DIE PHANTASTISCHE REISE - Isaac Asimov - E-Book

DIE PHANTASTISCHE REISE E-Book

Isaac Asimov

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Beschreibung

Um einen ins Koma gefallenen Wissenschaftler zu retten, wird ein Ärzte-Team auf Mikrobengröße verkleinert und macht sich an Bord des Mini-U-Boots Proteus durch die Blutgefäße auf den gefährlichen Weg ins Gehirn... Der Roman zum Film-Klassiker DIE PHANTASTISCHE REISE (USA 1966, Regie: Richard Fleischer) erzählt die spannende Handlung nicht einfach nach, sondern ergänzt sie durch Hintergrundinformationen, liefert ausführliche Charakterisierungen der Figuren und ersetzt das ursprüngliche Film-Ende durch eine bedeutend plausiblere Erklärung: keine simple Beigabe zum Film, sondern ein eigenständiger, mitreißender Roman aus der Feder von SF-Altmeister Isaac Asimov.

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ISAAC ASIMOV

DIE PHANTASTISCHE REISE

Roman

Apex Science-Fiction-Klassiker, Band 39

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE PHANTASTISCHE REISE 

 

Vorbemerkung 

 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

 

Das Buch

Um einen ins Koma gefallenen Wissenschaftler zu retten, wird ein Ärzte-Team auf Mikrobengröße verkleinert und macht sich an Bord des Mini-U-Boots Proteus durch die Blutgefäße auf den gefährlichen Weg ins Gehirn...

Der Roman zum Film-Klassiker Die phantastische Reise (USA 1966, Regie: Richard Fleischer) erzählt die spannende Handlung nicht einfach nach, sondern ergänzt sie durch Hintergrundinformationen, liefert ausführliche Charakterisierungen der Figuren und ersetzt das ursprüngliche Film-Ende durch eine bedeutend plausiblere Erklärung: keine simple Beigabe zum Film, sondern ein eigenständiger, mitreißender Roman aus der Feder von SF-Altmeister Isaac Asimov.

DIE PHANTASTISCHE REISE

Vorbemerkung

Diese Geschichte, aus der sowohl ein Buch wie auch ein Film entstanden, hat mehrere Urheber, die alle auf vielerlei verschiedene Weise zu ihrer jetzigen Form beigetragen haben. Für uns alle war das eine anstrengende Aufgabe von langer Dauer und eine große Herausforderung, aber auch eine Sache, die tiefe Befriedigung verschafft und, wie ich behaupten darf, große Freude gemacht hat. Als Jay L. Bixby und ich die Originalgeschichte schrieben, ahnten wir nichts davon, wohin das führen und was aus ihr in den Händen von Männern werden würde, die reiche Einfallskraft und höchste künstlerische Begabung ihr eigen nannten - Saul David, der Produzent des Films, Richard Fleischer, der Regisseur und große Zauberer, Harry Kleiner, der das Drehbuch schrieb, Dale Hennessy, der Atelierleiter, ein Künstler ganz aus eigenem, und die Arzte und Wissenschaftler, die uns so viel von ihrer Zeit und ihrer geistigen Arbeit gewidmet haben. Und schließlich Isaac Asimov, der seine Feder und seine große Begabung lieh, um dieser Phantasmagorie von Fakten und Phantasie Form und Realität zu verleihen.

- Otto Klement

Für Marc und Marcia,

für den Zwang

  Erstes Kapitel

Es war ein altes Flugzeug, ein viermotoriger Plasmajet, aus dem aktiven Dienst schon ausgemustert. Die Maschine nahm einen Weg, der weder wirtschaftlich noch sonderlich sicher war. Sie bohrte sich durch die Wolken auf einem Flug, der zwölf Stunden dauerte und den ein Überschallflugzeug in fünf zurückgelegt hätte.

Und noch gut eine Stunde Flugzeit stand bevor.

Der Agent an Bord wusste, dass sein Teil der Arbeit nicht eher getan war, bis die Maschine gelandet war, und dass die letzte Stunde die längste sein würde.

Er warf einen Blick auf den Mann, der noch mit ihm die große Passagierkabine teilte. Im Augenblick schlief er, das Kinn war auf die Brust herabgesunken.

Der Fluggast wirkte in keiner Weise auffallend oder beeindruckend, aber im Augenblick war er der wichtigste Mensch auf der ganzen Welt.

General Alan Carter hob mit düsterer Miene den Kopf, als der Colonel eintrat. Unter Carters Augen hingen schwere Tränensäcke, seine Mundwinkel waren heruntergezogen. Er versuchte die Büroklammer, die er malträtierte, wieder gerade zu biegen. Sie schnellte ihm aus der Hand.

»Beinahe getroffen, diesmal«, kommentierte Colonel Donald Reid gelassen. Seine rötlichblonden Haare lagen glatt am Kopf, aber sein kurzer, ergrauender Schnurrbart sträubte sich. Er steckte in der Uniform mit derselben undefinierbaren Gezwungenheit wie der General. Beide waren Spezialisten, zum Einsatz in einer Sondereinheit einberufen, die militärischen Rangbezeichnungen trugen sie nur aus praktischen Gründen, die KMAS-Abzeichen. Jeder Buchstabe stand in einem kleinen Sechseck, zwei oben, drei unten. Das mittlere Sechseck rahmte ein Symbol ein, das den Träger noch genauer in eine Gattung einstufte. Bei Reid war es ein Merkurstab, der ihn als Mediziner auswies.

»Raten Sie mal, was ich mache«, sagte der General.

»Sie werfen mit Büroklammern.«

»Sicher. Und die Stunden zähle ich auch. Wie ein Narr!« Seine Stimme klang - mühsam beherrscht - ein wenig gereizt. »Ich sitze hier herum, mit feuchten Händen, klebrigen Haaren und einem' Herzen, das bis zum Hals hinauf schlägt, und zähle die Stunden, mittlerweile schon die Minuten. Zweiundsiebzig Minuten, Don. Zweiundsiebzig Minuten, und sie sind unten am Flughafen.«

»Na gut. Warum dann so nervös? Irgendwas faul?«

»Nein, nichts. Es ist alles glatt gelaufen. Er ist von den anderen, soviel wir wissen, ohne Zwischenfall übernommen worden. Er ist sicher ins Flugzeug gelangt, in ein altes...«

»Ja, ich weiß.«

Carter schüttelte den Kopf. Ihm kam es nicht darauf an, seinem Gegenüber Neuigkeiten zu berichten; er wollte nur reden, einfach reden. »Wir haben uns ausgerechnet, die anderen würden sich ausrechnen, wir würden uns ausrechnen, dass die Zeit von äußerster Wichtigkeit sei, dass wir ihn in eine X 52 verfrachten und rüberschießen. Nur, wir haben uns ausgerechnet, dass die anderen sich das so ausrechnen und das Anti-Raketen-Netz in Alarmzustand versetzen würden...«

»Verfolgungswahn, so nennt man das in meinem Beruf«, gab Reid zurück. »Dass irgendeiner glaubt, so etwas würden die tun, meine ich. Dass sie Krieg und Vernichtung riskieren.«

»Das würden die unter Umständen tun, um das zu verhindern. Ich bin fast der Meinung, wir müssten es im umgekehrten Fall tun. Also haben wir ein Linienflugzeug genommen, einen viermotorigen Plasmajet. Ich habe mich schon gefragt, ob das Ding überhaupt abhebt, so alt ist es.«

»Und hat es?«

»Hat es was?« Der General war für einen Augenblick wie abwesend in düsterste Gedanken versunken.

»Abgehoben.«

»Ja, ja. Es läuft glatt. Ich bekomme meine Berichte von Grant.«

»Wer ist das?«

»Der Einsatzagent. Ich kenne ihn. Hat er seine Hand am Drücker, dann fühle ich mich so sicher, wie man sich eben fühlen kann, was nicht gerade viel ist. Grant hat die ganze Sache gedeichselt und den anderen diesen Benes aus der Hand geschnippt wie ein glitschiges Stück Seife.«

»Na also.«

»Aber ich mache mir trotzdem Sorgen. Ich sage Ihnen, Reid, in diesem verdammten Job gibt es überhaupt nur eine sichere Methode. Man muss davon ausgehen, dass die anderen genauso schlau sind wie wir, dass die für jeden Trick, den wir kennen, einen Gegentrick parat haben, dass die für jeden Mann, den wir drüben einschleusen konnten, einen bei uns eingeschleust haben. Das geht jetzt schon länger als ein halbes Jahrhundert so. Wir müssen gleich auf gleich sein, sonst wäre schon längst alles aus und vorbei.«

»Regen Sie sich ab, Al.«

»Wie denn? Diese Sache jetzt, das, was Benes mitbringt, dieses neue Wissen, könnte dem Patt endgültig ein Ende bereiten. Mit uns als den Siegern.«

»Ich hoffe, die anderen denken nicht auch so«, meinte Reid. »Wenn doch... wissen Sie, Al, bis jetzt haben in diesem Spiel immer noch Regeln gegolten. Keine Seite tut etwas, um die andere so in die Ecke zu boxen, dass man auf die Raketenknöpfe drücken muss. Man muss dem anderen einen Ausweg lassen. Starker Druck ja, aber nicht zu stark. Wenn Benes hier ankommt, hat man drüben vielleicht das Gefühl, der Druck sei zu stark geworden.«

»Wir haben keine andere Wahl, als diese Gefahr auf uns zu nehmen.« Er fügte hinzu, als käme er von dem Gedanken nicht los: »Falls er hier ankommt.«

»Das wird er doch aber, oder?«

Carter war aufgestanden, so, als wolle er hastig hin und her laufen. Er starrte den anderen an und setzte sich abrupt wieder.

»Na schön, wozu sich aufregen? Sie haben wieder Ihren Tranquilizer-Blick, Doktor. Ich brauche keine Glückspillen. Aber angenommen, er ist in zweiundsiebzig - nein, in Sechsundsechzig Minuten hier. Angenommen, er landet auf dem Flughafen. Dann muss er immer noch hierhergebracht werden, bevor er in Sicherheit ist. Zwischen Lipp’ und Kelchesrand...«

»Schwebt der dunklen Mächte Hand«, sagte Reid im Sington. »Herrgott noch mal, General, wollen wir vernünftig sein und über Konsequenzen reden? Ich meine - was wird denn, wenn er hier ist?«

»Mensch, Don, lassen wir das, bis er wirklich da ist.«

»Mensch, Al«, äffte ihn der Colonel nach. Seine Stimme war ebenfalls ein wenig schärfer geworden. »Wir können nicht warten, bis er hier ist. Bis er kommt, ist es zu spät. Sie werden dann zu beschäftigt sein, und die vielen kleinen Ameisen im Pentagon werden wild durcheinanderkrabbeln, so dass nichts geschehen wird, wo ich es für notwendig halte.«

»Ich verspreche...« Der General winkte vage ab.

Reid ließ sich nicht beirren.

»Nein. Sie werden kein Versprechen halten können, das Sie für die Zukunft machen. Rufen Sie jetzt gleich den Chef an, ja? Auf der Stelle! Sie können ihn erreichen. Sie sind im Augenblick der einzige, der ihn erreichen kann. Machen Sie ihm begreiflich, dass CMFD nicht bloß die Gehilfin des Militärs ist. Oder wenn das nicht geht, setzen Sie sich mit Commissioner Furnald in Verbindung. Er steht auf unserer Seite. Sagen Sie ihm, ich will ein paar Brosamen für die Biowissenschaften. Weisen Sie darauf hin, dass von der Sache Wählerstimmen abhängen. Hören Sie, Al, wir brauchen eine Stimme, die so laut ist, dass man sie auch hört. Wir müssen eine Aussicht auf Erfolg haben. Sobald Benes hier ist und in die Klauen der echten Generäle gerät, der Teufel soll sie holen, können wir überhaupt nichts mehr machen.«

»Ich kann nicht, Don. Und ich tue es nicht. Wenn Sie es ganz genau wissen wollen: Ich unternehme nichts, überhaupt nichts, bis Benes hier ist. Und ich schätze es gar nicht, dass Sie in diesem Augenblick versuchen, mich unter Druck zu setzen.«

Reids Lippen wurden weiß.

»Was soll ich dann tun, General?«

»Warten, wie ich warte. Die Minuten zählen.«

Reid wandte sich ab. Er hatte seinen Zorn unter Kontrolle.

»Ich würde mir an Ihrer Stelle das mit dem Beruhigungsmittel noch einmal überlegen, General.«

Carter sah ihm wortlos nach. Er blickte auf die Armbanduhr.

»Einundsechzig Minuten!«, murmelte er und tastete nach einer Büroklammer.

Reid betrat beinahe erleichtert das Büro von Dr. Michaels, dem zivilen Leiter Medizin. Der Ausdruck auf Michaels breitem Gesicht mochte nie hinausgelangen über eine ruhige Heiterkeit mit bestenfalls einem trockenen Glucksen, aber andererseits sank er auch nie unter eine augenzwinkernde Ernsthaftigkeit, die sich selbst offenbar nicht allzu ernst nahm.

Er hielt das unvermeidliche Diagramm in der Hand, eines von den vielen. Für Colonel Reid waren diese Diagramme alle gleich, jedes einzelne ein hoffnungsloses Labyrinth, alle zusammengenommen die Hoffnungslosigkeit in der höchsten Potenz.

Gelegentlich unternahm Michaels den Versuch, ihm oder jedem anderen, der daherkam, die Diagramme zu erklären - Michaels war von einem rührenden Bestreben erfüllt, die Dinge zu erläutern.

Der Blutstrom, so schien es, wurde mit einer Spur leichter Radioaktivität angereichert, worauf der Organismus (sei es Mensch oder Maus) sich dann mit einer Lasermethode, die ein dreidimensionales Bild erzeugte, sozusagen selbst fotografierte.

»Gut, aber lassen wir das«, pflegte Michaels an dieser Stelle zu sagen. »Sie bekommen ein Bild vom gesamten Kreislaufsystem in drei Dimensionen, das dann in so vielen Ausschnitten und Projektionen, wie für den Zweck erforderlich, zweidimensional aufgezeichnet werden kann. Man wäre bei entsprechender Bild-

Vergrößerung in der Lage, sogar die kleinsten Kapillargefäße zu erfassen.

Ich wäre also nur noch ein Geograph«, fügte Michaels dann in der Regel hinzu. »Ein Geograph des menschlichen Körpers, der seine Flüsse und Buchten vermisst, seine Meerengen und Bäche - weitaus komplizierter als alles, was es auf der Erde gibt, glauben Sie mir.«

Reid blickte über Michaels’ Schulter auf das Diagramm und sagte: »Von wem ist das, Max?«

»Von niemand Besonderem.« Michaels warf das Diagramm zur Seite. »Ich warte, das ist alles. Wenn andere warten, lesen sie ein Buch. Ich lese einen Kreislauf.«

»Sie warten auch, wie? Er ebenfalls.« Reid wies mit dem Kopf nach hinten in Richtung von Carters Büro. »Wartet ihr beide auf dasselbe?«

»Darauf, dass Benes hier ankommt. Versteht sich. Und ich glaube es trotzdem nicht ganz, wissen Sie.«

»Glauben was nicht?«

»Ich bin nicht sicher, dass der Mann wirklich das hat, was er behauptet. Ich bin Physiologe, gewiss, und kein Physiker«, schränkte Michaels mit einem humorvoll-bescheidenen Achselzucken ein, »aber ich glaube gern den Fachleuten. Die sagen, dass es nicht geht. Ich höre sie sagen, das Unsicherheitsprinzip verhindere, dass das über eine gewisse Zeit hinaus möglich sei. Und gegen die Unsicherheitsrelation kommt man nicht auf, oder?«

»Ich bin auch kein Fachmann, Max, aber dieselben Fachleute erklären uns, Benes sei auf diesem Gebiet der allergrößte Fachmann. Die andere Seite hat ihn, und sie konnte mit uns Schritt halten, weil sie ihn hat, nur, weil sie ihn hat. Die anderen haben niemanden, der ihm das Wasser reichen kann, während wir Zaletsky haben und Kramer, Richtheim, Lindsay und die anderen alle. Und unsere größten Leute glauben, dass er etwas gefunden haben muss, wenn er das sagt.«

»Wirklich? Oder glauben sie nur, wir könnten es uns nicht leisten, einfach darüber hinwegzugehen? Selbst wenn er nichts gefunden haben sollte, bringt uns ja schon sein Übertritt etwas ein. Die andere Seite könnte seine Dienste nicht mehr in Anspruch nehmen.«

»Weshalb sollte er die Unwahrheit sagen?«

»Warum nicht?« gab Michaels zurück. »Dadurch kommt er von dort weg und es bringt ihn hierher, wo er ja wohl sein möchte. Wenn sich herausstellen sollte, dass er nichts anzubieten hat, werden wir ihn wohl kaum zurückschicken, oder? Außerdem lügt er vielleicht gar nicht, sondern irrt sich bloß.«

»Hm.« Reid kippte den Stuhl nach hinten und legte seine Füße ganz uncolonelhaft auf den Schreibtisch. »Das hat etwas für sich. Und wenn er uns hereinlegt, geschieht es Carter ganz recht. Geschieht ihnen allen recht. Verdammte Narren.«

»Sie haben bei Carter nichts erreicht, wie?«

»Nicht das geringste. Er unternimmt nichts, bis Benes da ist. Er zählt die Minuten, und ich tue es auch schon. Es sind noch zweiundvierzig.«

»Bis wann?«

»Bis das Flugzeug, in dem Benes sitzt, draußen landet. Und die Biowissenschaften haben nichts. Wenn Benes nur ein Geschäft macht, um von drüben herüberzukommen, haben wir nichts, und wenn die Sache echt ist, haben wir auch nichts. Das Militär kassiert alles, jeden Brösel, jeden Hauch. Es ist ein zu hübsches Spielzeug, und sie werden das nie hergeben.«

»Unsinn. Vielleicht halten sie es am Anfang fest, aber wir haben auch unseren Einfluss. Wir können Duval auf sie hetzen, den ernsthaften, gottesfürchtigen Peter.«

Reids Gesicht nahm einen angewiderten Ausdruck an.

»Ich würde ihn liebend gern aufs Militär loslassen. So, wie mir jetzt zumute ist, würde ich ihn auch auf Carter loslassen. Wenn Duval negativ geladen wäre und Carter positiv, und wenn ich sie zusammenführen könnte, bis sie sich zu Tode entladen haben...«

»Werden Sie nicht teuflisch, Don. Sie nehmen Duval zu ernst. Ein Chirurg ist ein Künstler, ein Bildhauer am lebenden Fleisch. Ein großer Chirurg ist ein großer Künstler und hat das

Temperament eines solchen.«

»Ich habe auch Temperament und gebrauche es nicht dazu, anderen dauernd auf den Wecker zu fallen. Wieso hat Duval ein Monopol darauf, so beleidigend und arrogant aufzutreten?«

»Wenn er das Monopol hätte, wäre ich hocherfreut, mein lieber Colonel. Ich würde es ihm mit der allergrößten Dankbarkeit überlassen. Das Dumme ist nur, dass es so viele beleidigende und arrogante Figuren auf der Welt gibt.«

»Schon möglich. Schon möglich«, murmelte Reid, war aber nicht besänftigt. »Siebenunddreißig Minuten.«

Hätte irgendwer Reids Kurzcharakteristik von Duval bei Dr. Peter Lawrence Duval wiederholt, sie wäre mit demselben kurzen Knurrlaut quittiert worden wie eine Liebeserklärung. Duval war weder für Beleidigungen noch für Verehrung unzugänglich, nur reagierte er darauf dann, wenn er Zeit hatte, und Zeit hatte er selten. Was sein Gesicht gewohnheitsmäßig an den Tag legte, war kein finsterer Ausdruck, sondern nur die Muskelkontraktur in Verbindung mit Gedanken, die anderswo weilten. Man durfte annehmen, dass alle Menschen sich auf irgendeine Weise von der Welt loszulösen vermochten; bei Duval war es schlicht die Konzentration auf seine Arbeit. Dieser Weg hatte ihn Mitte der Vierzig zu internationaler Berühmtheit als Gehirnchirurg und zu seinem kaum wahrgenommenen Stand als Junggeselle geführt.

Er hob auch, als die Tür geöffnet wurde, den Kopf nicht von den dreidimensional dargestellten Röntgenaufnahmen, die er sorgfältig vermaß. Seine Assistentin kam mit den gewohnt lautlosen Schritten herein.

»Was gibt es, Miss Peterson?«, fragte er und kniff die Augen über den Aufnahmen noch schärfer zusammen. Die Tiefenwahrnehmung war klar genug, aber die konkrete Tiefe zu messen, erforderte eine empfindliche Berücksichtigung der Winkel und dazu im Voraus schon eine gute Vorstellung davon, wie groß die Tiefe sein würde.

Cora Peterson wartete geduldig, dass der Augenblick verstärkter Konzentration nachließ. Sie war fünfundzwanzig Jahre alt, zwanzig Jahre jünger als Duval, und haue ihren Magistergrad, der erst ein Jahr alt war, dem Chirurgen feierlich zu Füßen gelegt.

In ihren Briefen nach Hause erwähnte sie fast jedes Mal, dass jeder Tag bei Duval ein Collegelehrgang sei; seine Methoden zu studieren, seine Diagnosetechniken, seinen Umgang mit dem Handwerkszeug heiße, auf schier unglaubliche Weise belehrt zu werden. Was seine Hingabe an die Arbeit und die Heilkunst als solche angehe, so könne man sie nur als erhebend bezeichnen.

Auf weniger intellektuellem Gebiet nahm sie mit dem Scharfsinn einer erfahrenen Ärztin die Beschleunigung ihres Herzschlags wahr, als sie die Linien seines über die Arbeit gebeugten Gesichts und die raschen, sicheren, niemals stockenden Bewegungen seiner Finger wahrnahm. Ihr Gesicht blieb jedoch ausdruckslos; sie missbilligte das Verhalten ihres wenig intellektuellen Herzmuskels.

Ihr Spiegel sagte ihr deutlich genug, dass sie nicht reizlos war. Ganz im Gegenteil. Ihre dunklen Augen standen auf faszinierende Weise weit auseinander; ihre vollen Lippen verrieten Hingebungsbereitschaft, wenn sie das zuließ, was nicht oft vorkam; und ihre Figur ärgerte sie, weil sie die richtige Einschätzung ihrer beruflichen Qualifikation nicht aufkommen zu lassen schien. Sie wollte anerkennende Pfiffe (oder ihre intellektuelle Entsprechung) für ihre Fähigkeiten ernten und nicht für die Geschmeidigkeit ihres Körpers, für die sie nichts konnte.

Wenigstens schätzte Duval ihre Tüchtigkeit und schien von ihren körperlichen Reizen unbeeindruckt zu sein, und dafür bewunderte sie ihn umso mehr.

»Benes wird in knapp dreißig Minuten landen, Doktor«, sagte sie schließlich.

»Hmm.« Er sah auf. »Warum sind Sie noch hier? Ihr Arbeitstag ist um.«

Cora hätte erwidern können, dass es bei ihm nicht anders sei, aber sie wusste zu genau, dass sein Arbeitstag erst beendet war, wenn er seine Arbeit getan hatte. Sie war schon sechzehn Stunden hintereinander mit ihm zusammen gewesen, obwohl sie das

Gefühl hatte, er würde - in aller Aufrichtigkeit - behaupten, sie nur acht Stunden am Tag zu beanspruchen.

»Ich bin schon ganz gespannt.«

»Auf wen?«

»Auf Benes. Erregt Sie das nicht, Doktor?«

»Nein. Wieso auch?«

»Er ist ein großer Wissenschaftler, und es heißt, er bringe wichtige Informationen mit, die alles revolutionieren werden, was wir tun.«

»So, wird es das?« David legte die erste Aufnahme zur Seite und beugte sich über die nächste. »Wie hilft Ihnen das bei Ihrem Laserverfahren?«

»Es kann bewirken, dass das Ziel leichter zu treffen ist.«

»Das tut es schon. Für das, was Benes bringt, werden nur die Kriegsvorbereiter Verwendung haben. Alles, was Benes tun wird, ist, die Wahrscheinlichkeit der Vernichtung der Welt noch zu vergrößern.«

»Aber, Doktor Duval, Sie haben selbst gesagt, die Übertragung der Technik könnte für die Neurophysiologie überaus wichtig werden.«

»Habe ich das gesagt? Na gut, auch recht. Aber ich möchte trotzdem, dass Sie die notwendige Ruhezeit einhalten.« Er hob wieder den Kopf. »Sie sehen müde aus.« (War seine Stimme nicht ein wenig weicher geworden?)

Coras Hand strich unbewusst über ihre Haare, denn ins Weibliche übertragen heißt das Wort müde so viel wie zerzaust.

»Ich gehe, sobald Benes angekommen ist. Ganz bestimmt. Übrigens...«

»Ja?«

»Brauchen Sie morgen den Laser?«

»Das versuche ich jetzt eben zu entscheiden - wenn Sie mich lassen, Miss Peterson.«

»Der 6951 kann nicht benutzt werden.«

Duval legte die Aufnahme hin und lehnte sich zurück.

»Warum nicht?«

»Er ist nicht verlässlich genug. Ich kann ihn nicht richtig fokussieren. Ich vermute, dass eine der Tunneldioden defekt ist, weiß aber noch nicht, welche.«

»Na gut. Stellen Sie ein Gerät bereit, auf das man sich verlassen kann, falls wir es brauchen sollten. Tun Sie das, bevor Sie gehen. Und morgen...«

»Morgen stelle ich fest, was mit dem 6951 nicht in Ordnung ist.«

»Ja.«

Sie wandte sich ab, blickte kurz auf die Uhr und sagte: »Einundzwanzig Minuten. Die Maschine soll pünktlich sein, wie es heißt.«

Er gab einen dumpfen Laut von sich. Sie wusste, dass er nicht hingehört hatte. Sie verließ das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich.

Captain William Owens ließ sich in den weichgepolsterten Sitz des Wagens sinken. Er rieb sich müde die scharfkantige Nase und schob das Kinn vor. Er spürte, wie das Fahrzeug sich auf den stabilen Druckluftstrahlen hob und ohne jedes Stocken vorwärtsbewegte. Vom Turbomotor vernahm er nicht einmal ein Wispern, obwohl hinter ihm fünfhundert Pferdestärken an der Arbeit waren. Durch die kugelsicheren Fenster auf beiden Seiten konnte er die Motorradeskorte sehen. Voraus und dahinter bewegten sich andere Begleitfahrzeuge mit gedämpftem Licht durch die Nacht.

Sie ließ ihn bedeutend erscheinen, diese halbe Armee von Beschützern, aber natürlich war sie nicht für ihn aufgeboten worden. Nicht einmal für den Mann, dem sie entgegenfuhren; nicht für den Mann als Person. Nur für das, was ein großer Geist in sich barg.

Der Leiter des Secret Service saß links neben Owens. Es war ein Beweis für die erforderliche Anonymität des Dienstes, dass Owens nicht genau wusste, wie dieser unauffällige Mann hieß, der angefangen von der randlosen Brille bis zu den konservativen Schuhen eher einem Collegeprofessor - oder auch einem Krawattenverkäufer - glich.

»Colonel Gander«, hatte Owens beim Händedruck versuchsweise gesagt.

»Gonder«, war die halblaute Antwort gewesen. »Guten Abend, Captain Owens.«

Sie waren schon in Flugplatznähe. Irgendwo vor ihnen, über ihnen, nur mehr ein paar Meilen entfernt, setzte das altmodische Flugzeug zur Landung an.

»Ein großer Tag, nicht?«, murmelte Gonder leise. Alles an dem Mann schien zu flüstern, bis hin zum unauffälligen Schnitt seiner Zivilkleidung.

»Ja«, bestätigte Owens, bemüht, die Anspannung aus seiner Stimme fernzuhalten. Zwar fühlte er sich nicht sonderlich angespannt, doch seine Stimme schien diesen Eindruck stets bei anderen zu erwecken. Es war dies eine Art von Anspannung, die zu seiner schmalen, scharfgeschnittenen Nase, den schmalen Augen und den hohen Backenknochen zu passen schien.

Manchmal hatte er das Gefühl, dadurch behindert zu sein. Die Leute erwarteten einen Neurotiker, wo keiner war. Jedenfalls nicht ärger als andere. Andererseits ging ihm so mancher gerade deshalb aus dem Weg, ohne dass er einen Finger rühren musste. Am Ende glich sich vielleicht alles wieder aus.

»Ein Bravourstück, ihn hierherzubringen. Man muss dem Dienst gratulieren.«

»Die Anerkennung gebührt unserem Agenten. Er ist unser bester Mann. Das Geheimnis seines Erfolges ist wohl, dass er genauso aussieht, wie Romantiker sich einen Agenten vorstellen.«

»Er sieht so aus?«

»Hochgewachsene schlanke Figur. Auf dem College spielte er Football. Gutaussehend. Überaus markant. Ein Blick auf ihn, und die andere Seite würde sagen: Da. So müsste einer von ihren Geheimagenten aussehen, also kann er natürlich keiner sein. Man beachtet ihn nicht und kommt viel zu spät dahinter, dass er doch der Top-Agent ist.«

Owens zog die Brauen zusammen. Meinte der Mann das tatsächlich ernst, oder machte er Witze, um die Spannung zu lockern?

»Ihnen ist natürlich klar, dass Ihre Rolle bei der ganzen Sache keine nebensächliche ist«, fuhr Gonder fort. »Sie werden ihn erkennen, ja?«

»Ich erkenne ihn«, sagte Owens mit seinem kurzen, nervösen Auflachen. »Ich bin ihm mehrmals bei wissenschaftlichen Tagungen drüben begegnet. Einmal haben wir uns nachts gemeinsam betrunken; das heißt, nicht eigentlich betrunken - wir waren fröhlich.«

»Hat er geredet?«

»Ich machte ihn nicht betrunken, damit er reden sollte. Aber geredet hat er trotzdem nicht. Es war noch jemand dabei. Drüben treten auch die Wissenschaftler immer zu zweit auf.«

»Haben Sie geredet?« Die Frage war leichthin gestellt, was man von der Absicht gewiss nicht behaupten konnte.

Owens lachte wieder.

»Glauben Sie mir, Colonel, es gibt nichts, was ich weiß und das er nicht wüsste. Ich könnte den ganzen Tag mit ihm reden, ohne Schaden anzurichten.«

»Ich würde gern etwas davon verstehen. Meine Bewunderung ist Ihnen sicher, Captain. Wir haben es mit einem technologischen Phänomen zu tun, das die Welt zu verändern vermag, und nur eine Handvoll Menschen versteht das überhaupt. Das Gehirn wird den Menschen zu groß.«

»So schlimm ist es nun auch wieder nicht«, gab Owens zurück. »Wir sind ziemlich viele. Freilich gibt es nur einen Benes, und ich bin meilenweit von seinem Rang entfernt. Ich verstehe eigentlich nicht viel mehr, als dass ich die Technik auf meine Schiffskonstruktionen anwenden kann. Das ist alles.«

»Aber Sie werden Benes erkennen?« Der Chef des Geheimdienstes schien immer wieder Bestätigung zu brauchen.

»Selbst dann, wenn er einen Zwillingsbruder hätte, was sicher nicht der Fall ist.«

»Das ist keine rein theoretische Frage, Captain. Grant, unser Mann, ist gut, wie ich schon sagte, aber es wundert mich trotzdem ein wenig, dass er es geschafft hat. Es drängt sich mir also die Frage auf, ob nicht ein doppelter Doppelbluff im Spiel ist, ob man von uns nicht erwartete, dass wir Benes zu holen versuchen würden, und uns die andere Seite einen unechten Benes präsentiert hat.«

»Ich würde den Unterschied erkennen«, bekräftigte Owens zuversichtlich.

»Sie ahnen nicht, was man heutzutage mit kosmetischer Chirurgie und Narkohypnose alles machen kann.«

»Spielt keine Rolle. Das Gesicht könnte mich vielleicht täuschen, aber nicht die Sprache. Entweder er kennt die TECHNIK« - an Owens Tonfall war zu erkennen, dass er das Wort in Großbuchstaben buchstabierte - »besser als ich, oder er ist nicht Benes, egal, wie er aussieht. Kann sein, dass sie Benes äußerlich nachahmen können; geistig gelingt ihnen das nicht.«

Sie hatten das Flugfeld erreicht. Colonel Gonder blickte auf die Uhr.

»Ich höre es schon. Das Flugzeug wird in wenigen Minuten aufsetzen. Es ist pünktlich.«

Bewaffnete Soldaten und gepanzerte Fahrzeuge schwärmten aus, um die auf dem Flugfeld schon eingesetzten Mannschaften zu verstärken, und verwandelten das Gelände in ein Sperrgebiet.

Die letzten Lichter der Stadt waren weit hinter ihnen zurückgeblieben. Nur links am Horizont zeigte sich noch ein schwacher Schimmer.

Owens seufzte erleichtert. Benes würde in den nächsten Augenblicken endlich hier sein.

Gut ausgegangen?

Er störte sich an dem Fragezeichen, das er unbewusst ans Ende gesetzt hatte.

Gut ausgegangen!, dachte er grimmig, aber das Fragezeichen wollte sich nicht aus seinem Unterbewusstsein verdrängen lassen.

  Zweites Kapitel

 

 

Grant starrte mit tiefer Erleichterung auf die Lichter der Stadt hinunter, als die Maschine in den Sinkflug überging. Niemand hatte ihm nähere Einzelheiten über die Bedeutung von Dr. Benes mitgeteilt - abgesehen von der Tatsache, dass er ein flüchtender Wissenschaftler und im Besitz von entscheidenden Informationen war. Der wichtigste Mensch auf der Welt, hatte man ihm erklärt - und dann vergessen, ihm zu erläutern, warum.

Nichts mit Gewalt erzwingen, hatte man ihm eingeschärft. Nicht verkrampfen, sonst ist alles aus. Aber die Sache ist lebenswichtig. Unglaublich wichtig.

Immer ruhig bleiben, hatte es geheißen, aber alles hängt davon ab - Ihr Land, die Welt, die Menschheit.

Und so war es geschehen. Er hätte es vielleicht nie geschafft, wenn die anderen nicht Angst davor gehabt hätten, Benes zu töten. Bis man so weit gewesen war, dass man begriffen hatte, Benes zu töten, sei die einzige Chance, um auch nur ein Patt zu erzielen, war es schon zu spät gewesen und Benes auf und davon. Ein Streifschuss an den Rippen war alles, was Grant sich eingehandelt hatte. Dafür genügte ein großes Pflaster.

Aber jetzt war er müde, bis ins Mark. Körperlich müde, natürlich, aber auch müde der ganzen törichten Geschichte. In seiner Collegezeit, vor zehn Jahren, hatte man ihn Granit-Grant genannt, und er, Dummkopf, der er war, hatte alles darangesetzt, auf dem Footballfeld diesem Namen gerecht zu werden. Ein gebrochener Arm war die Folge gewesen, aber er hatte wenigstens das Glück gehabt, Zähne und Nase unbeschädigt zu retten und damit auf seine markante Weise gutaussehend zu bleiben. Ein Lächeln huschte bei diesem Gedanken über seine Lippen.

Seitdem hatte er auch den Gebrauch von Vornamen missbilligt. Nur das einsilbig hingeknurrte Grant. Sehr männlich. Sehr kraftvoll.

Nichts als Quatsch. Was brachte ihm das ein außer Müdigkeit und begründeten Aussichten auf ein kurzes Leben? Er hatte die Dreißig gerade überschritten, und es wurde Zeit, zu seinem Vornamen zurückzukehren. Charles Grant. Vielleicht sogar Charlie Grant! Der gute, alte Charlie Grant!

Er schnitt eine Grimasse und zog wieder die Brauen zusammen. Es musste sein. Der gute alte Charlie. So war es richtig. Der gute, alte, weiche Charlie, der gern im Schaukelstuhl saß und schaukelte. Hallo, Charlie, schöner Tag heut. He, Charlie, sieht nach Regen aus. Besorg dir einen stillen Posten, Charlie, und dös dich durch bis zur Pensionierung.

Grant warf einen Seitenblick auf Jan Benes. Sogar er empfand etwas Vertrautes beim Anblick der grauen Haarmähne, dem Gesicht mit der kräftigen, fleischigen Nase, dem ungepflegten, borstigen Schnurrbart, der so grau war wie die Haare. Die Karikaturisten begnügten sich allein mit der Nase und dem Schnurrbart, aber da waren auch noch seine Augen, umgeben von einem Netz feiner Fältchen, und die tief eingegrabenen Falten auf seiner Stirn.

Benes’ Kleidung saß mäßig bis schlecht, aber sie hatten hastig aufbrechen müssen und keine Zeit für Schneider und Maßanzüge gehabt. Der Wissenschaftler war, wie Grant wusste, nah an den Fünfzig, sah aber älter aus.

Benes beugte sich vor und blickte zu den Lichtern der Stadt hinunter.

»Sind Sie schon einmal hier in der Gegend gewesen, Professor?«, fragte Grant.

»Ich bin in Ihrem Land überhaupt noch nicht gewesen«, erwiderte Benes, »oder sollte das eine Fangfrage sein?« Er sprach mit leichtem Akzent.

»Nein. Ich wollte mich nur mit Ihnen unterhalten. Das da unten ist unsere zweitgrößte Stadt. Geschenkt, wenn Sie mich fragen. Ich stamme vom anderen Ende des Landes.«

»Für mich bedeutet das alles nichts. Das eine Ende. Das andere Ende. Hauptsache, ich bin hier. Das wird...« Er ließ den Satz unvollendet, aber seine Augen wirkten traurig.

Sich losreißen fällt schwer, dachte Grant, auch wenn du glaubst, du musst es tun.

»Wir sorgen schon dafür, dass Sie keine Zeit zum Grübeln haben werden, Professor«, sagte er. »Sie bekommen viel zu tun.«

Benes blieb bedrückt.

»Davon bin ich überzeugt. Ich rechne damit. Das ist der Preis, den ich bezahle, nicht wahr?«

»Ich fürchte, schon. Sie haben uns eine gewisse Mühe gekostet, wissen Sie.«

Benes legte die Hand auf Grants Ärmel.

»Sie haben Ihr Leben eingesetzt. Das weiß ich zu schätzen. Sie hätten dabei Ihr Leben lassen können.«

»Die Gefahr, dass ich mein Leben verliere, nehme ich dauernd auf mich. Berufsrisiko. Dafür werde ich bezahlt. Nicht so gut wie einer, der Gitarre spielt oder den Baseballschläger schwingt, aber ich bekomme ungefähr das, was denen mein Leben wert ist.«

»So dürfen Sie es nicht sehen.«

»Doch. Mein Laden tut das auch. Wenn ich zurückkomme, gibt es einen Händedruck und ein beiläufiges Gut gemacht!. Männlich reservierte Zurückhaltung und so, wissen Sie. Dann heißt es: Also, dann bis zum nächsten Auftrag. Den Betrag für Ihr Heftpflaster müssen wir natürlich abziehen. Die Spesen werden immer höher.«

»Ihre zynische Sprache vermag mich nicht zu täuschen, junger Mann.«

»Aber mich muss sie täuschen, Professor, sonst würde ich alles hinwerfen.« Grant wunderte sich beinahe über die plötzliche Bitterkeit in seiner Stimme. »Schnallen Sie sich an, Professor. Die fliegende Rostlaube holpert beim Landen ganz schön.«

Entgegen Grants Behauptung setzte die Maschine glatt auf, rollte aus, wendete und kam zum Stillstand.

Der Geheimdienst trat in Aktion. Soldaten sprangen aus den Fahrzeugen und umstellten das Flugzeug. Eine Gangway wurde zur Tür gerollt.

An der Gangway fuhren drei Autos vor.

 

»Sie sparen an nichts, Colonel«, sagte Owens.

»Lieber zu viel als zu wenig.« Gonders Lippen bewegten sich lautlos. Ein Stoßgebet?, dachte Owens verwundert.

»Ich bin froh, dass er hier ist«, erklärte er.

»Nicht so froh wie ich. Man hat schon Flugzeuge in der Luft explodieren sehen, wissen Sie. Wir holen es auf festen Boden herunter.«

Die Tür am Flugzeug ging auf, Grant erschien kurz an der Öffnung. Er blickte hinunter und winkte.

»Er scheint jedenfalls noch heil und komplett zu sein«, sagte Colonel Gonder. »Wo ist Benes?«

Wie aufs Stichwort presste Grant sich an die Wand und ließ Benes vorbei, der einen Augenblick lang lächelnd stehen blieb. Er trabte die Stufen hinunter, einen alten Koffer in der Hand. Grant kam als nächster, gefolgt von Pilot und Co-Pilot.

Colonel Gonder stand unten an der Treppe.

»Professor Benes. Ich freue mich sehr. Mein Name ist Gonder. Ich bin von jetzt an für Ihre Sicherheit verantwortlich. Das ist Williams Owens. Ich glaube, Sie kennen ihn.«

Benes’ Augen leuchteten auf, und er streckte erfreut die Arme aus. Den Koffer ließ er fallen. Colonel Gonder hob ihn unauffällig auf.

»Owens! Aber natürlich! Wir haben uns Vorjahren nachts einmal volllaufen lassen. Ich erinnere mich noch gut. Am Nachmittag eine endlose, langweilige Sitzung, die einzig interessanten Dinge wären die gewesen, die man nicht sagen durfte, und ich war völlig niedergeschlagen. Owens und ich lernten uns beim Abendessen kennen. Er hatte noch vier oder fünf Kollegen bei sich, aber an die anderen erinnere ich mich nicht mehr so genau.

Owens und ich gingen jedenfalls in ein kleines Lokal, wo getanzt wurde. Wir tranken Schnaps. Owens freundete sich mit einem der Mädchen an. Erinnern Sie sich noch an Jaroslavic, Owens?«

»Der Mann, den Sie bei sich hatten?«

»Richtig. Er war ein großer Liebhaber von Schnaps, aber er durfte nichts trinken. Er musste nüchtern bleiben. Qualvoll,

aber strengster Befehl.«

»Um auf Sie aufzupassen?«

Benes bestätigte mit einer langen nickenden Kopfbewegung und schob die Unterlippe vor.

»Ich bot ihm immer wieder zu trinken an. Komm, Milan, sagte ich, du musst dir die Kehle anfeuchten. Es blieb ihm nichts anderes übrig, er durfte nicht darauf eingehen. Wie ihm zumute war, sah man ihm an den Augen an. Das war gemein von mir.«

Owens lächelte und nickte.