da. Bis in zwei Wochen.

 

Ich: Ich hab nicht gesagt, gib mir Bescheid, wenn du fast zu Hause bist, sondern, gib mir Bescheid, wenn du zu Hause bist. Jetzt hör auf zu schreiben und fahr lieber.

 

Maggie: Okay.

 

Ich: Aufhören!

 

Maggie: Okay!

Ich werfe das Handy aufs Bett und weigere mich, ihr noch einmal zurückzuschreiben. Ich will ihr keinen Grund geben, mir noch eine Nachricht zu schicken, bevor sie sicher zu Hause ist. Ich gehe in die Küche, hole mir ein Bier und pflanze mich dann neben den komatösen Warren aufs Sofa. Ich schnappe mir die Fernbedienung und drücke auf Info, um zu sehen, was er schaut.

Porno.

Das passt. Der Typ kann nichts anschauen, in dem keine Nackten vorkommen. Ich will gerade den Kanal wechseln, da schnappt er sich die Fernbedienung zurück. »Heute bin ich dran.«

Ich weiß nicht mehr, ob es Warren oder Bridgette war, der oder die beschlossen hat, dass wir die Glotze aufteilen, aber es war der schlechteste Einfall aller Zeiten. Vor allem weil ich nie genau weiß, welcher Abend meiner ist, obwohl das hier, theoretisch, eigentlich meine Wohnung ist. Ich kann schon von Glück sagen, wenn die beiden vierteljährlich ihre Miete begleichen. Ich lasse mir das gefallen, weil Warren schon seit der Highschool mein bester Freund ist, und Bridgette ist … nun, sie ist so gemein, dass ich mich am liebsten überhaupt nicht mit ihr unterhalten möchte. Ich habe das vermieden, seit Brennan sie vor sechs Monaten bei uns aufgenommen hat. Um Geld muss ich mir momentan überhaupt keine Sorgen machen, dank meines Jobs und der Anteile, die Brennan mir abgibt, und deswegen sage ich nichts. Keine Ahnung, wo Brennan sie aufgegabelt hat oder was für eine Beziehung die beiden haben. Obwohl ihre Beziehung eindeutig nicht sexuell ist, scheint er doch etwas für sie zu empfinden. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie und warum, da sie in meinen Augen keinerlei anziehende Eigenschaften besitzt, mal abgesehen von ihrem Aussehen, wenn sie diese Hooters-Uniform trägt.

Während mir dieser Gedanke durch den Kopf geht, fällt mir auch wieder ein, was Maggie gesagt hat, als sie erfuhr, dass Bridgette bei uns einziehen würde.

»Ist mir egal, wenn die bei euch einzieht. Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, dass du mich betrügst. Dann müsste ich mich von dir trennen, was dir das Herz brechen und uns beide für den Rest unseres Lebens ins Unglück stürzen würde. Und du wärst so depressiv, dass du überhaupt nie mehr aus dem Bett kämst. Also sieh zu, falls du mich betrügen willst, dass es der beste Sex ist, den du jemals hattest, weil es nämlich auch der letzte Sex sein wird, den du jemals haben wirst.«

Sie muss wirklich keine Angst haben, dass ich sie betrüge, aber das Szenario, das sie ausgemalt hat, reicht aus, dass ich Bridgette in ihrer Uniform gar nicht erst anschaue.

Wie zum Teufel sind meine Gedanken jetzt eigentlich hier hingewandert?

Genau daher rührt nämlich meine Schreibblockade. Ich kann mich in letzter Zeit einfach auf gar nichts mehr konzentrieren. Ich gehe in mein Zimmer, um den Text, den Sydney mir geschickt hat, zu Papier zu bringen und auszutüfteln, wie ich die Worte genau auf die Melodie verteile. Ich würde Sydney gerne schreiben, was ich von ihrem Text halte, aber ich tue es nicht. Ich will sie lieber eine Weile schmoren lassen. Ich weiß genau, wie nervenaufreibend es ist, jemandem ein Stück von sich selbst zu schicken und dann warten zu müssen, was die anderen davon halten. Vielleicht entwickelt sie ja das Bedürfnis, mir noch mehr zu schicken, wenn ich sie nur lange genug zappeln lasse und ihr erst dann sage, wie toll sie ist.

Das ist vielleicht ein bisschen grausam, aber sie hat ja keine Ahnung, wie sehr ich sie brauche. Jetzt, wo ich mir ziemlich sicher bin, dass ich endlich meine Muse gefunden habe, muss ich es geschickt anstellen, damit sie mir nicht wieder entschlüpft.

3.

Sydney

Wenn er den Text schlecht fand, hätte er mir doch wenigstens mal ein Danke schicken können. Ich weiß, es sollte mir nichts ausmachen, aber das tut es eben doch. Vor allem weil ich ihm den Text ja eigentlich gar nicht schicken wollte. Ich hab kein großes Lob von ihm erwartet, aber irgendwie ärgert es mich schon, dass er erst so rumbettelt und ihn dann einfach ignoriert.

Außerdem war er schon fast eine Woche lang nicht mehr zu seiner üblichen Zeit draußen. Ich wollte ihm deswegen schon mehrmals schreiben, aber wenn ich das mache, wird es so aussehen, als wollte ich wissen, was er von meinem Songtext hält. Ich finde es ätzend, wie wichtig es mir ist, dass der ihm gefällt. Aber der Gedanke, tatsächlich an einem echten Song beteiligt zu sein, ist auch ein wenig aufregend.

»Essen müsste gleich da sein. Ich hol noch schnell die Wäsche aus dem Trockner«, sagt Tori. Sie öffnet die Wohnungstür, und ich richte mich ein wenig auf dem Sofa auf, als ich von draußen den vertrauten Klang der Gitarre vernehme. Sie schließt die Tür wieder hinter sich, und obwohl es mir gerne egal wäre, eile ich in mein Zimmer und schlüpfe leise auf den Balkon hinaus mit einem Buch in der Hand. Wenn ich mich in meinem Liegestuhl ganz flach mache, merkt er vielleicht gar nicht, dass ich hier bin.

Aber sobald ich einen Fuß nach draußen setze, wandert sein Blick schon direkt zu meinem Balkon. Er begrüßt mich nicht mit einem Lächeln, noch nicht einmal mit einem Kopfnicken, als ich meinen Platz einnehme. Er spielt einfach weiter, und ich bin neugierig, ob er wohl so tun will, als hätte unsere Unterhaltung von letzter Woche gar nicht stattgefunden. Eigentlich wäre mir das ganz recht, denn mir selbst wäre es am liebsten, es hätte sie nie gegeben.

Er spielt die vertrauten Songs, und schon nach kurzer Zeit kann ich das Gefühl von Befangenheit abschütteln, dass er meinen Text dumm fand. Schließlich hatte ich versucht, ihn zu warnen.

Ich beende meine Hausaufgaben, während er weiterspielt, dann klappe ich das Buch zu und schließe die Augen. Für einen Augenblick ist es ganz still, und dann spielt er den Song, zu dem ich ihm den Text geschickt habe. Mitten im Lied hält die Gitarre für mehrere Sekunden inne, aber ich weigere mich, die Augen zu öffnen. Er spielt weiter, während mein Handy vibriert, um eine eintreffende Nachricht anzuzeigen.

Ridge: Du singst ja gar nicht.

Ich blicke zu ihm hinüber, und er starrt grinsend zurück. Dann senkt er den Blick auf seine Gitarre und folgt seinen Händen, die das Stück zu Ende spielen. Anschließend greift er wieder zu seinem Telefon und schickt noch eine Nachricht.

Ridge: Willst du gar nicht wissen, wie ich deinen Text fand?

 

Ich: Nein, weil ich mit ziemlicher Sicherheit schon weiß, was du gedacht hast. Immerhin hab ich ihn dir schon vor einer Woche geschickt. Kein Problem. Ich hab’s dir ja gleich gesagt, dass er dumm ist.

 

Ridge: Stimmt. Tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe. Ich war für ein paar Tage weg. Dringende Familienangelegenheiten.

Ich weiß nicht, ob er die Wahrheit sagt, aber die Tatsache, dass er behauptet, er sei weg gewesen, dämpft meine Bedenken, dass er meinetwegen nicht auf seinem Balkon war.

Ich: Alles okay?

 

Ridge: Jep.

 

Ich: Gut.

 

Ridge: Ich sage das jetzt nur einmal, Sydney. Bist du bereit?

 

Ich: Oh Gott. Nein. Ich mach jetzt mein Handy aus.

 

Ridge: Ich weiß, wo du wohnst.

 

Ich: Na gut.

 

Ridge: Du bist unglaublich. Dieser Text! Ich kann dir gar nicht sagen, wie perfekt er zu meinem Lied passt. Woher zum Teufel nimmst du diese Einfälle? Und warum willst du nicht einsehen, dass du diese Eingebungen zulassen musst? Du darfst sie nicht zurückhalten. Durch deine Bescheidenheit machst du die Welt ein Stück ärmer. Ich weiß, dass ich versprochen habe, dich nicht um mehr zu bitten, aber ich hätte auch nicht erwartet, etwas so Geniales von dir zu bekommen. Ich brauche mehr. Bitte, bitte, bitte.

Ich atme hörbar aus. Bis zu diesem Augenblick hatte ich mir nicht klargemacht, wie viel mir seine Meinung bedeutet. Ich bringe es noch nicht über mich, zu ihm hinüberzuschauen, und starre daher weiter auf mein Handy, auch als ich die Nachricht längst gelesen habe. Ich schreibe noch nicht einmal zurück, weil ich zunächst nur das Kompliment genieße. Hätte er gesagt, der Text gefiele ihm gut, hätte ich seine Meinung mit Erleichterung zur Kenntnis genommen und mich nicht weiter darum gekümmert. Aber das, was er soeben geschrieben hat, führt wie eine Treppe nach oben, und jedes Kompliment trägt mich eine Stufe höher, bis ich ganz an der Spitze angelangt bin.

Unfassbar! Ich glaube, dass mich diese eine Nachricht von ihm mit dem notwendigen Selbstvertrauen versorgt, das ich brauche, um ihm noch einen meiner Songtexte zu schicken. Nie im Leben hätte ich so etwas für möglich gehalten. Hätte nicht geglaubt, wie sehr ich mich darüber freue.

»Essen ist da«, sagt Tori. »Willst du hier draußen essen?«

Nur mit Mühe kann ich den Blick von meinem Handy lösen und mich ihr zuwenden. »Äh. Ja. Klar.«

Tori trägt das Geschirr nach draußen auf den Balkon. »Den Typ da drüben hab ich mir bisher noch nie näher angesehen«, sagt sie und starrt Ridge an, der weiter Gitarre spielt. »Der sieht ja verdammt heiß aus. Und das, wo ich eigentlich gar nicht auf blond stehe.«

»Aber er ist doch gar nicht blond. Seine Haare sind braun.«