Fantasiereisen - Pablo Hagemeyer - E-Book

Fantasiereisen E-Book

Pablo Hagemeyer

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Beschreibung

Fantasiereisen – mehr als nur Geschichten Fantasiereisen, die analog zu Campbells Heldenreisen aufgebaut sind, kommen im psychotherapeutischen Kontext dem Bedürfnis der Klienten nach Sicherheit und Orientierung am besten nach und wirken unterstützend und heilend. Pablo Hagemeyer erläutert in diesem Buch anhand vielfältiger Beispiele die Einsatzmöglichkeiten von Fantasiereisen und vermittelt Schritt für Schritt, wie Psychotherapeuten schulenübergreifend und individuell Texte nach ihrem eigenen Bedarf gestalten und problemspezifisch einsetzen können. Die Hinführung zu einer systematisierten therapeutischen Erzählstruktur, orientiert an definierten innerpsychischen Konflikten, wie sie die OPD erfasst hat, bietet vielfältige Anhaltspunkte für die inhaltliche Gestaltung. Eine Bereicherung für jedes therapeutische Setting! „Dies ist ein außergewöhnliches Buch.“ Prof. Dr. Dirk Revenstorf

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Seitenzahl: 360

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Pablo HagemeyerFantasiereisenAufbau, Dramaturgie und effektiver Einsatz in der Psychotherapie

Über dieses Buch

Fantasiereisen – mehr als nur Geschichten 

Fantasiereisen, die analog zu Campbells Heldenreisen aufgebaut sind, kommen im psychotherapeutischen Kontext dem Bedürfnis der Klienten nach Sicherheit und Orientierung am besten nach und wirken unterstützend und heilend. 

Pablo Hagemeyer erläutert in diesem Buch anhand vielfältiger Beispiele die Einsatzmöglichkeiten von Fantasiereisen und vermittelt Schritt für Schritt, wie Psychotherapeuten schulenübergreifend und individuell Texte nach ihrem eigenen Bedarf gestalten und problemspezifisch einsetzen können. Die Hinführung zu einer systematisierten therapeutischen Erzählstruktur, orientiert an definierten innerpsychischen Konflikten, wie sie die OPD erfasst hat, bietet vielfältige Anhaltspunkte für die inhaltliche Gestaltung. Eine Bereicherung für jedes therapeutische Setting! 

 »Dies ist ein außergewöhnliches Buch.« – Prof. Dr. Dirk Revenstorf

Pablo Hagemeyer ist Psychiater und als ärztlicher Psychotherapeut in eigener Praxis in Weilheim tätig.

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2017

Coverfoto: © grandfailure – www.fotolia.com

Covergestaltung / Reihenentwurf: Christian Tschepp

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2017

Satz, Layout & Digitalisierung: JUNFERMANN Druck & Service, Paderborn

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-491-8

ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-596-0 (EPUB), 978-3-95571-598-4 (PDF), 978-3-95571-597-7 (MOBI).

Meditation

Look into the body.

Inside the body is space.

The space inside the body is vast, unlimited.

Look into the vast, unlimited space inside the body and smile into the space.

~ ~ ~

In the space inside the body there is silence.

The silence in the space is vast, unlimited.

Look into the silence in the space inside the body

and smile into the silence.

(Sri S. Rajagopalan)

Meiner Familie

Vorwort

Dies ist ein außergewöhnliches Buch. Es bringt das vage Konstrukt des Geschichtenerzählens in einen systematischen Kontext, indem es einerseits die Themenwahl an dem Modell der psychodynamischen Grundkonflikte orientiert und andererseits der Dramaturgie einer therapeutischen Geschichte die von Joseph Campbell beschriebene universelle Erzählstruktur der Heldenreise zugrunde legt. Diese Gestaltungsform findet sich in den Mythen aller Zeiten, aber auch in guten Geschichten, Drehbüchern von Filmen und ähnlichen literarischen Schöpfungen. Die Struktur der Heldenreise zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht nur eine Geschichte interessant macht, sondern den Zuhörer mit seinen Schattenseiten und Ängsten in Kontakt bringt und diese heilsam transformieren kann.

So wird die anthropologisch begründete Wirkmächtigkeit der Mythen für das therapeutische Narrativ genutzt. Zugleich ergeben sich aus der Anwendung der operationalisierten psychodynamischen Diagnostik (OPD) mit den sieben elementaren Konflikten menschlichen Erlebens vielfältige Anhaltspunkte für die inhaltliche Gestaltung. Es entsteht für Metaphern, die in der Psychotherapie und in verwandten Verfahren weit verbreitet sind, erstmals ein Rational, das aufgespannt zwischen inhaltlichen Kristallisationspunkten und dramaturgischer Struktur die Intervention des Erzählens in einer bestimmten Weise transparent und fassbar macht. Das ist etwas, was bisher in wissenschaftlich begründbarer Form nicht vorlag. Zugleich wird ein pragmatisches Metamodell für die Konstruktion von Geschichten verfügbar, das für viele Therapeuten von Interesse ist, weil sie damit ein Instrument an der Hand haben, das sie systematisch und individuell für Geschichten nutzen können, mit denen Veränderungsprozesse in ihren Patienten und Klienten angestoßen werden.

Im vorliegenden Buch wird auch beschrieben, wie bereits ein neurobiologischer Hintergrund für die Wirkung von Geschichten in Konturen sichtbar wird. Welche Rolle die Mechanismen der visuellen, auditiven und der Körperwahrnehmung und bekannte Prozesse der neuronalen Verknüpfung beim Geschichtenerzählen spielen könnten. Es wird verdeutlicht, warum eine therapeutische Geschichte mehr ist als gesprochener Text, der registriert oder auch wieder vergessen wird. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass erzählte Bilder, Symbole und Szenen negative wie positive subjektive Wahrnehmungserfahrungen auslösen und geschickt suggerierte Metamorphosen wie erlebte Veränderungen abgespeichert werden, die sich auf das Befinden des Zuhörers nachhaltig auswirken.

Die Heldenreise wird so zu einer erzählerischen Grundform für derartige Transformationen. Das Gestaltungsprinzip der Heldenreise ist aber nicht nur für die Konstruktion von Metaphern hilfreich, sondern generell als die Dramaturgie einer Therapie in ihrem zeitlichen Ablauf, um sie in einen sinnhaften Rahmen einzubetten.

Prof. Dr. Dirk Revenstorf

Universität Tübingen

MH Erickson Akademie

Gartenstr. 18

72074 Tübingen

Einleitung

Ein „Sachbuch“ über Fantasiereisen zu schreiben, das klingt zunächst wie ein Widerspruch in sich. Ein Widerspruch, der sich jedoch aufzulösen lohnt! Und ich bin neugierig darauf, mit Ihnen zusammen diese „Versachlichung“, die Erklärung der dramatischen Struktur solcher Reisen und ihren therapeutischen Effekt, genauer unter die Lupe zu nehmen. Durch das Verstehen der „Struktur der Magie“ sollen Sie sich zudem selbst ein Rüstzeug zulegen können, um eigene Fantasiereisen zu entwerfen und diese an die Bedürfnisse Ihrer Klienten anzupassen.

Als ich vor vier Jahren damit begann, Fantasiereisen zu schreiben, machte ich die Erfahrung, dass alles, was mir aus dem großen Fundus der Psychotherapie zur Verfügung stand, in Fantasiereisen transformiert werden konnte, und zwar zum großen Nutzen meiner Klienten. Von der Psychoanalyse über die Verhaltenstherapie, den manualisierten Verfahren der Dialektisch-Behavioralen Therapie, den kognitiven Verfahren und natürlich auch den nonverbalen Therapieelementen wie Atemübungen, Progressiver Muskelentspannung, Autogenem Training, Yoga, Meditation und sogar Feldenkrais und Kunsttherapie, von der Achtsamkeit, der Zentrierung, der Exposition – mental oder sensorisch –, der Schema- und der Gestalttherapie, dem modernen Intersubjektivismus: Alles konnte in einer Geschichte verpackt und dem Unbewussten zugänglich gemacht werden.

Beim Verfassen meiner Texte habe ich mich an Joseph Campbells Heldenzyklus orientiert, einer metaphorische Reise in das Innere des Menschen. Die Dramaturgie der Geschichten1 beinhaltet demnach eine universelle Erzählstruktur, auf die ich in den Kapiteln 1 und 2 genauer eingehen werde. Die sogenannte Heldenreise dient mir also als zentrale strukturelle Vorlage. Aufgrund meiner Tätigkeit als Drehbuchberater für TV-Serien war mir diese Struktur aus dem Bereich Film und Fernsehen vertraut. Ich wusste um ihre Wirksamkeit. Die Reise des Helden funktioniert, auch – oder gerade – wenn es sich um „Kopfkino“ handelt.

Analogien zu Campbells Heldenreise finde ich auch ständig in meiner Arbeit als analytisch-tiefenpsychologischer Therapeut. Metaphorisch ausgedrückt könnte man also sagen: Der Klient selbst wird im Rahmen der Fantasiereisen zum Helden seiner eigenen Reise. Ich bin als Psychotherapeut der Schwellenhüter, das Orakel, der Herold, ja auch der Schatten, der auf der Seele des Klienten lastet. Vor der Transformation, also der Veränderung durch Verwandlung, stehen die Krise und die Offenbarung und zuvor, ganz zu Beginn, sind der Widerstand und die Negierung, die Verweigerung, typische Stationen – in der Heldenreise ebenso wie in der Psychotherapie. Am Ende der Reise warten Einsicht und Lösung, wird durch das Loslassen aktueller Verhaltensweisen die Heilung durch Wiedergutmachung und Einsicht in den Konflikt erreicht. Die Rückkehr in die „normale Welt“ des Alltags als das Ziel dieser Reise besteht in dem Wiederherstellen der Funktionalität des Klienten. Und mehr noch: Der Klient soll wachsen und Herrscher über die Welt des Bewusstseins (die bekannte Welt) und des Unterbewusstseins (die unbekannte Welt) sein, das Bekannte mit dem Unbekannten verbinden und neue, gute, starke, positive Fertigkeiten in sich entdecken und anwenden können – um sich so für das Leben zu befreien. So weit die Parallelen zu Joseph Campbells Heldenzyklus.

Von großer heilender Bedeutung sind die stützenden, haltenden Elemente der Fantasiereisen. In der positiven Suggestion etwa, einem Bestandteil der Hypnotherapie, kann – von der positiven Beschreibung bis zu sinnlich spürbaren Elementen – alles erlaubt sein, was Wärme, Ruhe, Wohlgefühl, Sicherheit und Geborgenheit vermittelt. Ergänzt durch eine angenehme, haltende Stimme des Vortragenden oder durch Klangelemente wird das ganz basale Bedürfnis, gut gehalten zu werden (Containing, Bion 1962), erfüllt.

Was bisher an Entspannungstexten und Fantasiereisen geschrieben wurde, hat diese Elemente meiner Ansicht nach noch nicht ausgereizt. Da sind beispielsweise „Der Fels in der Brandung“ (von Autorin Luise Reddemann) oder die Metapher des Baumes, der mit seinen Wurzeln fest und tief im Erdreich steht, zu erwähnen. Auch die ritualisierten und recht kurzen, die Schwellenerfahrung betreffenden Fantasiereisen von Paul Rebillot, die als Teil seines therapeutischen Gruppenerlebnisses in dem Buch Die Heldenreise – Das Abenteuer der kreativen Selbsterfahrung (2011) zu finden sind, sind hier zu nennen. Mir waren diese Bilder stark genug, aber noch nicht auserzählt. Zu kurz wird die innere Welt der eigenen Vorstellungskraft gestreift. In meinen Texten versuche ich also, den Klienten seine eigene Kraft länger spüren zu lassen. Er soll die Möglichkeit erhalten, Fähigkeiten in der Vorstellung zu erleben, die er in der Realität vielleicht bisher nicht hatte oder deren Entwicklung ihm nicht so einfach gelingen will. Denn das Narrativ der Fantasiereise ist eine große positive Suggestion, die dabei hilft, sich von starren inneren Bildern zu befreien.

Mein Ansatz geht aber noch weiter: Weg vom Archetypus (Jung, Campbell, Rebillot) hin zum psychischen (neurotischen) Konflikt, dem persönlichsten aller „Monster“. Mit der psychodynamischen Operationalisierung (OPD-2, 2006) wurden die sieben Grundkonflikte der Psyche erstmals systematisch aufgeführt. Wie ich in Kapitel 2 zeigen werde, handelt es sich bei diesen Grundkonflikten um psychologische Gegensatzpaare (Perls, Hefferline & Goodman 1951), die eine dramaturgisch erzählbare Einheit der Gegensätze (Egri 1946) bilden. Diese Gegensätze sind durch das emotionale Erforschen in einer Fantasiereise erfahrbar.

Fantasiereisen erzählen die Geschichte des Klienten zu Ende, indem sie metaphorisch die realen Konflikte auflösen. Die Berührung und Neutralisierung der eigenen Konflikte wird zur ganz persönlichen, heilsamen Erfahrung.

Zudem gesellen sich auch spirituelle Gedanken und psychologische Leitsätze dazu, etwa solche wie: „Wenn du es dir vorstellen kannst, dann kannst du es auch machen.“ Wie ein Gewürz, eingestreut in den Fluss der Erzählung. Nicht zu viel davon, sondern die Imagination abrundend.

Ziel dieses Buches

Ich möchte meinen Klienten gute und vor allem heilsame Geschichten erzählen. Geschichten, mit denen sie umgehen können, auf die sie sich einlassen, um neue Kraft zu tanken und ihre Ressourcen zu mobilisieren. Und mit diesem Buch soll eine Anleitung entstehen, mit der auch Sie solche Geschichten kreieren und effektiv einsetzen können.

Im Gegensatz zu einer medikamentösen Behandlung haben Fantasiereisen keine Nebenwirkungen im eigentlichen Sinne. Allerdings kann es beim Klienten durch bestimmte Formulierungen auch zu unerwünschten Konfrontationen mit negativen Erinnerungen kommen. So positiv und behutsam der Text auch gestaltet ist, es bleibt die Gefahr, dass früh oder schwer traumatisierte Menschen durch das Gehörte getriggert werden. Darauf werde ich in Kapitel 5 näher eingehen. Hier sei nur gesagt: Ich plädiere für etwas mehr Mut, auch wenn es zu solch einem unbeabsichtigten Triggern kommt, damit ein Heilungsvorgang induziert werden kann. Teils rührende Rückmeldungen von traumatisierten Klienten, die mit meinen Fantasiereisen „gearbeitet“ haben, sind ermutigend und bestätigen die heilsame Wirkung. Wenn der Text der jeweiligen Fantasiereise beispielsweise eingesprochen wurde, kann die kritische Passage immer wieder „neu“ gehört werden. Oder eine Pause kann durch das Stoppen der Aufnahme bewusst erfolgen – analog zum Stopp-Gedanken und zur graduellen Exposition an mentale Vorgänge und Erinnerungen. Vor allem aus der Traumatherapie kennen wir solche Vorgänge.

An dieser Stelle kann man zu Recht fragen, wie es mit der wissenschaftlich bestätigten Wirksamkeit von Fantasiereisen aussieht. Psychodynamische Verfahren im Allgemeinen sind nach wie vor schwer operationalisierbar, die Wirksamkeit von Psychoanalyse und Tiefenpsychologie sind empirisch weiterhin schwerer fassbar als etwa die Verfahren aus der Verhaltenspsychologie (DBT, VT, CBASP, NET, CBT). Auch bei der Inszenierung der Konflikte als Fantasiereise und beim Nachvollziehen des Erlebens des Klienten könnte ein entsprechendes Tool zur Messung helfen, die persönlichen Hängepunkte des Klienten zu überwinden. Meine Erfahrung als Therapeut ist, dass das Ausbreiten des Konflikts in Form einer Fantasiereise den „Aha-Effekt“ beim Klienten eindringlicher und tiefer erfahrbar macht, was wiederum eine nachhaltigere Veränderung der persönlichen Realität nach sich zieht: Es erfolgt eine katalytische emotionale Reinigung, die Befreiung aus der neurotischen Fehlhaltung, die Würdigung der Verletzungen und eine Versöhnung mit sich selbst. Abwehrstrategien und Vermeidung werden aufgegeben und für mehr Freiheitsgrade ausgetauscht.

Aufbau des Buches

Zwei meiner Fantasiereisen sind vertont und im Downloadbereich zum Titel (Mediathek) unter http://www.junfermann.de abrufbar. Außerdem finden sie dort weitere Fantasiereisen in schriftlicher Form. Die entsprechenden Texte sind im Buch mit dem Icon  markiert

Im methodischen Teil dieses Buches werde ich einerseits Texte vorstellen, die in verschiedenen Kontexten der Therapie eingesetzt werden können. Andererseits werde ich die Dramaturgie der Fantasiereisen näher beschreiben, damit Sie individuelle Texte nach Ihrem eigenen Bedarf gestalten können. Dieser kreative Prozess beginnt mit der Festlegung des Themas und der Prämisse, abhängig vom psychologischen Konflikt (z. B. bestimmt nach OPD-2), und der Festlegung auf ein paar typische Merkmale dieses Konfliktes. Dazu wird ein Bild entwickelt, eine Metapher, welche immer mehr Raum in der Suggestion einnimmt. In der Einleitung meiner Fantasiereisen finden sich viele Elemente zur Achtsamkeit und zur Entspannung, die mit körperbetonten Übungen zur Atmung und Entspannung direkt oder indirekt das Vegetativum / den N. Vagus stimulieren. Zum weiteren Verlauf biete ich schematisch einen Algorithmus für Fantasiereisen an, der je nach individuellem Bedarf mit Inhalten gefüllt werden kann (vgl. Kap. 8).

In diesem Buch werde ich Ihnen auch die genaue Wirkung der Fantasiereisen verdeutlichen. Beim Eintauchen in die Geschichten verschwimmen beim Klienten Vorstellungskraft und Realitätssinn in der sogenannten Primärwahrnehmung, ein eher unkritischer Zustand des Bewusstseins, in dem auch Widersprüchliches möglich ist. Sie ist aus der Hypnoseinduktion bekannt. Es muss letztendlich keine Trance sein, die hier erreicht wird, es kann dem aber sehr nahe kommen. So können, befreit von kritischer Selbstzensur und Bewusstseinskontrolle, ungewohnte und neue Handlungsanleitungen und Spielräume erprobt werden, was unterschiedliche positive Effekte auslöst. Das Erleben positiver Dinge, etwa das Wunder des Lebens und der Natur oder der Spiritualität, sind im Zentrum der Reise möglich und wichtig.

Es gibt immer wieder gute Beispiele heilender Geschichten. Gerade bei traumatisch erlebten, unbewusst oder nur vorsprachlich gespeicherten Erfahrungen. Aus der modernen Traumatherapie und den aktiven Interventionen durch die Arbeit mit Dissoziation gelingt es, emotional heilende Effekte zu erreichen, um den abgetrennten, schwer benennbaren, emotionalen Teil des Traumas zu integrieren (z. B. in „Das verfolgte Selbst“, van der Hart, Nijenhuis & Steele 2008). Dieser Effekt ist natürlich auch für nicht traumatisierte Klienten, die mit anderen Störungsbildern zu Ihnen kommen, nachvollziehbar.

Induziert werden diese mächtigen Effekte durch eine organische Struktur des Gehirns, der gut untersuchten Spiegelneurone in synchron aktivierten Arealen des Neokortex. Wenn es zu einzelnen Sinneswahrnehmungen kommt, ergänzt bzw. erlebt das Gehirn diese Wahrnehmungen und Informationen – selbst wenn es nur Sprache ist – als ein nahezu reales Phänomen, da dieselben Hirnbereiche aktiviert werden, die durch tatsächliches Erfahren (sensorisch) oder Tun (motorisch) aktiv sind. Hierzu sind fMRT-gestützte Daten sehr spannend. Die psychochemische Reaktion, ihr antidepressiver Effekt, ist derzeit Gegenstand einiger Forschungsprojekte und wird im Folgenden ebenfalls kurz erläutert.

Als Schauspieler Hans Sigl die von mir entworfenen Texte zum „Hörfreund“ (CD-Reihe, die eine Mischung moderner Verfahren zur Entspannung beinhaltet) einlas, sagte er mir hinterher fasziniert: „So etwas habe ich noch nie gelesen ...!“, und genau diese Reaktion hatte ich mir erhofft. Denn ich wollte authentisch sein, auch meinen eigenen Gefühlen und Wahrnehmungen gegenüber. Beim Schreiben machte ich selbst korrigierende Erfahrungen. Wenn es für mich stimmig war – ich quasi eigene Spiegelneurone aktivierte, emotional und kognitiv –, dann stimmte auch der Text. Verblüfft war ich, dass es bei mir genauso wirkte, mich ebenso berührte wie meine Klienten. Und diese Erfahrung wünsche ich Ihnen und Ihren Klienten ebenfalls.

Ihr

Pablo Hagemeyer

1 Begriffe wie Story, Geschichte, Narrativ etc. verwende ich im Folgenden synonym. Sie beziehen sich immer auf Fantasiereisen.

TEIL I: FANTASIEREISE IM PSYCHOTHERAPEUTISCHEN SETTING

1. Der psychotherapeutische Prozess als Heldenreise

„Nur Reisen ist Leben, wie umgekehrt das Leben Reisen ist.“

– Jean Paul (1763–1825)

1.1 Die Entdeckung des Monomythos

Die Tiefenpsychologie war für Joseph Campbell, dem amerikanischen Mythenforscher und Begründer der „Heldenreise“ (1949), der einzige Weg, die Geschichten des Menschen nach Gemeinsamkeiten aufzuschlüsseln. Er erkannte in seiner Arbeit um das Geschichtenerzählen viele Analogien zwischen Mythen, Legenden, Märchen, biblischen und vorbiblischen Geschichten, die bis heute die gesetzmäßige Struktur einer Geschichte ausmachen. Selbst das Storytelling in Hollywood lebt von Joseph Campbells Regelwerk. Bis heute. Nur mit diesem Regelwerk scheint eine Story wirklich zu funktionieren. Campbell beschrieb mit dem Konzept des „Monomythos“ (2011) die wahrhaftige Erzählstruktur, die in unterschiedlichen Ausprägungen immer wieder von Menschen neu erzählt wird. Eine universelle Lehre gewissermaßen, unbewusst in uns Menschen angelegt. Menschliche Geschichten sind demnach einerseits tief verankert in dieser unbewussten Struktur und projizieren andererseits diese Struktur entsprechend auf Leinwände und in Bücher, wo sie als gute Storys von anderen Menschen wiedererkannt werden. Diese Doppelung des inneren Bedürfnisses nach einer guten Geschichte und danach, eine gute Story erzählen zu können, ist Teil unseres Menschseins, Teil unserer menschlichen Natur. Denn die Geschichten transportieren profunde menschliche Wahrheiten und Erkenntnisse. Möglicherweise transportieren sie sogar am besten Emotionen wie Tatsachen eines Geschehens gleichermaßen. Und damit sind wir direkt im psychotherapeutischen Vorgang angekommen.

Wenn wir eine Geschichte hören, wenn wir eine Geschichte erzählen, dann nutzen wir die Symbole und die Erzähltechnik, wie sie einst Joseph Campbell benannte. An diesen Symbolen hängen Emotionen und Fakten zugleich. Ist die Story gut, werden wir Zuhörer oder Leser haben. Ist die Story schlecht, kommt es nicht zur Doppelung eigener Erfahrungen im anderen durch die Geschichte. Dann nimmt das Interesse an der Story rasch ab. Es kommt zu Phänomenen der Erschöpfung, Langeweile und Ablenkbarkeit. Vergleichbar mit dem Empfinden des Therapeuten bzw. des Klienten während einer zähen Psychotherapie. Sie kann sich als erschöpfend und ermüdend darstellen, vielleicht weil die Story dazu ebenfalls zu eindimensional ist, zensiert durch einen mächtigen bewussten oder unbewussten Zensor: Der Klient teilt etwas Entscheidendes nicht mit, der Kern des Problems, das ihn in die Therapie geführt hat, ist (noch) nicht erkannt.

Der Ansatz Campbells kann im Umkehrschluss in seiner Wirkung auf eine solch stockende Psychotherapie tatsächlich Wunder wirken. Joseph Campbell wollte ja mithilfe der Tiefenpsychologie und der Erkenntnisse um Archetypen (definierte symbolische Menschengestalten, die für bestimmte emotionale Botschaften und Handlungen stehen) die Gesetzmäßigkeiten der Geschichten aufschlüsseln. Ebenso hilfreich ist es, diese durch Campbell benannten Strukturen auf die psychotherapeutische Begegnung zu übertragen. Dazu muss nicht unbedingt sogleich Imagination oder eine Fantasiereise inszeniert werden. Es reicht, sich als Therapeut zu fragen: „An welchem Punkt stehen wir eigentlich gerade in der Heldenreise des Klienten?“

Um eine klarere Vorstellung davon zu bekommen, wie so etwas aussehen könnte, möchte ich die typischen Wegmarken der Heldenreise im Folgenden vorstellen.

1.2 Die Heldenreise als Zyklus

Die Heldenreise stellt sich in einem Zyklus dar. Start und Ende der Reise sind nahezu derselbe Ort (s. Abb. 1.1). Die Imagination kann an einem für den Klienten vertrauten oder auch an einem magischen Ort beginnen und enden.

Der Zyklus ist in zwei Hälften aufgeteilt. Der obere Teil (in der Abbildung) entspricht der bekannten Welt, analog zur bewussten Welt des Klienten. Der untere Teil repräsentiert die unbekannte Welt, das Unbewusste, das Verdrängte, das Vergessene. Es ist das Fremde oder das Ferne und Unbekannte. Beide Teile repräsentieren jedoch auf einer Metaebene das vollständige Selbst des Reisenden mit seinen bekannten und unbekannten Anteilen. Der Reisende weiß nicht, dass die unbekannte Welt auch ein Teil von ihm selbst ist. Daher erscheint ihm diese Unternehmung geheimnisvoll, ist vielleicht angstbesetzt oder löst anfangs Zweifel und andere irritierende Emotionen aus. Im psychotherapeutischen Setting symbolisiert dieser Zyklus die Reise zum eigenen Selbst. Vermutlich eines der größten menschlichen Abenteuer.

Abbildung 1.1: Die Heldenreise als Zyklus

Die Grenzen zur Unterwelt – in sie hinein und aus ihr wieder heraus – liegen an den Schnittpunkten beider Welten nach dem ersten Viertel der Reise (x) und vor dem letzten Viertel der Reise (z). Diese Schnittstellen sind Schwellen zur oder Orte der Veränderung. Auf der Hälfte der Reise liegt der Tiefpunkt (y), eine ganz besondere Schnittstelle genau gegenüber dem Start- und Endpunkt. Hier trifft man auf den Ort der Verwandlung des Selbst (Midpoint).

Die Reise beginnt gegen den Uhrzeigersinn. Campbell hat dies bewusst so gewählt, und zwar aus einem wichtigen Grund: Der Held beginnt seine Reise gegen Widerstände. Links herum die Reise zu starten bedeutet, von Anfang an inneren und äußeren Widerständen zu begegnen und sie zu überwinden. Die eigene Verweigerung, die eigenen Ängste, die eigenen Bedenken inklusive. Bereits an diesem Punkt treten sehr deutlich die Konflikte zutage, die im Helden schlummern und die in der Welt des Unbewussten verortet sind. Befürchtungen können erahnt, erstmals spürbar werden, ebenso wie eigene Bedürfnisse. In der Realität bezieht sich dies auf den Erstkontakt zu Beginn einer Psychotherapie. Als Therapeuten wissen wir um das normale anfängliche Zögern und die aufschiebenden Verhaltensweisen unserer Klienten, die im Denken und Fühlen auch Vermeidungsstrategien entwickeln, noch bevor die Reise richtig losgeht. Zu Beginn also überwindet der Klient in seiner Funktion als „Held“ seiner eigenen (Psychotherapie-)Reise diesen ersten Startpunkt. Nach und nach fasst er Vertrauen und ist bereit, sich mehr und mehr zu öffnen, die Reise in die unbekannte Welt also fortzusetzen.

Schon jetzt wird klar: Die Orte „bekannte Welt“ und „unbekannte Welt“ sind ebenso symbolisch wie konkret. Es sind stoffliche, reale äußere Welten, aber auch innere, spirituelle, fantastische und imaginierte Welten. Es sind die Welten des Helden (der Fantasiereise), aber auch die Welten des Lesers und Zuhörers – also die unseres Klienten. Es kommt zu Doppelungen eigener und fantastischer Welten.

Die erste Schwelle

An der ersten Schwelle zur unbekannten Welt (x) entscheidet sich der Held, die Reise nun anzutreten und sie aus eigener Kraft zu bestreiten. Dafür muss er seine Komfortzone, also die ihm bekannte Welt verlassen. Dieses Eintreten in eine neue, fremde Welt wird oft durch einen Moment der Erschütterung angestoßen: Der Held, unser Klient, hat eine erste Erkenntnis, die den Anfang der notwendigen Veränderung markiert. Er spürt, dass es Zeit ist, zu handeln. Dieser „Weckruf“ kann ein traumatisches Ereignis sein, ein großer Schreck, ein mentaler Schubs. Es ist das Leiden unseres Helden, das ihn motiviert. Viele Klienten leiden an einer Störung, die sie nicht begreifen. Das Motiv ist weniger die Neugierde oder die Lust auf ein Abenteuer, sondern der erhebliche Leidensdruck. Sie wollen etwas tun und ersuchen durch eine Gesprächstherapie um Hilfe.

Es kann auch sein, dass der Ruf (zunächst) nicht gehört wird, vielleicht weil der Held so depressiv, abgestumpft, abgelenkt, verblendet, verwirrt, erschöpft oder ratlos ist, dass die Chance auf eine Therapie und einen Veränderungsprozess nicht wahrgenommen wird. Also schickt ihm das Leben immer mehr Weckrufe, bis er es versteht. Der auserwählte Held wird beispielsweise immer häufiger mit „Monstern“ oder „Dämonen“ konfrontiert, bis er einsehen muss, dass sein Leben eine Veränderung braucht. Immer wieder kommt es beispielsweise zu Situationen, die die depressive Episode verschlechtern oder wieder auslösen. „Dämonen“ können Personen, Situationen, Probleme sein, die den Klienten davon abhalten, sich selbst zu finden und ein authentischeres Selbst zu werden (Rebillot 2011). Eine Zeit lang macht er vielleicht ungeachtet dessen weiter wie bisher, ohne sich mit den Dämonen zu befassen (Verleugnung). Aber dann werden die einzelnen depressiven Episoden immer schwerer und schwerer. Der Held erwacht erst, wenn er sich aufgrund der persönlichen Einsicht für eine Therapie entscheidet, um so – hoffentlich erfolgreich – die Dämonen zu vertreiben. Der innere Widerstand des Helden (Verweigerung) löst sich nicht allein auf, wenn äußerer Druck (beispielsweise durch Angehörige, die ihn zur Therapie drängen) und innerer Druck (beispielsweise große Verzweiflung) extrem spürbar werden. Nur wenn die innere Bereitschaft zur Veränderung da ist, gelingt die Umsetzung.

Der Bereitschaft zu handeln geht die Einsicht voraus, dass dies der einzige gangbare Weg für den betroffenen Menschen ist. Wäre die Verweigerung stärker, bliebe es beim Stillstand, beim Status quo.

Der Weg in die Unterwelt

Das Überschreiten der ersten Schwelle ist nicht einfach. Sie wird streng bewacht. Ein mächtiges Tor oder Portal schützt die bekannte Welt vor der Unterwelt und umgekehrt. Allein der Auserwählte für diese Reise, also der Held selbst, ist in der Lage, das Portal zu durchschreiten und an den „Wächtern der Ordnung“ vorbeizuschreiten. Oft gibt es hier magische Hilfsmittel und rätselhafte Helfer, die den Helden über die Schwelle bringen. Es kommt zu Verlusten, die der Held ertragen muss, bevor oder wenn er das Tor durchschreitet. Er muss dazu bereit sein und die erste größere Befürchtung ängstlich ertragen. Er muss also durch die Angst ebenso wie durch das Tor hindurchgehen. Analogien zum realen Leben sind hier offensichtlich: Wenn wir als Klient eine Therapie machen wollen oder sollten, dann müssen wir dafür etwas aufgeben (z. B. Zeit, die sonst der Familie oder Beruflichem gewidmet werden konnte). Klienten haben möglicherweise längst Wichtiges verloren oder laufen Gefahr, es zu verlieren (Gesundheit, Tätigkeit, Angehörige). Oder sie haben Erschreckendes erlebt (Katastrophen, Unfälle).

Die Angst, die der Klient vor dem Überschreiten der Schwelle spürt, wird aber auch zum Stimulus, mobilisiert verborgene Kräfte und somit die Bereitschaft, sich den eigenen Problemen zu stellen. Eine Angststörung beispielsweise zeichnet sich durch eine sehr große irrationale Erwartungsangst aus, die sich dem Helden als „Monster“ zeigt. Vor dem Tor steht dieses Ungeheuer mit seiner Fratze der Angst, und zusätzlich repräsentieren vielleicht gefallene Ritter oder zerstörte Gebäude alte Niederlagen. Diese negativen Vorerfahrungen verstärken die Angst natürlich. Hier kann der Psychotherapeut helfen, diese schlechten Vorerfahrungen aufzuarbeiten und sie neu zu deuten oder einzuordnen, zur Erleichterung des Helden. Der Held lernt von dem Therapeuten, sich an die Angst zu gewöhnen (Habituation), und andere Tricks, um letztlich durch die Angst zu gehen. Es kommt zum ersten Kampf mit dem Angst-Monster, und da der Held der Auserwählte seiner eigenen Reise ist, wird er den Kampf gewinnen. Die Angst erlischt (vorerst) und Vertrautheit tritt stattdessen ein. Vertrauen in sich selbst und in die Beziehung zum Therapeuten sind die Grundlage für diesen Schritt. Ist dies alles gelungen, kann der Auserwählte die ängstliche Situation entschärfen und bewältigen und durch das Tor gehen. Er lässt also seine alte Angst und die zuvor erlebten Niederlagen am Tor zurück und macht so erste wichtige korrigierende Erfahrungen, etwa die Fähigkeit, alte vergangene Geschichten auch loslassen zu können.

Gelangt der Held über diese erste Schwelle, dann betritt er das unbekannte Land. Im nächsten Teil seiner Reise wird er massiv konfrontiert. Hier wird das Spiel zwischen den ureigenen Bedürfnissen und Befürchtungen deutlich. Der psychische Konflikt als Wechselspiel zwischen Bedürfnis und Befürchtung wird dramatisch durchlebt und analog zur Psychotherapie „durchgearbeitet“. Durch Hindernisse und Schwierigkeiten, die er der Reihe nach lösen muss, geraten Bedürfnisse in große Gefahr. Die Befürchtungen werden immer realer. Seine gewohnte Welt, die er längst verlassen hat, liegt nun weit und unerreichbar hinter ihm. Rückweg ausgeschlossen. Nur der Weg nach vorne ist möglich. Diesem Pfad wird der Held nun folgen.

Auf diesem neuen Abschnitt begegnet der Held in Gestaltform seinen größten Ängsten. Das können irrationale Ängste sein, wie die Angst vor eigentlich ungefährlichen Situationen oder Dingen. Oder sehr konkrete Ängste, die sich aus dem individuellen Konflikt ableiten. Etwa die Angst vor dem Verlassenwerden bei einem Autonomiekonflikt. Die Angst vor bestimmten sozialen Situationen, etwa die Angst, beschämt zu werden oder zu versagen, bei einem Selbstwertkonflikt. Oder existenzielle Ängste, die Angst, zu erkranken oder zu sterben. Diese Ängste tauchen als Gestalten in Form von „Monstern“ auf: Gegenspieler, Antagonisten, Hexer, böse Zauberer, Menschen, die ihr „wahres Gesicht“ zeigen. Der Reisende selbst erkennt seine eigenen dunklen Seiten. Gegen ihn spielende und agierende Figuren und Gegebenheiten bedrohen seine Reise so sehr, dass die ausgemachten Ziele in Gefahr sind, ja, bedroht sind, für immer verloren zu gehen. Scheinbar unüberwindbare Situationen treten ein, tragen die Symbolkraft der größten eigenen Ängste. Diese gegnerische Kraft können auch eigene Charaktereigenschaften sein, die sich jetzt als großes Hindernis erweisen und die Reise torpedieren: Selbstüberschätzung oder Selbstzweifel bis zur drohenden Selbstzerstörung. Diese Gegenspieler (Antagonisten) verkörpern das Eintreten der größten Befürchtung (beispielsweise „Ich habe Angst, verlassen zu werden“). Damit werden die unbewussten, verdrängten, unbekannten Anteile des Helden zur sichtbaren Form. Diese Gestalt wird „der Schatten“ genannt und symbolisiert das „Schattenthema“ des Klienten. Dieses Thema überträgt sich bald auch auf die Therapiesituation. Vielleicht zweifelt der Klient, ist verunsichert, das Vertrauen erscheint erschüttert, oder er hat Angst, verlassen oder verletzt zu werden und ohne Halt alleine zu sein. Hier ist der Therapeut an der Seite des Helden ein sehr wichtiger Helfer. Als helfender Archetyp des Helden kann der Therapeut Befürchtungen abmildern und bereits ein Stück weit auflösen. Dazu schlüpft der Therapeut mal in die Rolle des Schattens und mal in die Rolle des helfenden Begleiters, um die Dimensionen des Konfliktes gemeinsam mit dem Klienten zu erforschen. Spielerisch und mit Ansage („Ich bin jetzt mal Ihr freundlicher Begleiter in Ihrer Reise“) kann der Therapeut den Klienten motivieren, trotz seiner Befürchtungen weiterzumachen und nicht aufzugeben. Das zaubert oft ein Lächeln in das Gesicht des Klienten.

Als Schattengestalt kann der Therapeut auch Fragen stellen wie: „Wäre ich jetzt Ihre größte Befürchtung, was müsste ich in Ihrer Geschichte tun und wie würde ich aussehen?“

Der Therapeut (in neuer Gestalt als Freund, Kollege oder Partner und in der Fantasiereise als tragende, führende Stimme) kann helfen, die ersten großen Schwierigkeiten zu meistern: durch Mitgefühl, Halt, Hoffnung, Zuversicht, Sicherheit, Verständnis, Aufmerksamkeit und emotionale Echtheit, ja, sogar mit Humor und Ernsthaftigkeit, die den Klienten zur Reflexion anregen, mit Information und Psychoedukation, um dem Helden zurückzumelden: „Das ist schon ganz in Ordnung, was du da gerade denkst und tust.“

Der Midpoint: Offenbarung, Erkenntnis und Wandlung des Selbst

Schließlich auf der Hälfte der Reise angelangt, gerät der Held an den tiefsten Punkt (y). Hier ist er am weitesten entfernt von seinem Start- und Endpunkt. Hier ist er tief in der Welt des Unbewussten, der fremden Welt angekommen. Im Storytelling wird dies auch Midpoint genannt. In diesem Moment kommt es zur Offenbarung und Erkenntnis. Und zwar in der Begegnung mit dem Schatten: der größten aller Ängste. Vielleicht in seiner Symbolik zerstörerisch, mächtig und traumatisch. Ein beeindruckender Moment. Übertragen auf den therapeutischen Vorgang ein Moment der emotionalen Berührung. Nicht immer retraumatisierend, aber schon sehr ergreifend: Einerseits zeigt sich der Schatten, aber zugleich wird er erstmals nicht mehr bekämpft und verdrängt, sondern bewusst betrachtet, emotional begriffen und erlitten. Das Selbst erkennt sich selbst in diesem Moment, hat Einblick in die Wahrheit seines Leidens und entwickelt neue Strategien, damit umzugehen. In diesem Moment der Wahrheit erkennt der Klient auch eigene Irrtümer, Fehlwahrnehmungen, Fehleinschätzungen und Täuschungen.

Der Reisende lernt in diesem Moment der Krise etwas Fundamentales über sich und seine Existenz. Hier findet emotionales Lernen statt. Der Klient ist zudem stabil genug, dies zu ertragen und emotional zu überleben. Hier zeigt sich heldenhafte Stärke. Der Reisende erkennt unter einer starken emotionalen Berührung und unter großer seelischer Anspannung, was er wirklich ist, was er wirklich will und was er wirklich benötigt. Ein Moment transzendenter Einsicht in das eigene Leben. Die bisherigen Bedürfnisse erfahren eine deutliche Korrektur, neue und authentischere Bedürfnisse entstehen im Helden. Und die bisher mächtigen Befürchtungen verändern sich ebenso, verlieren nach der dramatischen Konfrontation mit dem Schatten an Macht und Einfluss. Zudem gewinnt der Held neue Fertigkeiten und Fähigkeiten, die ihm ein Weiterreisen ermöglichen, um letztendlich (Höhepunkt der Reise) das Schattenthema endgültig zu bewältigen.

In einer konfrontativen Traumatherapie etwa wird der Midpoint immer und immer wieder durchschritten, um graduell emotionale und vegetative Gewöhnung an die traumatische Erfahrung zu erreichen. In der Arbeit mit dem inneren Kind werden durch Zuschreibungen an das Kind früh erlebte Belastungen ausgesprochen, betrauert, getröstet und mit Dankbarkeit aufgelöst.

 FALLBEISPIEL

Komplexe Zwangsgedanken auflösen

Ein 45-jähriger Klient mit Zwangsgedanken erfährt Entscheidendes über seine Kindheit, als wir uns seinem persönlichen Midpoint nähern. Bis zu diesem Zeitpunkt war er überzeugt, Schuld am Tod seines Vaters zu sein, der an einem Schädelbasisbruch starb.

Die erinnerte Szene war folgende: Der Vater meines Klienten, ein jähzorniger, alkoholabhängiger Mann, war in einer Schlägerei am Kopf verletzt worden. Aus dem Krankenhaus hatte er sich kurz danach selbst wieder „entlassen“ und war nach Hause getürmt. Dort sah der neunjährige Sohn (mein Klient) Blut am Hinterkopf des Vaters austreten. Vor der Mutter verschwieg der Sohn diese Beobachtung. Aus heutiger Interpretation war es für den Sohn zunächst eine erschreckende Beobachtung, die er jedoch nicht als für den Vater lebensbedrohlich einstufte. Der Vater selbst war offenbar so benommen (und alkoholisiert) gewesen, dass er seine Verletzung nicht bemerkte. Die Mutter kümmerte sich nicht weiter um ihn und tags darauf verstarb der Vater an den Folgen der Schädelfraktur.

Mein Klient verknüpfte den Tod des Vaters mit dem „verheimlichten“ Blut und gab sich selbst die Schuld daran, es nicht der Mutter gesagt zu haben. Durch das Durchleben der damaligen dramatischen Szenen konnte aufgelöst werden, dass nicht er schuld am Tod seines Vaters sein konnte. Als Kind war er weder emotional noch intellektuell in der Lage gewesen, die Situation mit ihren Folgen zu erfassen. Stattdessen schlug sich kindliches Schuldgefühl nieder. Diese Schuldfantasie spielte eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der Zwänge des Klienten: Er verknüpfte Personen und Gegenstände mit Schuldgedanken, was sich als komplexer Zwangsgedanke ausformte. Wir konnten bald gelöster darüber reden, was ihn seelisch als Kind überfordert und getroffen hatte. Seine größte Befürchtung, sich schuldhaft zu verhalten oder zu denken, sein Bedürfnis, dies durch Zwangsgedanken und hieraus resultierende Handlungen zu kontrollieren, wurde offensichtlich. Im Midpoint seiner Therapie hatte mein Klient erstmals Einsicht in den Ursprung seines Verhaltens (Schuldkonflikt). Eine Qual, die leichter wurde, als er sich selbst verzeihen und den Schuldgedanken und die Schuldgefühle, verbunden mit dem Tod des Vaters, ein Stück weit auflösen konnte.

Ist dieser intime Moment des Midpoints überwunden, durch einen Kampf (mit dem Schatten) oder durch einen Vorgang der Verwandlung (Zerstörung – Schöpfung, Tod – Auferstehung, Ende – Neubeginn, Lösung – Verschmelzung), kann der Held die zweite Hälfte seiner Reise antreten. Dieser Midpoint hat hohe Symbolkraft und ist nicht immer konkret realistisch zu fassen. In der Imagination einer Geschichte ist es ein alles durchdringender, ein alles berührender Ort. Ein Traum-Ort in der Traum-Zeit. Hierbei ist dem Helden einiges klar geworden. Er hat verstanden, worum es eigentlich (im Leben, in seinem Leben) wirklich geht. Und wird so neu geboren aus der Krise. In der Gesprächstherapie ist der Midpoint der berühmte „Aha-Moment“. Der Klient steht nun nicht mehr „auf dem Schlauch“ und blockiert sich nicht mehr selbst mit irrationalen Annahmen. Ein Moment kathartischer Einsicht und der Startpunkt für „posttraumatische“ Heilungsvorgänge. Der Glaube an sich und die Macht über sich selbst werden wiedererlangt.

Für meinen Zwangsklienten bedeutete der zweite Teil seiner Reise, mit passenden mächtigen Gegengedanken seine Zwänge aufzulösen und zwanghafte Verknüpfungen aufzugeben, Distanz aufzubauen (Metakognitive Therapie, Wells 2009), um sich von der quälenden Illusion, schuldig zu sein, zu befreien. Wir arbeiteten hier sehr intensiv mit dem „inneren Kind“. Vor allem ging es darum, sich selbst als Kind zu verzeihen, sich zu befreien von einer Schuld, die nie die seine war. Dies gelang nur durch wiederholtes Bewusstmachen. Ein langer therapeutischer Weg.

Rettendes Elixier und magischer Moment

In der klassischen Heldenreise bekommt oder erbeutet der Held im Midpoint auch das „heilbringende Elixier“. Das steht symbolisch für ein heilversprechendes und heilendes Mittel, für die eben genannte Einsicht und für den Vorgang der persönlichen Wandlung. Natürlich kann beides geschehen, die persönliche Wandlung und in Besitz des rettenden Elixiers zu kommen. Übertragen auf den therapeutischen oder medizinischen Vorgang könnte es die heilbringende Einsicht (beispielsweise bisherige Denkweisen aufgeben) oder ganz konkret ein Medikament (ein Psychopharmakon) oder eine Operation sein, die nicht mehr aufgeschoben wird. Das Elixier kann auch der hypnotische Auftrag (beispielsweise den Nikotinkonsum aufzugeben) oder ein Anker (ein beruhigendes Naturbild, ein Merksatz, ein Handzeichen oder Symbol) sein, den der Klient hier erhält. Der Midpoint kann die stationäre Aufnahme in eine Klinik wegen einer schweren suizidalen Krise darstellen oder den Moment einer ernsthaften Konfrontation mit dem Therapeuten und sich selbst.

Im Midpoint wird ein anderer Blickwinkel eingenommen, um das eigene Fehlverhalten ent-decken zu können. Hier kann der Klient mit unterschiedlichen Methoden unterstützt werden. Paradoxe Interventionen etwa helfen dabei, Erleben dialektisch zu hinterfragen. Oder es erfolgt eine Falsifikation von Überzeugungen und Annahmen (nach Carl Popper), um Selbstbetrug und Irrglauben zu korrigieren. Es kommt zur schmerzlichen, aber klärenden Selbsterkenntnis. Das Elixier kann bitter schmecken, aber es hilft.

In der Story gibt es zwei klassische Varianten des Midpoints. Entweder stiehlt der Reisende das heilbringende Elixier (aggressive und impulsive Variante), oder er erhält es auf freundliche und wohlwollende Weise (liebevolle und gnädige Variante). Das ist entscheidend für den zweiten Teil der Reise. Sollte der Reisende nach erfolgreichem Kampf mit dem Schatten, gegen den Willen der Götter, das Elixier erwerben (stehlen), dann zieht er damit den Zorn der Götter auf sich. Die Götter werden ihn bis zum Ende der Reise verfolgen, um das Elixier wiederzubekommen oder den Reisenden zu strafen. Das verstärkt natürlich die Komplikationen, und der Rückweg wird spannend und holprig, mit deutlich mehr Tempo. Campbell nennt diesen zweiten Teil „die Flucht“.

Was bedeutet „das gestohlene Elixier“ übersetzt für die Therapie? Vielleicht kommt es auf beiden Seiten (beim Klienten ebenso wie beim Therapeuten) zu voreiligen Schlussfolgerungen, zu Fehlentscheidungen und Irrtümern, die den Konflikt eskalieren lassen und den Therapieerfolg bedrohen; zu Fluchtimpulsen und -handlungen, zu Ungeduld, zu Angst und Gier. Defizite und Ressourcenmangel werden hier sichtbar. Narzisstische Kränkungen. Feindselige Impulse. Lähmende Passivität. Dies ist keine Katastrophe, sondern zu einem gewissen Grade notwendig, um Grunderfahrungen des Klienten sichtbar zu machen (Ermann 2012). Hierbei sollte der Therapeut wie ein Lotse im Sturm fungieren, um den Reisenden wieder in ein ruhigeres Wasser zu führen, um die Manövrierbarkeit wiederherzustellen. Gelingt es, diese Energie zu sublimieren, aus Wut etwa Entscheidungskraft zu generieren, dann können dem Helden tatsächlich Neuerungen gelingen, die ihn fortan weiter verändern werden. Psychotherapie kann hier spürbar real werden, wenn sich das Leben des Klienten wirklich ändert. Fortan passiert nämlich wirklich etwas im Leben des Klienten. Dinge, die authentischer und befriedigender sind, besser zum Klienten passen, treten tatsächlich ein. Der Klient trifft erstmals wichtige Entscheidungen. Verändert seine mentale Haltung. Akzeptiert radikal. Sucht die klärende Auseinandersetzung. Dadurch treten vielleicht auch weitere Komplikationen und Erschwernisse ein, als Folge der eingeleiteten Veränderungen (beispielsweise Unverständnis im Umfeld des Klienten oder Krisen durch Ablösung, Abschied und Neubeginn).

Der Rückweg läuft hingegen friedlicher, ruhiger und glatter ab, wenn der Reisende das Elixier geschenkt, getauscht oder verkauft bekommt. In der liebevollen und gnädigen Variante erfährt der Held durch die Geste des geschenkten Elixiers viel Trost und Anerkennung für die erlittenen Qualen. Hier herrscht keine Feindseligkeit. Hier herrschen Frieden, Gnade und Mitgefühl. Dies ist der „magische Moment“ in einer Story, weil der Held (ebenso der Klient) wie durch einen Zauber emotional tief berührt wird. Selbst der Therapeut wird sich dieser wirksamen Kraft nicht entziehen können.2

Ganz konkret könnte der „magische Moment“ in der Therapie eine Imagination bedeuten, in der das innere Kind sich beim Erwachsenen dafür bedankt, dass er trotz anfänglicher Schwierigkeiten im Leben durchgehalten und es bis hierher geschafft hat, im Leben zu bestehen. Umgekehrt bedankt sich der Erwachsene nun auch beim Kind – für die Kraft, die das Kind ihm gab, diesen Weg zu gehen. Fortan werden beide nun gemeinsam und bewusst durchs Leben gehen, sie werden nie wieder alleine sein.

Für den therapeutischen Vorgang ist eher diese friedlichere, ruhigere Variante, „die Rückkehr“ genannt, vorzuziehen.

Nur beeinflusst nicht immer der Therapeut allein die Art und Weise der Rückkehr. So wird auch er davon abhängig sein, ob die Götter es gut mit ihm und seinem Klienten meinen. Das bedeutet, dass wir auch als Therapeuten dem Ohnmachtserleben unserer Klienten mit ausgeliefert sein können und damit umzugehen haben. Und dass wir ein Stück weit auch vertrauen müssen, auf uns selbst als Therapeuten, auf unseren Klienten und auf das gute Gelingen einer Therapie.

Die meisten Rückreisen im Rahmen einer Psychotherapie sind gnädigerweise nicht sehr holprig. Wenn der Midpoint günstig durchschritten und die korrigierenden Erfahrungen gelungen sind, wird die Rückreise glatt verlaufen.

Den Rückweg antreten

Auf den nächsten Etappen der Geschichte nach dem Midpoint wird der Reisende nun im Sinne dieser neuen Einsichten weiter handeln und sich weiter verändern, um letztlich der zu werden, der er tatsächlich ist. Er wird also Dinge, Verhaltensweisen oder Denkweisen aufgeben, die bisher wenig hilfreich waren, und sich neue, bessere aneignen und annehmen. Die alten, unnützen Dinge werden abgeschüttelt, abgestreift, losgelassen. Aufgeben, was jetzt nicht mehr nötig ist, lautet die Devise. Diese Offenbarung gelingt im Heldenzyklus nur durch die zuvor überwundene fundamentale Krise der Selbsterkenntnis. Erkenne dich selbst! Der Reisende befindet sich jetzt auf dem Rückweg, und im Gepäck hat er das Elixier, die Neuerung, das heilende Mittel. In der Therapie ist das die Phase, in der nach der Einsicht und Lösung neue Verhaltensweisen und Fertigkeiten geübt werden können. Der Vorgang bekommt hier womöglich eine gewisse spielerische Leichtigkeit. Auch scheint der innere Widerstand für die Reise aufgelöst.

Jetzt ist genug Energie da, das Leben weiter zu leben. Genug Motivation. Alles ist nun neu und besser ausgerichtet. Leichter. Klarer. Der Reisende will diese Erkenntnis auf die ihm bekannte Welt übertragen, das Elixier in die alte Welt bringen, damit es auch dort seine positive Wirkung entfalten kann. Und der Reisende will wachsen, sich nun selbst verwirklichen und seine Bedürfnisse befriedigen. Es sind also verschiedene Quellen der Motivation vorhanden: zum einen die Motivation zur persönlichen Heilung durch Wachstum und Selbstwirksamkeit und zum anderen die Motivation, auch für die anderen Heilung zu bewirken. Daher folgen nun wichtige Prozesse der abschließenden persönlichen Verwandlung und der Wiedergutmachung. Begangene Fehler können (mit dem Elixier) korrigiert, gesühnt, repariert oder gar mit dem Vielfachen wiedergutgemacht werden. Es ist zur Umkehr in Denken und Handeln gekommen. Hier zeigt sich heldenhaftes Verhalten, wenn sich der Mensch von seiner besten Seite zeigt und Heilendes fördert – für sich selbst und in Folge auch für Partner oder nahe Angehörige, die mitgelitten haben und unfrei geworden sind durch die Erkrankung oder Störung des Klienten. In dieser Station ist eine Übertreibung oder Übersteuerung des Erlebens beim Helden nicht ungewöhnlich (Rebillot 2011). Zu viel „des Guten“ kann hier für den Helden eine weitere Krise bedeuten und eine reflektierte Reaktion zur Mäßigung und Rückkehr in seine psychologische Mitte motivieren. Ein abschließender, sehr wichtiger Heilungsvorgang.

Die letzte Schwelle überschreiten

Sind alle Schwierigkeiten bis zu diesem Punk überwunden worden, ist der Held endlich ins seelische Gleichgewicht durch Selbsterkenntnis gelangt und kommt erneut zu einer Schwelle (Punkt z, s. Abb. 1.1). Die Rückkehr in die bekannte Welt steht an. Denkbar, dass der Held sich hier erneut verweigert. Die Verweigerung der Rückkehr ist ein mächtiges Motiv. Dieses Phänomen kennen wir Therapeuten nur zu gut in Gestalt des Klienten, der fortwährend in der Therapie bleiben will und kein Ende findet.

Hier ist der Moment, in dem der Reisende wieder realisiert, um was es ab sofort in seinem Leben geht und zu gehen hat. Das in der Therapie Erlernte wird reflektiert, optimiert und gefestigt. Der Klient erkennt, warum er die Therapie brauchte, was sich alles für ihn hier verändert hat, welche Einsichten er dadurch gewonnen hat. Es ist das finale Erkennen des Selbst, nachdem im Verlauf der Therapie zwei subjektive Welten (Klient und Therapeut) aufeinandertrafen (Ermann 2012). Es wiederholt sich die Einsicht aus dem Midpoint (Punkt y): eine erneute Inszenierung des Konfliktes und seiner Auflösung. Erneut treten Gestalten in Form von Archetypen auf. Sie helfen dem Helden, sich erneut zu reflektieren und das Auf-die-Probe-gestellt-Sein zu bestehen. Mit einem magischen Hilfsmittel oder einem Hinweis. Hat sich der Held gut verhalten, wird ihm auf magische Weise geholfen. Hat er die Erkenntnis oder das heilbringende Elixier aber aus der Welt der Götter gestohlen oder unrechtmäßig erworben und damit die Unterwelt erzürnt und ist die Rückreise holprig und gehetzt, dann wird auch das Überschreiten dieser letzten Schwelle eher schwierig sein. Erneut könnten bekannte Monster auftreten und ihn verfolgen oder sich in den Weg stellen. Für den Reisenden also eine letzte größere Anstrengung. Für unsere Fantasiereise können hier entweder ähnliche Motive wie beim Eintritt in die Geschichte erzählt werden, oder es geht in hohem Tempo durch eine unwirkliche Landschaft, in der von einer letzten Kraftanstrengung (Überleben in unwirklicher Welt, Fusionserlebnis mit Kraftquelle) erzählt wird. Immer die Hoffnung im Blick, bald zu Hause zu sein. Immer das positive Ende erwartend.

Verändert und frei in der alten Welt

Ist die Schwelle erfolgreich und unbeschädigt überschritten, befindet der Held sich wieder in der ihm bekannten alten Welt. Erleichtert. Glücklich. Frei. Jetzt kann der Rückkehrer beide Welten miteinander verbinden, wird Herrscher beider Welten. Die ihm fremde und unbewusste Welt ist ihm vertraut geworden. In der alten Welt, die er verlassen musste, kann er nun wirken und das Erlernte anwenden, das heilbringende Elixier unter die Leute bringen. Damit sich und die Welt retten. Der Konflikt wird nun in der realen Welt (und nicht nur in der Gesprächstherapie) aufgelöst und durch sein Tun verändert sich die ganze Welt. Mit diesem letzten Energieschub mündet alles im Höhepunkt der Reise im 3. Akt (vgl. Drei-Akt-Struktur