Die Nonne - Denis Diderot - E-Book

Die Nonne E-Book

Denis Diderot

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Beschreibung

Die Nonne Suzanne Simonin erzählt in Briefen ihre Lebensgeschichte. Von den Eltern wird sie gegen ihren Willen zu einem Dasein als Ordensschwester gezwungen, da für eine standesgemäße Heirat die nötigen finanziellen Mittel fehlen. Zwar gerät sie zunächst an eine verständnisvolle ältere Oberin, kann ihren Freiheitsdrang aber nie ganz ablegen. So wird sie unter einer neuen, fanatischen und grausamen Äbtissin zum Ziel von Repressalien und Schikanen durch diese und Mitschwestern ...

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Die Nonne

Denis Diderot

Inhalt:

Denis Diderot – Biografie und Bibliografie

Die Nonne

Die Nonne, Denis Diderot

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849609887

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Denis Diderot – Biografie und Bibliografie

Namhafter franz. Schriftsteller, geb. 5. Okt. 1713 in Langres als Sohn eines Messerschmiedes, gest. 30. Juli 1784, widmete sich in Paris dem Studium der Philosophie, Mathematik und Physik, verlor, weil er darüber seine Berufsstudien vernachlässigte (er war anfangs Theologe, dann Jurist gewesen), die Unterstützung seines Vaters und mußte sich durch literarische Arbeiten (in denen er den Einfluß Bayles sowie der englischen Sensualisten und Freidenker verriet) seinen Lebensunterhalt verdienen. Der in Frankreich herrschenden Gläubigkeit trat er schon in den »Pensées philosophiques« (Haag 1746) und noch mehr in der 1747 geschriebenen, aber vor dem Druck mit Beschlag belegten »Promenade d'un sceptique« entgegen. Erstere Schrift, in der das Parlament einen Angriff auf das Christentum erblickte, wurde auf dessen Befehl vom Scharfrichter verbrannt. Letztere ist erst lange nach Diderots Tod in dem vierten Bande seiner »Mémoires, correspondance et ouvrages inédits« (Par. 1830) veröffentlicht worden. Der Zweifel, den er darin dem Theismus vom deistischen Standpunkt aus entgegensetzt, macht schon in den rasch darauf folgenden Schriften: »Introduction aux grands principes«, »Lettre sur les aveugles« (Lond. 1749), die, als atheistisch, ihm ein Jahr Gefängnis in Vincennes zuzogen, und »Lettre sur les sourds et muets« (1751) dem Zweifel am Deismus selber Platz. In der von 1751 ab publizierten »Encyclopédie« (s. Enzyklopädie) rühren nicht bloß sämtliche auf Technik und Gewerbe bezügliche, sondern auch einige philosophische, ja selbst viele physikalische und chemische Artikel von D. her, dessen schlagfertige Polyhistorie ihm erlaubte, überall einzuspringen, wo ein Mitarbeiter fehlte. Seine Theorien über das Theater, das er dem abstrakten klassischen Regelzwang entreißen und zur Natürlichkeit zurückführen wollte, betätigte er in seinen beiden Dramen: »Le fils naturel« (1757) und »Le père de famille« (1758). Diese beiden Stücke (übersetzt von Lessing, 1760), die wegen ihrer Rührseligkeit und pedantischen Moral vollständig durchfielen, waren die Vorläufer des sogen. bürgerlichen Dramas; sie fanden in Deutschland (bei Iffland, Kotzebue u. a.) mehr Nachahmung als in Frankreich. Von der Vielseitigkeit Diderots legen ein vortreffliches Zeugnis ab die »Salons«, Berichte über die Ausstellungen der Pariser Akademie von 1765–67, in denen er in geistreicher Plauderei die Naturwahrheit als Hauptforderung aufstellt; auch für diese Art der Kunstkritik kann D. als Begründer gelten. Die Mehrzahl seiner Erzählungen und Romane ist außer den »Bijoux indiscrets« (1748), einem unsaubern und faden Produkt, erst nach seinem Tode gedruckt worden. Von diesen ist am schwächsten »Jacques le fataliste« (deutsch von Mylius, Berl. 1792; eine Novelle daraus hat Schiller übersetzt, Sardou in »Fernande« dramatisiert), besser trotz des z. T. empörenden Naturalismus der Roman »La Religieuse«, am berühmtesten aber »Le neveu de Rameau«, der zuerst in Deutschland durch Goethes Übersetzung (1805) bekannt wurde, dann zurückübersetzt und erst 1821 nach dem Original gedruckt wurde, ein köstliches Spiegelbild der Genußsucht und Blasiertheit der Zeit (beste Ausg. von Thoinan, Par. 1891; vgl. R. Schlösser, Rameaus Neffe, Studien und Untersuchungen, Berl. 1900). Wahre Perlen liebenswürdigen Humors und geistreichen Erzählungstalents sind die kleinen Genrebilder, die er mit dem Namen »Petits papiers« bezeichnete. 1743 hatte er gegen den Willen seines Vaters aus Liebe ein armes Mädchen geheiratet, das aber durch Beschränktheit und Bigotterie sich den Gatten bald entfremdete, besonders als nach der Geburt mehrerer Kinder die drückendsten Nahrungssorgen auf ihm lasteten. D. fiel bald darauf in die Netze einer berüchtigten, herzlosen Kokette, Madame de Puisieux, die ihn zehn Jahre lang aufs schmählichste betrogen und ausgesogen hat. Dann schloß er eine enge Verbindung mit der geist- und gemütvollen Sophie Volland, die bis an deren Lebensende dauerte. Der pekuniäre Gewinn aus seinen Schriften, selbst aus der »Encyclopédie«, war nur gering, und er dachte schon daran, seine Bibliothek zu verkaufen, um seine Tochter aussteuern zu können, als seine enthusiastische Bewundrerin, die Kaiserin Katharina II. von Rußland, ihn auf edle, schonende Art seinen Verlegenheiten entriß: sie kaufte ihm seine Bibliothek für 15,006 Livres ab mit der Bedingung, daß er sie, solange er lebe, behalte und für 1000 Livres jährlichen Gehalt verwalte, und ließ ihm den Gehalt auf 50 Jahre vorausbezahlen; dann lud sie ihn nach Petersburg ein und lebte mit ihm einen Winter hindurch in vertraulichem Umgang, bis seine durch das rauhe Klima noch mehr geschwächte Gesundheit die Rückkehr in die Heimat verlangte. Eine Einladung Friedrichs d. Gr., über Berlin zu reisen, schlug er aus und reiste über Holland; seine Eindrücke über Land und Leute legte er in der Schrift »Voyage de Hollande« nieder. Nach Paris zurückgekehrt und bis an sein Lebensende unermüdlich tätig, starb er, wie er gelebt hatte, als Philosoph und wurde in der Kirche St.-Roch begraben. D. sind zwei Standbilder in Paris, von Gautherin vor St.-Germain-des-Prés und von Lecointe vor dem Hôtel de Ville, ein drittes von Bartholdi in Langres errichtet. D. war, nach Goethes Urteil, ein Schriftsteller, der mehr die Absicht hatte, die Freunde des Alten zu beunruhigen und eine Revolution zu veranlassen, als ein neues Gebäude zu errichten. Nach allen Richtungen anregend, ist er nach keiner erschöpfend; er selbst hat von sich gesagt, daß er nur »Seiten« schreiben könne. Sein Stil hat einen Zauber, den Goethe »hinreißend« nennt; auch seine tiefsinnigsten metaphysischen Abhandlungen, wie sein »Gespräch mit d'Alembert« und des letztern »Traum« (beides aus 1769), hat er durch Klarheit und Schwung zu rhetorischen Kunstwerken geformt. Als Philosoph hat er eine Reihe von Metamorphosen durchgemacht, die ihn vom Theismus zum Deismus, von diesem zum Atheismus und Materialismus führten. In seiner Schrift »Interprétation de la nature« (1754) setzt er an die Stelle der Monaden des Leibniz Atome, in denen, wie in jenen schlummernde Vorstellungen, so gebundene Empfindungen liegen. Sie werden bewußt im animalischen Organismus, und aus ihnen erwächst das Denken. Sein Atheismus beschränkt sich auf die Bemerkung gegen die Annahme eines persönlichen Gottes: diese Annahme bedenke nicht, daß das große musikalische Instrument, das wir Welt nennen, sich selbst spiele. Dagegen erkennt er in dem Naturgesetz und in der Wahrheit, Schönheit und Güte die Gottheit. – Seine Werke sind so zahlreich und so weit zerstreut worden, daß auch jetzt noch keine vollständige Ausgabe vorliegt, die beste und vollständigste ist die von Assézat und Tourneux (1875–77, 20 Bde.); leider ist darin Naigeon, dem D. die Herausgabe seiner Werke anvertraut hatte, und der den Text gewissenlos änderte, zuviel Glauben geschenkt (vgl. E. Dupuy, Paradoxe sur le Comédien par D., Par. 1902). Zahlreiche kleine Aufsätze Diderots sind in die »Correspondance littéraire« von Grimm (s.d. 1) aufgenommen und in deren Ausgaben mitgeteilt. Sein Briefwechsel mit Sophie Volland, Grimm u. a. ist enthalten in den »Mémoires, correspondance et ouvrages inédits« (1841, 2 Bde.). Seine einzige Tochter, Madame de Vandeul, hat »Mémoires pour servir à l'histoire de la vie et des ouvrages de D.« (1830) herausgegeben (abgedruckt an der Spitze der »Ouvrages inédits«). Vgl. Fr. Raumer, D. und seine Werke (Berl. 1843); Rosenkranz, Diderots Leben und Werke (Leipz. 1866, 2 Bde.); Sainte-Beuve, Portraits littéraires, Bd. 1 (neue Ausg., Par. 1869); Hettner, Geschichte der französischen Literatur im 18.Jahrhundert (5. Aufl., Braunschw. 1894); Avezac-Lavigne, D. et la société du baron d'Holbach (Par. 1875); I. Morley, D. and the Encyclopaedists (2. Aufl., Lond. 1886, 2 Bde.); E. Scherer, D., étude (Par. 1880); Collignon, D., sa vie, ses œuvres, sa correspondance (das. 1895); Tourneux, D. et Catherine II (das. 1899).

Vorwort.

Der vorliegende Roman, »Die Nonne« von Denis Diderot, erregte, als er in Frankreich zur Veröffentlichung gelangte, einen Sturm der Entrüstung. Ganz besonders war es die hohe und niedere Geistlichkeit, welche sich in Schmähungen und Verwünschungen gegen den Verfasser nicht genug thun konnte und diesen gar zu gerne dem Scheiterhaufen überliefert hätte – wenn er nicht schon vorher gestorben wäre. Denn erst im Jahre 1793, nachdem der Sturmwind der Revolution die Privilegien des Adels und des Klerus hinweggefegt, erschien der Roman »Die Nonne« mit verschiedenen anderen Schriften Diderots im Druck; doch ist anzunehmen, daß das Werk etwa um dreißig Jahre früher entstand und handschriftlich wie auch durch Vorlesungen in den den Encyklopädisten nahe stehenden Kreisen bekannt war.

Wie fast allen Werken Diderots liegt auch diesem Werke eine Thatsache zu Grunde. Im Jahre 1757 strengte eine Nonne des Klosters Longchamp einen Prozeß gegen ihre Eltern an, die sie gezwungen hatten, den Schleier zu nehmen. Der damals noch allmächtige Klerus verstand es, alle Versuche des unglücklichen Opfers, sich dem ihm aufgedrungenen Berufe zu entziehen, zu unterdrücken, und selbst der von der Unglücklichen in Scene gesetzte öffentliche Skandal hatte keine andere Wirkung, als der Ärmsten eine noch schlimmere Behandlung zu verschaffen, die in ihrer ausgesuchten Grausamkeit vor den gewagtesten Mitteln nicht zurückschreckte. Aber trotz aller Vertuschungsversuche der Geistlichkeit drang doch einiges von dem Prozeß in die Öffentlichkeit; einige wohlwollende Leute bemächtigten sich der Sache; doch all ihr Bemühen war vergeblich, die Unglückliche blieb in den Händen der Geistlichkeit, und wer weiß unter welch körperlichen und seelischen Martern man sie in majorem Dei gloriam zu Tode gemartert hat Diesen Stoff hat Diderot im ersten Teile seines Romans behandelt, während der zweite einer genauen Schilderung der in den Klöstern herrschenden Unsittlichkeit gewidmet ist. Die Beschreibung der unsittlichen Scenen hat dem Buche den Vorwurf der Frivolität eingetragen, doch mit Unrecht, denn der Verfasser hat dieselben nicht als Selbstzweck, sondern nur zur Schilderung der in den Klöstern herrschenden Sittenlosigkeit benutzt. Selbst Schlosser, der in seinen Urteilen über die französische Litteratur oft recht schroffe und herbe Meinungen abgegeben hat, sagt in seiner Geschichte des 18. Jahrhunderts, dritter Zeitraum, zweiter Abschnitt, zweites Kapitel:

»Die Geschichte ist so genau aus den Erfahrungen jener Zeit und dem, was alle Tage in gewissen Familien vorging, entlehnt, daß man wirkliche Denkwürdigkeiten zu lesen glaubt. Jede fühlende Seele schaudert, wie innig ergriffen und von Rührung durchdrungen, sie muß einen Zustand des Staats und der Kirche verabscheuen, der Dinge, wie die hier erzählten, möglich machte. Diderot hat mit einer bewunderungswürdigen Kunst die Erzählung von Anfang bis zum Enden so durchgeführt, daß er nie aus dem Tone gefallen ist. Das Klosterleben und Klosterwesen der Zeit kurz vor der Revolution ist in keinem Buche mit mehr Wahrheit und Lebendigkeit geschildert, als in diesem Roman.«

Der Übersetzer hat sich bemüht, dem Originale ganz getreu zu folgen, nur einige Stellen, die gewisse Längen enthalten, sowie die durchaus überflüssigen Obscönitäten sind dem Rotstift zum Opfer gefallen. Diese Streichungen sind um so berechtigter, als das Werk dadurch nur an Knappheit und Schärfe gewinnt, auch ging Diderot selbst mit einem Plan der Umarbeitung der »Nonne« um, ein Plan, der wohl nur infolge seines Todes nicht zur Ausführung gelangte.

Die Nonne

Mein Vater war Advokat, er hatte meine Mutter in ziemlich vorgerücktem Alter geheiratet, und sie hatte ihm drei Töchter beschert. Er hatte mehr Vermögen, als nötig war, um sie gut zu versorgen; doch zu diesem Zweck hätte er seine Zärtlichkeit allen dreien in gleicher Weise zuteil werden lassen müssen; und ich kann ihm leider dieses Lob nicht angedeihen lassen. Zweifellos übertraf ich meine Schwestern durch die Vorzüge des Geistes und der Gestalt; ich war ihnen an Charakter und Talent überlegen; doch es machte mir den Eindruck, als wenn sich meine Eltern darüber betrübten. Wenn jemand zufällig zu meiner Mutter sagte, sie habe reizende Kinder, so durfte mir das niemals gelten. Ich bin zuweilen für diese Ungerechtigkeit gerächt worden, doch die Lobsprüche, die man mir zuteil werden ließ, kamen mir, wenn wir allein waren, so teuer zu stehen, daß ich Gleichgültigkeit und selbst Schimpfworte vorgezogen hätte; je mehr mich die fremden Besucher verhätschelten, eine desto schlimmere Laune trug man gegen mich zur Schau, sobald sie fortgegangen waren. O, wie oft habe ich darüber geweint, daß ich nicht häßlich, dumm, albern, hochmütig, mit einem Wort, mit all' den Fehlern zur Welt gekommen bin, die meinen Schwestern die Liebe ihrer Eltern verschafften. Ich habe mich gefragt, wie wohl ein Vater und eine Mutter, die sonst durchaus ehrenhaft, gerecht und fromm waren, sich so eigentümlich benehmen konnten. Einige Bemerkungen, die meinem Vater im Zorn entschlüpft sind – denn er war sehrheftig – einige Umstände, die mir zu verschiedenen Zeiten aufgefallen sind, Außerungen von Nachbarn, von Dienstboten, haben mich einen Grund vermuten lassen, der eine kleine Entschuldigung für sie bieten würde. Vielleicht hegte mein Vater einige Zweifel in betreff meiner Geburt, vielleicht erinnerte ich meine Mutter an einen Fehltritt, den sie begangen, und an die Undankbarkeit eines Mannes, dem sie zu sehr zu Willen gewesen, was weiß ich? –

Da wir kurz hintereinander zur Welt gekommen waren, so wuchsen wir auch alle drei zusammen auf. Es stellten sich Bewerber ein; meine älteste Schwester erhielt den Antrag eines reizenden jungen Mannes; doch bald bemerkte ich, daß er mich auszeichnete, und ich ahnte, daß sie bald nur der Vorwand, für seine häufigen Besuche sein würde. Ich sah es voraus, daß mir dieses Benehmen Kummer bereiten würde, und setzte meine Mutter davon in Kenntnis. Das ist vielleicht das einzige Mal in meinem Leben gewesen, daß ich etwas ihr Wohlgefälliges gethan habe, und wie wurde ich dafür belohnt? Vier Tage später oder wenigstens doch kurze Zeit darauf sagte man mir, man hätte für mich einen Platz in einem Kloster besorgt, und schon am nächsten Tage wurde ich dorthin überführt. Ich fühlte mich im Hause so unbehaglich, daß mich dieses Ereignis nicht besonders betrübte, und so fuhr ich nach Sainte-Marie – das war mein erstes Kloster – in heiterster Stimmung. Inzwischen vergaß mich der Liebhaber meiner Schwester, als er mich nicht mehr sah und wurde ihr Gatte. Er heißt K ..., ist Notar und lebt in Corbeil, wo er eine höchst unglückliche Ehe führt. Meine zweite Schwester wurde mit einem Herrn Bauchon, einem Seidenwarenhändler in der Straße Quincampoix in Paris verheiratet und lebt mit ihm ziemlich gut. Als meine beiden Schwestern versorgt waren, glaubte ich, man würde auch an mich denken, und ich würde das Kloster bald verlassen. Ich zählte damals 161/2 Jahr. Man hatte meinen Schwestern eine bedeutende Mitgift gegeben; ich erhoffte ein dem ihren ähnliches Schicksal, und mein Kopf war von allerlei verführerischen Plänen voll, als man mich eines Tages in das Sprechzimmer rief. Ich erblickte den Pater Seraphin, den Beichtvater meiner Mutter; er war auch der meinige gewesen, und daher hatte er auch keine Schwierigkeit, mir den Grund seines Besuches zu erklären; es handelte sich darum, mich zu veranlassen, den Schleier zu nehmen. Ich protestierte heftig gegen diesen seltsamen Vorschlag und erklärte ihm frei heraus, ich fühle keinen Beruf für den geistlichen Stand.

»Um so schlimmer«, sagte er zu mir, »denn Ihre Eltern haben sich Ihrer Schwestern wegen vollständig ruiniert, und ich sehe nicht ein, was sie in der beschränkten Lage, in der sie sich befinden, für Sie thun könnten. Denken Sie darüber nach, mein Fräulein; entweder müssen Sie für immer in dieses Haus eintreten, oder sich in ein anderes Provinzkloster begeben, wo man Sie gegen eine mäßige Pension aufnehmen wird, und das Sie erst nach dem Tode Ihrer Eltern verlassen werden, was noch lange dauern kann!«

Ich beklagte mich bitter und vergoß wahre Ströme von Thränen. Die Oberin war bereits in Kenntnis gesetzt und erwartete mich, als ich das Sprechzimmer verließ. Ich war in einer unbeschreiblichen Aufregung.

»Was ist Ihnen denn, mein liebes Kind?« sagte sie zu mir. »Wie sehen Sie denn aus? Haben Sie Ihren Herrn Vater oder Ihre Frau Mutter verloren?«

Ich wollte schon antworten: »Das wolle Gott!« doch ich begnügte mich mit den Worten: »Leider habe ich weder Vater noch Mutter; ich bin eine Unglückliche, die man haßt und lebendig begraben will.«

Sie ließ den Sturm vorübergehen und wartete auf den Augenblick der Ruhe. Ich erklärte ihr nun deutlicher, was man mir eben mitgeteilt. Sie schien Mitleid mit mir zu haben und beklagte mich; dann ermutigte sie mich, nicht einen Stand zu ergreifen, für den ich keine Neigung fühlte; außerdem versprach sie mir, für mich zu bitten, Vorstellungen zu machen, und sich für mich zu verwenden. Sie schrieb in der That, wußte aber ganz genau die Antwort, die man ihr erteilen würde und teilte mir dieselbe mit; erst nach längerer Zeit lernte ich an ihrer Aufrichtigkeit zweifeln. Inzwischen kam der Termin, an dem ich meinen Entschluß kund geben sollte, heran, und sie setzte mich mit guteinstudierter Traurigkeit davon in Kenntnis. Zuerst sprach sie keine Silbe, dann ließ sie einige mitleidige Worte fallen, aus denen ich das übrige begriff. Wieder fand eine Scene der Verzweiflung statt, und ich glaube, sie weinte wirklich, während sie sagte:

»Nun, mein Kind, Sie werden uns also verlassen? Teures Kind, wir werden uns nicht mehr wiedersehen!«

Dann führte sie noch andere Reden, die ich nicht hörte. Ich war auf einen Stuhl gesunken, schwieg oder schluchzte. Bald blieb ich unbeweglich, bald erhob ich mich, bald lehnte ich mich gegen die Wand, bald hauchte ich meinen Schmerz an ihrem Busen aus.

Nach einer Weile sprach sie folgendes: »Hören Sie, sagen Sie aber nicht, daß ich Ihnen den Rat gegeben habe; ich zähle auf Ihre unverletzliche Verschwiegenheit; denn ich möchte um keinen Preis der Welt, daß man mir daraus einen Vorwurf machen könne. Was verlangt man von Ihnen? – Daß Sie den Schleier nehmen? Nun wohl, warum nehmen Sie ihn nicht? Wozu verpflichtet denn das? Zu nichts, höchstens, daß Sie noch zwei Jahre bei uns bleiben. In zwei Jahren kann vielerlei geschehen.«

Mit diesen heimtückischen Reden verband sie soviele Liebkosungen, soviele Freundschaftsversicherungen, soviele süße Falschheiten, daß ich mich überreden ließ. Sie schrieb also an meinen Vater, der Brief war vortrefflich: mein Schmerz und mein Widerstreben waren darin durchaus nicht verhehlt; doch schließlich teilte man meine Einwilligung mit. Mit welcher Eile wurde nun alles vorbereitet, der Tag wurde festgesetzt, meine Kleider angefertigt, und der Tag der Ceremonie war herangerückt, ohne daß ich heute den geringsten Zwischenraum zwischen diesen Dingen entdecken kann.

Ein Doktor der Sorbonne, der Abbé Blain, hielt die Ermahnungsrede, und der Bischof von Aleppo kleidete mich ein. Obwohl die Nonnen eifrig bemüht waren, mich zu stützen, so fühlte ich doch wohl zwanzigmal, wie die Kniee unter mir zusammenbrachen, und es fehlte nicht viel, so wäre ich auf den Stufen des Altars niedergesunken. Ich hörte nichts, ich sah nichts, ich war wie verblödet; man führte mich, und ich ging; man fragte mich und antwortete für mich. Indessen nahm diese grausame Ceremonie ein Ende; alle zogen sich zurück, und ich blieb inmitten der Herde, der man mich eben zugesellt hatte. Meine Gefährtinnen umstanden mich; sie umarmten mich und sagten: »Aber seht doch, Schwestern, wie schön sie ist; wie dieser schwarze Schleier die Weiße ihres Teints hebt, wie dieses Band ihr steht, wie es ihr Gesicht umrahmt, wie dieses Kleid ihre Taille und ihre Arme hervortreten läßt.«

Ich hörte sie kaum an, ich war verzweifelt; dennoch mußte ich zugeben, daß ich, als ich allein in meiner Zelle war, mich ihrer Schmeicheleien erinnerte. Ich konnte nicht umhin, mich in einem kleinen Spiegel prüfend zu betrachten, und ich glaubte, ihre Worte waren nicht so ganz unangebracht.

Als wir des Abends vom Gebet kamen, trat die Oberin in meine Zelle und sagte, nachdem sie mich eine Weile betrachtet:

»Ich weiß wirklich nicht, warum Sie einen so großen Widerwillen vor diesem Kleid hegen; es steht Ihnen wunderbar, und Sie sind reizend. Schwester Susanne ist eine schöne Nonne; Sie wird man aber noch mehr lieben. Nun lassen Sie einmal sehen; gehen Sie; Sie halten sich nicht gerade genug; Sie dürfen nicht so gebückt gehen ...«

Sie richtete mir den Kopf, die Füße, die Hände; dann setzte sie sich und sagte zu mir:

»Es ist gut; jetzt wollen wir aber ein wenig ernsthaft reden. Zwei Jahre wären nun gewonnen; Ihre Eltern können ihren Entschluß ändern, Sie selbst würden vielleicht hierbleiben wollen, wenn jene Sie fortnehmen möchten, das wäre durchaus nicht unmöglich ...«

»Madame; glauben Sie das nicht ...«

»Sie sind lange unter uns gewesen, doch Sie kennen unser Leben noch nicht; es hat zweifellos seine Leiden, aber es hat auch seine Freuden.«

Man kann sich denken, was sie sonst noch von der Welt und von dem Kloster hinzufügen konnte; das steht überall geschrieben, und zwar überall in derselben Weise, denn Gott sei Dank hat man mich das ganze Zeug lesen lassen, das die Mönche über ihren Stand geschrieben haben, den sie recht wohl kennen und verabscheuen.

Die Einzelheiten eines Noviziats will ich nicht berühren; wenn man es mit der ganzen Strenge beobachtete, so würde man es nicht aushalten; so aber ist es die schönste Zeit des Klosterlebens. Eine Novizenmutter ist immer die nachsichtigste Schwester, die man finden kann; ihr ganzes Streben ist stets darauf gerichtet, einem alle Dornen des Standes zu verbergen, es ist gleichsam ein Kursus der feinsten und ausgeklügelsten Verführung. Unsere Novizenmutter schloß sich ganz besonders an mich an, und ich glaube nicht, daß eine junge unerfahrene Seele dieser verhängnisvollen Kunst zu widerstehen vermag. Hatte ich zweimal hintereinander geniest, so wurde ich von der Messe, vom Gebet, von der Arbeit entbunden; ich ging frühzeitig schlafen und stand spät auf. Die Klosterregel existierte nicht für mich.

Indessen kam die Zeit heran, die ich manchmal durch meine Wünsche zu beschleunigen versuchte. Nun wurde ich träumerisch und fühlte, wie mein Widerwille aufs neue erwachte, und sogar stärker und stärker wurde. Ich bekannte das der Oberin oder der Novizenmutter. Diese Frauen rächen sich bitter für die Langeweile, die wir ihnen bereiten, denn man darf nicht glauben, daß die heuchlerische Rolle, die sie spielen und die Dummheiten, die sie uns erzählen müssen, ihnen Spaß machen. Das wird ihnen schließlich sehr zuwider; doch sie entschließen sich dazu, und zwar für tausend Thaler, die ihrem Hause zufallen. Das ist der wichtige Gegenstand, für den sie ihr Leben lang lügen, und unschuldigen jungen Seelen, vierzig bis fünfzig Jahre lang oder gar ewig ein unglückliches Leben bereiten; denn sicherlich sind von hundert Nonnen, die vor dem fünfzigsten Jahre sterben, gerade fünfundsiebzig verdammt, ganz abgesehen von denen, die vorher wahnsinnig, blödsinnig oder rasend werden.

Eines Tages geschah es, daß eine der letzteren aus der Zelle, in der man sie gefangen hielt, entwich. Ich sah sie, und niemals war mir etwas Schrecklicheres zu Gesicht gekommen. Mit wirren Haaren und fast unbekleidet, schleppte sie eiserne Ketten nach sich; die Augen irrten wild umher, sie raufte sich die Haare, schlug sich mit den Fäusten auf die Brust und lief heulend herum; dann suchte sie sich unter den schrecklichsten Verwünschungen aus dem Fenster zu stürzen. Das Entsetzen packte mich, ich zitterte an allen Gliedern, und da ich mein Schicksal in dem der Unglücklichen erkannte, so beschloß ich in meinem Herzen, lieber tausendmal zu sterben, als mich einer solchen Gefahr auszusetzen. Man ahnte, welche Wirkung dieses Ereignis auf meinen Geist ausüben könnte und glaubte, dem zuvorkommen zu müssen. Man erzählte mir von dieser Nonne lächerliche, widerspruchsvolle Lügen; sie wäre bereits geistesgestört gewesen, als man sie aufgenommen hätte; sie hätte in einer kritischen Zeit einen Schreck erlitten, wäre Visionen unterworfen und glaubte, mit den Engeln in Verkehr zu stehen. Sie hätte schändliche Bücher gelesen, die ihr den Geist zerrüttet, und sehe jetzt nur noch Dämonen, die Hölle und Flammenschlünde vor sich. Das alles machte auf mich nicht den geringsten Eindruck, denn jeden Augenblick kam mir die wahnsinnige Nonne in den Sinn, und ich schwor mir von neuem zu, keinerlei Gelübde abzulegen.

Dennoch war der Augenblick gekommen, in dem es sich darum handelte, zu zeigen, ob ich mir selbst Wort zu halten verstand. Eines Morgens nach der Messe trat die Oberin in mein Zimmer; sie hielt einen Brief in der Hand, und ihr Gesicht drückte Niedergeschlagenheit und Traurigkeit aus. Die Arme sanken ihr hernieder, und ihre Hand schien nicht die Kraft zu haben, den Brief zu halten. Angstlich sah sie mich an, Thränen standen in ihren Augen, sie schwieg, und ich that dasselbe. Endlich fragte sie mich, wie ich mich befände, die Messe hätte heute recht lang gedauert, ich hätte ein wenig gehustet und schiene unpäßlich zu sein.

»Nein, teure Mutter,« antwortete ich darauf.

Sie hielt noch immer den Brief in der Hand; dann legte sie ihn auf die Kniee, und ihre Hand verdeckte ihn zum Teil; endlich, nachdem sie noch mehrere Fragen über meinen Vater und meine Mutter an mich gerichtet, sagte sie zu mir:

»Hier ist ein Brief.«

Bei diesen Worten fühlte ich, wie mir das Herz klopfte, und ich fügte mit zitternden Lippen hinzu:

»Ist er von meiner Mutter?«

»Sie haben es erraten; da, lesen Sie!«

Ich faßte mich ein wenig, las den Brief, und zwar zuerst mit ziemlicher Festigkeit, doch je weiter ich kam, desto lauter regten sich verschiedene Leidenschaften in mir, wie Zorn, Schreck, Entrüstung, Ärger. Stellenweise konnte ich das Papier kaum halten, oder ich hielt es, als hätte ich es zerreißen mögen, aber ich drückte es heftig, als fühlte ich mich versucht, es zu zerknittern und weit von mir zu werfen.

»Nun, mein Kind, was wollen wir darauf antworten?«

»Aber, Madame, Sie wissen es doch!«

»Nein, ich weiß nichts. Die Zeiten sind schlimm, Ihre Familie hat Verluste erlitten, die Vermögensverhältnisse Ihrer Schwestern sind zerrüttet; sie haben beide viele Kinder, man hat sich erschöpft, als man sie verheiratete und ruiniert sich, sie zu unterstützen. Es ist unmöglich, Ihnen eine sichere Lebensstellung zu bereiten; Sie haben das Ordenskleid angelegt; man hat sich damit in Unkosten gestürzt; durch diesen Schritt haben Sie Hoffnungen erweckt, und das Gerücht der bevorstehenden Ablegung Ihres Gelübdes hat sich in der Gesellschaft verbreitet. Rechnen Sie übrigens stets auf meinen Beistand. Ich habe niemals jemanden zum Eintritt in den Orden verlockt; das ist ein Stand, zu dem Gott uns beruft, und es ist sehr gefährlich, die menschliche Stimme mit der seinen zu vermischen. Ich will nicht versuchen, zu Ihrem Herzen zu sprechen, wenn die Gnade es Ihnen nicht sagt; bis heute habe ich mir noch nicht das Unglück eines andern vorzuwerfen, und soll ich damit bei Ihnen, mein Kind, die Sie mir so teuer sind, den Anfang machen? Ich habe nicht vergessen, daß Sie die ersten Schritte nur auf mein Zureden gethan haben, und werde nicht dulden, daß man Mißbrauch mit Ihnen treibe, um Sie gegen Ihren Willen zu etwas zu verpflichten. Verständigen wir uns also; Sie haben keine Neigung für den geistlichen Stand?«

»Nein, Madame!«

»Sie werden Ihren Eltern nicht gehorchen?«

»Nein, Madame!«

»Was wollen Sie dann werden?«

»Alles, nur nicht Nonne; ich will und werde es nicht!«

»Nun gut, Sie sollen es ja auch nicht werden. Doch einigen wir uns wegen einer Antwort an Ihre Mutter.«