Die Poesie der Nacht - Katharina Jach - E-Book

Die Poesie der Nacht E-Book

Katharina Jach

3,0

Beschreibung

Die Hauptstadt gilt als ein Ort der Freiheit und der Kunst. Doch für den mittellosen Dichter Chaucer Reed ist sie auch ein Ort, an dem er um sein Auskommen kämpft. Zumindest die große Liebe scheint er gefunden zu haben, auch wenn es sich dabei um seinen größten Rivalen handelt.

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Seitenzahl: 93

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Die Poesie der Nacht

Die Chronik der Herzlosen 2

Katharina Jach

Inhalt

Inhaltswarnungen

Karte von Mesembra

Die Poesie der Nacht

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Danksagung

Über die Autorin

Erscheint in Kürze

Impressum

DIE POESIE DER NACHT

© 2022 Katharina Jach

ISBN: 978-3-7543-3336-5

Verlag: Katharina Jach, Baumwall 7, 20459 Hamburg, www.katharinajach.de

Lektorat: Nina C. Hasse, www.texteule-lektorat.com

Korrektorat: Sophie Jenke www.lektorat-weltenbau.de

Covergestaltung: Jesh Art Studio

Vertrieb durch: Books on Demand GmbH

Alle Orte, Personen und Namen in diesem E-Book sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder realen Orten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhaltswarnungen

Diese Geschichte enthält explizite Darstellungen von körperlicher Gewalt sowie Depressionen, Selbstmordgedanken und suizidalem Verhalten.

Karte von Mesembra

Die Poesie der Nacht

Eins

Milton Piers war ein wahrer Meister der Sprache. Kein anderer Dichter verstand sich so gut darauf, Worte zu kunstfertigen Gedichten zu verweben, wie er. Jede Zeile, die aus seinem Geist auf Pergament floss, erschuf leuchtende Bilder in den Köpfen der Menschen, die ihnen auf ewig im Gedächtnis blieben. Wenn er seine Gedichte vortrug, hingen die Leute förmlich an seinen Lippen und konnten gar nicht genug von der tiefen Weisheit in sich aufnehmen, die aus seinen Werken sprach.

Milton verstand sich allerdings auch darauf, ganz ohne Worte ein tiefes Verlangen zu wecken, auch wenn bisher nur wenige in den Genuss dieses besonderen Talents gekommen waren. Der junge Dichter behielt es sich vor, nur jene damit zu bedenken, zu denen er, wie er selbst sagte, eine besondere Verbindung spürte. Umso glücklicher schätzte sich Chaucer Reed, zu diesem engen Kreis zu gehören und zugleich der einzige darin zu sein. Jeder von Miltons Küssen vermochte ein Feuer zu entfachen, das tief in seinem Inneren brannte und ihn zu verzehren drohte. Es war ein reines, vollkommenes Glück, das er all seiner Bemühungen zum Trotz nicht in Worte fassen konnte. Es trug ihn durch den Tag und verfolgte ihn bis in seine Träume. Und wenn es nach ihm ging, konnte es für immer so weitergehen.

Umso schwerer fiel es Chaucer, sich aus einem neuerlichen Kuss zu lösen und Miltons Gesicht mit beiden Händen zu umfassen. Die dunklen Augen des Dichters funkelten, als er mit einem Lächeln auf Chaucer hinabsah.

»Wolltest du nicht schreiben?«, fragte Chaucer. »Du sagtest doch, dass der Text für heute Abend noch den letzten Schliff braucht.«

Milton strich sich das lange Haar über eine Schulter. »Das kann warten«, erwiderte er.

»Aber …«

»Halt die Klappe.«

Milton versiegelte seine Lippen mit einem weiteren Kuss. Wohlige Gänsehaut überzog seinen Körper, als er die Arme um Miltons Schultern legte und ihn enger an sich zog. Die Matratze unter ihnen war weich, das Zimmer des Gasthauses angenehm warm vom Kaminfeuer. Ihre Körper schmiegten sich eng aneinander. Chaucer spürte den Herzschlag seines Geliebten an seiner eigenen Brust wie ein trommelndes Echo. Er war sich nicht sicher, ob er sich je zuvor so lebendig gefühlt hatte.

Sie waren noch ganz in ihren Kuss versunken, als es an der Tür klopfte.

»Meister Piers?«

Die Stimme gehörte dem älteren Mann, der Chaucer und Milton aufwartete, seit sie vor drei Monaten das Zimmer im obersten Stockwerk des Gasthauses bezogen hatten. Ein dienstbeflissener und durchaus diskreter Kerl, wie Chaucer bald darauf festgestellt hatte. Der Mann besaß allerdings keinerlei Verständnis für das freigiebige Leben eines Künstlers, der seiner Arbeit vorwiegend bei Nacht nachging und daher noch lange nach Sonnenaufgang in seinem Bett zu liegen pflegte. Und so klopfte der Mann noch einmal mit mehr Nachdruck gegen die Zimmertür. Ungeduld sprach aus seiner Stimme, als er noch einmal Miltons Namen rief.

»Sollten wir nicht –«, begann Chaucer, doch sein Geliebter machte keine Anstalten, dem Diener die Tür zu öffnen oder auch nur seine Anwesenheit anzuerkennen.

Ein erneutes Klopfen, eine mit Nachdruck gestellte Frage. »Meister Piers?«

Milton fuhr hoch und setzte eine ärgerliche Miene auf. »Was?«

»Das Essen ist fertig. Ihr hattet mich gebeten –«

»Ja, ja, ich weiß.«

Der Dichter seufzte theatralisch und warf sich neben Chaucer auf die Matratze.

»Darf ich eintreten?«, fragte der Diener.

»Aber ja doch!«, rief Milton und legte einen Arm über seine Augen. Der Anblick war so leidend, dass er Chaucer ein Lachen entlockte.

Die Tür ging auf und ein livrierter Mann von etwa vierzig Jahren kam herein. Mit beiden Händen trug er ein Tablett, das über und über mit Essen beladen war. Augenblicklich breitete sich der Geruch von gebratenem Fisch und gedünstetem Gemüse in der kleinen Dachkammer aus.

»Wo darf ich den Herren servieren?«, fragte der Diener ungerührt.

Milton fuchtelte mit der Hand in der Luft herum. »Stell es einfach dorthin!«

Der Mann ging zu dem hohen Beistelltisch, der neben dem Kamin stand, und trug das Essen auf. Anschließend blieb er stehen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und begann die Gemälde über dem Kaminsims zu studieren.

»Gibst du ihm das Geld, bitte?«, fragte Milton und tätschelte Chaucers Bein. Der schenkte ihm ein weiteres Lachen und stand auf. Rasch schlüpfte er in die weiche Leinenhose, die er Stunden zuvor achtlos neben dem Bett auf den Boden hatte fallen lassen, dann nahm er den Geldbeutel vom Nachttisch und holte zwei Kupfermünzen heraus.

»Hier!«, sagte er und schnippte sie dem älteren Mann zu. Der fing sie gekonnt auf und steckte sie in eine Tasche auf der Innenseite seiner Livree.

»Habt Dank«, sagte der Diener, verneigte sich und ging hinaus.

Chaucer sah ihm nach und seufzte. »Ist er nicht zauberhaft?«

»Er ist alt«, antwortete Milton und rollte sich auf den Bauch, das Gesicht in den Kissen vergraben. »Was soll daran zauberhaft sein?«

Chaucer setzte sich auf einen der Sessel, die neben dem Beistelltisch bereitstanden, und verschaffte sich einen Überblick über die gebrachten Speisen. Er nahm eine Gabel zur Hand und stocherte in einer Schale mit Kichererbsen und Zuckerschoten herum. »Willst du nichts essen?«

»Ich habe keinen Hunger.«

»Wenn du heute noch schreiben willst, solltest du etwas essen«, widersprach Chaucer und häufte ein großes Stück Fisch und jede Menge Kartoffeln auf einen Teller. »Mit leerem Magen lässt es sich schlecht denken.«

Milton murmelte etwas und drückte das Gesicht noch tiefer in die Kissen. Chaucer musste ihn noch drei weitere Male zum Essen auffordern, ehe er widerwillig aus dem Bett stieg und zu ihm an den Tisch kam. Nachdem allerdings ein Stück Fisch und drei Schöpfkellen mit Gemüse auf Miltons Teller gelandet waren, gab es für ihn kein Halten mehr. Er schlang das Essen herunter wie ein ausgehungerter Wolf.

»Schmeckt’s?«, fragte Chaucer grinsend.

»Mhm«, machte Milton und steckte sich eine volle Gabel in den Mund.

Kann das Herz eigentlich vor Liebe überlaufen?, fragte Chaucer sich im Stillen. Er würde seinen Vater bei Gelegenheit danach fragen müssen. Für den Moment gab er sich damit zufrieden, Milton über den reich gedeckten Tisch hinweg zu beobachten und sich jedes Detail seines Gesichts einzuprägen, vom Grübchen in seinem Kinn bis hin zu den dichten Augenbrauen, die seine hohen Wangenknochen betonten. Es gab nichts, das an ihm nicht perfekt gewesen wäre. Selbst die kleine Narbe an seiner Unterlippe, die er sich als Kind bei einem Sturz zugezogen hatte, trug zu seiner Vollkommenheit bei.

»Chaucer?«

»Hm?« Er blinzelte und schüttelte den Kopf.

Milton grinste. »Das muss ja ein schöner Tagtraum gewesen sein. Woran hast du gedacht?«

»Ich überlege, wie ich deine Schönheit in ein Gedicht fassen kann«, sagte Chaucer. »Aber mir fehlen die richtigen Worte.«

»Wie sagte schon die Große Meisterin Kincaid? ›Die Schönheit ist das Sujet der Schwachen. Wahre Poesie liegt in dem Hässlichen verborgen‹«, zitierte Milton und bewegte dabei seine Gabel auf und ab, um seine Worte zu unterstreichen.

»Bitte.« Chaucer schnaubte. »Wie oft hast du mir erzählt, dass die Worte der Großen Meister überholt sind und die Leute sich nach etwas Neuem sehnen? Sie sind angestaubt, Relikte einer untergegangenen Epoche.«

Milton schmunzelte. »Mag sein. Aber in diesem Punkt hatte Kincaid recht. Als Dichter ist es unsere Aufgabe, die Abgründe der menschlichen Natur zu ergründen und das Schöne im Schrecklichen zu erkennen. Nur dann schaffen wir Worte, die Wahrheit und Weisheit beinhalten, unabhängig was andere von ihnen halten mögen. Im Schrecklichen finden wir unser wahres Selbst und kehren es nach außen. Andernfalls bringen wir nur Gemeinplätze hervor, wie sie jeder drittklassige Schreiberling reproduzieren kann.«

Chaucer seufzte. Wenn es um die Kunst ging, ließ Milton keine andere Meinung zu. Und sein Erfolg gab ihm Recht. Die Menschen liebten seine Arbeit, weil er in ihr seine eigene Wahrheit zum Ausdruck brachte. Sie waren verzaubert von seiner schonungslosen Ehrlichkeit. Er ließ sie etwas Echtes und Greifbares spüren, während ihnen die Worte anderer Dichterinnen und Dichter nicht mehr als ein müdes Achselzucken entlockte. Auch Chaucer war ganz und gar ergriffen gewesen, als er Milton zum ersten Mal begegnet war.

Sie hatten sich bei einem der literarischen Salons, wie sie unzählige Kunstschaffende in ihren Wohnungen und Werkstätten abhielten, kennengelernt. Chaucer hatte sich an jenem Abend unter die Leute gemischt, unbekannt wie er war, um Geschichten und Gerüchte aufzuschnappen und diese anschließend in einen ausschweifenden Bericht für die Gazette einfließen zu lassen. Stattdessen hatte er dagesessen wie ein staunender Schuljunge und Milton gelauscht, während dieser einem gebannten Publikum sein neuestes Werk vortrug. Vom ersten Moment an hatte Chaucer seinen Blick nicht mehr von dem jungen Dichter lassen können. Selbst jetzt konnte er immer noch nicht recht glauben, dass Milton unter all den talentierten Menschen, die damals vor Ort gewesen waren, ausgerechnet ein Auge auf Chaucer geworfen hatte, wo er doch genau zu jenen drittklassigen Schreiberlingen gehörte, von deren Arbeit er nur wenig hielt.

»Wie du meinst«, sagte er und versuchte, dabei nicht allzu verdrießlich zu klingen.

Milton hielt inne und legte dann das Besteck beiseite. »Komm her«, sagte er und beugte sich über den Tisch. Sacht berührte er Chaucers Kinn und hob sein Gesicht dem seinen entgegen. »Ich bin verrückt nach dir. Das weißt du doch, oder?«

Wieder spürte Chaucer diese unbändige Hitze in seinem Körper aufsteigen. Sie brannte auf seinen Wangen und kribbelte auf seiner Haut. »Ja, natürlich.«

»Ohne dich könnte ich nicht schreiben«, fuhr Milton fort und sah ihm dabei tief in die Augen.

»Sei nicht albern. Du hast auch vor mir geschrieben.«

»Das stimmt. Aber ich war noch nie so gut wie jetzt.«

Da war es wieder. Dieses warme Gefühl in seinem Herzen, dass sich rasch im ganzen Körper ausbreitete.

»Wenn ich dich in der Nacht neben mir spüre, weiß ich, dass alles gut werden wird. Du gibst mir die Kraft, jeden Tag weiterzumachen«, sagte Milton und beugte sich weiter vor. Ihre Lippen trafen sich zu einem langen Kuss.

»Schon gut, ich bin überzeugt«, sagte Chaucer, nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten. »Du hast gewonnen.«

Milton lachte und richtete sich in seinem Sessel auf. Mit einem selbstzufriedenen Ausdruck nahm er die Sauciere zur Hand und goss ihren Inhalt über das restliche Gemüse.

»Du musst etwas essen!«, rief er in drängendem Ton. »Es wird ein langer Abend. Nicht, dass du mir noch vom Fleisch fällst.«

Zwei

S