Die Midgard-Saga - Hel - Alexandra Bauer - E-Book

Die Midgard-Saga - Hel E-Book

Alexandra Bauer

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Beschreibung

Nachdem alle Versuche den Fenriswolf zu fangen, gescheitert sind, glauben die Asen, dass es nur noch einen Weg geben kann, Ragnarök zu verhindern. Odins Sohn Balder, der in der Totenwelt gefangen ist, muss befreit werden. Doch die Totengöttin zu verärgern, könnte weitreichende Folgen haben. Einmal mehr bestimmt Odin Thea dazu, den Asen zu helfen. Doch schon vor ihrem Eintreffen an den Toren zur Unterwelt überschatten dunkle Nachrichten ihr Vorhaben.

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Seitenzahl: 520

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Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Hel

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

Orte und Ereignisse

(Magische) Gegenstände

Impressum neobooks

Prolog

Großes Unheil kündigte sich an. Balder, Odins Sohn, plagten Todesträume. Stets galt er als der Beste, Schönste und Hellste unter den Asen, nur Gutes gab es von ihm zu berichten. Die Asen wussten, sollte Balder etwas passieren, wäre es auch um sie geschehen. Darum versammelten sie sich und hielten Rat.

Lange rätselten sie, was zu tun war. Dann zog Frigg in die Welt hinaus und ließ alle Dinge und Wesen im Himmel und auf Erden Eide schwören, Balder zu verschonen. Nichts und niemand sollte ihm ein Haar krümmen. Nur ein junger Mistelzweig schien Frigg zu unbedeutend, um ihm den Eid abzunehmen.

Als Frigg ihr Werk vollendet hatte, kehrte sie nach Asgard zurück. Dort feierten die Asen ein Fest, bei dem sie sich damit vergnügten, Balder mit Pfeilen zu beschießen. Sie bewarfen ihn mit Steinen und hieben mit ihren Waffen nach ihm. Nichts verletzte Odins Sohn.

Loki teilte die Freude der Asen nicht. Voller Neid und Hass beobachtete er den Liebling der Götter. In der Gestalt eines alten Weibes suchte er Frigg auf, schwärmte von der Unverwundbarkeit des Göttersohns und lobte ihre Tat in den hohen Tönen. Erst dann fragte er, ob sie wirklich alles bedacht habe.

„Nichts wird ihm schaden. Ich habe von allen Wesen und Dingen heilige Eide empfangen“, gab Frigg preis.

„Das ist wundervoll! Und wirklich jedes Ding und jedes Wesen hat einen Eid geschworen?“, bohrte Loki nach.

„So ist es. Nur ein Mistelzweig schien mir zu jung und schwach, sodass ich ihm den Eid nicht abnahm“, erzählte Frigg.

Daraufhin verabschiedete sich das Weib. Loki aber ging auf die Suche nach einem Mistelzweig und eilte zurück zu den Asen, die noch immer feierten und ihren Spaß mit Balder trieben.

Etwas abseits von allen entdeckte Loki den blinden Hödur, der nicht am Spiel teilnahm.

„Warum erteilst du Balder nicht die Ehre und schießt auf ihn?“, fragte Loki.

Hödur lachte. „Hast du vergessen, dass ich blind bin? Außerdem habe ich keine Waffe.“

„Ich helfe dir“, erwiderte Loki. „Ich habe diesen Zweig, mit ihm kannst du auf Balder schießen. Ich werde den Pfeil für dich lenken.“

So schoss Hödur den Pfeil und Odins Sohn fiel entseelt zu Boden. Entsetzt starrten die Asen auf den toten Gott – und Loki floh.

Trauer herrschte in Asgard. Man bahrte Balder auf einem Schiff auf. Kaum aber lag der Leichnam auf dem Scheiterhaufen, brach auch seine Frau Nanna zusammen und starb. Die Asen betteten sie an die Seite ihres Gemahls.

Alle gaben dem Gott Wünsche der Hoffnung mit auf seinen Weg. Auch Odin flüsterte ihm einige Worte ins Ohr, ehe Thor das Totenschiff entzündete. Die Riesen stießen es hinaus aufs Meer. Dort wurde es von den weinenden Töchtern Ägirs begleitet, bis es von einer Flutwelle verschlungen und auf den Grund des Meeres gezogen wurde.

Niemand trauerte schwerer um Balder als seine Mutter Frigg. Auf ihr Drängeln hin erklärte sich Hermodr schließlich bereit, Hel aufzusuchen und die Totengöttin zu bitten, Balder wieder frei zu geben. Auf Odins Pferd Sleipnir ritt er neun Tage, bis er Hel erreichte. Er mühte sich vergebens, die Totengöttin milde zu stimmen. Sie erklärte sich aber damit einverstanden, Balder zurück zu den Asen zu lassen, wenn alle Geschöpfe und Dinge der Welt um ihn weinten.

Jedes Wesen, sogar die Steine, weinten um Balder. In einer düsteren Felsenhöhle jedoch saß eine grimmige Riesin, Thökk mit Namen, die weigerte sich, auch nur eine Träne zu vergießen. Kein Bitten und Flehen konnte sie rühren.

Viele Asen, die mit Betroffenheit die Weigerung des finsteren Weibes vernahmen, glaubten, dass Loki sein hasserfülltes Werk in der Gestalt der Trollfrau fortsetze. Doch die Beweise fehlten.

So blieb Balder im Reiche der Hel und der Anbruch Ragnaröks lag fortan als dunkler Schatten über dem Handeln aller Asen.

1. Kapitel

Kyndills Flammen malten ein Muster aus Licht und Schatten auf Theas Gesicht. Angestrengt betrachtete sie die lodernde Klinge, während sie das Schwert auf Wal-Freya gerichtet hielt. Die Wanengöttin stand ihr gegenüber, die Arme ausgestreckt, die Finger neben der Waffe gespreizt. Eisiges Schweigen schraubte die Spannung zwischen beiden ins Unermessliche. Das Flammenschwert spiegelte sich in den strengen Augen Wal-Freyas wider. Die oberste Walküre hatte ihre schwere Rüstung gegen ein dunkelgrünes Kleid getauscht, über dem sie ein blaues Überkleid mit Rundhals trug. Jedweder Prunk fehlte der Aufmachung, einzig ihr Gürtel war mit einer silbernen Schnalle und aufwändig gearbeiteten Knotenmustern versehen. Thea trug ebenfalls ein grünes Kleid mit dazugehörigem, moosgrünem Überkleid. Sie hatte mit Engelszungen auf Wal-Freya eingeredet, doch die Walküre hatte darauf bestanden, dass Thea in diesem Gewand erschien. Schließlich sei sie eine Frau und das solle sie auch zeigen. Thea ahnte, dass die Wanin etwas damit bezweckte. Schon lange hatte sie den Verdacht, dass sie versuchte, ihr und Tom eine Romanze anzuhängen. Doch Tom war nur ein Freund. Es war ausgeschlossen für Thea, dass sie jemals mehr für ihn empfinden würde. Mehrmals hatte sie dies Wal-Freya versichert und sie angefleht, nicht die Liebesgöttin bei ihnen zu spielen. Aber Wal-Freya hatte nur gelächelt und Thea die Haare aus dem Gesicht gestrichen.

Für Thea war es ungewöhnlich, der Walküre gegenüber zu stehen, ohne dass diese ihre goldschimmernde Rüstung trug. In einem Kleid wirkte Wal-Freya beinahe verletzlich und nicht wie die tapfere Kriegerin, als die Thea sie kennengelernt hatte. Dennoch büßte Wal-Freya nichts von ihrer imposanten Erscheinung ein. Den Kopf gesenkt ließ sie ihre Schülerin nicht aus den Augen. Thea hingegen hatte das Gefühl für Zeit schon lange verloren. Es musste etwa eine Stunde vergangen sein, seit sie so vor der Walküre stand, gefangen im Versuch Kyndills Mächte zu bändigen.

Als sie die Situation kaum mehr ertragen konnte, wurde die Tür des Zimmers aufgerissen und Juli steckte den Kopf hinein. Thea drehte sich zu ihr um und lächelte, Wal-Freya allerdings rollte die Augen. Verärgert stemmte sie die Hände in die Hüften.

„Juli“, seufzte sie. „Was an den Worten ‚du sollstnicht stören‘ ging nicht in deinen Schädel?“

Juli ließ den Finger an der Schläfe kreisen. „Ab ‚du sollst‘ ist alles verschwommen“, erwiderte sie herausfordernd. Nachdem Wal-Freyas Blick eindringlicher wurde, lachte Juli. „Jetzt komm schon, Wal-Freya! Ihr seid schon eine Ewigkeit hier drin! Das ist kaum auszuhalten! Dieses Seidr-Ding nervt!”

„Das Seidr erlernt man nicht in fünf Minuten, Juli. Zauberei muss mit allen Sinnen gefühlt werden.“

Ein weiterer Kopf erschien in der Tür. Tom lugte vorsichtig in den Raum und trat ein. Er trug noch immer die Kleider, die er von Frigg für sein Abenteuer in Jötunheim bekommen hatte. Eine helle Hose, die von Wadenwickeln umschlossen wurde und eine schwarze Tunika mit einer blauen Untertunika. Nur auf das Kettenhemd und den schwarzen Umhang hatte er verzichtet. Kurz nach ihm tauchte eine dritte Person auf. Sie war etwa in Theas Alter. Ein rotes Gewand, mit schwarzen Borten und Mustern aus goldenem Faden verziert, verhüllte ihren Körper.

„Hallo Thea? Hat es endlich geklappt?“, fragte sie.

„Baba! Du bist hier?“

Die jüngste der Baba Jagas lächelte. „Schon eine Weile.“

Fröhlich trat Thea einen Schritt auf das Mädchen zu und umarmte sie, ohne Kyndill dabei aus der Hand zu nehmen. In den vergangenen zwei Wochen waren sie zu engen Freunden geworden. Nachdem Odin Thea den Wunsch verwehrt hatte, nach Midgard zurückzukehren, brach eine Welt für Thea zusammen. Da sich Loki und Fenrir auf freiem Fuß befanden und Thor in Jötunheim geblieben war, wollte Odin Kyndill in Asgard wissen. Es war Wal-Freya und ihren Freunden zu verdanken, dass Thea nicht verzweifelte, aber auch den Baba Jagas. Thea, Tom und Juli hatten die dreifaltige Göttin oft besucht. Während die Asen fortwährend über das weitere Vorgehen berieten, hatten sich die Jugendlichen angefreundet.

Der Plan der Asen bestand darin, dass Thea und Wal-Freya ins Totenreich Hel reisen sollten, um Balder zu befreien. Ein Vorhaben, mit dem sich Odin zunächst einverstanden erklärt hatte, später jedoch daran zweifelte. Zu viel stand auf dem Spiel, wenn die Unternehmung misslang und er die Totengöttin gegen die Asen aufbrachte. Er hatte eine Völva aufgesucht und sie um Rat gefragt. Diese hatte von einem alten und längst vergessenen Pfad ins Totenreich erzählt, mit dem es Wal-Freya und Thea möglich wäre, Hel ungesehen zu betreten - ein versteckter Zugang, der angeblich weit entfernt am äußersten Zipfel Niflheims lag. Ihren Worten folgend hatte Odin Hermodr nach Niflheim geschickt, um jenen Weg zu finden. Bereitwillig war Hermodr auf Odins Pferd Sleipnir davongeeilt. Seitdem wartete Thea ungeduldig auf Hermodrs Rückkehr, denn jeder Tag, den er länger nach dem geheimen Pfad suchte, bedeutete für sie einen Tag länger von ihrer Familie in Midgard getrennt zu sein. Bevor Wal-Freya Thea für sich vereinnahmte, um ihr Seidr zu schulen, waren die Freunde stets zusammen in Asgard aufzufinden gewesen. Thea genoss die Zeit mit ihnen. Es lenkte sie von der verantwortungsvollen Aufgabe ab, die vor ihr lag. Nie zuvor spürte sie die Hoffnungen und Erwartungen der Götter schwerer auf sich lasten als in dieser Zeit. Thor war in Jötunheim geblieben, Freyr hatte sein magisches Schwert einst an seinen Diener verschenkt. Thea besaß die einzige Waffe, die in Odins Augen Schutz in Hel bot. Zwar konnte Odin Gungnir, einen magischen Speer, sein Eigen nennen, doch alle Asen vertraten die Meinung, dass der Göttervater nicht nach Hel gehen dürfe. Von einen auf den anderen Tag war Thea somit zur Hoffnungsträgerin der Asen geworden. Man behandelte sie mit großem Respekt, die Einherjer neigten sogar die Köpfe vor ihr. Für Thea jedoch ein schwer zu ertragendes Schicksal. Auch wenn Wal-Freya es anders sah, sie war nur ein Mädchen, noch lange nicht erwachsen und zu alledem ein einfacher Mensch. In den Momenten, in denen sie mit Tom, Juli und Baba Jaga durch Asgard streifte, wenn sie im Haus der Baba Jagas einfach nur lachten, kochten und die Stunden bei fröhlichen und alten Geschichten verbrachten, war Thea in der Lage, ihr Schicksal anzunehmen. Dann dachte sie nicht voller Sehnsucht an ihre Familie, die sie in Midgard hatte zurücklassen müssen.

Juli richtete den Finger auf Kyndill. Anders als Thea war es Juli gelungen, sich Wal-Freyas Kleiderordnung erfolgreich zu widersetzen. Sie trug eine Hose unter dem Überkleid, das sich nur in der blauen Farbe von Theas unterschied. „Wenn du dich damit beeilen würdest, wüsstest du, dass Baba schon seit einer Stunde auf dich wartet!“

Wal-Freya stellte sich vor Thea und legte die Hand an die Tür. Juli stemmte den Fuß dagegen, um zu verhindern, dass Wal-Freya die Freunde aus dem Zimmer schob.

„Es wird nie funktionieren, wenn ihr ständig kommt und sie unterbrecht“, sagte Wal-Freya eindringlich.

„Ständig?“, wiederholte Juli. „Das ist das erste Mal!“

Ein Lächeln huschte über Wal-Freyas Lippen. „Seit heute.“

Baba Jaga verzog das Gesicht. „Vielleicht lässt sich Kyndill nicht beherrschen. Es ist ein Zauberschwert. Möglicherweise hat es einen ungezügelten Willen, ganz wie das Element, das es in sich trägt.“

Es war Wal-Freyas Absicht, dass Thea lernte, Kyndills Kräfte zu kontrollieren und die Flamme, die in ihm wohnte, zu bändigen. Sie hoffte, dass Thea mit dieser Fähigkeit in Hel weniger Aufsehen erregen würde, denn das Zauberschwert entfaltete selbst dann seine Kraft, wenn Thea es nur leicht berührte. Seit Tagen gängelte Wal-Freya sie zu üben. Der Erwartungsdruck, der auf Thea lastete, trieb ihr das eine oder andere Mal Tränen in die Augen, doch die Wanengöttin blieb unerbittlich.

„Jedes Feuer lässt sich kontrollieren, wenn man ihm ein gutes Gefäß baut“, beharrte Wal-Freya.

„Ich kenne ein paar Häuser mit festen Kaminen, die aufgrund eines einzigen Funkenflugs niedergebrannt sind“, erwiderte Baba Jaga. „In Kyndill brennt kein gewöhnliches Feuer, es ist das Feuer eines Drachen. Dessen Natur ist ebenso unberechenbar und gefährlich wie das Element, das in Kyndills Klinge gebunden ist.“

Wal-Freyas Blick blieb fest. „Es muss funktionieren! Wenn Thea in der Unterwelt damit herumspielt, fliegen wir eher auf als uns lieb ist.“

„Wir sind schon überall ziemlich schnell aufgeflogen“, erinnerte Juli.

„Und haben stets überlebt“, pflichtete Thea bei, was ihr einen rügenden Blick von Wal-Freya einbrachte.

„Ziemlich knapp, wenn ich dich daran erinnern darf, junge Dame! Noch einmal möchte ich sowas wie in Jötunheim nicht erleben!“

Thea trat verlegen auf der Stelle.

„Jetzt komm schon, Wal-Freya! Sie kann das morgen auch noch lernen!“, bettelte Juli.

„Gerade du wirst großes Interesse daran haben, dass wir unauffällig in Hel bleiben“, wetterte Wal-Freya.

„Ist Hermodr schon zurück? Hat er den alten Weg in die Unterwelt gefunden?“, fragte Tom.

„Nein, lieber Tom, er ist noch nicht zurück. Aber es wird nicht mehr lange dauern. Bis dahin sollte Thea ihr Flammenschwert beherrschen.“

„Auf jeden Fall! Aber jetzt ist ihre Anwesenheit von allerhöchster Dringlichkeit“, erklärte Baba Jaga.

Wal-Freya verschränkte die Arme. „So, ist sie das? Wollt ihr wieder Steine auf Midgard werfen? Du bist mehrere hundert Jahre alt, Baba Jaga. Dieses Teenagerverhalten steht dir nicht gut zu Gesicht. Du, Juli, hast wenigstens ein Leben gelebt, das dir ein wenig Vernunft beigebracht haben sollte. Von Thea wollen wir an dieser Stelle gar nicht reden.“

Mit unschuldigem Blick hob Juli die Hände. „Du sagst doch immer, dass wir unsere Erinnerungen an unsere alten Leben nicht bekommen haben, um uns darin zu verlieren.“

„Was dir offensichtlich nicht schwerfällt“, erwiderte Wal-Freya trocken.

Juli lachte und Thea ließ sich von ihrer Erheiterung anstecken.

„Es wurde Zeit, dass du mal wieder lachst“, schmunzelte Juli und gab Thea einen Knuff.

Baba Jaga schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass sich Kyndill beherrschen lässt. Thea versucht es seit so vielen Tagen.“

Seufzend presste Wal-Freya die Lippen zusammen. „Vielleicht ist Thea einfach noch nicht stark genug.“

Baba Jaga runzelte die Stirn. „Oder sie ist zu stark. Thea ist mit Kyndill verbunden. Möglicherweise muss sie nicht lernen, das Schwert zu beherrschen, sondern sich selbst.“

Wal-Freyas Blick wechselte von der dreifaltigen Göttin zu Thea. Wal-Freya hatte den Sinn in Baba Jagas Worten nicht verstanden, aber sie schien darüber nachzudenken. Schließlich entspannten sich ihre Gesichtszüge. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Na los! Geh mit ihnen. Aber stellt bitte nichts an!“

„Das war nur einmal! Und es ist doch gar nichts passiert!“, empörte sich Tom.

„Wie sollten wir auch ahnen, dass die Steine ungebremst zur Erde fallen und nicht in der Atmosphäre verglühen?“, murrte Juli.

Wal-Freya seufzte tief und legte den Kopf schief. „Vielleicht weil du auch nicht verglüht bist, als wir von Asgard nach Midgard geflogen sind?“

Juli lachte. „Stimmt! Was für ein Glück!“

Die Liebesgöttin hob den Finger in Theas Richtung. „In drei Stunden bist du zurück. Sei so lieb und halte dich dran.“

Thea nickte dankbar. Dann lief sie Juli nach, die ihr verschwörerisch auf den Oberarm knuffte und vorauseilte. Sie querten Wal-Freyas Halle, in der Bygul und Trjegul zusammengerollt vor dem brennenden Kamin lagen. Kurz hoben sie die Köpfe, als sie die Freunde entdeckten. Tom schnappte sich einen Apfel vom Tisch und beschleunigte seinen Schritt, um zu Juli aufzuschließen. Diese öffnete bereits die Tür, trat ins Sonnenlicht und nahm den Pfad in Richtung der oberen Götterburgen.

„Erzähl! Was gibt es so Geheimnisvolles?“, fragte Thea, als sie die Treppe erreichten.

„Wir haben Alwis gefunden!“, erklärte Tom bedeutungsvoll.

„Alwis?“, erwiderte Thea. Angestrengt und suchte in ihren Erinnerungen nach der Geschichte, die mit dem Namen verbunden war. „Was für ein Alwis?“

Während ihr Atem schneller wurde, erklärte Juli: „Das ist der Zwerg, der Thrud heiraten wollte und den Thor bis zum Morgen mit Wissensfragen ablenkte.“ Sie nahm die Hände zur Hilfe, um die Treppenstufen zu überwinden.

Hastig stolperte Thea ihrer Freundin nach. „Der Zwerg, der zu Stein geworden ist?“ Sie verfolgte Baba Jaga mit ihrem Blick, die flott an ihr vorbeieilte, und dabei immer zwei Stufen auf einmal nahm, ohne eine Spur von Erschöpfung zu zeigen. „Genau der! Du musst ihn dir anschauen, er sieht umwerfend aus!“

Thea strauchelte über eine Treppenstufe und fing sich gerade noch, als Tom ihr die Hand entgegenstreckte. „Ich weiß nicht, ob ich mich daran ergötzen möchte“, erwiderte sie, nickte Tom dankbar zu und lief weiter.

„Du verpasst etwas, wenn du ihn dir nicht ansiehst. Wirklich! Er steht in einem Hain“, versicherte Juli. Sie kam an einer Gabelung zum Stehen und schlug den Weg zu ihrer Linken ein.

„Sif wird uns aus ihrem Garten werfen, wenn sie uns erwischt!“, mahnte Thea, die erkannte, dass Juli schnurstracks auf Thrudheim zuhielt, dem Teil Asgards, in dem Thors Saal Bilskirnir stand.

„Quatsch! Du weißt doch, dass wir das Gastrecht genießen!“ Juli zwinkerte schelmisch.

„Und das ist heilig in Asgard“, bestätigte Baba Jaga.

Sie querten einen Pfad zwischen einer Ansammlung von Tannen, die so hoch und dicht standen, dass kaum ein Sonnenstrahl den Boden erreichte. Erst als sie aus dem Wäldchen auf eine Wiese traten, flutete die Sonne wieder ungehindert auf die Landschaft. Thea war in den letzen Wochen drei Mal in Thrudheim gewesen, dennoch staunte sie erneut über die Schönheit und die Magie, die diesen Ort umgab. Von weitem schien Asgard ein einziges Gebäude zu sein. Aber jeder Pfad zu den einzelnen Götterhallen warf eine neue Welt auf, offenbarte, dass jeder Gott in seinem eigenen kleinen Asgard wohnte. Thors Halle lag inmitten einer Hügellandschaft. Der Pfad zwischen den Grasnarben bestand aus einzelnen, goldenen Fliesen, zwischen denen sich Moose und Flechten ausbreiteten. Bilskirnir war wie alle Dächer der Götterburg von Reet bedeckt. Die Windbalken, die weit über den Dachfirst hinaus ragten, bildeten zwei Böcke, eine Ehrung an Tanngrisnir und Tanngnjostr, Thors tierische Gefährten.

Sie folgten dem geschlängelten Pfad bis kurz vor den Eingang der Halle. Dort bogen sie zur Seite ab, um entlang der Stirnseite des Gebäudes zu laufen. Neben Gladsheim und Folkwang mit ihren Hallen Walhall und Sessrumnir, war Bilskirnir einer der größten Wohnorte in Asgard. So brauchten die Freunde eine Weile, ehe sie um die Ecke der Halle in einen Hain gelangten. Bäume mit flachen Kronen krümmten sich über dem von zarten Gräsern bewachsenen Boden und überdachten Findlinge und Farne. Vogelgesang schallte von den Bäumen, von überall her regte sich Leben. Ein Eichhörnchen sprang zwischen den Ästen, ein Fuchs blieb in einiger Entfernung stehen, setzte sich nieder und beäugte die Gruppe aufmerksam.

„Das ist wunderschön“, sagte Thea fasziniert.

„Nicht wahr? Und die Tiere haben alle keine Angst“, bemerkte Tom.

„Wahrscheinlich weil Thor nur Jagd auf Rehe und Wildschweine macht“, schmunzelte Juli. Sie deutete in eine unbestimmte Richtung. „Hier lang!“

Sie liefen ein Stück in den Wald hinein, bis Juli vor einer Statue stehen blieb. Die gedrungene Gestalt reichte Thea gerade bis zur Hüfte. Sie stand in breiten Stiefeln da, und war mit Tunika und Rüstung bekleidet. Ein Vollbart legte sich über ihre Brust. Jeder Gesichtszug der steinernen Figur wirkte so echt, dass es Thea schwer ums Herz wurde.

„Faszinierend, oder?“, hörte Thea Juli sagen.

Thea nickte. „Bedauernswerte Zwerge. Sie sterben, sobald sie das Sonnenlicht erblicken. Ich würde wahnsinnig werden, wenn ich ohne Sonne leben müsste.“

„Er scheint unglaublich verliebt gewesen zu sein. Er hat so viel riskiert“, sagte Baba Jaga und berührte die Figur an der Schulter.

„Vor allem aber rechnete er sich gute Chancen gegen Thor aus, wenn er darüber hinaus die Zeit vergaß“, merkte Tom an.

„Wer würde Thor sowas auch zutrauen? Er ist zwar ein Hitzkopf, aber ich kenne ihn als sehr gerechtigkeitsliebend“, erwiderte Baba Jaga.

„Eines Tages werdet ihr eigene Kinder haben und begreifen, dass man für sie alles tut“, mischte sich eine Stimme in ihr Gespräch. Alle drehten sich um. Über Theas Gesicht huschte ein Lächeln. Sif hatte sich ihnen lautlos genähert. Sie steckte in einem hellen Kleid. Zwei kostbare Fibeln über der Brust hielten das dunkelrote Überkleid. Ihr langes goldenes Haar lag offen um ihre Schultern und funkelte mit ihren Augen um die Wette.

„Sif“, begrüßte Juli sie. „Waren wir zu laut? Wir wollten dich nicht stören.“

Noch immer lächelte die Asin. „Ihr stört nicht.“ Sie bedachte die Statue mit einem wehmütigen Blick und seufzte. „Thor machte sich Vorwürfe wegen dem, was er Alwis antat. Aber er handelte so, wie es für unsere Tochter das Beste war. Es wäre Unrecht gewesen, ihm Thrud zu überlassen.“

Tom runzelte die Stirn. „Haben sich Alwis und Thrud denn nicht geliebt? Ich dachte, Thor hätte nur etwas gegen ihre Verlobung gehabt.“

Sif schüttelte den Kopf. „Nein. Über die Verlobung wurde im Thing entschieden. Alwis forderte Thrud dafür, dass er Asgard Waffen schmiedete. Die Mehrheit entschied, dass man sich auf den Handel einließ. Thrud war verzweifelt und Thor platzte vor Wut, als er von seiner Reise zurückkehrte. Er hätte solch einer Vereinbarung niemals zugestimmt.“

„Ziemlich schlau von Thor, Alwis stattdessen in einen Wettstreit zu verwickeln und diesen bis zum Sonnenaufgang hinauszuzögern“, merkte Thea an.

„So ist es. Aber was kümmert ihr euch um eine alte Steinstatue, während Hermodr zurück aus Niflheim gekommen ist?“

Juli riss die Augen auf. „Was? Hermodr ist zurück?“

Sif lächelte. „Er kam vor wenigen Minuten. Ich bin auf dem Weg zum Thingplatz. Kommt ihr mit? Ich denke, man wird euch dulden.“

„Wir kommen sowas von mit!“, rief Juli. Sie rannte los, die anderen hinterher. Von einem schlechten Gewissen gepackt, da sie Sif einfach stehen ließen, warf Thea einen Blick zur Göttin zurück, die ihnen ohne Gram folgte. Juli nahm gleich zwei Stufen auf einmal. Hier und da stolperte sie gefährlich. Thea und Tom hatten Mühe, Schritt zu halten, nur Baba Jaga lief die Treppen leichtfüßig hinab.

Eingehegt in einen Kreis aus Findlingen hockten die Asen im Schatten der Weltenesche zusammen. Wal-Freya saß neben Tyr, in gebührendem Abstand zu Frigg, die aufrecht und sehr würdevoll rechts von Odin Platz nahm. Fast alle hatten sich eingefunden, nur Heimdall fehlte noch, ebenso wie Saga und Ullr. Thrud saß ebenfalls im Kreis. Ihre blauen Augen leuchteten hell aus ihrem sonnengebräunten Gesicht. Sie sah aus, als wäre sie geradewegs von ihrem fliegenden Pferd gestiegen, doch Schild und Schwert fehlten. Anders als Wal-Freya trug sie eine Pluderhose. Ihr Kettenhemd blitzte unter einer blauen Tunika hervor. Thea suchte nach einer Ähnlichkeit zu Sif, aber Thrud kam eher nach ihrem Vater, rothaarig, stämmig und ein wenig mürrisch. Sif legte ihre Hände auf Baba Jagas Schulter, ging an Thea, Tom und Juli vorbei und nahm neben Thrud Platz.

Frohgemut wollte sich Juli ihr anschließen, doch Thea packte sie rasch am Arm und hielt sie zurück. Thea ahnte, dass sie mit ihrer Anwesenheit in eine sehr alte Tradition der Asen eingriffen und fürchtete, gegen irgendein Gesetz zu verstoßen. Verunsichert suchte Thea Wal-Freyas Blick. Diese sprach zu ihr, noch ehe es Thea tat.

„Gut gemacht, Thea! Wartet ab, bis ihr eingeladen werdet. Forseti wird euch sicher willkommen heißen, sobald alle da sind“, lobte sie.

„Was ist?“, stutzte Juli.

„Warte“, flüsterte Thea.

Nach und nach füllten sich die Plätze. Ullr traf zuerst ein. Er war groß und von imposanter Erscheinung. Über seinen breiten Schultern lag ein schwerer Umhang, seine blonden Haare waren zum größten Teil unter einer Fellmütze versteckt. Ein gestutzter Vollbart schmückte sein Gesicht. Er nickte Thea, Juli, Tom und Baba Jaga zu und fand sich gleich neben Tyr ein. Kurz nach ihm erschien Saga, eine schlanke Frau mit langen, schwarzen Haaren. Sie setzte sich zu Sigyn, Lokis Frau. Es war das erste Mal, dass Thea Sigyn aus der Nähe sah. Sie bewunderte die Asen dafür, dass sie der Göttin trotz des Verrats, den ihr Mann begangen hatte, respektvoll begegneten und sie nicht verstießen. Offensichtlich waren die Asen gut in der Lage, Lokis Taten von denen seiner Frau zu unterscheiden. Dennoch glaubte Thea, Verunsicherung in Sigyns Blick zu erkennen. Anders als alle anderen saß sie weniger aufrecht in der Runde und strich sich immer wieder eine Strähne hinter das Ohr, die sich aus ihrer Stirn löste. Als Heimdall auftauchte, lachte er beherzt und klopfte erst Tom, dann Juli und Thea auf die Schulter. Baba Jaga nickte er respektvoll zu.

„Natürlich treffe ich euch hier“, polterte er, betrat die Einhegung und nahm gezielt einen der freien Steine ein. Fünf Plätze blieben leer. Einer davon befand sich links neben Odin.

Kaum saß Heimdall, erhob sich Forseti. Er war ein überaus hübscher Mann, wie Thea fand. Er wirkte unglaublich jung, allenfalls Mitte zwanzig. Sein blondes langes Haar war so hell, dass es beinahe weiß erschien, ein schmaler Bart deutete sich entlang der Kinnlinie und um seinen Mund an. Er trug eine Pluderhose und eine Tunika mit goldverzierten Borten. Kaum hatte er sich erhoben, fiel sein Blick auf die Gruppe außerhalb des Thingplatzes.

„Wir haben Freunde anwesend, die, wie mir scheint, am Rat der Götter teilnehmen möchten. Wenn es keine Einwände gibt, würde ich sie zu uns bitten.“ Er wartete einen Augenblick. Da sich niemand äußerte, beschrieb er mit der Hand eine einladende Geste. Juli sprang in den Kreis und suchte sich einen freien Platz. Odin winkte Tom zu sich. Dieser nahm die Einladung dankend an und setzte sich neben den obersten der Götter.

Baba Jaga folgte mit einem Lächeln und gesellte sich zu Sif, nur Thea blickte verhalten. Schließlich entschied sie sich für den Platz neben Sigyn. Die Göttin tat ihr leid und sicher würde sie Theas Geste begrüßen. Kaum hatte sie Platz genommen, ging ein Raunen durch die Reihe der Asen.

Thea runzelte verwundert die Stirn und wandte sich an Wal-Freya. „Was ist? Was haben sie plötzlich?“, fragte sie in der Gedankensprache.

„Du hast dich auf Lokis Platz gesetzt“, erwiderte Wal-Freya in einem Ton, der Thea nicht gefiel.

„Ziemlich schwer, den nicht zu treffen, bei zwei freien Plätzen“, motzte Thea.

„Wir sollten der Sache nicht zu viel Bedeutung schenken“, sagte Forseti.

Thea nickte für sie selbst überraschend energisch und wechselte den Blick zwischen Odin und Frigg, deren Augen ausdruckslos auf ihr ruhten.

Odin neigte langsam den Kopf und hob die Hand auffordernd in Hermodrs Richtung. Der stand auf und ließ seinen Blick über die Reihe der Anwesenden schweifen, ehe er verkündete: „Die Völva hatte Recht. Es gibt einen dritten Eingang nach Hel. Er liegt im äußersten Nordwesten Niflheims und führt durch eine Höhle direkt zu den Untiefen des Gjölls. Holle ist davon überzeugt, dass er unbewacht ist, denn über den Gjöll führt für die Toten kein Weg aus Hel hinaus.“ Er schmunzelte und blickte in Theas Richtung. „Und normalerweise ist kein lebendes Wesen so verrückt, nach Hel zu reisen.“

Thea presste die Lippen zusammen. „Es sei denn, sie sind mit Göttern befreundet und werden dazu … sagen wir mal … überredet“, erwiderte sie in der Gedankensprache zu Wal-Freya.

„Eine sehr ehrenvolle Aufgabe für einen Menschen, seinen Göttern zu helfen.“ Wal-Freya lächelte und Thea antwortete mit einem Seufzen.

„Holle weiß ebenfalls um den geheimen Pfad nach Hel. Sie heißt unsere Idee nicht gut, aber sie glaubt, dass Skidbladnir in der Lage ist, uns über den Gjöll nach Hel zu bringen.“

Thea schmunzelte in der Erinnerung an das magische Schiff, das sie zu ihrem ersten Abenteuer nach Niflheim gebracht hatte. Thor hatte es von Freyr geliehen bekommen. Einst war es von den Zwergen geschaffen worden. Es ließ sich zu einem Pergament zusammenfalten und in einer Tasche verstauen.

Freyr stand auf und Hermodr setzte sich. „Ich kann euch Skidbladnir gerne anvertrauen“, sprach er in Richtung seiner Schwester.

Nun erhob sich Wal-Freya. „Und wo finden wir diesen Eingang?“Freyr nahm Platz während Odin aufstand. „Hermodr wird euch begleiten. Er wird eine große Hilfe sein. Er ist der Einzige von uns, der bereits in Hel war.“

„Viel habe ich nicht gesehen, aber ich werde gerne mitkommen“, erwiderte Hermodr.

Wal-Freya nahm wieder Platz. Sie beugte sich weit vor und suchte Odins Blick. „Was ist, wenn es zu Komplikationen kommt, Odin? Sollen wir aufs Äußerste gehen, um unser Ziel zu erreichen?“

Die Gesichtszüge des Göttervaters verhärteten sich. „Ab dem Zeitpunkt, an dem ihr die Grenze zum Totenreich überschreitet, werden wir Hel vergrämen. Darum ja, geht bis zum Äußersten. Diese Mission darf auf keinen Fall scheitern.“

Hermodr nickte entschlossen. Frigg seufzte tief.

Sif schnaufte und schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, dass ich erneut dagegen spreche, aber ich kann nicht oft genug sagen, dass ich euer Vorhaben für eine schlechte Idee halte. Thor würde es ebenso sehen. Der Plan ist schändlich, er bringt die Ordnung jener Welten durcheinander, die wir schützen wollen.“

Energisch schüttelte Frigg den Kopf. „Die Ordnung ist aus den Fugen, seit Loki sie aus den Fugen gebracht hat. Wir haben über unser Vorhaben bereits abgestimmt und ich werde mich weigern, erneut darüber zu diskutieren.“

Zu Theas Überraschung regte sich Sigyn neben ihr. „Wieder stimme ich Sif zu. Als wir auf die Suche nach Fengur …“, sie räusperte sich. „Ich meine natürlich, als wir auf die Suche nach Thea gingen, bestand unser Ziel nur darin, Loki aufzuhalten und ihn seinem geweissagten Schicksal zuzuführen. Der Plan war nie, die ganze Zukunft zu ändern. Aber das würden wir tun, wenn wir Balder aus der Unterwelt befreien.“

Forseti schüttelte den Kopf. „Auch wenn ihr glauben könntet, dass ich befangen sei, so widerspreche ich! Wir haben lange genug versucht, Loki zu fangen. Was hat uns das gebracht? Mit jedem Misserfolg haben wir ihn nur mutiger gemacht. Jede seiner Handlungen brachte uns Ragnarök schneller entgegen. Das zeigt uns Fenrirs Befreiung!“

Theas Blick schnellte zu Tyr, der sie kurz ansah und seine Augen dann wieder auf Forseti richtete. Thea verdächtigte den Kriegsgott schon lange, etwas mit dem Verschwinden Fenrirs zu tun zu haben, aber sie wagte nicht, ihren Verdacht offen auszusprechen. Sie wusste, es war verrückt, das zu denken und doch war sie sicher, dass sich Loki damit gebrüstet hätte, wäre er für Fenrirs Befreiung verantwortlich gewesen. Nichts dergleichen war jedoch geschehen, im Gegenteil. Als Thea auf Loki getroffen war, hatte er sogar vehement bestritten, etwas mit Fenrirs Befreiung zu tun gehabt zu haben. Andererseits war Loki aber auch nicht zu trauen und seine Unschuldsbeteuerungen konnten ebenso Teil eines größeren Plans sein wie alles, was er zum Gelingen Ragnaröks unternahm.

Odin erhob sich. „Ich stimme Frigg zu. Wir werden nicht noch einmal darüber beraten. Das haben wir schon lange und ausgiebig getan. Die Entscheidung ist gefallen. Wir werden Balder aus Hel befreien.“

Sif und Sigyn wechselten Blicke und gaben sich offensichtlich geschlagen.

Odins Auge betrachtete abwechselnd Wal-Freya und Thea. „Wer wird euch begleiten?“

Thea holte überrascht Luft, aber Wal-Freya antwortete, ehe Thea dazu gezwungen wurde.

„Je weniger uns begleiten, umso besser. Eine noch größere Gruppe als die, die sich zusammenfinden wird, würde zu sehr auffallen. Juli wird sich nicht dazu überreden lassen, hier zu bleiben und ich fürchte, mit Tom sieht es nicht anders aus.“

Tom und Juli nickten zustimmend. Juli grinste dabei über beide Ohren.

„Hermodr ist uns Hilfe genug“, schloss Wal-Freya das Thema.

Juli rutschte auf ihrem Platz hin und her. Forseti bemerkte es. Während er sie anlächelte, fragte er: „Möchtest du uns etwas sagen, Juli?“

„Ja, wenn ich darf?“, erwiderte Juli.

Forseti hob die Hand in ihre Richtung und nickte auffordernd.

Den Blick auf Baba Jaga gerichtet druckste Juli: „Nun, ich dachte gerade daran, dass es vielleicht praktisch wäre, eine Totengöttin dabei zu haben, wenn man sich mit einer anderen Totengöttin anlegt.“

Baba Jaga riss die Augen auf und hob abwehrend die Hände. „Das wagen wir nicht!“

Nickend erwiderte Odin: „Und das verstehen und akzeptieren wir, Baba Jaga.“ Er wandte sich an Wal-Freya. „Wir werden euch mit allen erdenklichen Hilfsmitteln ausstatten. Auch gebe ich dir Draupnir mit. So kann Balder sehen, dass ich mit der Entscheidung, ihn aus Hel zu befreien, einverstanden bin.“

„Dein Wagen mit Bygul und Trjegul ist nicht groß genug, um euch alle zu befördern“, merkte Thrud an. „Nehmt ihr die Pferde?“

„So ist es“, nickte Wal-Freya und zauberte Thrud ein Lächeln ins Gesicht.

Nun meldete sich auch Ullr zu Wort. „Ihr müsst reichlich Proviant mitnehmen, vor allem Wasser. Wir wissen nicht, in welche Gegenden Hels euch eure Suche führt. Ihr solltet damit rechnen, dass es schwer werden könnte, frisches Wasser zu finden.“

Freyr, die Ellbogen auf den Knien und die Hände in der vornübergebeugten Haltung gefaltet, brummte zustimmend. „Ich bestücke Skidbladnir mit Reserven, damit ihr dort im Zweifelsfall Vorrat findet. Irgendwo werdet ihr das Schiff schon auseinanderfalten können.“

„Ein sehr guter Plan“, lobte Odin. Er blickte in die Runde. „Morgen früh brecht ihr auf. Bis dahin bereitet alles vor. Heute Abend kommt nach Gladsheim. Wir verabschieden euch mit einem Festmahl.“ Er sah zu Baba Jaga. „Bitte kommt auch!“

Baba Jaga lächelte. „Das machen wir gerne, Odin.“

Alle nickten zustimmend. Forseti beendete die Versammlung und die Asen liefen auseinander. Sif und Sigyn gingen gemeinsam und steckten dabei die Köpfe zusammen. Offensichtlich brauchten sie Zeit zur Nachbesprechung. Frigg hingegen verließ den Platz zufrieden in Odins Arm eingehängt. Baba Jaga winkte den Freunden zu und verschwand ebenfalls. Nur Wal-Freya blieb mit Thea, Juli und Tom noch auf den Plätzen sitzen.

Thea versuchte, das gerade Erlebte zu verarbeiten. Morgen früh also würden sie nach Niflheim aufbrechen. Wieder einmal! Dort, in der eisigen Welt des Nordens, hatte ihr Abenteuer einst seinen Anfang gefunden. Wie passend war es, dass es ausgerechnet hier ein Ende finden sollte. Sie erinnerte sich noch gut an die Reise dorthin. Auf Thors und Wal-Freyas Wagen hatten sie das Meer überquert und sich zum Schlafen auf Skidbladnir treiben lassen. Dabei waren sie sogar der Midgardschlange begegnet.

Plötzlich stutzte Thea. „Sagtet ihr nicht, wir reisen nach Niflheim?“, fragte sie.

Wal-Freya, die sich gerade von ihrem Platz erhob, blickte verwundert auf. „Ja, daran besteht kein Zweifel.“

„Bei unserer ersten Reise fuhren wir mit euren Himmelswagen dorthin. Wir flogen Tage über das Meer. Wie sollen wir jetzt mit Pferden dorthin kommen?“

Wal-Freya streifte lächelnd an ihr vorbei und legte dabei eine Hand auf ihre Schulter. „Aber Thea, was denkst du denn? Das sind doch keine gewöhnlichen Pferde. Auf mit euch nach Sessrumnir. Ich bin mir sicher, Thrud hat sie bereits für euch ausgewählt.“

Thea legte die Stirn in Falten. Während sie noch rätselte, war bei Juli der Groschen gefallen. Von ‚Wooohooos‘ und ‚Wuuuhuuus‘ begleitet machte sie an Toms Schulter geklammert viele kleine Hüpfer. Da ging auch Thea ein Licht auf. Von einem Schreck gepackt, der ihr bis in die Fußspitzen zuckte, schnappte sie nach Luft.

„Nein! Das ist ja noch schlimmer als auf deinem Wagen mitzufahren“, protestierte sie und heftete sich an Wal-Freyas Fersen, die bereits auf dem Weg nach Folkwang war.

„Wieso?“, lachte sie amüsiert. „Zur Abwechslung kannst du dich an eine Mähne klammern, statt mir die Luft abzudrücken.“

Juli hopste fröhlich an ihnen vorbei und Tom, der nicht zu ahnen schien, was alle schon wussten, folgte mit fragendem Gesicht. „Wovon redet ihr eigentlich?“

„Wenn wir vonbesonderenPferden aus Sessrumnir sprechen, dann kann nur die Rede von Walkürenpferden sein“, erklärte Thea, entlockte Wal-Freya ein Schmunzeln und Juli ein weiteres ‚Wooohuuu‘.

Nun strahlte auch Tom über das ganze Gesicht. „Fliegende Pferde? Wirklich? Wie cool!“

Murrend erwiderte Thea. „Sehr cool! Was, wenn wir irgendetwas falsch machen und abstürzen?“

Wal-Freya blieb auf einer der goldenen Stufen stehen und lachte beherzt. Thea hatte die Walküre noch nie derart erheitert erlebt. Sie wusste gerade nicht, ob es ihr gefiel, dass ausgerechnet sie der Anlass dieses Ausbruchs war. Seufzend beschleunigte sie ihren Schritt, um der Wanin hinterherzukommen. Wie ein junges Reh sprang Juli vorweg. Halb aus Theas Augen verschwunden, folgte sie bereits der Wegbiegung nach Folkwang. Tom befand sich nur einen Schritt hinter Thea.

Wohlwollend wandte sich Wal-Freya zu Thea um. „Was soll dabei schief gehen? Das funktioniert nicht anders als bei euren Pferden in Midgard, nur dass diese durch die Luft reiten. Das Einzige, was du falsch machen kannst, ist, es in die falsche Richtung zu führen. Du reitest ein lebendes Wesen, das genauso wenig abstürzen will wie du. Davon abgesehen wirst du es viel leichter haben als deine beiden Freunde und die wissen diese Ehre anscheinend sehr zu schätzen.“

Thea verzog gequält das Gesicht. „Die haben ja auch keine Höhenangst. Wir beide können doch deinen Wagen nehmen!“

Abermals lachte Wal-Freya. „Und was meinst du, meine liebe Thea, ist schneller? Zwei Katzen, die einen Wagen mit zwei Personen ziehen, oder ein Pferd?“ Sie legte einen Arm um Thea und drückte sie fest an sich. „Du reitest ein Walkürenpferd! Ich bin schon ganz wild darauf, dich damit zu sehen. Sicher steht es dir großartig!“

„Ja sicher. Ganz großartig“, ächzte Thea und abermals entlockte sie Wal-Freya mit ihrer Reaktion ein Lachen.

Als Thea, Tom und Wal-Freya auf die große Terrasse Sessrumnirs traten, stand Thrud in Begleitung einiger Walküren und Pferde in deren Mitte. Thea erkannte Brunhild unter ihnen und winkte ihr freudig zu. Die Walküre erwiderte den Gruß. Dann hieß Thrud die Freunde mit einem Lächeln willkommen. Wal-Freya erwiderte die Geste, deutete aber sogleich auf eines der Tiere und zog verdutzt die Brauen zusammen. Es war ein Rappe, nicht besonders groß, aber mit einer faszinierenden Farbe gezeichnet. Sein Fell schimmerte mit jeder Bewegung blau, gerade so, als habe er den anbrechenden Nachthimmel darin eingefangen.

„Was macht Djarfur hier?“, fragte Wal-Freya.

„Er ließ sich nicht davon abbringen, mitzukommen“, erklärte Thrud und als hätte Djarfur die Walküre verstanden, nickte er mehrmals und wieherte bestätigend. Fast glaubte Thea, darin ein amüsiertes Kichern zu vernehmen.

„Ich werde sehr gespannt verfolgen, wohin das führt“, erwiderte Wal-Freya und richtete ihre Worte scheinbar an den Rappen selbst, der wiehernd zu Thea schritt und sie sanft mit dem Maul anschubste.

Thea war von der offenen Zuneigung, die ihr das Pferd entgegenbrachte, geehrt und streichelte ihm mit einem sanft gehauchten ‚Hallo’ über die Nüstern.

„Wie es scheint, hat Djarfur seine Reiterin gewählt“, staunte Thrud.

„So scheint es“, raunte Wal-Freya mit einem Seitenblick auf Thea und das Tier. „Von mir lässt du dich nicht reiten, aber von Thea?“

Wieder nickte Djarfur, wieherte und hatte dabei sichtlich Freude. Er stieß Thea an und schnaubte wohlig.

„Teufelsvieh“, grunzte Wal-Freya, lächelte aber immer noch.

„Du musst wissen, dass Djarfur das Fohlen von Wal-Freyas Pferd ist“, flüsterte ihr Brunhild zu.

„Wirklich?“, erwiderte Thea verblüfft und erntete staunende Blicke ihrer Freunde. Erst jetzt begriff sie, dass Brunhild ihr in der Gedankensprache zugeflüstert hatte.

„Verzeih, Wal-Freya. Wenn das dein Pferd ist, dann werde ich natürlich ein anderes wählen“, erwiderte Thea. Nun gab Djarfur ein erstauntes Wiehern von sich.

Wal-Freya winkte ab. „Walkürenpferde sind keine gewöhnlichen Tiere, Thea. Sie wählen sich ihre Reiter selbst. Djarfur war kaum auf der Welt, da hatte er schon einen Dickschädel.“ Der Blick des Rappen verschmolz einen Augenblick lang mit dem der Wanin. Dann wieherte Djarfur abermals.

„Können Pferde lachen?“, wisperte Juli Thea zu. Thea bildete sich also nicht als Einzige ein, dass das Tier kicherte.

„Der wohl schon“, erwiderte Thea. „Ich weiß nur nicht, ob das zu meiner Beruhigung beiträgt.“

Wieder wieherte Djarfur und schubste Thea mit dem Maul.

Wal-Freyas Blick ruhte lange auf dem Rappen. „Ehrlich gesagt bin ich froh, dass er endlich eine Reiterin gewählt hat. Ich denke, du kannst dich glücklich schätzen, Thea.“ Sie winkte Juli zu sich, die sich von Tom löste und erwartungsvoll neben der Wanin Aufstellung nahm. „Jetzt wollen wir mal sehen, wer auf dich zukommt.“

Juli knetete ihre schweißnassen Hände und musterte die Pferde, die nun ebenso glotzten wie sie. Schließlich trat der Fuchs aus der Reihe, senkte den Kopf und schubste Juli spielerisch an. Juli beugte sich unter das Tier. „Junge oder Mädchen?“, fragte sie.

„Das ist Fifill, eine Stute“, erklärte Thrud. „Ich hatte fest damit gerechnet, dass sie sich Thea aussucht, aber Djarfur ist ihr wohl zuvorgekommen.“

„Farblich hätte das sicher harmoniert“, stimmte Juli zu und strich dem Pferd liebvoll über das rote Fell. „Ich kann es kaum erwarten. Am liebsten würde ich gleich aufbrechen.“

Tom lachte. „Das soll was heißen, wenn du dir sogar ein Festmahl entgehen lassen willst.“

„Allerdings“, nickte Wal-Freya und winkte nun Tom zu sich. Sie schob ihn vor sich und ließ ihre Hände auf seinen Schultern ruhen, während sie auf die beiden verbleibenden Tiere schaute.

„Für ein Walkürenpferd ist es ungewöhnlich, einen Mann zu tragen“, erklärte sie mit gedämpfter Stimme. „Sei nicht traurig, wenn sie sich weigern. Heimdall sagte, er würde dir im Notfall Gulltopp borgen.“

„Das ist lieb“, antwortete Tom, der nun wie Juli zuvor nervös seine Hände rieb. Die beiden Pferde, ein braunes mit einer ungewöhnlich weißen Mähne und ein graues, sahen sich an und schnaubten unschlüssig.

„Man könnte meinen, sie kommunizieren miteinander“, kommentierte Juli die Szene.

„Das tun sie auch“, lächelte Brunhild.

„Tatsächlich?“, staunte Juli.

Wie von Wal-Freya vermutet, wollte sich keines der Pferde für Tom entscheiden. Als der Graue bereits einen Schritt zurücktrat, wieherte Djarfur. Der Braune hob den Blick in Richtung des Rappen und antwortete ihm scheinbar, denn er nickte schnaubend. Dann trat er auf Tom zu, der daraufhin strahlte, als wäre sein Geburtstag mit Weihnachten zusammengefallen. Zaghaft hob er die Hand und streichelte dem Pferd über die Nüstern.

„Das ist Leiftri. Man könnte meinen, Djarfur habe ein gutes Wort für dich eingelegt“, raunte Thrud.

Zum wiederholten Male wieherte Djarfur kichernd. Thea war sich ab diesem Moment sicher, dass sie keine gewöhnlichen Tiere vor sich hatten.

„Verwöhnt die Guten heute Abend“, gab Wal-Freya letzte Anweisungen. „Morgen früh bringt sie gesattelt und gezäumt zurück.“

„Nach dem Morgengrauen“, bestätigte Thrud. Sie nickte bestätigend und lief über die Terrasse, ohne ein Wort zu sagen, dennoch schlossen sich ihr alle Pferde an, auch Djarfur, der es sich nicht nehmen ließ, Thea ein letztes Mal anzustoßen und sich noch einmal nach ihr umzusehen, ehe er aus ihrem Blick verschwand.

2. Kapitel

Nach dem Aufstehen verbrachte Wal-Freya viel Zeit damit, in einem Nebenraum der Halle ihre Sachen zusammenzupacken. Akribisch kontrollierte sie das auf einem stummen Diener hängende Kleid und füllte diverse Taschen mit Pulvern und Beutelchen. Tom und Juli waren von ihr in Begleitung von Brunhild nach Sessrumnir geschickt worden, wo sie neue Kleider bekommen sollten. Juli hatte nach der langen Abschiedsnacht in Gladsheim lauthals gegen das frühe Aufstehen protestiert, aber Wal-Freya war unerbittlich geblieben. So saß auch Thea völlig übermüdet im Sessel und beobachtete das Tun der Wanengöttin. Ebenso wie Juli, war Thea überrascht und verdutzt zugleich gewesen, als Wal-Freya sie zum Bleiben aufgefordert hatte. Sicher wollte die Wanin, dass Thea beim Ausrüsten der Kleider mit den Zaubermitteln zusah und lernte. Staunend stellte Thea fest, wie viele Taschen sich in dem Kleid der Göttin versteckten. Selbst in den oberen Teil eines Ärmels füllte Wal-Freya ein Täschchen mit Pulver. Als sie damit fertig war, zog sie eine enge Hose an, schlüpfte in das Kleid und schloss mit wenigen Handgriffen den goldenen Panzer um ihre Brust, gefolgt von Arm- und Beinschienen. Nachdem sie ihren Gürtel mit Schwert und Messer umgeschnallt hatte, wandte sie sich an Thea, die voller Bewunderung zusah, wie Wal-Freya mit jedem Rüstungsteil zu der imposanten Gestalt heranwuchs, die sie so sehr bewunderte.

„Jetzt kümmern wir uns um deine Ausrüstung“, verkündete Wal-Freya feierlich.

„Mein Wams hat, soweit ich weiß, keine Taschen“, erwiderte Thea lächelnd.

Wal-Freya verschränkte die Arme vor der Brust. „Dein alter Flickenwams! Baba Jaga konnte die Spuren der Wolfsattacke zwar gut beseitigen, aber den musst du nun wirklich nicht mehr tragen. Außerdem brauchst du einen neuen Umhang. Niflheim ist kalt.“

Thea zwinkerte. „Ich weiß.“

„Natürlich tust du das. Dein Kettenhemd hast du ebenfalls beschädigt, deinen Helm verloren …“ Sie runzelte die Stirn. „Was hast du in Jötunheim eigentlich nicht kaputt gemacht?“

Thea lachte. „Mein Schwert!“

„In Hel befürchte ich das Schlimmste für Kyndill“, erwiderte Wal-Freya trocken.

Thea lachte. Wal-Freya hatte versprochen, ihr eine gute Freundin zu sein. Obwohl sich eine Freundin wohl weniger oft wie eine Mutter aufspielte, stellte Thea immer wieder mit Freude fest, dass Wal-Freya ihr Versprechen problemlos einlöste. Thea fühlte sich wohl in der Nähe der Walküre, auch wenn sie ihre Familie jeden Tag vermisste. Die bevorstehende Reise entlockte ihr jedoch das erste Mal seit langer Zeit ein freudiges Gefühl. Sie war bereit, ihr Schicksal anzunehmen. Je schneller sie ihre Mission zum Ende brachte, desto schneller würde sie Mats und ihre Eltern wiedersehen. Die Gewissheit, dass sie mit ihren Taten nicht nur die Götter rettete, sondern auch ihrer Familie ein sorgenfreies Leben fernab von Ragnarök sicherte, ließ sie der Aufgabe mit Zuversicht entgegenblicken. Schmunzelnd winkte sie ab. „Wenn es selbst Mjölnir nicht schafft, Kyndill zu zerstören, wird es mir erst recht nicht gelingen.“

„Allerdings, sonst hättest du es in Jötunheim sicher kaputt bekommen.“ Wal-Freya lachte beherzt und nahm Thea in den Arm. „Jetzt komm! Ich kann es kaum erwarten, dir deine Sachen zu zeigen. Ich bin so gespannt, was du dazu sagst.“

Sie ergriff Theas Hand, führte sie hinaus in die Halle und von dort in einen weiteren Nebenraum. Thea betrat die große Kammer zum ersten Mal und wie alle Zimmer war auch dieses mit den goldenen Steinen errichtet worden, aus denen ganz Asgard bestand. Wal-Freya hatte es jedoch geschafft, dem Raum eine besondere Note zu geben und ihn zu einem Rückzugsort zu machen. Eine riesige Truhe befand sich auf der rechten Seite. Weit hinten, in der linken Ecke, stand ein großes Himmelbett mit hölzernen Streben, die einen dunkelblauen Stoff über seidenen Kissen und Decken hielten. Zwischen den beiden Fenstern an der Frontseite wuchs von irgendwoher eine Korkenzieherweide und spannte sich über die gesamte Decke. Fasziniert folgte Thea den Ausläufern mit den Augen, da berührte Wal-Freya sie an der Schulter und richtete ihre Aufmerksamkeit auf einen Stummen Diener, der neben einem Sessel aufragte. Thea stand augenblicklich der Mund offen. Unter einem schwarzen Umhang, dessen Ränder mit goldenen Knotenmustern abgesetzt waren, leuchtete eine rote Tunika, auf deren Brust mit goldenem Faden das Symbol einer Frau gestickt war. Thea erkannte es wieder. Es zierte auch die Schnalle ihres Schwerttornisters – eine Frau in einem langen Gewand, die mit ausgestreckten Armen einen Becher in den Händen hielt.

„Alles für dich!“, verkündete Wal-Freya.

„Das ist doch viel zu kostbar“, wisperte Thea überwältigt.

„Du wohnst in Asgard bei der Liebesgöttin und du reitest bald auf einem Walkürenpferd, da musst du einfach kostbar aussehen“, erwiderte Wal-Freya mit einem Lächeln. „Ich hätte eine blaue Tunika bevorzugt, aber Sigrún meinte, sie habe sich an die rote gewöhnt. Leider musste ich ihr Recht geben, obwohl sich deine roten Haare auf Blau sicher noch schöner abgesetzt hätten.“

Thea tastete die Stickarbeit auf der Brust der Tunika ab. „Hat das eine Bedeutung?“

„Natürlich. Es ist das Symbol meiner Walküren.“

„Aber … ich bin keine von deinen Walküren.“

Ein Lächeln huschte über Wal-Freyas Lippen. „Das ist richtig, nur ist Sigrún schon lange davon überzeugt, dass du einen Platz in ihren Reihen bekommen solltest.“

Thea konnte nicht anders als erstaunt die Augenbrauen zu heben. Ungeachtet dessen legte Wal-Freya den Umhang über den Arm und zog als nächstes die Tunika vom Diener. Theas Blick fiel auf ein kurzärmliges, goldenes Kettenhemd. Sie mochte kaum glauben, was sie da sah. Wieder berührte sie das Kleidungsstück mit den Fingerspitzen, fuhr die einzelnen Kettenglieder nach und bewunderte die Art und Weise, wie das Rüstungsteil gefertigt worden war.

„Aber ist Gold nicht ein bisschen schwer?“, sagte Thea verhalten.

Wal-Freya warf Umhang und Tunika auf den Sessel. „Dummerchen! Das ist kein Gold.“ Sie holte nun auch das Kettenhemd vom Diener und reichte es Thea. Erneut konnte sie nur staunen, denn das Rüstungsteil wog nicht mehr als ein gewöhnlicher Mantel.

„Aber, wenn es kein Gold ist …“

„Muss es aus einem Metall sein, das es in Midgard nicht gibt“, erwiderte die Walküre mit einem Zwinkern. „Durch dieses Kettenhemd kommt sicher keine Wolfsklaue mehr durch. Los! Zieh es an! Ich kann es kaum erwarten dich damit zu sehen!“

Ehe Wal-Freya in Versuchung kommen konnte ihr zu helfen, löste Thea den Gürtel, legte Kyndill auf den Sessel und streifte die Kleider ab. Die Wanin reichte ihr eine schwarze Hose und schob ein Paar Stiefel hinterher. Thea zog die Hose an, schnürte sie zu und schlüpfte in die Schuhe. Das Fell, mit denen diese gefüttert waren, schmiegte sich angenehm weich um ihre Füße. Schon stülpte ihr Wal-Freya eine langärmlige Steppjacke über den Kopf und ließ das Kettenhemd folgen.

„Wundervoll“, kommentierte Thea, die Leichtigkeit der Rüstung bewundernd. Sie fühlte die roten Borten am Ende der Ärmel und des Kragens. Auch diese zierten kunstvolle Knotenmuster.

„Und jetzt die Tunika“, verkündete Wal-Freya feierlich.

Thea hob die Arme und schlüpfte in das Kleidungsstück. Als sie an sich herabsah, fühlte sie ihr Herz schneller schlagen vor Stolz. Erneut fuhr sie mit den Fingerspitzen über das Walkürensymbol. Sie war Teil von etwas Großem geworden. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich besser gefühlt – in keinem ihrer Leben. Aber auch für Wal-Freya schien dies ein erhebender Moment zu sein. Thea hatte in den Augen der Wanin selten so viel Freude gesehen.

Wal-Freya deutete auf Kyndill. „Schnall es um!“, forderte sie Thea auf und nahm etwas Abstand, um sie zu betrachten. Ihr fröhlicher Gesichtsausdruck wurde abschätzend. „Sigrún ist ebenso wie du kein Freund von Kleidern. Aber ich finde, auch eine Kriegerin darf ein wenig verführerisch aussehen.“ Sie wandte sich um, hob den Deckel der Truhe an und warf noch einmal einen Blick hinter sich, während sie in der Kiste wühlte. Schließlich zog sie einen schwarzen Stoff heraus, breitete ihn vor sich aus und lächelte zufrieden.

„Oh bitte, Wal-Freya! Keinen Rock! Das behindert doch nur“, stöhnte Thea.

„Ich trage ein Kleid. Hast du schon einmal gesehen, dass mich das in irgendeiner Weise behindert hätte?“

„Nein, aber du bist eine Göttin. Sicher könntest du noch komplett eingewickelt kämpfen.“

Wal-Freya lachte lauthals. „Ja, vielleicht!“

„Wen sollte ich außerdem damit beeindrucken?“

„Mich!“ Wal-Freya trat an Thea heran und forderte sie auf, Steppjacke und Kettenhemd anzuheben. Kaum hatte sie Folge geleistet, band Wal-Freya den Stoff um Theas Hüfte. Erneut nahm die Wanin Abstand und nickte zufrieden. „Außerordentlich!“

Thea fuhr mit den Händen seitlich über den Rock. Tatsächlich ließ er an der Schnürung das komplette rechte Bein frei und zur linken Seite war er so tief geschlitzt, dass sie keinerlei Bewegungseinschränkung wahrnahm. Auch dieser Stoff war an seinen Rändern mit goldenen Knotenmustern verziert.

„Ich werde das Gefühl nicht los, dass das kein Kleidungsstück von dir ist“, brummte Thea.

Wal-Freya lachte. „Bin ich so leicht zu durchschauen?“

„Irgendwie schon.“

„Du wirst noch froh sein, ihn zu haben. Er hält dich zusätzlich warm. Links ist eine Tasche eingearbeitet. Sie enthält Mondsand, um deine Zauber zu verstärken. Das ist natürlich nur für Notfälle.“

„Natürlich.“

Wal-Freya öffnete einen Beutel, der neben dem Diener stand. „Nun fehlt nur noch ein bisschen Rüstzeug“, erklärte sie und reichte Thea Arm- und Beinschienen, die ebenso golden schimmerten wie das Kettenhemd. Silberne Muster waren auf ihnen abgesetzt. Thea wagte kaum zu atmen, als sie das fremdartige Metall in den Händen drehte. „Aber Wal-Freya. Das ist doch alles viel zu kostbar für mich …“

„So ein Unsinn! Zieh sie an! Diesmal werden wir keine Baba Jaga bei uns haben, wenn du wieder Unsinn anstellst.“ Sie lächelte, doch Thea konnte sehen, dass es ein abgerungenes Lächeln war.

„Glaubst du, dass es sehr gefährlich wird?“

Wal-Freya holte tief Luft. „Ich weiß es nicht. Bisher war nichts einfach und ich wage mir gar nicht vorzustellen, was passiert, wenn Hel uns dabei erwischt, wie wir Balder aus ihrem Reich schmuggeln.“

Thea seufzte bekümmert. „Was meinst du, könnte sie dann machen?“

„Wer weiß das schon, ich kenne sie nicht. In diesem Fall werden du und Kyndill sehr wichtig für uns sein. Es ist also nur recht und billig, dir ein paar kostbare Geschenke zu machen.“ Wieder lächelte sie. Dann holte sie einen, in einer ledernen Tasche steckenden Dolch aus dem Beutel. „Es kann nicht schaden, wenn du eine Klinge bei dir trägst, die nicht brennt“, sagte sie mit einem Zwinkern und befestigte den Dolch am Gürtel auf Theas Rücken.

„Denkst du, dass wir das Richtige tun?“, fragte Thea, während sie die Beinschienen über den Stiefeln anbrachte.

„Keine Ahnung. Manchmal glaube ich ja, manchmal glaube ich nein. Aber es ist mühsam, darüber nachzudenken. Wir haben uns im Thing dafür entschieden, also werde ich alles daran setzen, dass wir Erfolg haben.“

„Vielleicht hätte Juli auch einfach nur die Klappe halten sollen“, raunte Thea und schloss bereits die letzte Schnalle der Armschienen.

Wal-Freya lächelte. „Vielleicht wäre auch ein anderer auf die Idee gekommen, Balder zu befreien.“

„Fertig“, verkündete Thea.

„Fast!“ Abermals griff Wal-Freya in den Beutel und zog einen Brillenhelm hervor. „Der wird aber nicht wieder verloren!“, sagte sie, während sie ihn Thea entgegen warf.

Thea fing den Helm auf. Wie auch die Beinschienen war er aus dem fremden, goldenen Material gefertigt und wies silberne Knotenverzierungen auf. Thea wog den Helm in den Händen und betrachtete die filigrane Arbeit. „Haben das Zwerge gemacht?“

„Lichtalben“, erwiderte Wal-Freya ungerührt. Sie lächelte und ging zurück in die Halle. „Vergiss den Umhang nicht!“

Thea nahm das Kleidungsstück und warf es sich über die Schulter. Es war aus dickem Stoff und hatte sogar eine Kapuze. Sie schloss es, rückte die Kapuze zurecht und eilte Wal-Freya nach, die unterwegs ihren eigenen blauen Umhang mit dem Fellbesatz schnappte und durch die Tür auf der gegenüberliegenden Seite der Halle trat. Hier befand sich die große Terrasse, die Folkwang und Sessrumnir miteinander verband.

Sigrún stand mit weiteren Walküren zusammen. Thea erkannte auch Hermodr, Tom und Juli, die sich alle nach Wal-Freya umdrehten, als sie ihre Schritte über den Platz hallen hörten. Djarfur, der mit den anderen Pferden neben der Gruppe wartete, fixierte Thea mit seinem Blick und nickte mehrmals. Thea hatte keine Zeit darüber nachzudenken, was das zu bedeuten hatte, denn schon stürzte Juli auf sie zu. Ebenso wie Tom war auch sie völlig neu eingekleidet, nur den Brillenhelm, den sie in der rechten Hand hielt, erkannte Thea wieder. Wie Thea waren ihre Freunde mit neuen Bein- und Armschienen ausgestattet, die kunstvoll verziert, aber offenbar aus gewöhnlichem Eisen gefertigt waren. Juli trug eine grüne Tunika und braune Hosen, Tom eine blaue Tunika und schwarze Hosen. Zu ihrer eigenen Verwunderung machte ihr Herz einen kleinen Sprung, als Tom auf sie zusteuerte. Die dunklen Kleider hoben seinen zarten Bart hervor, der sich um die Mundpartie dichter abzeichnete als im Rest des Gesichts. Die alte Baba Jaga hatte auch in Asgard des Öfteren gescherzt, dass es Mittelchen gäbe, um Toms Barthaare sprießen zu lassen. Im Vergleich zu Hermodr, dessen Bart so wild und lang um sein Gesicht quoll, dass er in der Lage war, ihn von der Oberlippe aus zu Zöpfen bis hin zur Brust zu flechten, wirkte Toms zarter Flaum tatsächlich welpenhaft. Aber für Thea hätte Tom gar nicht anders aussehen dürfen. Auch Juli löste sich sofort aus dem Kreis, nachdem sie ihre Freundin erblickte. Ein dicker Umhang mit Fellbesatz wehte um ihre Schultern, Tom trug den gleichen. Beide Freunde sahen stattlich aus, dennoch war weder Julis noch Toms Tunika mit dem Walkürensymbol verziert.

Auch Juli bemerkte das. „Wie immer eine Extrawurst“, kommentierte sie lachend.

Thea legte unwillkürlich die Hände über das Zeichen und senkte betreten den Blick.

Juli gab ihr einen Knuff. „Das war ein Witz, Thea! Du bist die Hüterin des Zauberschwerts, schon vergessen? Es ist völlig in Ordnung, dass du eine Extrawurst bekommst. Es sieht toll aus!“

Thea fiel Juli um den Hals und drückte sie fest an sich. Sie war unendlich dankbar, solch eine Freundin an ihrer Seite zu haben.

„Das finde ich auch! Und der Helm erst!“, stimmte Tom zu.

„Ich weiß nicht, womit ich euch verdient habe“, erwiderte Thea mit dünner Stimme, da ihr vor Rührung die Tränen in die Augen stiegen.

„Jetzt rede mal nicht so einen Unsinn!“ Juli löste sich aus der Umarmung. „Weißt du, es ist verdammt cool, eine so besondere Freundin zu haben. Wer hat das schon?“

Thea presste die Lippen zusammen. „Ich bin nichts Besonderes. Ich habe nur vor vielen hundert Jahren den Fehler gemacht, mich auf ein Geschäft mit Loki einzulassen.“

„Ach, jetzt hör schon auf! Du zauberst, führst ein magisches Schwert, das selbst Odin nicht berühren kann und wer weiß, zu was du sonst noch alles in der Lage bist. Wenn du mich fragst, ist da noch viel mehr in dir. Wahrscheinlich hat Loki dich genau aus diesem Grund ausgewählt. Er hätte damals jeden anderen Schmied in Midgard aufsuchen können, aber er kam zu dir! Hast du darüber schon einmal nachgedacht? Sicher hätte niemand anderes dieses Schwert schmieden können.“

Wieder erstickte Thea ihre Freundin in einer Umarmung. Für einen Moment erwiderte Juli diese, dann löste sie sich von Thea und klatschte mit den Füßen tänzelnd in die Hände. „Jetzt los! Ich kann es kaum erwarten, dich vor Angst schreien zu hören, wenn Djarfur losgaloppiert.“

„Oje, da war ja noch was“, erwiderte Thea trocken.

Als sich Thea im Kreis der Versammelten einreihte, spürte sie die Blicke aller Walküren auf sich ruhen. Sigrún lächelte Thea vielsagend zu. Plötzlich erklang ihre Stimme in Theas Geist:

„Du siehst aus wie eine von uns. Ich bin so stolz auf dich!“

Beinahe hätte Thea vergessen, dass sie und Wal-Freya nicht die Einzigen waren, die die Kunst der Gedankensprache beherrschten. Sie lächelte verlegen.

„Das habe ich wohl dir zu verdanken.“

„Ganz richtig, aber die anderen waren auch dafür. Herja hat sich leidenschaftlich für dich eingesetzt, als Thrud leise Bedenken äußerte.“

„Thrud? Warum?“

„Weil du nun mal ein Mensch bist, eine Tochter Midgards. Am Ende war sie auch dafür, dass du Trägerin unseres Zeichens wirst.“

„Du hast mich schon einmal damit ausgestattet. Nach meinem Abenteuer in Niflheim, als du mir den Tornister gegeben hast, in dem ich Kyndill verstecken kann.“

Sigrún lächelte. „Wirklich? Das ist mir gar nicht aufgefallen.“

„Natürlich nicht“, scherzte Thea.

Ein Stoß in ihren Rücken ließ Thea herumfahren. Djarfur hatte sich genähert. Als sich ihre Blicke trafen, wieherte der Hengst und warf den Kopf in den Nacken. Abermals glaubte Thea, das Tier kichern zu hören.

„Er macht mir ein wenig Angst“, sagte sie.

„Nicht doch! Er kann es nur nicht abwarten“, erwiderte Thrud.

Herja stellte sich neben ihn und tätschelte seine Flanke. „Er ist aufgeregt, wer kann es ihm verdenken?“

„Man könnte meinen, es sei sein erster Ritt“, brummte Thea verunsichert.

„Ist es auch“, erklärte Herja und alle lachten, als Thea erschrocken die Augen aufriss.

„Sein erster Ritt in Begleitung“, beruhigte Thrud sofort.

Wal-Freya löste sich aus der Gruppe und tätschelte Djarfurs Hals. „Er hat völlig Recht. Wir sollten endlich aufbrechen!“

Juli setzte ihren Helm auf, schob die Brillenbügel durch die Maske und setzte das Gestell auf die von Thor gebogenen Mulden. „Dann mal rauf auf die Gäule. Mit dir erlebt man immer wieder neue Sachen, Thea!“

Djarfur schüttelte den Kopf und wieherte. Diesmal klang es wütend.

„Ich würde sie nicht Gäule nennen“, erwiderte Thea beunruhigt, erntete aber nur einen Knuff von ihrer Freundin, die sie stehen ließ und sich zu ihrem Pferd gesellte. Thrud half ihr in den Sattel und gab Juli letzte Anweisungen. Skögull winkte Tom zu sich und überreichte ihm die Zügel, nachdem er aufsaß.

Erneut stieß Djarfur Thea an, wieherte und nickte mit dem Kopf. Thea wurde das Verhalten des Tieres zunehmend unheimlich.

„Gibt es irgendwas, dass ihr mir über Djarfur verschwiegen habt?“, fragte sie misstrauisch.

Sigrún lachte. „Mitnichten! Aber ich bin schon sehr gespannt, was du uns über ihn erzählen kannst, wenn du wieder zurück bist.“

„Falls er mich nicht vorher in der Luft abgeworfen hat“, brummte Thea misstrauisch und zum wiederholten Male wieherte Djarfur scheinbar erheitert und warf den Kopf in den Nacken.

Wal-Freya steckte den Fuß in den Steigbügel und schwang sich in den Sattel. Hoch zu Ross wirkte die oberste der Walküren noch unbändiger und imposanter. Hell und entschlossen leuchteten ihre blauen Augen hinter der Brillenmaske des Helmes, als sie ein letztes Mal in die Runde blickte. Hermodr lenkte sein Pferd neben sie.

„Dann los!“, sprach sie und ohne sich noch einmal umzusehen nahm sie die Zügel in die Hand. Vala setzte sich in Bewegung, ohne dass ein hörbarer Befehl erfolgt war. Nur Augenblicke später erhob sich das Tier in den Himmel. Hermodr schnalzte mit der Zunge und trieb sein Pferd mit einem lauten „Hopp!“ hinterher.

Thea spürte einen Ruck durch ihren Körper fahren, als sich Djarfur den beiden anschloss. Als das Tier vom Boden abhob, schlang sie die Arme um seinen Hals und schloss die Augen.

„Ich hasse es, ich hasse es, ich hasse es“, flüsterte sie, während die Jubelrufe ihrer Freunde in ihr Ohr drangen. Thea beneidete sie. Wie immer empfanden sie Spaß bei solchen Dingen.

„Trägerin des Walkürensymbols, du gehst zur Totengöttin. Wo ist dein Mut?“

Überrascht öffnete Thea die Augen. Es war nicht Wal-Freyas Stimme, die in ihren Geist drang. Es war eine männliche, eine unbekannte Stimme. Wo kam sie her?