Die Pferde von Eldenau - Wiehern im Wald - Theresa Czerny - E-Book

Die Pferde von Eldenau - Wiehern im Wald E-Book

Theresa Czerny

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Beschreibung

Ein Geisterpferd in Eldenau? Frida ist sich sicher, dass das nur ein Scherz sein kann, und will herausfinden, was hinter dem angeblichen Spuk steckt. Jannis ist in der Zwischenzeit mit seinem neuen Team unterwegs: Zusammen bereiten sie sich auf die Turniersaison vor. Doch das Training rückt in den Hintergrund, als immer wieder Pferde verschwinden. Wurden die Pferde gestohlen? Und falls ja, wie können Jannis und Frida ihre Pferde vor den Dieben schützen? Gemeinsam versuchen sie, das Rätsel um die verschwundenen Pferde zu lösen, und merken fast zu spät, dass das Geisterpferd der Schlüssel zu dem Geheimnis ist. Pferdediebstahl, Springreiten, Natural Horsemanship und die erste Liebe: Dieses spannende Pferdebuch begeistert mit seiner Vielschichtigkeit alle Reiterinnen und Reiter.

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Seitenzahl: 395

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Die Pferde von Eldenau

Band 1: Mähnen im Wind

Band 2: Galopp durch die Brandung

Band 3: Donnernde Hufe

Band 4: Wiehern im Wald

Inhalt

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Frida

Jannis

Kapitel 1

Jannis

Zufriedenheit hat einen Klang. Oder besser eine Melodie aus ganz unterschiedlichen Klängen. Daris und Livs gleichmäßige Schritte auf dem feuchten Sand, das Rauschen der Wellen, eine kreischende Möwe, die sich in die graue Ostsee stürzte, und Fridas Stimme, die Liv Lob und liebe Worte zuflüsterte – das war meine Zufriedenheitssymphonie. Da machte es noch nicht mal was aus, dass es Februar war, feucht und trist und selbst um halb fünf schon dämmrig. Nur Fridas Haare gaben sich noch Mühe, gegen die Eintönigkeit anzuleuchten.

Sie merkte, dass ich ihren kupferroten Zopf anlächelte, und sah mich an. Mehr als diesen Blick brauchte ich gar nicht, damit mir warm wurde, aber sie packte noch ein Lächeln obendrauf. »Traben wir ein Stück?«

Die Stuten spitzten schon die Ohren und warteten kaum auf die Hilfen. Schwungvoll platschten sie durchs Wasser auf die Landspitze zu, während die Geräusche des Tages langsam verstummten.

Vom Wasser zog Nebel herein und vermischte sich mit dem Dunst, der seit Tagen über Eldenau hing. Nur hin und wieder frischte der Wind auf und die Wolkenfetzen gaben den Blick auf eine schmale Mondsichel frei. In dem Zwielicht war es schwierig auszumachen, wo der Strand endete und das Meer begann.

Es war eine unwirkliche Stimmung, als würden Land und See ineinanderfließen. Der Wind war kaum mehr als ein Flüstern, sodass sich die Wellen auf dem Sand kräuselten und darin versickerten. Silber und Grau, dazu das Schwarz und Weiß der Pferdefelle, mehr Farben schien es nicht mehr zu geben.

Neben mir blitzten Fridas Zähne auf. »In solchen Nächten zeigen sich die verlorenen Seelen der Schiffbrüchigen«, raunte sie.

Ich grinste auch, aber in Wahrheit klang das gar nicht so unvorstellbar. Nicht hier, auf diesem Streifen Sand zwischen Wasser und Land, zwischen Nacht und Tag.

Doch da wehte mir ein Windstoß Gischt und ein paar Sandkörner ins Gesicht und ich blinzelte mir erst das Salz und dann diesen Blödsinn aus den Augen. Verlorene Seelen, klar. Das taugte vielleicht für eine Halloween-Party, aber ernsthaft glaubte so was doch niemand.

Energisch trieb ich Dari an. Erst als sie unwillig mit dem Kopf schlug, merkte ich, dass Frida nicht weitergeritten war. Ich schaute mich um. Mit zusammengekniffenen Augen saß sie auf Livs Rücken und starrte nach Nordosten. In einem Bogen wendete ich Dari, und während sie und Liv sich begrüßten, als wären sie drei Jahre und nicht dreißig Sekunden getrennt gewesen, wandte Frida den Blick nicht vom Horizont, sondern hob den Arm und deutete auf eine Stelle schräg hinter den Klippen der Landspitze.

»Da, schon wieder«, sagte sie nach einem Moment.

Ich stellte Dari neben Liv und guckte in die Richtung, in die Frida zeigte. Gerade als ich sie fragen wollte, was es da zu sehen gab, entdeckte ich es auch: ein Flackern, schwach und zittrig. Es dauerte kaum länger als vier, fünf Sekunden, dann verlosch es.

»Ein Schiff?«, mutmaßte ich.

Langsam schüttelte Frida den Kopf. »Eher nicht. Die Fahrrinne ist viel weiter westlich.«

»Vielleicht haben sie in dem Nebel die Orientierung verloren und sind auf Grund gelaufen. Und jetzt rufen sie um Hilfe.«

Frida warf mir einen Blick zu, der laut und deutlich »Landratte« sagte. »Dann würden sie ein SOS-Signal senden. Dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz.« Sie runzelte wieder die Stirn und wandte sich dem schwachen Lichtschein zu. »Aber das da vorn ist viel zu unregelmäßig.«

Das stimmte. Weder die Dauer des Leuchtens war gleichmäßig noch die Lichtstärke oder der Abstand zwischen zwei Signalen. Falls es Signale waren.

Wir guckten noch eine Weile, doch nach dem fünften Flackern tat sich nichts mehr. Und von Minute zu Minute wurde es dämmriger.

»Komm, wir müssen nach Hause.« Als Frida nicht gleich reagierte, versuchte ich es noch einmal: »Wahrscheinlich war es einfach nur eine Spiegelung im Nebel. Irgendein Scheinwerfer, den die Wolken reflektiert haben.«

Frida brummte und trabte Liv an. Man musste sie nicht so gut kennen wie ich, um zu kapieren, dass es sie wurmte, keine Antwort auf das Rätsel zu finden. Schweigend ritten wir nebeneinanderher am Spülsaum entlang, der nun fast der einzige Orientierungspunkt war bei den diffusen Lichtverhältnissen. Es war wirklich besser, dass wir uns auf den Rückweg machten. Ich hoffte nur, dass Mama noch mit den Reitstunden beschäftigt war, sonst konnte ich mir was anhören.

Kurz vor dem Strandaufgang tauchte Frida endlich aus ihrer grüblerischen Stimmung auf. Ihr Kopf fuhr zu mir herum.

»Ich bin so blöd«, sagte sie. »Der Leuchtturm! Das war genau die Richtung, wo der Leuchtturm auf der Oie steht!«

Völlig sinnlos drehte ich mich im Sattel um, denn außer einer dunkelgrauen Wolkenwand war hinter uns nichts mehr zu erkennen. Noch bevor ich Frida wieder ansah, wusste ich, dass sie recht hatte. Die Oie war eine Vogelschutzinsel mitten in der Wiek, einer schmalen Ausbuchtung der Ostsee, die unsere Halbinsel von den schicken Seebädern und schneeweißen Stränden auf Kroslitz trennte. Wenn man von Hunderten Kranichen, Gänsen, Kormoranen und einer Rinderherde im Sommer absah, war die Oie unbewohnt.

»Ich dachte, der Leuchtturm wird nicht mehr genutzt«, sagte ich deswegen.

Frida zuckte mit den Schultern. »Das kam mir auch nicht wie ein Leuchtturmsignal vor. Vielleicht wird der Turm gerade gewartet und da hat sich einfach nur eine Taschenlampe in der Linse gespiegelt.« Ihre anfangs entschiedene Stimme war nach und nach unsicherer geworden.

Ich sprach ihre Zweifel aus: »Aber warum sollte ein Leuchtturm gewartet werden, der nicht mehr genutzt wird?«

Sie schaute mich an und verzog den Mund. »Brandschutzbestimmungen?«

Ich guckte nur und dann mussten wir beide lachen.

Mittlerweile hatten wir den Strandaufgang erreicht, der uns auf schnellstem Weg zum Carlshof bringen würde. Von uns aus hatten es Frida und Liv nicht mehr weit bis zum Gut.

Frida seufzte. »Wäre aber cooler, wenn es irgendwas Geheimnisvolles wäre.«

»Ich hab gehört, in Nächten wie diesen zeigen sich die verlorenen Seelen von Schiffbrüchigen.«

Einen Moment lang schwieg sie, aber dann hörte ich das unterdrückte Lachen in ihrer Stimme, als sie wisperte: »Sie erscheinen als züngelnde Flammen über der Stelle, wo sie ihren tragischen Tod in den Wellen gefunden haben. Jeder, der den Lichtern folgt, wird in ein nasses Grab hinabgezogen.«

Ich verkniff mir ein Grinsen. »Mhm, vor allem an einer Stelle, wo die Ostsee gerade mal eineinhalb Meter tief ist.«

Frida gluckste und boxte mir gegen den Arm. »Für kleine Menschen reicht das.«

Ich griff nach ihrer Hand und drückte sie. Für Menschen, die eine Herde Wildpferde retten wollten und mit ihnen durch die Wiek schwammen – so wie Frida es im Herbst getan hatte –, auch. Wie durch ein Wunder war damals alles gut gegangen, Frida hatte die Koniks heil auf die Oie gelotst und damit verhindert, dass sie in andere Schutzgebiete gebracht oder geschlachtet wurden. Ihretwegen gab es noch wilde Pferde in Eldenau.

Aber all das behielt ich für mich. Stattdessen rückte ich endlich mit der Sprache raus. Das Thema trug ich jetzt schon seit ein paar Tagen mit mir herum, doch weil ich mir vorstellen konnte, wie Frida darüber dachte, hatte ich mich bisher vor dem Gespräch gedrückt.Ich strich mit dem Daumen über ihre Hand, ließ sie los und holte Luft.

»Du, Frida …«, begann ich. Daris Ohr drehte sich zu mir nach hinten.

Auch Frida horchte auf. »Was ist?«

»Kannst du dich an Peter Strohwein erinnern?«

»Den Trainer des Jugendkaders?«

Im Dämmerlicht konnte ich Fridas Stirnrunzeln nur noch erahnen. Aber ich wusste ja, dass sie für die Turnierszene nicht viel übrighatte.

»Genau. Er hat mich gestern angerufen und mich um einen Gefallen gebeten.«

»Einen Gefallen?«

»Mhm.« Ich war auch überrascht gewesen. Letzten Herbst hatte ich in letzter Minute eine Sichtung bei ihm sausen lassen, um mit Frida die Koniks zu retten. Als Pferdemensch hatte er meine Entscheidung verstanden, aber als Trainer, und das hatte er mir klipp und klar gesagt, erwartete er absolute Verlässlichkeit und Zielstrebigkeit. Dass er sich jetzt ausgerechnet bei mir meldete, hieß wohl, dass er ganz schön in der Patsche saß. »Er betreut im zweiten Jahr ein deutsch-polnisches Freundschaftsprojekt für junge Springreiter. Ein Teil des Teams kommt aus Polen, der andere aus Deutschland. Es geht anscheinend weniger um Platzierungen als um den sportlichen Austausch. Oder was weiß ich.«

Frida kicherte und ich musste auch schmunzeln. Es hatte Zeiten gegeben, da war Reiten für mich gleichbedeutend mit Platzierungen gewesen. Das hatte sich geändert, aber ich gewann immer noch gern.

»Jedenfalls ist ihm kurzfristig jemand abgesprungen und deswegen soll ich teilnehmen.« Nach einer kleinen Pause ergänzte ich: »Wenn ich mitmache, schlägt er mich nächstes Jahr für den Kader vor.«

Eine Weile kam nichts von Frida. Ich strich Dari über den Hals und kraulte ihren Widerrist. Sie schnaubte wohlig.

»Dann hättest du dein Versprechen gehalten«, sagte Frida schließlich.

»Ja.« Es war ein Versprechen, das ich meinem Vater gegeben hatte. Seit sich meine Eltern getrennt hatten, hatten wir ein ziemlich angespanntes Verhältnis, und wenn ich etwas tat, was ihm nicht passte, hatte er mir gern damit gedroht, mir Dari wegzunehmen, die zur Hälfte ihm gehört hatte. Im Herbst war für meine Mutter das Maß voll gewesen und sie hatte ihm seinen Anteil an Dari abgekauft – doch erst nachdem er mir das Versprechen abgenommen hatte, Daris und mein Potenzial zu nutzen und wieder Turniere zu reiten. Dari konnte er jetzt nicht mehr als Druckmittel einsetzen, aber an unseren Deal fühlte ich mich trotzdem gebunden. Frida hatte von der Sache von vornherein wenig gehalten – klar, in den Kader zu kommen, bedeutete viel mehr Training, viele Wochenenden weg von Eldenau und auch mehr Stress für Dari –, doch sie respektierte meine Einstellung.

»Und eine andere Möglichkeit hast du nicht?«, hakte sie nach. Als ich sie fragend anguckte, erklärte sie: »In den Kader zu kommen, meine ich. Du machst jetzt ein Jahr lang bei diesem Projekt mit, aber danach hast du immer noch nichts in der Hand. Wenn Strohwein dich für den Kader vorschlägt, ist dein Vater dann zufrieden? Oder musst du auch noch eine Saison lang auf Turnieren starten?«

Ich war mir nicht ganz sicher, ob sie es dachte, aber nicht aussprach – ich jedenfalls hatte die Möglichkeit im Kopf: Es konnte ja sein, dass ich nach diesen zwei Jahren wieder Spaß am Turnierbetrieb hatte. Dass ich weitermachen wollte. Weil Dari und ich gut waren, weil wir Erfolg hatten. Doch ich verdrängte die Überlegung. Wenn es so kam, würde Frida mehr als ein Hühnchen mit mir zu rupfen haben.

»Ich glaube nicht, dass es einen schnelleren Weg in den Kader gibt«, antwortete ich deswegen auf ihre erste Frage. »Wenn ich das jetzt ablehne, welchen Grund hätte Strohwein, mich nächstes Jahr in den Kader zu nehmen? Wir müssten ja erst mal ein paar Springen gewinnen, um uns überhaupt zu qualifizieren.«

»Also erpresst er dich«, sagte Frida düster.

»Er würde es wahrscheinlich eher ein Geschäft nennen«, erwiderte ich, aber ganz konnte ich nicht leugnen, dass es sich so anfühlte.

Neben uns tauchten die Zäune unserer Koppeln aus der Dunkelheit auf. Dari und Liv schritten fleißig aus, sie wussten, dass es nach Hause ging, und schnaubten immer wieder zufrieden. Wenn ich Strohwein zusagte, würden wir für solche Ausritte wahrscheinlich weniger Zeit haben. Dari und ich müssten wieder häufiger auf den Springplatz, ich müsste ihr Futter umstellen und wir wären bestimmt jedes zweite Wochenende mit dem Hänger unterwegs. Ich würde Frida viel seltener sehen, jedenfalls außerhalb der Schule.

Und trotzdem … Wenn ich nicht zusagte, wenn ich Versprechen Versprechen sein ließ, würde mir Björn im Nacken sitzen, bis ich achtzehn war. Oder achtzig.

Nein, so viele Gründe auch dagegensprachen, ich wusste längst, dass ich das durchziehen würde. Weil ich zu meinem Wort stehen wollte. Weil es wahrscheinlich keinen einfacheren Weg in den Kader gab. Und vielleicht … vielleicht auch, weil ich mich endlich wieder auf dem Platz mit jemandem messen wollte.

Frida

Was hat sich Luise eigentlich dabei gedacht?«, ächzte Linh, als sie zum dritten Mal die Wand zwischen dem Ostfenster und der Tür in Angriff nahm.

Von der Leiter auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers aus begutachtete ich die zartrosa schimmernde Fläche, die nach zwei Farbschichten längst hätte weiß sein sollen.

»Sie war elf damals«, verteidigte ich meine Schwester. »Und ich glaube, sie wollte Orange haben, aber als die Farbe trocken war, war es Lachs.«

Linh rümpfte die Nase und zupfte sich den Malerhut aus Zeitungspapier zurecht, den Max für sie gefaltet hatte. Ich war froh, dass Jannis keinen Sinn fürs Basteln hatte. Bei mir hätte so ein Teil einfach nur bekloppt ausgesehen, aber Linh wirkte damit gleichzeitig süß und verwegen. Und mittlerweile ziemlich verzweifelt. Konzentriert schwang sie die Farbrolle von oben nach unten, dann von links nach rechts.

»Wir kriegen das Zimmer weiß, das schwöre ich dir«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Ich grinste in mich hinein, aber bevor ich mich zum ungefähr hundertsten Mal bei ihr bedanken konnte, dass sie mir bei dieser Entrümpelungsaktion half, polterten Schritte die Treppe herauf, und die Jungs quetschten sich nebeneinander durch die Tür. Sie hatten beide einen roten Kopf und verschwitzte Haare, aber ob das am Möbelschleppen lag oder daran, dass sie sich bei jeder Tour ein Wettrennen durchs Haus lieferten, wusste ich nicht.

»Der Anhänger ist fast voll«, keuchte Max und strich sich die blonden Strähnen aus der Stirn. »Nicht zu glauben, wie viel Kram deine Schwester gehortet hat.«

»Und sie hat den größten Teil ja schon mitgenommen.« Linhs Stirn glättete sich, als sie sich zu Max umdrehte. Die beiden warfen sich wieder einen dieser Blicke zu, als wären sie seit drei Wochen und nicht eineinhalb Jahren zusammen. Man hätte meinen können, dass sie sich jetzt, wo Max dauerhaft in Eldenau wohnte, nicht mehr bei jeder Gelegenheit versichern mussten, wie verliebt sie waren, aber anscheinend konnten sie es immer noch nicht fassen, dass sie sich endlich jeden Tag sahen.

Max unterbrach den Blickkontakt erst, als er über einen Stapel Kartons voller Pferde- und Landwirtschaftszeitschriften stolperte, den ich neben der Tür aufgeschichtet hatte.

Jannis griff nach seinem Arm und grinste. »Hier auf dem Land ist das völlig normal, dass die Leute horten. Platz haben sie ja.«

»Luise ist schon extrem«, gab ich zu, während ich den Pinsel in den Farbeimer tunkte. So pragmatisch sie in allen anderen Angelegenheiten war – wegwerfen konnte sie einfach nichts. Ich hoffte wirklich, dass Simon es schaffte, hinter ihrem Rücken das Altpapier zu entsorgen, sonst hatten sie ihre kleine Wohnung über der Sattelkammer an Ostern so zugemüllt, dass Luise ihr Zimmer zurückwollte. Nicht nur deswegen hatte ich so schnell wie möglich mit der Renovierung begonnen, denn sobald ich mich eingerichtet hatte, kriegte mich hier keiner mehr weg.

Max deutete auf die Kisten mit den Zeitschriften. »Die müssen also auch runter?«

Ich nickte, doch bevor Max sich auch nur bücken konnte, verkündete Jannis: »Pause!«

Wie zwei Verdurstende stürzten sich Linh und Max auf die Getränkekiste in der Ecke. Vorsichtig stieg ich von der Leiter und legte den Pinsel auf dem Rand des Eimers ab.

Jannis kam zu mir und schlang von hinten die Arme um mich. Mit dem Kinn auf meiner Schulter flüsterte er: »Toll wird das.«

»Mhm.« Langsam ließ ich den Blick durch mein neues Zimmer schweifen. Eigentlich war es ein ausgebauter Dachboden, aber durch die vielen Fenster in drei Richtungen war es schön hell. Ich hatte jetzt nicht nur einen Ausblick auf unseren Garten, sondern auch auf die Weiden hinter dem Haus. Gerade standen die Stuten in der Kuhle unten bei den Bäumen eng zusammen. Ihr Atem stieg in weißen Wölkchen in die Februarluft auf. Obwohl sie alle noch ihr plüschiges Winterfell hatten, wärmten sie sich gegenseitig.

Ich lehnte mich an Jannis und er drückte mich. »Wo kommt eigentlich das Bett hin?«, fragte er dicht an meinem Ohr.

Ich lachte auf und drehte mich in seinen Armen um, aber bevor ich ihn in die Seite kneifen und ordentlich kitzeln konnte – dagegen war ich ja völlig immun –, klingelte das Telefon. Da heute der Rest der Familie drüben bei Luise half, hatte ich Telefondienst. Ich machte mich los und wühlte in einem Stapel Malervlies, bis ich das Handteil beim vierten Läuten endlich fand.

»Gut Eldenau, Frida Beneke«, japste ich und richtete mich auf. »Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Ach, hallo, Frida«, meldete sich eine Stimme, die ich ein paar Sekunden lang nicht zuordnen konnte. »Hier spricht Lorenzen. Von der ›Ostsee-Presse‹.«

»Hallo, Herr Lorenzen.« Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Jannis aufhorchte. Unser Lokalreporter war schon bei einigen unserer »Abenteuer« – wie Max gesagt hätte – dabei gewesen, und in seinen Berichten waren wir immer gut weggekommen. Trotzdem war es ungewöhnlich, dass er anrief. »Meine Eltern sind leider gerade nicht erreichbar. Sollen sie zurückrufen?«

»Ach so … hm. Nein.« Herr Lorenzen schien zu überlegen. Als er weiterredete, klang er zögerlich. »Ich wollte nur … also … Sag mal, Frida, habt ihr etwas von dieser verrückten Geschichte gehört?«

»Welcher verrückten Geschichte?« Jetzt hatte ich auch Linhs und Max’ Aufmerksamkeit.

»Die Vogelschutzinsel … Du weißt doch, die Oie …«

»Ja, weiß ich«, warf ich ein.

»Also, dort hat angeblich jemand ein Pferd gesehen. Ein Geisterpferd.«

»Ein Geisterpferd?« Ganz konnte ich das Lachen nicht aus meiner Stimme heraushalten. Die anderen drei grinsten sich an.

»Ja, ich weiß, das klingt verrückt. Ich dachte zuerst auch, dass da jemand einfach betrunken war. Aber die Erste, die davon erzählt hat, war eine ältere Dame, und dann noch eine Familie mit zwei kleinen Kindern, die hier Urlaub macht.«

Ich runzelte die Stirn. »Und was haben sie gesehen?«

Mittlerweile standen Linh, Jannis und Max um mich herum. Ich stellte das Telefon auf Lautsprecher.

»… war wohl wie ein weißer Schatten zwischen den Bäumen. Die Leute waren alle drüben am Ostufer der Wiek, da ist sie ja recht schmal. Die beiden kleinen Jungs waren begeistert und haben jedem erzählt, dass sie ein Einhorn gesehen haben, aber die Erwachsenen schienen ziemlich beunruhigt.«

»Die haben das Horn nicht gesehen«, flüsterte Max, und wir mussten uns gegenseitig stützen, um vor unterdrücktem Lachen nicht umzukippen.

»Und da fanden sie ein Geisterpferd plausibler?«, fragte ich Herrn Lorenzen mit mühsam beherrschter Stimme.

»Hm, na ja … Irgendjemand hat dem Elternpaar wohl erzählt, dass es vor langer Zeit mal eine Sage über ein weißes Pferd auf der Oie gab, die aber in Vergessenheit geraten ist.«

»Scheint so. Von so einer Sage habe ich nämlich noch nie was gehört.« Ich warf Linh einen Blick zu, aber sie schüttelte den Kopf.

»Ging mir genauso«, bestätigte Herr Lorenzen. »In den Archiven von Eldenau und Buddenwalde konnte ich auch nichts finden. Außer dem kopflosen Reiter von Pasewalk gab es überhaupt keine Sage mit einem Pferd. Aber das liegt ja ein schönes Stück von der Oie entfernt.« Er klang, als würde er schmunzeln.

»Also hat sich jemand die Geschichte ausgedacht, um die Touristen zu beeindrucken?«

»Ja, so kommt es mir auch vor. Nur …« Herr Lorenzen zögerte wieder.

»Nur was? Glauben Sie die Sache mit dem Geisterpferd? Könnte es nicht einfach Nebel gewesen sein oder so etwas? Eine Spiegelung?« Ich suchte Jannis’ Blick, weil mir unser Ausritt gestern einfiel und das seltsame Licht in Richtung der Oie. Sein Stirnrunzeln sagte mir, dass er auch daran gedacht hatte.

»Ja, das ist wahrscheinlich. Ich rufe eigentlich auch bloß an, weil ich wissen wollte, ob sich beim Schutzverein jemand gemeldet hat.«

Ich nickte. Wenn ich mit Pferden nichts am Hut gehabt und irgendwo eins hätte rumlaufen sehen, ob Geisterpferd oder nicht, hätte ich wahrscheinlich auch beim Schutzverein für die Wildpferde im Naturschutzgebiet angerufen.

»Davon habe ich nichts mitbekommen. Aber wenn Sie möchten, frage ich meine Mutter, und sie meldet sich, falls sie mehr weiß.«

»Das soll sie bitte machen. Danke, Frida. Auf Wiederhören.«

»Wiederhören, Herr Lorenzen.« Ich legte auf.

»Das ist das Verrückteste, was ich in Eldenau je gehört habe«, meinte Max nach einer Sekunde trocken. »Und das will was heißen.«

Jannis grinste und setzte sich auf den Boden. »Jedenfalls wissen wir jetzt auch, wer auf der Oie den Leuchtturm bedient hat.«

»Klar«, antwortete ich. »Geisterpferde können sicher Treppen steigen.«

»Weißt du, wovon die reden?«, fragte Max Linh.

»Nicht die Spur. Aber die viele frische Luft auf dem Pferderücken tut den beiden nicht gut.«

In Linhs Stimme schwang eine plötzliche Schärfe mit, doch als ich ihren Blick erwiderte, fragte ich mich, ob ich sie mir nur eingebildet hatte.

Jannis grinste noch breiter und setzte dann ein bekümmertes Gesicht auf. »Ich würde euch ja gern unsere eigene Spukgeschichte erzählen, aber ich bin zu schwach. Ich brauche dringend eine Stärkung.« Mit einem theatralischen Seufzen ließ er sich auf den Rücken sinken und schloss die Augen. »Es ist nicht noch zufällig Kuchen da?«

Einen Moment lang antwortete ich nicht, dann beugte ich mich über ihn. »Das kannst du ganz einfach herausfinden, wenn du deinen Hintern in die Küche schwingst und nachsiehst.«

Er reagierte erst nicht, dann klappte er doch ein Auge auf und grinste mich an. Mit einem Satz war er auf den Beinen. »Okay.« Er griff nach mir und drückte mich an sich. »Aber nur, wenn du mitkommst.«

Ich verdrehte die Augen. »Als ob ich dich jemals unbeaufsichtigt an unseren Kuchenvorrat lassen würde.«

Jannis

Deine Freundin ist eine verdammte Sklaventreiberin.« Max setzte die Schubkarre mit den leeren Futtereimern ab und rieb sich den Rücken. An die Stallarbeit hatte er sich mittlerweile gewöhnt, aber an ein und demselben Tag Renovieren und Füttern war anscheinend ein bisschen viel gewesen.

Ich stellte die Eimer in die Futterkammer, schob die Tür zu und grinste ihn an. »Das sagst du ihr schön selber.«

»Bin doch nicht lebensmüde«, brummte er, doch seine Augen blitzten. Er genoss jede einzelne Minute hier in Eldenau, das wusste ich genau. Bei uns war es ja auch viel schöner als in Schanghai, wo seine Mutter seit Anfang des Jahres lebte. Wenn Max mir von den Skype-Gesprächen mit ihr erzählte, hatte ich den Eindruck, sie wäre auch lieber hier als in China.

Während wir über den Hof und zwischen den Bungalows hinter der Reithalle hindurch zum Haus gingen, boxte ich ihm in die Seite und legte den Arm um ihn. Ich ließ gleich wieder los, aber es war trotzdem einer dieser Momente. Einer von denen, in denen wir beide wussten, dass es uns an den richtigen Ort verschlagen hatte, gemeinsam. Wie Brüder. Wir hätten uns wahrscheinlich lieber die Zunge abgebissen, als das laut zu sagen, dafür waren wir fünf Jahre zu alt, aber so war es jetzt. Wir sahen uns wieder jeden Tag, wir verbrachten sogar mehr Zeit miteinander als jemals zuvor in unserem Leben. Es war alles, wie es sein sollte.

Tadeusz’ und Kamils Bungalow war hell erleuchtet, aber Kamil saß allein am Tisch. Tadeusz war übers Wochenende nach Hause gefahren. Klar, das machte er öfter, doch irgendwie kam mir der Gedanke gerade seltsam vor. Er und Kamil waren von Anfang an dabei gewesen, als wir hier unser neues Leben angefangen hatten, sodass ich mir den Carlshof gar nicht ohne sie vorstellen konnte. Plötzlich war ich ihnen dankbar. Sie hatten ihre eigenen Familien in Polen gelassen und mit uns etwas aufgebaut, was jetzt Mamas und meine neue Heimat war. Und Max’. Wie war das für die beiden? Ich hatte sie nie gefragt.

Das war aber kein Grund, es heute Abend nicht anders zu machen. Kurz entschlossen änderte ich die Richtung, lief über den Rasen zum Bungalow und klopfte ans Fenster. Kamil zuckte zusammen und sah auf.

»Was ist denn …?«, fing Max an, aber ich achtete nicht auf ihn.

Kamil machte das Fenster auf. »Ist alles in Ordnung?«

»Ja klar. Ich wollte nur fragen, ob du mit uns essen willst.« Wenn ich mir den Stapel Brote anguckte, den er sich geschmiert hatte, schien er ja ganz schön Hunger zu haben.

Kamils Blick folgte meinem. »Das … ja, also, danke. Gern. Die kann ich auch noch zum Frühstück essen.«

»Okay, cool.« Ich hob die Hand und deutete über meine Schulter zum Haus. »Dann in einer Viertelstunde.«

Kamil schien so überrumpelt zu sein, dass er einfach nickte und das Fenster wieder schloss. Ziemlich zufrieden mit mir ging ich zurück zu Max und wir liefen weiter.

Auf den letzten Metern zum Haus mussten wir darauf achten, wohin wir unsere Füße setzten. Mama hatte das rosa Reetdachhäuschen von Anfang an geliebt, und für uns zwei war es perfekt gewesen, aber jetzt, wo Max bei uns wohnte und die andere Hälfte unserer Patchworkfamilie auch mindestens ein paar Tage die Woche da war, platzte es aus allen Nähten. Und für Basti und seinen Rollstuhl waren die schmalen Türen und die verwinkelte Treppe gar nichts. Also hatten Mama und Florian beschlossen anzubauen, und letzte Woche waren die Arbeiter mit schwerem Gerät angerückt, das sie überall ums Haus verteilt hatten. Es herrschte mal wieder Ausnahmezustand, und schon nach dem ersten Tag hatten Max und ich uns gefragt, ob es ein großes Zelt nicht auch getan hätte.

Mama sah von einer riesigen Schüssel voller Wasser und Salat auf, als ich den Kopf in die Küche streckte und »Hallo« sagte.

»Hallo, Schatz. Beeilt ihr euch bitte? Das Essen ist fast fertig.«

Hinter mir knurrte Max’ Magen, also brüllten wir nur einen Gruß Richtung Wohnzimmer, wo wir Emma und Basti hörten, und lieferten uns ein Rennen die Treppe hinauf. Max war meiner Mutter immer noch so dankbar, dass sie ihm Asyl gewährte, dass er noch nicht wieder zu seiner vollen Rücksichtslosigkeit gefunden hatte, also rempelte ich ihn an, und in dem Moment, als er gegen die Wand rumste, drückte ich mich an ihm vorbei und stürzte, begleitet von Mamas »Jungs, lasst das Haus stehen!« und Max’ gegrunztem »Echt, Alter!«, als Erster ins Bad.

*

Eine knappe Stunde später räumte Florian den kümmerlichen Rest seines Nudelauflaufs ab. Kamil wollte aufstehen und helfen, aber Florian winkte wortlos ab. Während Emma und Basti die benutzten Teller in den Geschirrspüler stellten, lehnten Max und ich uns auf der Bank zurück und genossen unseren wohlverdienten Feierabend. Mama hatte ihren berüchtigten silbernen Taschenkalender gezückt, ging Stundenbelegungen durch und fragte mich hin und wieder nach dem Trainingsstand eines Pferdes oder den Turnierchancen einer Reitschülerin. In der Luft hing der Geruch nach Essen und einem faulen Restwochenende.

Neben mir atmete Max zufrieden ein, rutschte auf der Bank noch tiefer und faltete die Hände über dem Bauch. Ich grinste in mich hinein.

Die Zwillinge verzogen sich mit ihrem Nachtisch ins Wohnzimmer vor den Fernseher. Florian stellte je eine Schüssel Schokoeis vor Kamil, Max und mich und einen Espresso vor Mama. Ein paar Sekunden starrte Mama das Tässchen an, dann stand sie auf, ging zum Kühlschrank, nahm die Eispackung aus dem Gefrierfach und setzte sich mit einem Esslöffel wieder an den Tisch.

»Wie lang kennen wir uns jetzt?«, murmelte sie, bevor sie sich den ersten Berg Eis in den Mund schob.

Grinsend beugte sich Florian zu ihr und küsste sie auf die Wange.

»War nur Spaß«, sagte er und zog eine Packung Waffelröllchen hinter seinem Rücken hervor. »Die hab ich für dich gerettet.«

Bisher hatte ich den beiden noch leidlich amüsiert zugesehen, aber jetzt erschien ein Blick auf Mamas Gesicht, gegen den ich schleunigst vorgehen musste. Knutschalarm, würg.

»Ich hab mich entschieden«, verkündete ich deswegen.

Einen Moment brauchte Mama, um sich von ihrer rosa Wolke wieder in unsere Niederungen zu schwingen, dann fragte sie: »Und wofür?«

Mit den Unterarmen stützte ich mich auf dem Tisch auf. »Ich mache bei diesem Freundschaftsprojekt mit Polen mit.«

Kamils Hand, die sein Glas hin- und hergedreht hatte, erstarrte. Ich konnte Max’ Blick auf mir fühlen. Okay, das war jetzt nicht supergeschickt gewesen. Natürlich hatte ich ihm von Strohweins Anruf erzählt, ihn ging die Sache ja auch etwas an, nicht nur Frida. Aber von meinem Entschluss wusste er noch nichts. Klar, wenn ich nicht da war, würde er schon eine Beschäftigung finden, im Zweifel mit Linh, doch als ich ihn eingeladen hatte, bei uns zu wohnen, war nicht die Rede davon gewesen, dass ich jedes zweite Wochenende unterwegs sein würde. Allerdings wusste er ja auch, warum ich zusagte.

Mama nickte. »Dachte ich mir schon.« Sie lächelte und aß noch einen Löffel Eis. »Finde ich gut. Das ist eine schöne Sache und Peter ist ein toller Trainer. Du wirst da viel mitnehmen.«

Wie erwartet überwogen für Mama natürlich die Vorteile. Jedenfalls dachte ich das, bis sie nach einem Moment die Stirn runzelte.

»Wie sieht es denn mit dem Zeitaufwand aus?«

»Ich kriege das zusätzlich zur Schule hin. Ist ja auch nicht so viel anders als früher, als wir auf Turniere gefahren sind.«

»Das meine ich eben. Früher war ich immer dabei, aber jetzt kann ich hier ja nicht mehr weg. Jedenfalls nicht jedes zweite Wochenende. Hast du die Termine da?«

Ich holte mein Handy aus der Hosentasche, rief die Mail auf, in der mir Strohwein die Daten der Trainings- und Turnierwochenenden geschrieben hatte, und las sie vor.

Mama tippte auf ihren Kalender. »Da, an dem Aprilwochenende haben wir einen Lehrgang, im Juni auch. Bei eurem ersten Trainingslager haben sich zwei neue Einsteller angekündigt. Den Termin könnte ich zwar verschieben, aber …« Sie sah auf. »Da müssen wir uns was überlegen. Du wirst ja auch weniger Zeit für Berittpferde und Unterricht haben – nein, das wird so sein, und es ist auch gut so, du arbeitest immer noch zu viel –, das muss ich übernehmen.« Sie verzog nachdenklich den Mund.

»Und wenn ich dich fahre?« Florian nahm Mama den Löffel aus der Hand und kratzte ein bisschen Eis aus der Packung.

»Hin und wieder geht das vielleicht«, kam Mama meinem Dank zuvor, »aber Annelie und die Kinder finden das auf die Dauer bestimmt nicht gut. Nein, das muss langfristig geregelt sein.«

Florian und ich grinsten uns an. Die Abläufe auf dem Carlshof waren ein einziges Provisorium – das war wahrscheinlich auf jedem Pferdehof so –, aber Mama gab die Hoffnung nicht auf, dass sie das Chaos irgendwann in geordnete Bahnen lenken konnte. Viel Glück damit. Wir scheiterten ja seit über einem Jahr schon daran, einen Bereiter einzustellen.

»Was ist denn mit dir?« Max drehte sich halb zu Kamil. »Oder mit Tadeusz? Könnte nicht einer von euch Jannis fahren? Ihr kennt Dari und noch dazu sprecht ihr Polnisch. Das schadet doch bestimmt auch nicht.«

»Max!« Meine Mutter strahlte ihn an. »Das wäre perfekt!« Sie wandte sich an Kamil. »Was meinst du? Würdest du das machen wollen? Die zusätzlichen Stunden vergüten wir dir natürlich.«

Kamil hatte sich aufrecht hingesetzt und schien angestrengt zu überlegen.

Es stimmte schon: Wenn Mama nicht mitkommen konnte, wäre er oder Tadeusz die perfekte Lösung. Doch mir fiel ein, was mir vorhin durch den Kopf gegangen war.

»Du musst das nicht machen, Kamil«, sagte ich deswegen. »Ihr habt oft genug Wochenenddienst, da braucht ihr mich nicht auch noch in der Gegend rumzukutschieren.« Ich grinste. »Aber natürlich nehme ich auf so ein Partywochenende lieber dich mit als meine Mutter.«

Max und Florian lachten.

»Party!« Mama sah mich kopfschüttelnd an. »Den Zahn wird dir Peter noch ziehen. Abends fallt ihr bestimmt todmüde in eure Betten. Und zwar vor neun.«

Kamils Gesicht blieb ernst. Immer wieder kratzte er mit dem Fingernagel über sein Glas. Dann schien er sich einen Ruck zu geben.

»Gut«, sagte er. »Ich mache das gerne.« Ganz gegen seine sonstige Gewohnheit grinste er mich an. »Auf nach Polen.«

Frida

Während der Ferien hatte ich so oft wie möglich bei den Reitstunden geholfen. Am Mittwochvormittag stand Geschicklichkeitsreiten für die Kleinen an und das lief wie üblich recht chaotisch ab. Mama und ich waren beide froh, als um halb eins das letzte Auto vom Hof rollte und wir die Ponys in ihren wohlverdienten Koppelnachmittag entlassen konnten.

Während wir im Nieselregen über den Hof zum Haus liefen, zog ich mein Handy aus der Tasche und stutzte.

»Was ist?«, fragte Mama, als ich stehen blieb.

»Florian hat angerufen.«

»Ach, das ist ja schön. Dann richte unserem Tierarzt doch bitte aus, dass er schon vor zwei Tagen vorbeikommen und nach den Mutterstuten sehen wollte.«

Ich grinste wegen ihrer gespielten Empörung. »Die sind doch fit. Und Florian weiß das auch.«

Mama winkte kopfschüttelnd, lächelte aber. »Dann bestell ihm schöne Grüße. Wenn er und Eva Zeit haben, sollen sie am Freitag zum Essen kommen.«

Ich nickte und rief Florians Nummer auf. Er ging beim zweiten Klingeln ran. »Frida, hallo, danke, dass du zurückrufst.«

»Klar. Du, bevor ich es vergesse: Mama sagt, du sollst bitte nach Wilma und Poppy sehen und am Freitag mit Eva zum Essen kommen. Jannis und Max dürfen auch mit«, fügte ich grinsend an.

Florian lachte. »Und Emma und Basti? Die sind am Freitag bei mir.«

»Logisch. Die sind ja sowieso immer mit eingeplant.«

»Schön. Eure beiden Dicken sehe ich mir an, versprochen.« Er machte eine kleine Pause. »Aber warum ich mit dir reden wollte, Frida … Warst du in der letzten Zeit mal auf der Oie?«

Ich hatte mich nach einem Führstrick gebückt, den eine Reitschülerin am Anbinder vergessen hatte, und hielt mitten in der Bewegung inne.

»Auf der Oie? Nein. Nicht seit November.« Unwillkürlich erschauderte ich. Die Erinnerung daran, wie kalt mir auf der Insel gewesen war, saß tief. Langsam richtete ich mich auf.

»Dachte ich mir schon. Mich hat vorhin ein Kollege von der Vogelschutzstation drüben auf Kroslitz angerufen. Er war zu einem Kontrollgang auf der Oie und hat frischen Pferdemist gefunden.«

Grinsend lehnte ich mich gegen den Anbindebalken. »Und du denkst, ich würde Pferdemist hinterlassen?«

»Quatsch.« Er lachte. »Eigentlich hatte ich mich gefragt, ob du im Winter ein Auge auf deine Konikfreunde hattest. Hast du einen vermisst?«

Ich brauchte einen Moment, bis ich kapierte, worauf er hinauswollte. »Du meinst, wir haben im Herbst ein Konik auf der Oie vergessen?«

»Unwahrscheinlich, ich weiß. Aber dir wäre es aufgefallen, oder?«

Im letzten Sommer hatte ich ganze Nachmittage mit den Koniks verbracht, ich kannte jede Familie, wusste, wie viele Pferde dazugehörten. Seit dem Tag im November, an dem es so ausgesehen hatte, als würde es bald keine Wildpferde mehr in Eldenau geben, war ich nicht mehr im Gehege gewesen. Das war sowieso verboten, nur hatte es mich im letzten Jahr nicht gekümmert. Jetzt wusste ich, dass es besser war, nicht nur für die Koniks, auch für mich. Ich hatte dort einen Freund zurückgelassen und manchmal tat das noch weh.

»Ja. Das wäre mir aufgefallen«, antwortete ich. »Wenn auf der Oie ein Pferd ist, ist es keins von unseren.«

»Okay. Danke, Frida, das wollte ich wissen. Dann gibt es bestimmt eine andere Erklärung für den Mist.« Er machte eine kleine Pause. Als er weiterredete, konnte ich hören, dass er schmunzelte. »Oder es ist doch dieses Geisterpferd.«

»Ach, hast du auch davon gehört?« Ich lachte. »Ich sage gleich beim Tourismusbüro Bescheid. In Eldenau haben wir das weltweit einzige Geisterpferd, das kacken muss.«

*

Ein paar Stunden später stieß ich mich von meinem Schreibtisch ab und drehte mich auf meinem Stuhl im Kreis. Langsam zog mein schönes Zimmer vorbei und wie immer musste ich beim Anblick der schneeweißen Wände, der gelben Vorhänge und meines neuen breiten Betts lächeln. Meine Gedanken waren aber woanders. Dreimal hatte jetzt jemand dieses angebliche Geisterpferd erwähnt, und ich fragte mich …

»Machen wir einen Ausflug?« Ich stoppte meinen Stuhl und schaute Jannis an, der so gebannt in sein Mathebuch starrte, als stünde da was Spannendes drin. Die Idee, dass wir uns heute zum Lernen trafen, stammte auch nicht von mir. Noch waren Ferien, aber das interessierte Jannis nicht. Und, zugegeben, den Test, der am Dienstag anstand, auch nicht.

»Hm?« Nur zögernd sah er auf und fokussierte seine Augen auf mein Gesicht.

Tadelnd guckte ich ihn an, aber ich merkte, dass ich anfing zu grinsen, als sein Blick an meinem Mund hängen blieb und er sich zu mir beugte. Eine Sekunde lang hielt er inne, und sein Atem glitt über meine Lippen, dann ließ ich mich ein paar Minuten von meinem Plan ablenken. Ich musste ja dankbar sein, dass Jannis mich am Ende doch attraktiver fand als Algebra.

»Einen Ausflug?«, fragte er zweifelnd, als er sich in seinem Stuhl zurücklehnte. Ach, dann hatte er doch zugehört? »Machen so was nicht nur Rentner und Eltern mit kleinen Kindern?«

»Ich will ja auch nicht auf Butterfahrt. Ich hatte eher an eine Bootstour gedacht.«

Er legte den Arm auf die Rückenlehne seines Stuhls und drehte sich halb zu mir. »Aha. Bei dem Wetter? Wo willst du hin?«

Ja, es stimmte schon, der Februar zeigte sich gerade von seiner schmuddeligsten Seite. Aber ich hatte auch nicht vor, nach Schweden überzusetzen. »Wir könnten uns mal auf der Oie umsehen. Vorhin hat Florian angerufen. Hat er denn mit dir noch gar nicht darüber gesprochen?«

Weil Jannis nicht wusste, wovon ich redete, erzählte ich ihm von dem Telefonat mit Florian.

»Das ist doch ein konkreter Hinweis, dass das mit dem Geisterpferd kein Hirngespinst ist, sondern vielleicht ein echtes Pferd dahintersteckt. Die Frage ist: Wie ist es dahingekommen?«

»Die Frage ist: Hat der Typ nicht einfach was verwechselt?« Skeptisch verzog Jannis das Gesicht. »Wer weiß, was der gesehen hat. Ein Ornithologe denkt vielleicht auch, dass ein bisschen trockenes Gras Pferdemist ist.«

»Der ist doch nicht bescheuert.« Kopfschüttelnd sah ich Jannis an. »Er hat gesagt, der Mist wäre frisch gewesen. Da kann er kein Gras gemeint haben.«

Jannis wirkte nicht überzeugt, aber ich ließ nicht locker.

»Können wir nicht am Wochenende rüberfahren? Vielleicht kommen Linh und Max mit, Max ist doch super bei diesen Rudersachen.«

Jannis war kurz davor zuzustimmen – klar, er war auch neugierig, ob an dieser Geisterpferdsache irgendwas dran war –, da schien ihm etwas einzufallen. Er verzog das Gesicht. »Ich kann nicht. Am Samstag ist das Kennenlerntreffen mit dem Team.«

»Das hast du gar nicht erzählt.« Ich wusste immer noch nicht, was ich von dieser Teamgeschichte halten sollte. Hoffentlich waren die Leute wenigstens nett und gingen gut mit ihren Pferden um, wenn sie schon unbedingt Turniere reiten mussten. Aber Jannis hatte sich entschieden und jetzt ging es ja anscheinend Schlag auf Schlag.

»Das kam kurzfristig. Es war nicht klar, ob alle Zeit haben, geplant war es ja nicht. Aber sie wollten, dass ich die anderen einmal gesehen habe, bevor wir in die Trainingswochenenden starten.«

Ich nickte. Nach einem Moment fragte ich: »Freust du dich?«

Jannis antwortete erst nicht. Er betrachtete mich, so als müsste er abschätzen, was er mir zumuten konnte.

»Irgendwie schon«, sagte er dann, und ich war froh, dass er ehrlich war. »Ich meine, ich bin auch aufgeregt und alles, aber ich vermisse es. Das Turnierleben. Den Wettkampf.«

Die Leute, die so tickten wie er. Ich sprach es nicht aus, er auch nicht, aber es stand zwischen uns. Das würde ich nie ändern können. Doch vielleicht musste ich es auch nicht.

Ich strich ihm über die Wange. Dann küsste ich ihn schnell und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. »Ich hoffe, sie sind nett.«

Er legte seine Arme um mich. »Das hoffe ich auch.«

»Aber so nett auch wieder nicht.« Ich hob den Kopf und grinste ihn an. »Da sind doch bestimmt Mädchen dabei, oder?«

Er grinste zurück. »Das nehme ich an.«

»Na gut.« Ich kniff die Augen zusammen. »Du guckst am Samstag, ob nette Mädchen dabei sind, und ich jage ein Geisterpferd. Und wir kommen beide ohne Ergebnis nach Hause, verstanden?«

Jannis lachte. »Geht klar.«

Jannis

Das Lachen war schon von Weitem zu hören, das tiefere von Max, Bastis übermütiges Johlen und auch Emmas zurückhaltendes Glucksen. Der Radau kam vom Reitplatz.

Ich führte Dari am Zügel über den Hof und bog nach rechts ab. Die drei merkten gar nicht, dass wir auf sie zugingen, nur Selma drehte ein braunes Ohr zu uns.

Max hatte einen kleinen Parcours aus Hütchen und Stangen aufgebaut und führte Selma hindurch. Brav folgte sie ihm und achtete genau darauf, dass Emma und Basti auf ihrem Rücken nicht ins Rutschen gerieten.

Seit Max bei uns wohnte, kam es mir so vor, als wären die Zwillinge noch häufiger bei uns als vorher schon. Zugegeben, Max nahm sich viel mehr Zeit für die beiden, als ich das je getan hatte, aber in schwachen Momenten wunderte ich mich doch, wie schnell ich als Stiefbruder ausgedient hatte. Jetzt, als ich zuguckte, wie selbst Emma, die sich sonst selten mal auf ein Pferd traute, weich mit Selmas Bewegungen mitging und von einem Ohr zum anderen grinste, war kein schwacher Moment.

Wie es aussah, waren sie schon eine Weile bei der Sache. Bastis gelähmtes rechtes Bein, das oft verkrampft nach oben gezogen war, hing entspannt nach unten. Immer wieder strich er durch Selmas Mähne und war ganz klar in seinem Element. Basti war für einen Pferderücken gemacht, vielleicht fast so sehr wie Frida.

»Pass bloß auf, dass Iona nicht eifersüchtig wird.«

Max sah auf und führte Selma zu Dari und mir, aber Basti grinste nur.

»Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß.«

Wir mussten alle lachen, am meisten Basti.

»Wo hast du denn den Spruch her?«, fragte Max, aber Basti zuckte auf seine etwas schiefe Art mit den Schultern.

»Ein bisschen Spaß muss sein«, erklärte er. »Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Hasta la vista, Baby.« Er spulte Spruch um Spruch ab, bis ihm Emma ins Wort fiel.

»Boah, jetzt halt mal die Luft an. Das nervt so.«

»Hart«, kommentierte Max, aber Basti schien die scharfe Zunge seiner Schwester gewohnt zu sein.

Völlig unbeeindruckt wandte er sich an mich. »Hast du gesehen, wie gut ich Slalom reite?«

»Ich hab gesehen, wie gut ihr Slalom reitet«, erwiderte ich und zwinkerte Emma zu. »Max ist ja anscheinend ein toller Lehrer.«

Falls ich mir eben eingebildet hatte, dass Emmas Wangen rosig wurden, hatte sie jetzt definitiv rote Ohren. Okaaay.

Trotzdem fragte ich sie: »Willst du dich auf Dari setzen? Der Lehrgang ist vorbei, wir könnten noch ein bisschen spazieren gehen.«

Sie betrachtete Dari mit kugelrunden Augen, aber obwohl sie ein absolutes Kleine-Mädchen-Traumpferd war, schüttelte Emma den Kopf. »Keine Zeit. Papa holt uns gleich ab.«

Also brachten wir die beiden zurück zum Stall, wo Florian schon wartete. Nachdem sie strahlend und winkend verschwunden waren, drehte ich mich zu Max. Mit der rechten Hand kraulte er wie selbstverständlich Selmas Widerrist.

»Du hast einen Fan.«

»Selma? Ja, wir beide sind ein Team.« Er grinste und ich beließ es dabei.

»Hast du Bock, an den Strand zu reiten?« Ich verzog das Gesicht. »Wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was Strohwein erzählt hat, ist es mit faulen Ausritten bald vorbei.«

Er sah mich einen Moment prüfend an, dann nickte er. »Klar. Ich muss nur kurz aufsatteln.«

»Lass mal. So geht’s schneller.« Innerhalb von Sekunden hatte ich Daris Gurt gelöst, ihr den Sattel vom Rücken gezogen und ihn über den Paddockzaun gehängt. Am Aufsteigblock schwangen wir uns auf die Pferde, und keine drei Minuten später erreichten wir den Wirtschaftsweg, der zum Dorf führte.

Es war ein klarer, blasser Februartag, und Daris Wärme unter mir tat gut, aber in den Sträuchern am Wegrand zwitscherten schon die ersten Vögel, und hier und da spitzten Gänseblümchen aus den braunen Grasbüscheln des letzten Jahres hervor.

»Mama hat gesagt, du hättest Lust, im Herbst mit Tino mal ein Turnier zu reiten.« Unauffällig sah ich Max aus den Augenwinkeln an.

Und wirklich wurde er rot. Er streckte die Hand aus und strich über Selmas Schulter, dann räusperte er sich. »Das … das war nur so eine Idee, die Eva neulich hatte. Weil es mit Tino gut lief. Aber … ich meine …«

»Aber Lust hättest du schon?«

Er zuckte mit den Schultern. Ein kurzes Stück mussten wir hintereinanderreiten, weil wir den Strandaufgang erreicht hatten, doch dann guckte ich ihn auffordernd an.

»Also?«

»Na ja, schon. Keine Ahnung. Da gibt’s so viele Regeln und dann diese Klamotten. Ätzend, echt. Aber auf einem Turnier kriegst du es eben schwarz auf weiß …«

»…wie gut du bist?« Er nickte und ich grinste. »Bingo. Da hast du den Grund, warum ich diesen Quatsch mit dem Team mitmache.«

Max schien sich zu entspannen. »Als ob du das nötig hättest …«

»Komm, keine Komplimente hier. Ich find’s krass, was du seit dem Sommer gelernt hast. Kannst es meiner Mutter ruhig glauben, wenn sie dich lobt.«

»Okay. Cool.« Seine Mundwinkel wanderten minimal nach oben. »Aber ob ich mir so weiße Leggings anziehe, ist noch nicht ausgemacht.«

»Linh fände die vielleicht ziemlich scharf.«

Max lachte. »Nee. Linh hat Geschmack.«

»Fährt sie morgen mit?«

Max sah mich an. »Linh? Auf die Oie? Ja.« Er zog die Augenbrauen zusammen. »Aber ich musste sie ganz schön lang überreden. Sie hält das mit dem Geisterpferd für eine von Fridas fixen Ideen.«

Gut, das konnte man nicht von der Hand weisen. Aber Linh war normalerweise die Erste, die Fridas fixe Ideen unterstützte. »Das stört sie doch sonst nicht.«

Max richtete den Blick aufs Wasser. »Ich glaube, sie tut sich gerade ein bisschen schwer mit Frida.«

Ich hielt Dari neben Selma an und schaute ebenfalls hinaus auf die Ostsee. Sich in Mädchenangelegenheiten einzumischen, war lebensmüde, deswegen sagte ich nichts dazu, aber meinen Ärger auf Linh konnte ich nicht ganz unterdrücken. Was war ihr Problem? Frida lernte mehr für die Schule, als ich es bei ihr je erlebt hatte, sie arbeitete sich auf dem Gut den Arsch ab, und sie hatte es geschafft, eine Erfahrung abzuschütteln, nach der andere sich jahrelang in ihrem Zimmer verkrochen hätten. Und dann tat sich Linh schwer mit ihr?

Ich war kurz davor, Dari zu wenden und im gestreckten Galopp aufs Gut zu reiten, so dringend wollte ich Frida in diesem Moment sehen. Der Wind hatte sich gelegt und die Sonne streute orangen und goldenen Glitzer übers Wasser. Und dank dem Treffen morgen würde es mehr als vierundzwanzig Stunden dauern, bis ich wieder bei Frida sein konnte. Die Sache mit dem Springteam kam mir gerade wie eine extrem bescheuerte Idee vor.

Als hätte er meine Gedanken gelesen, wechselte Max das Thema. »Und? Alles cool mit dem Teamtreffen?«

Ich musste mich schwer zusammenreißen, um aus meiner Stimmung rauszukommen. »Frag mich morgen noch mal. Dann kann ich dir sagen, wie die Leute drauf sind.«

»Du meinst, gechillt oder so vom Ehrgeiz zerfressen wie du?« Wie so oft wusste Max, wann ein Spruch angebracht war.

Ich schnaubte. »Sagt einer, der nach einem Jahr im Sattel Turniere gehen will.«

Wir grinsten uns an. Die Stuten streckten die Hälse und schnaubten, und das war unser Signal, in die Puschen zu kommen und wieder anzureiten. Wir hielten die Klappe und ließen uns einfach tragen, ganz entspannt. Langsam wurde es auch in meinem Kopf still.

Erst als der Wind wieder auffrischte und selbst die Körperwärme der Stuten nichts mehr gegen die heranschleichende Nacht ausrichten konnte, kehrten wir um.

»Woher nehmt ihr morgen eigentlich ein Boot?«, fragte ich, als zehn Minuten später die Lichter des Carlshofs in Sicht kamen.

Max lachte leise. »Daran wäre es wirklich beinahe gescheitert. Aber du kennst Frida. Im Notfall wäre sie auch geschwommen.«

Frida

Na, denn kommt mal mit.« Heinrich schob die Tür zu seinem Schuppen auf und trat, ohne zu zögern, in die Dunkelheit hinter dem Lichtrechteck, das auf den Boden fiel. Nach ein paar Sekunden hatten sich unsere Augen an die Schwärze gewöhnt und wir folgten ihm.