Die neue Militärmacht - Jürgen Heiducoff - E-Book

Die neue Militärmacht E-Book

Jürgen Heiducoff

0,0

Beschreibung

Im Südchinesischen Meer kreuzen die Schiffe der NATO, darunter auch eine deutsche Fregatte. Die USA liefern atomgetriebene Atom-U-Boote an Australien und riskieren dafür einen Streit mit ihren Verbündeten in Europa. Und der US-Präsident schließt den Militärpakt AUKUS mit Großbritannien und Australien, der sich erklärtermaßen gegen China richtet. Zuvor hatte Biden bereits den Quadrilateralen Sicherheitsdialog – ein quasi-militärisches Bündnis der USA, Japans, Indiens und Australiens – ins Leben gerufen. Seit 2011, als Präsident Obama seinen »Pivot to Asia« einleitete, unternehmen die USA immer aggressivere Schritte, um die diplomatische und wirtschaftliche Stellung Chinas zu unterminieren. Sie schmieden Allianzen, bauen Militärstützpunkte im gesamten Pazifikraum, um China einzukreisen. Admiral John Aquilino, Chef des US-Kommandos für den indopazifischen Raum, erklärte, ein Konflikt mit China sei »viel näher, als die meisten denken«. Das alles ist der Führung in Peking nicht entgangen. Und deshalb entwickelt es seine militärische Abwehrkraft. Bis 2035 will China eine »grundlegende Modernisierung« seiner Streitkräfte realisieren, bis 2049 die Formierung der stärksten Streitmacht der Welt abgeschlossen haben. Jürgen Heiducoff, ein erfahrender Militär, der sowohl in der NVA als auch in der Bundeswehr, und dort speziell in Afghanistan, seine analytischen Fähigkeiten unter Beweis stellte, unterzieht die chinesische Militärpolitik einer kritischen Sichtung. Ist die Steigerung der Militärausgaben gerechtfertigt? Ist es tatsächlich nötig, zu Wasser, zu Lande, in der Luft, im Kosmos und im Cyberraum aufzurüsten, und zwar in einem Maße, wie es die Welt bislang nicht kannte? Hat nicht schon einmal ein solches Wettrüsten zum Untergang einer Großmacht geführt? Heiducoff untersucht die verschiedenen Aspekte der chinesischen Militärpolitik und bietet eine einzigartige Analyse, die nicht nur exklusive Fakten offenbart, sondern komplexe geopolitische Zusammenhänge sowie ökonomische und ökologische Weiterungen sichtbar macht.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 157

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist nicht gestattet,

dieses Werk oder Teile daraus auf fotomechanischem Weg zu vervielfältigen oder in Datenbanken aufzunehmen.

Das Neue Berlin – eine Marke der

Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage

Alle Rechte der Verbreitung vorbehalten.

ISBN E-Book 978-3-360-50171-4

ISBN Print 978-3-360-01379-8

© 2022 Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage GmbH, Berlin

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin, unter Verwendung eines Motivs von © picture alliance / AP Photo | Andy Wong

www.eulenspiegel.com

Das Buch

In seinem Überblick skizziert der Ex-Militär Jürgen Heiducoff die Militär­politik der Volksrepublik China. Aus eigenem Erleben, aus Dokumenten und Kommentaren hat er Informationen zu einem Thema zusammengetragen, das in den hiesigen Medien allenfalls als propagandistisches Zerrbild erscheint. Er korrigiert Irrtümer und wider­spricht zweckdienlichen Lügen. Der ehemalige Militärdiplomat Heiducoff macht auf verständliche Weise deutlich: Die Volksbefreiungsarmee ist von einer Massen- und Landarmee auf dem Weg zu ­einer Hightech-Armee, die nur einen Auftrag hat – auch in militä­rischer Hinsicht das Land unangreifbar zu machen.

Der Autor

Jürgen Heiducoff, geboren 1952, Oberstleutnant a. D., war bei den Luftstreitkräften/Luftverteidigung der NVA, studierte drei Jahre an der Akademie für Luftstreitkräfte in Monino bei Moskau, arbeitete nach dem Besuch von Lehrgängen an der Führungsakademie der Bundeswehr als Rüstungskontrollstabsoffizier im Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr (ZVBw), dort Leiter des Dezernats ­»Nukleare und globale Rüstungskontrolle«. 1995 war er im Auftrag der OSZE Militärbeobachter im Tschetschenien-Krieg und 2004/05 im Stab der Multinationalen Brigade (ISAF) in Afghanistan. Bei seinem zweiten Einsatz in Kabul von 2006 bis 2008 war er militärpolitischer Berater an der BRD-Botschaft.

Inhalt

Prolog

Zunächst ein Blick zurück: Afghanistan

Meine Beziehung zu China

Die Philosophie der Verteidigung

Militär im Museum

Krieg in Korea, Krieg in Indochina und Rück­eroberungsillusionen auf Taiwan

Anspruch und Wirklichkeit

Im Kampf für die nationale Integrität

Die Militär-Reform

Die Sicherheitsdoktrin

Soldaten und Spione

Quo vadis?

»Herausforderung für die Sicherheit«

Prolog

Wenn die Kräfte gleich sind, können wir eine Schlacht erwägen.

Wenn wir […] leicht unterlegen sind, meiden wir den Feind.

Wenn wir ihm in keiner Hinsicht ­gewachsen sind, können wir fliehen.

Sunzi (544–496 v. u. Z.), chinesischer General und Militärtheoretiker, in: »Die Kunst des Krieges«

Was der Plastikmüll für die Weltmeere ist der Weltraumschrott für den Weltraum. Und manche Teile sind so groß, dass sie beim Absturz auf die Erde nicht verglühen und mehr als nur eine Kuh erschlagen können, wie im Juli 1979 in Australien geschehen, als das US-Raumlabor »Skylab« abschmierte. Im Jahr zuvor war »Kosmos 954« über Kanada zerborsten und hatte sich über 120000 Quadratkilometer verteilt. Die Trümmer strahlten radioaktiv, denn der Atomreaktor, der vorm geplanten Absturz über dem Pazifik hätte abgestoßen werden sollen, war noch an Bord. Die Sowjetunion zahlte Schadensersatz.

Anfang 2022 vermeldeten die Agenturen, dass ein australisches Unternehmen, spezialisiert auf die Kontrolle des erdnahen Raumes, eine ungewöhnliche Beobachtung gemacht habe. Das globale Netzwerk von 350 Teleskopen hatte festgestellt, dass ein chinesischer Satellit – alt und ausgedient – von einem anderen chinesischen Satelliten auf eine mehrere hundert Kilometer höhere Umlaufbahn gebracht worden war. Abgeschleppt in den Friedhofsorbit, wo er keinem anderen Satelliten in die Quere kommen kann. Man rätselte im Westen, wie das technisch überhaupt möglich gewesen ist, denn der inaktive Navigationssatellit besaß weder eine Andockvorrichtung noch Abschlepphaken und dergleichen, mit der »Shijian 21« ihn tiefer ins All hätte ziehen können. Da aber das erstaunliche Manöver justament in dem Moment erfolgt war, als man in Australien keinen Sichtkontakt hatte, rätselt und spekuliert man noch immer. Einig ist man sich, dass es sich um eine spektakuläre, epochemachende Aktion gehandelt hatte, die – wie etwa die Landung einer chinesischen Sonde auf der Rückseite des Mondes 2019 – eine wissenschaftlich-technische Sensation darstellte.

Allerdings, so gab man denn gleich mehr als einen Tropfen Wermut in den globalen Freudenbecher über diesen technischen Fortschritt: Was führen die Chinesen damit im Schilde?

Weil sie nämlich das Manöver nicht weltweit angekündigt hatten und damit ein wenig bescheidener handelten als andere Nationen, orakelte man sogleich: »Wenn es China allein darum ginge, den Erdorbit von Weltraumschrott zu befreien, gäbe es keinen Grund, das geheim zu halten.« (Neue Zürcher Zeitung vom 22. März 2022) Womit also grundsätzlich Zweifel am friedlichen Charakter der Mission geweckt worden war. Denn wenn die Chinesen ausgediente eigene Satelliten abschleppten, sei das auch mit aktiven fremden, eventuell gegnerischen möglich. (Ein Szenario also wie im Film »Man lebt nur zweimal« aus dem Jahr 1967: Ein sowjetisches und ein amerikanisches Raumschiff werden von einem unbekannten Flugobjekt entführt, die Großmächte beschuldigen sich gegenseitig und drohen mit Krieg. James Bond, der Geheimagent Ihrer Majestät, verhindert jedoch den atomaren Weltkrieg, indem er den Übeltäter auf Japan ausfindig macht …)

55 Jahre nach jenem Märchenfilm, also einer Fiktion, wird die nunmehrige Realität in analoger Weise interpretiert: Das Ab­schleppen könne man durchaus als Maßnahme zur Aufrüstung im All verstehen, also als einen weiteren Schritt Chinas auf dem Weg zur modernsten Armee der Welt. Auf dem 19. Parteitag 2017 hatte Staats- und Parteichef Xi Jinping schließlich erklärt, dass bis 2035 eine »grundlegende Modernisierung« der Volksarmee erfolgen solle, und bis 2049 werde China über die führende, also die modernste Armee der Welt verfügen. »Davon kann man ableiten, dass China bis 2049 die größte Militärmacht der Welt werden will.« (Deutschlandfunk am 25. April 2021)

Diese zweckdienliche Interpretation erfolgte lange bevor Russ­land in die Ukraine einfiel und die EU Peking aufforderte, wegen der russischen Invasion mit Moskau zu brechen und sich selbst in die Kriegsfront des Westens einzureihen.

Die chinesische Führung reagierte auf ein solches Ansinnen diplomatisch und wie gewohnt mit Bedacht. Sie ließ sich weder vor den militärischen Karren der NATO und deren Führungsmacht spannen noch in die geostrategischen Ambitionen Russ­lands einbinden. Peking sprach auch von »Krieg« und nicht wie Moskau verschleiernd von »Spezialoperation«. Denn im sozialistischen China bestand Klarheit in mindestens zwei grundsätzlichen Fragen:

Erstens handelte es sich bei dem Krieg in der Ukraine um eine geopolitische Auseinandersetzung zweier Staaten bzw. Staatenbündnisse, die um die Vorherrschaft in einer Region kämpfen. Jeder militärische Konflikt stand und steht den chinesischen Interessen an einer globalen Friedensordnung diametral entgegen, China zieht traditionell die Harmonie einer Hegemonie vor. Ein einzig­artiges Infrastrukturprojekt wie etwa die Neue Seidenstraße (Belt and Road Initiative,BRI), deren Initiator und Motor die Volksrepublik ist, kann nur in Frieden verwirklicht werden. Außerdem widerspricht eine wie immer geartete Intervention dem chinesischen Grundsatz, der in allen in diesem Zusammenhang geschlossenen bi- und multilateralen Verträgen steht: keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates. Das schließt auch die Unterstützung von Sezessionsbestrebungen aus. Für die Volksrepublik hat die territoriale Integrität eines Staates oberste Priorität. Deshalb verurteilt Peking alle Versuche, beispielsweise Taiwan – das zu China gehört (ein Land, zwei Systeme) – aus dem Staatsverband zu lösen. Daher kann China auch die Abtrennung von Territorien etwa der Ukraine oder Serbiens nicht gutheißen. Separatismus, der auf die Abspaltung oder den Anschluss zielt, wird entschieden abgelehnt.

Und zweitens verfolgt der Westen, insbesondere aber die USA, seit Jahren einen aggressiven Kurs gegenüber China. Und dieser ist ein wesentliches Element im Kampf um die Neuordnung der Welt nach dem Ende der Sowjetunion und des europäischen Sozialismus. An die Stelle der seit 1945 und bis 1990 bestehenden Bipolarität soll eine neue treten. Diesen Zusammenhang benennt die Volksrepublik etwa in der Ende 2021 verabschiedeten »Historischen Resolution«: »Der äußere Druck ist so groß wie noch nie, konventionelle und nicht-konventionelle Sicherheitsbedrohungen sind miteinander verflochten.« Man müsse mit »Black-Swan-Ereignissen« rechnen. Das ist eine Metapher für unerwartete und unwahrscheinliche künftige Ereignisse mit erheblichen Auswirkungen, auf die man sich in der Sicherheitspolitik vorbereiten müsse. Weniger metaphorisch heißt dies, nach dem in der europäischen Kultur geborenen Grundsatz zu handeln: Si vis pacem para bellum. Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg.

Das soll der römische Militärschriftsteller Vegetius geschrieben haben. Der lebte ungefähr zur selben Zeit wie der chinesische Militärtheoretiker Sunzi – etwa fünfhundert Jahre vor Beginn der Zeitrechnung.

Worin zeigt sich der gewachsene Druck?

Die Biden-Regierung hat die jahrzehntelange Konfrontation Washingtons an allen Fronten forciert – diplomatisch, wirtschaftlich und auch militärisch. Als China im November 2013 seine Luftabwehrzone ausrief, weigerte sich die Obama-Regierung, diese zu akzeptieren und ließ demonstrativ und ohne Ankündigung B-52-Bomber darüber fliegen. Biden war Vizepräsident unter Obama, als dieser den »Pivot to Asia« vollzog. Mit der Konzentration auf den indopazifischen Raum wollten die USA dem wirtschaftlichen Aufstieg Chinas erfolgreich begegnen. Nicht Russ­land, nicht die EU und der atlantische Raum waren die künftig wichtigsten Konkurrenten, sondern die Volksrepublik China ist es. Washington sah (und sieht) durch Peking seine globale Hegemonie am stärksten gefährdet. Wie sich in der Rückschau zeigt, provozierte die Verlagerung der geostrategischen Interessen der US-Außenpolitik viele Reaktionen in der betreffenden Region, insbesondere in China. Der Strategiewechsel der USA2012 führte zwangsläufig auch zu einem Strategiewechsel in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Volksrepublik. So wurde die Landesverteidigungsarmee umgebaut in eine Streitkraft mit einer starken Marine. Unmittelbar nach der Verkündung des »Pivot to Asia« begann der Aufbau einer chinesischen Navy. Und mit der Entwicklung der Seestreitkräfte erfolgte auch der Ausbau der dem Festland vorgelagerten Inseln zu Stützpunkten. Es wurde die chinesische Verteidigungslinie faktisch vorverlegt. Die Veränderung der chinesischen Verteidigungsstrategie ging einher mit der Veränderung der Verteidigungsphilosophie.

Präsident Joe Biden machte weiter, wo Trump nicht aufgehört hatte: Er verschärfte den Handelskrieg und provozierte militärisch in den Gewässern vorm chinesischen Festland. Nicht nur pensionierte US-Militärs wie Oberstleutnant Daniel Davies warnten vor der militärischen Eskalation. Gegenüber dem britischen Guardian gab der Veteran der US Army seiner Sorge am 4. Oktober 2021 vernehmlich Ausdruck, dass sich die USA aktiv auf einen Krieg gegen China vorbereiteten und im Konflikt um Taiwan »in einen Atomkrieg stolpern« könnten. Wenn nämlich in einem konventionellen Krieg mit China den USA eine Niederlage drohe, so Davies, würden die USA nicht zögern, Nuklearwaffen gegen die Atommacht China einzusetzen.

Die Volksrepublik China ist sich der Strategie bewusst, die die USA mit dem Ukraine-Konflikt verfolgen. Russland soll wirtschaftlich und politisch erledigt werden. Und wenn dieses Ziel – auch mit Hilfe der EU – erreicht sein würde, könnte sich Washington ausschließlich auf China konzentrieren. Russland ist darum aus Sicht der chinesischen Militärstrategen so etwas wie die Große Mauer oder, wie es in der »Historischen Resolution« heißt, das Graue Nashorn (»Gray Rhino«): Fällt es, geht es nur noch gegen China.

Auf die unmittelbare militärische Herausforderung durch die USA und ihre Verbündeten reagierte China, was nur konsequent ist, mit der Stärkung seiner eigenen Verteidigungsfähigkeit: zu Wasser, zu Lande, in der Luft und was darüber liegt. Dabei setzt die Volksrepublik entschieden auf Hochtechnologie, womit man sich auf den drohenden Cyberkrieg vorbereitet. So ist die eingangs geschilderte Operation mit dem Satelliten durchaus in diesem Kontext zu sehen. Bekanntlich hatte in den siebziger Jahren das US-Verteidigungsministerium ein satellitengestütztes Navigationssystem entwickelt, dass seit den neunziger Jahren als Globales Positionsbestimmungssystem (GPS) genutzt wird – sowohl militärisch als auch zivil, wenngleich es dabei Unterschiede gibt: Bei der militärischen Ortung bewegt man sich im Zentimeter­bereich – in der zivilen Nutzung müssen zehn Meter genügen. Aber nicht nur deshalb sah und sieht man das US-System in vielen Teilen der Welt kritisch. (Dass die Kontrolle aus dem All durch die USA durchaus gefährlich sein kann, erlebten beispielsweise chinesische Militärs, als bei einer Übung ihre Schiffe und Raketen im Wortsinne in die Irre geführt wurden.) Darum begann man 2003 in Europa unter der Bezeichnung »Galileo« ein eigenes, aber weltweit nutzbares Navigationssatellitensystem zu entwickeln. Neben der EU und der Europäischen Weltraumorganisation ESA beteiligten sich daran die Volksrepu­blik China, Indien, Israel und eine Reihe weiterer Staaten. Die USA sorgten jedoch dafür, dass die Chinesen – die ein Fünftel der erwarteten Kosten für das Netzwerk mit dreißig Satelliten übernommen hatten – zunehmend ausgegrenzt wurden. China beendete 2010 die sieben Jahre zuvor geschlossene Partnerschaft und entwickelte sein eigenes Satellitennavigationssystem »Beidou«. Seit April 2022 ist es weltweit zivil nutzbar – mit einer Genauigkeit von 4,40 Metern. Im Jahr 2021 waren in den 324 Millionen in China produzierten Smartphones die Module bereits eingebaut, die das Beidou-System unterstützen. Natürlich hat Beidou – Abkürzung BDS – auch eine militärische Funktion, weshalb es an dieser Stelle Erwähnung findet. Die Dutzenden geostationären und im Orbit kreisenden Raumflugkörper werden vom Satellitenkontrollzentrum Xi’an gesteuert, und das gehört zur Strategischen Kampfunterstützungstruppe der Volksbefreiungsarmee. Die Vermarktung der zivilen Dienste erfolgt über ein eigenes »Büro für die Verwaltung des chinesischen Satellitennavigationssystems« und ist strikt getrennt von dessen militärischen Aufgaben.

Auf der anderen Seite akzeptiert China aber auch die legitimen Sicherheitsinteressen anderer Staaten, etwa die Russlands. Die NATO-Osterweiterung wertete Peking deshalb ebenso als ein destabilisierendes Problem wie auch überzogene Sanktionen. Denn diese treffen am Ende alle. Ausgenommen die USA. Sanktionen dieser Dimension beeinflussen nicht nur die Weltwirtschaft, sondern untergraben die globale Ordnung insgesamt. Das machte Xi Jinping auch in einem zweistündigen Videotelefonat mit Joe Biden Mitte März 2022 deutlich. »So etwas wie die Ukraine-Krise wollen wir nicht sehen«, sagte Xi und appellierte an Biden. »Zwischenstaatliche Beziehungen dürfen nicht das Stadium militärischer Feindseligkeiten erreichen.« So zitierte am 18. März 2022 die Tagesschau den chinesischen Staats- und Parteichef. »Frieden und Sicherheit sind die wertvollsten Schätze der internationalen Gemeinschaft.« Xi habe Verhandlungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine gefordert, oberste Priorität müssten die Fortsetzung von Gesprächen und die Vermeidung einer humanitären Katastrophe haben. Der chinesische Präsident, so die ARD-Tagesschau weiter, habe sich dafür ausgesprochen, dass die NATO Gespräche mit Russland aufnehmen sollte, um die hinter dem Krieg liegenden Konflikte zu lösen.

»Wie bedrohlich die internationale Lage auch sein mag, wir werden unsere strategische Ausrichtung beibehalten und die Entwicklung einer umfassenden Partnerschaft zwischen China und Russland in der neuen Ära voranbringen«, zitierte das gleiche Medium Chinas Außenminister Wang Yi. Die Kooperation sei nicht nur von Nutzen für die Völker beider Länder, »sondern trägt auch zu Frieden, Stabilität und Entwicklung in der Welt bei«, so Wang.

US-Außenminister Antony Blinken hingegen drohte China, dass die Volksrepublik mit Strafmaßnahmen rechnen müsse, wenn sie Russland bei der Umgehung westlicher Sanktionen unterstützte. Womit er nur bestätigte, wie begründet Chinas Befürchtungen sind, dass die USA die ganze Welt zur Geisel nehmen und das globale Wirtschaftssystem als Waffe zur Durchsetzung ihrer Interessen nutzen wollen.

Xi Jinping, so gab ihn das Handelsblatt am 1. April 2022 wieder, habe stattdessen auf der Videokonferenz mit Brüssel den EU-Staaten vorgeschlagen, »sich ein eigenes Bild von China zu machen, eine unabhängige Chinapolitik zu verfolgen und mit China zusammenzuarbeiten«.

Sich ein »eigenes Bild von China machen« – ich habe es getan. Als ehemaliger Militär, der in der Bundeswehr diente und in Afghanistan eingesetzt war, bin ich immer wieder hinübergefahren. Darüber berichte ich auch in meinem Buch. Und gleichzeitig versuche ich, die komplexen Vorgänge auf dem Felde der Militärpolitik zu analysieren. Diese ist nicht so simpel, wie es die westliche Propaganda uns glauben machen möchte – ohne die Geschichte Chinas, seine Gegenwart und die nationalen Planungen für die Zukunft wirklich zu kennen.

Zunächst ein Blick zurück: Afghanistan

Jede Kriegsführung gründet auf Täuschung.

Sunzi in: »Die Kunst des Krieges«

Die bisherige Algebra der internationalen Beziehungen, dass der militärisch Stärkere den Schwächeren dominiert, funktioniert nicht mehr. Das zeigte zuletzt wieder die Niederlage der USA und ihrer Partner in Afghanistan 2021. Territoriale Ansprüche werden heute nicht mehr ausschließlich durch Landnahme und raumgreifende militärische Operationen umgesetzt. Das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen – das ist eine Voraussetzung für das erfolgreiche Engagement in einem Land.

Das gilt im Übrigen auch für die innere Stabilität im Land. Wenn die Führung das Vertrauen der Bevölkerung besitzt, dann sind die Chancen eines Gegners gering. Wir kennen solche wie auch andere Beispiele …

In den Jahren 2004/05 war ich acht Monate in Kabul in der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (International Security Assistance Force, ISAF), die die Sicherheit und den Wiederaufbau des Landes unter NATO-Führung garantieren sollte. 2001 hatte es eine Afghanistan-Konferenz und eine Genehmigung des UN-Sicherheitsrates zu einem friedenserzwingenden Einsatz in Verantwortung der beteiligten Staaten gegeben. Diese schickten zusammen etwa 130000 Soldaten ins Land. Die Bundesrepublik war mit fast fünftausend Mann dabei, ich war einer von ihnen.

Im September 2001 weilte ich als Offizier der Bundeswehr in Minsk und nahm dort an einer Ausbildung zum Thema Rüstungskontrolle und vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen teil. Am 11. September befanden wir uns im Verteidigungsministerium von Belarus, als man uns zum Fernsehgerät eines Diensthabenden holte. Dort liefen die Bilder aus New York. Wir sahen die brennenden Türme des World Trade Center und erstarrten. Wenig später, wieder zurück in Berlin, suchte man Freiwillige für ein erstes nationales Kontingent für Afghanistan. Ich meldete mich, weil ich von der friedensstiftenden Mission überzeugt war, mein Dienststellenchef erklärte mich jedoch für »nicht abkömmlich«. Daraufhin bewarb ich mich direkt beim Personalamt der Bundeswehr und wurde in den Bewerberpool aufgenommen. Ein Jahr später begann die vorbereitende Ausbildung. Es verging ein weiteres Jahr, bis ich in einen Brigadestab als G 2 (Leiter Aufklärung) eingegliedert wurde.

Im Sommer 2004 wurde ich über Mechernich in der Eifel mit einem neuen Einsatzkontingent ausgeschleust. Wir flogen mit einem Bundeswehr-Airbus von Köln nach Termez in Usbekistan, von dort ging es mit einer C 160 Transall der Bundesluftwaffe weiter nach Kabul. Unser Lager – Camp Warehouse – lag östlich der Hauptstadt auf einem Hochplateau in 1800 Meter Höhe. Ich übernahm im Stab der Kabul Multinational Brigade (KMNB) eine Abteilung und blieb dort für sechs Monate.

Nach diversen Lehrgängen in der Heimat folgte ein weiterer Einsatz zwischen 2006 und 2008 als Militärpolitischer Berater des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland in Afghanistan. Recht schnell war mir als Berufssoldat bewusst geworden, dass das westliche Engagement am Hindukusch die Probleme in diesem Land nicht würde lösen helfen. Insbesondere die unverhältnismäßige Gewalt der ISAF-Schutztruppe im Kampf gegen die Aufständischen forcierte den Hass der Bevölkerung. Der Einsatz von Jagdbombern, Kampfhubschraubern und Kampfdrohnen, die nächtlichen Hausdurchsuchungen und Strafmaßnahmen – ja, es wurde auch gefoltert – entwickelten nicht die Zivilgesellschaft, deren Aufbau wir doch angeblich unterstützen sollten. Der Auftritt des westlichen Militärs verhinderte die Zivilgesellschaft eher, als dass er dabei half. Die Lebensgrundlagen der Menschen wurden – wie auch unersetzliche Kulturgüter – ­zerstört: nicht nur von den Taliban, den Mudschaheddin und den Warlords.