Verachtung - Pablo Hagemeyer - E-Book

Verachtung E-Book

Pablo Hagemeyer

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Beschreibung

In seinem dritten Buch geht Bestsellerautor Pablo Hagemeyer dem Ursprung des bösartigen Narzissmus auf den Grund. Er erklärt anhand konkreter Fallbeispiele aus der psychiatrischen Praxis, wann und wie aus einem narzisstischen Charakter ein*e bösartige*r Narzisst*in wird. Da ist die Frau, die schon als Baby die verachtenden Blicke und den nonverbalen Liebesentzug ihrer Mutter spürte. Das wirkt sich wiederum auf die Beziehung zu ihrem späteren Partner aus. Oder ein Mann, der abwertend und kalt agiert, weil er selbst als Kind ausgegrenzt und verachtet wurde. Auch seine eigene narzisstische Seite stellt Dr. med. Pablo Hagemeyer wieder auf den Prüfstand. Und er gibt Hoffnung, denn er weiß: Jede*r hat die Möglichkeit, sich zu verändern. Gekonnt verknüpft der Experte anschauliche Beispiele mit fachkundigen Erklärungen und gibt ganz konkrete Tipps, wie man mit bösartigen Narzisst*innen umgehen und das Bösartige aus dem eigenen Narzissmus vertreiben kann.

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Seitenzahl: 302

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Inhalt

Zu Beginn: Im Störfeld narzisstischer Verachtung – wir können uns hier behaupten

Verliebt, verlobt, verachtet: Hannah und Hans

Desinformation: Was für Doppelgesichtige

Mit Kraft und Macht gegen Verachtung

Nachgedacht: Das Boomen des Bösen

Erste Schwelle: Gewalt in der Sprache

Fantasielose Desintegration des Selbst

Einen Schuss hat man frei! Und zwar nur diesen einen!

Das Ringen von Dominanz und Freundlichkeit

Hans lässt sich nicht in die Karten schauen

Bliss: Leben, wofür man brennt

Entwicklung mit Gewinn und Verlust

Wie »knacke« ich den Narzissten?

Narzisstische Angst im Bösen

Übung für eigene narzisstische Ängste

Opfer-Täter-Retter-Angst-Durcheinander

Weniger Drama, Babe! Das Drama-Dreieck – revisited

Verschreckt: Wie Hannah groß wurde

Kindliches Bindungsverhalten suboptimal

Elterliches Versorgungsverhalten suboptimal

Das Falsche gelernt und mit Verachtung gestraft

Die Entschlüsselungstechnik einer Liebesbedürftigen

Überforderung: Grund für Aggression und Verachtung

Scheinlösung für ein Scheinproblem: Du störst!

Die Persönlichkeitsstörung nicht stören!

Allmählich zeigen sich die Unterschiede

Missbrauchtes Bindungsverhalten geht in Verachtung über

Angegriffen: Hans schlägt zurück

Narzisstischer Traum trifft auf harte Realität

»Sag mir, dass ich wichtig bin!«

Durchstarten mit weißer Psychopathie

Narzissten spalten, wo sie können

Projektive Identifikation: Narzissten spalten auch Sätze

Empathie und Telepathie: Im Störfeld des Narzissten

Das innere Kind kann auch ein Arschloch sein

Neun von zehn finden Mobbing völlig okay

Justiziable Beleidigungen im Stahlgewitter des Angriffes

Zerfallen: Hannah auf der Flucht

Rosa verklärte Erwartungen

Hannahs trübe Perspektiven: Hans’s way, or the Highway

Lügen vor Gericht

Auf, auf! Lasst uns die Kinder schlachten!

Verachtungsorgie im Gerichtssaal

Lösungsansätze für eine faire Rechtspraxis

Janusköpfigkeit vor Gericht: Suggestion wirkt

Unterhaltsstreit unterhaltsam: Alles Narzissten hier!

Hannahs Ich zerfällt beinahe: Verdeckter Narzissmus?

Selbstempathie kontra Verachtung

Wie Marmelade an die Wand nageln?

Dimensionen der Emotion

Mein Emotionsprofil optimieren

Die Sache mit der Aufmerksamkeit

Zeit für radikale Ehrlichkeit

Verwundet: Anpassung bis zur Selbstverachtung

Das System Hans und Hannah dekompensiert psychotisch

Zeitgleich dekompensiert Hans

Liebe und andere Lockmittel

Traumaüberlebende, die unter Verachtung und Selbstverachtung »leiden«

King David: Borderlinestruktur im Narzissmus

Nach außen Liebe und nach innen Angst

Wenn Stärken zur Sicherheitslücke werden

Raus aus der Hirnwäsche

Hannah verlässt ein narzisstisches System

Gefloppt: Aufgeben und neu anfangen

Hannahs Dreifaltigkeit

Die tiefergehende Sitzung

Disso? Isso! Dissoziative Phänomene bei Opfern und Tätern

Missbrauch und Missachtung des Traumas

Inneres Kind und Traumata: Wir sind alle verwundet

Der Planet Mensch: Das Schalenmodell der Psyche

Die Einschlagshypothese: Krater und Verschmelzungen

Narzissmus: Zwei Versuche der Traumabewältigung

Ninos Wunde: Hinter seinem Lachen sitzt der Terror

Ninos Revanche: Narzissmus als komplexe Traumafolgestörung

Die Verbrecher von morgen wachsen ohne Liebe auf

Wellenbrecher: Umgang mit dem narzisstischen Prinzip

Fragen an unsere Kindheit: Großartig oder verletzt?

Typisches Kinder-Verhalten bei narzisstischen Eltern

Das fein austarierte Selbstwertgefühl entkoppeln

Eine Stunde mit Milton

Das narzisstische Prinzip heilt nie die Wunde

Mezzo mix goes true love

Hans und David im Darknet: Täterarbeit ist Opferschutz

Mutig im Darknet

Mutig im Park

Zum Schluss: Gestört, genervt und gerettet durch Selbstrespekt

Juristische Hinweise

Danksagung

Anmerkungen und Quellen

 

 

Triggerwarnung

Dieser Text enthält explizite Schilderungen psychischer und physischer Gewalt. Die Inhalte können belastend oder retraumatisierend auf Leser*innen wirken.

Zu Beginn: Im Störfeld narzisstischer Verachtung – wir können uns hier behaupten

Wenn Sie mit Persönlichkeitsstörungen und schwierigen Menschen zu tun haben, sollten Sie eines wissen: Es wird stören. Auf doppelte Art sogar: Sie werden sich von der Persönlichkeitsstörung gestört fühlen, und Sie werden die Persönlichkeitsstörung stören. Das Leiden ist damit auf beiden Seiten.

Machen Sie sich auch klar, wenn Sie das Störfeld betreten, dass die Störung stört und nicht die Person. Die schwierige Seite eines Menschen stört. Möglicherweise weiß die andere Person nicht, dass sie eine störende Seite hat. Sie fürchtet möglicherweise sogar, aufgrund ihrer schwierigen Seite als Mensch abgelehnt zu werden, was die Sache noch schwieriger macht. Seien Sie behutsam und klar, wenn Sie anfangen zu stören.

Sie stören, weil Sie das Störfeld der schwierigen Person betreten – ein Spannungsfeld, das sich um die Persönlichkeit herum bildet. Dieses Störfeld, so sehr es auch stört, macht Sinn. Es wird zu etwas gebraucht. Nur wofür? Welchen Zweck hat es? Wozu dient es? Zum Schutz. Auch wenn man das als Außenstehender nicht immer versteht: Diese Person versucht, sich zu schützen vor dem, was sie bedrängt.

Das Störfeld ist die Kontaktzone zu anderen Menschen, hier wirken Projektionen und Spaltungen hinein. Hier herrschen Idealisierungen und Abwertungen. Dieses Feld hilft bei der Regulation des Selbstwertgefühls. Denn alles, was dem narzisstischen Selbst wichtig ist, ist daran gekoppelt: Status, Sachen und Sex schmücken und nähren das Selbstwertgefühl des Narzissten. Eine Falle, die das Selbstwertgefühl wie einen Aufzug hoch- und runterfahren lässt. Es wirkt, als wolle die Person etwas der ganzen Welt beweisen, denn nur in der Überhöhung fühlt sich das narzisstische Selbstwertgefühl gut an. Wer hier nicht mitspielt, wird abgestraft. Dann zeigt sich die Schattenseite der Person mit einer geballten Ladung Abfälligkeit. Denn auch über die Abwertung des anderen überhöht sich der Narzisst.

Warum gibt es dieses Störfeld? Weil eine Wunde im Zentrum dieser Persönlichkeit einen tiefen Spalt gerissen hat. Eine Aufspaltung in zwei Seiten. Auf der einen Seite liegt alles Schwache und Verletzte, und auf der anderen Seite liegt alles Großartige und Starke. Das Gute und Richtige wurde auf die eine Seite gerettet, um das Böse und Falsche auf der anderen Seite zurückzulassen. Das Schlechte wird verächtlich abgewertet, damit auf das Konto der Selbstüberhöhung eingezahlt wird. Stilvoll ist das nicht.

Bei einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung läuft manches stillos ab. Das Schwierige umgibt das Selbst. Ob als Persönlichkeitsstil oder gelegentliche Störung: Narzisstische Verachtung schützt die störende Person vor dem Zugriff der Außenwelt, vor dem Zugriff der anderen. Diese Schutzpersönlichkeit schützt im Zweifel auch vor der eigenen beißenden Innenwelt. Vor zerstörerischen, heftigen inneren Reizen und emotionalen Reaktionen, die einen überschwemmen und nicht ausreichend gut abreagiert (reguliert) werden können.

Narzissmus ist auch ein Mythos. Ein gesellschaftliches und individuelles Phänomen. Eine Art und Weise, wie Menschen egoistisch, selbstbezogen und empathielos miteinander umgehen. Gesund ist es, die eigene narzisstische Seite für sich nutzbar zu machen, um eigene Ziele zu erreichen. Das Selbst jedes Menschen will gesehen, erfolgreich und anerkannt sein. Das Selbst will wichtig und wirksam sein. Das Übertriebene daran ist die Störung. Wenn die Überzeugung der eigenen Wichtigkeit anderen Schaden zufügt, zeigt der Narzissmus seine schreckliche Fratze. Zu viel davon macht krank, denn es erhöht das Leiden auf beiden Seiten. Die Persönlichkeitsstörung ist der dauerhaft unverträgliche Zustand dieser Charaktereigenschaft.

Die Persönlichkeitsstörung betrifft den Menschen als Gesamtheit, mit narzisstisch veränderter Wahrnehmung, Denkweise, Emotionalität und Sozialverhalten.

Wir können sagen: Narzisstische Verachtung ist eine Strategie, um emotional und psychisch zu überleben. Diese innere Aufspaltung schafft Polaritäten. Zwischen den Polen baut sich eine Spannung auf. Das Störfeld ist ein Spannungsfeld. Wer da hineintritt, spürt diese Spannungen, die sich entladen und einen treffen, die den einen in große Höhen aufsteigen lassen, die aber den anderen wie Schlingen zu Boden ringen.

Die einen fühlen sich wie vom Blitz getroffen, die anderen, als hätten sie ein schleichendes Gift zu sich genommen, das ihre Stimmungen im Griff hat. Manche tragen besonders tiefe Wunden davon, weil sie unvorbereitet, schwach und ungeschützt sind.

Dieses Störfeld besteht aus Verachtung, aber es besteht aus sehr viel mehr …

Störungsfreies Lesen wünscht

Pablo Hagemeyer

Verliebt, verlobt, verachtet: Hannah und Hans

Hans saß wie ein Häufchen Elend auf seinem Stuhl. Gesenkter Kopf. Große Augen. Er zeigte diesen traurigen Hundeblick. Auf einem anderen Stuhl saß seine Ehefrau Hannah. Sie rang mit sich, schluchzte bitterlich und konnte ihre Emotionen kaum fassen, die in ihrer Brust Theater spielten. Ein zerstörerisches Theater.

Große Verunsicherung traf sie, als die Therapeutin zu Hannah sagte, sie möge sich mal zusammenreißen. Schließlich sei sie eine selbstaufopfernde Narzisstin, die hier nur nach Anerkennung ihres Mannes hungere und ihn und die Kinder für ihre emotionale Unreife und Instabilität missbrauche. »Ihr Mann ist nicht für Ihre Gefühle verantwortlich!«, schrie die Therapeutin.

Schwer getroffen verstummte Hannah und dissoziierte. Sie nahm sich selbst nicht mehr wahr, spürte weder Raum noch Zeit. Sie war ganz weg. Alles war weiß. Sie fühlte sich ganz ohne Leib und empfand nichts mehr. Die Tränen hörten auf zu fließen. Wurde sie eben tatsächlich angeschrien? War das die Wertschätzung, die sie von einer Psychotherapeutin erwartete? Ihre innersten, tiefen Ängste vor solchen emotionalen Angriffen paralysierten sie.

Hans wohnte der Situation still bei und verzog betroffen die Mundwinkel. Er fuhr sich mit der Hand, sich selbst Trost spendend, durchs Gesicht – Streicheleinheiten für seine eigene verletzte Seele. Da fand er eine kleine Unreinheit zwischen den Bartstoppeln, die er sich blutig kratzte. Er konnte sich etwas besser auf sich konzentrieren, weil die Therapeutin seine Frau in der Mangel hatte. Merkwürdig, wo der Pickel nur herkam, achtete er doch besonders auf seine Hautpflege. Während Hannah neben ihm zusammenbrach, überlegte er, gleich nach der Sitzung einen Kosmetiktermin zu vereinbaren.

Es lief gut für ihn in dieser Sitzung. Hans hatte keine Vorstellung davon, nicht die leiseste, was in Hannah vor sich ging. Die Therapeutin bestätigte, dass Hannah noch viel mehr an sich arbeiten müsse. Hannahs Emotionsregulation sei die blanke Katastrophe. Hans nickte besserwisserisch. »Ihre aber auch!«, zischte die Therapeutin Hans zu. Brav nickte er schnell.

Sein angepasstes Verhalten bewahrte ihn vor mehr Kritik. Den Dreh hatte er längst raus. Ein Verhalten, das ganz automatisch in der Praxis der Therapeutin ansprang. Seine Affektregulation wollte er sich noch aufbewahren für nach der Stunde, wenn er mit Hannah allein, auf dem Weg zum Auto wäre. Für die ganzen folgenden Wochen, bis zur nächsten Paartherapiesitzung, würde er jede Gelegenheit nutzen, Hannah mit kleinen, unsichtbaren Giftpfeilen zu beschießen. Das traf und destabilisierte Hannah. Das wusste und nutzte er.

Er war ganz anders, wenn er mit Hannah allein war. Das sagte Hannah auch ständig in der Therapie, aber ihr glaubte die Therapeutin nicht so ganz. Sicherlich, dachte Hans, meint die Therapeutin, weil sie systemisch ausgebildet ist, dass immer zwei schuld daran sind, wenn eine Beziehung kaputt ist. Mit dieser geteilten Schuld konnte sich Hans gut einrichten. Als die Sitzung vorbei war, half er Hannah weder in den Mantel noch hielt er ihr die Tür zur Straße auf. Er ging voraus, setzte sich in das Auto und wartete. Hannah, sich noch immer sammelnd, trottete hinterher.

Als sie zu ihm in den Wagen stieg, holte er aus: »Siehst du, es sind die selbstaufopfernden Narzisstinnen, die sich immer zu wenig wertgeschätzt fühlen! Wie du! Wenn du immer so rumheulst, das ist so unerträglich. Grässlich.« Es brauchte keine zehn Sekunden, bis Hans sein Janusgesicht gedreht hatte und Hannah voller Verachtung ansah. Selbstbewusst startete er den Motor und stieß mit dem Wagen rückwärts – rücksichtslos, wie immer – in den immer dichter werdenden Abendverkehr der Großstadt.

Desinformation: Was für Doppelgesichtige

Was die Therapeutin wusste, aber nicht ändern konnte, war, dass Hans ein janusköpfiger, grandioser Narzisst war und Hannah eine selbstaufopfernde Komplementärnarzisstin. Er hatte wie der römische Gott Janus, der Gott der Doppeldeutigkeit, zwei Gesichter.

Für Außenstehende ist es kaum vorstellbar, dass es Personen gibt, die zwei sind. Wir neigen dazu, eher das zu glauben, was uns persönlich von einer Person gesagt wird, statt dem, was andere über diese Person sagen. Diese Gewohnheit lässt sich von Menschen, die gern andere täuschen, gezielt ausnutzen. Das ist nichts anderes als Desinformation, ob sie nun dem Selbstschutz oder dem Schutz anderer dient.

Eltern wenden diese Methode an, um die Kinder so lang wie nur möglich im Paradies zu halten oder vor Schäden zu bewahren. Eltern erzählen ihren Kindern Geschichten, die Trost und Halt spenden. Die Bilder und Metaphern dieser Geschichten immunisieren und schützen vor der harten und ungerechten Realität. Sind das emotionale Gegenmittel, spenden Hoffnung und festigen moralische Werte.

Aber viel dramatischer ist es, wenn die doppelte Strategie beziehungsweise das zweite Gesicht benutzt wird, um den eigenen Kindern oder anderen zu schaden. Kaum vorstellbar, dass eine Mutter einem Kind bewusst Angst macht, um es zu unterdrücken. Oder Erwachsene verächtlich sagen, mit »dieser Person« wolle man »nichts mehr zu tun haben« – doch dann stellt sich heraus, dass genau diese Person zuckersüße E-Mails von dem angeblich distanzierten Menschen bekommt.

Was ist das für eine doppelte Strategie, was für ein heuchlerisches Spiel? Desinformation gilt gemeinhin entweder als »direkte Lüge« oder als Aktion, die »indirekt« der »subtilen Unterdrückung«, dem »Verschweigen oder Ablenken von überprüften Fakten« dient.1 Von der glatten Lüge bis zur Halbwahrheit ist also alles möglich. Dadurch erreicht man auf Kosten der Wahrheit, dass man selbst gut dasteht und sich gegen andere durchsetzt.

Hans passte sich wie ein Chamäleon an verändernde Umgebungsbedingungen an, sein Verhalten war stark kontextabhängig. Anpassung und Dominanzverhalten wechselten sich bei ihm ab, je nachdem, auf welchem Ast er gerade entlangkrabbelte. Hannah litt bis heute an ihren emotionalen Mangelerfahrungen als Kind, an ihren frühen traumatisierenden Entbehrungen: »Ich bin in einer Familie mit kaltem Herzen aufgewachsen und habe mir immer gewünscht, das kalte Herz wärmen zu können …«, sagte Hannah über das Kennenlernen mit Hans.

Um selbst emotional zu überleben, hielt sie fest an dem wenigen Guten, das sie in ihrem Hans noch sah, und nahm Hans’ überbordende Selbstgefälligkeit als eine wohlbekannte Konstante hin. Das kannte sie von ihren Eltern. Hannah hatte sich längst mit ihrem Schicksal darauf verabredet, dass ihre wahre Liebe und ihr fester Glaube an bessere Zeiten Hans erreichen und zu einem noch besseren Menschen verändern würden.

Hans spürte aber nur ihren klammernden Griff, der ihn dort hineinzog, wo er nie sein wollte. Hannah hatte sich einen goldenen Käfig gebaut, als reine Sicherheitsmaßnahme. Für Hannah bestand Leben aus Unsicherheit, Verlust und Verrat. Ihr Bemühen um Sicherheit und Kontrolle engte Hans zu sehr ein. Hans war ein Mann, der sein Leben als Mann zurückwollte, nur hinderte Hannah ihn daran. Sein Bemühen, sich seine Freiheit zu erhalten, schlug tiefe Wunden in Hannahs Herz. Er fand es anziehend, sie in ihrem Bemühen um Sicherheit zu strafen, aufzuziehen und zu verunsichern. Das garantierte ihm nicht nur ein sadistisches Vergnügen, sondern auch Hannahs masochistische Loyalität. Sie würde ihn niemals verlassen und er sich ihr niemals vollends hingeben. Das war ihr gemeinsames Spiel, und beide spielten es gut. Es war hochmanipulativ, und sie kultivierten ihr interaktives Publikum, eine unendliche Reihe von Coaches, Therapeuten und anderen Beratern, die sie im Laufe ihrer Ehe verbraucht hatten. Sie hatten Unsummen an Geld für ihre Paartherapie ausgegeben, ohne den erhofften Fortschritt erreicht zu haben. Aus dieser fatalen sadistisch-masochistischen Verquickung hätte sie nur eine Trennung befreit. Aber ein Loslassen kam nicht infrage. Einerseits weil beide einander brauchten, sie kannten keine andere Art des Zusammenseins. Andererseits waren da die gemeinsamen Kinder, die minderjährigen Nina und Nino. Die Kinder spiegelten den Eltern zurück, was diese inszenierten, und waren längst Teil des Mitmachspiels. Nina zeigte bereits hohe demonstrative Emotionsäußerungen, weinte bitterlich, wenn sie bei der Therapeutin saß, und ließ sich demonstrativ von Hannah trösten. Nino, Papas Lieblingskind, wurde wie ein Lottogewinn von Hans gelobt und hoch auf einem idealisierten Thron zum Fußball ins Stadion mitgenommen. Nino bekam vom Vater den Club-Schal umgezogen, und die Mama kaufte ihm die teure Bomberjacke mit dem Gucci-Emblem. Sollte er doch einen guten Eindruck machen!

Irgendwann, als Hans länger wegblieb, vermutlich eine Affäre hatte, missfiel Hannah sein Verhalten, und sie suchte mich auf. Ich sei schließlich der Experte. Sie nahm einen Einzeltermin bei mir während ihrer laufenden Therapie bei der Kollegin wahr. Sie verstehe, dass Therapie den Narzissmus des Betroffenen verstärken könne. »Eine Nebenwirkung von Therapie«, bestätigte ich und scrollte durch die Screenshots, die Hannah von den Disputen mit ihrer Therapeutin gemacht hatte.

»Klarheit klingt manchmal hart«, kommentierte ich diese Korrespondenz. »Manchmal vermeiden wir das Notwendige, weil wir die damit verbundenen unangenehmen Erwartungen und Gefühle verhindern«, ergänzte ich. Hannahs Therapeutin zog es vor, unverblümt mit der Wahrheit rauszurücken. Aber damit stieß sie Hannah von sich. Nähe herzustellen war nicht die Kernkompetenz dieser Therapeutin. Das isolierte Hannah noch mehr in ihrer Not, allein zu sein. Die Therapeutin holte sie nicht in ihrer Not ab, um den Veränderungsprozess in Hannahs Leben einzuleiten.

Aus Hannahs Sicht war die Vorstellung unaushaltbar, allein zu sein. Verlassen zu sein oder jemanden zu verlassen war für Hannah schlimmer, als an Hans’ Seite zu bleiben. Lieber wählte sie, an ihrer Hoffnung festzuhalten, dass es irgendwie besser würde. Die Option der Trennung sah sie nicht für sich, auch wenn Hans durch seine Verachtung richtig und dauerhaft mies zu ihr war.

Als alleinerziehende Mutter sah sie sich nicht. Ich sagte Hannah, dass sie vermutlich in ihrem speziellen Fall wie magisch an dieser Hoffnung, die Beziehung positiv gestalten zu können, festhielt. Als wäre Superkleber im Spiel. Sich zu lösen würde ganz alte Wunden wieder aufreißen, was große Schmerzen verursachen würde. Sie stimmte mir zu.

Doch ihre Lebenserfahrung war, dass alle Menschen in einer Beziehung bleiben können, wenn jeder besser auf sich achtet und sich innerlich unabhängig macht von den emotionalen Schwankungen des anderen. Nur war dieses Ideal nicht mit jedem Partner zu schaffen. Sich dies einzugestehen, gescheitert zu sein, war für Hannah eine zerstörerische, tiefe Kränkung. Flankiert von der Angst, was danach auf sie zukäme in einer frauenfeindlichen Welt, in der alleinerziehende Mütter die schlechteste Sozialprognose nun mal hatten.

An die Option, sich einen neuen, smarten Kerl zu schnappen, dachte sie nicht. Das passte nicht zu ihrem moralischen Kompass. So sah ihr Lebensplan nicht aus. Hingegen legte sie mir ein Schema hin, das sie für sich verfolgte, und sie bat mich, mit ihr daran zu arbeiten. Sie sagte, sie sei aktuell bei der Stufe »Angst und Sehnsucht« (siehe Abbildung unten). Sie brauche noch den Kick in Richtung Wut und Stolz, um aus der Ohnmacht dieser für sie toxischen Beziehung Stufe für Stufe nach oben bis zur Erleuchtung zu kommen. Es gehe nur langsam, und jede Stufe baue auf der anderen auf. Sie wolle wieder die Macht in ihrem Leben zurückerlangen, die sie an der Seite von Hans verloren hatte. Die Skala sei »megatoll« für sie und gebe Orientierung und Halt, ihren Weg zu gehen.

Energieskala nach David R. Hawkins (1927–2012), umstrittener US-amerikanischer Mystiker, Psychiater, spiritueller Lehrer und Autor.

Mit Kraft und Macht gegen Verachtung

Hans und Hannah hatten mit der Therapeutin vereinbart, zu Hause regelmäßig Aussprachen über Familienangelegenheiten (Familienkonferenzen) zu führen. Hierbei zerrte Hans wieder hervor, es sei doch jetzt viel zu spät, über die Erziehung der Kinder zu reden. Die Eheleute saßen zu Hause am Küchentisch und sollten, auch auf meinen Rat hin, die neue Gewohnheit leben, wöchentlich über Verbesserungen der Abläufe in der Familie zu sprechen – eine erste Maßnahme in der Optimierung häuslicher Abläufe und der Bereinigung der Störfaktoren. Hannah starrte in ihre Teetasse. Sie störte sich wieder an Hans’ Tonfall und Auftreten. Wie sollte sie ihm das sagen, ohne ihn zu provozieren?

Hans holte tief Luft. Sie habe es ja schließlich versemmelt. Hannah schlug vor, das Thema Kindererziehung trotzdem jetzt zu besprechen. Dafür sei es zu spät, konterte er. »Wofür also unsere Routine, uns abzustimmen?«, fragte Hannah. Sie merkte wieder, wie es ihm nur darum ging, die Regeln zu bestimmen und im Recht zu sein. Er sagte ihr, sie solle doch bitte vernünftig werden und seine Perspektive einnehmen. Hannah bemerkte, wie er subtil missbräuchlich die Situation so hindrehte, dass sie ihm passte, und in den Selbstmitleid-Modus schaltete. Daraufhin sagte Hannah nichts mehr.

Hans sah sie sehr traurig an. Obschon sie es nicht wollte, hörte sie sich sagen, sie könne schon sehen, dass es ihm schlecht gehe und dass er sich ändern müsse.

»Nein«, sagte er mit einem Hauch von Wut in seiner Stimme: »Du hast dich auch um meine Befindlichkeiten zu kümmern!«

Hannah sah ihn distanziert an. »Nein, heute nicht. Heute kümmere ich mich um mich!«

»Aber du könntest dich um unsere Beziehung kümmern!«, fauchte Hans.

»Ja, das tue ich, und zwar um fünfzig Prozent, nicht um hundert Prozent!«, gab Hannah zurück.

Hans wurde nervöser. Er nestelte mit den Fingern an seiner Kleidung, denn er ertrug es nicht, ständig auf sich selbst zurückgeworfen zu sein und seinen Einfluss auf Hannah zu verlieren. Er konnte keine Ruhe geben, wenn Hannah unfähig war, seiner Meinung zu folgen. Er war überzeugt: Wenn es mir schlecht geht, müssen alle anderen sich anpassen und mitziehen. Unbewusst erzeugte er dabei eine unerträgliche Stimmung und strafte all jene, die ihm keine absolute Empathie zollten.

Nur zog Hannah diesmal nicht mit ihm mit. Sie hatte eine andere Sicht auf die Dinge, auf ihr Leben. Eigentlich wollte Hans sie in solchen Diskussionen zur Besinnung bringen. Jetzt über Kindererziehung zu sprechen, war schlicht Blödsinn. Darum ging es ihm nicht. Es ging ihm um die eigene Not, dass ihm alles außer Kontrolle geriet. Nur verlor er seine Frau dabei immer mehr. Er hatte noch vor ein paar Tagen das große Küchenmesser mit der Spitze tief in die Kochinsel gerammt, als sie wieder nicht auf ihn eingegangen war. Etwas Besonderes, etwas Bedrohliches war in seinen Augen, immer wenn er in diesen Zustand kippte. Da war Hilflosigkeit in den Augen, auch eine große Not, das sah sie schon, wenn er hoch gespannt war. Sie sah auch noch was anderes: Verachtung. In seinen Augen blitzte Verachtung auf.

Nachgedacht: Das Boomen des Bösen

Wann entsteht das Böse? Wie sieht es aus? Schon Dutzende vor mir beschrieben es, vermutlich auch schon besser. Die bedeutendste Studie zum Bösen lieferte 1961 Hannah Arendt.2 Sie sprach von der »Banalität des Bösen«, geboren aus Mittelmaß und Gedankenlosigkeit. Nur an welcher Stelle genau entsteht es im Narzissmus? Wo ist der Kipppunkt, an dem aus einer Charaktereigenschaft, die keinen guten Ruf hat, etwas wirklich Bösartiges wird?

Bevor wir uns dem Bösartigen daran widmen, brauchen wir eine wichtige Begriffseinordnung. Das Böse ist ein moralischer Begriff. Das Böse ist menschengemacht. Es gehört zum Menschsein von Anbeginn der Zeit. Würden wir dem Bösen eine Gestalt zuschreiben, damit wir es begreifen und benennen, so wäre es der Schatten in uns allen.

Der Psychoanalytiker C. G. Jung beschrieb diese Schattenseite als eine, die wir Menschen durch Projektion auf andere Menschen erstmals überhaupt erkennen. Das Böse entsteht, indem es durch so eine Übertragung auf den anderen erst sichtbar wird – dadurch also, dass jeder von uns die eigenen Schattenseiten verdrängt und unterdrückt.

Nicht jeder will doch von sich behaupten, bewusst und offen bösartig zu sein. Also wehrt die Psyche diesen Anteil in uns ab. Das Böse entsteht demnach erst, wenn es sich zeigt. Und zwar zeigt es sich erst im Miteinander, wenn mindestens zwei Personen eine Gegenwart teilen. Darin wirken diese gegenseitigen psychologischen Phänomene der Projektion, und diese eine Person erkennt das Böse zunächst als fremd, als nicht zu ihr gehörig. Denn erst wenn das Böse dem anderen passiert und den anderen trifft, wird der Schatten real. So erscheint einem das Böse und Schlechte erst im anderen und wirkt auf einen in Form von Schuld und Verantwortung zurück.

Diese Rückwirkung auf einen selbst kann so heftig sein, so einen großen Schrecken und Angst auslösen, dass die Person unter der Annahme, Böses getan und Schuld auf sich geladen zu haben, in eine große emotionale Not gerät. Diese Reaktion kann so heftig und übertrieben sein, dass die schlimmsten Befürchtungen sich zu bewahrheiten scheinen und zum eigenen Schutz kraftvoll abgewehrt werden. Der Schreck über die eigene böswillige Tat und die zurückschnellende Schuld und Scham werden erneut und vollständig an den anderen delegiert. Die auf die andere Person übertragene Annahme, die diese Person über das Böse hat, wird durch ihren eigenen Schrecken darüber in Beton gegossen. Nun steht die andere Person im Beton und ist dem Untergang geweiht. Der narzisstische Dreiklang ertönt: »Du bist krank! Du bist schuld! Ich habe recht!«

Es gibt für den Schrecken die Optionen Flucht, Angriff, Ohnmacht oder das Ertragen der Not, um aus dieser Projektionsfalle herauszukommen. Aber die Falle hat längst zugeschnappt, denn für die Person ist klar: Das Böse und Schlechte des Menschen ist real, und es wohnt in einer bestimmten Person. Mangelt es einer Person an genügender emotionaler und faktischer Selbstwahrnehmung, wird die geteilte Realität verkannt. Eine narzisstische Person wird das eigene Maß für emotionale Verantwortung am eigenen Handeln nicht erkennen. Statt bei sich selbst zu prüfen, ob es möglich ist, auf eine verträgliche, angenehme und emotional angemessene Art hilfreich zu sein (oder nicht), wird diese Person weiter projizieren und das Böse nur beim anderen erkennen.

Die archetypischste Personifizierung des Bösen liegt in der Gestalt des Teufels. Hierin projiziert die Psyche der Menschheit schon seit Angedenken der Zeit das, was schlecht und schattig ist. Dieses wandelt sich auch im Laufe der Zeit, und dieser Wandel ist ein Hinweis, dass es sich nicht um ein starres Naturgesetz handelt, sondern um eine menschengemachte, also moralische Bewertung dessen, was böse und schlecht ist.

Wenn ein Raubtier einem Beutetier das Leben nimmt, handelt es völlig ohne Moral. Es tötet, um zu überleben. Eine Person unterliegt nicht zwingend diesem Naturgesetz, wenn sie Grenzen verletzt oder verschiebt. Aus einer inneren Motivation heraus, die aufgrund des Charakters und der Prägung amoralisch sein kann, schadet eine Person anderen Personen. Ein Mensch tut bestimmte bösartige Dinge sogar aus Vergnügen oder aus einer Notwendigkeit heraus und nennt es dann Pflicht – so auch im Fall der Banalität des Bösen und all der vielen Mörder in SS-Uniform und deren Helfern und Helfershelfern. Das Böse zieht ein, wenn wir es zulassen.

Befassen wir uns nun mit der Frage, wann denn nun genau das Böse entsteht. Der Paarpsychologe Guy Bodenmann (Zürich) benennt diesen Punkt sehr präzise: sobald in einer romantischen Paarbeziehung Gewalt eintritt.

Erste Schwelle: Gewalt in der Sprache

Es beginnt mit verbaler Negativität in der Beziehungsgestaltung. Herrscht diese dauernd vor, im Miteinander, ist alles, was man ausspricht, schwierig, mühsam, freudlos, ist Vorsicht angezeigt. Ist die Art und Weise, die Themen zu sehen und anzusprechen, durchgehend negativ, bereitet das den Nährboden für eine Eskalation des Schlechten. Hieraus kann sich eine verbale Aggressivität entspinnen, die zunächst auch hilfreich sein kann, die Themen, die unterdrückt und verdrängt werden, auf den Tisch zu packen und zur produktiven Konfrontation zu nutzen.

Aggressivität ist nicht schlecht, sondern auch nötig, um in manchmal auch hitzigen Diskussionen eigene Standpunkte klarzumachen, durchzusetzen oder um einen Kompromiss zu ringen, wenn es denn hilfreich ist. Das ist noch keine verbale Gewalt, im Gegenteil, es ist sogar ein Prophylaktikum vor der nächsten Eskalationsstufe, der verbalen, der psychischen oder letztlich auch der körperlichen Gewalt.

Negativität tritt ein, wenn das Paar uneins ist und aus dem Kritisieren, aus der Defensive und aus dem Vorwurfsmodus nicht mehr herauskommt. Eine Verschärfung sind negative Verallgemeinerungen, die als persönliche Kritik gezielt eingesetzt werden. Erfolgt dies in einem sehr dominanten Stil, also etwa mit Worten wie »Du mit deinen immer wieder blöden Ideen …, ich sage jetzt, was wir tun!«, setzt sich die Eskalation fort.

Nicht nur die Aufwertung der eigenen Sicht auf die Dinge, auch die Abwertung der anderen Person ist unheilbringend. Dann ist die Kommunikation demütigend und verachtend, es kommt zu Erniedrigungen und sogar Drohungen, Nötigungen und Erpressungen. Gewalt, so Guy Bodenmann, beginnt bereits mit der abwertenden, despektierlichen Kommunikation, lange bevor es zu möglicher körperlicher Gewalt kommt. Und hier sehe ich auch den Punkt, wo die Verachtung des anderen sichtbar wird. Die Verachtung ist da, wenn es zur Abwertung des anderen kommt.

Bei Paaren, die zufrieden sind, enden irgendwann diese Eskalationsspiralen, weil einer der beiden aus der Eskalation aussteigt. Die Möglichkeit, aus einer solchen Reaktionsfolge der Negativität auszusteigen, ist immer gegeben. Nur ergreifen viele Paare nicht die Chance, das Störende oder die Grenze des Zumutbaren anzusprechen und das Ende des Sichherunterziehens einzuleiten.

Dies beschreibt auch das psychologische Reiz-Reaktions-Modell: Demnach löst ein negativer Reiz immer wieder eine negative Reaktion aus. Unglückliche Paare verhaken sich da so ungeschickt miteinander, dass der Kampf immer weiter fortgesetzt wird und nie enden will. Dabei lassen sich glückliche Paare eher in Frieden und werden nicht zu gegenseitigen Verfolgern.

Wie oft will sich jemand zurückziehen und wird doch gnadenlos von seinem Partner verfolgt, weil dieser unbedingt weiterdiskutieren will. So rät man, das Thema zu vertagen und wieder aufzugreifen, wenn die hochstehenden Affekte abgefallen sind und beide nicht mehr so erhitzt aufeinandertreffen.

Unglücklich läuft es, wenn beide keine Chance haben, aus dieser Dynamik auszusteigen. Hinweise für eine negative und aggressive Kommunikation sind schnelles, lautes, schreiendes Sprechen oder aber Unterbrechungen, heftige Entladungen von Wut und Zorn, Hohn und Verachtung wie auch Abwertungen, das Beharren auf eigenen Positionen und Meinungen, Du-Botschaften, Gesten, die diese Äußerungen unterstreichen, und Provokationen. Deutlich ist in solchen offenen Eskalationen, dass die Negativität niemals von versöhnlichen oder gar humorvollen Zwischentönen aufgelockert oder gar abgelöst und gelöscht wird.

Humor, Einsicht oder Vergebung sind übrigens wichtige psychologische Schubser, um sich davor zu bewahren, nicht komplett die Beherrschung über die eigenen Impulse zu verlieren – ein Phänomen, das in den besten Familien vorkommt, denn irgendwann reißt jedem mal die Hutschnur.

Fantasielose Desintegration des Selbst

Woher kommt die Verachtung in der giftigen Sprache? Narzissten zeigen in ihrer extremen Ausprägung eine zwischenmenschliche (interpersonale) Unverbundenheit. Das spiegelt ihre innere (intrapersonale) Distanziertheit von sich selbst. Sie sind abgespalten von den eigenen emotionalen Seiten. Das Störfeld des extremen Narzissten ist demnach nicht nur um ihn herum, sondern auch in ihm selbst. Im Denken fehlen wichtige, menschliche Eigenschaften. Da ist kein fantasievoller, empathischer, offener oder emotional-flexibler Innenraum. Normalerweise schafft dieser Innenraum eine hilfreiche Distanz zur Realität. Darin können die Dinge des Lebens großzügig verhandelt und über die Sprache gedacht und geäußert werden.

Hingegen ist dieser innere emotionale Raum im pathologischen Narzissten klein und wenig ausgebildet. Von außen kann man diesen Raum nicht sofort erkennen. Der Narzisst lenkt geschickt davon ab – mit seinem ganzen Wesen, auch mit seiner Sprache, die häufig glatt, geschliffen, überzeugend und logisch von der Selbstoffenlegung ablenkt.

Der gewiefte Narzisst spricht eine Sprache, die den anderen beherrscht. Eine Sprache, die Ereignisse ordnet. Eine Sprache, die auch fähig ist, die Realität zu manipulieren, sie zu formen und zu zerschneiden. Ein Werkzeug, das gezielt Desinformation setzen kann und unaufmerksame Dritte zu verwirren vermag. Eine Sprache, die verletzt. Eine Sprache, die Verachtung transportiert.

Das ist ein wichtiger Unterschied zu dem psychiatrisch Erkrankten, der so verrückt ist, dass Sprachzerfall und schwere Denkstörungen klar erkennbar sind. Dennoch gibt es einen deutlichen Hinweis über die Sprache, dass hinter der sprachlichen Fassade ein Mangel herrscht: Bildhafte Sprache wird nie verwendet.

Bildhafte Sprache besteht aus einem metaphorisch-symbolischen Abbild der Realität. Wer bildhafte Sprache benutzt, ist sich bewusst, dass Worte und Bilder nur das Abbild der Realität sind und nicht die Realität selbst. Wer bildhafte Sprache verwendet, nutzt Bilder, Metaphern, Analogien, Parabeln, Redewendungen oder Redefiguren. Damit wird die komplexe Realität distanziert und ein Raum erschaffen, in dem über den Umgang mit der Realität disputiert werden kann. In diesem Raum ist nichts festgezurrt oder gültig. Es ist der subjektive Raum des persönlichen Erlebens, den jeder Mensch hat. Menschen erschaffen sich damit einen wichtigen Spielraum in der Kommunikation miteinander.

Für eine stark narzisstisch gestörte Person ist die Realität unmittelbar. Das Reale ist bedrohlich nah, was zeitgleich den narzisstischen Verteidigungsmodus aktiviert, nichts nah an sich heranzulassen. Der Mechanismus ist immer aktiv, ob bei vermuteter oder bei einer realen Bedrohung. Daher gibt es im Gespräch mit einer stark narzisstisch gestörten Person diese merkwürdige Unmittelbarkeit des Betroffenseins. Da ist sehr konkret Nähe und sehr konkret Distanz. Da ist kein Spielraum. Da passt kein »So habe ich das nicht gemeint« dazwischen. Es gibt kein Verständnis und keinen Raum des Reflektierens. Ein komplizierteres »Ich habe es anders gemeint, und du verstehst nicht, wie ich das gemeint habe« hat da keinen Platz.

So etwas lässt empathische, bildreiche, fantasiebegabte Menschen regelrecht verzweifeln. Die Bemühungen empathischer, sich einfühlender Menschen, hier eine Brücke zum Narzissten zu schlagen, müssen auf Unverständnis stoßen. Die Metapher muss mit Verachtung als ein ungenügender Vergleich mit der Realität abgeschmettert werden. Dabei kann ein metaphorisches Bild, das für Werte, Überzeugungen, Moral, Schönheit und Hingabe steht, so wunderschön sinnstiftend für das Leben auf dieser Erde sein. Für den empathielosen Narzissten aber wird so ein Bild keinen Sinn ergeben. Es ist zu wenig greifbar. Nicht sichtbar. Nicht spürbar. Verachtbar.

Einen Schuss hat man frei! Und zwar nur diesen einen!

In der Begegnung mit einem narzisstischen Menschen, der einem womöglich auch noch verächtlich begegnet, hat man manchmal nur einen Schuss frei, um ihn emotional über die Sprache zu erreichen und im Störfeld des Narzissten zu bestehen.

Die Frage steht im Raum: Wie konfrontiere ich schwierige Menschen und ihre narzisstische Seite? Setze ich sie auf den heißen Stuhl? Wie durchschlage ich die narzisstische Abwehr? Häufig sitzen sie längst auf dem heißen Stuhl, denn so fühlt es sich für mich an, wenn ich ihnen gegenübersitze. In der Konfrontation mit einem Therapeuten wie mir spüre ich ihre hohe Aufmerksamkeit für mich. Ich bin ihnen vermutlich bedrohlich. Sie sind angespannt. Kontrolliert. Sie sondieren die Lage, fühlen sich eher unwohl. Und geben es nicht zu.

Sie achten darauf, gut zu wirken. Sie sind eben nicht entspannt, und es gelingt eben nicht, gemeinsam in ein gelassenes Miteinander zu kommen (in den von mir so gern erreichten Strom geteilter Trance, in dem bewusste und unbewusste Kommunikation freien Lauf bekommen). Ich spüre hingegen viel Kontrolle oder große Angst in der Übertragung. Das ist in Ordnung, denn auch damit kann ich arbeiten. Denn unter Beobachtung verhält sich ein narzisstischer Mensch häufig brav, angepasst, lügend und irgendwie durchkommend. Das weiß ich alles. Das ist alles seine Schutzschicht. Ich weiß auch, wie missbrauchend diese Person im intimen Raum mit seinen Liebsten sein kann. Wie er (oder sie) die Lösungsversuche der anderen umkehrt und gegen sie verwendet, etwa um Distanz und Sicherheit aufzubauen. Ich weiß, wie er Ereignisse als Verrat verdreht, um selbst die Kontrolle zu behalten. Nur hier, in der Begegnung mit mir, nehme ich ihm Stück um Stück diese Selbstkontrolle. Manchmal gelingt es. Das ist dann dieser eine Moment des windows of opportunity. Gelingt es nicht, den Narzissten zu erreichen, wird man als mittelmäßiger Therapeut von der narzisstischen Strategie des Klienten abserviert.

Wer etwas zu befürchten hat, wird sich fürchten. Es wird unangenehm, zu nah an die Affekte zu kommen. Zu nah an die Möglichkeit zu kommen, »schuld« zu sein, stresst. Somit ist die narzisstische Schutzreaktion sehr aktiv, sobald ein therapeutisches Setting betreten wird. Darin kann man sehen, wie verletzlich und weich oder wie angespannt und unwohl sich jemand fühlt. So weit normal. Begegne ich narzisstischen Kandidaten, bedenke ich die Möglichkeit, wahrzunehmen, ob sich derjenige zurückzieht, sich verschanzt, dissoziiert, projiziert und alles versucht, nicht erwischt zu werden.

Der Therapeut Milton Erickson, auf den ich später genauer eingehe, wählte manchmal die Tortur (ordeal), um seine Klienten zu konfrontieren. In der Konfrontation mit dem emotionalen Innenleben mache ich das auch sehr gern mit meinen Lieblingsnarzissten. Das durchdringt deren narzisstische Abwehr sehr elegant. Aber man hat nur einen Versuch frei mit dem scheuen Reh, eine hilfreiche Irritation zu setzen, ohne zu kränken oder zu verletzen. Das darf es nämlich nie. Dabei hilft es, immer die unbewusst sich übertragende Emotion wahrzunehmen, zu fokussieren und ebenso unbewusst für den Klienten aufzugreifen. Zunächst muss die Emotionsarbeit erfolgen, danach kann an das Verursacherprinzip beim Narzissten appelliert werden. Ihn darüber klar und deutlich zu informieren, dass er der Verursacher ist oder zumindest erheblich daran beteiligt ist am Misslingen der Beziehung.

Besonders perfide im Störfeld des Narzissten ist die negative Kommunikation, die auf passiv-aggressive Weise erfolgt. Dabei weigert sich eine Person durch indirekte Sabotage, bei etwas mitzumachen. Man kann diesen Menschen nicht offensichtlich nachweisen, dass sie sich aggressiv verhalten, aber irgendwie ist es immer schwierig oder unangenehm in der Gegenwart einer passiv-aggressiven Person, denn letztlich gelingt das Vorhaben nicht oder nur unter hohen Kosten und Mühen – aufgrund der Verweigerungshaltung der passiv-aggressiven Person. Humor ist in dieser Konstellation eine zweischneidige Waffe, denn die passiv-aggressive Absicht ist es, mit dem Witz zu verletzen und die andere Person vorzuführen und abzuwerten.

Nicht unüblich im verachtenden Miteinander ist es, sich über den anderen lustig zu machen. »Aber unsere Schadenfreude ist ein Produkt derselben Illusion. Wir schwelgen nicht in unserer Klugheit, sondern frönen einer noch erlahmenderen Form der Grandiosität«, schreibt Ian Bogost sinngemäß im The Atlantic.3 Die menschliche Neigung, über den Beschädigten auch noch zu lachen, ist die größte Verachtung und spiegelt sich in jeder größeren Skalierung narzisstischer Selbstüberhöhung.

Im kollektiven Miteinander finden sich gelegentlich vergiftete Formulierungen, die scheinbar freundlich gemeint, aber insgeheim doch zum Nachteil anderer Personen sind. Sie dienen dazu, eigene Interessen durchzusetzen. Man spürt dann in diesen Situationen, dass die Stimmung negativ aufgeladen ist, es herrscht »eine Luft, die zum Schneiden ist«, und alle behalten ihre Maske auf, die den Anschein erwecken soll, dass alles völlig okay sei. Dabei ist im Verhalten der Akteure deutlich zu sehen, dass hier gar nichts in Ordnung ist. Hierunter fallen solche modernen Begriffe wie silent treatment (Schweigebehandlung) oder stonewalling (Mauern, Kommunikationsverweigerung), die letztlich nur diese passiv-aggressiven Phänomene schneidender Sprachlosigkeit benennen.

Das Ringen von Dominanz und Freundlichkeit