Die Pionierinnen des Internets - Claire L. Evans - E-Book

Die Pionierinnen des Internets E-Book

Claire L. Evans

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Beschreibung

Die Frauen, die unsere digitale Welt erschaffen haben Das Internet ist eine der größten Errungenschaften der Menschheit und verändert unsere Gesellschaft tiefgreifend. Doch die wenigsten kennen die Frauen, die hinter dieser technischen Revolution stehen. Claire Evans erzählt erstmalig die faszinierenden Geschichten von den Pionierinnen, die die digitale Revolution mitgestaltet und vorangetrieben haben. Von Ada Lovelace, die als die Erfinderin der Computerprogramme gilt, von Programmiererinnen, die im Zweiten Weltkrieg kriegswichtige Rechenmaschinen bedienten, Internetpionierinnen wie Grace Hopper und Elizabeth Feinler, die die Grundlagen für die Vernetzung der Welt schufen, bis hin zu Frauen wie Sadie Plant und Stacy Horn, die bis heute für mehr Gerechtigkeit und Freiheit im Netz kämpfen. Dieses Buch ist eine Hommage an die weiblichen Visionärinnen der Technik, die zeigen, dass das Internet zu keiner Zeit eine Männerdomäne war!

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Seitenzahl: 459

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Claire Evans

DIE PIONIERINNEN DES INTERNETS

Übersetzt aus dem Englischen von Christina Hackenberg und Sigrid Schmid.

CLAIRE L. EVANS

DIE PIONIERINNEN DES INTERNETS

Die unbekannte Geschichte der Frauen des digitalen Zeitalters

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2023

© 2023 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Türkenstraße 89

D-80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

© der Originalausgabe by Claire L. Evans

Die englische Originalausgabe erschien 2018 bei Portfolio, einem Imprint der Penguin Publishing Group, einer Einheit von Penguin Random House LLC unter dem Titel Broad Band.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Übersetzung: Christina Hackenberg, Sigrid Schmid

Redaktion: Werner Wahls

Umschlaggestaltung: Marc Fischer

Umschlagabbildung: HappySloth/ Shutterstock

Abbildungen Innenteil: S. 30: Grace Murray Hopper Collection, Archives Center, National Museum of American History, Smithsonian Institution; S. 45: U.S. Army Photo, courtesy of the University of Pennsylvania Archives; S. 114: Courtesy of SRI International; S. 138: Courtesy of Stacy Horn; S.147: Jim Estrin/The New York Times/Redux; S. 160: Courtesy of the University of Southampton; S. 183 and 185: Courtesy of Jaime Levy

Satz: ZeroSoft, Timisoara

eBook by tool-e-byte

ISBN Print 978-3-86881-938-0

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-518-9

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267--517-2

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.redline-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Für die User

INHALT

EinführungDer Dell

TEIL EINS DIE KILOGIRLS

Kapitel einsComputer gesucht

Kapitel zweiAmazing Grace

Kapitel dreiUnbeschwerte Zeiten

Kapitel vierTurm von Babel

Kapitel fünfDie Computer-Girls

TEIL ZWEI VERBINDUNGSEXPEDITION

Kapitel sechsDie längste Höhle

Kapitel siebenResource One

Kapitel AchtNetworks

Kapitel NeunCommunities

Kapitel zehnHypertext

TEIL DREI DIE ERSTEN WAHREN GLÄUBIGEN

Kapitel elfMiss Outer Boro

Kapitel zwölfWomen.com

Kapitel dreizehnMädchenspiele

EpilogDie Cyberfeministinnen

Über die Autorin

Danksagungen

Quellenverzeichnis

EINFÜHRUNG DER DELL

Als ich jünger war, hatte ich einen Dell.

Es war eine beige Kiste, die mit einem 28,8k-Modem an das Internet angeschlossen war und bei jeder Verbindung kreischte. Die Tasten waren so groß wie ein Stück Würfelzucker und leicht konkav. Diese Installation thronte auf dem kurzen Ende meines L-förmigen Schreibtisches im Allerheiligsten meines Zimmers. Im Laufe der Jahre bildeten die Aufkleber, die ich auf das weiße Laminat von meinem Schreibtisch klebte, geologische Schichten. Hätte man sie Stück für Stück abgelöst, wären frühere Versionen des Mädchens zu Tage gekommen, welches sie aufgeklebt hat. Ein bisschen so, wie man bei manchen Bonbons verschiedene Geschmackserlebnisse hat, wenn sie Schicht für Schicht im Mund zergehen. Das Zimmer eines Teenager-Mädchens ist zugleich Cockpit, Altar und Mutterleib: Es enthält seine heiligsten Dinge und bewahrt diese auf, während die junge Frau heranwächst, bis sie schließlich eines Tages in die Welt hinausgeworfen wird.

Auch der Dell durchlief Veränderungen. Auf allen Microsoft-Betriebssystemen lief er, von MS-DOS bis Windows 95. Die DOS-Ära war wunderbar: Spiele auf Disketten, Kommandozeilenbefehle. Im Laufe der Zeit wurden die Schichten von Glitzernagellack und Post-it-Zetteln auf der matten Kunststoffeinfassung meines Monitors immer dicker. Quer über den Rahmen des Dell schrieb ich einmal mit Permanentmarker GET A LIFE – gleichzeitig voller Wut und Hingabe.

Als das Internet in mein Leben kam, war es, als würde mein Monitor zu einem gläsernen Tor, das mir den Zugang zu einem unendlich weiten Weg eröffnete. Wenn das Modem stotterte, überschüttete ich es mit Komplimenten: Du bist so ein gutes Modem und ich bin sicher, du schaffst alles. Das war mein eigenes, zwanghaftes Mantra. Ich war damals der Meinung, dass Informationen, genau wie Menschen, bei Reisen um die Welt Unterstützung brauchen. In meinen frühen Jahren im Internet habe ich gelernt, HTML zu schreiben und rudimentäre Homepages zu Ehren meiner Lieblingsbands zu gestalten. Ich schickte leidenschaftliche E-Mails an verflossene Sommercamp-Freunde. Ich fand dort Antworten auf die Fragen, die ich nicht zu stellen wagte. Ich hatte Brieffreunde, die ich mich nie getraut hätte, persönlich zu treffen. Kleinen Communities im Netz habe ich persönliche Dinge anvertraut, Communities, die es längst nicht mehr gibt. Kurz gesagt, ich wurde zu der, die ich heute bin, und genoss die Freiheiten, die mir der Computer gewährte. Er befreite mich einerseits von Dingen wie Einsamkeit, Schüchternheit und Unwissen, gab mir andererseits aber auch die Freiheit, Dinge zu tun – zu lernen, zu experimentieren, zu entdecken und zu spielen.

Ich habe den Dell aufgegeben, als ich mit meinem Sony VAIO zur Uni ging. Es war eines dieser schrecklichen Laptop-Modelle, die wahrscheinlich bald in Technikmuseen landen, mit einem abnehmbaren Sockel, der mehr dazu diente, meine Oberschenkel zu wärmen. Wie die meiste Unterhaltungselektronik in den Vereinigten Staaten landete der Dell wahrscheinlich auf der Müllhalde, oder wurde per Containerschiff nach China, Malaysia, Indien oder Kenia geschickt, wo er zerfleddert wurde wie ein Grillhähnchen, die Kabel durchtrennt, die Eingeweide von wertvollen Metallen und Erzen befreit. Heute denke ich darüber nach, wie der nagellackglitzernde Monitor wohl auf die unterbezahlten Arbeiter gewirkt haben muss, die in einer giftigen Halde voll von unprofessionell entsorgtem Elektroschrott arbeiteten, und die meinen Dell dann irgendwann zu Plastikstaub zermahlen haben. Auch wenn Computer alt und unbrauchbar werden, verschwinden sie nie ganz – sie werden nur zum Problem eines anderen. Als Massenware sind sie Teil unseres kulturellen Gedächtnisses; Avatare von Kindheitserinnerungen, wie mein Dell, oder auch Avatare von Informatik als Gesamtphänomen, wie Macintoshs, von denen ich nie einen hatte. Zweifellos betrachten wir deshalb die Technikgeschichte oft als eine Serie von immer intelligenteren Maschinen: vom chinesischen Abakus bis hin zu raumgroßen Apparaturen, die von wendigen Arbeitern bedient werden. Von kühlschrankgroßen Kisten mit Kathodenstrahl-Bildschirmen zu immer kleineren Inkarnationen aus Silizium und Plastik, bis schließlich zum allseits vertrauten Smartphone, das in jede Hosentasche passt. Und irgendwo entlang dieser Entwicklung ist es verlockend, die Kiste zu loben, auf eine zu zeigen und zu sagen: »Die Leute, die das gemacht haben, haben die Welt verändert.« Die vorliegende Geschichte handelt jedoch nicht von diesen Menschen.

Dieses Buch handelt von Frauen.

Es ist auch ein Buch darüber, wie Computer verwendet wurden und werden, in der Realität und potenziell. Das soll nicht heißen, dass Männer kreieren und Frauen benutzen – weit gefehlt –, nur die Technikgeschichte, die uns normalerweise erzählt wird, handelt von Männern und Maschinen. Dabei werden Frauen und die Zeichen, die sie setzen, normalerweise ignoriert. Die ursprüngliche Informationstechnologie war das geistige Werk von Frauen: Frauen erhoben die rudimentäre Bedienung von Rechenmaschinen zu einer Kunst namens Programmieren. Sie gaben der Kiste eine Sprache. Sie sorgten durch ihr unermüdliches Engagement dafür, dass gigantische Großrechner in den Dienst der Gemeinschaft gestellt wurden. Sie zeigten, wie die Produkte der Industrie allen Menschen dienen können, wenn nur der Wille dazu vorhanden ist. Als das Internet noch eine unübersichtliche Ansammlung von Hosts war, bauten sie Protokolle, um den Datenfluss zu lenken und ihn wachsen zu lassen. Bevor das World Wide Web in unser Leben kam, haben Akademikerinnen und Informatikerinnen Systeme entwickelt, um riesige Schätze digitaler Informationen in zugängliches Wissen umzuwandeln; wir haben diese technisch möglichen, riesigen Datenbanken zugunsten der rohen Einfachheit aufgegeben. Frauen haben in der Dot-Com-Ära Imperien aufgebaut, und sie gehörten zu den Ersten, die virtuelle Communities gründeten und wachsen ließen. Die Lektionen, die sie dabei gelernt haben, würden uns heute gute Dienste leisten, wenn wir nur zuhören würden.

Nichts davon lässt sich klar quantifizieren, das macht es schwierig, die Beiträge dieser Frauen zur Informatik genau aufzulisten und noch schwerer, sie gebührend zu würdigen und daran zu erinnern. Obwohl dieses Buch der minutiösen historischen Recherche anderer Autoren, die immer wieder zitiert werden, viel verdankt, habe ich mich auch auf die persönlichen Berichte der Frauen und auf die fragmentarischen Quellen gestützt, die für die Technikgeschichte charakteristisch sind: Screenshots, Chatprotokolle, Abandonware, veraltete Handbücher und längst verwitterte Webseiten. Ich habe mein Bestes getan zu erforschen, welche Software-Artefakte übriggeblieben sind, indem ich Unix-Befehle und die sozialen Konventionen der Onlinekultur der alten Welt mit Akribie und Sorgfalt bearbeitet habe. Mögen die Server lange genug surren, um weiterhin virtuellen Tourismus zu ermöglichen, denn diese Informationsquellen werden mit der Zeit immer zerbrechlicher. Eine Ironie: auch wenn sich der Computerspeicher vervielfacht, bleibt unsere Fähigkeit, persönliche Erinnerungen festzuhalten, eine Willensfrage, begrenzt durch unseren Schädel. Sie wird nur durch unsere Fähigkeit erweitert, Geschichten zu erzählen.

Auf diesen Seiten werden technisch begabte Frauen, einige der klügsten Programmiererinnen und Ingenieurinnen in der Geschichte dieses Mediums vorgestellt, Akademikerinnen und Hacker, und auch Kulturschaffende, Pixelschieber und Spieledesigner und die selbsternannte »größte Bitch in Silicon Alley«. So breitgefächert ihre Erfahrungen auch sind, eines haben sie alle gemeinsam. Ihnen allen liegt vor allem der Benutzer am Herzen. Sie sind nie so sehr von der Kiste betört, dass sie vergessen, wofür sie da ist: um das menschliche Leben zu bereichern. Wenn Sie in der Geschichte der Technik nach Frauen suchen, schauen Sie zuerst dort, wo Technik das Leben besser macht, einfacher und vernetzter. Suchen Sie an den Stellen, an denen die Form der Funktion nachgeordnet wird. Ein Computer ist eine Maschine, die die Welt zu Zahlen verdichtet und verarbeitet. Dies für so viele Menschen wie möglich nachvollziehbar zu machen, unabhängig von ihren technischen Fähigkeiten, ist kein typisch weibliches Anliegen. Nichts davon. Allerdings schienen es alle Frauen, mit denen ich gesprochen habe, implizit zu verstehen und bewerten es als absolut fundamental, als unverzichtbar und richtig.

Mit einer Kiste zu leben, welche die Welt mit sich selbst verbindet, erweitert und verändert das Leben, ja, es hat sogar etwas Magisches. Aber die Kiste bleibt dabei trotzdem immer nur ein Objekt. Wenn sie nicht zerlegt und recycelt wird, wird sie die Erde für Jahrtausende vergiften. Das ist auf Dauer nur vertretbar, wenn wir überzeugt sind, dass sich lohnt, was vor der Müllhalde damit geschieht. Ja, wenn wir glauben, dass es sogar etwas Spirituelles hat. Computer werden gebaut, um eingeschaltet zu werden, Kabel sind zum Einstecken da, Links zum Anklicken. Ohne das menschliche Mitwirken kann zwar Strom fließen, aber das Signal geht ins Leere. Wir allein erwecken das Ding zum Leben. Wir geben ihm Bedeutung, und erst in dieser Bedeutung liegt sein Wert. Geschichtsbücher feiern die Hersteller von Maschinen, aber es sind die Benutzer – und diejenigen, die etwas für die Benutzer entwerfen –, welche die Welt wirklich verändern.

Frauen stehen am Anfang jeder wichtigen Technologiewelle. Wir sind keine Randerscheinungen. Wir sind mittendrin und machen uns doch oft für alle unsichtbar. Einige der erstaunlichsten Beiträge auf diesen Seiten erblühten im wild wuchernden Mittelstreifen der Datenautobahn. Bevor ein neues wissenschaftliches Gebiet seine Autoritäten entwickelte und lange bevor es damit Geld zu verdienen gab, experimentierten Frauen mit neuen Technologien und entwickelten sie weit über das hinaus, wofür sie ursprünglich gedacht waren. Immer wieder erledigten Frauen Jobs, die anfangs keiner für wichtig hielt, bis sie dann doch wichtig wurden. Auch das Programmieren von Computern wurde zunächst jungen Frauen übertragen, die angeheuert wurden, um Kabel einzustecken und sonst nichts – bis die Kabel zu Mustern und die Muster zu Sprache wurden. Plötzlich war Programmieren eine Fertigkeit, die es wert war, gemeistert zu werden.

Ein paar Anmerkungen, bevor wir loslegen. Ich gehe in diesem Buch davon aus, dass das Verhältnis zwischen biologischem Geschlecht und sexueller Selbstwahrnehmung ähnlich ist wie das Verhältnis zwischen Körper und Seele. »Frau« bedeutet für jeden etwas anderes. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten und Bedeutungen, diesen Begriff zu belegen, und jede Lockerung der Kategorien ist befreiend für die individuelle Lebensgestaltung. Allerdings teilen Frauen oft ähnliche Erfahrungen. Gerade in Bereichen, in denen Frauen in der Minderheit sind, tut es gut, nach Gemeinsamkeiten zu suchen, die unsere Solidarität stärken können. Und noch etwas: Die Geschichte des Computers ist ein einziger Buchstabensalat. Wir werden Begriffen wie ENIAC, UNIVAC, ARPANET, PLATO und dem WWW begegnen. Es mag schwierig sein, diese Akronyme zu lesen, ohne das Gefühl zu bekommen, dass einen die Vergangenheit anschreit. Bitte verzweifeln Sie nicht. Das ist Teil des Vergnügens.

So, und jetzt weiter im Text. Mein Dell ist weg, sein Speicher gelöscht. Was davon übrig bleibt, sind keine Kratzer auf einer Festplatte, sondern Spuren an einer Person, dem Benutzer, der Symbole herumschiebt. Meine Erinnerungen an den Dell sind wie Erinnerungen an Familie und Freunde. Es sind Erinnerungen an gemeinsame Zeiten, an erlebte Reisen. Erinnerungen an Grenzen und deren Überwindung. Das ist das Wunderbare an der Technik: Sie ist nie ganz losgelöst von uns. So wie ein Hammer die Wirkung der Hand oder eine Linse das Sehvermögen stärkt oder verstärkt, so verstärkt der Computer eine Person. Durch die Berührung der Computertasten schafft es sogar ein Teenager-Mädchen, Kontakt mit der ganzen Welt aufzunehmen. Ich bin der Computer und der Computer ist ein Teil von mir.

Ich werde nicht die Letzte sein, für die sich das so anfühlt. Und ich war sicher nicht die Erste.

TEIL EINS DIE KILOGIRLS

KAPITEL EINS COMPUTER GESUCHT

Wir schreiben das Jahr 1892 in New York City. Im Januar wurde ein Einwanderungszentrum namens Ellis Island eröffnet. Im März versuchte ein Sportlehrer in Springfield, Massachusetts, bei eisigen Temperaturen eine Gruppe hibbeliger Jugendlicher in einer YMCA-Halle irgendwie bei Laune zu halten und erfand dabei das »Korb-Ballspiel«, heute bekannt als Basketball. Jetzt ist der Winter vorbei, es ist Anfang Mai, also fast schon Sommer, bald beginnt das 20. Jahrhundert. Es gibt noch keinen Bildschirm, keine Maus, kein Byte, kein Pixel und es sind noch 100 Jahre bis zu meinem Dell, aber in den Kleinanzeigen der New York Times findet sich eine seltsame Anzeige.

COMPUTER GESUCHT,1 heißt es da.

In dieser Anzeige taucht das Wort »Computer« zum ersten Mal in gedruckter Form auf. Sie wurde nicht von einem indiskreten Zeitreisenden aufgegeben, der im Goldenen Zeitalter gefangen ist und sich nach dem vertrauten Glanz seines MacBooks sehnt. Diese Anzeige wurde vom U.S. Naval Observatory in Washington, D.C. für ein mathematisches Astronomieprojekt aufgegeben, das zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehreren Jahrzehnten lief: die Berechnung der Position von Sonne, Sternen, Mond und Planeten am Nachthimmel mit Bleistift und Papier. Die Leiter des Observatoriums wollten in jenem Frühjahr keinen Computer kaufen. Sie wollten einen einstellen.

Nahezu 200 Jahre lang war Computer ein Beruf – genauer gesagt eine Person, die für ihren Lebensunterhalt Berechnungen durchführt. Hätte man an jenem Maitag im Jahr 1892 die Times durchgeblättert und sich auf diese Stelle beworben, dann hätte man wohl bald darauf einen Mathetest gemacht. Der Job im Naval Observatory war relativ angenehm: Wer in der Nähe wohnte, arbeitete in einem gemütlichen Büro in Cambridge, weit entfernt vom Observatorium selbst, das auf einer Klippe über dem Potomac lag. Man arbeitete fünf Stunden am Tag und beobachtete den Himmel an schmalen, langen Tischen vor einem lodernden Feuer, wobei oft Pausen gemacht wurden, um über die wissenschaftlichen Ideen des Tages zu sprechen. Die anderen arbeiteten zu Hause anhand detaillierter mathematischer Pläne, die sie mit der Post erhielten. Computing, also die Erstellung von Rechentabellen, war, wie ein Historiker feststellte, gewissermaßen die ursprüngliche Heimarbeitsindustrie.2

Jeden Tag arbeiteten diese »Computer« – ähnlich wie die heutigen Computer – an komplizierten, umfangreichen mathematischen Problemen. Sie taten das nicht allein. Unser neuer Mitarbeiter wäre Teil einer Rechenabteilung geworden, jeder leistete seinen Beitrag, einige korrigierten gegen ein Extra-Entgelt die Arbeit der anderen. Nur mit Stift und Papier kartierte das Team des Naval Observatory den Himmel, so wie andere Rechenzentren in der westlichen Welt die Ballistik, die Hochseeschifffahrt oder die reine Mathematik voranbrachten. Der Einzelne bekam kaum persönliche Anerkennung, aber egal, um welches Problem es sich handelte, jeder war maßgeblich an dessen Lösung beteiligt gewesen.

Rechenbüros waren Denkfabriken. Der britische Mathematiker Charles Babbage (1791–1871), dessen Ziel, mit Dampfkraft zu rechnen, im 19. Jahrhundert zu ersten wichtigen Entwicklungen in der mechanischen Datenverarbeitung führte, nannte das, was die menschlichen Rechenbüros seiner Zeit taten, »geistige Arbeit«.3 Er betrachtete dies als eine Arbeit, die man mit dem Gehirn verrichtet, so wie das Einschlagen eines Nagels eine Arbeit ist, die man mit den Händen verrichtet. Die menschlichen Computer waren in gewisser Weise diejenigen, die die Routinearbeit der organisierten Wissenschaft ausführten. Bevor sie ersetzt wurden, berechneten sie ballistische Flugbahnen für die amerikanische Armee, knackten Nazi-Codes in Bletchley Park, stellten astronomische Daten in Harvard zusammen und unterstützten numerische Studien zur Kernspaltung im Rahmen des Manhattan-Projekts. Bei aller Vielfalt der Aufgaben hatten die menschlichen Computer jedoch eines gemeinsam: Sie waren Frauen.

Meistens jedenfalls. Das Naval Observatory stellte zwar nur einen einzigen weiblichen Computer für sein Nautical Almanac Office ein, sie war allerdings bei Weitem die berühmteste von ihnen: die Astronomin Maria Mitchell (1818–1889), eine Quäkerin von der Insel Nantucket, die noch vor ihrem 30. Lebensjahr vom dänischen König eine Medaille für die Entdeckung eines neuen Kometen am Nachthimmel erhalten hatte. Er wurde unter dem Namen »Fräulein Mitchells Komet« bekannt. In der Sternwarte berechnete Mitchell die Ephemeriden der Venus, denn sie war, wie ihr Vorgesetzter ihr sagte, der einzige Computer, der schön genug war, um sich mit dem schönsten aller Planeten zu beschäftigen.

Ihre Anwesenheit als Frau in einer Gruppe von männlichen Computern war für die damalige Zeit ungewöhnlich, aber das sollte sich noch ändern. Mitchell entdeckte ihren Kometen nur ein Jahr vor der Konferenz von Seneca Falls über die Rechte der Frauen im Jahr 1848. Die Konferenz wurde hauptsächlich von Quäker-Aktivisten organisiert, ihre Kirche war die einzige Konfession, die es Frauen erlaubte, in ihren Gemeinden zu predigen, und Marias Vater, ein Hobbyastronom, setzte sich vehement für die Anerkennung von Marias Leistungen ein. Noch vor Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Computing dann tatsächlich weitgehend in die Hände von Frauen gelegt. Diese weiblichen Kopfarbeiterinnen, die schwierige Rechenprobleme so wie heutige Maschinen in numerische Einzelschritte zerlegten, leiteten das Zeitalter der wissenschaftlichen Forschung im großen Stil ein.

Als dann Rechenmaschinen aufkamen, die sich parallel und weitgehend unabhängig von ihren menschlichen Gegenstücken entwickelten, maßen Mathematiker deren Leistung in »Girl-Years«4 und eine Einheit Maschinenarbeit wurde als äquivalent zu einem »Kilogirl« beschrieben. So sehr wurde bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts das Rechnen als Frauensache angesehen. Dies ist die Geschichte der Kilogirls. Sie beginnt, so wie die schönsten Muster, mit einem Webstuhl.

Die Spinnenarbeit

Der Webstuhl ist eine einfache Technologie, aber in der Kette und im Schuss des Fadens liegt das Gewebe jeder technologisch fortschrittlichen Gesellschaft begründet. Textilien sind von zentraler Bedeutung für das Menschsein und wie bei Software ist Bedeutung in sie hineingewoben. Wie die britische Kulturtheoretikerin Sadie Plant schreibt, dokumentiert jedes Tuch seine Entstehung beim Webprozess. Es ist eine vernetzte Matrix aus Fähigkeiten, Zeit, Materialien und Personen. »Das sichtbare Muster« eines jeden Tuchs »ist nicht zu trennen von dem Prozess, in dem es produziert wurde. Programm und Muster gehen ineinander über«,5 schreibt sie. Historisch gesehen betrifft dieser Prozess natürlich Frauen. Bereits fünf Jahrhunderte vor dem Christentum haben Frauen im alten Ägypten, in China und Südosteuropa Kleidung, Zelte, Statussymbole und sogar Geld gewebt, sei es am Webstuhl, am Spinnrad oder in Nähkreisen.

Wie viele herkömmliche Muster oder Traditionen, wurde auch dieses in der Industriellen Revolution durchbrochen, als der französische Weber Joseph-Marie Jacquard (1752–1834) eine neue Art der Stoffherstellung erfand – nicht von Hand, sondern nach Zahlen. Anders als ein traditioneller Webstuhl, der nur durch den Einfallsreichtum des Webers zum Leben erweckt wird, schuf Jacquards Erfindung bemerkenswert komplexe Textilien aus Mustern, die in eine Reihe Papierkarten gestanzt waren. Diese waren reproduzierbar, konsistent und frei von menschlichen Fehlern. Die daraus entstehenden Damaste, Brokate und gesteppten Matelassés waren in ganz Europa sehr begehrt. Die Wirkung von Jacquards Webstuhl ging jedoch weit über die industrielle Textilproduktion hinaus: Seine Lochkarten, die zum ersten Mal in der Geschichte Muster und Herstellung voneinander trennten, fanden schließlich ihren Weg in die ersten Computer. Auf Papier kodierte Muster, welche Computerwissenschaftler später als »Programme« bezeichneten, konnten Zahlen ebenso leicht sinngebend miteinander verweben wie Fäden.

Der Jacquard-Webstuhl machte Textilarbeiter und Textilarbeiterinnen arbeitslos. Einige ließen ihre Wut an den Webrahmen der neuen Maschinen aus und machten Ned Ludd zu ihrem Volkshelden, ein legendärer Weber, der Ende des 18. Jahrhunderts angeblich ein Paar Strumpfwebrahmen zerschlagen hat. Heutzutage verwenden wir den Begriff Luddit im abwertenden Sinne für jemanden mit einer unvernünftigen Abneigung gegen Technologie. Aber die Anliegen der Maschinenstürmer waren zu jener Zeit nicht unpopulär. Selbst Lord Byron (1788–1824) sympathisierte mit ihnen. In seiner ersten Rede vor dem House of Lords im Jahr 1812 verteidigte er die organisierten Maschinenstürmer. Dabei verglich er die Produkte des mechanischen Webens auf einem Jacquard-Webstuhl mit »Spinnenarbeit«. Insgeheim war er besorgt, dass man ihn wegen seiner Sympathie für die Ludditen für einen »halben Maschinenstürmer«6 halten könnte. Das war er natürlich nicht – und auch mit seiner Spinnenarbeit lag er völlig falsch.

Während Byron seine Argumente vortrug, produzierten Jacquard-Webstühle Textilien in einer noch nie dagewesenen Qualität und Menge. Der Mathematiker Charles Babbage besaß ein Porträt von Joseph-Marie Jacquard, das mithilfe von 24 000 Lochkarten aus Tausenden von Seidenfäden gewebt worden war – eine so feine Arbeit, dass seine Gäste das Porträt regelmäßig für einen Stich hielten. Und obwohl es natürlich ein sehr schönes Stück war, waren es besonders die Lochkartenprogramme des Webstuhls, die Babbages Fantasie beflügelten. »Es ist bekannt«, verkündete Babbage, »dass Webstühle alle möglichen, von Menschen ersonnenen Muster weben können, und es ist gängige Praxis, dass begabte Künstler von Fabrikanten für den Entwurf von Mustern eingestellt werden.«7 Solange diese Idee in ein Muster umgesetzt werden konnte, war es unendlich oft reproduzierbar, in jeder beliebigen Menge, mit jedem Material, in jedem Grad von Detail, in jeder Farbkombination, ohne dass es im Lauf der Zeit zu einer Verschlechterung des Produktes kam. Babbage verstand die Bedeutung des Lochkartenprogrammes, weil mathematische Formeln auf die gleiche Weise funktionieren: Egal, wie oft man sie ausführt, sie ändern sich nie.

Der Jacquard-Webstuhl hatte es ihm derart angetan, dass er den größten Teil seines Lebens damit verbrachte, Rechenmaschinen zu entwickeln, die mit Lochkarten arbeiten. Um die Funktionsweise dieser Maschinen zu beschreiben, übernahm er sogar die Sprache der Textilfabriken und schrieb von einem »Speicher«, in dem die Zahlen gesammelt wurden, und einer »Mühle«8, in der sie verarbeitet werden konnten, was dem Speicher und dem Prozessor eines modernen Computers entspricht. Die Zahlen bewegten sich durch Babbages Maschinen und führten zu einem Ergebnis, genau so, wie aus den Fäden am Ende ein Stoff wurde.

Babbages Maschinen – die Difference Engine, eine handbetriebene mechanische Maschine zur Berechnung von Polynomfunktionen und die komplexere Analytical Engine – waren ihrer Zeit so weit voraus, dass sie gemeinhin als historische Anachronismen betrachtet werden. Seine mechanischen Entwürfe erforderten ein Maß an technischer Präzision, das nie zuvor angestrebt worden war. Doch die britische Regierung war bereit, das Projekt zu unterstützen, weil mathematische Tabellen von nationalem Interesse waren. Die Regierung finanzierte den Bau der Differenzmaschine im Jahr 1823 zunächst mit einem Zuschuss von 1700 Pfund. Fast 20 Jahre später, nach Investitionen in zehnfacher Höhe der ursprünglichen Summe, bezeichnete der Premierminister das Ganze als ein »sehr kostspieliges Spielzeug« und »was die Wissenschaft betrifft, sicherlich nutzlos«9 und brach das Projekt ab. Es gab nichts weiter vorzuweisen als einige Teilmodelle und knapp 40 Quadratmeter verwirrender, schematischer Zeichnungen.

Die Maschinen machten Babbage berühmt – und vielleicht auch berüchtigt –, aber nur sehr wenige seiner Zeitgenossen verstanden, was sie bewerkstelligen sollten, geschweige denn wie. Eine dieser Personen war Ada Lovelace, die Tochter von Lord Byron. In ihrem kurzen Leben (1815–1852) war eine Sache ihr ganz besonderes Anliegen: dass sich die von ihrem Vater so verachtete Spinnenarbeit verbreiten sollte, unaufhaltsam, bis ins nächste Jahrhundert und darüber hinaus.

Strahlen aus allen Ecken des Universums

Ada war von besonderer Alchemie: Sie war das Kind einer leidenschaftlichen, einjährigen Ehe zwischen Byron und einer intelligenten, mathematisch begabten Aristokratin namens Anne Isabella Milbanke, kurz Annabella. Eine frühere Liebhaberin sagte über Byron, er sei »mad, bad and dangerous to know«,10 seine Leidenschaften waren in jeder Hinsicht höchst romantisch. Annabella hingegen war so vernünftig und wohlerzogen, dass Byron sie scherzhaft »Prinzessin der Parallelogramme« nannte. Als das Paar sich trennte, kursierten Gerüchte, wonach der ausgesprochen flatterhafte und kapriziöse Byron ein mehr als brüderliches Verhältnis zu seiner Halbschwester Augusta hatte.

Nach dem Skandal um diese Trennung wollte Annabella um keinen Preis, dass Ada etwas von der Unstetigkeit ihres Vaters erbte oder unter seinem schlechten Ruf leiden musste. Um ihre Tochter auf dem rechten Weg zu halten, sorgte sie dafür, dass Ada ab ihrem vierten Lebensjahr intensiv in Mathematik unterrichtet wurde. Mathematik – das Gegenteil von Poesie. Zumindest dachte sie das.

Kurz nach Adas Geburt setzte sich Byron nach Italien ab. Er lernte seine Tochter nie kennen, obwohl er sich oft nach ihr erkundigte. »Ist das Mädchen fantasievoll?«, schrieb er an Augusta, wohl wissend, dass Annabella, die ihre Tochter bewusst zurückgezogen aufzog, nichts direkt preisgeben würde. Byron starb 1824, als Ada gerade mal neun Jahre alt war, auf recht unromantische Weise an einer Grippe in Griechenland. Als er starb, soll er seinem Kammerdiener zugerufen haben: »Oh, mein armes, liebes Kind! Meine liebe Ada! Mein Gott, wenn ich sie nur sehen könnte! Gib ihr meinen Segen!«11

Sein Leichnam wurde per Schiff nach England überführt und in den Straßen Londons versammelten sich große Menschenmengen, um den Trauerzug mit 47 Kutschen zu sehen. Als Ada schließlich den Namen ihres Vaters erfuhr, weinte sie um ihn, obwohl sie und ihre Mutter sein Andenken nicht besonders in Ehren zu halten schienen – Byrons Porträt in ihrem Haus wurde hinter schweren Vorhängen verborgen, bis Ada 20 war. Aber sein sprunghafter Geist war in ihr lebendig. »Ich glaube nicht, dass mein Vater ein solcher Dichter war (oder jemals hätte sein können), wie ich eine Analytikerin (und Metaphysikerin) sein werde«, schrieb sie später an Charles Babbage, »denn beides gehört für mich untrennbar zusammen«.12

Adas scharfer, analytischer Verstand wurde von einer wilden Fantasie beflügelt. Da sie zur damaligen Zeit als Frau keine Universität besuchen konnte, erhielt sie Privatunterricht. Als frühreifes und sehr einsames Kind entwarf sie Flugmaschinen und marschierte Geige spielend um den Billardtisch. Sie war auch häufig krank, neigte zu damals sogenannten hysterischen Anfällen und überlebte nur knapp eine schwere dreijährige Masernerkrankung. Während dieser Zeit, als Ada ans Bett gefesselt war, nutzte Annabella den Zustand ihrer Tochter aus, um sie noch intensiver mit Lernstoff einzudecken. Aber Ada war unbezähmbar, lebhaft und charismatisch. Mitunter überflügelte sie ihre Lehrer – einen davon verführte sie sogar – und nebenher bildete sie sich mit Büchern weiter und korrespondierte mit einigen der berühmtesten Köpfe des 19. Jahrhunderts.

Ada King-Noel, Countess of Lovelace

Schon als Teenager schloss sie eine enge Freundschaft mit der bekannten Wissenschaftlerin Mary Somerville (1780-1872), die ihre Fragen beantwortete und ihre Studien förderte. Der Mathematiker und Logiker Augustus De Morgan (1806-1871) schickte ihr per Post Rechenaufgaben und war erstaunt über ihre Fähigkeiten, die in ihren Antworten zum Ausdruck kamen. Wäre sie ein Mann gewesen, staunte er, dann hätte ihre »Begabung, vorhandene Möglichkeiten und tatsächliche Schwierigkeiten auf der Grundlage der Betrachtung der ersten Prinzipien [Aristoteles] zu erfassen«, sie zu einer »kreativen mathematischen Forscherin, vielleicht von erstrangiger Bedeutung«13 gemacht. Sie schreckte nicht vor Schwierigkeiten zurück und hatte eine besondere Art des Lernens: Sie hinterfragte die Grundprinzipien der Mathematik, um ihre fundamentale Bedeutung zu ergründen und sie vollständig zu verstehen.

Ada begegnete Charles Babbage zum ersten Mal, als sie mit ihrer Mutter seine Differenzmaschine in London besichtigte, die erste seiner gleichermaßen sehr teuren und dabei sehr unvollendeten mathematischen Maschinen. Sie war 17, Babbage 42. Er hatte die Maschine – zumindest einen Teil davon – in einem Salon ausgestellt, in dem er samstagabends Soireen veranstaltete, die die bekanntesten Namen der Gesellschaft anzogen, u. a. Charles Darwin, Michael Faraday, Charles Dickens oder den Herzog von Wellington. Das war nicht lange nach Adas formellem gesellschaftlichem Debüt, bei dem sie, in Satin und Tüll gewandet, ihrer Mutter Kommentare über die verschiedenen Herzöge zuflüsterte, denen sie vorgestellt wurde: Wellington gefiel ihr, und der Herzog von Orleans auch, aber Talleyrand? Er war ein »alter Affe«.14

Ada nahm zwar eifrig am gesellschaftlichen Leben teil, aber es bedeutete ihr nicht viel. Sie war jedoch sofort von Babbages Maschine fasziniert, einem gewaltigen Block aus miteinander verbundenen Messingzahnrädern und allerlei anderen Rädchen. »Während andere Besucher die Funktionsweise dieses schönen Instruments mit einem Ausdruck und, wie ich zu sagen wage, mit einem Gefühl betrachteten, das einige Wilde gezeigt haben sollen, als sie zum ersten Mal einen Spiegel sahen oder ein Gewehr hörten«, schrieb ein Zuschauer, »verstand Miss Byron, ungeachtet ihres jugendlichen Alters, die Funktionsweise und erkannte die große Schönheit dieser Erfindung.«15

Nicht lange darauf wurde Ada nach ihrer Heirat mit einem vernünftigen Aristokraten, der zehn Jahre älter war als sie selbst, zu Ada Augusta King-Noel und wiederum drei Jahre später, nach der Erhebung ihres Mannes in den Adelsstand, zur Countess of Lovelace. Im Alter von 24 Jahren war sie Mutter von drei Kindern – darunter ein Sohn, der nach ihrem Vater benannt war –, verwaltete die Häuser ihrer Familie in Surrey und London und studierte weiterhin jeden Tag Mathematik.

Nach wie vor war sie von der Differenzmaschine fasziniert. Sie bat Babbage flehentlich, sie an seinen Maschinen arbeiten zu lassen. »Ich hoffe, Sie denken an mich«, schrieb sie ihm 1840, »ich meine damit meine mathematischen Interessen. Sie wissen, dass dies der größte Gefallen ist, den mir irgendjemand tun kann.«16

Als Gräfin hatte Ada allerdings gesellschaftliche Verpflichtungen, die sie von ihren wahren Leidenschaften ablenkten. Sie wollte Karriere machen, suchte eine Berufung, um Mathematik auf eine nützliche Art und Weise anzuwenden und um ein geistiges Erbe zu hinterlassen, so wie die Gedichte ihres Vaters sein Andenken gefestigt hatten. Ihre Briefe an Babbage, an ihre Mutter und an ihren großen Freundeskreis zeigen eine Frau, die von der lähmenden Angst geplagt wird, ihr könnte die Möglichkeit verwehrt bleiben, der Mathematik ihren Stempel aufzudrücken. Sie war überzeugt von ihrem einzigartigen Talent: sowohl ihres immensen logischen Denkvermögens, das ihr durch die Erziehung der Mutter und den Privatunterricht eingeimpft worden war, als auch ihrer »intuitiven Wahrnehmung verborgener Dinge«, die sie von ihrem abwesenden Vater geerbt hatte. »Ich kann Strahlen aus allen Teilen des Universums in einen einzigen großen Brennpunkt fokussieren«,17 schrieb sie an ihre Mutter, die sich Sorgen machte, Ada könnte verrückt sein.

Ada empfand Zuneigung für ihren Mann – sie nannte ihn »my chosen pet« (mein auserwähltes Haustier), aber ihr geistiges Leben widmete sie Babbage und seinen Maschinen. Sie wurde erst seine Gefolgsfrau, dann sein Sprachrohr. Seine bilderstürmerische Denkweise gefiel ihr; sie bewunderte die Fantasie, die seinen Erfindungen zugrunde lag. Isoliert aufgewachsen unter der strengen Obhut ihrer Mutter, die jede Spur von Lord Byrons poetischen Fantasien penibelst zu unterdrücken suchte, fühlte sich Ada nun von Babbage in ihrer Denkweise bestätigt. Wie sie verstand er, dass die Arbeit mit Zahlen – die höchsten Ebenen des mathematischen Denkens – tiefgreifende metaphysische Implikationen hatte. Die Mathematik war eine Form der Poesie.

Doch als Ada heiratete, hatte Babbage die Arbeit an der Differenzmaschine schon fast aufgegeben. So beeindruckend sie für die britische Gesellschaft an seinen Samstags-Soiréen auch gewesen sein mochte, war sie doch nur eine sehr komplizierte Rechenmaschine, die mithilfe der Methode der endlichen Differenzen reihenweise Zahlen ausspuckte. Die Differenzmaschine hätte dazu verwendet werden können, fehlerfreie mathematische Tabellen zu erstellen: um solche Dinge »mit Dampf zu berechnen«, die menschliche Computer zum damaligen Zeitpunkt bereits seit mehr als einem Jahrhundert erledigten, allerdings mit gelegentlichen Fehlern. Babbage jedoch war nicht mehr an derart Praktischem interessiert, er hatte höherfliegende Pläne.

Die präzise gefrästen Zahnräder und diversen Rädchen der Differenzmaschine speicherten Tausende von Zahlen, aber Babbage wünschte sich, dass sie stattdessen Variablen speicherten – abstrakte Platzhalter, die anstelle von beliebigen Zahleninhalten standen. Eine solche Maschine könnte viel mehr als nur arithmetische Aufgaben lösen. Sie wäre in der Lage, jede Art von Problem zu lösen. Er begann, Pläne für eine zweite, weitaus ehrgeizigere Maschine zu schmieden, eine Maschine, die den konzeptionellen Sprung von der mechanischen Arithmetik zur vollwertigen Allzweckberechnung schaffen sollte. Er nannte sie Analytical Engine.

Die Differenzmaschine war bereits brillant, doch die Analytical Engine war schlichtweg genial. Hätte man sie jemals vollständig gebaut, wäre sie in der Lage gewesen, zwei 20-stellige Zahlen in drei Minuten zu multiplizieren. Der Mark I, ein elektromechanischer Computer, der in den 1940er-Jahren unter Verwendung einiger von Babbages grundlegenden Rechenprinzipien in Harvard gebaut wurde, war in der Lage, die gleiche Aufgabe in etwa sechs Sekunden zu bewältigen, allerdings fast 100 Jahre später; heute erledigt mein Laptop diese Aufgabe in weniger als einer Millionstel-Sekunde. Aber die Analytical Engine war keine elektronische Maschine: Sie war ein schwerfälliges mechanisches Ding, dessen Kurbeln, Stangen und Zahnräder für den Antrieb mit Dampf ausgelegt waren. Das Wort »Maschine« ist tatsächlich sehr treffend: Für ein ungeschultes Auge sieht das Teilmodell, das derzeit im Science Museum in London ausgestellt wird, aus wie etwas, das aus den Innereien einer Lokomotive stammt, mit der imposanten und schwerfälligen physischen Ausstrahlung eines Banktresors.

Es war schwierig, die Idee an den Mann zu bringen. Nach all dem Geld, das die britische Regierung für Babbages Differenzmaschine verschwendet hatte, wollte sie ganz bestimmt nicht auch noch ein neues Modell mit noch weniger unmittelbaren Anwendungsmöglichkeiten finanzieren. So hatte Babbage niemanden, der ihn unterstützte: Mit seiner Hartnäckigkeit hatte er sich in der britischen Wissenschaftsgemeinde viele Feinde gemacht. In der Hoffnung, Interesse an seiner Maschine zu wecken, nahm Babbage im Herbst 1840 eine Einladung nach Turin an, um seine Pläne einer Gruppe italienischer Wissenschaftler und Philosophen vorzustellen. Er hoffte, dass »das Land von Archimedes und Galileo« sich als aufgeklärter erweisen würde als sein Heimatland. Aber es lief nicht wie geplant.

Ein kleiner Teil der »Mühle« der Analytical Engine

Unter Babbages Zuhörern in Turin saß ein gewisser L. F. Menabrea (1809– 1896), ein junger Militäringenieur, der später Diplomat und dann italienischer Ministerpräsident wurde. Kurz nach der Präsentation schrieb Menabrea für eine Schweizer Zeitschrift einen ausführlichen Aufsatz, »Notions sur la machine analytique«. Als Ada auf den Aufsatz stieß, begann sie sofort aus eigenen Stücken ihn zu übersetzen, wobei sie Menabreas Fehler Stück für Stück korrigierte. Sie legte Babbage die Übersetzung vor. Beeindruckt fragte er sie, warum sie nicht selbst eine eigenständige Arbeit geschrieben habe, wo sie doch mit der Maschine und ihrem Erfinder so vertraut sei. Dieser Gedanke war ihr gar nicht gekommen. Babbage schlug vor, sie solle zumindest einige ihrer eigenen Notizen in die Übersetzung einfügen. Sie war offen für diesen Kompromiss zwischen Bescheidenheit und intellektuellem Ehrgeiz und nahm das Projekt sofort in Angriff. Doch als Adas Arbeit schließlich druckfertig war, unterzeichnet nur mit ihren Initialen AAL, zeigte sich, dass ihre Notizen fast dreimal so lang wie Menabreas Originaltext waren und um ein Vielfaches anspruchsvoller.

In ihren Notizen fasste Ada den gewaltigen Umfang von Babbages Vision zusammen. Das war keine leichte Aufgabe: Als er starb, hinterließ er 30 Bände mit Plänen zur Analytischen Maschine. Sie hoffte, die metaphysischen Höhenflüge, mit denen sie die Beschreibung der rein technischen Funktionsweise ergänzte, würden die Maschine für ein gebildetes, viktorianisches Publikum verständlich – und attraktiv – machen, insbesondere für die wissenschaftliche Gemeinschaft und die britische Regierung. So wie Babbage hoffte auch Ada, die Politiker in Hinblick auf die Erfindung zur Vernunft bringen zu können. Babbage war stur und nicht besonders geschickt im Umgang mit Menschen und Ada wusste, dass seine Brillanz leicht von denen übersehen werden konnte, die mit seinem Temperament nicht zurechtkamen. »Meine liebe und viel bewunderte Dolmetscherin«,18 nannte er sie einmal dankbar.

Aber Ada erklärte nicht nur die technische Funktionsweise der Analytischen Maschine. Sie stellte sich die Auswirkungen vor, die sie auf die Welt haben könnte. Sie beschrieb die Implikationen von Allzweck-Computern und skizzierte damit das zukünftige transformative Potenzial von Software: Wenn die Analytical Engine Symbole bearbeiten konnte, dann konnte im Prinzip alles, was sich symbolisch darstellen lässt – Zahlen, Logik, sogar Musik –, durch die Maschine laufen und wundersame Dinge hervorbringen. »Die Analytical Engine webt algebraische Muster«, schrieb sie und bediente sich dabei einer Textil-Metapher, »so wie der Jacquard-Webstuhl Blumen und Blätter webt«.19 Die Möglichkeiten waren grenzenlos und sie besaß genau die richtigen geistigen Fähigkeiten, um das zu beschreiben: gleichermaßen mathematisch brillant und poetisch treffend.

Diese Arbeit strengte sie sehr an, sowohl geistig als auch körperlich. Wie vielen Patienten zu jener Zeit wurde ihr gegen ihre Beschwerden Laudanum verschrieben. Benebelt von Opiaten arbeitete sie in den Pausen zwischen gesellschaftlichen Terminen und Krankheitsphasen immer wieder mit fieberhafter Energie. Ihre Mutter missbilligte ihre Arbeit und erfand Familiendramen, um sie abzulenken, aber Ada blieb hartnäckig. Der Briefwechsel zwischen Ada und Babbage war in dieser Zeit rege und sehr vertraut. Sie schickten sich Briefe quer durch London hin und her, oft mehrmals am Tag. Sie tadelte ihn für seine schlampige Arbeit, ärgerte sich, wenn er ihre Arbeiten korrigierte und bemängelte seine Fehler, während sie sich selbst als seine »Fee« bezeichnete – eine treffende Beschreibung für die mathematische Geistesgröße, die sie war. »Mein Gehirn ist mehr als nur sterblich«, prahlte sie, während sie alle Möglichkeiten aufzählte, wie die Maschine die Bernoulli-Zahlen ableiten konnte. »Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn ich nicht binnen zehn Jahren den Geheimnissen dieses Universums etwas von ihrem Lebenssaft ausgesaugt habe, wie es sonst keine rein sterblichen Lippen oder Gehirne je tun könnten.«20

Die Analytical Engine wurde nie fertiggestellt, aber sie steht für den konzeptionellen Beginn des Computerzeitalters. Die vier Komponenten ihrer Konstruktion – Eingabe, Speicherung, Verarbeitung und Ausgabe – sind auch heute noch Kernbestandteile aller Computer. Und die beeindruckend originellen Notizen, die Ada zur Erläuterung dieser neuen Art von Maschine verfasste, nahmen die Literatur der Informatik um fast ein Jahrhundert vorweg. Um zu demonstrieren, wie die Maschine die Bernoulli-Zahlen ohne die Hilfe einer »menschlichen Hand oder eines Kopfes« berechnen konnte, schrieb sie mathematische Beweise, die von vielen Wissenschaftlern als die ersten jemals aufgeschriebenen Computerprogramme bezeichnet werden, und das für eine Maschine, die es gar nicht gab. Obwohl Ada drei Kinder hatte, bezeichnete sie ihre Notizen zu Menabreas Aufsatz als ihr Erstgeborenes. »Er ist ein ungewöhnlich schönes Baby«, schrieb sie an Babbage, nachdem sie ihren Entwurf fertiggestellt hatte, »er wird zu einem Mann von allererster Größe und Kraft heranwachsen.«21

Es ist bezeichnend für Adas Zeit, dass sie ihre Arbeit als männlich bezeichnete und ihre Notizen nur mit ihren Initialen unterschrieb. Obwohl sie zu Lebzeiten von prominenten Unterstützern gefördert wurde, war ihr Weg ausgesprochen unorthodox. Selbst ihre Mutter duldete ihn kaum. »Nicht einmal Gräfinnen sollten rechnen dürfen«22, im englischen Original von Sadie Plant ein geistreiches, mehrdeutiges Wortspiel: »Not even countesses were supposed to count«. Abgesehen von ihrer Freundin Mary Somerville hatte sie nur wenige weibliche Gleichgesinnte und ihre Leistungen erforderten ein hartnäckiges und beharrliches Selbststudium, eine fast manische Hingabe an die Mathematik, die sich über die Konventionen hinwegsetzte und ihre Gesundheit schädigte.

Ada war ihr ganzes Leben lang anfällig für Krankheiten gewesen und litt unter Schwindelanfällen, Schmerzen, Ohnmachtsanfällen und nervöser Unzufriedenheit. Ihre Symptome wurden als Hysterie abgetan und mit der regelmäßigen Einnahme von Laudanum behandelt, das sie mit brennenden Augen sehnsüchtig erwartete. Mit 36 Jahren, im gleichen Alter wie ihr Vater, starb Ada an der Krankheit, die sie wirklich quälte: Gebärmutterkrebs.

Die Mathematik hatte sie schon fast aufgegeben. Stattdessen wettete sie in ihren letzten Lebensjahren fast schon zwanghaft bei Pferderennen und berechnete mit ihrem mathematischen Scharfsinn für eine Ad-hoc-Gemeinschaft von männlichen Freunden die Gewinnchancen der Pferde. Einem Biografen zufolge23 hoffte sie wohl, so das erforderliche Vermögen zu erwirtschaften, um Babbages Analytical Engine doch noch bauen zu können. Sie verlor jedoch so oft und so spektakulär, dass sie sich Geld von Freunden leihen und Familienjuwelen verpfänden musste. Als sie sich schließlich in London in eine langwierige Phase der Bettruhe begeben musste, war sie ihrem Vater ähnlicher geworden – verrückt, böse und gefährlich – als jede Prinzessin der Parallelogramme. Während sie mit einer Mischung aus Laudanum, Wein und Chloroform zwischen Realität und Delirium hin und her pendelte, hallte in ihr der Zweiklang der Familie aus Rücksichtslosigkeit und Tragödie wider. »Ich habe Angst vor diesem schrecklichen Kampf, der, wie ich fürchte, den Byrons im Blut liegt«, schrieb sie an ihre Mutter. »Ich glaube nicht, dass wir leicht sterben.«24

Wie bei ihrem Vater überdauerte auch Adas Werk ihr eigenes Leben, obwohl es fast ein Jahrhundert dauerte, bis es die verdiente Anerkennung erfuhr. Es dauerte bis zum Beginn des Computerzeitalters, als man das Ausmaß ihres Weitblicks nicht mehr bestreiten konnte, bis ihre Notizen in einem britischen Computersymposium neu veröffentlicht wurden. Der Herausgeber schwärmte 1953, ihr Denken sei »so modern, dass es heutzutage erneut auf großes Interesse stößt«.25 Ada hatte das Glück, in eine wohlhabende, adelige Familie mit viel Zeit zur Muße hineingeboren worden zu sein. Auch ohne eine berufliche Karriere konnte sie sich weiterbilden und hatte Zeit, ihren Leidenschaften privat nachzugehen. Dennoch hätte sie noch so viel mehr erreichen können, und es ist offensichtlich, dass sie das auch gewollt hatte. Viele brillante Frauen – so wie Ada im falschen Jahrhundert geboren, am falschen Ort oder mit der Hoffnung, auf dem falschen Gebiet etwas zu bewirken – haben ein ähnliches Schicksal erlitten, oder noch viel Schlimmeres.

Wenn ich Adas Korrespondenz lese, sehe ich jemanden, dem ich über die Jahrhunderte hinweg gerne die Hand reichen würde, um zu sagen: Du hast recht. Niemand außer dir hat es gesehen. Aber du wirst Erben haben. Enkeltöchter und Urenkeltöchter. Sie werden überall auf der Welt aus dem Boden sprießen und mit derselben Beharrlichkeit und Unnachgiebigkeit arbeiten. Immer wieder werden andere Leute ihre Lorbeeren ernten, bis das eines Tages endlich aufhört. Und dann wird deine Geschichte geschrieben, hundertfach, von Mädchen im Teenageralter an ihren Schreibtischen im Herzen ihres jeweils eigenen Königreichs, auf Maschinen, die deine kühnsten Vorstellungen übertreffen.

Kilogirls

Auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin wurde Ada Lovelace neben ihrem Vater in einer kleinen Kirche in der Nähe seines Familiensitzes Newstead Abbey beigesetzt. Ihr Sarg, ausgeschlagen mit weichem, violettfarbenem Samt, trug eine Inschrift mit dem Lovelace-Familienmotto, das sie sich zu eigen gemacht hatte, während sie über ihren Notizen zu Babbages Analytical Engine brütete: LABOR IPSE VOLUPTAS. »Die Arbeit ist ihr eigener Lohn.«

Die Arbeit sollte noch lange Zeit ihr eigener Lohn bleiben. Bis zum Ende von Adas Jahrhundert konnten technisch begabte Frauen wie sie zwar auf beiden Seiten des Atlantiks eine Anstellung als Computer finden, aber diese Titel auf dem Papier waren nicht mit einem entsprechenden Status oder einer angemessenen Vergütung verbunden. In den 1880er-Jahren stellte der Astronom Edward Charles Pickering* in seinem Institut in Harvard beispielsweise nur Frauen für die Analyse und Klassifizierung von Daten zu Sternen ein, darunter sein eigenes Dienstmädchen Williamina Fleming. Obwohl er sich später für die Frauen einsetzte, die im Observatorium arbeiteten und sogar Flemings wissenschaftliche Arbeiten in ihrem Namen auf astronomischen Konferenzen vorstellte, hatte Pickering diese Frauen nicht aus Überzeugung eingestellt. Er wollte lediglich doppelt so viele Mitarbeiter haben, da Frauen nur halb so viel bezahlt wurde. Der Direktor eines konkurrierenden Observatoriums, das nur Männer beschäftigte, beschwerte sich bei einem Kollegen: »Die Computer in Harvard sind größtenteils Frauen« und man könne sie »für so gut wie nichts arbeiten lassen«.26

Die Computerfrauen von Harvard, die als »Pickering’s Harem«27 in die Geschichte eingingen, katalogisierten 10 000 Sterne. Williamina Fleming, sein ehemaliges Dienstmädchen, entdeckte den Pferdekopfnebel und trug zur Entwicklung eines standardisierten Bezeichnungssystems für Sterne bei, während ihre Kollegin Annie Jump Cannon Spektren mit einer Geschwindigkeit von drei Sternen pro Minute klassifizieren konnte. Durch ihre bemerkenswerte Beständigkeit darin gelang es ihr, eine Reihe neuer und ungewöhnlicher Sterne zu entdecken. Diese Frauen kartografierten buchstäblich den Kosmos, aber ihr Lohn entsprach dem von ungelernten Arbeitern – mit einem Stundenlohn von 25 bis 50 Cent verdienten sie kaum mehr, als wenn sie in einer Fabrik gearbeitet hätten.

In den Vereinigten Staaten nahm die Zahl der weiblichen Büroangestellten gegen Ende des 19. Jahrhunderts deutlich zu, wobei sich vor allem nach dem Bürgerkrieg ein Aufwärtstrend einstellte. Große Kriege haben vor allem auch in der Arbeitswelt einen unverkennbaren Einfluss auf die Geschlechterverteilung und eröffnen Frauen neue Beschäftigungsmöglichkeiten; in diesem Fall waren viele Frauen Kriegerwitwen, die ihren Lebensunterhalt mit ihrem Beitrag zu einer immer komplexeren Welt bestreiten mussten. Nach dem Ende des Bürgerkriegs 1865 waren Computerfrauen, wie der Historiker David Alan Grier schreibt, nicht mehr »die talentierten Töchter liebevoller Väter« wie Maria Mitchell »oder die intelligenten Freundinnen verständnisvoller Männer« wie Ada. Sie waren »Arbeiterinnen, Schreibtisch-Arbeiterinnen, die sich ihren Platz in dieser Welt mit ihren Fähigkeiten im Umgang mit Zahlen verdienten«.28

Auch der Erste und der Zweite Weltkrieg brachte Tausende von Frauen als Schreibkräfte, Büroangestellte und Telefonistinnen in die Arbeitswelt, ganz zu schweigen von den Arbeiterinnen an den Nietmaschinen in den Fabriken. Vor allem die Telefongesellschaften waren die ersten Arbeitgeber für Frauen im großen Stil. Im Jahr 1891 arbeiteten 8000 Frauen als Telefonistinnen; 1946 waren es schon fast eine Viertelmillion. Frauen waren flinke Arbeitskräfte, die in der Lage waren, in Netzwerken und fließenden Gruppen zusammenzuarbeiten – wir sprechen immer noch von Sekretariats-»Pools« – und sich schnell an die Bedürfnisse der Unternehmen anpassen konnten. Sie arbeiteten in den Telefonzentralen, führten Akten, nahmen Diktate auf und legten Dokumente ab. Diese routinemäßigen Bürotätigkeiten werden heute zunehmend elektronisch von digitalen Assistenten und automatisierten Telefonsystemen übernommen, von denen viele standardmäßig noch heute mit weiblichen Stimmen sprechen.

Als in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weibliche Stimmen durch die wachsenden Telefonnetze schwirrten [in Deutschland das buchstäbliche »Fräulein vom Amt«], wurde der Begriff »Girl« gleichbedeutend mit »Computer« verwendet. Ein Mitglied des Applied Mathematics Panel, einer Abteilung des National Defense Research Committee, das in den frühen 1940er-Jahren eine Gruppe für Human Computing, also menschliche Datenverarbeitung leitete, schätzte, dass eine Einheit »Kilogirl«-Energie29 etwa 1000 Stunden Computerarbeit entsprach. Das National Advisory Committee for Aeronautics – der Vorgänger der NASA – unterhielt einen eigenen Pool von »Girls«30, zu denen schon in den 1940er-Jahren auch Afroamerikanerinnen gehörten, die in einem abgetrennten Westteil des Langley Research Center arbeiteten. Eine von ihnen, die Mathematikerin Katherine Johnson

(1918–2020)31, die 1958 zur Space Task Force stieß, berechnete von Hand die Flugbahnen für die Raumflüge von Alan Shepard und John Glenn. Die Computergruppe in Langley führte alle analytischen Berechnungen händisch durch und verwendete dabei die technischen Hilfsmittel der damaligen Zeit: Rechenschieber, Lupen, Kurvenlineale und frühe Rechenmaschinen. Johnson wird oft mit den Worten zitiert, sie sei ein Computer gewesen, »als der Computer noch einen Rock trug«.32

Das letzte bedeutende Computerprojekt in den USA, das von Menschen ausgeführt wurde, ist ein Nachschlagewerk mit mathematischen Tabellen, das von der Works Progress Administration finanziert und von der Mathematikerin Gertrude Blanch (1897–1996) betreut wurde. Es wurde gerade zu dem Zeitpunkt veröffentlicht, als die Rechenmaschinen es praktisch überflüssig machten. Die menschliche Datenverarbeitung entwickelte sich als Überbrückung zwischen dem Aufkommen groß angelegter wissenschaftlicher Forschung und der Fähigkeit der Hardware, die Berechnungen für diese Forschung liefern zu können. Schließlich überflügelten die unermüdlichen Maschinen, die aus dem Aufschwung der Informatikforschung während des Zweiten Weltkriegs hervorgingen, ihre menschliche Konkurrenz. Nach diesem Krieg übernahmen die Maschinen endgültig die Macht und damit veränderte sich die Definition des Wortes »Computer« zum ersten und letzten Mal. Auch das Berufsbild, das früher mit ganz bestimmten menschlichen Tätigkeiten verbunden war, änderte sich: Die einstigen menschlichen Computer wurden von Konkurrenten zu Bedienern, die nicht mehr die Funktionen der Maschine ausführten, sondern diese Funktionen programmierten, damit sie ausgeführt wurden.

Menschliche Rechenbüros erledigten in »Girl-Years« dieselbe Rechenarbeit, die Maschinen heute in Bruchteilen von Sekunden erledigen können. Und einige Jahrhunderte lang waren Gruppen von Frauen, die in Bienenstöcken und »Harems« arbeiteten, quasi die Hardware: räumlich verteilte biologische Maschinen, die zu gewaltigen Berechnungen fähig waren und die geistigen Fähigkeiten eines einzelnen Individuums überstiegen. Ihre Berechnungen katalogisierten den Kosmos, kartierten die Sterne, vermaßen die Welt und bauten die Atombombe. Dass die mathematische Arbeit zumindest in einigen Fällen in relativ einfache Schritte für jeden Einzelnen zerlegt werden konnte, ist dabei nebensächlich. Es war die Zusammenführung all dieser Schritte, gleichzeitig und kollektiv ausgeführt, die für unsere vernetzte, rechnende Big-Data-Welt den Boden bereitete. Jede für sich betrachtet waren diese Frauen die ersten Computer; zusammengenommen bildeten sie die ersten Informationsnetzwerke. Der Computer, wie wir ihn heute kennen, ist nach den Menschen benannt, die er ersetzt hat. Lange bevor wir das Netzwerk als eine Erweiterung unserer selbst verstanden haben, haben unsere Urgroßmütter die Funktionen ausgeführt, die seine Existenz erst ermöglichten.

Das Aufkommen von Computern mag zwar die menschlichen Rechenbüros geleert haben, aber es hat die Frauen nicht aus diesem Bereich verdrängt. Ganz im Gegenteil: Viele Frauen, die selbst einmal Computer waren, fanden Arbeit bei der Betreuung ihrer Nachfolger. Frauenhände wechselten von Bleistiften und Rechenschiebern zu Tischrechnern und Schaltern, später dann zu Relais und Lochkarten-Tabellierern. Das Einspeisen und Entnehmen von Informationen aus den neuen Maschinen galt ebenso als Frauentätigkeit wie Tippen, Ablegen von Dokumenten und Weiterleiten von Telefongesprächen von einem Ort zum anderen. Und auch das war nicht leicht. Der Umgang mit den frühen mechanischen Computern erforderte einen scharfen analytischen Verstand und grenzenlose Geduld. Genau wie die Frauen, die mit ihrer Mathematikbegabung Berge versetzen konnten, wurden auch die frühen Computerprogrammiererinnen und Computerbedienerinnen mit enormen, schier unlösbaren Problemen konfrontiert. Ihre kreativen Lösungen machten oft den Unterschied zwischen Leben und Tod aus.

* Die gängige Legende besagt, dass Pickering Fleming einstellte, nachdem er von einer Gruppe männlicher Assistenten frustriert war, die Fotoplatten von Sternenspektren untersuchen sollten (es gibt dazu jedoch auch Belege, die das Gegenteil nahelegen). Er stürmte aus seinem Büro und schimpfte, dass das sogar sein schottisches Dienstmädchen besser machen könnte. Er ahnte gar nicht, wie recht er hatte.

KAPITEL ZWEI AMAZING GRACE

Grace Hopper (1906 –1992) wurde gerade 35, hatte eine feste Anstellung und war verheiratet, als Japan Pearl Harbor angriff. Sie unterrichtete Mathematik, ihr Ehemann Vincent Literatur. In den Sommerferien renovierte das Paar ein altes Bauernhaus in New Hampshire auf einem 60 Hektar großen Grundstück, das es während der Depression für 450 Dollar gekauft hatte. Sie spielten Badminton und Grace häkelte Teppiche, was sie als Kind auf dem Familienanwesen am Lake Wolfeboro gelernt hatte.

Grace und Vincent mussten mit den typischen Schwierigkeiten eines Akademikerehepaares fertig werden. Als Grace ihr Studium in Yale begann,* arbeitete Vincent an seiner Doktorarbeit an der Columbia University. Irgendwie schaffte sie es, ihm bei der Recherche für seine insgesamt acht Jahre dauernde Dissertation zu helfen. Er arbeitete an einer Geschichte der Zahlensymbolik. Sie las für ihn zu diesem Thema syrische, babylonische und mittelalterliche Texte. Als sie 1931 ihre Lehrtätigkeit am Vassar College aufnahm, besuchte sie in ihrer Freizeit Kurse über Astronomie, Geologie, Physik und Architektur. Ihre intellektuelle Beidhändigkeit war auf dem Campus legendär1: Um ihre Studenten zu beeindrucken, schrieb sie manchmal einen deutschen Satz mit der linken Hand an die Tafel, und wenn sie in der Mitte angekommen war, wechselte sie zur rechten Hand und beendete den Satz auf Französisch.

Am Anfang ihrer Lehrtätigkeit am Vassar, übernahm Grace die von den Studenten gefürchteten Fächer, die niemand außer ihr unterrichten wollte, wie Infinitesimalrechnung, Trigonometrie und technisches Zeichnen. Um diese Fächer lebendiger zu gestalten, aktualisierte sie alten Schulstoff mit neuen Ideen, wie das gute Lehrer ja auch heute tun. Um Topografie interessanter zu machen, sollten die Studenten im Unterricht für technisches Zeichnen eine Landkarte mit wundervollen Fantasiewelten aufzeichnen. Sie aktualisierte die recht häufigen Ballistikaufgaben in Analysis-Lehrbüchern mit Berechnungen über die Flugbahn von Raketen, die damals die öffentliche Fantasie zu beflügeln begannen. Infolgedessen wuchs die Zahl der Studenten in ihren Klassen, sie kamen aus allen Studienrichtungen des Colleges. Das brachte ihr den Respekt ihrer Vorgesetzten und den unverhohlenen Unmut ihrer Kollegen ein.

Im Winter 1941 wohnten Grace und Vincent in New York City. Vincent hatte eine Stelle als Dozent für Literatur an der School of Commerce der New York University gefunden und Grace hatte ein einjähriges Fakultätsstipendium vom Vassar College erhalten, um selbst an der NYU zu studieren, und zwar bei Richard Courant, eine der wenigen Kapazitäten im Gebiet der angewandten Mathematik. Das war eine willkommene Alternative zu der halsbrecherischen wöchentlichen Fahrt2 entlang des Hudson zwischen Poughkeepsie und der Stadt in einem Ford Modell A, den sie Dr. Johnson nannte. Grace schätzte Courant, der sich auf Differenzialgleichungen mit endlichen Differenzen spezialisiert hatte. Das hatte sie nur »einen Katzensprung vor den Studenten«3 gelernt, um ihren Analysiskurs am Vassar zu unterrichten. Courant hatte einen charmanten Akzent – er war deutscher Emigrant – und seine Vorlesungen waren immer sehr packend. Sie genoss es, unter seiner Anleitung unorthodoxe Rechenprobleme anzugehen, auch wenn er sie manchmal dafür schalt, wenn sie dabei ebenso unorthodoxe Lösungsansätze verfolgte. Alles in allem war es ein »großartiges Jahr«.4 Doch dann änderte sich alles von einem Tag auf den anderen.

Grace und Vincent hörten die Nachricht in einem kleinen, blechernen Radio, als sie umgeben von Büchern an einem Doppelschreibtisch in ihrem gemeinsamen Arbeitszimmer saßen: Ein heftiger, überraschender japanischer Angriff auf einen Marinestützpunkt auf Hawaii hatte 2403 Amerikaner das Leben gekostet. Am darauffolgenden Tag erklärten die Vereinigten Staaten Japan den Krieg; innerhalb einer Woche weitete sich der Konflikt auf Japans Verbündete, Deutschland und Italien, aus.

Jeder den Grace kannte, wollte Kriegsdienst leisten. Vincent bewarb sich, wurde aber zunächst abgelehnt, weil er Brillenträger war. Grace' Bruder, der genauso dürr war wie alle in der Familie und auch ein Problem mit den Augen hatte, wurde ebenfalls abgelehnt. Unbeirrt meldeten sich die beiden trotzdem freiwillig zum Wehrdienst und wurden dann doch noch eingezogen. Die Cousine von Grace wurde Krankenschwester. Im Sommer 1942 schien es, als seien alle weg: die Männer waren rekrutiert, die Frauen ihrer Familie wurden in die neuen Militärabteilungen für Frauen aufgenommen, alle außer ihrer Schwester, die Kinder hatte. Auch Grace wollte ihren Teil beitragen, aber sie war acht Kilo untergewichtig und zu alt für den Militärdienst. Mathematikprofessoren gehörten zu den Berufen, die nur mit besonderer Genehmigung für den Militärdienst freigestellt wurden. So trat sie eine zeitlich befristete Stelle am Barnard College an, um über den Sommer spezielle, kriegsrelevante Mathematikkurse für Frauen zu geben, aber das war ihr nicht genug. Die ganze Zeit marschierten Seekadetten von einem Ausbildungsschiff auf dem Hudson an den Wohnheimen von Barnard vorbei. Grace beobachtete sie und wollte unbedingt auch zur Marine.

Zurück im Norden des Landes quälte sie die Einsamkeit und ein zielloser, unerfüllter Patriotismus. »Ich begann mich ziemlich isoliert zu fühlen, als ich da oben saß«, sagt sie, »die bequeme College-Professorin«.5 Sie kämpfte darum, dass das Vassar College sie zum Militärdienst gehen ließ und stellte dem College ein nicht gerade sehr langes Ultimatum: sechs Monate, sonst würde sie einfach gehen. Und obwohl sie zu alt und zu dünn war und ihre Sehfähigkeit nicht viel besser war als die ihres Bruders, ging sie. Am Tag von Pearl Harbor lag vor Grace Hopper noch ein respektables, bürgerliches Leben, aber sie wollte keinen Schritt auf diesem Weg weitergehen. Innerhalb weniger Jahre veränderte sich fast alles in ihrem Leben: Sie trennte sich von Vincent, kündigte ihren Job und trat in die US-Marine ein. Es war nicht die erste ungewöhnliche Entscheidung, die sie je getroffen hatte, und es sollte auch nicht die letzte sein.

Grace wurde an ihrem ersten Tag an der United States Naval Reserve Midshipmen’s School in Northampton, Massachusetts, 37 Jahre alt, man schrieb den 9. Dezember 1943. Sie verstand die Sprache der Marine schnell – Begriffe wie Schotten, Deck und Kommandobrücke waren ihr schnell vertraut. Sprachen fielen ihr schon immer leicht. Sie hatte sich Deutsch, Latein und Griechisch beigebracht, indem sie mit einem Wörterbuch in der Hand aufmerksam las und neue Wörter wie mathematische Variablen in jeden Satz einfügte. Die Einhaltung der militärischen Umgangsformen dagegen war schwieriger, vor allem, weil sie so oft im Widerspruch zu den gesellschaftlichen Gepflogenheiten standen. Rang und Höflichkeit kollidierten immer mal wieder: Manchmal blieb sie vor einer Tür stehen, um den Admirälen den Vortritt zu lassen, die wiederum versuchten, sie wie eine Dame zu behandeln – eine Komödie der Irrungen. »Meistens sind wir dann schließlich zusammen durch die Tür gegangen«, erzählte sie. »Das war schlecht.« 6 Aber sie mochte das Exerzieren. Für sie war es wie Tanzen.