Die Mönche von Tibhirine - Iso Baumer - E-Book

Die Mönche von Tibhirine E-Book

Iso Baumer

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Beschreibung

"Von Menschen und Göttern", der Aufsehen erregende, für viele Preise nominierte Film des französischen Regisseurs Xavier Beauvois, hat das Schicksal der sieben ermordeten Trappistenmönche von Tibhirine/Algerien neu in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Iso Baumer zeigt die Hintergründe auf, stellt die Opfer vor (auch andere in Algerien ermordete Christen), um dann den Blick in die Zukunft zu richten: Begegnung und Dialog, gerade auch mit Muslimen, das ist - trotz allem - das hoffnungsvolle Vermächtnis dieser Glaubenszeugen. Baumer zeigt: Ihr Beispiel weist mutige Wege für eine Neuorientierung im Verhältnis von Christen mit Muslimen. Die eingestreuten Gedichte von Frère Christoph von Tibhirine und ein ausführlicher dokumentarischer Anhang lenken den Blick über die Fakten hinaus auf die innere, spirituelle Dimension, ohne die "Dialog" eine leere Hülse bleibt.

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ISO BAUMER

DIE MÖNCHE VON TIBHIRINE

Iso Baumer

Die Mönchevon Tibhirine

Die algerischen Glaubenszeugen – Hintergründe und Hoffnungen

Der Zisterzienserabtei von Altenryf-Hauterive(Freiburg-Fribourg) und ihrem früheren Abt,nun Generalabt der Zisterzienser,Mauro-Giuseppe Lepori,für die gewährte herzliche Freundschaft gewidmet.

2011, 2. Auflage© Alle Rechte bei: Verlag Neue Stadt GmbH, MünchenGestaltung und Satz: Neue-Stadt-GraphikISBN 978-3-87996-414-7

Inhalt

Vorwort

Einführung: Lokale Ereignisse – globale Bedeutung

Die Ereignisse und die Hintergründe

Die Schreckensnachrichten

Verschiedene Hypothesen

Einfach da sein

Wie konnte es so weit kommen?

Algerien und Frankreich

Hingabe – hinauf

Die Zisterzienser in Algerien

Nur für ein bisschen

Die „pieds-noirs“

Es ist Zeit

Die Opfer

Die Mönche von Tibhirine

Der Prior, Christian de Chergé

Testament (von P. Christoph)

Frère Christoph und seine Mitbrüder

Heute bekommen

Weitere Priester und Ordensleute

Am Ende

Der Bischof von Oran, Pierre Claverie

Ein besonderer Weg – Der Bischof – Der Dominikaner – Seine Diözese – Ortskirche und Gesamtkirche – Islamisch-christlicher Dialog

Mönche

Wege in die Zukunft

Wegbereiter

Am Anfang der Kolonialzeit: Charles de Foucauld

Am Ende der Kolonialzeit: Louis Massignon

Ein Fundament oder: Im Chaos des Neuanfangs: Léon-Etienne Duval

Bildprogramm … für die letzte Fastenzeit

Vier Weisen, dem Islam zu begegnen

Interreligiöser Dialog – Stellung zum Islam

Ein Herz um zu leben

Wie weiter?

Wie die Flamme

Das Auferstehungskreuz von Tibhirine

Dokumente

Das Testament von Christian de Chergé

Briefauszüge von Bruder Luc

Das „Testament“ von Mohamed Bouschiki

Vielfältige Menschheit (von Pierre Claverie)

Die Opfer des islamistischen Terrorismus in Algerien

Ausgewählte Schriften

Stellennachweise

Bildnachweis

Zum Schluss

Hinweis: Die kursiv gesetzten Überschriften verweisen auf Gedichte von Frère Christoph Lebreton.

Vorwort

Das Zusammenleben von Kulturen und Religionen ist ein brandaktuelles, oft heiß diskutiertes Thema in unserer Gesellschaft. Viele spüren die Notwendigkeit des Dialogs. Im Großen wie im Kleinen. In Kirche und Welt, in der Politik wie in den Beziehungen der Religionen zueinander. Dialog hat am ehesten eine Chance zu gelingen, wenn er mit einer echten Begegnung auf allen Ebenen verbunden ist, nicht nur in Konferenzsälen und im Scheinwerferlicht der Massenmedien, sondern im Alltag, in geduldiger Auseinandersetzung, die zu einem Miteinander führen kann.

Wir stellen fest, dass die Religionen in vielen Regionen unserer Welt in ihrem ureigenen Anliegen, den Menschen zu Gott zu führen, an Bedeutung verlieren; zugleich sind sie oft stark vermischt mit Politik und Wirtschaft und dienen dann als Schutzschild für andere Absichten; so sind sie durchaus präsent, allerdings in einer unheilvollen Verquickung.

Was das Schicksal der christlichen Kirchen in unserer Weltgegend künftig vermutlich weithin sein wird, nämlich als unbedeutender Rest in ganz anders gearteter (entchristlichter) Umgebung zu existieren, haben uns Christen anderswo schon lange vorgelebt. Zum Beispiel die 1996 auf bis heute nicht geklärte Weise ermordeten Mönche von Tibhirine und andere algerische Blutzeugen. Der Film Des hommes et des dieux (deutsch: „Von Menschen und Göttern“) von Xavier Beauvois, der französische Beitrag für die Oscar-Nominierung 2011 („bester fremdsprachiger Film“), der seit Ende 2010 auch in den deutschsprachigen Kinos läuft und bei den 63. Filmfestspielen von Cannes den Großen Preis der Jury erhielt, hat das Zeugnis der Trappistenmönche einem Millionenpublikum nahegebracht. Wie viele andere haben sie sich solidarisch erklärt – nicht nur untereinander zwischen Katholiken, Orthodoxen und Evangelischen, sondern auch mit der überwältigenden Mehrheit der Muslime. Ihr Zeugnis unter und mit Muslimen könnte – trotz der ganz anderen Rahmenbedingungen und bei aller Fremdheit im Einzelnen – wegweisend für uns werden.

In diesem Büchlein sollen die Geschehnisse in Algerien und ihre geschichtlichen Hintergründe vorgestellt werden. Einblicke in den Dialog, gerade auch mit den Muslimen, und Hinweise auf wichtige Vorbereiter dieses Gesprächs in Algerien wollen den Blick nach vorne lenken. Ein dokumentarischer Anhang, der sich aber nicht nur als „angehängt“ versteht, soll das Berichtete vertiefen, vor allem mit Texten einiger der aufgeführten Christen und eines Muslim. Die in den Text eingestreuten Kurzmeditationen und Gebete, die durch ihre Form und ihren verdichteten Inhalt auffallen, stammen von einem der Mönche von Tibhirine, von Pater Christoph. Sie möchten die Leserinnen und Leser anregen, immer wieder innezuhalten und aufmerksam hinhorchend das Zeugnis zu vernehmen, das uns aus diesen Lebensentschlüssen zugesagt wird.

Gedankt sei an dieser Stelle den Kanisius-Schwestern in Freiburg/Schweiz, die 2001 die erste Fassung dieses Buches in ihrem inzwischen leider aufgelösten Verlag auf die Wege gebracht und sorgfältig betreut haben. Diesmal geht ein ganz herzlicher Dank an den Verlag Neue Stadt, der dem Buch höchste und kompetente Aufmerksamkeit schenkte. Die Widmung an die Zisterzienser in Hauterive ist ein Zeichen der Dankbarkeit für den fruchtbaren Gedankenaustausch, den ich lange Zeit jährlich mehrmals mit der Klostergemeinschaft haben durfte und der zu einer tiefen Freundschaft führte.

Iso Baumer, im November 2010

Einführung:Lokale Ereignisse – globale Bedeutung

Die politischen Vorgänge in Algerien finden im deutschen Sprachraum verständlicherweise weniger Aufmerksamkeit als in Frankreich: Algerien war von 1830 (Beginn der Kolonisation) bis 1962 (Entlassung in die Unabhängigkeit) zunächst französische Kolonie, zuletzt (fast) gleichberechtigtes Departement. Es gibt aber Ereignisse, die über zufällige geschichtliche Zusammengehörigkeiten hinausweisen, weil sie menschliche Grundanliegen anrühren: Freiheit (politisch, kulturell, religiös) – das Zusammenleben verschiedener Völker, Sprachen, Religionen – den Umgang mit der Vergangenheit, die Planung der Zukunft und die entsprechende Gestaltung der Gegenwart in unserer mitteleuropäischen Gesellschaft. Diese Anliegen können durchaus eine Erhellung von anderswoher erfahren.

In diesem Buch wird das Schicksal von mehreren Menschen, die zwischen 1994 und 1996 um ihres Glaubens und ihrer Herkunft willen in Algerien ermordet wurden, exemplarisch dargestellt. Ausführlich werden wir auf die sieben Trappistenmönche von Tibhirine eingehen. Die Umstände brachten es mit sich, dass ihr Schicksal wie kaum ein anderes umfangreich dokumentiert ist. Daran lässt sich das Besondere ablesen, das aber ins Allgemeine gestellt zu werden verdient. Tua res agitur, sagten die alten Römer: Hier wird auch deine ganz persönliche Angelegenheit verhandelt! Jede(r) von uns ist eingeladen, sich die grundlegenden Fragen zu stellen, auf die die Mönche ihre in vielen Jahren sorgfältig erarbeitete Antwort gaben. Zudem soll des Bischofs von Oran gedacht werden, der zwei Monate nach den Mönchen zusammen mit seinem muslimischen Helfer durch einen Bombenanschlag ermordet wurde. Und schließlich sollen die übrigen elf getöteten Ordensleute, Männer und Frauen, erwähnt werden, die sich gleichfalls dieselben Fragen stellten: Wozu in Algerien bleiben? Wie sollen wir uns angesichts des Terrors verhalten? Letztlich: Wozu sollen wir als Christen in scheinbar verzweifelter Lage ausharren? Unermüdlich haben sie um eine adäquate Antwort gerungen.

Gewiss, unter den etwa 150 000 Opfern des sogenannten islamistischen Terrors in Algerien sind die ermordeten Fremden in der Minderzahl. Auch Einheimische sind manchmal blind (oder nach nicht feststellbarem Plan) hingemetzelt worden, manchmal auch ganz gezielt. Und was erst in jüngerer Zeit öffentlich ruchbar wurde, soll auch nicht verschwiegen werden: Die frühere Kolonialmacht hatte in den letzten Jahren ihrer Herrschaft eine ähnliche Anzahl Einheimischer – nicht nur im Krieg! – umgebracht und kaltblütig die Folter angewendet. Und was zusätzlich die Lage erschwert: Die späteren Regierungen scheinen in ihren Methoden der Terrorbekämpfung auch nicht zimperlich vorzugehen.

Es kann im Folgenden nicht darum gehen, Recht und Unrecht, Schuld und Sühne, Verbrechen und Strafe, Islam gegen Christentum (oder gegen europäische Glaubenslosigkeit?) aufzurechnen. Viel eher treibt uns die Frage um, ob hinter all dem Sinnlosen ein verborgener Sinn auszumachen sei. Die sieben Trappisten (Zisterzienser strenger Richtung) haben eine von mehreren möglichen Antworten gegeben und sie 1996 mit dem Leben bezahlt. Eine solche Antwort sollte einiges Gewicht haben. Pierre Claverie (1938–1996) gab von seiner Stellung als verantwortlicher Bischof her eine ergänzende Antwort auf die Probleme.

Der Dialog mit dem Islam kann nicht ausgeblendet werden. Für viele Mitchristen in anderen Ländern gehört er zum Alltag, und auch für uns wird er immer dringlicher. Der Verfasser ist nicht im engeren Sinne Spezialist für den Islam und spricht nicht Arabisch. Aber er ist in seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit im Bereich der Ostkirchenkunde immer wieder auf den Islam gestoßen, der weite Gebiete abdeckt, in denen alteingesessene Ostkirchen ein mehr oder weniger freies oder unterdrücktes Dasein fristen (Ägypten, Syrien, Libanon, Israel, Iran, Irak, Türkei). Er hat sich eingehend mit der Stellung der Christen im Islam (in Lehre und Praxis) befasst und manche der erwähnten Länder, wenn auch nur kurz, besucht. Seit langem ist ihm Charles de Foucauld (1858–1916) bekannt, der seine letzte Lebenszeit im algerischen Hoggar (Sahara) verbrachte. Er hat sich in Leben und Werk von Louis Massignon (1883–1962), dem weltberühmten französischen Islamologen und Arabisten, vertieft, der sich mit Feuereifer in das Für und Wider des französischen (Des-)Engagements in Algerien einließ. Zuletzt hat er anhand einer völlig vergessenen Schrift („Europa und die Türken“, ursprünglich: „Die Christenheit und die Türken“, 1858) des späteren Kardinals John Henry Newman (1801–1890) den Wandel der Einstellungen Europas zum Islam studiert. In Vorträgen und Artikeln hat er sich bemüht, Klarheit über das komplizierte Verhältnis zwischen dem Islam und dem Christentum zu gewinnen und zu vermitteln.

Täuschen wir uns nicht: Die weltweite Auseinandersetzung mit dem Islam, dessen Anhänger heute schon ein Sechstel der Weltbevölkerung ausmachen, in einem breiten Gürtel von Nordafrika über Zentral- bis Südostasien, wird das noch junge Jahrhundert prägen. In Deutschland, Österreich und der Schweiz leben Hunderttausende Muslime, meist aus der Türkei und den Balkanländern, und sie fordern ihre von der Kultur und der Religion her begründeten Rechte, im Schulunterricht, in den Versammlungs- und Gebetsräumen (Moscheen). Frankreich hatte seit der Kolonialzeit Zuzug von Muslimen aus Algerien, überhaupt aus dem Maghreb (Nordafrika), und erst recht nach den schwierigen Zeiten von 1947 an. Die Hälfte der algerischen Muslime in Frankreich sind Berber, aus jener sprachlich-kulturellen Minderheit, die knapp ein Viertel der Bevölkerung Algeriens ausmacht und durch die Staatsideologie stark benachteiligt ist.

Aber es geht um mehr: Wie soll das Zeugnis der Christen überhaupt sein, inmitten glaubensloser oder glaubensfremder Mitmenschen, in einer multikulturellen, multireligiösen, multinationalen Gesellschaft? Welche Botschaft haben wir einzubringen? Wenn wir uns in dem vorliegenden Buch mit christlichen Glaubenszeugen beschäftigen, so geht es nicht um Hagiographie (also eine Art vorzeitiger Heiligsprechung). Die Mönche von Tibhirine und die anderen algerischen Glaubenszeugen werden vielmehr zu einer Anfrage an uns und unser Selbstverständnis als europäische Christen.

In den Büchern über die heutige algerische Kirche findet sich sehr häufig der französische Ausdruck jusqu’au bout: bis zum Äußersten, bis an die Grenze, bis ans Ende. Es ging den Beteiligten nie um einen vorläufigen, widerrufbaren Einsatz, sondern um das Ausharren bis zum Ende, weil nur so eine bleibende Gegenwart des Christlichen, oder – persönlicher formuliert – eine Gegenwart von Christus ermöglicht wird, wenn es denn in der Absicht Gottes liegt. So spricht dieses Buch auch vom Segen, der auf der Treue liegt. Ein Erfolg ist allerdings nicht immer in greifbarer Nähe. Erfolg ist überhaupt kein Begriff des Christentums. Dass hinter allem Dunkel aber doch ein Licht aufscheinen wird, dass nach jedem Karfreitag Ostern, nach jedem Tod Auferstehung sein wird, davon waren die algerischen Christen, die hier vorgestellt werden, fest überzeugt.

Was früher das Schicksal der Christen in Algerien war, ist heute das Los der Christen im Nahen Osten, besonders im Irak, in Ägypten, aber auch im indischen Subkontinent und in Südostasien. Verharren oder fliehen ist ihre bange Frage. Und wie reagieren die Westmächte?

DIE EREIGNISSE UND DIE HINTERGRÜNDE

Die Schreckensnachrichten

Der Entführung von 1996 war schon am 24. Dezember 1993 eine handgreifliche Warnung vorausgegangen. Eine Gruppe der gefürchteten Freischärler drang ins Kloster ein und verlangte den Oberen zu sehen. Dem Prior, Christian de Chergé, gelang es, den Anführer zu überzeugen, dass er in seinem Kloster, das ein „Haus des Friedens“ sei, keine Waffen dulden könne; sie müssten also entweder die Waffen ablegen oder draußen vor dem Tor verhandeln. Sie akzeptierten dies und zogen sich vor das Tor zurück, wo dem Prior Bedingungen diktiert wurden, die er alle ablehnte. Da wurde ihm beschieden: „Sie haben keine Wahl!“, er aber widersprach: „Doch, wir haben die Wahl!“ Und dann gab er dem Anführer zu bedenken, dass dies für die Christen der Heilige Abend sei, an dem Jesus Christus geboren ist, der „Friedensfürst“, und dass sich daher der Überfall nicht gezieme. Daraufhin entschuldigte sich der Chef.

Man muss sich die Situation vorstellen: Der Prior hat vor sich den Chef, der mit seiner Truppe zwei Wochen zuvor zwölf Kroaten – „Fremdarbeitern“ – die Kehle durchgeschnitten hatte, wohl aus Rache für das Unheil, das im Bosnienkrieg den Muslimen angetan wurde. Mit solchen Leuten zu verhandeln, braucht starke Nerven und einen kühlen Kopf. Ein andermal wurden sie von einer anderen Gruppe überfallen; der Prior und ein Gast wurden herausgezerrt, und schließlich erlaubte der Prior ihnen, sein Handy vor dem Haus zu benützen. Der nervöse Gast bat darum, eine Zigarette anzünden zu dürfen. Der Anführer verweigerte es ihm mit Hinweisen auf den Propheten und den Koran. Der Prior, der den Islam besser kannte als viele Muslime, sagte ihm ins Gesicht, es gebe weder im Koran noch in der heiligen Überlieferung den geringsten Hinweis darauf, dass Zigarettenrauchen verboten sei. Dann holte der Gast seine Streichhölzer hervor, strich sie an der Schachtel ab und sagte: „Verboten ist es, den andern zu töten.“

Feigheit kann man also den Mönchen und ihren Freunden nicht vorwerfen. Aber seit dem „Besuch“ vom Heiligen Abend ist ihnen klar, dass ihnen nur ein Aufschub gewährt ist. Diese Zeit ist zwei Jahre und drei Monate später abgelaufen. Sie werden entführt, die Entführer stellen uneinlösbare Bedingungen, und am 21. Mai fängt man am marokkanischen Radio die Meldung auf, den sieben Mönchen sei die Kehle durchschnitten worden; einige Tage darauf findet man ihre Überreste, das heißt ihre Köpfe; vom Rumpf keine Spur. Im Einverständnis mit den Familienangehörigen werden sie auf dem Friedhof des Klosters Tibhirine beigesetzt, wo ein treuer muslimischer Klosterwächter für die Gräber und das verlassene Kloster sorgt. Der Tod löst in Algerien und Frankreich ein enormes Echo aus. Unzählige Muslime sind erschüttert. Die wenigen Christen in Algerien stehen erneut vor der Frage, ob sie bleiben sollen. Aber eigentlich haben die ermordeten Mönche die Antwort schon gegeben: Man muss bleiben. Christus muss präsent bleiben, nicht missionarisch aufgedrängt, aber in Freiheit bezeugt.

Am späten Abend des 1. August 1996 landete der Bischof von Oran, Pierre Claverie aus dem Dominikanerorden, auf dem Flugplatz Oran; er hatte tagsüber in Algier zu tun gehabt (genauer: der französische Außenminister, der versuchte, mit der algerischen Regierung einen Modus Vivendi zu finden, hatte die algerischen Bischöfe zu einem Gedankenaustausch in sein Gastdomizil gebeten). Ein junger Muslim, Mohamed Buschikhi, der den Christen freundschaftlich verbunden war und eben an diesem Abend als Angestellter des Bistums seine Arbeit antrat, erwartete den Bischof mit seinem Peugeot 205. Sie wurden polizeilich eskortiert und um 22.45 Uhr vor der Haustür der bischöflichen Niederlassung von der Wache verabschiedet. Um 22.48 Uhr zündete der Bischof das Licht in der Eingangshalle an, da ertönte eine Explosion, die beiden Männer waren auf der Stelle tot. Ein ferngezündeter Sprengkörper hinter einer Eisentür hatte das Unheil angerichtet.

Gewiss, mit Bischof Claverie war ein Christ Ziel des Anschlags. Claverie war übrigens in Algier geboren und aufgewachsen (die Familie lebte seit Generationen dort), er beherrschte das Arabische; aber auch der Intellektuelle war gemeint: Monate vor ihm waren ein Künstler, ein Psychiater, ein Journalist, ein Wirtschaftsfachmann, ein Dichter ermordet worden – sie gehörten zur algerischen und muslimischen Elite.

Diesen spektakulären Mordanschlägen waren andere vorausgegangen, immer an Menschen, die nichts anderes wollten, als ihre Kenntnisse der Bevölkerung von Algerien zur Verfügung zu stellen, in einem Land, das mit der Entkolonisierung und mit dem Neuaufbau bis heute nicht zurande kommt: Nähkurse, Bibliotheken, Studienberatung, medizinische Fürsorge, aber auch theologischer Dialog zwischen versöhnungsbereiten Muslimen und Christen sollten diesem Ziele dienen. Viele der ruchlos Ermordeten wohnten seit Jahren oder Jahrzehnten mitten unter der Bevölkerung, einige hatten eine jahrelange Spezialausbildung in Arabisch und Islamkunde hinter sich. Sie waren vom größten Teil der Bevölkerung hoch geschätzt.

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