Die perfiden Spiele der Narzissten - Pablo Hagemeyer - E-Book + Hörbuch

Die perfiden Spiele der Narzissten Hörbuch

Pablo Hagemeyer

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Beschreibung

Der Narzissmus-Doc meldet sich zum Dienst! In »Gestatten, ich bin ein Arschloch.« hat er erklärt, wie Narzisst*innen ticken. Im zweiten Buch wird es konkret: Wie reagiert man, ohne sich selbst dabei kaputtzumachen? Anhand anschaulicher Beispiele entwirft Pablo Hagemeyer ein Panorama der perfiden Spiele von Narzisst*innen, die ihren Opfern das Leben schwer machen. Er schildert, wie sie sich in Liebesbeziehungen immer tiefer in die Seele fressen, um das Objekt der Begierde wehrlos zu machen. Auch im Job manipulieren sie gewieft ihr Gegenüber, um das eigene Ego zu stärken. Von der Aufschlüsselung dieser komplexen Spiele handelt das zweite Buch des netten Narzissten. Psychiater und bekennender Narzisst Pablo Hagemeyer bietet entnervten Opfern Aufklärung, Anleitung zur Gegenwehr und die Hoffnung auf Selbstbestimmung. Jedes Beispiel mündet in einer Analyse der Beziehungsmuster und in einer konkreten Handlungsanweisung für die Betroffenen. So wird ihnen das Handwerkszeug gereicht, um sowohl privat als auch beruflich konstruktiv mit ihren ganz persönlichen Narzisst*innen umzugehen. Denn zu einem Spiel gehören immer zwei Seiten ...

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Zeit:7 Std. 20 min

Sprecher:Thomas Darchinger

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Drei Dinge im Leben, die man schwer aussprechen kann:

Es tut mir leid.

Ich brauche Hilfe.

Worcestershiresoße.

»Bevor ich ihn kennengelernt habe, war ich eine starke, selbstständige und temperamentvolle Frau. Er hat mich von sich abhängig gemacht. Am Ende hatte er mich so weit, dass ich überzeugt davon war, ich sei ein Nichts ohne ihn.«

»Mit viel Liebe hätte ich ihn vielleicht heilen können. Aber meine Liebe war schlicht nie genug.«

»Du bist für dich, dein Glück, deine Seele verantwortlich. Nicht dein Kerl. Nicht dein Therapeut. Niemand.«

»Das war keine Liebe, sondern Abhängigkeit. Ich war süchtig. Hatte Angst, alles zu verlieren. Wollte das alles wiederhaben.«

»Der Kerl tat mir leid. Ich dachte, ihm helfen zu können, zu heilen.«

»Die Abhängigkeit kommt durch Manipulation. Du willst das Tolle wiederhaben, das nur noch dann passiert, wenn du dich vollkommen unterwirfst.«

»Der große Irrtum ist, dass Narzissten nur sehr selbstbezogene Menschen seien. Die meisten Narzissten sind freundlich, geben sich uneigennützig, gern in hilfsbereiten Berufen. Und teilen dennoch aus. Das kapiert niemand. Ein Narzisst: Da stecken zwei drin!«

»Das Problem ist nicht der Narzissmus, sondern die Misshandlung!«

»Bei Misshandlung nichts überstürzen. Das macht Angst und Stress. Angst lähmt. Cool bleiben und aussteigen.«

»Und an sich arbeiten. Nicht an der eingebildeten Schuld. Sondern am Selbstwert. Am Respekt vor dir selbst!«

»Narzissten haben sich selbst verloren, sie können sich selbst nicht lieben.«

»Narzisstisches Verhalten ist eine Abwehrgeste, ausgelöst durch Unsicherheit, Bedrängnis oder Beschämung. Leicht reagieren wir extrem gekränkt, beleidigt oder wütend, wenn wir in unserem Selbstwert bedroht werden. Logisch, wer nicht?«

»Der Narzissmus anderer ist oft so anziehend, weil er verspricht, unsere eigenen inneren Löcher zu deckeln. Es lohnt, sich selbst zu reflektieren: Warum sehne ich mich nach jemandem, der mir die Welt zeigt, mich führt, der mir versichert, dass ich besonders und besser bin als andere? Eine Illusion, unsere eigene!«1

Inhalt

Narzissmus ist kein Schimpfwort.Narzissmus ist eine Form, wie wir Menschen funktionieren.

Kapitel 1: Das Spiel an sich

Die Wirkmächte in unserem Inneren

Unser Körper ist eine Stressbewältigungsmaschine.

Kapitel 2: Das Spiel um Autonomie

Anna und die Nähe

Der Konflikt um Autonomie und Bindung

Mechanik der Psyche

Ein passives Leben in der Bindung

Perfide Tricks in einer Beziehung

Bindung: großartig, aber unsicher

Lösung aus der toxischen Bindung

Kapitel 3: Das Spiel um Versorgung

Christina und die Sache mit dem Pflaster

Konflikt der Versorgung oder Unabhängigkeit

Die Falle

Komplexe Traumatisierung

War Christina krank?

Das Helfersyndrom umkehren und die eigene Toleranz korrigieren

Kapitel 4: Das Spiel um Macht

Hannelore und die Ohnmacht

Schweigen und Beziehung

Kontrolle und Unterwerfung im Alltag

Erfolg mit Macht

Halb wahr ist nicht ganz gelogen

Hauptsache, die Story hört sich gut an

Macht in Unternehmen: Toxic Leaders

Schlagen Sie zurück!

Methoden gegen Macht, Kontrolle und Bestrafung

Rückeroberung der Macht

Jetzt sind Sie dran: Befreien Sie sich aus der Opferrolle!

Treten Sie für Ihre Werte ein!

Ich bin wichtig.

Kapitel 5: Das Spiel um den Selbstwert

Frida lacht sich kaputt.

Beweislast

Erfolg hängt vom Selbstwert ab.

Der Rettungsversuch des eigenen Selbstwertes

Durchschauen und verstehen

No Contact oder was?

So wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus

Kapitel 6: Das Spiel um Identität

Emma und die Lebenslüge

Die Identitätskrise

Wer bin ich und wenn ja, welche meiner Freunde?

Gestalten Sie Ihre eigene Identität!

Wahren Sie Grenzen!

Fühlen Sie sich klein!

Wer zuletzt lacht – Exit-Strategie!

Kapitel 7: Das Spiel um Schuld und Scham

Baseline

Kontrollverlust und Gedächtnis

Verzerrungen, Verdrehungen und Verunsicherungen

Emotionale Erpressung

Scham und Schweigen

Scham, Verlustangst und Veränderung

Schuldprojektion, Sünde und das schlechte Gewissen

So lösen Narzissten Schuld- und Schamgefühle aus – wahre Geschichten aus meiner Praxis

Rosenkrieg oder doppeltes Spiel?

Unglaublich, aber leider wahr

Narzissmus beschämt, Schamwut befreit – befreien Sie sich aus dem Schuld-Scham-Sumpf.

Kapitel 8: Das Spiel um Empathie

Dominik und die Empathie-Lüge

Die narzisstische Not

Selbsterkenntnis und die Reise nach innen

Die Triangulierung als empathische Geheimwaffe

Interaktionsproblem

Aus? Und wieder Einsteigen

Kapitel 9: Das Spiel um Liebe und Sexualität

Trieb oder Ziel?

Sinnlichkeit und Sex-Appeal

Domenika und ihr Loverboy

Schutz vor dem Schrecklichen

Vorsicht bei der Partnerwahl

Moralapostel

Sex ist das eine – aber wie steht es um die Liebe?

Danksagung

Anmerkungen und Quellenverzeichnis

Narzissmus ist kein Schimpfwort. Narzissmus ist eine Form, wie wir Menschen funktionieren.

Narzissmus und narzisstischer Missbrauchsind zwei Paar Schuhe. Wer sich mit dem Thema Narzissmus auseinandersetzt, konfrontativ oder aufklärend, findet sich schnell in einem Spannungsfeld zwischen Opfern narzisstischen Missbrauchs und narzisstischen Tätern wieder.

Ich möchte niemals verharmlosen, was den Opfern narzisstischen Missbrauchs passierte und passiert. In meinem Bemühen, die ganze Breite des Themas zu erfassen, die unterschiedlichen narzisstischen Verhaltensmuster, die gelegentlich anspringen, oder die gefestigten narzisstischen Muster, die dauerhaft und zerstörerisch auf menschliche Beziehungen wirken können, wird mir von Aktivistinnen vorgehalten, Victim Blaming, Täter-Opfer-Umkehr und sogar den »Gaslicht-Effekt« zu nutzen. Das trifft mich, und es trifft nicht zu. Zumal ich selbst aktiv in der Opferhilfe engagiert bin und in der Aufklärung über toxische Führungskräfte auch wissenschaftlich arbeite. Was wiederum deren Widerstand auslöst, weil sie sich ertappt und wiedererkannt fühlen in den Veröffentlichungen, die meine Fachkollegen und ich verfassen, wenn wir über Toxic Leaders berichten. In einem Fall entanonymisierte sich sogar eine Führungskraft und attackierte die wissenschaftliche Abhandlung mit einem Klageverfahren.

Es gibt also Tretminen an beiden Fronten. Denn wir leben in einer merkwürdigen Zeit, in der einzelne Interessengruppen sich stark selbst legitimieren und das bekämpfen, was den Zusammenhalt der eigenen Gruppe – der Opfer und der Täter – gefährdet. Meinungen und Fakten werden gleichermaßen aus dem Weg geräumt, statt den Dialog zu suchen. In einer westlichen, demokratischen und wissenschaftlich denkenden Welt muss es jedoch möglich sein, so differenziert wie nur möglich über das komplexe Thema Narzissmus zu arbeiten, auch in Form von Anekdoten, Fallvignetten, Berichten, Abhandlungen und Büchern wie diesem, ohne von der einen oder der anderen Seite unter Beschuss zu geraten.

Allem voran stehen für mich die Aufklärung, Information und eine Kultur guter Kommunikation. Auch und besonders vor dem individuellen Leid, der Erfahrung und Wahrheit des Einzelnen. Sonst setzt sich die Spaltung fort zwischen den Lagern, wird tiefer, radikaler und degeneriert mehr und mehr zu einem Weltbild, wie ein Narzisst es sieht: aufgeteilt in zwei, die sich bekämpfen, weil sie unterschiedliche Meinungen haben, nur ihre Fakten sehen, verschiedene Rechtsansprüche geltend machen, alles einteilen in Gut und Böse, in Richtig und Falsch und in Schwarz und Weiß.

Das wirklich Böse aber liegt, wie Hannah Arendt sagte, im Banalen. Heute mehr denn je in der Verwirrung durch bewusst gestreute Halbwahrheiten und Unwahrheiten, die die größte Gefahr für unsere Gesellschaft darstellen. Schauen wir also genauer auf das Gewöhnliche in uns und wie wir miteinander umgehen; jede und jeder, soweit es zumutbar ist.

Um erlittene Verletzungen zu heilen, gibt es mittlerweile sehr gute Behandlungskonzepte, für Opfer narzisstischen Missbrauchs und auch für die Täter, von denen sich eine immer größere Zahl bewusst für einen korrigierenden Weg entscheidet.

Missbrauchsopfer werden leicht »getriggert«, und Narzissten reagieren »hyperallergisch«, wenn sie mit ihrer seelischen Verletzbarkeit konfrontiert werden. Es herrschen große Lagerkämpfe um Begriffe, die einer Seite zugehörig sind und der anderen zugeschrieben werden. Dabei muss uns bewusster werden, dass ein narzisstischer Täter oder ein Opfer narzisstischer Gewalt nicht synonym zu verwenden ist für stark selbstbezogene narzisstische Muster, die hin und wieder auftauchen, ohne einen deutlichen Wiederholungscharakter zu zeigen. Beide Lager müssen sehr behutsam mit ihrer Wortwahl umgehen, um nicht unfair zu sein, auch wenn sie selbst großes Unrecht erfahren haben.

Die Wissenschaft2 ist sich heute einig, dass Narzissmus kein starres Phänomen ist, sondern sich von einem »Stil« (maladaptive Akzentuierung) mit noch guter Verträglichkeit und vielen positiven Aspekten bis zu einer sehr seltenen, schweren Störung (Persönlichkeitsstörung) erstreckt und die Grenze zur Psychopathie (leicht bis schwer ausnutzend-impulsiv) überschreiten kann. Von der Norm abweichend betrifft uns alle ein narzisstisches Verhaltensmuster, das je nach Situation, eigener Not, genetischer Ausstattung und Hirnfunktion mehr oder weniger stark ausgeprägt ist.3 Wer narzisstisch ist, kann auch eher histrionisch (narz-/histriotypische Kombination bei Leuten wie mir!), paranoid, antisozial oder borderline sein. Dabei unterscheiden sich gesunde und selbstbewusste Verhaltensweisen der Selbstbehauptung von grenzüberschreitender Selbstbezogenheit, die zerstörerisch für andere ist. Am Narzissmus leiden also meist die anderen, dem Narzissten selbst geht es für gewöhnlich prima damit. Narzissmus ist sichtbar oder verdeckt, großartig (grandioser, dickhäutiger Narzissmus) oder verletzlich (vulnerabler, dünnhäutiger Narzissmus), männlich und weiblich, erfolgreich, erfolglos und gescheitert.4, 5, 6

In der populären Narzissmus-Debatte sollten wir daher sehr darauf achten, in welche Kisten wir andere Menschen packen, denn wer der Voreingenommenheit unterliegt und stigmatisiert, wird sich schwertun, eigens vorgenommene Kategorisierungen wieder aufzugeben oder zu korrigieren. Es ist die Aufgabe der Wissenschaft und deren geduldiges Streben, komplexes menschliches Verhalten in Fakten aufzuschlüsseln. Bringen wir also Geduld auf, denn es gibt berechtigte Hoffnung für beide Seiten, dass Therapie hilft und es eine Zeit nach der narzisstisch-missbräuchlichen Phase gibt, in der sich Opfer und Täter neu begegnen können.

Narzissmus-Typen: Die Wissenschaft ist sich fast einig – Narzissmus gibt es als Verhaltensmuster in vielen Variationen. Mal mehr, mal weniger. Allen gemeinsam ist die Hauptmotivation, irgendwie und ständig an Anerkennung zu kommen, egal ob sie sich dafür großartig, verletzlich oder selbstaufopfernd zeigen müssen. Richtig leiden kann nur die narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS), und diese ist damit die einzige Diagnose. Die NPS ist daher auch sehr selten, weil die meisten Narzissten kaum Leidensdruck spüren.

Kapitel 1

Das Spiel an sich

Jeder manipuliert. Mit Worten, mit Geschichten, mit seiner Persönlichkeit. Mit dem ganzen Wesen. Wer von sich behauptet, nicht zu manipulieren, lügt. Denn Manipulation ist Teil unserer Kommunikation. Sie ist sogar eine ziemlich normale und wirksame Strategie, um eigene Bedürfnisse zu erfüllen und persönliche Ziele zu erreichen.

Einfache Manipulationen sind leicht zu erkennen, etwa wenn das Kleinkind auf die Süßigkeiten an der Kasse zeigt und sagt: »Kennst du die? Die sind lecker, ich mag die total gern«, und sich davon erhofft, dass Sie zugreifen.

Je komplexer die Manipulationen sind, desto undurchschaubarer werden sie, und mitunter bleiben die Absichten dahinter verdeckt. Solche vielschichtigen Strategien nennen sich manipulative Spiele, deren verborgene Zwecke meist nutznießerisch sind. Sie werden missbräuchlich und gefährlich, wenn sie unmoralischen Zielen dienen und die manipulierende Person Fragen verfolgt wie: Wie schaffe ich es, einer Person das Geld aus der Tasche zu ziehen? Wie bringe ich jemanden dazu, für mich zu arbeiten? Wie gelingt es mir, Menschen wie Marionetten zu steuern? Ganze Bevölkerungsgruppen zu verführen?

Es gibt aber auch liebevolle Manipulationen, die dem Gegenüber nutzen, indem sie Antworten finden auf zugewandte Fragen wie: Wie bringe ich eine Person dahin, besonders großes Vergnügen zu spüren? Oder wie gelingt es mir, dass jemand bis zum Ende der Geschichte im Kinosaal sitzen bleibt?

Narzissten sagt man nach, dass sie Meister der Manipulation sind. Et voilà. Hier sind wir wieder.

Zur Manipulation gehören immer mindestens zwei Personen. Die eine, die das manipulative Spiel spielt, und die andere, die sich spielen lässt. Solange diese Spiele die Bedürfnisse der manipulierten Person ansprechen und befriedigen und sie nicht gewaltsam unterwerfen, ist nichts dagegen einzuwenden.

Was aber, wenn irgendwann die Nachteile überwiegen, das Unbehagen größer und größer wird, Leidensdruck entsteht? Na, dann beendet die betroffene Person das Spiel und gibt die Beziehung zum Manipulator auf. Oder nicht? So würde man denken. Erstaunlicherweise geschieht das jedoch nicht immer bzw. viel zu selten.

Es gibt Fälle, in denen manipulierte Personen in der Partnerschaft zu einem Narzissten verbleiben, obwohl sie massiv gegen ihre eigenen Bedürfnisse handeln und nur noch wie fremdgesteuert existieren. Manch eine betroffene Person erkennt sogar ihre eigene Abhängigkeit vom Gegenüber, vermag es aber trotzdem nicht, etwas an ihrer Situation zu verändern.

Menschen lassen sich oft den Kopf von den perfiden Spielchen narzisstischer Personen so sehr verdrehen, dass ihre Moral, ihre Werte und das, was sie einmal als Persönlichkeit waren, aufgeben, sich selbst verlieren und für ihre Angehörigen und Freunde nicht wiederzuerkennen sind. Andere umzudrehen in ihrer inneren Haltung und gefügig zu machen für die eigenen Zwecke – das sind die bösartigsten aller manipulativen Spiele.

Ihnen dabei zu helfen, sich vor diesen zerstörerischen Spielen zu schützen und sie nicht mitzuspielen, ist die Absicht dieses Buches. Aufzuzeigen, an welchen Stellen manipulative Narzissten ansetzen und welche Hebel Sie nutzen können, um sich dagegen zu wehren.

Denn der Narzisst ist gut darin, sich in die Spalten und Furchen der Seele seines Opfers einzuklinken. Hat er erst mal Zugang zu den inneren psychischen Konflikten, kann er sie aktivieren und durch ständiges Wiederholen seiner Manipulation am Laufen halten. Und dann spielt der Narzisst sein Spiel. Und Sie sind sein Spielball.

Der Narzisst nistet sich ein über eine überzeugende, stark emotionale, herrliche und fantastische Liebesbeziehung mit fantastischem Sex, die sich schleichend in die Hölle auf Erden verwandelt. Er erzeugt diese besondere Form der Intimität durch seine scheinbare, schillernde Größe, die im ersten Augenblick ein Faszinosum ist, dem die Opfer anheimfallen. Das wahre Gesicht zeigt sich erst später. Bis dahin lieben betroffene Frauen ihren Partner so sehr, dass sie alles Weitere in Kauf nehmen, voller Sehnsucht nach den tollen Momenten der Anfangszeit. Doch so groß die Hoffnung auch sein mag, dass sich eines Tages alles wieder zum Guten wenden wird – die großartigen Momente werden immer weniger und sind schließlich ganz vorbei.

Die wechselseitige Beeinflussung zwischen unterwürfigem Mitspieler und dominantem Spielmacher ist kompliziert, denn manchmal fordert die im Spiel unterlegene Person die zerstörerischen Absichten des Narzissten buchstäblich heraus, nicht absichtlich, sondern weil sie die im Narzissten wirksamen Mechanismen nicht kennt. So kann eine emotionale SMS oder eine »quengelige« und/oder unterwürfige Geste den Angriffsimpuls des Narzissten wecken, was keine Schuldzuweisung ist, sondern eine Tatsache, die es zu begreifen gilt, wenn man das Spiel stoppen will. Und manchmal, leider, provoziert auch der mutige Widerstand eine heftige narzisstische Täterreaktion, was in eine ungute Spirale des Vermeidens (Toleranz aufseiten des Opfers) und Gewalt führt. Das passiert auch souveränen Personen, die selbstbewusst im Leben stehen!

Heftige emotionale Regungen im Opfer narzisstischer Manipulation sind nachvollziehbar und verständlich, auch wenn sie die betroffene Person nicht selten als psychisch instabil erscheinen lassen. Obschon die Wut auf den Narzissten berechtigt ist, erscheint das Opfer in seiner ausgeprägten Reaktion Dritten plötzlich als völlig unglaubwürdig, und es ist nicht ungewöhnlich, dass nur sehr vertraute Personen die Wahrheit kennen. Doch selbst Anwälte der Opferseite oder Psychotherapeuten sehen sich oft mit einem Glaubwürdigkeitsproblem konfrontiert, wenn sie sich in einem Rechtsstreit für die Rechte und für die Gesundheit des Klienten einsetzen. Tatsächlich ist das Problem der Glaubwürdigkeit der Opfer so riesig, dass es hierzu weder solide Gesetze noch eine einheitliche Rechtsprechung, valide psychologische Tests oder eine Erfolg versprechende Strategie gibt.

Schlimmer noch, vor lauter Ahnungslosigkeit rückt lediglich das Offensichtliche und Einfache in den Fokus: eine Person, die schnell verwirrt ist, überfordert, nervös oder viel zu ruhig und still; ein psychisch kranker Mensch mit Boderlinemuster, chronischer Depression, Suchterkrankung, Dissoziation mit dem Auseinanderfallen psychischer Funktionen oder ganzer Persönlichkeitsanteile (Dissoziative Identitätsstörung – Näheres erfahren Sie in Kapitel 9: Das Spiel um Liebe und Sexualität), dessen Worte und Schilderungen größtes Misstrauen verursachen. Am Ende entscheiden mächtige Personen wie Richtende, Politiktreibende oder Führungskräfte aus einer Gemengelage aus Fakten, Meinungen, Annahmen, Einflüsterungen und subjektiven Gewissheiten, was das vermeintlich Beste für das Opfer eines narzisstischen Spieles ist (mehr dazu finden Sie in Kapitel 4: Das Spiel um Macht). Viel zu häufig wird dabei übersehen, dass hinter einem unglaubwürdigen Zeugen möglicherweise ein Mensch steckt, der das Opfer des zerstörerischen Spieles eines Narzissten ist.

Zwar gibt es Sachverständige, die vor Gericht aussagen und die die zugefügten Schäden beim Opfer als solche erkennen könnten, doch verfügt längst nicht jeder ausgewiesene Experte über den notwendigen Sachverstand. Was fehlt, ist eine Fortbildungspflicht in den Themen Narzissmus und Traumafolgestörungen. Wer die Literatur der letzten zehn Jahre nicht kennt, sollte als Sachverständiger nicht bestellt werden dürfen. Wer keine aktuelle Fortbildung in diesem Bereich vorzuweisen hat, fällt als Gutachter aus. Punkt.

Ich gehe sogar noch weiter und fordere ein Traineeprogramm für alle Personen, die in der »Versorgungskette« narzisstisch-traumatisierter Menschen arbeiten. Neben Psychiatern, psychologischen Psychotherapeuten, ärztlichen Therapeuten auch Sozialarbeiter, Polizei- und Kriminalbeamte, Anwälte, Staatsanwälte, Richtende, Politiker, Jugendamt-, Gesundheitsamt-, Arbeitsamtmitarbeitende, Angestellte in sozialen Einrichtungen, Lehrer, Betreuende, Schulpsychologen, Seelsorgende, Pfarrer, Eltern und Angehörige und so weiter und so fort. Es geht uns alle an. Ich könnte mir vorstellen (Achtung: Manipulation!), dass selbst Führungskräfte in Unternehmen und Personalwesen zwingend eine Fortbildung bräuchten!

Perfiderweise werden Sachverständige heute massiv in ihrer Glaubwürdigkeit angegangen, müssen penible Minimalvoraussetzungen ihrer Gutachten erfüllen, um die Gelegenheit zu erhalten, ihren Sachverstand fundiert darzulegen. Damit wird etwas zunächst Gutes, den Sachverstand von Experten einzuholen, durch den Angriff der gegnerischen Partei zerstört oder erschwert. Statt einen Konsens zu finden, geht es mittlerweile immer mehr darum, den anderen so schlecht und inkompetent wie nur möglich darzustellen, und längst haben sich die narzisstischen Schlachtfelder auf viel mehr Mitspielende als nur die anfänglichen zwei erweitert.

Für all diejenigen, die Opfer einer perfiden Einflussnahmesind, ist dieses Buch. Denn leider erwachen sie meist viel zu spät (wenn überhaupt) aus der Narkose, weil sie daran gewöhnt sind, von anderen geführt zu werden. Lange Zeit haben sie keine Ahnung, dass sie bösartig manipuliert werden, und tragen schwere seelische Verletzungen davon. Das darf nicht weiter geschehen. Es muss endlich Schluss sein mit zerstörerischen Worten und Taten und mit emotionaler, psychischer, körperlicher und sexualisierter Gewalt!

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Also, verändern wir, verändern Sie die Spielregeln!

Die Wirkmächte in unserem Inneren

Wem hinreichend klar ist, dass die menschliche Psyche einem Bauplan aus Bedürfnissen und Befürchtungen folgt, der ist auf eine eventuelle Einflussnahme durch einen narzisstischen Einflüsterer besser vorbereitet.

Dazu muss man wissen, dass in jedem von uns ein Wollen unserer Fähigkeiten und Begabungen, sich zu zeigen, steckt. Neugierde und Notwendigkeiten wollen sich realisieren. Diesen Kräften diametral entgegengestellt sind häufig viel lautere Befürchtungen und Sorgen, Ängste vor möglichen oder unwahrscheinlichen Bedrohungen. Wirkmächte, die unsere eigenen Bedürfnisse bezweifeln, zerstören und unmöglich machen, sodass wir uns selbst sabotieren, auch ganz ohne äußere Einflussnahme. Weil wir oft große Angst entwickeln vor den notwendigen Veränderungen, die uns richtig und wichtig erscheinen.

Anhand acht typischer narzisstischer Spiele erläutere ich Ihnen, wie der manipulierende Narzisst diese psychologischen Wechselspiele, die in jedem von uns wirken, für seine Zwecke nutzt. Außerdem zeige ich Ihnen, was Sie dagegen unternehmen können, um sich daraus zu befreien und Ihr „Selbst-Bewusst-Sein“ zu stärken.

Wenn Sie mit einem Narzissten zusammenleben, kennen Sie das vielleicht: Sie fühlen sich in Ihren Reaktionen oftmals wie ferngesteuert. Er sucht gezielt Situationen, in denen er sich besser darstellen kann, als er ist. Er nimmt Kritik und Feedback nur an, wenn es ihm passt. Er vermeidet es regelmäßig, schlecht wegzukommen, und er bestreitet jeden seiner Fehler. Zudem sagt oder tut Ihr Narzisst regelmäßig Dinge, um Sie abzuwerten; er sieht Sie mit diesem bestimmten Blick an, macht eine gewisse Handbewegung, und schon klickt in Ihnen ein Schalter, und Sie reagieren, wie Sie immer reagieren – ob Sie wollen oder nicht.

Wichtig: Sie können nichts dafür!

Jeder von uns entwickelt im Laufe seines Lebens Verhaltensmuster und Reaktionsweisen, um mit Stress und Problemen umzugehen. Der Narzisst hat seine narzisstischen Muster, und Sie haben Ihr dazu passendes Verhalten entwickelt. Beides wird geübt, durch Versuch und Irrtum, bis es funktioniert, und es funktioniert bis heute. Für beide gleichermaßen! Manchmal auch gegen den eigenen Willen, so sehr sind diese antrainierten Verhaltensweisen in unser Alltagsverhalten übergegangen.

Diese lang gelebten Muster sind Notfallprogramme, kleine und größere Überlebensstrategien, um emotional und psychisch durchzukommen. Man könnte auch sagen, sie sind wie ein Spiel, das jeder von uns spielt. Und der Narzisst spielt seins sehr überzeugend! Anstatt neue, heutige Probleme, wie sie JETZT auftreten und JETZT da sind, mit neuen und besseren Verhaltensmustern, neuen Spielregeln sinnvoll und vernünftig zu lösen, reagieren wir oft mit den alten, in uns gespeicherten Reaktionen, die früher bestens funktioniert haben, nur leider mit dem gegenwärtigen Stress nicht kompatibel sind, nicht immer helfen und uns sogar schlimmstenfalls nur erschöpfen oder blockieren. Weil wir darin wie gefangen sind. Eine sich ankündigende Bestrafung oder Druckerhöhung erinnert an vorherige traumatische oder zumindest sehr belastende Erfahrungen und löst das alte Notfallprogramm aus.

Werden diese alten Verhaltensmuster von jemandem gezielt losgetreten, arbeiten unsere eigenen Programme plötzlich gegen uns – ein Spiel, das der manipulierende Narzisst bestens beherrscht. Er beobachtet Sie, studiert Ihre Verhaltensweisen und beginnt früher oder später damit, die entsprechenden Knöpfe zu drücken (ein konkretes Fallbeispiel finden Sie in Kapitel 3: Das Spiel um Versorgung). Spielt der Narzisst erst auf, dann rührt das auch an körperlich gespeicherte Erinnerungen. Manchmal sogar an uralte Körperreaktionen, die mehr schaden als helfen. Denn eigentlich gibt es bessere Lösungswege, die Ihnen bloß nicht einfallen wollen, weil das gewohnte Muster so fest und tief in den Knochen sitzt. Die alten Verhaltensweisen verhaften Sie in der Vergangenheit, obschon Sie sich in der Gegenwart befinden. Das verwirrt. Macht Sie verrückt. Und spielt dem Narzissten in die Hände.

Unser Körper ist eine Stressbewältigungsmaschine.

Ein wahres Wunder! Das Gehirn löst ständig Probleme, es denkt und nimmt wahr, trifft Entscheidungen und handelt. Allerdings funktioniert der bewusste Verstand nur, wenn die Hirnrinde aktiv ist, beim Problemlösen vor allem die Bereiche des vorderen Stirnhirnes.

Leider schaltet sich dieser Bereich in Hochstressphasen der Furcht aus, und das tiefer gelegene animalische Gehirn, das sogenannte limbische System, übernimmt die Regie und aktiviert zutiefst ursprüngliche Prozesse wie Erstarren, Kampf, Flucht, Totstellreflex und Ohnmacht. Sinnvolle Reaktionen, wenn man in bedrohliche Situationen gerät und es Leib, Leben und Psyche zu schützen gilt.

Ein drittes System, das in der modernen Psychotherapie immer mehr Bedeutung findet und sich um die unbewussten Vorgänge in unserem Körper kümmert, ist das vegetative Nervensystem, bestehend aus Sympathikus und Parasympathikus. Letzterer ist für die Entspannung zuständig und schaltet sich, Sie kennen das, jeden Mittag nach einer kalorienlastigen Mahlzeit ein. Der Sympathikus hingegen ist für die körperliche Aktivität zuständig und zündet Ihren Tatendrang.

In diesem zweigeteilten vegetativen Nervensystem sind die körperlichen Reaktionsweisen, die sich in der Vergangenheit bewährt haben, eingespeichert und laufen automatisch ab, um Energiereserven zu aktivieren oder um Energie zu sparen, was Ihnen dabei hilft, stressige Situationen zu meistern – ganz gleich ob der Stress von einem manipulativen Narzissten oder von einem Tsunami ausgelöst wird. Treffen katastrophale Dinge ein, folgen die körperlich und psychisch eingespeicherten Reaktionen immer demselben Pfad und speichern sich, wenn der Stress langfristig besteht und niemals nachlässt, tief in diesem »Körpergedächtnis« ein.

Beispiel eins: Ihr Parasympathikus wird verjagt.

In Ihren Leben ist vieles gemütlich betäubt und angenehm. Sie ruhen in sich. Eine provozierende Nachricht trifft ein, eine SMS von Ihrem Lieblingsnarzissten, deren Inhalt das alte Stressbewältigungsprogramm in Ihnen auslöst. Eine innere Stimme wird laut und sagt Dinge wie: »Ich bin schuld, ich schaffe es nicht, was soll ich nur tun …« Ihr Puls beschleunigt sich, Unruhe steigt in Ihnen auf, Ihre Muskeln verspannen sich. Der Sympathikus springt an und treibt Sie in Maximalstress. Sie machen sich sofort daran, dem Auftrag der SMS zu entsprechen, in Ihrem Kopf kreisen die Gedanken, Sie werden fahrig und spüren Impulse, denen Sie kopflos nachgeben.

Wenn das ständig geschieht, werden Sie irgendwann verzweifeln und ausbrennen.

Beispiel zwei: Ihr Sympathikus wird betäubt.

Sie sind flott unterwegs in Ihrem Leben, treiben viel Sport, erledigen Ihre Aufgaben pünktlich. Sie sind sehr kommunikativ. Es macht Ihnen Spaß, aktiv zu sein. Auch Sie erhalten eine provozierende SMS Ihres Lieblingsnarzissten. Sofort beenden Sie Ihre Aktivitäten und verfallen in eine Schreckstarre. Ihr Parasympathikus fährt hoch. Hinein in eine Schwere und Langsamkeit. Eine bleierne Müdigkeit legt sich über Sie, und Sie verspüren weder Freude noch Interesse an irgendwas. Stattdessen herrschen völlige Lustlosigkeit und Apathie in Ihnen. Durch Ihr Gehirn schwirren ängstliche Gedanken. Sie fürchten sich davor zu scheitern, zu versagen, ausgestoßen oder verlassen zu werden. Nachfragen von Arbeitskollegen und Freunden lassen Sie verhallen. Oder Sie beschwichtigen und wiegeln ab. Der Gedanke, erledigt zu sein, beherrscht Sie.

Geschieht Ihnen das regelmäßig, werden Sie genauso verzweifeln und depressiv.

Beide Beispiele zeigen, wie unterschiedlich Personen auf Stress und Druck reagieren, entweder durch Hyperaktivierung oder durch Selbstbetäubung. In beiden Fällen reagiert Ihr Stresssystem automatisch, sodass Sie lernen müssen, damit umzugehen, um ein gutes Mittelmaß in Ihrer Reaktion zu finden.

Bei einer Überforderung psychisch zu erstarren, kann sinnvoll sein, um sich zu orientieren, um nicht aufzufallen oder um den Stress auszuhalten, wenn sich die Situation augenblicklich nicht verändern lässt.

Viele von uns kennen solche Hochstressphasen, die nur mit Erstarrung bewältigt werden können, aus der Kindheit, und hat sich diese Reaktion damals als Überlebensstrategie bewährt, lähmt Sie dieses alte Muster der Erstarrung bis ins Erwachsenenalter und lässt dem Narzissten freie Bahn, alles mit Ihnen zu machen, was er oder sie will.

Befreien Sie sich, indem Sie sich klarmachen, dass in so einem Augenblick nur Ihr altes, wenig kompetentes Muster anspringt. Sobald Sie die narzisstischen Verstrickungen, in denen Sie stecken, erkennen und kluge Gegenmaßnahmen ergreifen, schaltet sich Ihre Hirnrinde wieder ein und löst Sie aus dem kunstvoll gewobenen Netz.

Was Sie brauchen, ist ein neues Verhalten, passgenau zugeschnitten auf die aktuelle Situation. Fast jeder ist in der Lage, seine alten Muster zu durchbrechen und neue zu etablieren. Das geschieht auf mehreren Ebenen: kognitiv durch Gedanken der Akzeptanz und Einsicht, emotional durch Bereitschaft und Willenskraft und körperlich, also tiefer im Psychovegetativum, durch gelebte Erfahrung. Das ist das Ziel jeder guten Psychotherapie – holen Sie sich Hilfe auf diesen drei Ebenen Ihres Lebens! Denken, fühlen und handeln! Veränderung der erlernten Verhaltensmuster im Umgang mit alten Geschichten ist möglich!

Die gedanklichen, emotionalen und körperlichen Gegenmaßnahmen zum perfiden narzisstischen Spiel finden Sie in diesem Buch. Am Ende, so hoffe ich, sind Sie besser vorbereitet und verfügen beim nächsten Mal, wenn der Narzisst versucht, Ihr Notfallprogramm auszulösen, über ein paar mehr Handlungsmöglichkeiten, als nur zu erstarren. Es wird Ihnen gelingen, ein für sich gesünderes Handeln zu finden, der manipulative Narzisst wird an Einfluss verlieren und immer weniger lenken und beeinflussen können, was Sie seiner Meinung nach tun und lassen sollen. Langfristig wird der narzisstische Einflüsterer keinen Ansatzpunkt mehr in Ihnen finden. Sie werden Ihr Selbstbewusstsein stärken. Sie werden frei und Sie selbst sein.

Sie entscheiden, wann das Spiel aus ist. Denn es ist erst aus, wenn es aus ist.

Kapitel 2

Das Spiel um Autonomie

Seit dem Erfolg meines Buches Gestatten, ich bin ein Arschloch plagte mich eine gewisse Sorge, dass Carlota und ich als Paar die dort beschriebene narzisstische Art, miteinander zu leben, beibehalten müssten. Die Lesenden erwarteten es von uns. Noch verdrehter, wir dachten, dass sie es von uns erwarteten. Und verhielten uns dementsprechend. Ständig kokettierten wir damit, wer narzisstischer wäre. Narzisst. Klang wie ein Schimpfwort. Immer noch. Dabei wollte ich mit Gestatten, … doch eigentlich die Schattenseiten dieser Charaktereigenschaft beleuchten.

Trotzdem spielten wir das Spiel weiter, wer toller sei. Kaum entdeckte Carlota etwas großartig Narzisstisches an mir, benannte sie es, und ich fühlte mich immer wieder ertappt. Als Reaktion provozierte ich gewisse Dinge, um umgekehrt sie als verkappte Narzisstin zu überführen. Sie konterte: Das habe sie alles von mir gelernt, sie treffe keine Schuld, und sie kümmere sich nun um sich selbst, statt sich ihren Kopf über mich zu zerbrechen. Es gehe ihr gut damit.

Da war es wieder. Sie stahl sich aus der Verantwortung, wies sämtliche Schuld von sich, schob alles mir in die Schuhe. Immerhin konnten wir darüber lachen und die Anspannung ableiten, die dabei entstand. So lief unser Spiel, und irgendwie machte es Spaß.

Zu meinem Glück kam 2020 die Pandemie, und der Ehe-Vertiefungskurs bei Johannes, unserem Paartherapeuten, fiel aus. Bis auf Weiteres keine Termine mehr. Das tat mir irgendwie gut, obschon ich wusste, dass noch mal in so eine Nabelschau zu gehen, sinnvoll gewesen wäre, um endlich abzugleichen, wie ich dachte zu wirken und wie ich wirklich wirkte.

Stattdessen betrachtete ich wie gewohnt nur die Menschen um mich herum. Meine Klienten. Meine Kollegen. Auch meine Frau. Pardon, die Frau an meiner Seite. Ich meine es nicht so besitzergreifend, wie es klingt. Es ist die Sprache, ich bin frei von Schuld! In jedem von uns gibt es dieses Bedürfnis nach Bindung an einen anderen Menschen. Narzissten missverstehen das. Sie nehmen sich Menschen und machen sie sich zu eigen, Menschen gehen in ihren Besitz über. So stillen sie ihre Sehnsucht nach Anerkennung. Allerdings verwechseln sie das Objekt ihrer Bindungssehnsucht mit etwas Verfügbarem. Narzissten merken nicht, dass Menschen in ihrem Umfeld lebendig und eigenständig sind oder zumindest sein wollen oder können. Das schafft Probleme.

Wie im Fall von Anna.

Anna und die Nähe

Anna war jung, hübsch und fand an einem regnerischen Herbsttag zu mir in die Praxis. Sie wirkte ratlos und verwirrt, hängte ihren Mantel zunächst in der Garderobe auf, um ihn dann doch mit ins Sprechzimmer zu nehmen, wo sie ihn über ihren Knien ausbreitete, um an den Ärmeln herumzuspielen. Sie sprach leise und zögerlich. Ihr Blick huschte durch den Raum oder klebte an ihren Händen, die auf ihrem Schoß gefaltet auf ihrem Mantel lagen.

Es war offensichtlich, dass sie eine Schutzmauer aus Angst und Scham um sich errichtet hatte, durch die ich nicht sofort drang. Ich gab mich vertrauensvoll, empathisch und sagte, sie könne sich hier geschützt und willkommen fühlen.

Es dauerte, doch schließlich fing sie an, von ihrer Beziehung zu erzählen, deren desaströser Verlauf sie zu mir geführt hatte.

»Es fing toll an, mein neuer Freund Andreas hofierte mich regelrecht, holte mich mit einem geliehenen Sportwagen von zu Hause ab, zum Champagner- und Kaviarfrühstück. In einer überfüllten Pizzeria stellte er sich plötzlich auf seinen Stuhl und verkündete laut: ›Schaut her, schaut euch diese tolle Frau an! Das ist Anna, meine Freundin – ist sie nicht großartig!?‹« Ein kleines Lächeln huschte über Annas Gesicht, als sie daran zurückdachte. Rasch verschwand es wieder.

Nach einer Weile habe Andreas begonnen, auch ihre Mutter zu umgarnen. Er umwarb sie mit Blumen und Komplimenten, dachte sich ständig etwas Neues aus, gab den perfekten Schwiegersohn.

»Er war wie eine Sprungfeder, die immer in Bewegung ist und nicht ruhig sein kann.«

Irgendwann zogen sie zusammen, renovierten die neue gemeinsame Wohnung. Er ließ ihr freie Hand bei der Gestaltung, es wurde hübsch. Alles war perfekt.

»Aber das blieb es nicht«, stellte ich fest, als das Leuchten, mit dem Anna von dieser Zeit erzählt hatte, aus ihrem Gesicht verschwand und sie mehrmals tief seufzte.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Blieb es nicht.«

Andreas stellte Anna seinen Kumpels vor, präsentierte seine hübsche Freundin und nahm sie mit zu den gemeinsamen Aktivitäten.

»Wir waren so viel unterwegs, dass keine Zeit für meine eigenen Freunde blieb. Aber … ich wollte Andreas nah sein und meine Zeit mit ihm verbringen. Also vernachlässigte ich meine Freunde. Hing nur mit seinen herum.« Sie knibbelte am Saum ihres Mantels. »Irgendwann hab ich mich doch mal wieder selbst verabredet. Andreas kannte ihn, einen ziemlich attraktiven Kommilitonen, mit dem ich früher manchmal was unternommen habe. Wir hatten uns lang nicht gesehen, und ich hab mich abends allein mit ihm getroffen, um mal wieder zu quatschen. Als ich nach Hause kam und Andreas davon erzählte, brüllte er mich an und zerschlug vor lauter Wut einen Stuhl. Ich … ich hab mich so erschrocken, dass ich mich tatsächlich mit keinem anderen Mann mehr getroffen habe, obwohl das Treffen ja völlig harmlos war. Auch mit meinen Freundinnen hab ich mich nicht mehr verabredet, er mochte die nicht so, also haben wir uns nur mit Leuten aus Andreas’ Clique getroffen, und immer gemeinsam. Mir ist das zuerst gar nicht so aufgefallen, aber … na ja. Zu vielen von meinen eigenen Freunden habe ich dadurch den Kontakt verloren.«

»Was ist mit Ihren Hobbys?«, fragte ich, eine Vermutung im Hinterkopf, die sich sogleich bestätigte.

»Meine Freizeit verbrachte ich mit den Aktivitäten der Clique, eigene Hobbys vernachlässigte ich.« Anna zuckte mit den Schultern, als wolle sie sich entschuldigen. »Ich wollte vieles in Ruhe machen, musste mich aber immer beeilen, weil Andreas so viel vorhatte. Ständig gab es neue Termine, Pläne, wie der Abend laufen sollte. Anfangs hab ich auch manchmal etwas vorgeschlagen, aber jedes Mal hatte Andreas dann schon eine andere Idee. ›Lass mich mal machen‹ – das war einer seiner Lieblingssätze. Das ging die ganze Zeit so. Ich hatte total Sozialstress und wollte und konnte mir keine Gedanken zu mir selbst machen. Oder zu dem, was ich gern gemacht hätte.« Wieder ein Schulterzucken und Geknibbel am Mantel. »Das merkte ich aber erst später.« Sie erzählte von einer Bronchitis, die sie gehabt habe, mit Schmerzen in der Lunge, weshalb sie eine Abendunternehmung absagte. »Andreas wollte unbedingt, dass ich mitkomme, aber ich konnte einfach nicht und bat ihn, bei mir zu bleiben, damit wir den Abend für uns hätten. Er war total sauer und ist allein gegangen. Und ich hatte ein megaschlechtes Gewissen.«

»Weil Sie das Gefühl hatten, ihn zu enttäuschen?«

Anna nickte. »Ja. Ihm sind die Verabredungen mit seinen Freunden absolut wichtig. Und auch, dass ich mitkam. Das hatte ich ihm an dem Tag aber ruiniert.«

»Sie waren krank.«

Anna schwieg.

In einer kommenden Sitzung streiften wir ihr Sexualleben, und das Muster, das sich bereits deutlich abgezeichnet hatte, setzte sich fort – um ihrem Freund zu gefallen und ihn bei Laune zu halten, verleugnete Anna eigene Bedürfnisse.

»Andreas hatte so bestimmte sexuelle Wünsche«, formulierte sie es. »Na ja, ich steh da heute noch nicht drauf. Aber für ihn und für die Beziehung hab ich es getan, obwohl ich gern was anderes probiert hätte.« Sie seufzte. »Einmal hat er nicht so gekonnt, wie er wollte, da habe ich kurz gelacht. Das hat ihn sehr beschämt, und er war total wütend auf mich. Ich hab versucht, ihn zu trösten, aber er schob mich weg.«

Ich wollte wissen, was sie mit »wegschieben« meinte, und fragte, zugegebenermaßen recht suggestiv: »Hatten Sie Angst vor Andreas?«

Anna wirkte nachdenklich. Zögerte.

»Wissen Sie, Anna«, sagte ich, nachdem sie zu keiner Antwort ansetzte. »Männer haben große Angst davor, von Frauen ausgelacht zu werden.« Ich ließ eine kleine Pause. »Frauen hingegen fürchten sich davor, von Männern totgeschlagen zu werden.«

Annas Blick kehrte sich nach innen, und es dauerte eine Weile, bis sie murmelnd das Thema wechselte. »Irgendwann fing er an, darauf zu bestehen, dass ich sexy Kleider trug, die er für mich aussuchte. Komische goldene Röcke und so was. Ich hätte so eine tolle Figur und müsse das zeigen, alle Frauen wären neidisch auf mich. Also trug ich Miniröcke und enge Oberteile, in denen ich mich unwohl fühlte, und war selbst neidisch auf die anderen Frauen, die Jeans anhatten. Am Ende wusste ich gar nicht mehr, was mein eigener Stil war.« Annas Stimme war nur noch ein schamvolles Flüstern. Und als dürfe sie das Gesagte nicht so stehen lassen, weil es ihren Freund in einem fragwürdigen Licht zeigte, fügte sie hinzu: »Aber bei der Vorbereitung auf meine Abschlussprüfung war Andreas eine riesige Hilfe! Er war richtig gut und trieb mich voran, am Lernstoff zu bleiben und mir einen Job zu suchen.«

Unvermittelt brach sie in Tränen aus und schluchzte. Ich reichte ihr eine Box mit Papiertaschentüchern und ließ sie ein paar Minuten einfach weinen.

Bei den folgenden Terminen erzählte Anna, wie ihr Leben an Andreas’ Seite sich entwickelte. Sie fand einen Job in einer Unternehmensberatung, mit starrer Hierarchie und vielen, vielen selbstbewussten Männern, die rasch erkannten, wie leicht sich Anna lenken ließ. Trotzdem lebte sie für den Job, verbrachte die Freizeit mit Andreas’ Freunden und zahlreichen Partys. Die Tage folgten festen Ritualen, die er vorgab. Trafen sie sich mit anderen, bestimmte er das Gespräch.

»Ich habe nie gefühlt, was ich will«, resümierte Anna. »Was ich bin. Wozu ich Lust habe. Ich habe nicht mal gemerkt, dass ich aus der Beziehung rauswollte. Wenn ich etwas falsch machte, war er gleich wütend. Außerdem gab er mir ständig zu verstehen, dass er sich Frauen geradezu aussuchen könne, wenn es mit uns nicht funktioniere. Da hatte ich totale Angst, ihn zu verlieren. War völlig betäubt. Ferngesteuert. Es war nicht mein Leben.«

Die Gefühle, die Anna beschrieb, sind typisch für Beteiligte an narzisstischen Beziehungen. Der Narzisst übernimmt die Regie, und die Partnerin (oder umgekehrt) übergibt sich dieser Steuerung aus dem Bedürfnis heraus, die Nähe des Partners nicht zu riskieren. Angst, in diesem Falle Angst vor Abwendung, ist eine starke Triebfeder, die eine eigenständige Befreiung dauerhaft blockieren kann.

Anna hatte Glück. Ihr kam der Zufall zu Hilfe. Bei einem Musicalbesuch mit einer Freundin aus Andreas’ Clique lernte sie einen Schlagzeuger kennen und war sofort »blitzverliebt«, wie sie es nannte. Als Andreas kurze Zeit später für zwei Wochen beruflich unterwegs war und sie nicht mehr täglich mit Ritualen und vorgegebenen Verabredungen an sich binden konnte, kehrte das Leben in Anna zurück, und sie traf sich mit dem Schlagzeuger.

»Als Andreas zurückkam, hab ich ihm das sofort gesagt. Ehrlichkeit ist wichtig für mich«, sagte sie. »Ich hätte ihn nie anlügen können.«

Zähneknirschend erlaubte Andreas seiner Freundin ein weiteres Treffen mit dem netten Trommler. »Ich sollte ihm aber nicht zeigen, was ich für den anderen trug, und schnell verschwinden.«

»Was zogen Sie an?«

»Was ich wollte, keine Ahnung. Vielleicht war es sogar eine Jeans.« Anna lachte und fuhr fort: »Ich verbrachte einen Abend mit dem Schlagzeuger, der mich auf einen Zitronentee zu sich einlud, was dazu führte … na ja, dass ich bei ihm landete und wir Sex hatten.«

Um fünf Uhr in der Früh klingelte und hämmerte es an der Wohnungstür Sturm. Draußen stand Andreas, der Anna mit Schimpfwörtern überhäufte, kaum dass sie geöffnet hatte.