Die Monster, die ich rief - Larry Correia - E-Book
SONDERANGEBOT

Die Monster, die ich rief E-Book

Larry Correia

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Was ist schlimmer als ein Werwolf? Viele Werwölfe!

Owen Pitt ist Buchprüfer. Eines Abends erfüllt er sich einen lang gehegten Traum und wirft seinen Boss aus dem Fenster. Allerdings aus gutem Grund - denn dieser hatte sich vor seinen Augen in einen Werwolf verwandelt und ihn angegriffen. Als Owen im Krankenhaus erwacht, ist ein Agent bei ihm. Er erklärt Owen, dass Monster wirklich existieren und seine Organisation, die Monster Hunter International, sie unter strenger Geheimhaltung im Zaum hält. Und dann macht er Owen ein interessantes Jobangebot ...

Die Monster Hunter - spannende Urban Fantasy von Bestsellerautor Larry Correia:

Band 1: Die Monster, die ich rief
Band 2: Der Club der toten Monster
Band 3: Ein Monster kommt selten allein
Band 4: Monster sehen und sterben
Band 5: Ein Monster sieht rot
Band 6: Monsterzähmen leicht gemacht

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 972

Veröffentlichungsjahr: 2022

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Grußwort

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Zitat

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Epilog

Danksagung

Über den Autor

Weitere Titel des Autors

Impressum

Liebe Leserin, lieber Leser,

vielen Dank, dass du dich für ein Buch von beTHRILLED entschieden hast. Damit du mit jedem unserer Krimis und Thriller spannende Lesestunden genießen kannst, haben wir die Bücher in unserem Programm sorgfältig ausgewählt und lektoriert.

Wir freuen uns, wenn du Teil der beTHRILLED-Community werden und dich mit uns und anderen Krimi-Fans austauschen möchtest. Du findest uns unter be-thrilled.de oder auf Instagram und Facebook.

Du möchtest nie wieder neue Bücher aus unserem Programm, Gewinnspiele und Preis-Aktionen verpassen? Dann melde dich auf be-thrilled.de/newsletter für unseren kostenlosen Newsletter an.

Spannende Lesestunden und viel Spaß beim Miträtseln!

Dein beTHRILLED-Team

Über dieses Buch

Owen Pitt ist Buchprüfer. Eines Abends erfüllt er sich einen lang gehegten Traum und wirft seinen Boss aus dem Fenster. Allerdings aus gutem Grund - denn dieser hatte sich vor seinen Augen in einen Werwolf verwandelt und ihn angegriffen. Als Owen im Krankenhaus erwacht, ist ein Agent bei ihm. Er erklärt Owen, dass Monster wirklich existieren und seine Organisation, die Monster Hunter International, sie unter strenger Geheimhaltung im Zaum hält. Und dann macht er Owen ein interessantes Jobangebot …

LARRY CORREIA

DIE MONSTER, DIE ICH RIEF

Aus dem amerikanischen Englisch von Michael Krug

Dieser Roman ist Bridget gewidmet.

»Weißt du, was wirklich der Unterschied zwischen dir und mir ist? Du schaust hinaus und siehst eine Horde böser, gehirnfressender Zombies. Ich schaue hinaus und sehe eine Umgebung voller Ziele.«

Dillis D. Freeman jr.11.2.2001

Kapitel 1

An einem an sich gewöhnlichen Dienstagabend bekam ich die Chance, den amerikanischen Traum zu leben. Ich konnte meinen inkompetenten Trottel von einem Boss aus einem Fenster im dreizehnten Stock werfen.

Also, ich wachte nicht einfach an jenem Morgen auf und beschloss, meinen Chef mit bloßen Händen umzubringen. Es war schon etwas komplizierter. Bis zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben wäre mir nie etwas durch den Kopf gegangen, das sich so verrückt anhört. Ich war bloß ein Durchschnittstyp, ein Angestellter. Verdammt, ich war Buchhalter. Viel banaler geht es kaum.

Dieses irre Ereignis hat mein Leben verändert. Ich hatte ja keine Ahnung, dass es so viele bizarre Konsequenzen haben würde, meinen Boss in ein Stück Pizza auf dem Gehsteig zu verwandeln. Wobei … technisch gesehen ist er gar nicht auf dem Gehsteig gelandet, sondern auf dem Dach eines in zweiter Reihe parkenden Lincoln Navigator. Aber ich schweife ab.

Mein Name ist Owen Zastava Pitt, und das ist meine Geschichte.

Die Finanzabteilung von Hansen Industries Inc. befand sich in der dreizehnten Etage eines typischen Bürogebäudes in der Innenstadt von Dallas. Es gab zehn von uns Buchhaltern. Wir waren in zehn Arbeitsnischen in einem schmalen Bereich zwischen der Marketingabteilung und der Damentoilette untergebracht. Es war ein gewöhnliches Großraumbüro mit blauem Industrieteppich, Motivationspostern, Dilbert-Cartoons und einigen abgestorbenen Topfpflanzen. Ich war der Neue.

Der Job war ziemlich gut, die Bezahlung anständig, die Arbeit wenigstens halbwegs interessant. Mit den meisten meiner Kollegen kam ich problemlos aus. Es war mein erster seriöser Karrierejob nach dem College, oder zumindest der erste, bei dem ich nicht schwer heben oder Trunkenbolde vermöbeln musste.

Nun hatte ich einen Rentenvorsorgeplan und eine Zahnarztversicherung. Ich hatte vor, hart zu arbeiten, mir eine Frau zu suchen, Kinder zu bekommen und mich in einem Vorort niederzulassen. Ich war ein junger Angestellter mit einer strahlenden Zukunft.

Mein Job bei einer so anständigen, renommierten Firma hatte nur einen größeren Haken: Mein Boss war ein übellauniger Idiot. Mr. Huffman gehörte zur schlimmsten Sorte von Vorgesetzten – inkompetent und immer in der Lage, einen Untergebenen zu finden, dem er die Schuld für seine Fehler in die Schuhe schieben konnte. Außerdem war er wütend auf die Welt; nicht etwa aus einem besonderen Grund, sondern bloß allgemein, weil er sich von ihr fies behandelt fühlte. Trotz seiner Faulheit und Dummheit konnte sein Spatzenhirn nicht begreifen, weshalb er nie über die Position hinaus befördert wurde, die er seit einem Jahrzehnt innehatte. Für ihn war offensichtlich, dass ihm die Welt übel mitspielen wollte. Nachdem ich den Mann kennengelernt hatte, konnte ich der Welt nicht den geringsten Vorwurf daraus machen.

Als neuester Mitarbeiter in der Revisionsabteilung von Hansen Industries Inc. war ich der designierte Prügelknabe für Mr. Huffmans Zorn. Mein Vorgänger als neuester Mitarbeiter hatte Selbstmord begangen und dadurch die freie Stelle geschaffen, die ich nun hatte. Damals hatte ich die Verbindung zwischen Jobzufriedenheit und der Wahrscheinlichkeit, eine Packung Schlaftabletten zu schlucken und mit Whiskey runterzuspülen, noch nicht richtig hergestellt.

Es war ein weiterer jener Zwölfstundentage gewesen, die für mich zur Norm geworden waren, da ich immer hoffnungslos hinterherhinkte. Ich versuchte, im Zuge der Arbeit zu lernen, und musste feststellen, dass der Unterricht am College herzlich wenig mit der Realität zu tun hatte. Da mich eigentlich mein Vorgesetzter, der ekelhafte Mr. Huffman, einschulen sollte, war ich von Anfang an im Arsch. Ich hatte zu der Zeit kein richtiges Privatleben – außer den Sonntagen, an denen ich meinem Hobby nachging –, deshalb störte es mich nicht, länger zu bleiben. Hoffentlich würde ich damit eine wichtige Persönlichkeit der Firma beeindrucken, die mir vielleicht eine Versetzung in deren Abteilung anbieten würde, weg von Huffman.

Wenigstens war der Monat angenehm verlaufen. Huffman war auf Campingurlaub in irgendeinem Nationalpark gewesen. Danach war er für eine Woche zurückgekommen, in der er sich in seinem Büro einigelte, mit niemandem sprach und keine Anrufe entgegennahm. Anschließend ging er einige Wochen in Krankenstand. Sein jährlicher Urlaub fiel für gewöhnlich mit der produktivsten Zeit des Jahres meiner Abteilung zusammen. Welch ein Zufall.

Ich blickte abwesend auf die Uhr. 20.05 Uhr. In den Arbeitsnischen ringsum herrschte Stille. Mein Magen knurrte und gab mir zu verstehen, dass die Tüte Chips und die Banane, die ich zu Mittag gegessen hatte, längst verdaut waren. Es war an der Zeit zu gehen. Ich meldete mich von meinem Computer ab, sperrte meine Akten weg und schlüpfte auf dem Weg zur Tür in meine Jacke. Da ich glaubte, als Einziger noch hier zu sein, schaltete ich das Licht aus, als ich hinausging. Plötzlich knisterte die Gegensprechanlage. Ich zuckte vor Schreck zusammen.

»Wer ist da?« Die behäbige Stimme gehörte Mr. Huffman. Das überraschte mich. Ich hatte nicht gewusst, dass er bereits zurück war. Verdammt. Ich ging weiter und beschloss, so zu tun, als hätte ich die Gegensprechanlage nicht gehört. Wenn Huffman so spät noch hier war, wollte ich nicht derjenige sein, der den Mist aufgehalst bekam, an dem er arbeitete – was, da ich wusste, was für ein faules Aas er war, zweifellos geschehen würde. Wahrscheinlich würde er es als ›delegieren‹ bezeichnen und sich dafür beglückwünschen, ein so proaktives Mitglied des Managementteams zu sein.

»Owen? Sind Sie das? Kommen Sie sofort in mein Büro!« Erwischt. »Auf der Stelle, Owen. Es ist wichtig!« Er klang so übereifrig und aufgeblasen wie immer.

Während ich mürrisch auf sein Büro zustapfte, fragte ich mich, woher er gewusst hatte, dass ich es war. Wahrscheinlich bloß gut geraten. Er musste wohl gesehen haben, wie das Licht in meiner Bürozelle ausging. Ich begann, mir Ausreden dafür einfallen zu lassen, warum ich gehen musste, wusste jedoch aus Erfahrung, dass er keine gelten lassen würde. Kampfsportunterricht? Nein, er hält mich ohnehin schon für zu militant, dabei weiß er gar nichts von meiner Schusswaffensammlung. Kirche? Wohl kaum. Eine Verabredung? Hätte ich gern. Kranke Mutter? Letzteres war einen Versuch wert, fand ich. Also legte ich mir auf dem Weg zu seinem Büro die Geschichte zurecht, dass ich mich um meine kranke Mutter kümmern musste. Die lebte zwar drei Staaten entfernt, aber das wusste Huffman ja nicht.

Als ich sein Büro betrat, verpufften alle Gedanken an die imaginäre Krankheit meiner Mutter. Die Lichter waren ausgeschaltet, was ich als äußerst seltsam empfand. Ich konnte meinen Boss nicht sehen, da mir die Rückenlehne seines Lederdrehstuhls zugekehrt war. Die Lichter der Stadt spendeten durch die Fenster ein wenig Helligkeit. Ich konnte mir nie erklären, wie ein Ekel wie Huffman zu einem Eckbüro mit Aussicht gekommen war. Vermutlich besaß er kompromittierende Fotos des Finanzleiters mit einer Nutte oder so. Auf Huffmans riesigem Eichenholzschreibtisch herrschte ein heilloses Durcheinander, und in der Mitte stand eine fleckige Papiertüte, die sein Abendessen enthalten musste. Was immer sich in der Tüte befand, sickerte langsam durch und bildete auf dem Papier darunter eine hässliche Lache.

»Nehmen Sie Platz, Owen«, befahl Huffman. Seine Stimme klang merkwürdig. Er drehte sich nicht zu mir um. Nach seiner Schädeldecke zu urteilen, schien er den abendlichen Himmel zu betrachten.

»Äh, nein danke, Sir … Ich muss wirklich los. Meine Mutter ist krank, und …«

»Ich … sagte … SETZEN!«, brüllte er und wirbelte mit dem Stuhl herum. Ich sog scharf die Luft ein, zum Teil, weil Mr. Huffman einen irren Ausdruck in den Augen hatte, vorwiegend aber, weil er völlig nackt war. Ein Anblick, von dem ich nicht gedacht hatte, ihn je ertragen zu müssen. Die untere Hälfte seines schlaffen Gesichts war mit etwas Dunklem, Öligem verschmiert, als hätte er bei einem Grillfest gefressen wie ein Schwein.

Alles klar, hier geht es definitiv um etwas anderes. Ich hob die Hände. »Also, Sir, ich muss Ihnen sagen, dass ich nicht so veranlagt bin. Wenn das Ihr Ding ist – fein. Ist mir egal. Manche Kerle würden sich geschmeichelt fühlen, aber ich verschwinde jetzt«, erklärte ich und wich langsam zur Tür zurück.

»RUHE!«, brüllte er und ließ die fleischigen Hände so heftig auf den Schreibtisch knallen, dass dieser erzitterte und die Papiertüte umkippte. Der Inhalt fiel heraus. Ich erstarrte, überrascht von der wilden Intensität des Befehls. Von einem Mann, der etwas hatte, das sich am besten als ›wabbeliger Männerbusen‹ beschreiben lässt, hätte ich damit nicht gerechnet. »Wissen Sie, was heute für eine Nacht ist, Owen? Wissen Sie das? Es ist eine ganz besondere Nacht!«

»Ist heute Flatrate-Shrimp-Abend bei Sizzlers?«, erwiderte ich ruhig, streckte den Arm hinter mich und legte die Hand auf den Türknauf. Es war amtlich. Mr. Huffman war verrückt geworden. Mir schien sogar, dass er Schaum vor dem Mund hatte.

»Heute Nacht bestrafe ich die Frevler. Vor einem Monat habe ich eine Gabe erhalten. Jetzt bin ich König. Ich habe gesehen, dass Sie und die anderen hinter meinem Rücken über mich reden. Dass Sie mich als Vorgesetzten nicht respektieren.« Mein Boss hatte die Stimme zu einem Knurren gesenkt. Seine Augen zuckten umher, als sähe er faszinierende Dinge in den dunklen Winkeln des Büros. »Sie sind der Schlimmste, Owen. Sie sind kein Teamspieler. Sie respektieren meine Autorität nicht. Sie wollen mir meinen Job wegnehmen. Sie wollen mir in den Rücken fallen!«

Ich wollte ihm zwar nicht in den Rücken fallen, war jedoch drauf und dran, ihm ins Gesicht zu schlagen. Meine vorherige Einschätzung entpuppte sich als richtig. Er hatte tatsächlich Schaum vor dem Mund. Dass ich vom fetten, nackten Mr. Huffman angegriffen werden könnte, bereitete mir kein Kopfzerbrechen, zumal man mich ohne Weiteres als großen, massigen Kerl bezeichnen konnte, der, wenngleich es für einen Buchhalter überraschend sein mochte, obendrein wusste, wie man jemanden aufmischte, wenn es sein musste. Die Situation mutete surreal und ein wenig komisch an, aber ich wusste, dass Wahnsinnige unberechenbar und daher gefährlich sein konnten. Es war an der Zeit, sich davonzustehlen und professionelle Hilfe zu holen. Ich drehte den Knauf und fragte mich beiläufig, ob unsere Krankenversicherung psychiatrische Behandlungen abdeckte.

»Nur die Ruhe, Mr. Huffman. Ich habe es keineswegs auf Sie abgesehen. Ich muss nur mal kurz raus.« Dann bemerkte ich, was aus der Papiertüte gefallen war.

»Ist das eine Hand?«, sprudelte ich hervor.

Huffman ignorierte meine Frage, brüllte und drosch weiter auf den Schreibtisch ein. Bei jedem Hieb waberten seine Speckschichten gefährlich. Das Ding auf dem Tisch sah tatsächlich wie eine Frauenhand aus, mit lackierten Fingernägeln, einem Ehering und einem schartigen Stumpf, aus dem die Gelenksknochen ragten. Heilige Scheiße! Mein Vorgesetzter war kein gewöhnlicher Irrer. Ich arbeitete für einen Mörder.

Der nackte, durchgeknallte Fettwanst deutete aus dem Fenster. »Die Zeit ist gekommen! Heute Nacht bin ich ein Gott!«, kreischte er.

Sein Wurstfinger zeigte auf den Vollmond.

Während ich hinsah, schien sich der Finger im fahlen Mondschein und in den gelblichen Lichtern der Stadt zu strecken. Die Hände begannen, länger zu werden, die Fingernägel wuchsen und wurden dicker. Huffman sah mich an, und ich stellte fest, dass sich sein Grinsen buchstäblich von Ohr zu Ohr erstreckte. Sein Zahnfleisch und die Zähne traten bedrohlich hinter den Lippen hervor. Dichtes Haar spross aus seinen Poren. Huffman brüllte vor Schmerz und Erregung, als das Knirschen und Knacken von Knochen den Raum erfüllte.

»Owen. Sie gehören jetzt mir. Ich werde Ihr Herz fressen.« Durch den triefenden Kiefer und die anschwellende Zunge waren seine Worte kaum verständlich. Seine Zähne wuchsen und wurden schärfer.

Eine Sekunde lang erstarrte ich, gelähmt von widersprüch­lichen Emotionen. Mein Verstand kam quietschend zum Stillstand. Im Büro war es so dunkel, dass der zivilisierte Teil meines Gehirns dem primitiven Höhlenmenschenteil einzureden versuchte, es handle sich bloß um eine optische Täuschung, um einen perversen Streich oder sonst etwas Logisches. Zu meinem Glück behielt der Höhlenmensch die Oberhand.

Ich weiß bis zum heutigen Tage nicht, warum ich in jenem Moment das Bedürfnis verspürte, meinem rasant mutierenden Boss gegenüber ein Geständnis abzulegen. Ich bewegte mich zwar absolut im Rahmen der Gesetze des Staates Texas, verstieß jedoch direkt gegen die Bestimmungen der Firma zur Sicherheit am Arbeitsplatz.

»Sie kennen doch diese Richtlinie zum Verbot von Waffen bei der Arbeit, oder?«, fragte ich das zuckende, wachsende, haarige Monstrum, das keine drei Meter von mir entfernt stand. Der Blick seiner gelben Augen durchbohrte mich mit blankem, animalischem Hass. In jenem Blick ließ sich nichts Menschliches erkennen.

»Ich mochte diese Richtlinie noch nie«, fuhr ich fort, bückte mich, zog meine Pistole aus dem Knöchelhalfter, richtete das Korn auf das Ziel und jagte in rascher Abfolge alle fünf Patronen meiner kurzläufigen .357 Smith & Wesson in Huffmans Körper. Gott segne Texas.

Die Kreatur, die Huffman gewesen war, taumelte gegen das Fenster zurück und hinterließ eine Schliere aus Blut und Gewebe, als sie das Glas entlang auf den Teppich rutschte. Einige Kugeln hatten ihr Ziel entweder verfehlt oder durchschlagen und die dicke Scheibe zum Springen gebracht. Ich hatte nicht vor zu bleiben, um es mir näher anzusehen, sondern drehte mich um, rannte los und brach mir beinah die Nase, als ich in die Tür krachte, während ich noch versuchte, sie zu öffnen. Ich nahm mir die Zeit, sie hinter mir zuzuwerfen, bevor ich den schmalen Flur entlangrannte. In einer Hand hielt ich den leeren Revolver, mit den Fingern der anderen tastete ich in meiner Jackentasche nach dem Magazinlader mit der Reservemunition.

Huffmans Bürotür flog mit einem Knall auf. Das Ding, das dort stand, war eindeutig einem Tier ähnlicher als einem Menschen, aber offensichtlich keinem gewöhnlichen Tier. Irgendwie hatte sich die speckige Masse meines Vorgesetzten in einen schlanken, muskulösen Körper verwandelt. Lange Klauen rissen Furchen aus dem Industrieteppich. Raues schwarzes Haar bedeckte seinen Leib, und die Wolfsfratze glich einem zum Leben erwachten Albtraum. Die zu einem geifernden Knurren zurückgezogenen Lippen entblößten eine Reihe nadelspitzer Zähne. Auf allen vieren hob er die Schnauze an, schnupperte und heulte, als er mich sichtete.

Das Blut in meinen Adern erstarrte zu Eis.

Ich rannte in die Richtung des Aufzugs und klappte die Trommel meines mit fünf weiteren 125-Gramm-Hohlspitzgeschossen geladenen Revolvers zu. Die Kreatur war schnell, viel schneller als ein Olympiasprinter … und ich war kein Olympiasprinter. Mein Vorsprung schwand in Sekundenschnelle. Ich wirbelte herum und feuerte, als das Vieh mich ansprang, traf es ins Gesicht. Die Schnauze wurde durch die Wucht des Einschlags zur Seite gerissen, und der eigene Schwung beförderte das Monstrum gegen die Wand, wo es die Gipskartonplatten eindrückte. Sofort rappelte es sich wieder hoch. Das Fell auf dem Rücken richtete sich auf.

Ich bin ein hervorragender Schütze. Der kleine Revolver war in Sachen Präzision zwar nicht meine beste Waffe, aber das wog ich durch Können auf. Ich konzentrierte mich auf das Korn, zielte auf den Schädel der Kreatur und drückte ab. Nach jedem Schuss legte ich erneut an und wiederholte den Vorgang. Belohnt wurde ich durch das Aufspritzen von Rot und Weiß, als ein Hohlspitzgeschoss Huffmans Gehirn durchschlug. Trotzdem drückte ich den Abzug weiter, bis der Schlagbolzen leer klickte. Ich hatte keine Munition mehr.

Meine Sicht hatte sich in einen Tunnelblick auf die Bedrohung verwandelt. Mein Puls raste wie ein Trommelwirbel. Das durch meinen Körper strömende Adrenalin hatte das grauenhafte Mündungsfeuer ausgeblendet. Ich ließ die Waffe sinken. Huffman war tot.

Als ich zu hyperventilieren begann, versuchte ich, meine Atmung zu kontrollieren. Vermutlich verlor ich den Verstand, denn keine sechs Meter von meiner Arbeitsnische entfernt lag ein toter Werwolf. Ein Monster aus Ammenmärchen, dennoch war es hier, ausgestreckt auf dem Teppich, mit weggepustetem Gehirn. Als die Kreatur mich gejagt hatte, war mir keine Zeit für Angst oder sonstige Emotionen geblieben, nun jedoch explodierte all das hervor, als wäre ein Damm gebrochen. Das unkontrollierte Zittern meiner Glieder setzte zunächst langsam ein, steigerte seine Intensität jedoch rasch, als ich einen genaueren Blick auf das Ungetüm auf dem Boden warf. Es war wie bei einem Autounfall. Zuerst Ungläubigkeit, als sich das Ereignis abzeichnet. Dann ein Mangel an Emotionen während des Aufpralls. Und schließlich die brutale Erkenntnis dessen, was passiert war. Ich habe gerade einen Werwolf getötet.

Dann richtete sich Huffman auf und knurrte mich an.

Die freiliegende Gehirnmasse zog sich pulsierend in den Kopf zurück, und mit einem Knirschen fügten sich die Schädelknochen zusammen. Irgendwie richtete sich die Kreatur auf die Hinterläufe auf, obwohl die Knie hundeartig durchgebogen waren. Mit einem klauenbewehrten Finger spießte sie einen Gewebebrocken von ihrem Fell, warf ihn sich ins Maul und kaute auf dem eigenen Fleisch. Dann senkte sich das Monster anmutig auf alle viere, schüttelte sich wie ein riesiger nasser Pudel und spritzte das Blut aus seinen Wunden an die weißen Wände und die Motiva­tionsposter im Flur.

Das Ungetüm stimmte erneut ein lang gezogenes, hohes Geheul an. Das Geräusch erweckte einen urtümlichen, tief in mir verborgenen Überlebensinstinkt. Ich drehte mich um und rannte schneller als je zuvor in meinem Leben. Irgendwie gelang es mir, nicht den Kopf zu verlieren, und statt zu versuchen, den Aufzug zu erreichen, bog ich scharf nach rechts, preschte durch eine Tür, schlug sie hinter mir zu, sperrte ab und schob einen schweren Schreibtisch davor. Ein Computermonitor fiel zu Boden und sprühte Funken. Ich befand mich im Marketingraum. An der Wand hing ein Poster eines Frosches, der mit dem Kopf im Maul eines Storchs steckte, diesen aber trotzdem würgte. Als Titel stand darüber: GIB NIEMALS AUF. Danke für den Tipp, Kumpel.

Ich hatte keine Zeit zum Nachdenken. Ich blieb in Bewegung und hoffte, die Tür und der Schreibtisch würden Huffman ein wenig aufhalten. So war es auch, jedenfalls für einige Sekunden. Dann begann der Werwolf unter einem Schauer von Splittern, die Tür in Stücke zu reißen. Knurrend und grunzend schob er den Schreibtisch nach und nach aus dem Weg. Am anderen Ende des Büros befand sich eine weitere Tür, die in einen Nebengang führte. Ich schlug sie hinter mir zu, doch da war nichts, um sie zu blockieren. Eine Waffe. Ich brauche eine Waffe. Den Revolver hatte ich zwar noch in der Hand, allerdings war er leer, und als Knüppel taugte das leichte Ding herzlich wenig. Ich besaß eine Erlaubnis zum Tragen verborgener Waffen zur Verteidigung gegen Straßenräuber und ähnliches Gesocks, nur hätte ich nie gedacht, dass ich sie einmal brauchen würde, um gegen eine Kreatur aus dem SciFi-Programm zu kämpfen. An der Wand war ein Feuerlöscher befestigt, den ich von seiner Halterung zog und mitnahm. Besser als nichts.

Ein Stück den Gang hinunter befand sich die Tür zu meiner Abteilung. Wenn ich es durch sie hindurch schaffte, konnte ich versuchen, den Fahrstuhl zu erreichen. Mit rasenden Beinen und hämmerndem Herzen steuerte ich darauf zu, als ich hinter mir hörte, wie die Tür krachend aus den Angeln flog. Ich vergeudete keine Zeit damit zurückzuschauen, sondern riss die Tür zur Finanzabteilung auf, eilte hindurch und wollte sie hinter mir zuziehen, aber sie prallte gegen Huffmans Pfote und Schnauze. Vergeblich versuchte ich, sie zu schließen – er war viel stärker als ich. Er hieb mir mit den Klauen über die Brust, schnitt durch meine Kleider und in mich hinein. Schmerzen. Unvorstellbare Schmerzen. Schreiend fiel ich auf den Rücken und betätigte den Feuerlöscher, richtete den Strahl auf das klaffende Maul und die Augen des Werwolfs. Die Kreatur heulte, bäumte sich auf die Hinterläufe auf und hob die Pranken schützend vors Gesicht. Ich trat aus, traf das Ding in die Rippen und beförderte es zurück hinaus auf den Gang. Hastig rappelte ich mich auf, zog die Tür zu und sperrte ab.

Meine Brust brannte von den Fleischwunden. Die Verletzung sah übel aus, und Blut durchtränkte mein Hemd, aber die Schmerzen waren durch das Adrenalin, das durch mich schoss, zu einem dumpfen Hintergrundpochen verkommen. Die richtigen Qualen würden später einsetzen. Vorerst musste ich mir über ein Monster den Kopf zerbrechen.

Der Werwolf durchschlug die Holztür. Seine Klauen verfehlten mich nur knapp. Ich hob den Feuerlöscher über den Kopf und drosch damit auf den behaarten Arm ein, bedachte ihn immer wieder mit Schlägen, die gewöhnliche Knochen mühelos zerschmettert hätten. Schließlich brach der Unterarm mit einem hörbaren Knacken, aber Huffman ließ sich davon nicht beirren. Die Krallen fuchtelten weiter durch die Luft, und innerhalb von Sekunden schien der Bruch verheilt zu sein. Ich brüllte zusammenhangloses Zeug, hieb weiter mit dem Feuer­löscher auf Huffman ein und verursachte mit jedem Treffer ein metallisches Echo.

Wir hatten eine Pattstellung erreicht. Er konnte nicht durch, solange ich ihm fortwährend die Arme brach. Sein Tierverstand musste zur selben Erkenntnis gelangt sein. So schnell, wie er aufgetaucht war, verschwand der Arm. Zurück blieb nur ein klaffendes Loch in der dicken Eichenholztür.

Mein Atem ging wegen der Anstrengung in abgehackten Stößen. Nichts schien dieser Kreatur etwas anhaben zu können. Ich musste mir etwas einfallen lassen. Silber. In den Filmen funktio­nierte das immer, nur wo sollte ich im Büro Silber finden? Die Antwort darauf wusste ich auf Anhieb: nirgends.

Wenn ich es zum Aufzug schaffte, wäre ich in Sicherheit, aber dafür musste ich zwölf Meter in der Finanzabteilung und anschließend dreißig Meter Korridor überwinden. Mit dem Feuer­löscher in den Armen stolperte ich auf die Tür zu. Das grüne Lämpchen des Ausgangsschilds diente mir als Leuchtfeuer. Das Blut, das mir über den Bauch rann, war warm und glitschig. Ich kam bis zu meiner Arbeitsnische, bevor Huffman mit Anlauf in den Raum krachte. Ich konnte unmöglich flüchten, ehe er mich erreichte, und dann wäre ich tot.

Flucht funktionierte nicht, also war es an der Zeit, zu kämpfen. Zumindest hatte ich Heimvorteil.

»Huffman, du Mistkerl! Komm und hol mich!«, brüllte ich und sprühte ihm mit dem Feuerlöscher entgegen. »Das ist meine Arbeitsnische!«

Der Werwolf schlug meine improvisierte Waffe beiseite und brach mir dabei die linke Hand. Er rammte mich und schleuderte mich kerzengerade in die Luft. Die Deckenverkleidung bremste meinen Flug kaum, und ich prallte mit einem schallenden Laut von einem Heizungsrohr zurück. Ich landete auf der Oberkante meiner Nischenwand, die nicht dafür gedacht war, den Fall eines 105-Kilo-Mannes auszuhalten. Sie brach zusammen, und ich polterte auf meinen Schreibtisch.

Weitermachen. Stöhnend versuchte ich, zu Atem zu gelangen und mir etwas einfallen zu lassen, irgendetwas, das ich tun könnte. Der Kopf des Werwolfs tauchte über dem Rand meines Schreibtischs auf. Ich trat ihm heftig ins Gesicht. Huffman biss mir den Schuh ab.

Mit Beinmuskeln wie gespannten Sprungfedern hopste der Werwolf mühelos neben mich. Seine Klauen klickten auf der harten Oberfläche wie Fingernägel auf einer Tafel. Unwillkürlich schoss ein Stechen durch mein Rückgrat. Ich wollte mich vom Schreibtisch rollen, aber Huffman bohrte beiläufig eine Klaue tief in meinen Oberschenkel und nagelte mich fest. Ich schrie vor Schmerz auf, als die Kralle den Muskel durchdrang. Mit der heilen Hand packte ich die behaarte Pfote und versuchte, sie herauszuziehen. Sie rührte sich nicht.

Er hatte mich. Blutend lag ich mit am Schreibtisch festhängendem Bein da. Der Werwolf schien mächtig Spaß zu haben, ließ sich Zeit, genoss mein Leiden. Ich fragte mich, ob tief in dem Tier noch Mr. Huffman steckte, der die Situation auskostete und sich an der Macht weidete, die es ihm endlich ermöglichte, es der verhassten Welt heimzuzahlen.

Dann verdrängte blanke Wut meine Angst.

Die sengenden Schmerzen in meinem Bein waren unerträglich, und die Vernunft sagte mir, dass ich ein toter Mann sei, aber ich wollte verdammt sein, wenn ich durch die Hand dieses fetten Stücks Scheiße namens Huffman stürbe.

Der Werwolf öffnete langsam und unmöglich weit die Kiefer, dann senkte er sie meinem Gesicht entgegen. Sein heißer Atem stank wie faulendes Fleisch. Er wollte mich fressen, und irgendwie wusste ich, dass er es so langsam und qualvoll wie möglich gestalten würde. Unauffällig fasste ich in meine Tasche. Huffman leckte mir übers Gesicht. Die Zunge war nass und rau, und ich wand mich vor Ekel. Wahrscheinlich wollte der Dreckskerl erst prüfen, wie ich schmeckte.

Mein Taschenmesser klappte sich auf; ich rammte es dem Monster in die Kehle. Das Spyderco mit der knapp acht Zentimeter langen Klinge war nicht wirklich ein Kampfmesser, aber ich stellte es auf die Probe. In dem Versuch, so viel Schaden wie möglich anzurichten, zerrte ich daran und drehte es. Blut spritzte quer durch meine Arbeitsnische, als ich Huffmans Halsschlag­ader durchtrennte. Er riss seine Klaue aus meinem Bein, und ich verlor beinah das Bewusstsein, als Blut aus der klaffenden Wunde schoss. Ich zog die kleine Klinge heraus und stieß sie ihm ins Auge. Als Huffman zurückwich, entglitt das vor Körperflüssigkeiten glitschige Messer meinen Fingern und blieb in seinem Gesicht stecken. Der Werwolf schlug um sich und traf mich am Kopf. Die Krallen schrammten über meinen Schädel, rissen mir das Fleisch auf, fuhren mein Gesicht hinab. Ich nahm es fast klinisch nüchtern wahr und wusste, es war schlimm, doch ich war darüber hin­aus, noch etwas zu fühlen oder mich darum zu scheren. Mein gesamtes Leben schrumpfte auf einen einzigen Gedanken zusammen: Huffman muss sterben. Lichter blitzten in meinen Augen auf, als mein Feind brüllte.

»Regenerier das mal!«, schrie ich, als ich den Brieföffner von meinem Schreibtisch ergriff und damit wiederholt auf seine Brust einstach. Ich verlagerte den Griff, stieß die Klinge tief in den Gaumen des Monsters und klammerte ihm so die Schnauze zu. Dann trat ich ihm in die Nüsse und zog ihm als Draufgabe noch meinen Stuhl über den Schädel. Er traf mich mit einem Rückhandschlag, der mich wie eine menschliche Kanonenkugel durch den Raum schleuderte. Ich krachte durch eine Topfpflanze und rollte über den Teppich.

Benommen wirbelte Huffman umher wie ein Tornado des Todes, während ich von ihm weghumpelte und versuchte, die massive Blutung meines Beins zu stillen. Der Werwolf schlug in dem Bemühen um sich, das Messer aus seiner Augenhöhle und den Brieföffner aus seinem Gaumen zu ziehen. Ich war in der Nähe von Huffmans Büro gelandet und schleppte mich durch dessen Tür. Mir gingen die Möglichkeiten aus. Bald würde ich wegen des Blutverlusts ohnmächtig werden. Im Moment hielten mich nur noch Wut und Entschlossenheit aufrecht, und die würden nicht mehr lange reichen. Ich musste mir etwas einfallen lassen, und zwar schnell. Prüfend sah ich mich um und erblickte zwei Aktenschränke, einen auf jeder Seite der Tür. Einen Stuhl. Einen Schreibtisch. Golfzeitschriften. Die Hand einer Frau. Aber nichts, was ich als Waffe benutzen konnte.

Ich hörte, wie der Werwolf in meiner Arbeitsnische tobte, knurrend und heulend alles in seiner Reichweite zerstörte, ehe er allmählich ruhiger wurde, als er meinen Geruch witterte. Er nahm die Verfolgung wieder auf. Ich wartete auf ihn.

Allerdings nicht dort, wo er damit rechnete. Als Huffman her­einstürmte, mittlerweile offenbar nur noch von Instinkten und rein animalischer Wut getrieben, sprang ich ihm von einem der Aktenschränke aus auf den Rücken. Ich landete mit ziemlicher Wucht auf ihm, und er krachte mit der Schnauze voraus gegen den Schreibtisch. Mit den Armen um seinen Hals würgte ich ihn mit aller Kraft, die ich besaß. »Mal sehen, wie taff du ohne Luft bist!«, brüllte ich ihm in ein spitzes Ohr. Wir stürzten über den Schreibtisch, aber ich hielt mich stur fest. Seine Schnauze schnappte nach mir, doch meine Arme befanden sich unerreichbar darunter. Er streckte eine Pranke nach hinten und fuhr mir mit den rasiermesserartigen Krallen über den Rücken. Wir drehten uns wie wild und prallten gegen das bereits beschädigte Fenster, zerschmetterten es und ließen Scherben in die Tiefe regnen. Wie durch ein Wunder stürzten wir nicht ab. Ich ließ meinen verwundeten linken Arm um seine Kehle, packte mit der heilen Hand seine Schnauze und riss den Schädel mit aller Kraft, Wut und Angst, die noch in mir steckten, zur Seite herum. Das Rückgrat des Monsters schien aus Bewehrungsstahl zu bestehen. Irgendwie gelang es mir, noch kräftiger zu ziehen.

Mit einem grausigen Knacken brach das Genick des Werwolfs. Der von den durch das Gehirn blitzenden Impulsen abgetrennte Körper der Kreatur zuckte wild. Die Klauen lösten sich von meinem verwüsteten Rücken, und das Monster sackte heftig zitternd unter mir zusammen. Ich rollte mich von dem Vieh runter und schleppte mich davon weg, kaum noch bei Bewusstsein. Indem ich mich mit einem Arm zog und einem Bein abstieß, während das andere Bein schlaff mitgeschleift wurde und eine breite Blut­spur hinterließ, schaffte ich es zur anderen Seite des Schreibtischs, wo ich zusammenbrach.

Wieder hörte ich das Schaben von Knochen, als sich Huffmans Wirbelsäule neu zusammenfügte. In wenigen Sekunden würde er auf den Beinen und ich nicht mehr in der Lage sein, gegen ihn zu kämpfen. Ich zog mich mit der heilen Hand hoch, um über den Schreibtisch zu spähen. Vor mir lag Huffmans Abendessen, was mein mit Blut und Sauerstoff gefährlich unterversorgtes Gehirn als immens lustig empfand. »Braucht jemand ein helfendes Händchen?«, fragte ich niemand Bestimmten und kicherte.

Der Werwolf begann, sich aufzusetzen. In wenigen Momenten würde ich ihm als Nahrung dienen. Danach würde er bei jedem Vollmond losziehen, um unschuldige Menschen zu töten. An den übrigen Tagen des Monats würde er weiterhin der schlimmste Vorgesetzte der Welt bleiben, davon war ich überzeugt. Ich weiß nicht, was davon mich wütender machte.

Huffman drehte den Kopf hin und her, als er wieder zur Besinnung kam.

»Diesmal nicht, Arschloch!«, brüllte ich und stemmte mein gesamtes Gewicht gegen den schweren Schreibtisch. Mit einem widerwilligen Ächzen bewegte er sich aus dem tiefen Eindruck, den er im Teppich hinterlassen hatte. Mein heiles Bein suchte krampfhaft Halt, was sich umso schwieriger gestaltete, als mir der Schuh fehlte. Mit der Kraft der Verzweiflung rammte ich den Schreibtisch gegen Huffman, brachte ihn aus dem Gleichgewicht, und bevor der Werwolf wusste, wie ihm geschah, schob ich ihn samt seinem verfluchten Schreibtisch durch das Fenster hinaus.

Kapitel 2

Mir war bewusst, dass ich träumte. Allem haftete dieses verschwommene, losgelöste Gefühl eines Traums an. Zuerst schleppte ich mich in flüchtigen Bildern zum Aufzug. Meinen Gürtel hatte ich als provisorischen Druckverband für mein Bein verwendet. Allerdings verspürte ich in meinem Traum keinerlei Schmerzen. Ich bewegte mich so langsam, als befände ich mich unter Wasser. Dann folgten Eindrücke eines Krankenwagens und von Männern, die mir Nadeln in den Körper jagten und mir auf die Brust klopften.

Die nächste Szene war verrückt, weil ich in der Regel in der Ich-Perspektive träume. Ich trieb schwerelos in der Luft, schaute hinab und beobachtete, wie Leute in Masken mich mit einem Defibrillator bearbeiteten.

Zurück in der Ich-Perspektive. Ich stand auf einem Feld mit irgendwelchem saftigen, grünen Getreide. Meine nackten Füße spürten die Nässe des Taus, als ich mit den Zehen wackelte. Der Himmel präsentierte sich dunkelblau, die Luft roch frisch und sauber wie nach einem Sommergewitter. In der Ferne graste eine Kuhherde.

In der Nähe stand ein Mann. Er war alt und gekrümmt, sein Haar weiß und zerzaust. Er besaß ein freundliches Lächeln, aber harte Augen hinter kleinen, runden Brillengläsern. Er stützte sich auf einen Stock und winkte.

»Hallo, Junge.« In der Stimme des Alten schwang deutlich irgend­ein osteuropäischer Akzent mit.

»Bist du Gott?«, fragte ich ihn.

Er lachte ausgelassen. »Ich? Ha! Ist guter Witz. Fürchte nein. Ich nur ein Freund.«

»Bin ich tot?«

»Fast. Aber du musst zurück. Hast du Arbeit zu tun. Ja, viel Arbeit.«

»Arbeit?«

»Berufung. Ist hart, aber gut.«

»Eine Berufung?«

»Von bevor du geboren. Wie sagt man?«

»Vorherbestimmung?«

»Eher, als hast du Arschkarte gezogen. Jetzt geh. Keine Zeit. Ich dich schicke zurück.«

»Werden wir uns wiedersehen?«

»Nur, wenn du vertrottelter Junge bist und wieder tot wirst.«

Der nette Traum endete, und meine Welt explodierte in Schmerzen.

Ich nahm einen regelmäßigen Piepton wahr, dessen Takt meinem Herzschlag entsprach. Über mir standen zwei schwarze Schemen.

»Ich sage, wir machen ihn gleich kalt.«

»Noch nicht.«

»Der ist nie und nimmer sauber.«

»Sie kennen die Regeln.«

»Die Regeln sind falsch. Ich könnte ihn mit einem Kissen ersticken, und niemand würde es je erfahren.«

»Ich würde es wissen.«

Ich schlief wieder ein.

Als ich erwachte, roch ich Desinfektionsmittel. Meine Lider waren zugekrustet, mein Mund fühlte sich entsetzlich trocken an, und meine Zunge klebte am Gaumen. Ich empfand diesen sonderbaren, kribbeligen Rausch, den man hat, wenn man auf Schmerzmitteln ist, was bei mir zuletzt vor einigen Jahren bei einer Operation der Fall gewesen war. Mühsam öffnete ich die Augen. Als sie sich langsam an das gedämpfte Licht gewöhnten, sah ich, dass ich mich in einem Krankenhauszimmer befand. An sich machen mich Krankenhäuser nervös und verursachen mir Unbehagen, aber in dem Moment war das eindeutig besser als die Alternative.

Als ich versuchte, mich aufzusetzen, stellte ich fest, dass ich eine Infusionsleitung im Arm hatte und dicke Verbände an der Brust, an den Beinen und auf dem Rücken. Meine linke Hand steckte in einem Gips.

Ein Stechen auf dem Kopf ließ mich zusammenzucken. Behutsam fasste ich nach oben und berührte meine Stirn. Dort hatte ich keinen Verband und zählte mindestens fünfzig kratzige Stiche, die von meiner Schädeldecke zwischen den Augenbrauen hindurch über den Nasenrücken verliefen, ehe sie auf meiner Wange endeten. Ich war dankbar, keinen Spiegel zur Hand zu haben. Da ich von Natur aus neugierig bin und durch den Morphintropf furchtlos war, hob ich den Rand des großen Verbands auf meiner Brust an. Man hatte Klammern benutzt, um die tieferen Schnitte dort zu schließen. In meiner medikamentenbedingten Benommenheit empfand ich es als komisch, dass mir die Ärzte die Brust rasiert hatten. Das würde später wahrscheinlich fürchterlich jucken.

Ich konnte mich nicht daran erinnern, wie ich hierhergelangt war. Ebenso wenig wusste ich, wie lange ich weggetreten gewesen war. Meine Uhr hätte mir anzeigen können, welcher Tag gerade war, allerdings fehlte von ihr genauso jede Spur wie von meinen Kleidern. Ich trug lediglich ein dünnes Nachthemd und so viel Verbandsmaterial, dass man das Lager eines Medizinalbedarfs­ladens damit hätte auffüllen können.

Als meine Sinne allmählich zurückkehrten, begann ich mich zu erinnern, weswegen ich hier gelandet war. Ich muss gestehen, zuerst schrieb ich die bizarren Erinnerungen den Medikamenten zu. Mein Vorgesetzter als reißender Werwolf? Ja, was immer man in mich pumpte, es war ohne jede Frage guter Stoff.

Du hast dir das Ganze eingebildet, klärte mich der logische Teil meines Gehirns auf. Und dann bist du hier aufgewacht. So etwas wie Monster gibt es nicht. Mr. Huffman hat sich nicht in einen Werwolf verwandelt. Du hast ihn nicht aus einem Fenster geschoben. Das können auch unmöglich Klauenspuren sein – die Male stammen von einem Autounfall oder so. Die ganze Sache ist eine üble Halluzination. Alle bei der Arbeit werden lachen, wenn sie deine durchgeknallte Geschichte hören. Huffman ist wahrscheinlich gerade dort und beschwert sich darüber, dass du ausfällst und die Krankenversicherung der Firma in Anspruch nimmst.

Leck mich, logisches Gehirn. Ich weiß, was ich gesehen habe.

Es gab eine Möglichkeit herauszufinden, weshalb ich hier gelandet war. An der Infusionsleitung war eine Ruftaste angebracht. Ich drückte drauf und wartete. Dabei versuchte ich, das Bild von Huffmans Gesicht zu verdrängen, das sich in eine mit scharfen Zähnen vollgepfropfte Schnauze verwandelte. Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich endlich die Tür. Leider handelte es sich nicht um eine Krankenschwester.

»Mr. Pitt, ich bin Special Agent Myers, und das ist Special Agent Franks. Wir arbeiten für die Regierung.« Die beiden Männer zeigten kurz Ausweise in meine Richtung. Einer der Agenten war ein düsterer Typ, offensichtlich muskulös und grimmig. Derjenige, der gesprochen hatte, war älter und sah eher wie ein College-Professer denn wie ein Bundesbeamter aus. Beide trugen Anzüge von der Stange, und keiner der beiden wirkte allzu glücklich. Sie zogen sich Stühle herbei. Der Professor schlug die Beine übereinander, legte die Finger aneinander und musterte mich finster. Der Jüngere zog seine Pistole.

»Eine Bewegung, und ich mache Sie kalt«, warnte er mich, und ich zweifelte keine Sekunde daran. Seine Waffe war eine Glock, und er hatte einen Schalldämpfer auf die Mündung geschraubt. Das Kaliber konnte ich nicht erkennen, aber aus meiner Sicht erschien mir der Bohrdurchmesser verflucht riesig zu sein. Der Schalldämpfer zitterte nicht. Ich rührte mich nicht.

Der Professor ergriff das Wort. »Mr. Pitt, würden Sie uns schildern, was sich in Ihrem Büro zugetragen hat?«

Mit meinem staubtrockenen Mund fiel es mir schwer, zu sprechen. »Mmm ssss aggg …«, sagte ich zu ihnen. »Wfffa?« Wahrscheinlich vermuteten sie, dass ich entweder um Wasser bat oder in fremden Zungen redete. Der Professor zögerte kurz, dann kam er meiner Aufforderung nach, ergriff ein Glas vom Beistelltisch und führte den Strohhalm zu meinen Lippen. Das kalte Nass war herrlich. Der Agent namens Frank beugte sich leicht vor, damit er mich immer noch erschießen konnte, sollte es nötig werden. Offensichtlich nahm der Kerl seinen Job äußerst ernst.

»Ahhh … danke«, krächzte ich.

»Gern geschehen. Und jetzt erzählen Sie uns, was passiert ist, bevor Agent Franks stinkig wird.«

Ich überlegte kurz, da ich dem FBI nicht wirklich erzählen wollte, dass sich mein Boss in ein Monster verwandelt und mich zu fressen versucht hatte, bevor es mir gelang, ihm das Genick zu brechen und ihn aus dem Fenster zu stoßen. Mit dieser Geschichte würde man mich zweifellos einbuchten, also improvisierte ich.

»Ich bin die Treppe runtergefallen.« He, ich stand unter Morphineinfluss. Etwas Besseres fiel mir auf die Schnelle nicht ein.

Der Professor runzelte die Stirn. »Lassen Sie den Scheiß, Pitt. Wir wissen, was passiert ist. Wir haben uns die Überwachungsbänder bereits angesehen. Vor fünf Tagen hat sich Ihr Vorgesetzter, ein gewisser Cecil Huffman, in einen Lykanthropen verwandelt, in seinem Fall in einen Werwolf. Er hat versucht, Sie zu töten. Sie haben sich gewehrt und ihn in den Tod gestürzt.«

Ich war perplex. Die FBI-Agenten schienen kein Problem mit der Vorstellung zu haben, dass sich mein Boss in einen Werwolf verwandelt hatte. Ähnlich überraschte mich, dass ich fünf volle Tage außer Gefecht gewesen war. Am Verblüffendsten jedoch fand ich, dass Huffmans Vorname Cecil gelautet hatte.

»Es war Notwehr. Ich bin in dem Fall der Gute. Warum also die Kanone?«

»Sie wissen doch, wie Menschen zu Werwölfen werden, Mr. Pitt, oder? Das ist ein Umstand, der in den Filmen richtig dargestellt wird. Wird man von einem gebissen, ist man selbst infiziert. Das Virus, das die DNS verändert, lebt im Speichel. Bei Verletzungen durch Klauen ist die Gefahr der Ansteckung geringer, aber dennoch gegeben. Hätten wir an Ihnen auch nur eine einzige Bissspur gefunden, würden wir mittlerweile Ihre Leiche entsorgen. Gemäß dem Gesetz zum Schutz vor Lykanthropen aus dem Jahr 1995 müssen wir alle bestätigten Werwesen umgehend eliminieren. Tut mir leid.«

»Ich glaube nicht, dass er mich gebissen hat«, piepste ich. Allerdings spürte ich einen Klumpen in der Magengrube. Huffman hatte mich übel zugerichtet. Würde ich mich in einen Werwolf verwandeln? Oder würde mich das FBI schon davor erschießen?

»Silberkugeln«, brummte Agent Franks. Er ließ die Glock direkt auf meinen Kopf gerichtet. Ich hatte keine Ahnung, was für einen Jackie-Chan-Stunt er von mir erwartete, aber ich hatte nicht vor, irgendetwas zu tun. Ich konnte mich ja kaum bewegen. »Nur für alle Fälle.«

»Und was jetzt?«, fragte ich.

»Wir warten. Eine Blutprobe von Ihnen wurde bereits zu Tests eingeschickt. Ist das Ergebnis positiv, müssen wir Sie beseitigen. Ist es negativ, steht es Ihnen frei, zu gehen. Wir sollten in Kürze einen Anruf erhalten.«

Er sagte ›beseitigen‹ so, als wäre ich ein Hund. Diese Begegnung bestärkte mich nur in meinen bereits ausgeprägt behördenfeindlichen Ansichten.

»Sie lassen mich einfach gehen?«

»Ja. Sollten Sie jedoch je öffentlich über den Vorfall sprechen, verstoßen Sie damit gegen das Gesetz gegen die Preisgabe übernatürlicher Kräfte, und Sie werden mit der vollen Härte der Justiz strafrechtlich verfolgt.«

Franks nickte und brummte: »Bleikugeln.« Seine Kommunikationskompetenz schien mir eher beschränkt zu sein.

Aus Myers’ Augen sprach etwas, das ich für Mitgefühl hielt. »Hören Sie, Mr. Pitt, das ist nur zu Ihrem Besten. Wenn Sie infiziert sind, erweisen wir Ihnen einen Gefallen. Sonst würden Sie in drei Wochen wehrlose alte Damen und Babys fressen. Hoffentlich fallen die Tests negativ aus, und wir können vergessen, dass diese Unterhaltung je stattgefunden hat.«

»Und was passiert in der Zwischenzeit?«

»Entspannen Sie sich einfach«, schlug Agent Franks vor.

»Sie haben leicht reden.«

Ein Arzt kam, um meinen Puls und Blutdruck zu messen. Eine Krankenschwester wechselte meine Infusionsflasche und überprüfte meine Verbände. Das Personal schien durch die Bundesbeamten verunsichert zu sein und ging, ohne ein Wort zu sagen. Blumen wurden mir zugestellt. Sie kamen von Hansen Industries, zusammen mit einer Karte, auf der mir mitgeteilt wurde, dass ich wegen Verstoßes gegen die Sicherheitsvorschrift gegen Waffen am Arbeitsplatz gefeuert war. Außerdem riet man mir, am besten keinen Einspruch gegen die Entlassung zu erheben, wenn ich nicht riskieren wollte, den Schutz der Firmenversicherung zu verlieren. Mit besten Grüßen, die Personalabteilung.

Ich drückte die Taste an dem motorisierten Bett, um mich aufzusetzen. Myers schaltete den kleinen Fernseher ein, und wir sahen uns Jeopardy an. Damit beschäftigte ich einerseits mein Gehirn, und, was noch wichtiger war, es hielt mich davon ab, über die Möglichkeit nachzudenken, dass ich bald tot oder – schlimmer – so wie Huffman sein könnte. Myers erwies sich als ziemlich gut, trotzdem vernichtete ich ihn. Ich bin ein echter Quizmeister. Franks behielt die Pistole auf dem Schoß und nippte an einer Cola Light. Ich bemühte mich, den Umstand zu verdrängen, dass diese netten Regierungsbeamten hier waren, um mir Silberkugeln in den Kopf zu jagen. Das Gefühl der Hilflosigkeit war schrecklich. Der Moderator im Fernsehen hatte alle Antworten. Ich hatte nur Fragen.

»Was ist Konstantinopel? Myers, wie schlimm wurde ich verletzt?«

»Sie haben eine Menge Blut verloren und waren auf dem Operationstisch zwei Minuten lang klinisch tot. Keinerlei Gehirnaktivität. Sie haben etwa dreihundert Stiche und Klammern, außerdem mehrere Knochenbrüche. Trotzdem, falls wir Sie nicht erschießen müssen, sollten Sie vollständig genesen. Nur hübsch werden Sie nie mehr sein. Was ist die Chinesische Mauer?«

Die Vorstellung, dass ich tatsächlich tot gewesen war, fand ich interessant. Irgendwie war das cool. Ich fragte mich, ob ich das als Aufrissmasche verwenden konnte.

»Wer ist Ghandi? Was ist aus Mr. Huffman geworden?«

»Er ist auf einem Lincoln Navigator gelandet, bevor der Schreibtisch auf ihn fiel. Er wurde zu Brei zermanscht. Sonst wurde niemand verletzt.« Myers war sichtlich frustriert. In der Kategorie ›Geschichte‹ zerlegte ich ihn regelrecht. Es ließ sich nicht übersehen, dass der Professor daran gewöhnt war, zu gewinnen.

Ha, ha, Trottel, dich schmeiß ich ins Quiz-Grab! »Was war die Magna Carta? Huffman hat sich nicht regeneriert oder so?«

»Verdammt, sind Sie schnell. Nein. Lykanthropen erholen sich zwar von so gut wie allem außer Silber, aber es erfordert Energie, um Gewebe nachzubilden. In einem Körper ist nur ein gewisses Maß an Energie gespeichert. Richtet man genug Schaden an, tritt der Tod ein.«

»Feuer«, grunzte Franks.

»Stimmt, Feuer wirkt hervorragend. Halt, das weiß ich. Was ist Uran?«, rief Myers.

Ich gab einen Summer-Laut von mir. »Falsch. Was ist Beryllium? Verdammt, Myers, ich dachte, man braucht Bildung, um FBI-Agent zu werden. Sie sind echt lahm.«

Der ältere Bundesbeamte schaltete auf CNN um und schmollte. Tja, sollten sie mich umbringen, blieb mir zumindest die Befriedigung, meine Ehre auf dem Schlachtfeld nutzlosen Wissens verteidigt zu haben. In den Nachrichten kam ein Bericht über eine gewaltige Pipeline-Explosion in einem entlegenen Teil von Russland, die anscheinend auf einen Anschlag tschetschenischer Terroristen zurückging. Ich wandte mich davon ab und belästigte weiter die FBI-Agenten.

»Geschieht so etwas andauernd? Wie wurde Huffman zu einem Werwolf? Gibt es noch viele davon?«

»Sie stellen zu viele Fragen«, befand Franks.

»Mein Mitarbeiter hat recht, Mr. Pitt. Informationen zu diesem Thema werden auf der Grundlage dessen gehandelt, was jemand wissen muss. Sie müssen nur wissen, dass Sie die Klappe zu halten haben.«

Na toll. Dann würde ich eben einfach wieder schlafen. Däm­liche Bundesbullen.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Offensichtlich war es eine reine Geste der Höflichkeit, denn der Klopfende, wer immer er sein mochte, trat sofort ein. Franks blieb kaum Zeit, seine Glock unter einer Ausgabe einer Kochzeitschrift zu verstecken.

Der Mann war durchschnittlich groß und schlank, hatte kurz gestutztes, sandblondes Haar und war vermutlich Mitte vierzig. Da er keine bemerkenswerten Züge aufwies, bot er keine einprägsame Erscheinung, allerdings strahlte er eine Härte alter Schule aus, als er das Zimmer betrat, eine Haltung wie ein Bogart oder ein Cagney in der goldenen Ära des Kinos. Von seinem Mundwinkel hing lässig eine Zigarette, womit er eindeutig gegen die Krankenhausordnung verstieß.

Myers verzog das Gesicht, und Franks sah aus, als spiele er ernsthaft mit dem Gedanken, die Pistole zur Abwechslung auf jemand anderen als mich zu richten.

»Also, wenn das nicht die Aushilfseinsatztruppe ist. Wie läuft das Zeugenermordungsgeschäft?«, fragte der Mann, griff in die Tasche seiner Lederjacke und holte eine Visitenkarte hervor. Er steckte die Karte in den Rand meines Handverbands.

»Die Lage ist unter Kontrolle. Sie werden hier nicht gebraucht«, erklärte der Professor in abweisendem Tonfall.

»Bevor ich glaube, dass ihr Regierungsheinis irgendetwas unter Kontrolle habt, laufe ich in der Hölle Schlittschuh.«

»Halten Sie besser die Klappe«, schlug Franks knurrend vor.

»Oder was?«, gab der Mann mit berechnender Streitlust und einem leicht südlichen Akzent zurück. »Wollt ihr mich verhaften? Es mag euch nicht gefallen, aber wir sind wieder ein legitimes Unternehmen. Hättet ihr Regierungsstümper uns in Yellowstone nicht ausgebootet, wäre der Werwolf dort nicht entkommen, hätte den fetten Kerl nie gebissen, und dieser Typ hier wäre nie angegriffen worden.«

»Nationalparks fallen in unsere Zuständigkeit. Ihre Leute können dort legal keine Waffen tragen, also hatten Sie Pech. Beruhigen Sie sich einfach«, sagte Myers auf eine Weise, die erahnen ließ: Er war daran gewöhnt, dass man ihm gehorchte.

Der Neuankömmling lächelte spöttisch. »Ich soll mich beruhigen, Myers? Ihr bürokratischer Quatsch hat diese Leichenspur verursacht. Hättet ihr uns gestattet, gegen ein paar alberne Gesetze zu verstoßen, hättet ihr jetzt nicht zwei Tote und den da am Hals.« Er deutete mit dem Daumen in meine Richtung.

»Die Regeln gibt es aus einem Grund. Sie mussten schon einmal zusperren, weil Sie sich nicht daran gehalten haben. Ich persönlich halte es für einen Fehler, dass man Ihresgleichen überhaupt je ins Geschäft einsteigen ließ.«

Unnötig zu erwähnen, dass im Zimmer eine äußerst angespannte Atmosphäre herrschte. Ich lag ziemlich vergessen in meinen Verbänden da. Myers und der Neuankömmling versuchten, sich gegenseitig in Grund und Boden zu starren. Franks sah aus, als sei er bereit, unseren Gast hinauszukomplementieren, vorzugsweise mit dem Kopf voraus die Treppe hinunter. Jeder, der diesen Typen solches Unbehagen bereitete, war mir von Haus aus sympathisch.

»Äh … Ich unterbreche dieses Stelldichein ja ungern, aber wer sind Sie?«

Myers musste letztlich geblinzelt und den Wettstreit im Starren abgebrochen haben. Der Fremde sah mich an, als wöge er mich ab. Seine Augen waren kalt, blau und einschüchternd. Nach einem langen Moment ohne Blinzeln entschied er offensichtlich, dass ich die Musterung bestanden hatte, denn er streckte den Arm aus, um mir die Hand zu schütteln. Franks hob die Kochzeitschrift an, um mir seine Pistole zu zeigen und mich daran zu erinnern, keine Dummheiten zu versuchen.

»Mein Name ist Earl Harbinger. Ich arbeite für MHI.«

»Owen Pitt. Amtlich zugelassener Buchprüfer.« Er hatte einen eisernen Griff. »MHI? Ist das eine streng geheime Regierungsbehörde oder so?«, erkundigte ich mich.

Agent Myers kicherte. »Nicht mal annähernd.«

Harbinger bedachte ihn nur mit einem finsteren Blick. »Nein. Ich würde mich eher umbringen, als für diese Idioten zu arbeiten. Wir sind eine private Organisation, ein gewinnorientiertes Unternehmen, und wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, wir sind führend auf unserem Gebiet – einem Gebiet, für das Sie sich meiner Einschätzung nach gut eignen würden. Sie haben sich wacker geschlagen.«

»Danke, aber ich glaube, das wird nicht reichen. Diese Leute hier sagen mir, dass ich mich wahrscheinlich in etwas Ähnliches wie mein Boss verwandeln werde.« Es fiel mir nicht leicht, das zu sagen, und ich verspürte dabei eine schwere Last auf der Brust. »So will ich nicht enden.«

Der Fremde schüttelte den Kopf. »Machen Sie sich darüber keine Sorgen.«

»Wollen Sie frisches Kanonenfutter rekrutieren, Harbinger?«, mischte sich Myers in unser Gespräch. »Momentan untersteht Mr. Pitt unserer Obhut, und er wird nirgendwohin gehen, bevor ich es ihm erlaube.«

»Ich rekrutiere nicht, Myers, aber falls Sie auf der Suche nach einem neuen Job sind – ich habe gehört, bei Wal-Mart werden Tütenpacker gesucht«, erwiderte Harbinger. Dann wandte er sich wieder mir zu und fuhr fort, als wäre er nie unterbrochen worden. »Haben Sie sich schon gefragt, weshalb jede Ihrer Verletzungen verbunden ist, ausgenommen die große Schnittwunde an Ihrem Kopf?«

Unbewusst fasste ich nach oben und berührte die garstige Naht, die sich über mein Gesicht schlängelte. Alles, was ich wusste, war, dass eine grausige Narbe zurückbleiben würde.

»Sie liegt frei, damit die sie beobachten können. Hätten Sie angefangen, unnatürlich schnell zu genesen, hätten die Sie in Nullkommanix alle gemacht. Ich bin sicher, aufgrund der Menge an Verletzungen, die Sie erlitten haben, waren die davon überzeugt, dass Sie sich verwandeln würden. Ich glaube, bisher wurde noch niemand von einer Werkreatur so übel zugerichtet und hat überlebt. Da der Heilprozess noch nicht erkennbar eingesetzt hat, vermute ich außerdem, dass die gerade einen Bluttest durchführen lassen, um sicherzugehen, weil es ihnen in den Fingern juckt, Sie zu erledigen. Aber das trauen sie sich nicht, weil Sie ja doch noch menschlich sein könnten.«

»Die haben gesagt, dass sie auf das Ergebnis eines Bluttests warten.«

»Und ob sie das tun. Aber lassen Sie mich Ihnen etwas sagen: Ich kenne mich mit diesen Monstern aus. Wenn Sie nach fünf Tagen noch keine Anzeichen zeigen, dann gebe ich Ihnen mein Wort darauf, dass Sie nicht infiziert sind.«

»Wirklich?« Ich verspürte den ersten echten Hoffnungsschimmer, seit ich in diesem keimfreien Verlies erwacht war.

»Sie werden wieder gesund. Wissen Sie was? Rufen Sie mich an, sobald diese Trottel da ihr negatives Testergebnis bekommen und man Sie hier rauslässt. Meine Karte haben Sie ja. Wir müssen uns unterhalten. In der Zwischenzeit ruhen Sie sich am besten aus.« Seltsamerweise glaubte ich dem Versprechen dieses Fremden. Er kam mir nicht wie jemand vor, der unangenehme Wahrheiten schönfärbte.

Harbinger stolzierte hinaus und rempelte Myers dabei grob. Der ältere Agent wirkte aufgebracht darüber, schwieg jedoch, bis sich die Tür geschlossen hatte und unser Gast gegangen war.

»Wenn Sie wissen, was gut für Sie ist, halten Sie sich von dieser Bande am besten fern, Pitt. Eines Tages werden die Mist bauen, und dann endet jeder Einzelne von denen entweder im Leichen­sack oder im Gefängnis. Die respektieren die Autorität der Regierung nicht.«

Tja, das tat ich auch nicht. Ich zeigte beiden Agenten den Vogel. »Wissen Sie was? Ich lege mich jetzt wieder schlafen. War bisher ein echt mieser Tag. Falls Ihr dämlicher Test positiv ausfällt, dann bringen Sie es einfach hinter sich und erschießen Sie mich. Falls er negativ ist, ziehen Sie Leine und lassen Sie mich in Ruhe. So oder so, zu wecken brauchen Sie mich nicht.« Ich drückte die Taste, um das Bett zurück in Schlafposition zu senken. Das war zwar nicht so dramatisch wie das Zuschlagen einer Tür, aber es musste reichen.

Tatsächlich dauerte es nur wenige Minuten, bis ich einschlief. Immerhin peinigten meinen Körper immer noch schmerzliche Verletzungen, und ich hatte jede Menge Schmerzmittel in mir. Allerdings achtete ich darauf, die Visitenkarte fest in der Hand zu verbergen, bevor ich die Augen schloss.

Die Agenten schauten weiter fern.

Ich hatte einen seltsamen Traum. Er war nebulös und verschwommen, lief ruckartig und zusammenhanglos ab, jäh und rasch. Ganz und gar nicht wie ein gewöhnlicher Traum.

Eine Schlacht fand statt. Ich hatte keine Ahnung, wann, aber irgendwie wusste ich, dass sie sich in der Vergangenheit abspielte. Einzelheiten wurden von dichten Schneewolken verhüllt. Eine gewaltige Zahl von Soldaten verteidigte sich gegen ein einziges übernatürliches Wesen, versuchte vergeblich, es von seinem Ziel abzuhalten und starb in Scharen. Das Einzige, was dem Wesen etwas bedeutete, war ihm genommen worden, und es war gekommen, um es sich zurückzuholen. Es war der Hüter.

In dem Traum kam etwas Böses vor, noch düsterer als der Hüter. Auch dieses Wesen war alt, verflucht und voller Wut und Hass. Es war durch Versagen geschwächt und zog sich zurück, als der Hüter nahte. Seine letzten Schergen fielen durch die Hand des unsterblichen Mörders, während die verfluchte Kreatur in die Ruinen flüchtete.

Der letzte Soldat wartete auf den Hüter. Er war der Anführer der blutrünstigen Elitetruppe gewesen. Trotzig stand er in seiner schwarzen Uniform da und ragte über dem Körper eines zier­lichen Menschenopfers auf. Stolz brüllte er, dass sein Herr zurückkehren würde, um zu beenden, was sie angefangen hatten. Dann setzte der Soldat seine Pistole an seiner Schläfe an und beendete sein Leben.

In die letzten Momente des Traums kam etwas Klarheit. Endlich konnte ich den Hüter erkennen. Er war ein Hüne von einem Mann. Jeden Zoll seiner Haut bedeckten merkwürdige Tätowierungen. Die Tintenlinien regten sich wie Lebewesen. Über Raum und Zeit hinweg sah er mich unverwandt an. Seine Augen glichen zwei Tümpeln hasserfüllter Schwärze.

»Du wirst durch meine Hand sterben.«

Jäh und erschrocken erwachte ich. Was für ein ausgeflippter Traum … Ich hatte keine Ahnung, was er bedeuten sollte. Sonderbare, gestaltlose böse Wesen, tätowierte Killer, die im Schnee kämpften, und eine Horde Soldaten, die auf Deutsch brüllte. Ich schrieb es den Medikamenten zu.

Ein Mobiltelefon bimmelte mit einem heruntergeladenen, nervigen Klingelton. Ich glaube, es war ›Take Me Out To The Ballgame‹. Ich ließ die Augen zu und tat so, als schliefe ich. Ein leises Rascheln ertönte, gefolgt von Agent Myers’ Stimme. »Myers.« In der Hoffnung, einen frühen Hinweis auf mein Schicksal zu bekommen, lauschte ich aufmerksam. Ich bin von Natur aus nicht besonders religiös, trotzdem ertappte ich mich dabei, darum zu beten, der Fremde möge recht gehabt haben. Mit vierundzwanzig fühlte ich mich definitiv zu jung zum Sterben. Ich würde meine Eltern und meinen Bruder vermissen, und ich wünschte, mir wäre noch Zeit beschieden, meine Beziehung mit ihnen zu verbessern. Außerdem wünschte ich, nicht so viel Zeit für unbedeutende Dinge vergeudet zu haben. Allerdings war es dafür zu spät. Mein Leben hing vom Inhalt eines Telefongesprächs und vom Abzug einer Glock ab.

»M-hm. Ja. M-hm … Alles klar. Sicher … Bis dann.«

Tja, dieses Ende der Unterhaltung gab recht wenig Aufschluss. Ich versteifte den Körper und wartete darauf, dass eine Kugel in meinen Schädel einschlug. Flüchtig fragte ich mich, ob Franks ein guter Schütze war. Das Letzte, was ich wollte, war, mein Leben lang stumpfsinnig dahinzuvegetieren. Würde es wehtun? Ich biss mir auf die Zunge. Betteln würde ich jedenfalls nicht. Besser ein solches Ende als sich beim nächsten Vollmond in etwas Unmenschliches verwandeln.

Das Warten schien sich ewig hinzuziehen. Ich hörte ein Flüstern und das Rascheln von Bewegung, nahm aber kein Mündungsfeuer wahr. Das einzig Konstante blieb das leise Piepen der Maschine, das meinem Herzschlag entsprach. Und der ging deutlich schneller als noch vor wenigen Momenten. Es gestaltete sich schwierig, sich schlafend zu stellen, wenn man von elektronischen Geräten so bereitwillig verraten wurde. Meine Lungen brannten, weil ich den Atem anhielt, meine Bauchmuskeln hatten sich schmerzlich zusammengezogen. Ein garstiger Teil von mir hoffte, mein explodierender Schädel würde die billigen Anzüge der Agenten so richtig versauen. Viel Spaß bei der Reinigung, ihr Wichser.

Schließlich hörte ich, wie sich die Agenten in Bewegung setzten. Langsam öffnete sich die Tür. Ich riskierte einen kurzen Blick, als die zwei FBI-Männer leise das Zimmer verließen. Franks wirkte niedergeschlagen, seiner Chance beraubt, jemanden völlig legal zu töten. Myers schien mir überraschenderweise höflich zu versuchen, so wenig Lärm wie möglich zu verursachen. Dann schloss sich die Tür wieder, und sie waren weg.

Langsam verstrichen die Minuten, während ich mich vergewisserte, dass sie nicht zurückkommen würden. Aber alles blieb still. Der Anruf war eingegangen. Das Versprechen des Fremden hatte sich bewahrheitet. Ich war nicht infiziert, sondern noch menschlich, und ich würde nicht sterben. Ich lachte, bis etwas in einer der zahlreichen Schnittwunden an meinem Rücken riss, dann weinte ich zuerst vor Schmerzen, dann vor Erleichterung. Wie bereits erwähnt bin ich von Natur aus kein frommer Mensch, aber an jenem Abend war ich es. Ich schluchzte hemmungslos, als all die Anspannung von mir abfiel, mich erschöpft zurückließ.

Zwei Dinge musste ich noch erledigen, bevor ich weiterschlafen konnte. Ich ergriff den Blumenstrauß von Hansen Industries und schleuderte ihn quer durchs Zimmer. Es war ohnehin ein dämlicher Job gewesen. Dann hob ich die Visitenkarte vor mein Gesicht und versuchte, sie mit verschwommenem Blick zu lesen. Für die feinere Schrift konnte ich mich nicht ausreichend konzentrieren, aber für die Überschrift reichte es.

Monster Hunter International

Monsterprobleme? Rufen Sie die Profis.

Seit 1895

Kapitel 3

Physiotherapie ist Kacke. Rekonvaleszenz ist Kacke. Und das nicht enden wollende Jucken unter einem Gips muss wohl die schlimmste der Menschheit bekannte Form von Folter sein. Die Schlimmste – es sei denn, man wird zu Hause von den eigenen Eltern überfallen, die einen trösten wollen. Meine Familie war losgeflogen, als sie über den ›Zwischenfall‹ informiert wurde, und hatte sich sofort darangemacht, mir mächtig auf die Nerven zu gehen.

Davor allerdings hatte sich mein Krankenhausaufenthalt noch eine Woche hingezogen. Anscheinend kann es recht stressig sein zu sterben, auch wenn man nur für ein, zwei Minuten tot ist. Jedenfalls zeigten sich die Ärzte beeindruckt davon, dass ich überhaupt noch lebte. Als ich mich bei einem danach erkundigte, wie viel Blut ich in etwa verloren hatte, antwortete er lakonisch: »Das Meiste.«

Meine Behandlung bestand darin, dass ich versuchte, mich zu bewegen, ohne irgendeine Wunde aufzureißen. Nach und nach kehrte meine Kraft zurück, bis es mir gelang, einige Schritte aus eigener Kraft zu humpeln und sogar das Krankenhausessen zu verdauen. Ermittler der Polizei von Dallas kreuzten auf, um mich zu befragen. Sie erwähnten weder übernatürliche Monster noch FBI-Agenten, und ich hütete mich davor, meinerseits etwas davon zur Sprache zu bringen. Die Beamten waren vielmehr der Auffassung, Mr. Huffman sei ein geistesgestörter Serienmörder auf Angel Dust gewesen, bewaffnet mit einem Bowiemesser mit 30-Zentimeter-Klinge. Ich war überzeugt davon, meine neuen Freunde von der Bundesbehörde hatten den Tatort so manipuliert, dass er die von ihnen gewünschte Geschichte erzählte, in der zweifellos keine Werwölfe vorkamen. Die Polizei dankte mir dafür, dass ich die Welt von einem äußerst üblen Menschen befreit hatte, und teilte mir mit, dass die Ermittlungen einen klaren Fall von Notwehr ergeben hatten. Nichts wies darauf hin, dass wegen irgendetwas Anklage gegen mich erhoben würde, und man hatte sogar veranlasst, dass ich meine .357er zurückbekommen würde, sobald man sie im Büro der Staatsanwaltschaft nicht mehr brauchte.

In der Lokalpresse wurde über meinen heroischen Kampf gegen den verrückten Serienmörder Cecil Huffman berichtet. In einer Titelgeschichte wurden unsere beiden Mitarbeiterfotos abgebildet. Ich bin sicher, die meisten Leser hielten mein Bild für das des wahnsinnigen Mörders, zumal ich groß, jung, muskulös, dunkel und hässlich war und verschlagen dreinschaute. Mr. Huffman kam eher wie der Opfertyp rüber, ein übergewichtiger Abteilungsleiter mittleren Alters mit traurigem Blick und Dreifachkinn. Das Aussehen kann täuschen. Während meines Krankenhausaufenthalts wies ich wiederholt Reporter ab. Das Letzte, was ich wollte, war, mir eine Geschichte auszudenken oder etwas zu vermasseln und mir den Zorn des FBI zuzuziehen. Ich lehnte sogar einen möglichen Gastauftritt bei Oprah ab. Meine Mutter war mächtig verärgert, als sie das erfuhr.

Meine Eltern trafen am Abend vor meiner Entlassung aus dem Krankenhaus ein. Nur, damit man mich nicht falsch versteht: Ich liebe meine Familie aufrichtig. Das sind alles anständige Leute. Verrückt, aber anständig.