Monsterzähmen leicht gemacht - Larry Correia - E-Book

Monsterzähmen leicht gemacht E-Book

Larry Correia

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Beschreibung

Die Monsterjäger laden nach!

Monster zu jagen ist nichts für Angsthasen. Beim letzten großen Einsatz der Monster Hunter International sind zwei Agenten spurlos verschwunden. Eine Tatsache, die Owen Zastava Pitt nicht auf sich beruhen lassen will. Er beschließt eine Rettungsaktion, doch die verspricht kein Spaziergang zu werden. Denn seine Freunde sind anscheinend in einer Dimension gefangen, in der nicht nur Monster ihr unsterbliches Dasein fristen ...

Die Monster Hunter - spannende Urban Fantasy von Bestsellerautor Larry Correia:

Band 1: Die Monster, die ich rief
Band 2: Der Club der toten Monster
Band 3: Ein Monster kommt selten allein
Band 4: Monster sehen und sterben
Band 5: Ein Monster sieht rot
Band 6: Monsterzähmen leicht gemacht

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.


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Inhalt

Cover

Grußwort

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Epilog

Danksagung

Über den Autor

Weitere Titel des Autors

Impressum

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Über dieses Buch

Monster zu jagen ist nichts für Angsthasen. Beim letzten großen Einsatz der Monster Hunter International sind zwei Agenten spurlos verschwunden. Eine Tatsache, die Owen Zastava Pitt nicht auf sich beruhen lassen will. Er beschließt eine Rettungsaktion, doch die verspricht kein Spaziergang zu werden. Denn seine Freunde sind anscheinend in einer Dimension gefangen, in der nicht nur Monster ihr unsterbliches Dasein fristen …

LARRY CORREIA

MONSTERZÄHMEN LEICHT GEMACHT

Aus dem amerikanischen Englisch von Michael Krug

Für Larry L.

Prolog

Vor dreißig Jahren war Auhangamea Pitt in die Sowjetunion einmarschiert. Es war nicht das erste Mal, und obwohl ihm dabei durchs Hirn geschossen wurde, sollte es nicht seine letzte Reise bleiben.

Sein Team war von einer Behörde ohne Namen entsandt und heimlich von einem U-Boot hingebracht worden, das unter dem arktischen Eis fuhr. Sie alle waren Profis, entstammten verschiedenen Elite-Einheiten und waren mit dieser vorübergehenden zusätzlichen Pflicht betraut worden. Pitt verkörperte den ranghöchsten Unteroffizier, aber wenn man an Sondereinsatzkommando Einhorn – kurz SEKE – verliehen wurde, besaß man in Wirklichkeit keinen Rang. Alle wurden mit »Mister« angesprochen, gefolgt von dem jeweiligen Decknamen, den man ihnen für die Dauer der Operation zugewiesen hatte.

Nur war Auhangamea Pitt inzwischen so viele Male an SEKE ausgeliehen worden, dass ihn das Vollzeitpersonal des Einsatzkommandos einfach Zerstörer nannte. Über die Jahre hatte er sich einen Ruf erarbeitet. Pitt erledigte seine Missionen effizient und nüchtern, und man konnte sich darauf verlassen, dass er danach nie wieder davon sprach. Es gab reichlich Männer, die sich bei verdeckten Operationen genauso auszeichneten wie er, aber die meisten wären wohl versucht, anschließend Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Wie um alles in der Welt speit der Typ mit den Schuppen Feuer? Nicht der Zerstörer. Am Montagmorgen nach dem Einsatz kehrte er jedes Mal zu seinem Alltag zurück. Der bestand darin, normale Kommunisten zu bekämpfen. An Sondereinsatzkommando Einhorn verschwendete er da schon keinen weiteren Gedanken mehr. Bis SEKE das nächste Mal gewöhnliche, menschliche Soldaten als Babysitter für eines seiner »spezielleren« Mitglieder brauchte.

Sie hatten keinen Ausweis, ihre Kleidung wies keinerlei Abzeichen auf, und die Bewaffnung bestand aus Maschinenpistolen ohne Seriennummer. Wodurch sie praktisch unidentifizierbar wurden. Wurde man gefangen, konnte verleugnet werden, dass diese Leute überhaupt existierten, und sie würden den Rest ihres elenden Lebens vom KGB verhört werden. Es gäbe keinen internationalen Zwischenfall, nur ein flaches Grab … Wenn sie Glück hatten.

Diesmal ging es um eine vergleichsweise unkomplizierte Mission. Ein Mitglied des Einsatzkommandos hatte ein gesichertes militärisches Testgelände auf einer Insel ausspioniert. Das Team würde mit einem Boot ans Ufer übersetzen, landeinwärts marschieren und den Agenten holen. Ihnen wurde weder mitgeteilt, warum er dort war, noch, warum er als wichtig genug betrachtet wurde, um das Risiko der Entsendung eines Kampf-U-Boots in die Barentssee einzugehen. Offen gestanden wollte es der Zerstörer auch gar nicht wissen. Es war nie ratsam, zu viele Fragen über SEKE-Angelegenheiten zu stellen. Er hatte bei Sondereinsatzkommando Einhorn schon einige merkwürdige Dinge gesehen und dachte ungern weiter darüber nach.

Das Team war an Bord des U-Boots instruiert worden und hatte Koordinaten für die Abholung sowie eine Losung erhalten, um sicherzustellen, dass es sich um den richtigen Mann handelte. Der Zerstörer hatte dabei gegen seine persönliche Regel verstoßen, nicht zu viele Fragen zu stellen, denn er musste sich vergewissern, dass dieser bestimmte Agent nicht zu speziell war. Nicht, dass es ihn gestört hätte – aber sollte es sich wieder um ein über zwei Zentner schweres Ungetüm mit einem Stierschädel handeln, wäre das Gummiboot damit überfordert. Außerdem konnten die Hörner leicht Löcher in den Rumpf bohren.

Allerdings hatte man ihnen mitgeteilt, dass dieser Agent vorläufig mehr wie ein normaler Mensch erscheinen und handeln würde. Was immer das heißen sollte.

Wie sich herausstellte, spielte ohnehin keines dieser Details eine Rolle, denn sie marschierten geradewegs in einen Hinterhalt.

*

Nach mehreren Minuten eines einseitigen Kampfes, der hoffnungslos in der Unterzahl geführt wurde, schlug ein Projektil aus einem Gewehr in die Schädelbasis von Auhangamea Pitt ein. Das 7,62 × 54R-Geschoss wurde von einem Dragunow-Scharfschützengewehr aus ungefähr zweihundert Meter Entfernung abgefeuert, bewahrte sich jedoch genug zerstörerische Energie, um mühelos Knochen zu zerschmettern und Blut und Gehirnmasse drei Meter weit spritzen zu lassen. Seine Wirbelsäule wurde durchtrennt, und die Medulla oblongata – der Teil des Gehirns, der unbewusste Funktionen wie Atmung und Herzschlag steuerte – wurde vollständig pulverisiert.

Auhangamea war zu dem Zeitpunkt gerannt. Ein bewegliches Ziel bei schlechtem Licht. Entweder war es ein Glückstreffer gewesen, oder der russische Scharfschütze war verflucht gut. So oder so, für das Ergebnis spielte es keine Rolle – die Schädelbasis galt als das beste Ziel des menschlichen Körpers. Sie mit einer Kugel zu treffen, kam dem Umlegen eines Lichtschalters gleich. Auhangamea hatte einen solchen Schuss im Verlauf der Jahre mehrere Male selbst gelandet und wusste, dass er den sofortigen Tod verhieß. Licht aus.

Nur blieben bei ihm die Lichter irgendwie an, als er über den Rand eines eisigen Felsvorsprungs stürzte. Der knapp zwanzig Meter tiefe Fall reicht im Übrigen auch völlig aus, um die meisten Knochen in seinem Leib zu brechen. Auf dem Weg nach unten war ihm völlig klar, dass er doppelt im Arsch war, wenngleich man in Wirklichkeit nicht extra-tot sein konnte. Wie ein Müllsack voll matschigem Eintopf klatschte er unten auf Fels.

Als sich Auhangamea Pitt mit gebrochenem, gelähmtem Leib in einer Blutlache wiederfand und dennoch die Welt um sich herum bewusst wahrnahm, schoss ihm daher als Erstes durch den Kopf: Also, das ist doch Schwachsinn.

Eine Zeit lang lag er da und lauschte hilflos, wie der Rest seines Teams aufgerieben wurde. Als die Schüsse nach und nach verstummten, marschierten die Russen zum Rand des Abgrunds und leuchteten mit einer Lampe zu Auhangamea herab, doch da er offensichtlich tot war, sparten sie sich die Mühe, nach unten zu klettern. Kaum waren die Taschenlampen nicht mehr auf seine Augen gerichtet, konnte er die Nordlichter beobachten. Er fand die Aurora borealis so wunderschön, dass er es nicht als den schlimmsten Ort zum Sterben betrachtete. Auhangamea hatte schon reichlich brenzlige Situationen in stinkenden Dschungeln und schäbigen Seitengassen in Ländern der Dritten Welt hinter sich, wo es schlimmer gewesen wäre. Also sah er sich weiter die hübschen Lichter an und wartete eher verblüfft als verängstigt auf den Tod.

Er war ein Krieger, und Krieger starben nun mal im Krieg. Es gab keinen Grund, sich deswegen wie ein großes Baby anzustellen. Oder hatte die Kugel vielleicht den Teil seines Gehirns zerschossen, der Angst verarbeitete? Als Nächstes würde entweder irgendetwas folgen – oder nichts. Er wusste nur, dass es inzwischen längst hätte passieren müssen.

Das Wesen, das über ihm erschien, bestand aus Licht. Zuerst dachte er, seinem Gehirn wäre letztlich der Sauerstoff ausgegangen und er hätte dieses Erlebnis mit dem Licht am Ende des Tunnels, von dem Menschen mit Nahtoderfahrungen immer redeten. Persönlich hatte er stets gefunden, dass sich das nach Quatsch anhörte. Aber in diesem Fall handelte es sich auch nicht um einen Tunnel, vielmehr kam das Licht auf ihn zumarschiert. Es war ein aus Licht bestehender Mann, also hielt ihn der Zerstörer logischerweise für einen Engel … obwohl er angesichts seines Lebenswandels eher mit einem Teufel gerechnet hätte. Andererseits hatten die meisten, die er ins Jenseits befördert hatte, ihr Los mehr als verdient gehabt.

Du bist zwischen der Welt der Lebenden und der Welt der Toten gefangen, ließ ihn die Lichterscheinung wissen. Das Schicksal hat dich hierher zu uns geführt, weil deine Blutlinie der Schlüssel ist. Wir zögern deinen Tod hinaus, bis der Zyklus abgeschlossen ist. Als Gegenleistung wirst du den Gottbezwinger auf die endgültige Konfrontation zwischen Gut und Böse vorbereiten.

Für den Zerstörer hörte sich das mächtig nach Hippie-Nonsens an, allerdings befand er sich in keiner besonders guten Lage, um pingelig zu sein. Mittlerweile hatten sich weitere der Wesen um ihn herum eingefunden. Eine gleißende Engelsstrandparty, wenn auch im frostigen Russland.

Dann berührte ein Licht seinen Kopf und erfüllte die Schussverletzung mit Träumen.

Auhangamea sah so vieles dermaßen schnell. Es handelte sich weniger um einen flüchtigen Blick in die Zukunft als vielmehr um Missionsanweisungen und eine Veranschaulichung der verheerenden Konsequenzen eines Versagens. Auhangamea würde einen Sohn bekommen. Jener Sohn würde die Welt entweder retten oder er würde bei dem Versuch sterben. Die Welt würde dann untergehen. Es hieß alles oder nichts. Ihm wurden die Zeichen gezeigt, die das Ende ankündigten, und ihm wurde sogar ein flüchtiger Blick auf das Ende selbst gewährt.

Jener kleine Einblick in die Zukunft stellte unter Beweis, dass der für Angst zuständige Teil seines Gehirns doch noch einwandfrei funktionierte. Was er sah, jagte ihm nämlich eine Scheiß-Angst ein.

Krieg steht bevor. Der Dämon unter dem Berg wird sich erheben. Bis dahin darf der Auserwählte die Wahrheit nicht erfahren. Sobald du die Wahrheit offenbarst, halten wir dir den Tod nicht länger vom Leib, und der Tod ist ein eifersüchtiger Gevatter. Der Auserwählte muss die Wahrheit selbst herausfinden. Du wirst ihn darauf vorbereiten, damit er die Feuerprobe vielleicht überlebt. Aber du darfst niemals seine Schlachten für ihn schlagen. Kannst du das?

Was erwarteten sie von einem Menschen mit gebrochenem Rückgrat und kollabierten Lungenflügeln? Ein Nicken? Sicher. Er hoffte, das Licht würde die Botschaft verstehen. Ich krieg das hin.

Das können wir nur hoffen. Es ist eine schreckliche Bürde, deinen Sohn in den Tod zu schicken, damit andere vielleicht weiterleben können.

*

»Als ich aufgewacht bin, war ich blutüberströmt, aber davon abgesehen ging’s mir gut. Ich hab’s zurück zum Boot geschafft, angefordert, dass man mich abholt, und bin nach Hause. Vor jener Mission hatte ich immer behauptet, es wäre noch kein gottloser Kommunisten-Heide geboren worden, der Auhangamea Pitt töten kann. Wie sich herausgestellt hat, war er doch schon geboren. Hat trotzdem ein paar Jahrzehnte gedauert, bis es der Arsch endgültig geschafft hat. Und das war’s, Jungs.« Pa seufzte, als er sich auf dem Stuhl zurücklehnte. »So sind wir hier gelandet. Jetzt wisst ihr es.«

Mein Vater, mein Bruder Mosh und ich saßen um Pas Küchentisch. Über eine Stunde lang hatten wir ihm zugehört. Ich hatte die Geschichte besser aufgenommen als mein Bruder, der ziemlich ungläubig und verdattert dreinschaute. Aber der Fairness halber muss man sagen, dass ich auch schon wesentlich mehr übernatürlichen Kram miterlebt hatte als Mosh.

»Das war’s?«, fragte er. »Heilige Scheiße, Pa! Du hast uns grade eine Geschichte über deine Wiederauferstehung von den Toten, kriegerische Engel gegen Bergdämonen und Prophezeiungen über die Apokalypse erzählt. Und das war’s?«

Pa zuckte mit den Schultern. »Sie hätten mich wohl kaum ausgewählt, wenn ich einen Hang zu Unbeständigkeit hätte.«

Mosh saß mit offenem Mund da und bemühte sich krampfhaft zu verarbeiten, was er gerade gehört hatte. »Okay … Echt jetzt, das ist so was von metal.« Dann stellte Mosh die Frage, zu der mir selbst der Mut fehlte. »Damit ist die Geschichte also erzählt. Glaubst du wirklich, du musst jetzt den Löffel abgeben?«

»Vielleicht … Keine Ahnung.«

»Hast du keine Angst?«, fragte Mosh.

Der zähe alte Mistkerl lachte doch tatsächlich. »Bin eher erleichtert. Ich hab dieses Geheimnis so verdammt lang mit mir herumgeschleppt. Diese Dinge haben euer ganzes Leben lang immer wieder meine Träume heimgesucht. Flüchtige Einblicke in eine sterbende Welt, wenn ich es verkacke. Ich schätze, die dachten, ich bräuchte hin und wieder eine Erinnerung, damit ich an meiner Aufgabe dranbleibe. Ehrlich, der Tod jagt mir keine Angst ein. Ich bin seit Jahren im Ruhestand. Ist im Wesentlichen dasselbe. Wagt es übrigens bloß nicht, eurer Mutter zu erzählen, dass ich das gesagt hab.« Pa drehte den Kopf und sah mir direkt in die Augen. »Die bessere Frage wäre: Was ist mit dir?«

»Ob ich Angst habe?«, fragte ich.

»Klar.« Er ging davon aus, dass ich der Sohn sein würde, auf dessen Schultern all das fiel. Wenn diese angeblichen Engel die Wahrheit sagten, würde ich derjenige sein, der sein Leben opfern musste, um die Welt zu retten. »Also hast du Angst?«

»Ich wäre ein Trottel, wenn ich keine hätte.«

»Gute Antwort. Es liegt jetzt bei dir. Ich hab getan, was ich konnte. War es perfekt? Scheiße, nein. Aber ich sehe, was aus euch geworden ist, und ich kann nur hoffen, dass es reichen wird. Ich wusste nicht genau, was uns bevorsteht, und ich wollte nicht bloß Killer großziehen. Das wäre einfach gewesen. Ich habe versucht, anständige Menschen aus euch zu machen. Owen, nach allem, was ich gehört habe, hast du schon einiges an Scheiße erlebt. Du wirst bereit sein, dich dem zu stellen, was kommt, was es auch sein mag. Denk immer dran, du hast die Ausbildung, du hast die Fähigkeiten und eine verflucht gute Mannschaft an deiner Seite. Du bist stur genug, um nie zurückzustecken, aber versuch, auch so bescheiden zu sein, dass du aus deinen Fehlern lernst.« Dann wandte er sich Mosh zu, und seine Miene verfinsterte sich. »David … Tja, du hast noch viel zu lernen.«

Hätte er das zum alten Mosh gesagt, wäre daraus zuerst ein Protest, dann ein Streit mit dem Mann geworden, der nie etwas für gut genug hielt. Vielleicht wäre mein kleiner Bruder davongestürmt, hätte für Jahre den Kontakt abgebrochen und wäre ein Rock-Superstar geworden, nur um unseren Pa zu ärgern … Allerdings hatte mein Bruder erst vor wenigen Tagen mit angesehen, wie ein Kasino in eine andere Dimension gesaugt wurde, daher gestand er Pa seinen Punkt zu. »Hast ja recht.«

»Und was passiert jetzt als Nächstes?«

»Die haben mir nicht gerade einen Zeitplan gegeben. Aber es gibt Zeichen, und ein paar davon sind schon aufgetreten.« Er begann, an den Fingern abzuzählen. »Die Zeit wurde unterbrochen. Dieses Dämonensymbol ist aufgetaucht. Weitere schlimme Dinge stehen unmittelbar bevor. Du wirst sie in Ordnung bringen. Es ist an der Zeit, dass du den Kampf zu ihm trägst.«

»Irgendetwas Bestimmtes, worauf ich achten sollte?«

»Ich habe so ein allgemeines Gefühl von Beklommenheit und den Verdacht, dass eine ganze Menge übler Scheiß auf uns zurollt. Aber seit der Dämon angefangen hat, sein Zeichen auf den Dingen zu hinterlassen, ist alles verschwommen. Mit Schicksal kommt man nicht ewig weit. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass noch in der Schwebe ist, was immer als Nächstes passieren wird. Doch dieser Mistkerl ist dermaßen bösartig, dass man überhaupt nichts ausschließen kann. Er wird in aller Öffentlichkeit untertauchen. Dich unverhofft überrumpeln wollen. Es gibt nichts, was er nicht gegen dich einsetzen würde. Den Rest wirst du dir aus dem Stegreif zusammenreimen müssen … Will sonst noch jemand ein Bier?« Pa stand auf und ging zum Kühlschrank.

»Nein, danke, Pa.« Mosh hatte stetig daran gearbeitet, sich ins Grab zu saufen, seit ihm die Leute von der Kirche der vorübergehenden Sterblichkeit die Finger abgeschnitten hatten. Seit wir aus Las Vegas entkommen waren, befand er sich jedoch vermutlich auf kaltem Entzug, also würde er sein Leben hoffentlich wieder auf die Reihe bekommen. Der Fairness halber musste ich mir vor Augen halten, dass ich im Weltuntergangsgeschäft einen Vorsprung hatte – mein armer Bruder war noch dabei aufzuholen.

Pa öffnete die Kühlschranktür und starrte einen Moment lang auf den Inhalt … Dann brach er zusammen.

Kapitel 1

Eine Woche später

Ich trug gerade einen Eimer mit abgetrennten Gliedmaßen und menschlichen Organen zur Verbrennungsanlage. Man kann über Agent Franks sagen, was man will, aber sobald er MHI besucht, ist es niemals langweilig.

Es war eine ereignisreiche Nacht gewesen. In der Leichenhütte herrschte Chaos. Als ich den Inhalt des Eimers ins Feuer kippte, war Gretchen, die Ork-Heilerin, noch damit beschäftigt, blutige Handtücher und chirurgische Instrumente einzusammeln, während Milo den Boden mit einem Schlauch abspritzte. Rotes Blut vermischte sich mit dem leuchtenden Blau des legendären Lebenselixiers, und alles zusammen strudelte den Abfluss hinunter.

»Wir müssen echt mal einen anderen Hausmeister einstellen«, murrte Milo.

In der Leichenhütte hatten wir Franks wieder zusammengeflickt. Aber das richtige Chaos war dort entstanden, wo Earl Harbinger und der riesige Agent beschlossen hatten, eine Neuauflage des Kampfs Frankenstein gegen den Wolfsmenschen zu inszenieren. Nämlich in meinem Haus. Es war eine epische Schlacht gewesen, die ich abrupt beendet hatte, indem ich mit einem Truck durch die Mauer gebrettert war, um die beiden über den Haufen zu fahren. Meine Frau – die bezaubernde Julie Shackleford – war zurück nach Hause, um die umfangreichen Schäden an ihrem geliebten Familienstammsitz zu begutachten. Gut, dass sie unterwegs war, während Gretchen und Milo versuchten, Franks zu retten. Denn nach all der Arbeit, die sie mit bloßen Händen in die Restaurierung der alten Villa gesteckt hat, hätte sie Franks sonst vielleicht in die große, selbstgefällige Visage geschossen, sobald er aufgewacht war. Und auch auf Earl war sie momentan nicht gut zu sprechen.

Trip Jones hatte mit einem bei Franks gefundenen Rezept einen Bottich des Lebenselixiers zusammengebraut, und Gretchen hatte es benutzt, um den Agent ins Leben zurückzuholen. Kaum hatten wir Franks mit Ersatzteilen wieder zusammengebastelt, war ein geheimnisvoller Fremder aufgekreuzt, aber Earl meinte, er gehöre einem geheimen Orden katholischer Kriegermönche an, die in Ordnung seien. Dann hatte sich unser ungebetener Gast ein Relikt zum Aufspüren von Dämonen geborgt, das bei uns bloß rumgelegen hatte, und war aufgebrochen, um zu tun, was mystische Krieger der heiligen katholischen Kirche eben so tun.

Wie ich schon sagte … langweilig wird es mit Franks nie.

Nicht, dass es mit gewöhnlichen Monsterjägern irgendwie eintönig wäre. Ich lief nach meinem Kampf gegen einen Albtraumdrachen in Las Vegas immer noch auf Krücken. Insgesamt war es ein höllischer Monat gewesen.

»Du hast gesagt, Franks wollte Infos gegen unser altes, kaputtes Dämonenpeildingens eintauschen.« Milo schaute auf, während er den OP-Tisch aus Edelstahl abspritzte. »Er hat alle meine besten Kadaver aufgebraucht, also hoffe ich schwer, es ist was Gutes.«

Da wir mittlerweile damit fertig waren, Franks zu retten, und er schon munter seines Weges marschiert war, konnten wir uns nun den wichtigen Dingen zuwenden. Ich hatte den Zettel aus der Hosentasche gekramt, nachdem ich die Klappe des Verbrennungsofens zugeschlagen hatte. Auf dem Papier stand in Franks’ komischer kleiner Handschrift eine Adresse.

»Er hat gesagt, das sei die Anschrift einer multidimensionalen Forschungseinrichtung, die mit dem Amt für Monsterkontrolle zusammenarbeitet.«

»Heißt ›Multi-‹, dass dort andere Dimensionen erforscht werden oder dass die Einrichtung gleichzeitig in anderen Daseinsebenen existiert?«

Eine berechtigte Frage. In dieser Branche konnte es wirklich beides bedeuten. »Na ja, die Adresse ist in Albuquerque, also vermute ich mal, es bezieht sich auf die Forschung. Du weißt ja, wie empfindlich das Amt für Monsterkontrolle bei Portalen sein kann.«

»Da kann ich den Bundesärschen ausnahmsweise mal keinen Vorwurf draus machen, dass sie nervös sind.« Milo verkörperte unseren hauseigenen verrückten Wissenschaftler, aber sogar er machte sich nicht gern an schwarzer Magie zu schaffen. »Und was sollen wir jetzt tun? Eine Spritztour unternehmen?«

»Angeblich kann man uns dort sagen, was aus den Jägern geworden ist, die wir im Last Dragon zurücklassen mussten.«

»Oha …« Bei MHI galten zwei Monsterjäger als verschollen. Über die anderen Unternehmen unserer Branche verteilt gab es noch Dutzende weitere, die nie gefunden worden waren. »Guter Deal.«

»Werden wir sehen. Franks ist ein Arsch, aber ein ehrlicher Arsch. Wenn er sagt, es gibt eine Möglichkeit, dann gibt es auch eine. Ich geh mich mal schlaumachen, was an der Adresse ist.« Damit humpelte ich auf die Tür zu. Ich hatte einen gegipsten Unterarm und einen Fuß in einer großen Plastikschiene, aber ich hatte meine Krücke in der Ecke lehnen gelassen. Gretchen gab unter ihrer Maske einen grummelnden Laut von sich. Sie hatte mir die gesamte vergangene Woche grausam schmeckende orkische Heiltränke eingeflößt, damit meine Knochen schneller zusammenwuchsen, aber mich auch gewarnt, es sachte anzugehen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daraus würde nichts werden. »Ja, ich weiß, Doc. Ich arbeite dran.«

Gretchen schnalzte nur missbilligend mit der Zunge, bevor sie weiter Eingeweide aufklaubte.

*

Vor nicht allzu langer Zeit musste ich eine beinharte Entscheidung treffen: einige gute Männer dem sicheren Tod überlassen, indem ich mir den Staub abklopfte und versuchte, ein Monster dazu zu bringen, Jagd auf uns zu machen – oder bleiben, die Männer evakuieren und riskieren, dass alle getötet werden. Die Entscheidung war mir nicht leichtgefallen, doch es war die richtige gewesen. Ich hatte einige wenige geopfert und viele gerettet. Zum Glück hatte sich das Wagnis ausgezahlt, und Hunderte hatten es lebend zurück nach Hause geschafft.

Trotzdem suchte es mich immer noch heim.

Alle hielten VanZant und Lococo für tot. Die zur ersten jährlichen Internationalen Konferenz professioneller Monsterjäger angereisten Leute waren einige der zähesten, härtesten und erfahrensten Monster killenden Teufelskerle gewesen, die sich je an einem Ort versammelt hatten. Und dennoch: Als das Last Dragon Kasino ins Albtraumreich gesogen worden war, hatte es viele von uns erwischt, und der Rest war nur mit Ach und Krach mit dem Leben davongekommen. Dabei hatten wir dort nur für wenige Stunden festgesessen. Wie um alles in der Welt sollte also eine Handvoll Monsterjäger fast zwei Wochen lang in einem Land mit einem wabernden Albtraumnebel durchhalten, in dem die schlimmsten nur erdenklichen Albträume zum Leben erwachen?

Und selbst, wenn sie durch irgendein Wunder noch lebten, befanden sie sich außerhalb unserer Reichweite. Portale zu erschaffen, die auf die andere Seite führen, gehört zu den Dingen, die Totenbeschwörer und durchgeknallte Möchtegernhexer tun. Es endet nie gut. Selbst wenn sie also irgendwie überlebt hatten, wir konnten ihnen nicht helfen. Und das war beinahe noch schlimmer.

Aber Logik spielte keine Rolle. Es ging um meine Leute, deshalb musste ich mir Gewissheit verschaffen.

Ursprünglich wollte ich die Adresse selbst recherchieren, aber ohne eine gesunde Portion Paranoia hält man als Monsterjäger nicht besonders lange durch. Ich hatte die Adresse vom meistgesuchten Flüchtigen der Welt erhalten. Und er wurde von Stricken gejagt, einer Art Superspion mit einem Stall voll mordender Monster. Stricken hatte unser Unternehmen schon mehrmals mit dem vollen Rückhalt und aller Macht der US-Regierung hinter sich beschissen. Auf keinen Fall wollte ich Strickens bösartige Aufmerksamkeit erneut auf mich lenken. Ich glaube, in Las Vegas hat er mein Leben nur zum Spaß verschont.

Meine Computerkenntnisse erstreckten sich auf Excel-Tabellen, und damit hatte es sich so ziemlich. Aber versteckt im Keller des Hauptgebäudes der MHI-Zentrale befand sich unsere IT-Abteilung. Da sie aus einem einzigen Internettroll bestand, sollte sie wahrscheinlich nicht als Abteilung bezeichnet werden. Doch wenn Melvin nicht gerade davon abgelenkt war, als total arschiger Querulant willkürliche Fremde auf Facebook heimzusuchen, leistete er erstaunlich gute Arbeit.

Der Bereich galt als tabu für Frischlinge und alle anderen, die unter Umständen ausflippten, wenn sie wüssten, dass wir ein zweieinhalb Meter großes Monster beschäftigten, das unser Netzwerk am Laufen hielt. Ich benutzte die Krücke, um an die Tür zu hämmern. Inzwischen war es fast vier Uhr morgens, aber soweit ich es beurteilen konnte, schlief Melvin nicht. Schlaf würde seine Zeit für Call of Duty beschneiden.

»He, Troll! Du musst was für mich tun.«

»Geh weg!«, rief Melvin durch die Tür. Ich konnte Explosionen und Schüsse hören. »Melvin hat epischen Lauf. Metzelt Feinde! Episch!«

Nachdem Trip eine Vereinbarung mit diesem Klotz getroffen hatte, stellten wir ziemlich schnell fest, dass man mit einem Troll nicht wie mit einem gewöhnlichen Mitarbeiter umgehen kann. Vernunft schlägt bei Internettrollen nicht an. Man muss unmissverständlich klarstellen, wer das Sagen hat. Wieder hämmerte ich gegen die Tür. »Jetzt pass mal auf, du auf der SUMF-Liste stehender Haufen Gartenschläuche: Schwing sofort den faulen Hintern!«

»Du kannst mich mal, Buchhaltungsabteilung. Rede mit Melvins Vorgesetztem.«

»Na schön. Ich geh Holly holen.«

Eigentlich versuchten wir ja, Trip als Melvins Vorgesetzten zu betrachten, denn immerhin hatte er Melvin ein Jobangebot aufgezwungen. Aber Trip konnte gelegentlich zu verflucht nett sein. Holly hingegen jagte dem guten Melvin eine Heidenangst ein. Plötzlich verstummte das Videospiel, und zwei Sekunden später öffnete sich die Tür knarrend. Das potthässliche grüne Monster ragte über mir auf. Seine krummen, abgebrochenen Zähne waren von so viel altem Zucker beschichtet, dass Moos darauf zu wachsen begonnen hatte. Befeuert von Dutzenden Red Bulls, blinzelten seine Lider rasant, und die Augen zuckten unruhig hin und her.

»Wie kann Melvin dir heute dienen, Mr. Monsterjäger?« Er schlurfte beiseite, damit ich eintreten konnte.

»Recherchen.«

Als wir Melvin ursprünglich engagiert hatten, da hatte unser Netzwerk aus einem Rechner unter Dorcas’ Schreibtisch bestanden, und diese Kammer hier war ein Lagerraum gewesen. Mittlerweile strotzte der Ort vor Serverracks und blinkenden Lämpchen. Eine alte Tür auf Waschbetonblöcken bildete einen Schreibtisch, auf dem sich sechs Monitore um Platz drängelten. Wir hatten für Melvin eine Menge Kohle in Hardware investiert, aber wenn er nicht gerade nutzlos war, konnte er tatsächlich irgendwie praktisch sein. Finanziell lohnte es sich allemal, da wir Melvin nur mit Snacks als Nahrung und mit Internetbandbreite bezahlten.

»Hier drin müffelt’s nach Troll.«

»Spitzenduft«, meinte er schnaufend. »Sollte ich in Flaschen abfüllen und als Axe-Körperspray verkaufen. Würde ich Millionen scheffeln.«

»Konzentration, Melvin. Ich habe eine Adresse und will alles darüber erfahren. Was dort ist, wem der Ort gehört, wer dort arbeitet, was dort getrieben wird und jeden möglichen Weg hinein.«

»Ist dein Google kaputt, Schwachmat? Das beleidigt Melvins überragende Fähigkeiten.«

»Der schwierige Teil ist, dass du es hinbekommen musst, ohne irgendwelche Warnsignale auszulösen. Niemand darf erfahren, dass wir uns dafür interessieren.«

»Wer hast du Angst, dass spioniert? NSA? CIA?«

»Sondereinsatzkommando Einhorn.«

»Oh …« Der Troll stieß einen langen pfeifenden Laut aus. Ich glaube, er wies auf Angst hin. Gut. »Melvin mag Einhorn nicht.«

»Niemand mag die, und das mit gutem Grund.« Stricken hatte Earls Freundin entführt, uns alle in Las Vegas als Handlanger benutzt und – wenn stimmte, was Franks uns in dieser Nacht erzählt hatte – sogar Agent Myers töten lassen. Ich bin mir immer noch nicht sicher, was ich von Letzterem halte. »Also lass dich besser nicht erwischen.«

*

Wenige Stunden später marschierte ich mit frischen Informationen gewappnet nach oben. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber eine Handvoll Monsterjäger lungerte bereits um Dorcas’ Schreibtisch herum. Irgendjemand hatte eine Kanne Kaffee aufgesetzt. Alle unterhielten sich über die Ereignisse der Nacht und die möglichen Auswirkungen. Sie waren zu aufgeregt, um zurück ins Bett zu gehen. Ich sah Trip und Holly. Mein Bruder war auch da.

»He, Mann. Wo bist du gewesen? Ich dachte, du wärst zurück zu euch, um Julie zu helfen. Bei euch zu Hause herrscht Chaos pur.« Mosh bot mir einen Becher Kaffee an, aber ich fegte zerstreut an ihm vorbei zur Wand mit den Gedenktafeln.

Jeder Monsterjäger, der seit der Gründung von MHI je im Einsatz getötet worden oder verschollen war, hatte einen Platz an dieser Wand. Schon bei meinem Eintritt ins Unternehmen hatten hier eine Menge Silbertafeln gehangen, und seither hatten wir entschieden zu viele hinzufügen müssen.

»Was hast du vor, Z?«, fragte Holly.

Die glänzendsten, neuesten Tafeln stammten aus Las Vegas. Wir waren so gewöhnt daran, Leute zu verlieren, dass wir fies effizient darin geworden waren, sie rasch anfertigen zu lassen. Ich entdeckte die zwei, nach denen ich suchte. John VanZant. Jason Lococo. Alle bedachten mich mit neugierigen Blicken, als ich sie von der Wand holte.

»Noch nicht.«

Und damit hinkte ich davon. Ich musste einen Flug erwischen.

*

Eine Stunde später befand ich mich am Regionalflughafen von Montgomery und saß auf einer Bank. Ich hatte einen Privatjet gechartert und wartete auf die Ankunft des Piloten. MHI besaß ein eigenes Frachtflugzeug, aber da sich die Sache durchaus auch als Schuss in den Ofen erweisen konnte, fühlte ich mich nicht wohl dabei, Firmeneigentum dafür zu nutzen. Ich wollte es auf eigene Kosten durchziehen. Was Melvin zutage gefördert hatte, ließ mich argwöhnisch vermuten, dass mir entweder Franks einen Bären aufbinden wollte oder dass es sich um eine besonders clevere und geheime Tarnung handelte. Jedenfalls kam es mir nicht wie ein Ort vor, an dem die Regierung eine absonderliche, paranormale Forschungseinrichtung verstecken würde. Unabhängig davon hatte ich mir eine immer griffbereit gepackte Reisetasche geschnappt und Julie in einer SMS mitgeteilt, dass ich eine spontane Reise unternehmen musste. Danach war ich schnurstracks zu Montgomerys kleinem Flughafen gefahren.

Um die Zeit totzuschlagen, rief ich meine E-Mails ab. Darunter befand sich eine weitere von meiner Ma über den Zustand meines Vaters. Sah nicht gut aus. Ich steckte das Handy weg. Nur üble medizinische Berichte aus zweiter Hand. Damit konnte ich mich im Augenblick nicht auseinandersetzen. Verdammt, war ich müde.

»Schlechte Neuigkeiten?«

Überrascht schaute ich auf und erblickte Julie, die vor mir stand, die Brille auf der Nasenspitze, eine grüne Reisetasche über einer Schulter. Inzwischen hatte sie sich sauber gemacht – obwohl sie eine Stelle übersehen hatte, wo noch etwas getrocknetes Blut unter einem Ohr klebte. Trotzdem sah sie so umwerfend wie immer aus. Das lange dunkle Haar hatte sie ausnahmsweise grob zusammengebunden, wodurch man die schwarze Linie an ihrem Hals erkennen konnte. Was bedeutete, dass sie echt ausgelaugt sein musste, denn normalerweise bemühte sie sich, das Mal des Hüters zu verstecken.

Ich blinzelte belämmert. »Was machst du denn hier?«

»Anscheinend eine Reise.« Meine Ehefrau bedachte mich mit einem matten Lächeln. »Ich hab deine SMS gekriegt.« Sie stellte die Tasche auf dem Boden ab, dann ließ sie sich auf den Sitz neben mir plumpsen. »Kryptisch.«

Um diese Zeit war die Wartehalle fast menschenleer. Niemand befand sich nah genug, um uns zu belauschen. »Ich dachte mir, falls Stricken vermutet, der Staatsfeind Nummer eins könnte Verbindung mit uns aufnehmen, wird bestimmt unsere gesamte Kommunikation überwacht.«

»Höchstwahrscheinlich. Aber nach dem Ausdruck in deinem Gesicht zu schließen, war nicht gut, was du gerade gelesen hast. War’s etwas über deinen Vater?«

»Ja. Es geht ihm keine Spur besser.« Tatsächlich verschlechterte sich sein Zustand sogar stetig, seit er mit Mosh und mir gesprochen hatte. Seine geborgte Zeit war aufgebraucht, die Aufgabe erfüllt. Zumindest dieser schreckliche, beschissene Teil seiner Prophezeiung hatte sich als wahr erwiesen. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«

Julie legte die Hand auf meine. »Es tut mir so leid.«

Ich wechselte das Thema. »Was machst du hier?«

»Wenn ich noch länger bloß rumgesessen und angeglotzt hätte, was von unserem Zuhause übrig ist, wäre ich übergeschnappt, also konnte ich genauso gut etwas Nützliches tun. Dabei hatte ich es endlich geschafft, dass die Hütte halbwegs passabel aussieht. Verfluchter Earl.«

»Wo steckt er eigentlich?«

»Ich glaube, er verfolgt Franks. Er versucht, Heather auf diese Weise zu finden.«

Das fand ich tolldreist, klang aber ganz nach Earl. »Wir sollten ihm helfen.«

»Hab ich angeboten. Earl hat mehr als deutlich zum Ausdruck gebracht, dass wir es nicht tun sollen. Er hat sich auf eine Vereinbarung eingelassen: MHI hält sich bei dieser Sache raus.«

»Wenn du meinst.« Ich hoffte, dass unser Boss wusste, was er tat.

»Da er versucht hat, die Liebe seines Lebens zu rächen, kann ich ihm verzeihen, dass er über die Stränge geschlagen und das Haus verwüstet hat. Aber für die Reparaturen wird mir Earl trotzdem aufkommen. Für sämtliche Reparaturen. Franks’ Blut ist überall. Für die Sauerei engagiere ich Handwerker. Also komme ich in der Zwischenzeit mit dir.«

»Aber du bist …«

»Ein paar Monate schwanger, keine zerbrechliche Porzellanpuppe. Ich entstamme einer langen Reihe robuster, schießfreudiger Mütter aus dem Süden, die ihre Babys rausgepresst und sich dann gleich wieder an die Arbeit gemacht haben. Also versuch nicht, mich zu beglucken. Du bist im Augenblick derjenige, der sich schonen sollte, nicht ich.«

»Okay.« Wir hatten diese Diskussion schon geführt. Letztlich war es mir gelungen, ihr wenigstens das Zugeständnis abzuringen, für die Sicherheit unseres Kindes auf die aktive Monsterjagd zu verzichten. »Das hier sollte nicht gefährlich werden.«

»Aber ganz ehrlich, ich denke, ich sollte zumindest als Scharfschützin Feuerschutz bieten können, solange ich meine Körperpanzerung noch zuschnallen kann.«

»Du hast es versprochen«, erinnerte ich sie. Und natürlich hatten wir, nur Minuten nachdem ich ihr das Versprechen endlich herausgekitzelt hatte, Frankenstein gegen den Wolfsmenschen in unserem Wohnzimmer gehabt.

»War bloß Spaß. Hab ein bisschen Nachsicht mit mir. Ich bin noch dabei, mich mit der Vorstellung anzufreunden. Mutter zu werden kommt mir immer noch so unwirklich vor. Immerhin hab ich damit nicht wirklich gerechnet. Eine eigene Familie? Bei all dem schrägen Kram in unserem Leben?«

Vorwiegend bereitete ihr der Fluch des Hüters Sorgen. Wir hatten immer noch keine Ahnung, was er bei ihr bewirken würde, geschweige denn bei unserem Baby. »Deine Eltern waren auch Monsterjäger, und aus dir ist ein Prachtstück geworden.«

»Solange wir zwei nicht so wie meine Eltern enden.«

»Das wird nicht passieren.« Zumindest bedeuteten meine Auserwählten-Sache und ihre Hüter-Sache, dass wir nicht in Vampire verwandelt werden konnten. Aber ich war mir ziemlich sicher, sie meinte das eher allgemein. Es gab reichlich andere Möglichkeiten, auf üble Weise ins Gras zu beißen, ohne zu einem Untoten zu mutieren.

Diesmal wechselte Julie das Thema. Da ich nicht über meinen alten Herrn nachgrübeln wollte und sie keine Lust hatte, sich über unser bevorstehendes Elterndasein den Kopf zu zerbrechen, würden wir uns wohl bald über das Wetter unterhalten. »Melvin hat mir erzählt, wonach du suchst. Ich hoffe nur, du versprichst dir nicht allzu viel davon.«

»Realistisch gesehen weiß ich, dass sie tot sind. Aber Lococo hatte eine Tochter. Es wäre schön, ihr sagen zu können, dass ich mit Sicherheit weiß, was aus ihrem Vater geworden ist.«

»Ich habe VanZant seit Jahren gekannt. Er war einer unserer Besten. Wir sind es beiden schuldig. Trotzdem ist es eine vage Hoffnung, dass die Leute dort wirklich etwas Nützliches wissen könnten. Wahrscheinlich endet dieser Ausflug damit, dass wir Akademikern etwas aus der Nase ziehen oder mit Regierungsfuzzis streiten müssen. Übrigens: Verhandlungen sind meine Angelegenheit. Deine Bilanz in Sachen Diplomatie lässt zu wünschen übrig.«

Julie kümmerte sich um alle Verträge von MHI und konnte so gut wie jeden um den Finger wickeln oder beschwatzen. Dafür verstand ich mich gut auf Tabellenkalkulationen. »Das war jetzt sehr diplomatisch ausgedrückt.«

»Richtig.« Sie lehnte den Kopf auf meine Schulter und schmiegte sich an mich. »Wegen dem ollen Franks hab ich die ganze Nacht kein Auge zugetan. Weck mich, wenn’s Zeit ist, zum Flugzeug zu watscheln.«

»Wie du meinst. Obwohl du noch nicht mal schwanger aussiehst. Aber ich wette, in ein paar Monaten hast du den verführerischsten Watschelgang aller Zeiten.«

»Worauf du einen lassen kannst.«

Ich war froh, dass sie hier war.

*

Julie läutete an der Tür.

Aufgrund von Franks’ Beschreibung hatte ich etwas Aufwendigeres erwartet. Zum Beispiel einen brutal aufgemachten Betonklotz, der als Bunker dienen konnte, oder etwas Hochmodernes mit jeder Menge schwarzem Glas und ausgefallener Architektur. Etwas in der Art. Multidimensionale Forschung klang ja schon irgendwie beeindruckend.

Jedenfalls hatte ich nicht mit einem Haus in einem Mittelklassevorort von Albuquerque, New Mexico, gerechnet. Und es war nicht mal ein besonders großes Haus. Laut Melvin handelte es sich um zweihundertzweiunddreißig Quadratmeter Nutzfläche aus Ziegelstein und Stuck. Das Gebäude gehörte bereits seit einigen Jahren einem Immobilienunternehmen, höchstwahrscheinlich eine Briefkastenfirma des Amts für Monsterkontrolle. Es gab null Hinweise darauf, dass sich darunter ein supergeheimes Netzwerk von Tunneln erstreckte, die etwas Interessantes wie einen Mega-Teilchenbeschleuniger, ein Portal zu den Sternen oder sonst was in der Art beherbergten. In einer Straße wie dieser parkten überwiegend Minivans. Statt Rasen hatten die Leute hier Sand, Schotter oder Kakteen. Auf der anderen Straßenseite hausierte zwei Grundstücke weiter ein kleines Mädchen mit Pfadfinderinnenkeksen.

»Ist jetzt nicht unbedingt Cheyenne Mountain«, merkte Julie an, als sie erneut die Türglocke läutete.

»Also, ich weiß nicht, sieh dir mal das Mädchen mit den Keksen an …«

»Die Kleine ist entzückend.«

»Zu entzückend. Sie glotzt zu uns rüber. Ich wette, sie ist eine getarnte Scharfschützin des Amts für Monsterkontrolle.«

»Oh ja, die Zöpfchen sind ein untrügliches Zeichen«, pflichtete mir Julie sarkastisch bei.

»Du musst zugeben, das ist ein ziemlich windschnittiger, widerstandsarmer Haarschnitt.«

»Ich hab in dem Alter mit diesem Look hammermäßig ausgesehen.« Julie gab die Klingel auf und klopfte stattdessen kräftig. Es handelte sich nicht um eine Sicherheitstür aus Metall oder so. Bloß um gewöhnliches Weichholz. Hätte ich nicht an einem Fuß eine Plastikschiene getragen, ich hätte sie mit einem Versuch eintreten können.

Wir hatten bereits ein MHI-Team in New Mexico. Julie hatte berechtigterweise darauf hingewiesen, dass nichts dagegengesprochen hätte, unsere Leute zu bitten, diesen Besuch für uns zu übernehmen und uns die Reise zu ersparen. Natürlich hatte sie aber auch nicht versucht, mir auszureden, es selbst zu machen. Ich glaube, wir brauchten beide das Gefühl, aktiv zu werden.

Die Jalousien des nächsten Fensters erzitterten, als jemand zu uns herauslugte. Schnell schnappten sie wieder zu.

»Ich hoffe, das ist nicht Agent Franks’ Vorstellung von einem Scherz, und da drin haust etwas Grauenhaftes«, murmelte Julie.

»Falls wir gleich gefressen werden, bin ich froh, dass ich ihm als letzte Trotzhandlung von Mosh unser Smiley-Logo habe tätowieren lassen.«

Das Geräusch von Schlössern, die entriegelt wurden, ertönte, dann öffnete sich die Tür knarrend einen Spalt. Drinnen herrschte Dunkelheit. Ich konnte nur einen Teil eines Gesichts sowie ein Auge erkennen. An der Innenseite der Tür war eine Kette vorgelegt, doch das war für einen Hundertvierzig-Kilo-Brocken wie mich eine lächerliche Sicherheitsmaßnahme. Die Tür war wohl dünner, als ich gedacht hatte, denn der Unbekannte dahinter hatte meine Worte gehört. »Ihr kennt Agent Franks?«

»Wir sind flüchtig miteinander bekannt«, antwortete Julie ausweichend. Offensichtlich wollte sie nicht zugeben, erst unlängst das Geschöpf gesehen zu haben, auf dessen Kopf man eine SUMF-Prämie, eine Belohnung aus den Schatullen des »Ständige Unirdische-Mächte-Fonds«, von einer Viertelmilliarde Dollar ausgesetzt hatte. »Ist das …«

»Er ist doch nicht etwa hier, oder?« Der Bursche drinnen klang jung, atmete allerdings schwer, als wäre er untersetzt und bräuchte einen Inhalator. Er drehte den Kopf und versuchte, durch den Spalt an mir vorbeizuspähen. »Agent Franks macht mir Angst. Ich will keinen Ärger.«

»Du hast wohl in letzter Zeit keine Nachrichten gesehen, was? Franks ist indisponiert. Hör mal, man hat uns gesagt, du könntest uns vielleicht bei etwas weiterhelfen.«

Er hörte auf, vergeblich nach Franks Ausschau zu halten, und warf stattdessen einen ausgiebigen Blick auf meine Frau. »Moment mal … Bist du Julie Shackleford?«

»So ist es.«

»Die Julie Shackleford?«

Im Gegensatz zu all den anderen Julie Shacklefords?

»Ganz recht.«

»Ich glaub, mich laust der Affe!« Rasch schloss er die Tür. Ein Rasseln folgte, als er die Kette löste, dann riss er die Tür weit auf. »Ich bin ein riesiger Fan!«

Um ein Haar wäre ich von der Veranda gekippt. Er hatte nur ein Auge. Nicht im Sinne von nur ein Auge, weil das andere fehlte, nein, er trug ein großes Auge mitten im klobigen, unförmigen Gesicht.

»Du bist ein Zyklop«, hielt Julie seelenruhig fest.

Aber obwohl er ein furchterregendes Monster aus Mythen und Legenden verkörperte, stand er nur da und grinste dämlich. Der Zyklop erwies sich als massiger, stämmiger Bursche, allerdings nur ungefähr so groß wie ich. Aus typischen Illustrationen kannte man seinesgleichen mit einem Pelz als Lendenschurz und einem Baumstamm als Knüppel. Dieses Exemplar trug einen flauschigen, blauen Bademantel, eine Jogginghose und hellgrüne Crocs.

»Und ein großer Fan! Oh Mann, ich kann’s nicht fassen!« Vor lauter Freude klatschte er doch tatsächlich in die Hände. »Yay!«

Auf der anderen Straßenseite hatte inzwischen die Kleine mit den Keksen unsere Höhe erreicht. Offenbar war sie aufgrund meines Äußeren zu dem völlig richtigen Schluss gelangt, dass ich mein Körpergewicht an Keksen kaufen würde, wenn sich mir die Gelegenheit bot. Als sie jedoch den Zyklopen erblickte, kreischte sie, ließ ihre Ware fallen und rannte um ihr Leben.

»Ups! Ich soll mich nicht ohne meine Tarnung von den Nachbarn sehen lassen. Sonst könnte ich meinen Ausnahmestatus verlieren.« Der Zyklop besaß große, vorstehende Zähne. »Ach, was soll’s. Kommt rein. Kommt rein!«

Julie und ich wechselten einen Blick. Eigentlich galten Zyklopen als seltene, knallharte Riesen, die Helden in dunkle Höhlen verschleppten, um sie dort zu verschlingen. Dieser Bursche hingegen kam so trottelig und harmlos rüber, dass ich nicht mal in Versuchung geriet, nach meiner Knarre zu greifen. Ich hatte keine Ahnung, wann zuletzt ein Zyklop für Ärger gesorgt hatte, ebenso wenig wusste ich, wann zuletzt ein Monsterjäger eine SUMF-Prämie für einen Zyklopen kassiert hatte. Vor Jahrzehnten? Die Akademikertypen hatten sie für ausgestorben gehalten.

Julie zuckte mit den Schultern. Pfeif drauf. Warum nicht? Sie betrat das Haus. Seufzend folgte ich ihr.

Abgesehen von einer beträchtlichen Anzahl Comic-Poster an den Wänden wirkte das Innere seiner Bleibe vollkommen normal. Der Zyklop hatte einen zotteligen Bart, der jedoch nur aus seinem Hals zu sprießen schien. Nach der Tüte auf der Couch und den orangenen Krümeln überall an ihm zu urteilen, hatte er wohl gerade Cheetos gegessen. Der Fernseher zeigte ein Standbild irgendeines Anime-Streifens.

Kaum befanden wir uns drinnen, zog er die Tür hinter uns zu und schloss sie ab.

»Das ist ja so eine Ehre. Ich bin Poly. Willkommen in Albuquerque.«

»Freut mich, dich kennenzulernen, Pauly.«

»Nein, Poly. Ist die Abkürzung für Polyphemus. Entschuldigung. Ich bin total aus dem Häuschen. Julie Shackleford in meinem Haus!«

»Ich bin noch nie zuvor einem Zyklopen begegnet«, erwiderte Julie äußerst höflich.

»Solltest du nicht gigantisch sein?«, fragte ich weit weniger höflich. Julie schleuderte mir sofort einen Blick zu, der besagte: Vermassle das bloß nicht. Aber he, ich war mir keiner Schuld bewusst. Ich hatte mich bloß gefragt, ob wir vielleicht auf einen kleinwüchsigen Zyklopen gestoßen waren.

»Dass wir Riesen sind, ist ein gehässiges, unzutreffendes Klischee, weil die alten Griechen Rassisten waren. Und superklein. Ist alles relativ.« Er wandte sich wieder Julie zu. Ich schwöre, der Zyklop ließ total den Fanboy raushängen. Er wirkte beinah berauscht. »Ich bin noch nie zuvor jemandem von MHI begegnet, geschweige denn einer lebenden Legende. Kennst du Milo Anderson? Ach du meine Güte … Klar kennst du Milo Anderson, aber so was von!« Er betrachtete mich mit seinem riesigen, gallertigen Augapfel. »Und du bist Owen Pitt.«

»Der bin ich.«

Er zuckte mit den Schultern. »Auch nicht schlecht, denke ich.«

Autsch.

»Wenn die Frage gestattet ist, woher weißt du von uns, Poly?«

»Größtenteils vom Fernsichten und aus Berichten vom Amt für Monsterkontrolle. Aber in natura bist du noch viel hübscher.« Der Zyklop schluckte hörbar. Er begann zu erröten. »Tut mir leid. Das ist jetzt irgendwie unanständig rübergekommen.«

»Ist schon gut«, beschwichtigte ihn Julie rasch. Nein, ist es nicht, wollte ich einwerfen, aber sie kam mir zuvor, indem sie fortfuhr. »Fernsichten – machst du das fürs Amt für Monsterkontrolle?«

»Hauptsächlich. Ich freu mich immer, wenn sie wollen, dass ich mir Dinge ansehe, an denen ihr beteiligt seid. Das ist besser als Netflix. Ihr seid die Besten.«

Julie nickte. Das war irgendwie schräg. »Danke.«

»Die haben mich gefangen, aber Agent Myers hat mir provisorischen SUMF-Ausnahmestatus verschafft, weil ich Dinge sehe, die Menschen nicht sehen können. Die bezahlen mich dafür, dass ich mir Bilder angucke und ihnen Informationen liefere. Ist ein piekfeiner Deal. Auf jeden Fall besser, als in einer Höhle zu hausen und Ziegen zu mopsen. Und ich kann dabei den Helden helfen!« Er klang unheimlich stolz, als er begann, schwerfällig den Flur hinunterzustapfen. »Kommt mit. Ich zeig’s euch.«

Filmplakate füllten eine Seite des Gangs. Auf der anderen Seite drängten sich Actionfiguren, alle noch in der Verpackung. Diesen Kerl musste ich Trip vorstellen. Die beiden würden sich blendend verstehen. Wahrscheinlich würden sie eine allwöchentliche Zockernacht einführen.

»Was meinst du damit, ›den Helden helfen‹?«, fragte Julie.

»Agent Myers und seine Jungs. Die sind supernett. Na ja, außer Franks. Offensichtlich. Der ist irgendwie ’n Arsch. Ich war in diesem Gefängnis mit allen möglichen schrecklichen Monstern eingesperrt, und die anderen Kerle dort haben Experimente mit meinem Gehirn angestellt. Die waren überhaupt nicht nett. Haben sogar gedroht, mir das Auge herauszuoperieren. Ist das zu fassen? Aber nach dem großen Dimensionsriss in Alabama vor ein paar Jahren dachte Agent Myers, ich könnte vielleicht hilfreich sein. Also hat er mich bei Nacht und Nebel aus dem Gefängnis geschmuggelt. Seitdem bin ich hier.«

»Warum hat er das getan?«

»Weil wir Zyklopen eben Dinge sehen, die Menschen nicht sehen können. Deshalb gibt es auch nicht mehr viele von uns. Als die Menschen dahintergekommen sind, haben sie angefangen, uns zu entführen. Die meisten von uns sind nicht so hilfsbereit und freundlich wie ich. Also nehmen ihnen die Menschen einfach den Augapfel raus und verarbeiten ihn zu Drogen, mit denen sie versuchen, anderen Menschen unsere Kräfte zu verleihen. Funktioniert aber nie richtig. Wenn menschliche Augen versuchen, zu weit in die Ferne zu schauen, sind sie zu schwach dafür und fangen zu bluten an.«

»Igitt.« Und ich dachte immer, die angeblichen Fernsichtexperimente aus dem Kalten Krieg wären verschwörungstheoretischer Unfug. Wir blieben stehen. Auf der einen Seite befand sich eine geschlossene Tür, auf der anderen ein Badezimmer. Das Spülbecken war übersät von Tuben mit Aknecreme. »Was für Dinge kannst du denn sehen?«

»Wenn sie mir zum Beispiel sagen, dass ein Dimensionsriss aufgetreten ist, kann ich ein wenig auf die andere Seite sehen. Oder wenn etwas passiert, machen sie Satellitenaufnahmen davon, und dann lässt mich Agent Myers die Bilder betrachten und ihnen all die Dinge beschreiben, die sie nicht sehen können. Wie Geister und Gespenster oder was die Leute auf dem Bild zu dem Zeitpunkt gesagt haben.«

»Du kannst also Unterhaltungen sehen. In der Vergangenheit?«

»Manchmal. Er freut sich immer mega, wenn ich das schaffe. Agent Myers oder einer seiner Freunde schauen hin und wieder bei mir vorbei, aber ich darf mit niemandem sonst von der Regierung reden. Agent Myers sagt, ich könnte sonst eine Menge Schwierigkeiten bekommen.«

Das alles klang ganz und gar nicht danach, als würde ihn die Regierung verstecken. Eher so, als würde er vor der Regierung versteckt. Hatte Myers ihn etwa von SEKE gestohlen? Nach unserer bescheidenen Umgebung zu urteilen, beschlich mich das Gefühl, dass es sich um eine von Myers’ inoffiziellen Operationen handelte. Und der arme Zyklop wusste nicht mal, dass sein Wohltäter inzwischen tot war.

»Darfst du hier weg?«, erkundigte ich mich.

»Nö.« Poly zog ein Hosenbein seiner Jogginghose hoch, um uns eine elektronische Fußfessel zu zeigen. »Ich kann in den Garten hinterm Haus und bis zum Briefkasten. Aber nur, wenn ich meine Tarnung trage. Keine Außenwelt jenseits des Briefkastens für mich … Aber mit euch kann ich schon reden, oder? Ich meine, Donner und Doria, du bist Julie Shackleford, um Zeus’ willen!«

»Absolut«, pflichtete Julie ihm bei, und netter Mensch, der sie war, fühlte sie sich wahrscheinlich schuldig, weil sie Myers’ gefangenen Zyklopen-Nerd ausnutzte.

Poly öffnete die Tür. In der Mitte des Raums dahinter kam ein Zeichentisch zum Vorschein. Landkarten übersäten jede Wand vom Boden bis zur Decke, die meisten davon gewöhnliche, gedruckte Faltexemplare. Ein paar jedoch schienen von Hand gezeichnet zu sein. Letztere muteten in ihrer Schlichtheit beinah kindlich an. Sie wiesen cartoonartige Geländemerkmale und Ortsnamen mit groben Buchstaben auf, die mehr gemalt als geschrieben wirkten.

»Tut mir leid. Ich zeichne nicht gut.« Poly hob die Finger an und wackelte damit. Sie sahen aus wie dicke Würstchen. »Ich kann nicht alles sehen, was durch die Löcher in der Welt kommt, aber einiges. Und wenn ich etwas deutlich genug sehe, freut sich Myers richtig. Menschen denken, zwei Augen wären gut, aber eure Augen sind lausig. Tiefenwahrnehmung wird voll überschätzt. Zwei Augen, aber nur eine Welt. Zyklopen haben ein Auge, aber wir können damit zwei Welten gleichzeitig sehen. Ist auf den Kopf gestellt. Ihr könnt nur sehen, was ihr vor euch habt. Für uns Zyklopen wird es zwar verschwommen, aber wir können Dinge weit entfernt sehen, durch Mauern hindurch, auf der anderen Seite der Welt – manchmal sogar durch die Zeit, wenn wir uns genug anstrengen.« Poly drehte sich mir zu und grinste. Seine Vorderzähne waren entschieden zu groß, wie bei einem Biber. »Ich merke dir an, dass du weißt, wie es ist, durch die Zeit zu sehen, was, Owen Pitt?«

»Ja, ein bisschen.«

Julie zückte ihr Handy und begann, Fotos von den Landkarten zu schießen. Poly schien es nicht zu stören. Ich sichtete eine Karte von Las Vegas oben auf der nächsten Reihe und ging hinüber. Um das Last Dragon hatte jemand einen Kreis gezogen.

»Agent Myers hat mich gebeten, darauf besonders aufmerksam zu achten, um sicherzustellen, dass sich nichts Böses mehr durchmogelt.«

Daneben befand sich eine der handgezeichneten Karten. »Last Dragon«stand auf jenem Bogen Papier neben einem großen schwarzen X. Ich brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass die Karte keinen Ort auf der Erde zeigte. Die Geländemerkmale bildeten ein bedeutungsloses Gekritzel. Die Ortsbezeichnungen waren Kauderwelsch. »Julie, sieh dir das mal an.«

»Das ist von dem üblen Ort, von dem die Albträume kommen«, kommentierte Poly. »Es ist eine der Zwischenwelten. Ihr seid beide dort gewesen, also wisst ihr es. Dort schaue ich überhaupt nicht gern hin. Der Ort ist trist und macht mir Angst. Alles, was dort lebt, ist bösartig und hungrig. Ihr hattet Glück, dass ihr von dort entkommen seid.«

Dafür waren wir hergereist. »Nicht alle von uns sind entkommen. Wir mussten ein paar Freunde zurücklassen. Kannst du uns sagen, was aus ihnen geworden ist?«

Der Zyklop nickte eifrig, was sein Doppelkinn zum Wabern brachte. »Ein paar sitzen fest, aber einige sind gestorben. Übrig sind sieben.«

»Sieben sind noch am Leben?« Julie bedachte mich mit einem ungläubigen Blick.

»Und ob sie das sind, Julie Shackleford. Das Portal ist geschlossen, deshalb kann ich nicht sehr deutlich sehen. Aber menschliche Leben schimmern. ›Wie Glut‹, so hat es Agent Myers genannt. Menschen an einem bösen Ort sind wie Funken in der Dunkelheit. Deshalb weiß ich, dass sieben gute Menschen übrig sind.«

Ich glaubte ihm. Was sich wie ein Schlag in die Magengrube anfühlte. Es gab Überlebende. Nur konnten wir ihnen nicht helfen. Was beinah noch schlimmer war. »Kannst du sehen, wie es ihnen geht? Haben sie ein Versteck gefunden? Sind sie in Sicherheit?«

»Tut mir leid.« Der Zyklop zuckte mit den fleischigen Schultern. »Ist wie mit Fenstern. Sind sie offen, sehe ich gut. Sind die Jalousien geschlossen, kann ich zwar Licht durchscheinen sehen, aber ich kann nicht erkennen, was dahinter abgeht. Wenn sie sich das nächste Mal öffnen, werde ich es wahrscheinlich sehen können.«

Julie starrte auf die Karte des Albtraumreichs. »Was zum Teufel machen wir jetzt?«

Myers hatte diesen Zyklopen damit beauftragt, Dimensionsrisse im Auge zu behalten. Den Versuch schien es wert zu sein. »Wenn sie sich das nächste Mal öffnen … Poly, kennst du irgendwelche anderen Wege ins Albtraumreich?«

Er schüttelte verneinend den Kopf, was die Gallertmasse seines großen Auges zum Schwappen brachte. Der Anblick verursachte mir leichte Übelkeit. »Ich kann nicht die ganze Welt gleichzeitig beobachten. Das wäre dumm. Ich kann Orte nur sehen, wenn ich mich auf sie konzentriere. Agent Myers ruft mich an und sagt mir, worauf ich mich konzentrieren soll. Ich glaube, dass es andauernd winzige Löcher gibt, durch die sich die kleinen Albträumchen quetschen. Aber nichts, durch das man einen Menschen zwängen könnte. Wenn ich’s mir recht überlege, gibt es … Nein. Vergesst es.«

»Was, Poly?«, drängte ihn Julie behutsam.

»Es gibt ein Portal, das sich jedes Jahr öffnet, wenn die Sterne in der richtigen Konstellation stehen. Aber es ist zu beängstigend, sogar für Julie Shackleford und MHI. Wenn ihr dorthin geht, würdet ihr alle sterben. Und das wäre supertraurig.«

Ich setzte zu einer Erwiderung an, aber Julie schüttelte den Kopf. Richtig. Diplomatie. Ich bin zu ungeduldig und zu aggressiv, aber nicht zu stolz, es zuzugeben. Mich beschlich das Gefühl, dass wir nicht einmal so weit gekommen wären, wenn ich Polys Befragung übernommen hätte.

»Ist schon gut, Poly. Wir sind vorsichtig.«

»Ich habe nicht viele Freunde. All die anderen Zyklopen sind weg. Agent Myers ist zwar mein Freund, aber er ist so beschäftigt, dass er mich nicht oft besucht. Du könntest meine Freundin sein, Julie Shackleford. Aber wenn du dorthin gehst, stirbst du. Und wenn du tot bist, können wir nicht befreundet sein.«

Damit lag er falsch. Ich hatte einen Haufen toter Freunde.

»Wenn du uns davon erzählst, bedeutet das noch lange nicht, dass wir mit dem Wissen etwas Gefährliches anstellen. Wir wollen es nur verstehen.« Julie zeigte sich überaus geduldig. Sie würde eine tolle Mutter werden. »Das ist sehr wichtig für uns. Bitte?«

»Na schön.« Poly wurde sichtlich aufgeregt. »Kommt mit. Ich zeige euch Agent Myers’ Großes Geheimprojekt.« Er marschierte aus dem Arbeitszimmer zurück in den Gang. »Er hat gesagt, wenn ich mich gut genug dabei anstelle, nach diesem speziellen bösen Kerl Ausschau zu halten, steckt er mich in eine Cosplay-Verkleidung und nimmt mich mit zur DragonCon. Ich will bei der Parade mitmachen.«

Das nächste Zimmer erwies sich dem ersten als ähnlich, es schien nur noch vollgepfropfter, sofern das überhaupt möglich war. Eine gesamte Wand wurde von einer großen Karte der Welt beherrscht. Vielleicht lag es an den unzähligen Reißzwecken, die überall darin steckten, jedenfalls erinnerte mich die Karte an jene, die wir in einem Zimmer des Kasinohotels auf der Grundlage eigenartiger Fälle und der Gerüchte von Monsterjägern aus aller Herren Länder zusammengestellt hatten. Bei allen hatte eine unbekannte, unterirdische Bedrohung mitgespielt.

Julie erkannte dasselbe. »Das sieht aus wie Earls Mobilisierungskarte für all die unterirdischen Anomalien … Alle, von denen wir wissen, sind hier gekennzeichnet. Nur sind auf der Karte hier noch etliche Orte mehr als auf unserer.«

»Kreaturen kriechen aus der Erde hervor. Und sie werden immer umtriebiger. Jede Woche ruft mich Agent Myers an und nennt mir einen neuen Ort, den ich beobachten soll, und ich sage ihm Bescheid, wenn ich dort etwas sehe. Inzwischen sind es so viele geworden, dass ich sie kaum noch alle im Auge behalten kann. Agent Myers bemüht sich, nicht verängstigt zu wirken, wenn er auf Besuch kommt, aber ich merke ihm an, dass er sich fürchtet.«

Die Reißzwecken wiesen unterschiedliche Farben auf. Die gelben schienen den verschiedenen Senklöchern und Tunneln zu entsprechen, die sich aufgetan und ganze abgelegene Dörfer entvölkert hatten. Eine gelbe Reißzwecke steckte mitten im Meer, wo die chinesische Marine eine Stadt unter Wasser zerbombt hatte. Eine schwarze Reißzwecke kennzeichnete die DeSoya-Höhlen, eine weitere den Ort in Neuseeland, an dem wir gegen den Arbmunep gekämpft hatten. Auch grüne und weiße verteilten sich überall, und ziemlich weit oben befand sich eine große rote.

»Grün steht für magische Wesen, für Feien. Sie sind eigenartig und verschlagen. Schwarz zeigt die Alten an. Die tun mir im Auge weh. Agent Myers sagt, ich solle bloß nie auf ihre Seite schauen, weil ich sonst verrückt würde. Weiß steht für Dinge, bei denen sich Agent Myers nicht sicher ist.«

»Gelb?«

»Darüber weiß Agent Myers nicht allzu viel, nur, dass dort stets dasselbe Symbol auftaucht. Wo immer es ist, ich kann um diese Zeichen nicht besonders gut herumsehen. Sie gehören zu einer sehr bösartigen Kreatur, die aufgewacht ist, als die Zeit unterbrochen wurde.«

»Kacke.«

»Mach dir keine Vorwürfe«, sagte Julie zu mir. »Wenn du das Artefakt nicht benutzt hättest, dann hätte Lord Machado gewonnen, und wir wären so oder so alle dem Untergang geweiht gewesen.«

»Trotzdem …«

»Die verschiedenen Farben mögen sich gegenseitig nicht«, erklärte uns Poly. »Sie kämpfen zwar gegen die Guten, aber sie kämpfen auch gegeneinander.«

Ich hatte gewusst, dass unser Schicksal mit den verschiedenen, einander bekriegenden kosmischen Fraktionen verstrickt war, ich hatte es nur noch nie so übersichtlich und farblich gekennzeichnet dargestellt gesehen. »Was macht diese Orte so besonders?«

»Es sind Plätze, an denen Welten aneinanderschaben und die Grenzen verschwimmen. Manchmal kommen dort Monster durch.«

»Es gibt so viele davon?« Julie klang ein wenig bestürzt. »Ich meine, wir wissen ja, dass es passiert, aber trotzdem … Das ist Wahnsinn.«

In Natchy Bottoms steckte eine ganze Gruppe verschiedenfarbiger Reißzwecken. Das konnte ich ohne Weiteres glauben.

»Menschen nennen sie Orte der Macht«, warf Poly hilfsbereit ein. »Die schwarze Magie ist dort stärker.«

»Wir sind vage mit dem Konzept vertraut«, murmelte ich. »Was ist mit dem großen roten Ding da?«

»Das hat Agent Myers am meisten Angst eingejagt. Ich soll jeden einzelnen Tag draufschauen, um nachzusehen, ob dort irgendwas passiert. Manchmal sind obenauf Dinge. Aber ich glaube, richtig beängstigend ist eher, was darunter ist.«

»Und was ist darunter, Poly?«, fragte Julie, als sie ein Foto von der großen Karte schoss.

»Das Ende der Welt, glaube ich.« Wasser begann, aus dem großen, glibberigen Auge zu strömen. Mir wurde klar, dass Poly gerade zu weinen angefangen hatte. Er schniefte. »Eine Stadt voller Monster. Dort lebt eine sehr bösartige Kreatur, vielleicht die bösartigste überhaupt. Und sie ist gekommen, um alles zu vernichten. Agent Myers denkt, die böse Kreatur wird vorläufig dortbleiben. Aber sobald sie sich wegbewegt, soll ich ihn sofort anrufen. Das ist der große Böse, der die gelben Reißzwecken erscheinen lässt, um die Guten auf die Probe zu stellen, damit er herausfinden kann, wie man die Helden besiegt. Agent Myers hat große Angst vor ihm, und er ist der tapferste Mensch, den ich kenne.«

Julie berührte den Zyklopen sanft an der Schulter. »Es wird alles gut.« Das schien ihn etwas zu beruhigen. »Was kannst du uns über diesen großen Bösen sagen?«

»Nicht viel. Es ist schwierig, ihn anzusehen. Es ist, als wäre er an mehr als einem Ort und in mehr als einer Zeit auf einmal. Aber ich glaube, seit er aufgewacht ist, hat er sich größtenteils dort aufgehalten. Er hat aber viele fast genauso bösartige Kreaturen, die für ihn arbeiten. Und die kommen und gehen überall. Sie spionieren und stiften Unruhe.«

Entweder war der Zyklop wirklich so unschuldig wie ein Kind, oder es handelte sich um den besten Schauspieler aller Zeiten. Doch wenn Myers das Risiko eingegangen war, ihn von Einhorn zu stehlen und zu verstecken, mussten seine Fernsichtfähigkeiten echt sein.

»Dieser furchterregende Ort, an dem sich ein Portal in das Albtraumreich öffnet – er ist dort, nicht wahr?«

Zögerlich hob Poly einen Wurstfinger, um hinzuzeigen, dann jedoch hielt er inne. »Versprichst du, dass ihr nicht hingehen werdet?«

»Ich will dich nicht belügen. Dieses Versprechen kann ich dir nicht geben, Poly«, erwiderte Julie. »Aber wir tun unser Bestes und passen auf, dass uns nichts passiert. Helden müssen manchmal gefährliche Dinge tun, um anderen zu helfen. Das macht uns zu den Guten.«

»Ich wusste, du würdest so tapfer wie Agent Myers sein.« Und dann zeigte Poly, der Zyklop, wie zu erwarten auf die große rote Reißzwecke. »Das Portal ist in der Stadt der Monster.«

Der Ort lag hoch im Norden auf einer großen Insel vor der Küste von Russland. Ich las den Namen. »Verfluchte Scheiße noch mal.« Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Meine Lippen verzogen sich unterbewusst zu einer knurrenden Grimasse. Meine Reaktion musste Poly erschreckt haben, denn er wich nervös einen Schritt zurück.

»Was ist, Owen?«

»Dort haben sie meinen Pa umgebracht.«

*

Etwas Großes hatte sich ereignet, während Julie und ich unterwegs zum Flughafen waren. Ich hatte mich nicht über die neuesten Nachrichten informiert, aber so, wie sich die anderen Reisenden bei unserer Ankunft in drückender Stille um die Fernsehbildschirme scharten, musste es sich um etwas echt Übles handeln.

Ich humpelte zum hinteren Ende der Menschenmenge, nicht nah genug, um die Stimme des Nachrichtensprechers zu hören, aber ich konnte den Ticker lesen, der unten im Bild entlanglief. Indien. Genaue Zahl der Todesopfer unbekannt, doch es mussten Hunderte sein.

»Was ist passiert?«, fragte ich die nächstbeste wartende Passagierin.

»Man vermutet, dass eine Chemiefabrik in Brand geraten ist«, antwortete sie. »Das Giftgas hat eine ganze Ortschaft ausgelöscht. Das ist so tragisch.«

Das Video zeigte zu Tode verängstigte Scharen von Menschen, die um ihr Leben rannten. Im Hintergrund, wo Gebäude einstürzten, tobten unkontrollierte Brände.

»Wahrscheinlich bloß ein Unfall«, flüsterte Julie.

»Ich hoffe es.« Schon klar, es ist schrecklich, so etwas zu sagen, aber so war es nun einmal. Wenn man in dieser Branche arbeitet, verfällt man sehr leicht in die Wahnvorstellung, jede einzelne Tragödie, die man in den Nachrichten sieht, wäre bloß eine inszenierte Ablenkung, um die Existenz von Monstern zu vertuschen. In Wirklichkeit ereignen sich tagtäglich etliche stinknormale üble Dinge. Wir hätten auf dem Weg hierher von einem Lastwagen gerammt werden können. Oder unser Flugzeug könnte beim Start explodieren, und wir hätten damit einfach nur verfluchtes Pech. Ganz ohne Monster. Und manchmal geraten auch ganze Ortschaften in Brand und werden rasant zu einem Opfer der Flammen, ohne dass die Kräfte des Bösen das Streichholz in der Hand halten.