Ein Monster kommt selten allein - Larry Correia - E-Book
SONDERANGEBOT

Ein Monster kommt selten allein E-Book

Larry Correia

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Es ist böse ... und bringt viele böse Freunde mit!

Earl Harbinger ist jahrhundertealt - doch man sieht es ihm nicht an. Harbinger ist ein Werwolf und, wie die Ironie es will, Anführer und bester Jäger der Geheimorganisation Monster Hunter International. Er hat es geschafft, seinen Fluch in eine Tugend zu verwandeln, und kämpft auf der Seite der Guten. Das kann man aber leider nicht von jedem Übernatürlichen behaupten, und so steht Harbinger bald einem Werwolf gegenüber, der nur eins im Sinn hat: möglichst viele Anhänger um sich zu scharen und die Menschheit auszulöschen ...

Die Monster Hunter - spannende Urban Fantasy von Bestsellerautor Larry Correia:

Band 1: Die Monster, die ich rief
Band 2: Der Club der toten Monster
Band 3: Ein Monster kommt selten allein
Band 4: Monster sehen und sterben
Band 5: Ein Monster sieht rot
Band 6: Monsterzähmen leicht gemacht

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 812

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Grußwort

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Danksagung

Zitat

Prolog

TEIL 1: DAS MONSTER

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

TEIL 2: DER JÄGER

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

TEIL 3: DER VORBOTE

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Über den Autor

Weitere Titel des Autors

Impressum

Liebe Leserin, lieber Leser,

vielen Dank, dass du dich für ein Buch von beTHRILLED entschieden hast. Damit du mit jedem unserer Krimis und Thriller spannende Lesestunden genießen kannst, haben wir die Bücher in unserem Programm sorgfältig ausgewählt und lektoriert.

Wir freuen uns, wenn du Teil der beTHRILLED-Community werden und dich mit uns und anderen Krimi-Fans austauschen möchtest. Du findest uns unter be-thrilled.de oder auf Instagram und Facebook.

Du möchtest nie wieder neue Bücher aus unserem Programm, Gewinnspiele und Preis-Aktionen verpassen? Dann melde dich auf be-thrilled.de/newsletter für unseren kostenlosen Newsletter an.

Spannende Lesestunden und viel Spaß beim Miträtseln!

Dein beTHRILLED-Team

Über dieses Buch

Earl Harbinger ist jahrhundertealt – doch man sieht es ihm nicht an. Harbinger ist ein Werwolf und, wie die Ironie es will, Anführer und bester Jäger der Geheimorganisation Monster Hunter International. Er hat es geschafft, seinen Fluch in eine Tugend zu verwandeln, und kämpft auf der Seite der Guten. Das kann man aber leider nicht von jedem Übernatürlichen behaupten, und so steht Harbinger bald einem Werwolf gegenüber, der nur eins im Sinn hat: möglichst viele Anhänger um sich zu scharen und die Menschheit auszulöschen …

LARRY CORREIA

EIN MONSTER KOMMT SELTEN ALLEIN

Aus dem amerikanischen Englisch von Michael Krug

Dieser Roman ist Hinkley gewidmet.

Danksagung

Ich möchte Reader Force Alpha erneut für die Hilfe dabei danken, es so aussehen zu lassen, als wüsste ich, was ich tue. Danke an die braven Poster des Blogs von Monster Hunter Nation für das Übersetzen und generell dafür, dass sie einfach spitze sind. Ich danke Toni Weisskopf, Jim Minz und all den tollen Leuten bei Baen, dass sie einen echt coolen Verlag führen. Vor allem aber danke ich meiner Frau und meinen Kindern dafür, dass sie es mit all den Verrücktheiten aushalten, die mit dem Dasein eines Schriftstellers Hand in Hand gehen. Ich liebe euch alle.

»Wo das Böse lauert, kneifen wir den Arsch zusammen, töten es und werden bezahlt.«

Leitsatz aus dem Firmenhandbuch von MHI

Prolog

Die Nacht, in der Deputy Joe Buckley von einem Werwolf ausgeweidet wurde, hatte ziemlich normal begonnen.

Kurz nach ein Uhr morgens knisterte das Funkgerät des Streifen­wagens. Es war die Zentrale, die einen Notruf meldete. Buckley lachte, als er die Beschreibung hörte. Irgendetwas verängstigte die Pferde von Nancy Randall. Klang nach völliger Zeitverschwendung, aber da Nancy einen Sitz im Bezirksrat innehatte, wurde ihre Meldung zum Anruf mit der höchsten Priorität des Abends. Als nächster verfügbarer Hilfssheriff in der Gegend hatte Buckley den Notruf übernommen.

Die Randall-Farm befand sich die 26 hinauf, weit draußen auf der Cliff Road. Da es regnete und die Straßen rutschig waren, brauchte Buckley fast zwanzig Minuten, um von Copper Lake aus hinzugelangen. Als er eintraf, präsentierte sich die Farm dunkel und still, eingehüllt in den erbärmlichen, eiskalten Nieselregen. Buckley verließ die warme Behaglichkeit seines Crown Victoria und eilte in den Schutz der Veranda.

Nancy trat mit einer Schrotflinte an die Tür. Sie streckte den Kopf heraus und schaute rasch in beide Richtungen. »Wird auch verdammt noch mal Zeit, dass du kommst, Joe.«

Was hatte sie denn erwartet? In Copper County gab es nur eine Handvoll Hilfssheriffs, und sie lebte buchstäblich am Arsch der Welt. Hier draußen gab es nur ein paar aufgegebene Bergwerke, weit verstreute Farmen und jede Menge Bäume. »Nur die Ruhe, Nancy«, beschwichtigte Buckley. Obwohl Nancy im Ruf stand, eine nüchterne, sachliche Frau zu sein, war sie in diesem Moment ganz blass und zitterte heftig. »Pack bitte erst mal das Schießeisen weg und beruhige dich.«

»Beruhig du dich doch! Hast du auf dem Weg hierher etwas gehört?«

»Was zum Beispiel?«

»Ein Knurren«, antwortete sie und spähte über seine Schulter.

»Ein Knurren? Was für ein Knurren?«

»Ein beängstigendes … und Geschrei. Viel Geschrei.« Buckley lachte nervös, aber Nancy meinte es offensichtlich todernst. »Zuerst hat es gekracht und geknallt, dann haben diese Schreie angefangen. Ich dachte, hinter der Scheune sei jemand verletzt und ruft um Hilfe. Aber als ich los bin, um nachzusehen, da hab ich … was anderes gehört … Verdammt, ich weiß nicht, was es war. Also hab ich die Kinder ins Hinterzimmer verfrachtet und den Notruf gewählt.«

»Wahrscheinlich nichts Außergewöhnliches.« Buckley seufzte. Vermutlich hatte sich ein Tier in irgendetwas verfangen, es mit der Angst bekommen, sich verletzt und dann Radau geschlagen. So etwas konnte schon mal ziemlich unheimlich klingen. Solche Anrufe waren nicht allzu ungewöhnlich, wenngleich er von einer langjährigen Einheimischen mehr Mumm erwartet hätte. »Ich schau mir das mal an.«

»Sei bloß vorsichtig.«

Buckley wünschte Nancy eine gute Nacht und machte sich in der Erwartung an die Arbeit, Anzeichen auf entweder einen Waschbären oder allenfalls belanglosen Vandalismus zu finden. Doch leider stellte er tatsächlich fest, dass die Pferde in der Scheune wegen irgendetwas völlig verängstigt waren. Sie schnaubten wild und traten gegen die Tore ihrer Boxen. Dass sie sich ernsthaft fürchteten, überraschte Buckley und ließ ihn umdenken. Vielleicht hatte Nancy doch nicht völlig falsch damit gelegen, sich Sorgen zu machen.

Er unternahm einen Rundgang über das Grundstück. Es war zu dunkel und nass, um irgendwelche Spuren auszumachen, und von der Ausrüstung schien nichts angerührt worden zu sein. Nachdem Buckley vergeblich nur mit seiner Taschenlampe als Beleuchtung in der Dunkelheit der Scheune umhergewandert, über allerlei Zeugs gestolpert und allgemein triefnass und völlig durchfroren vom Regen geworden war, beschloss er, es für die Nacht gut sein zu lassen. Was immer sich hier herumgetrieben hatte, es war inzwischen weg. Er kehrte zu seinem Crown Victoria zurück, um Meldung zu erstatten, dankbar für die gute Heizung und die Thermoskanne mit heißem Kaffee, die im Auto warteten.

Dieses Jahr hatte es noch keinen Schnee gegeben, aber sie waren hier im nördlichen Michigan, was bedeutete, dass der Segen besonders heftig ausfallen würde, wenn er letztlich kam. Feuchtigkeit beschlug die Fenster rundum innerhalb von Sekunden. Buckley schaltete den Entfroster ein, steckte die Hände tief in die Taschen und beschloss, zu warten, bis seine Zähne zu klappern aufhörten, bevor er sich bei der Zentrale meldete.

Plötzlich schaukelte der Crown Victoria heftig auf seinen Stoßdämpfern. Buckley schaute auf, aber so beschlagen, wie die Fenster waren, vermochte er von der Welt draußen nicht das Geringste zu erkennen. Er war verwirrt. Sein erster Gedanke war, dass ihn jemand verarschen wollte, dann jedoch ertönte ein dumpfer Knall, als etwas Großes auf der Motorhaube landete.

Quieeeeeetsch.

Das Geräusch jagte ihm unwillkürlich einen Schauder über den Rücken. Irgendetwas hatte gerade wüst den Lack zerkratzt. Buckley streckte die Hand nach dem Türgriff aus. »Verfluchter Mistke…«

Die Windschutzscheibe zerbarst, und Sicherheitsglas prasselte explosionsartig auf ihn ein. Dunkle Gliedmaßen schossen durch das entstandene Loch. Buckley schrie vor Überraschung gellend auf, als schwarzes Fell sein Gesicht umfing. Benommen versuchte er, die Tür aufzustoßen, wurde jedoch mit einem Ruck nach vorn gehievt und gegen das Lenkrad gepresst. Lange Klauen zischten durch die Luft, schlugen seine Hände beiseite und rissen ihn auf. Blut spritzte auf das Armaturenbrett, als Krallen durch seine Kopfhaut schnitten. Pfoten klemmten seinen Kopf von beiden Seiten ein und quetschten ihn zusammen, bis die Schädelknochen knackten.

Zappelnd wurde er durch die Scheibe und über die Motorhaube gezogen, bevor er in den kalten Schlamm geschleudert wurde. Die Klauen ließen von ihm ab, und Buckley stemmte sich verzweifelt gegen die Masse aus Hitze und Haaren, rollte dabei platschend durch den Matsch. Er blieb auf dem Rücken liegen. Die Kreatur ragte im Licht der Scheinwerfer über ihm auf, und Buckley wusste, dass er sterben würde. Zu Tode verängstigt bemühte er sich, seine Waffe aus dem Diensthalfter zu ziehen, während ihm Blut über den Hals strömte.

Das Tier schien ihn mit unnatürlich breiten Reihen rasiermesserscharfer Zähne anzugrinsen, als die Beretta endlich wie in Zeitlupe aus ihrem Holster freikam. Doch die Pistole verschwand in der Nacht, als eine Kralle Buckleys Arm vom Ellbogen bis zur Handfläche aufriss. Dann stürzte sich das Vieh auf ihn, und Buckley beobachtete entsetzt und ungläubig, wie es die lange Schnauze unter den Rand seiner kugelsicheren Weste zwängte und tief in seinen Bauch biss. Feuer durchzuckte ihn, als das Tier ruckartig den Kopf hin und her bewegte.

»Das reicht.«

Das Vieh zog den blutigen Schädel zurück. Etwas Rotes baumelte von den Zähnen. Benommen streckte Buckley seine aufgerissene Hand aus, als wolle er jenes Stück von sich zurückverlangen, doch die Kreatur entfernte sich bereits aus dem grellen Licht der Scheinwerfer. Buckley versuchte zu sprechen, verschluckte sich allerdings nur an dem Blut in seinem Mund und hustete. Ihm war so kalt, wie das Wasser in der Pfütze war, in der er lag.

Eine Gestalt trat ins Licht. Er war gerettet! Jemand hatte das Tier vertrieben. Der Mann würde Hilfe rufen. Er musste lediglich durchhalten.

Allerdings wirkte dieser Mann in keiner Weise aufgeregt. Und er rief auch keine Hilfe herbei. Ebenso wenig forderte er Buckley beschwichtigend auf, ruhig zu bleiben. Stattdessen kauerte er sich neben ihn in den Schlamm. Der Schatten eines breitkrempigen Hutes verhüllte seine Züge, dennoch stachen Augen daraus hervor, die leuchteten wie geschmolzenes Gold. Der Fremde betrachtete das gewaltige Loch in Buckleys Bauch und legte die Stirn in Falten. Tss, tss, tss, machte er. Hinter ihm stimmte das Tier ein klägliches Geheul an.

Buckley hatte zu viel Blut verloren, um weiterhin Angst zu empfinden. Ihm war nur noch fürchterlich kalt. Der Mann zupfte das vergoldete Namensschild von Buckleys Uniformhemd und begutachtete es. »Verzeihung, Deputy Buckley«, sagte der Fremde. Er warf das Namensschild in die Pfütze, wo es mit einem leisen Platschen landete. »Ich bezweifle, dass Sie es schaffen werden. Das Rudel hätte Sie gebrauchen können. Vielleicht irre ich mich ja, aber das kommt nicht allzu oft vor. Vorläufig überlasse ich Sie den Vulkodlak.«

Damit erhob sich der Fremde, rückte seinen Mantel zurecht und ging davon, während Deputy Buckleys Sicht sich immer mehr ein­trübte.

TEIL 1DAS MONSTER

Kapitel 1

Ich bin einhundertdreiundfünfzigmal angeschossen und so oft gestochen, geschnitten und gebissen worden, dass ich den Überblick verloren habe. Ich bin in die Luft gesprengt, unter Strom gesetzt, eingefroren, lebendig begraben und in Brand gesetzt worden. Und einmal hat mich ein Zug gerammt. Ich habe in beiden Weltkriegen und noch ein paar anderen Konflikten gekämpft. Auf allen Kontinenten bis auf zwei habe ich Menschen getötet. Monster habe ich schon auf allen erledigt. Andere Dimensionen, fragen Sie? Zweimal.

Ich schätze, man könnte sagen, ich komme viel rum.

Als Ehemann, Vater, Großvater und mittlerweile Urgroßvater habe ich ganze Generationen kommen und gehen gesehen. Seit Jahrzehnten liebe, beschütze und wache ich über meine Familie, die Shacklefords. Abgesehen von einigen bemerkenswerten Ausnahmen sind die meisten von ihnen ziemlich gut geworden. Was nicht unwichtig ist, denn im großen Gefüge der Dinge verkörpern die Shacklefords einen ganz besonderen Menschenschlag. Dieses spezielle Tagebuch dreht sich allerdings nicht um sie.

Ich leite Monster Hunter International, den besten Laden der Branche. Wenn man lange genug für MHI arbeitet, bekommt man so einiges zu sehen. Ich bin ein paar der schrägsten Wesen in Gottes Schöpfung über den Weg gelaufen und habe einen ganzen Haufen davon alle gemacht. Sie würden nicht glauben, gegen welche Scheiße wir schon gekämpft haben. Viele unschuldige Menschen leben heute nur noch, weil einer meiner Jäger eingegriffen und getan hat, was getan werden musste. Die tapfersten Männer, die es je gegeben hat, schauen zu mir als ihrem Anführer auf, und das verlangt einem Demut ab. Aber in diesem Tagebuch geht es auch nicht um sie.

All diese Dinge habe ich bereits niedergeschrieben. Nun muss ich mich auf den schwierigen Teil konzentrieren. Das ist das dritte Tagebuch, das ich zu führen versuche. Wenn Sie diese Worte lesen, kann ich nur davon ausgehen, dass Sie die Wahrheit über mich kennen. Dieses Buch dreht sich um Dinge, die ich lieber nicht preisgeben möchte – Dinge, die ich lieber vergessen hätte. Aber niemand lebt ewig. Ich hoffe, dass einiges, was ich erfahren habe, anderen helfen wird, wenn ich nicht mehr bin. Ein weiser Mann hat mal zu mir gemeint, dass wir nicht klüger sind als die Jäger, die es vor uns gegeben hat. Der einzige Grund, warum wir überhaupt eine Ahnung von irgend­etwas haben, ist, dass sich diese Leute die Mühe gemacht haben, Dinge aufzuschreiben. Also los.

Ich bin ein Werwolf.

Sie haben keine Vorstellung, wie außergewöhnlich schwer dieser Satz zu schreiben war. Ich starre auf die Worte und würde die Seite am liebsten herausreißen, um den Beweis zu verbrennen. Tendenziell sind wir nämlich Geheimniskrämer.

Wissen Sie, ich bin mit einem Fluch geschlagen. Man lernt, damit umzugehen, sonst macht er einen fertig. Darüber zu lamentieren, ändert gar nichts. Den Fluch zu begrüßen, zerstört einen. Ich habe ins Antlitz des Bösen gestarrt, und ich bin das Antlitz des Bösen gewesen. Ich habe in meinem Leben einige schlimme Dinge getan. Gut, dass ich so lange lebe, denn ich versuche immer noch, das auszugleichen. Manche Menschen würden es als Buße bezeichnen. Ich bezeichne es als meinen Job.

Ich bin ein Monsterjäger. Ich bin ein Monster. Ich wurde im Jahr 1900 als Raymond Earl Shackleford Jr. geboren, Sohn des größten Monsterjägers, der je lebte. Seither trug ich viele Namen.

Heute nennt man mich Harbinger.

*

»Oh Mann, sind wir nicht Mr. Melodramatisch?«, brummte Earl Harbinger, nachdem er die erste Seite des Tagebuchs noch einmal durchgelesen hatte. Eigentlich überraschte ihn, dass es ihm gelungen war, bereits so viele Seiten zu füllen. Sie nun noch einmal durchzulesen, hatte ihm eine Beschäftigung verschafft, während er auf das Treffen wartete. Das ledergebundene Buch wanderte zurück in die Innentasche seiner abgewetzten Lederjacke, dafür kam ein Päckchen Marlboros daraus hervor. Er schüttelte eine Zigarette heraus und klemmte sie sich zwischen die Lippen, während er über das Buch nachdachte.

Seine persönliche Geschichte niederzuschreiben, war Julies Idee gewesen. Ursprünglich hatte er sich gegen die Vorstellung einer Chronik seines Lebens gewehrt, doch der Kampf gegen den Dämon Rok’hasna’wrath war ihn teuer zu stehen gekommen. Earl holte sein Zippo hervor und zündete die Zigarette an. Das Feuerzeug stellte das perfekte Beispiel für den Schaden dar, den das mindere Alte Wesen an Earls Verstand angerichtet hatte. Das Zippo wies als Gravur das MHI-Logo auf, und er wusste, dass er es als Geburtstagsgeschenk bekommen hatte, doch er konnte sich ums Verrecken nicht daran erinnern, wann das gewesen war oder von wem es stammte. Und so ging es ihm mit hunderten Kleinigkeiten, die er verloren hatte. Willkürliche Erinnerungen waren aus seinem Gedächtnis gerissen und entweder am Stück verschlungen oder in unzusammenhängende Schnipsel zerfetzt und in alle Winde verstreut worden. In der Hinsicht war Rocky, Seelenschnitter und Verschlinger von Welten, ein echtes Arschloch gewesen.

Earl kannte nicht einmal das volle Ausmaß dessen, was fehlte. Es gab Lücken und leere Stellen. Und dann waren da noch die verschwommenen Bereiche, wo ursprüngliche Originalerinnerungen verloren gegangen waren, er die Ereignisse jedoch wie einen eigenartigen Bericht aus zweiter Hand behalten hatte, weil er sich noch daran erinnern konnte, wie er die jeweiligen Geschichten anderen Leuten erzählt hatte.

Mit den Tagebüchern hatte er angefangen, um mit Hilfe des Schreibens herauszufinden, was genau ihm genommen worden war. Er hatte bereits eines verfasst, das gleichsam eine Chronik der Familiengeschichte der Shacklefords bildete, und ein weiteres über Monster Hunter International. Die Erkenntnis, an was für eine gewaltige Anzahl von Ereignissen er sich nicht mehr erinnern konnte, hatte sich wie ein Schlag ins Gesicht angefühlt.

Bei dem Gedanken daran verspürte Earl Verbitterung. Jammerschade, dass Z das Bajonett seines Gewehres Graus durch Hoods schwarzes Herz gerammt hatte. Für Earls Geschmack war Martin Hood damit viel zu leicht davongekommen. Rocky mochte in seinem Kopf herumgetobt sein, aber die Kreatur war zu diesem Zweck nur herbeibeschworen worden. Die Zerstörung von Earls Gedächtnis war auf Hoods Geheiß erfolgt, weil sein ehemaliger Freund die Sache persönlich hatte gestalten wollen.

Ironischerweise handelte es sich auch bei der Angelegenheit, die Earl hierher geführt hatte, um etwas Persönliches. Wieder einmal hatte ihn die Vergangenheit heimgesucht, aber wenn man über hundert Jahre alt war, sammelte sich nun mal eine schreckliche Menge an Vergangenheit an.

In der Kneipe herrschte eine bewusst schummrig gehaltene Beleuchtung. Das verbarg den Dreck, und wenn die abendliche Schar der Gäste eintraf, würde es dazu beitragen, die Unattraktiveren zu verschleiern. Aus einer altmodischen Jukebox dudelte Country­musik. Earl hatte sich für einen Tisch im hinteren Bereich entschieden. Es war noch früh am Tag, deshalb waren die einzigen anderen Gäste einsame Gestalten, die nichts Besseres zu tun hatten, als schon vor dem Mittagessen ein paar Biere zu kippen, während Earl bedächtig einen Schluck von seinem eigenen trank. Das Lokal entsprach genau der Art von abgelegenen Kaschemmen, die jemand wie Conover für ein heimliches Treffen aussuchen würde.

Es lag Jahrzehnte zurück, seit sie das letzte Mal miteinander gesprochen hatten, dennoch hatte Earl nicht gezögert und alles stehen und liegen gelassen, als er die Nachricht erhalten hatte. Er hatte sich ein paar Ausreden einfallen lassen und dem Rest seines Teams gesagt, er würde sich etwas Urlaub nehmen – was alle verblüfft hatte. Nachdem er das Versprechen abgegeben hatte, bis zum nächsten Vollmond zurückzukehren, hatte er etwas Ausrüstung in seinen Wagen geladen und war die knapp tausend Kilometer ins ländliche Illinois gefahren.

Es gefiel Earl ganz und gar nicht, seine Leute belogen zu haben. Monsterjäger lebten oder starben mit dem Vertrauen in ihr Team, aber das hier war nun mal keine MHI-Angelegenheit. Und falls es um das ging, was Earl befürchtete, wollte er seine Mannschaft definitiv nicht mit hineinziehen.

Er musterte die anderen Gäste, gewöhnliche Durchschnittstypen, die nach einfachen Arbeitern aussahen. Ein müde wirkender Barkeeper sah auf dem TV-Gerät an der Wand fern und mampfte dabei alte Brezeln. Eine fast, aber nicht ganz hübsche Kellnerin wischte Tische ab. Earls hochempfindlicher Geruchssinn verriet ihm, dass sich alle Anwesenden den Lebensunterhalt mit ehrlicher Arbeit verdienten. In der Regel wusste Earl, welcher Tätigkeit jemand nachging, noch bevor derjenige den Mund öffnete, und die hier Anwesenden rochen nach chemischen Düngemitteln, Lkw-Kabinen, Motoröl und Fritten. Falls es sich bei einem der Leute um einen verdeckten Bundesagenten handelte, der in seinen Angelegenheiten herumschnüffeln wollte, hatte sich derjenige extrem gut getarnt. Bedachte man, welche Art von Arbeit Earl einst für Conover verrichtet hatte, war durchaus damit zu rechnen gewesen, dass der Laden verwanzt war und von allen möglichen Regierungstypen überwacht wurde. Stattdessen ging der interessanteste Geruch von dem Koch an der Fritteuse aus, und das auch nur, weil Earl hungrig war.

Die Mitteilung des Captains war knapp ausgefallen. Er war darin nicht darauf eingegangen, was sie zu besprechen hatten. Allerdings ging es mit Sicherheit nicht darum, zusammen in Erinnerungen an die alten Zeiten zu schwelgen. Es konnte nur einen einzigen Grund geben: Der Russe musste zurück sein. Earl nahm einen langen Zug von seiner Zigarette, während er ins Leere starrte. Der übelste Mistkerl, mit dem in den Ring zu steigen Earl je das bedauerliche Missvergnügen gehabt hatte. Klar, beim letzten Mal hatte Earl gewonnen, nur hatten dafür eine Menge Menschen ihr Leben lassen müssen. Anständige Menschen. Bedauerlicherweise hatte ihm Rocky ausgerechnet den Großteil dieser Erinnerungen gelassen, der gehässige kleine Dämonenarsch.

Vor Jahren war der Russe vom Radar verschwunden. Earl hatte gehofft, der Mann hätte so viel Anstand besessen, einfach zu krepieren, doch ihm war klar gewesen, dass das bestenfalls ein frommer Wunsch war. Ihm fiel nur ein Grund ein, der Nikolai Petrov nach Amerika führen konnte, und Earl hatte gewusst, dass der Zeitpunkt irgendwann kommen würde. Da er die Nacht durchgefahren war, hatte er Zeit gehabt, darüber nachzudenken, was das bedeutete, und angesichts seiner Folgerungen war er froh, dass er die Sache allein in Angriff nehmen würde. Seine Jäger hatten sich schon so manchen grauenerregenden Kreaturen gestellt, aber Nikolai war nicht einfach ein weiteres Monster.

Diesmal würde es anders werden. Earl würde sich nicht auf Nikolais Spielchen einlassen. Seit Vietnam hatten sich die Dinge geändert. Kein Wettstreit, kein Bullshit, kein Versteckspiel. Dies würde eine geradlinige, altmodische Hinrichtung werden.

Seine Gedanken an Rache wurden unterbrochen, als im vorderen Bereich des Gastraums plötzlich ein Rechteck Tageslicht auftauchte. Ein großer, imposanter Mann mit silbrigem Haar trat ein. Er trug Jeans und ein Flanellhemd, aber irgendwie ließ ihn selbst diese Aufmachung ein klein wenig zu professionell erscheinen. Kirk Conover war eingetroffen. Der Mann kam in den Raum, unterteilte die Kneipe subtil in Quadranten und prüfte jedes Segment auf Bedrohungen, ganz wie der geschulte Geheimagent, der er schließlich war, es auch tun sollte. Conover neigte kurz und unscheinbar den Kopf, als sein Blick über Earls Tisch wanderte. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass es keine offensichtlichen Beobachter gab, setzte sich der ehemalige Verbindungsoffizier von Sondereinsatzkommando Einhorn in Earls Richtung in Bewegung.

Earl wurde von einer weiblichen Stimme abgelenkt. »Sie dürfen hier drin nicht rauchen.«

Er schaute auf und erblickte die beinah hübsche Kellnerin, die mit missbilligendem Blick und in die Hüften gestemmten Händen vor ihm stand. Er ließ die Zigarette vom Rand seiner Lippen baumeln. Sie war erst halb geraucht. »Wir sind doch hier in ’ner Kneipe …«

»Kein Rauchen«, beharrte sie streng.

»Echt jetzt?« Ihr Stirnrunzeln verdeutlichte, wie ernst sie es meinte. So, wie sie aussah, würde er sich wohl auch die Ausrede sparen können, dass er aus medizinischen Gründen rauchen musste. Ihr zu erklären, dass ihn das Nikotin davon abhielt, jeden Menschen im Raum in einem Anflug animalischer Raserei zu massakrieren, würde ihm nichts nützen, auch wenn es zumindest teilweise stimmte. »Bitte?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ist ein Staatsgesetz. Tut mir leid. Wir könnten sonst zu einer Bußgeldzahlung verdonnert werden.«

»Das ist ein dämliches Gesetz«, brummelte Earl. Wohin er auch ging, überall stapelten sich die Gesetze übereinander und bildeten wackelige Türme, die in Gestalt von Lawinen behördlicher Einmischung einzustürzen drohten. »Na schön.« Er fuhr die Zunge aus, zog die noch glimmende Zigarette in den Mund, schluckte kräftig und verspeiste sie. Auf dem Weg in den Magen verursachte die Kippe ein Brennen. »Zufrieden?«

»Das war eklig«, befand die Kellnerin, als sie sich rasch zurückzog.

»He, bring mir auch etwas zu trinken, Schätzchen. Was immer dieser mürrische Mistkerl hier hat«, rief Conover der Kellnerin nach. Er trat vor Earls Tisch. Conover war gealtert, was zu erwarten gewesen war, zumal sie seit Vietnam nicht mehr miteinander gesprochen hatten. Der zu einem Spion umfunktionierte ehemalige Kampfpilot war immer gut in Form und groß gewesen – mehrere Zentimeter größer als Earl, der von durchschnittlicher Größe war. Mittlerweile ging er aufs Greisenalter zu und wirkte nicht mehr ganz so hochgewachsen. Doch für einen betagten Bürger war er nach wie vor überaus fit. Ja, Kirk war gealtert, dennoch hatte er sich gut gehalten. »Wie ich sehe, bist du immer noch ganz der Frauenschwarm.«

»Du warst der Herzensbrecher, nicht ich.« Earl deutete mit seiner Flasche Sam Adams auf den freien Stuhl. »Setz dich, Captain.«

»Ich bin als Colonel in den Ruhestand angetreten«, gab Conover zurück, als er sich einen Stuhl griff. »Und das war vor einer ganzen Weile. Aber verdammt noch mal, Earl … Du siehst fast unverändert aus. … Na ja, du hast dich endlich rasiert und dir die Haare schneiden lassen.«

»Etliche Male seither.«

»Gut so. Du hast damals wie ein verlauster Hippie ausgesehen.«

Earl zuckte mit den Schultern. »Du hast dafür gesorgt, dass wir andauernd zu verdammt beschäftigt waren, um uns den Kopf über Körperpflege zu zerbrechen.«

»Gegen Ende waren die Dinge ziemlich verrückt«, meinte Conover mit einem verhaltenen Kichern.

Er hatte es nicht komisch gemeint. Earl und die anderen besonderen Mitglieder des Einsatzkommandos hatten gerade mal eine Stufe über Arbeitssklaven gestanden, und dieser spezielle Luftwaffenoffizier war ihr Aufseher gewesen. Earl musterte seinen früheren Boss. Conover beobachtete ihn seinerseits, und eine Zeit lang saßen die zwei unbehaglich schweigend da. Die Leute erzählten Earl regelmäßig, er hätte eine entnervende Art, Menschen anzusehen, doch Conover hatte von jeher zu den Wenigen gehört, die von Anfang an hart genug gewesen waren, ihm unverwandt in die Augen zu blicken. Zumindest das hatte sich nicht geändert.

Die Kellnerin kam zurück und hinterließ eine weitere Flasche auf dem Tisch. Der Fairness halber musste man einräumen, dass sich Conover unter den damals gegebenen Umständen so anständig verhalten hatte, wie man es nur erwarten konnte, und sich sehr wohl um die Monster, Mutanten und Sonderlinge unter seiner Kontrolle gekümmert hatte. Der Ständige Unirdische-Mächte-Fonds, kurz SUMF, war so blind wie Justitia und weit weniger gnädig. Stand die Art, der man angehörte, auf der Liste, galt man als Freiwild. Wenn man davon gestrichen werden wollte, musste man sich das Recht auf den sogenannten SUMF-Ausnahmestatus erst einmal verdienen, und deshalb verfügte die Regierung immer über eine ganze Reihe besonderer Freiwilliger. Nachdem Earl die Bedingungen der Vereinbarung mit der Regierung erfüllt hatte, war Conover seinem Wort treu geblieben und hatte dafür gesorgt, dass Earls Name auf die Ausnahmeliste gesetzt worden war.

Sein einstiger Boss mochte alt geworden sein, aber eindeutig nicht weich. Conover erwiderte Earls starren Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. Schuldgefühle waren ihm nicht anzumerken. Dies war ein Mann, der harte Befehle erteilt und seine Pflicht getan hatte, mehr nicht, und das konnte Earl respektieren. Seit der letzten Evakuierung hatten sie kein Wort mehr miteinander gewechselt, und er war neugierig, wie es den anderen Überlebenden ergangen war. »Hast du Sharon Mangum mal wieder gesehen?«, fragte Earl schließlich.

Conover lächelte, und er tat es immer noch auf dieselbe verschmitzte Weise, die die Kneipenmädchen in Saigon damals so bezaubernd gefunden hatten. »Nicht allzu lange, nachdem deine Dienstzeit zu Ende gegangen war, haben wir geheiratet.«

»Ich bin schockiert«, erwiderte Earl vollkommen trocken. Gegen Ende hatten die beiden ein Techtelmechtel gehabt. Bei einer so schrägen Truppe wie der ihren gingen die Vorschriften über Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen schon mal den Bach runter. »Irgendwie dachte ich mir damals, dass es dazu kommen könnte. Meinen extrem verspäteten Glückwunsch.«

»Das Beste, was mir je passiert ist. Danach haben uns die Behörden quer durch die Weltgeschichte geschickt. Den Teil hat sie gehasst, wie du dir wahrscheinlich vorstellen kannst. Aber letztlich sind wir dann doch noch sesshaft geworden, als man mich in Wa­shing­ton, D. C. stationierte. Als ich in den Ruhestand gegangen bin, sind wir hier rausgezogen.«

»Familie?«

»Wir haben einen Sohn und drei Töchter.«

»Menschlich?«, hakte Earl nach.

»Größtenteils.«

»Schön zu hören, Captain.« Bei Sharons Umständen hätte es so oder so ausfallen können. »Eine tolle Frau. Hat mir mehrere Male den Hintern gerettet.«

Conover seufzte gedehnt. »Sie ist letztes Jahr gestorben«, verriet er. »Autounfall.«

Musste ein ziemlich heftiger Unfall gewesen sein, wenn eine Halbsirene dabei ums Leben gekommen war. »Tut mir leid, das zu hören. Ich weiß, wie du dich fühlst.« So viel zum Versuch, sich herzlich zu geben. »Ich schätze mal, du hast mir den geheimnisvollen Brief nicht geschrieben, damit wir bloß bei ein paar Bieren ein bisschen quatschen, oder?«

»Hat deine Aufmerksamkeit erregt, nicht wahr?« Kirk stimmte ein kurzes, trauriges Lachen an, bevor er einen ausgiebigen Schluck trank. »Alte Zeiten … Richtige Kumpel sind wir nie gewesen, oder, Earl?«

In Anbetracht der Umstände hatte der Captain einen recht ­anständigen Boss abgegeben, dennoch hatte Earl gegen seinen Willen unter Conovers Befehl gestanden. Krieg an sich machte ihm nichts aus. Tatsächlich verstand er sich ziemlich gut auf dieses Handwerk und wäre durchaus auch freiwillig nach Vietnam gegangen, wenn man ihn darum gebeten hätte, statt ihm zu drohen. »Ich betrachte uns eher als Geschäftspartner mit einer Beziehung, die auf gegenseitigem Respekt beruht. Na ja, ergänzt um die Tatsache, dass ich exekutiert worden wäre, wenn ich deine Befehle missachtet hätte.«

»Klugscheißer. Weißt du, als du mir zugeteilt worden bist, hat in deiner Akte gestanden, du hättest Probleme mit Autoritäten und ich würde dich vermutlich eliminieren müssen.«

»Ach, die waren bloß immer noch stinkig wegen dieses einen Mals, als ich Jimmy Carter geschlagen hab.« Das war vor Carters Präsidentschaft gewesen, zu seinen Zeiten als Gouverneur von Geo­rgia, und der kleine Ausrutscher hatte MHI einiges an Aufträgen gekostet, aber der Mann hatte es verdient gehabt.

»Du bist schon immer der einsame Wolf gewesen, nicht wahr?«, fragte Kirk rhetorisch. »Tja, zurück zum Geschäft. Es gibt immer noch Leute, die mir etwas schulden. Wenn sich bestimmte Dinge tun, erfahre ich davon.«

Männer wie Conover häuften tendenziell Unmengen an geschuldeten Gefälligkeiten an. »Nikolai ist zurück, stimmt’s?«

»Ich fürchte ja. Zuletzt hatten wir gehört, er hätte sich selbstständig gemacht. Ein Werwolf-Söldner für jeden, der genug zu zahlen bereit war. Hat für verschiedene üble Kerle gearbeitet und andere üble Kerle für sie gefressen. Dann urplötzlich: nichts mehr. Einfach verschwunden. Bis diese Woche. Irgendeine Ahnung, was ihn nach all den Jahren hinter dem Ofen hervorgelockt haben könnte?«

Earl zuckte mit den Schultern. »Nikolai ist ein verdammt harter Hund von einem Russen. Verdammt harte Russen kennen nur drei Gefühlszustände: Rachelust, Depressionen und Wodkarausch. Wo steckt er?«

»So einfach ist es nicht, Earl. Zuerst muss ich dich fragen, was passiert, solltest du ihn finden.«

»Du weißt haargenau, was passiert, wenn ich ihn finde.«

Conover nickte. »Ja, du Trottel. Immerhin hab ich dich kontaktiert, schon vergessen? Du bist der entschlossenste Killer, der mir je untergekommen ist. Sobald ich dich auf Nikolais Fährte ansetze, ist der Drecksack so gut wie tot. Ich könnte schwören, dass du nicht zur Hälfte ein Wolf bist, sondern ein Bluthund. Es geht nicht um das Was, Earl. Ich will das Warum wissen. Ich bin im Ruhestand. Dieses Gespräch hier landet in keinem Bericht. Du kannst ruhig ehrlich zu mir sein.«

Earl schwieg einige Atemzüge lang. Wie sollte er darauf antworten? Nikolai war gefährlich. Er verkörperte alles, was an Werwölfen schlecht war, zusammengeschnürt zu einem ausgesprochen skrupellosen und intelligenten Paket. Nikolai war der große böse Wolf. Das Böse an sich. Andererseits gab es überall reichlich böse Menschen, und Earl streifte nicht durch die Welt, um sie alle zu jagen. »Ich schätze, Rache ist so gut wie jeder andere Grund, den ich dir nennen könnte.«

»Das kannst du doch besser.« Kirk lehnte sich auf dem Stuhl zurück und musterte Earl. »Das war im Krieg. Wir haben getan, was wir tun mussten.«

Da Kirk Monster besser verstand, als es die meisten Menschen je vermochten – verdammt, er hatte sogar jemanden geheiratet, der streng genommen unter den Begriff Monster fiel –, fand Earl, dass er seinem alten Befehlshaber gegenüber ruhig offen sein konnte. »Da ist schon noch etwas anderes … Es gibt bestimmte Regeln, wie die Dinge laufen. Das ist von Anfang an unverändert geblieben. Einer ist immer der Stärkste. Und der legt die Regeln fest.«

»Hin und wieder bilden sich Rudel, das war’s aber auch schon. Willst du mir etwa einreden, es gäbe unter Werwölfen eine Art Gesellschaft mit Regeln? Mit einem Werwolf-Gesetz? Diese Information muss mir wohl irgendwie durch die Lappen gegangen sein.«

»Nicht so, wie du es dir vorstellst«, erwiderte Earl. »Vielleicht ist ›Regeln‹ auch nicht das richtige Wort, aber es muss reichen. Neue Werwölfe verstoßen dagegen, weil sie es nicht besser wissen. Die meisten, die sich zum ersten Mal verwandeln, geben sofort dem erstbesten Drang nach, den sie empfinden. Aber diejenigen, die überleben, spüren nach einer Weile, wie die Regeln lauten, und sie halten sich entweder daran, oder es kommt jemand wie ich und schaltet sie aus.«

Kirk musterte ihn einige Atemzüge lang. »Jemand wie du – meinst du damit einen Jäger oder einen Alpha-Werwolf?«

Earl nickte angesichts der verwendeten Terminologie. Wie üblich wusste Kirk mehr, als er preisgab. »Läuft auf dasselbe hinaus.« Obwohl das nicht stimmte. »Manchmal brechen auch alte Werwölfe die Regeln, aber die meisten sind schlau genug, den Stärksten nicht zu verärgern, denn wenn er sie findet, haben sie einen hohen Preis zu zahlen.«

»Und wie sehen die derzeitigen Regeln aus?«

»Es gibt nur ein paar davon. Aber die Quintessenz ist: Lasst die Menschen zufrieden. Wenn sich alle an die Regeln halten, bekommen gewöhnliche Menschen gar nicht mit, dass wir existieren.«

Der Ausdruck in Kirks Gesicht ließ klar erkennen, dass sich seine Vermutung soeben bestätigt hatte. »Dachte ich mir. Weißt du, seit unserer letzten Zusammenarbeit habe ich das eine oder andere über Werwölfe gelernt. Den meisten ist das völlig egal. Sie tun, was immer sie wollen, ganz gleich, was irgendein alter Kerl sagt.«

»Ich habe nicht behauptet, dass es sonderlich gut funktioniert, trotzdem würdest du sicher nicht wollen, dass die Werwölfe dieser Welt instinktiv dem Beispiel eines richtigen aggressiven Anführers folgen. So, wie es jetzt läuft, ist es besser.«

»Was passiert, wenn es einen neuen Boss gibt?«

»Das spüren alle. Dann ändern sich die Regeln … und du würdest nicht wollen, dass jemand wie Nikolai die Regeln vorgibt. Er betrachtet uns nicht als Menschen, die einfach nur anders sind. In seinen Augen sind wir eine überlegene Rasse und die Menschen bloße Beute. Der Fluch würde sich ausbreiten. Rudel würden sich bilden. Du kannst es dir ja ausrechnen.«

Kirk nickte nachdenklich. »Ich dachte mir schon, dass so etwas wie Monsterpsychologie dieser Art dahintersteckt. Also, warum muss der Russe sterben?«

Earl lehnte sich auf dem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Jacke aus Minotaurus-Leder knarrte. »Weil ich der König der Werwölfe bin und so entschieden habe.«

Anscheinend hatte Kirk nach genau dieser Antwort gesucht. »Nikolai ist in Amerika.«

»Hatte ich schon vermutet. Wo?«

»Nördlich von hier. Mitten im Nirgendwo in Michigan. Er wurde gesichtet, als er letzte Woche in den USA eingetroffen ist. Laut Nachrichtendienst war er auf dem Weg in eine Kleinstadt namens Copper Lake. Schon mal davon gehört?«

»Kann ich nicht behaupten. Woher weißt du das alles?«

»Ich bin im Ruhestand. Nicht tot. Ich hab immer noch Freunde in der Branche, die mich gern auf dem Laufenden halten.« Die schwammige Antwort deutete darauf hin, dass Kirk nicht bereit war, all seine Geheimnisse aufzugeben.

»Hat das Amt für Monsterkontrolle vor, ihn auszuknipsen?«

»Das Amt für Monsterkontrolle weiß nicht mal, dass es ihn gibt. Als das Einsatzkommando aufgelöst wurde, haben wir den Großteil unserer Akten abgegeben, aber nicht alles. Damals hat das Amt für Monsterkontrolle aus besseren Bullen bestanden, die höchstens Schadensbegrenzung betrieben haben. Unser Kommando aber diente der nationalen Sicherheit. Informationen wurden allenfalls dann weitergegeben, wenn jemand sie haben musste. Und diese Typen brauchten gar nichts zu wissen.«

»Gut. Die würden die Sache auch nur erschweren.« Das Letzte, was Earl gebrauchen konnte, war, dass ihm Myers’ billige Schläger in die Quere kamen. »Also, Kirk, ich habe deine Frage beantwortet. Jetzt beantworte du mir meine: Warum hast du mich dafür hergeholt?«

Conovers Bier war mittlerweile halb leer. Er wirbelte den Rest in der Flasche herum und starrte hinein. »Du und ich, wir sind die letzten überlebenden Mitglieder des Einsatzkommandos.«

»Wie sich rausgestellt hat, ist der Zerstörer auch noch am Leben«, berichtigte Earl.

»Wirklich? Pitt, der durchgeknallte Green Beret? Sieh einer an … Das wusste ich nicht. Er muss etwas so streng Geheimem zugeteilt worden sein, dass nicht mal meine Abteilung Wind davon bekommen hat. Wie dem auch sein mag, Nikolai war unser Problem, und ich hinterlasse Probleme nicht gerne ungelöst. Ich selbst bin inzwischen zu alt. Ich kann es nicht mit ihm aufnehmen. Scheiße, selbst in der Blüte meiner Jahre hätte ich das nicht gekonnt. Du hingegen kannst das. Klar, ich könnte das Amt für Monsterkontrolle anrufen. Die würden ausflippen, wenn sie wüssten, dass Stalins Haus- und Hof-Werwolf durch ihr Hoheitsgebiet streunt, aber mir wäre lieber, wenn die Sache sozusagen in der Familie bleibt.«

Earl merkte, dass mehr dahintersteckte. »Und?«

Conover betrachtete die Tischfläche und dachte gründlich über seine Antwort nach. »Sharon hatte immer schlimme Albträume, ständig, unsere gesamte Ehe hindurch. Und sie haben sich immer um dasselbe gedreht. Goldene Augen und weiße Fänge … Der Russe würde zurückkommen, um sie sich zu holen. Und er würde sich auch unsere Kinder krallen, nur so aus Bosheit. Sie konnte nie damit abschließen. Er hat den Großteil des Einsatzkommandos getötet. Sie hatte immer die Ahnung, dass er zurückkehren würde, um es zu Ende zu bringen.«

Albträume. Earl hatte keine Albträume. Er verursachte sie.

»Dieser Mistkerl hat Jahre aus Sharons Leben gestohlen, und ich konnte sie nicht beschützen. Jetzt, da ich weiß, dass er lebt, musst du ihn für mich vernichten, Earl. Restlos vernichten. Ich will, dass er fühlt, was sie gefühlt hat. Ich habe gesehen, wozu du imstande bist. Tu es für das Einsatzkommando. Tu es für sie. Und wenn du damit fertig bist … kann ich zu Sharons Grab gehen und ihr sagen, dass es endlich vorbei ist.«

Earl hob seine Flasche an. »Auf diejenigen, die es nicht geschafft haben.«

Sie stießen mit den Bierflaschen an. »Auf verlorene Freunde und einen Arschvoll toter Kommunisten.«

Darauf konnte Earl Harbinger trinken.

Kapitel 2

Am Morgen nach der Nacht meiner ersten Verwandlung erwachte ich nackt in einem Teich aus Blut. Kein Tropfen davon stammte von mir. Ich befand mich in einem Bauernhaus, einem kleinen Pueblo am Fluss. Die dünne Tür war aus den Angeln gerissen und lag im Vorhof, umgeben von Hühnern, die dort in der Erde pickten. Die Familie des Bauern war von einem Ende zum anderen über die Hütte verteilt und an die Wände gespritzt worden, sie tropften geradezu von der Decke. Der Erdboden hatte sich vor Blut in Schlamm verwandelt. Ich konnte diese Leute noch im Mund schmecken. Teile von ihnen hingen zwischen meinen Zähnen.

Das ist schwer zu erklären. Die Erinnerungen, an die Zeit, wenn ich verwandelt bin, sind anders. Es ist schwierig, sie in menschliche Worte zu kleiden. Mir war, als wäre ich aus einem Traum erwacht, an den ich mich nur teilweise erinnern konnte. Allerdings wusste ich noch haargenau, was ich mit den Leuten angestellt hatte. Damals war MHI noch nicht viel über Werwölfe bekannt gewesen. Unser Wissen beschränkte sich auf ein Gewirr von Mythen und Ammenmärchen, mittlerweile jedoch verstand ich, wie der Fluch übertragen wurde: Ein simpler Biss vor einem Monat. Mehr war nicht nötig gewesen, um mein Leben zu beenden.

Den alten Navy Colt des Bauern fand ich auf halbem Weg zum Brunnen. Obwohl ich immer noch fühlen konnte, wo unter dem verkrusteten Blut eine Kugel meine Rippen durchschlagen hatte, fehlte mittlerweile jede Spur von einer Wunde. Die schleierhaften Erinnerungen verrieten mir, dass mich der Treffer nur erst recht zur Raserei getrieben hatte. Dem Bauern hatte der Colt nicht das Geringste genützt, doch ich betete unter der strahlenden Morgensonne jenes Tages zu Gott, dass er bei mir funktionieren würde. Ich vernichtete Monster. Ich wollte nicht selbst zu einem werden. Also setzte ich die Mündung unter dem Kinn an und neigte die Waffe so, dass sie mir den Hinterkopf wegpusten würde.

Die anderen würden diesen Ort zweifellos bald finden. Wahrscheinlich hatten sie die über dem Gebiet kreisenden Geier bereits gesichtet. Die Jäger würden aus dem, was mir passiert war, lernen und nicht denselben Fehler begehen. Das war mein letzter Gedanke, bevor ich den Abzug drückte.

Später kam ich mit einem gewaltigen Brummschädel zu mir. Wie gesagt, damals hatten wir noch nicht viel über Werwölfe gewusst.

*

Heather Kerkonen war nicht gezwungen, in der Nachtschicht zu arbeiten. Sie war lange genug dabei, um das Recht für sich beanspruchen zu können, dass sie ihren Dienst tagsüber versah. Doch sie war von Natur aus schon immer ein Nachtmensch gewesen. Nachts zu arbeiten ruinierte zwar jede Chance auf ein vernünftiges Sozialleben, aber abgesehen von gelegentlichen Unfällen, Kneipenschlägereien oder irgendwelchen Typen, die sonst was Dummes anstellten, verliefen die Nächte in der Regel ruhiger als die Tage, geradezu friedlich.

Die vergangene Nacht hatte allerdings eine Ausnahme dargestellt. Da hatte es einen Einsatz nach dem anderen gegeben. Die Staatspolizei hatte einen Herumtreiber aufgegabelt, der über ein Campinggelände gestreunt war und etwas über das Ende der Welt gebrüllt hatte. Man hatte ihn zum nächstbesten Knast gebracht, der sich zufällig in Copper Lake befand, wo der Spinner prompt ein Stück aus der Hand des Schließers gebissen hatte, als dieser versuchte, ihn zu bändigen. Heather war genau an dieser Stelle zum Dienst erschienen und hatte sich des Problems mit einer großzügigen Dosis Pfefferspray und einem ASP-Schlagstock angenommen. Als das erledigt war, hatte sie einen Anruf wegen zweier Wanderer erhalten, die nicht zu ihrem Lager zurückgekehrt waren, doch das hatte sich als ein Fall für die Rettungsmannschaft von Baraga County herausgestellt. Danach musste sie einer Vermisstenanzeige nachgehen, weil Mr. Loira nicht von der Arbeit nach Hause gekommen war – der lag wahrscheinlich irgendwo sturzbesoffen rum und schlief seinen Rausch aus. Doch all das war unterbrochen worden, als sie erfahren hatte, dass Joe Buckley von einem Bären zerfleischt worden war.

Klar, es gab Bären im nördlichen Michigan – genau wie Wölfe –, aber niemand konnte sich daran erinnern, wann zuletzt einer einen Menschen angegriffen hatte. Heather hatte zunächst ungläubig reagiert, als sie der panische Funkspruch erreichte. Es musste sich um einen Irrtum handeln. Wie eine Irre war sie zur Cliff Road hi­naus­gerast, aber als sie dort eintraf, hatte man Buckley bereits in den Krankenwagen geladen. Die Erstprognose hörte sich düster an, und als sie sah, welche Ausmaße die tiefrote Lache aufwies, aus der man ihn gehoben hatte, wusste sie, dass ihr Freund bestimmt sterben würde.

Nancy Randall hatte ihn gefunden. Die arme Frau stand unter Schock. Den anderen Hilfssheriffs hatte sie erzählt, sie hätte ein Heulen gehört, aber das war lächerlich. Kein Wolf würde je so etwas tun. Und auf der Motorhaube des Streifenwagens prangten Kral­len­spuren, die durch das Metall hindurch gegangen waren.

Innerhalb einer halben Stunde waren zu Heather und den anderen Hilfssheriffs zwei Vertreter vom Amt für Naturschutz sowie einige Freiwillige mit ein paar guten Jagdhunden gestoßen. Doch niemand hatte eine Spur von dem Bären gefunden. Die Hunde hatten schlicht die Zusammenarbeit verweigert. Sie hatten rings um Buckleys beschädigten Streifenwagen versucht, eine Spur aufzunehmen, und waren dann mit eingezogenen Schwänzen davon zurückgewichen. So gut man ihnen auch zugeredet hatte – sie hatten sich nicht wieder in die Nähe des Fahrzeugs gewagt.

Heather war mit der Jagd in jenen Wäldern aufgewachsen, weniger als Sport, sondern weil sie zu Hause ärmer als Kirchenmäuse gewesen waren und das einzige Fleisch auf dem Familientisch von Tieren stammte, die sie selbst erlegt hatten. Allerdings hatte sie keine Ahnung, wie man der Fährte eines Tieres folgte. Indem man in einem Hochsitz hockt und darauf wartet, dass ein Reh vorbeiwandert, wird man eben noch lange nicht zu einem Davy Crockett. Sie hatte die Winchester-Flinte aus ihrem Streifenwagen geholt, sie mit Hochleistungsmunition geladen und war trotzdem aufgebrochen. Zu dem Zeitpunkt war der nasse Untergrund von tollpatschigen Füßen bereits dermaßen aufgewühlt worden, dass sie mit der Taschenlampe nicht mehr das Geringste erkennen konnte. Nicht einmal der Sonnenaufgang hatte geholfen, und obwohl weitere Freiwillige eingetroffen waren, konnte der verfluchte Bär entkommen.

Vor Ort wimmelte es von Beamten der Fischereibehörde, und der Sheriff höchstpersönlich hatte das Kommando am Schauplatz des Angriffs übernommen, als Heather dorthin zurückkam.

Kai Hintze war schon Sheriff gewesen, als Heather aus Minneapolis nach Copper Lake zurückgekehrt war. Mit seinen fünfzig Jahren schleppte er um die fünfundzwanzig Kilo Übergewicht mit sich herum und galt als eingefleischter Science-Fiction-Fan, weshalb Heather anfangs nicht viel von ihrem neuen Boss erwartet hatte, doch Sheriff Hintze hatte sich als guter Anführer erwiesen, der auf seine Leute und seinen Bezirk aufpassen konnte. Er wurde regelmäßig wiedergewählt, weil ihm aufrichtig etwas an den ­Menschen lag und die Bewohner des Bezirks wiederum ihn liebten, was man von seinem inkompetenten Vorgänger nie hatte behaupten können.

Der Sheriff redete gerade mit einem der Männer von der Naturschutzbehörde. Bei den eigenbrötlerischen Menschen, die in Ortschaften wie Copper Lake lebten, waren die Wildhüter nicht sonderlich beliebt. Heather selbst hatte in ihren Jugendjahren einige Zusammenstöße mit Wildhütern gehabt, als sie außerhalb der Saison Wild gejagt hatte – am schlimmsten fand sie die scheinheiligen Umweltschutzfanatiker. Dieser spezielle Behördenvertreter jedoch benahm sich wie ein alter Profi und schien wirklich zu wissen, wovon er redete. Heather näherte sich von hinten. Sie wollte nicht unhöflich sein und ihn unterbrechen.

»Ich sag’s Ihnen, Sheriff, irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht. Ein Kollege von mir im Staatsgebiet von Washington, Terril Erion, der hatte mal vor einer Weile so einen Fall; Angriff eines Tiers, bei dem hinten und vorne nicht zusammengepasst haben. Damals wurde eine spezielle Behörde eingeschaltet. Kennen Sie die Behörde, die ich meine?«

Sheriff Hintze nickte. »Jeder Sheriff im Land kriegt eine vage Unterweisung und eine Nummer, die man anrufen soll, falls mal etwas Merkwürdiges passiert. Glauben Sie wirklich, dass es … Nee, das ist doch lächerlich.« Ihm wurde bewusst, dass Heather in unmittelbarer Nähe stand, und er verstummte abrupt. Der Mann von der Naturschutzbehörde wandte verlegen den Blick ab, als wären sie dabei erwischt worden, wie sie über etwas Unanständiges redeten. Der Sheriff hüstelte. »Deputy Kerkonen. Glück gehabt?«

»Nichts, Sir. Irgendetwas Neues über Buckley?«

»Noch nicht.« Er musterte ihr durchnässtes, von Schlamm verschmiertes Erscheinungsbild. »Wie lange sind Sie schon unterwegs?«

»Seit wir die Meldung erhalten haben.«

»Sie sehen geschafft aus, und Ihre Schicht hat vor Stunden geendet. Im Augenblick können Sie hier wirklich nichts mehr tun.«

»Sir, ich will …«

»Ich verstehe das schon. Joe ist auch mein Freund, Heather. Warum fahren Sie ihn nicht besuchen?« Bevor es zu spät ist.

Heather wartete, bis sie sich einen Kilometer die Straße hinunter bewegt hatte, bevor sie vor Frustration laut aufschrie, sich die Seele aus dem Leib fluchte und auf das Lenkrad eindrosch, bis ihre Hand schmerzte. Es war nicht das erste Mal, dass das Revier einen Mitarbeiter verlor, allerdings hatte es immer an Ursachen gehangen, die einen Sinn ergaben, beispielsweise durch einen Meth-Junkie oder einen Autounfall. Wer wurde im Dienst schon von einem verfluchten Bären getötet? Immerhin befanden sie sich nicht in Alaska. Hier war Michigan.

Es ergab einfach keinen Sinn. Der Winter stand bevor. Heather war keine Zoologin, aber hätte das dämliche Vieh nicht schon im Winterschlaf liegen müssen? Der Angriff hatte bei eiskaltem Regen stattgefunden – warum war das Biest überhaupt unterwegs gewesen, und warum sollte es ein Auto attackieren?

Heather hatte keine Ahnung, wie sie sich das erklären sollte, und nun tat auch noch ihre Hand weh. Stumm schalt sie sich für den Wutanfall. Sie hatte schon immer mit ihrem Temperament zu kämpfen gehabt.

Warum war ich nicht diejenige, die rausgefahren ist, um der Meldung nachzugehen? Wenn sie sich statt Buckley darum gekümmert hätte, würde er jetzt nicht im Sterben liegen. Und vielleicht hätte sie irgendetwas anders machen können. Sie wusste durchaus, dass es albern war, sich Vorwürfe zu machen, aber Heather hatte von jeher einen Beschützerinstinkt für jeden gehabt, den sie zu ihren Leuten zählte.Wegen dieser Einstellung war sie bei ihren Kollegen so beliebt. Mit ihren Vorgesetzten hingegen hatte sie dadurch in ihrem letzten Revier das eine oder andere Mal Schwierigkeiten bekommen. Doch in Copper County lief es anders. Hier befand sie sich in ihrer Gemeinde, bei ihren Leuten, und dieses Revier betrachtete sie als Familie. Nur lag nun einer der ihren im Sterben, und dass sie nicht das Geringste dagegen unternehmen konnte, machte sie stinksauer.

Erst etliche Stunden nach dem Notruf wegen Buckley schaffte sie es zurück nach Copper Lake. Die Hälfte des Personals ihres winzigen Reviers und mehrere Angehörige hatten sich im Wartesaal des Krankenhauses eingefunden. Buckley galt als populärer, von vielen geliebter Mann. Wie durch ein Wunder lebte er noch, was die Ärzte zutiefst verblüffte. Allerdings meinten sie, es sei noch zu früh, um zu sagen, was passieren würde, und zu riskant, ihn auf dem Luftweg in eine besser ausgestattete Einrichtung zu transportieren.

Heather hasste es, nervös und emotional aufgewühlt in Krankenhäusern auszuharren. Das hatte sie in ihrem Leben schon zur Genüge hinter sich, und obwohl ihre Schicht längst zu Ende war, hatte sie sich freiwillig dazu angeboten, ins Revier zu fahren und dort ein wenig auszuhelfen. Sie war ohnehin noch viel zu aufgekratzt, um schlafen zu können, und abgesehen von ihrem Hund wartete zu Hause niemand auf sie.

Im Revier hatte Heather hungrig und grantig, aber keineswegs überrascht, festgestellt, dass niemand daran gedacht hatte, frischen Kaffee aufzusetzen. Also holte sie sich stattdessen eine Cola Light und eine Packung abgelaufener Schoko-Donuts vom Verkaufsautomaten des Reviers. Sie glaubte zwar nicht, dass Donuts kross sein sollten, aber sie enthielten Zucker, und das war für sie das Wichtigste an dem Zeug. Die Donuts stellten zwar ein Risiko dar, denn ihr war völlig klar, dass sie Gefahr lief, sich in eine weitere »Schneekuh« der oberen Halbinsel zu verwandeln, auch wenn sie sich gewissenhaft jeden Tag aufs Laufband schwang. Aber dieses Risiko ging sie bereitwillig ein.

»Hast du Joe gesehen, Kerkonen?«, fragte Chase Temple, einer der neuen Streifenpolizisten, der erst seit einigen Tagen mit an Bord war. Heather kannte ihn noch nicht so gut und wusste nur, dass er unlängst aus der Navy ausgeschieden war und über Fernunterricht an der Northern Michigan University auf einen Abschluss in Politikwissenschaft hinarbeitete. Vor seinem jugendlichen Enthusiasmus fühlte sie sich plötzlich steinalt. Dabei war sie gerade erst sechsunddreißig geworden. »Hab gehört, dass es ihn schlimm erwischt haben soll.«

Heather musste an sich halten, um nicht mit dem Mund voller Donut zu antworten. Sie wusste ohnehin nicht, was sie sagen hätte sollen; schließlich hatte sie genauso wenig Ahnung wie alle anderen. »Ich hab ihn nicht selbst gesehen, aber ja, die Ärzte sagen, es sieht übel aus. Schädelbruch, schwere Verletzungen im Bauchbereich, massiver Blutverlust, ein ganzes Stück der Eingeweide fehlt …« Selbst wenn Buckley überlebte, würde er ein Krüppel bleiben und für den Rest seines verkürzten Lebens ein elendes Dasein fristen. Die Vorstellung deprimierte Heather noch mehr. Sie beschloss, das Thema zu wechseln, und zeigte in Richtung der Zellen. »Wie geht’s unserem Lieblingsgast?«

Das Revier von Copper Lake bestand aus einem kleinen Ge­bäu­­de; Temple brauchte nicht nachzufragen, wen sie meinte. »Bill war stinksauer, nachdem ihn der Irre gebissen hatte«, erwiderte er und bezog sich damit auf den Hilfssheriff, der vergangene Nacht im Revier Dienst gehabt hatte. »Musste mit fünf Stichen genäht werden. Aber ich hab gehört, du hast dem Kerl dafür ordentlich was verpasst. Wumm! Mitten rein in die Fresse! Habt ihr das in der großen Stadt so gemacht?« Heather reagierte nicht auf sein idiotisches Grinsen, deshalb stellte er es ein und gab sich professionell. »Hab’s nicht so gemeint. Ich hab bloß gehört, du hättest einen bestimmten Ruf … Ich mein’, dass du die Nerven behältst, wenn die Kacke am Dampfen ist.«

Heather zuckte unverbindlich mit den Schultern. »Ich hab nur getan, wozu ich ausgebildet wurde.«

»Wie du meinst. Ich hab gehört, wie du …«

»Jemand musste die Kids beschützen. Ich war als Einzige da, um das zu tun. War keine große Sache.« Ein verrückter Fall, bei dem es um einen Ring von Zwangsprostitution ging, konnte einem schon einen ziemlichen Ruf einbringen. Eine schludrige Schießerei später war sie öffentlich für ihre Tapferkeit belobigt und hinter den Kulissen für ihre Dummheit gerügt worden. Heather hatte sich auf der Überholspur zu einer Beförderung zur Ermittlerin befunden, bis sie wegen gesundheitlicher Probleme ihrer Familie gezwungen gewesen war, in ihren Heimatort zurückzukehren. Spielte inzwischen keine Rolle mehr. In Copper Lake ging es wesentlich ruhiger zu als in Minneapolis. Diesmal achtete sie darauf, so offensichtlich das Thema zu wechseln, dass auch Temple verstand, es möglichst nicht wieder anzuschneiden. »Haben wir schon eine Identität unseres Beißers?«

»Jedes Mal, wenn wir ihn nach einem Namen fragen, starrt er nur ins Leere und nuschelt irgendwas von einem Summen. Nach wie vor keine Ahnung, wer er ist, aber wir stöbern weiter.«

Einer von Heathers Freunden war eben erst regelrecht ausgeweidet worden. Sie war nicht in der Stimmung, sich mit dahergelaufenen, stinkenden Spinnern auseinanderzusetzen, aber die obere Halbinsel glich praktisch dem Rand der Welt. Aus irgendeinem Grund endeten viele Verrückte hier oben. Es war, als würden sie aus Chicago oder Minneapolis aufbrechen und durch die Wälder wandern, bis sie zum Oberen See gelangten, wo sie zu Heathers Problem wurden. »Sonst irgendwas los?«

»Diese Wanderer unten in Baraga werden immer noch vermisst.«

»Wahrscheinlich vom selben Bären gefressen«, murmelte Hea­ther. Verirrte Wanderer stellten keine große Überraschung dar. Abgesehen von ein paar Ansammlungen kleiner Gemeinden und etwas Farmland bestand der Norden Michigans aus dicht bewaldeten Hügeln. Nur allzu leicht verlor man die Orientierung, wenn man sich von den gekennzeichneten Wegen entfernte. Die Einheimischen liebten zwar die Moneten, die Touristen mitbrachten, aber nach verirrten Städtern suchen zu müssen wurde ziemlich rasch nervig.

»Abgesehen davon … Ach ja, irgendein Bundesagent hat aus Wa­shington angerufen und wollte etwas über den Bärenangriff wissen.«

»Wer?«, hakte Heather nach. Das war schnell gegangen. Der Mann von der Naturschutzbehörde musste die Information an die Stelle weitergereicht haben, über die er gerade mit Sheriff Hintze hatte reden wollen, als sie bei den beiden aufgetaucht war.

»Weiß nicht mehr. Der Typ hat irgendwas mit Jefferson geheißen, so ein richtiger Schnösel. Aber ich hab ihn an den Sheriff weitergeleitet. Hat gefragt, ob es sonst irgendwelche Angriffe von Tieren oder unerklärliche Fälle von verschwundenen Personen gegeben hätte. So was in der Art halt. Er hat gemeint, sie würden jemanden herschicken, um Buckley zu befragen, falls« – rasch korrigierte er sich – »wenn er aufwacht. Ich hab ihm gesagt, wenn die Wetterberichte stimmen, sollte er sich besser beeilen. Heut’ Nacht soll ja ein gewaltiges Unwetter aufziehen. Er hat ziemlich eindringlich darauf bestanden, dass wir ihn unbedingt anrufen, falls noch etwas Ungewöhnliches passiert.«

Ungewöhnlich? Die kleinen, in dem Gebiet heimischen Schwarzbären beschränkten sich normalerweise darauf, Mülltonnen umzuwerfen, und schlugen keine Autofenster ein, um hinzulangen und gesunde, bewaffnete Menschen zu fressen. Ungewöhnlich konnte man in diesem Fall getrost als Untertreibung bezeichnen.

*

Agent Doug Stark vom Amt für Monsterkontrolle des US- Heimatschutzministeriums hob den Hörer des klingelnden Telefons auf seinem Schreibtisch ab. Es war bereits ein arbeitsreicher Tag gewesen. Er hatte eine Kamera und Videodateien einiger Teenager beschlagnahmt, die über ein unnatürliches Wesen des Typs Zwei gestolpert waren, das gerade einen Obdachlosen in einem Abwasserkanal verspeist hatte. Stark genoss den Teil seines Jobs nicht unbedingt, bei dem er Zeugen und Überlebende einschüchtern musste, damit sie die dummen Klappen hielten, trotzdem war er extrem gut darin. »Agent Stark«, meldete er sich in scharfem Tonfall.

»Hallo, Doug«, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung, die er sofort erkannte. Washington rief an. Verdammt. Washington rief nur an, wenn irgendetwas nicht stimmte, und Doug hatte gehofft, früher Schluss machen zu können, um rechtzeitig bei der Trompetenaufführung seiner Tochter zu sein. »Hier Grant Jefferson.«

Stark mochte den Neuen nicht – er fand ihn zu glatt, wie ein Aal –, aber Direktor Myers schien zu glauben, Jefferson könne übers Wasser laufen. Er hatte den ehemaligen MHI-Mitarbeiter unter seine Fittiche genommen und ihn mit allen möglichen Zuständigkeiten bedacht. Baute ihn augenscheinlich für eine Führungsposition auf. Wahrscheinlich lag das daran, dass Myers selbst aus dem privatwirtschaftlichen Sektor stammte … Sah diesen Söldnerdeppen ähnlich, dass sie zuerst dicke Kohle und Ruhm einheimsten, bevor sie in seine Behörde kamen, um sich dort sämtliche Beförderungen zu krallen. »Tag, Grant. Was kann ich heute für Sie tun?«, erkundigte er sich mit null Komma gar keiner Aufrichtigkeit.

»In Ihrer Region hat ein möglicher Angriff stattgefunden. Das Profil entspricht einem Lykanthropen, aber das ist derzeit noch ungewiss. Ein Überlebender.«

So viel dazu, früher Schluss zu machen. Den Vorschriften zufolge musste ein solcher Fall so rasch wie möglich überprüft werden. »Gebissen?« Stark griff nach einem Notizblock und angelte sich einen Stift aus der rosa Tontasse mit der Aufschrift: Papa ist der Beste.

»Wahrscheinlich, aber unbestätigt. Sie sollten vom schlimmsten Fall ausgehen. Nehmen Sie ein Testset mit. Unter Umständen müssen Sie eliminieren.«

Stark brummte zur Bestätigung. Für wen hielt sich dieser Em­por­kömmling eigentlich, dass er ihm etwas derart Offensichtliches überhaupt sagte? Als Agentenneuling des Amts für Monsterkon­trolle, direkt aus den Reihen der SEALs rekrutiert, hatte Stark bei Mr. Angst und Schrecken höchstpersönlich – Agent Franks – gelernt, wie man sich um Zeugen kümmerte. Stark gehörte in den Reihen des Amts für Monsterkontrolle zur alten Schule. Als er damals die Außenstelle in Phoenix geleitet hatte, war einmal eine vierköpfige Familie von Reptoiden in Stücke gerissen worden, und es war ihm gelungen, den gesamten Zwischenfall Kojoten in die Schuhe zu schieben. Stark war immer noch verbittert darüber, dass ihm der Posten des Außenstellenleiters in Chicago zugeteilt worden war statt der des interimistischen Gesamtleiters, den sich Dwayne Myers erschlichen hatte. Vor der Beförderung war Myers, der Trottel, Außenstellenleiter in Dallas gewesen, also hatten sie denselben Rang bekleidet. »Ort?«

»Copper Lake, Michigan«, antwortete Jefferson.

»Wo zum Teufel liegt Copper Lake?« Stark lehnte sich zurück und betrachtete die laminierte Karte der USA, die an der Wand hing. Der Bürostuhl knarrte unter seinem Gewicht. Obwohl Stark nicht mehr in der Blüte seiner Jahre war, stemmte er immer noch Eisen und besaß Oberarme so dick wie die Oberschenkel der meisten Männer. Er war stolz darauf, dass er nach wie vor mit halb so alten Agenten mithalten konnte.

»Irgendwo am Oberen See … glaube ich«, erwiderte Jefferson. »Warten Sie, ich rufe Google Earth auf.« Typisch. Er würde also nicht nur Überstunden machen, sondern auch noch rauf zur verdammten oberen Halbinsel fahren müssen, wo er sich im Land der sogenannten Yoopers, dieser Landeier, wahrscheinlich den Arsch abfrieren würde. »Einen Moment, Agent Archer ist hier bei mir.« Eine Pause entstand. »Er sagt, er ist nur ein kleines Stück von dem Ort entfernt in Calumet aufgewachsen. Er empfiehlt Ihnen, einen Mantel einzupacken.« Grant lachte.

Sah den Arschlöchern in der Zentrale ähnlich, sich auf seine Kosten zu amüsieren, dachte Stark. Seit fast fünfundzwanzig Jahren ging er dieser Arbeit bereits nach. Er wusste mehr über diese Branche als Direktor Myers. Was bildeten die sich eigentlich ein, über ihn zu lachen? Müßig schrieb Stark die Einzelheiten mit, während Grant weiterlaberte, doch in Gedanken befand sich Stark woanders. Er schaute zu der neben der Landkarte an die Wand getackerten SUMF-Tabelle. Regierungsmitarbeiter bekamen keine SUMF-Prämien, aber diesen Söldnern wurde verdammt gutes Geld für jeden Lykanthropen bezahlt … Als er sich von Grant verabschiedete, wusste Stark haargenau, was er tun würde.

Wie die meisten Einrichtungen, bei denen Geheimhaltung als unerlässlich galt, war auch das Amt für Monsterkontrolle relativ klein. Sogar das Personal von ICE und FBI, mit dem sie sich das Gebäude teilten, hatte keinen Schimmer, worin die Daseinsberechtigung des ultra-geheimen Amts für Monsterkontrolle bestand. Als leitender Special Agent hatte Stark sechs Agenten, die unter seiner Führung die zentralen nördlichen Bundesstaaten abdeckten, und weitere konnte er bei Bedarf aus Minneapolis abziehen, aber in diesem Fall würde er sich nicht in die Karten schauen lassen. Er rief nach Agent Mosher, teilte ihm knapp die Fakten mit und befahl ihm, einen SUV vorzubereiten. Einen Hubschrauber anzufordern kam nicht infrage. Das Wetter war im Begriff, sich übel zu verschlechtern. Sollte ein Monsterangriff unter dem Radar bleiben, war es außerdem von entscheidender Bedeutung, selbst nicht aufzufallen. Landete man mit einem schwarzen Helikopter auf einem ländlichen Flugfeld, würden die Einheimischen zu munkeln beginnen. Da sie nun schon mal davon ausgingen, dass es sich um einen Bären handelte, warum sollte man diesen Glauben mit dem Auftauchen eines Blackhawks gefährden?

»Soll ich ein Team zusammenstellen?«, fragte Mosher. »Falls sich rausstellt, dass es wirklich ein Werwolf ist, könnte es gefährlich werden.« Gaige Mosher war der neueste Agent in Starks Abteilung. Ein harter junger Bursche, den man von der FORECON-Einheit der Marines geholt hatte, aber selbst harte Jungs ließen Vorsicht walten, wenn es um Gestaltwandler ging.

»Nein«, entgegnete Stark. »Ich muss mal raus aus dem Büro. Nur wir zwei reden mit dem Zeugen. Mein Gefühl sagt mir, dass es wahrscheinlich bloß um ein Tier geht«, log er. »Falls es sich als echte Bedrohung herausstellt, haben wir noch ein paar Tage bis zum Vollmond. In dem Fall kann Myers sein Einsatzteam hinschicken. Sollen die ihr Budget dafür verbraten.« In Wirklichkeit wollte er bloß so wenig an Arbeit erledigen, wie nötig war, und sich gleichzeitig einen kleinen Nebenerlös sichern. Die Anwesenheit weiterer Agenten machte das schwierig. Mosher hingegen war so erpicht darauf, sich dem erfahrenen Stark gegenüber zu beweisen, dass der sich getrost darauf verlassen konnte, dass er die Klappe halten würde.