Die Stimme der Vergeltung - Katharina Jach - E-Book

Die Stimme der Vergeltung E-Book

Katharina Jach

3,0

Beschreibung

Das Unglück verfolgt die junge Cerise auf Schritt und Tritt. Nachdem sie viele Jahre als Hausmädchen dem Grafen von Belind gedient hatte, verkaufte der sie eines Nachts in die Sklaverei, um alte Schulden zu begleichen. Zwar konnte sie ihrem neuen Besitzer entkommen, auf der Suche nach Schutz vor ihren Verfolgern setzte sie allerdings auf die falschen Freunde. Nun sitzt sie in der Festung von Firnten ein, dem sichersten Gefängnis der Republik, und kennt nur noch einen Gedanken: endlich einen Weg in die Freiheit zu finden. Koste es, was es wolle.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 111

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
3,0 (1 Bewertung)
0
0
1
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Stimme der Vergeltung

Die Chronik der Herzlosen 1

Katharina Jach

Inhalt

Inhaltswarnungen

Karte von Mesembra

Die Stimme der Vergeltung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Danksagung

Über die Autorin

Erscheint in Kürze

Impressum

DIE STIMME DER VERGELTUNG

© 2022 Katharina Jach

ISBN: 978-3-7562-1305-4

Verlag: Katharina Jach, Baumwall 7, 20459 Hamburg, www.katharinajach.de

Lektorat: Nina C. Hasse, www.texteule-lektorat.com

Korrektorat: Sophie Jenke www.lektorat-weltenbau.de

Covergestaltung: Jesh Art Studio

Vertrieb durch: Books on Demand GmbH

Alle Orte, Personen und Namen in diesem E-Book sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder realen Orten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhaltswarnungen

Diese Geschichte enthält explizite Darstellungen von Gewalt (insbesondere von Machtmissbrauch, Freiheitsentzug, Folter und sexuellem Missbrauch) und berührt Themen wie Menschenhandel und Sklaverei.

Karte von Mesembra

Die Stimme der Vergeltung

Eins

Sie konnte den Wärter selbst von der anderen Seite der Zelle aus riechen. Er stank nach Schweiß und schalem Bier und einer langen Nacht in einer verrauchten Kneipe. Die nachtblaue Weste seiner Uniform, die an den Säumen mit gelbgoldenen Bordüren abgesetzt war, wies zahlreiche Löcher auf und war an einigen Stellen bereits mehrfach geflickt worden. Das Gleiche galt für die weiten Kniebundhosen, die ihrerseits in Lederstiefeln steckten, an denen der Dreck eines ganzen Jahrhunderts zu kleben schien.

Cerise rollte sich auf die Seite und sah sich in der Zelle um. Der Raum war schmal und abgesehen von den Gitterstäben zum Korridor hin zu drei Seiten von nackten Steinwänden umgeben. Zwei Metallbetten mit flachen Strohmatten waren der einzige Luxus, den man den beiden Insassinnen zugestand. Den Nachttopf, der in einer Ecke stand, mussten sie sich hingegen teilen. Über ein schmales Fenster, das über Kopfhöhe in die Wand eingelassen war, strömte ein Hauch warmer Luft hinein. Cerise reckte den Hals und meinte durch die Öffnungen einen feinen Lichtstreifen erspähen zu können. Der erste Bote eines neuen Tages.

Ihr Blick wanderte zu der Frau, die sich die Zelle mit ihr teilte. Sie war eine Zharen, groß und muskulös, mit der typisch aschgrauen Haut und spitz zulaufenden Ohren ihres Volkes. Sie lag so steif da, als hätte man sie für eine Totenwache aufgebahrt. Ihr weißes Haar hing zu zwei Seiten über den Rand ihrer Pritsche und ihre Brust hob und senkte sich unter langen, gleichmäßigen Atemzügen.

»Psst, Cafreen«, zischte Cerise. »Bist du wach?«

Die Zharen zuckte und stieß ein unverständliches Murmeln aus. »Schlaf weiter, Ohkin«, knurrte sie und fuchtelte mit einer Hand in der Luft. Ihre Augen blieben geschlossen.

»Ich kann aber nicht schlafen.«

»Nicht mein Problem.« Und damit rollte sie sich auf die andere Seite, mit dem Gesicht zur Wand.

Cerise unterdrückte ein Seufzen. Sie hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Zu viele Dinge gingen ihr durch den Kopf. Sie konnte einfach nicht aufhören, darüber nachzudenken, was an diesem Tag passieren würde.

Erinnerungen an ihre Ankunft in der Festung fluteten ihren Geist. Das Knirschen der schweren Tore, als der Gefangenentransport in den Innenhof einfuhr. Die grimmigen Wachleute, die sie von Kopf bis Fuß gemustert hatten. Der Schreiberling, der ihren Namen und ihre Geschichte mit einem Ausdruck der Gleichgültigkeit zur Kenntnis genommen und niedergeschrieben hatte. All das hatte sie mit einem kalten Entsetzen erfüllt, das sie einfach nicht loslassen wollte. Nachdem sich die Zellentür hinter ihr geschlossen hatte, hatte Cerise solange geschrien und an den Gitterstäben gerüttelt, bis sie entkräftet auf dem Boden zusammengesunken war. »Lasst mich raus. Ich bin unschuldig! Lasst mich raus!«

Alles wird gut werden, sagte sie sich und hoffte vergebens darauf, dass ihr Herz aufhörte, wie verrückt gegen ihren Brustkorb zu schlagen. Wenn der Richter deine Geschichte gehört hat, wird er verstehen, dass das alles ein riesiges Missverständnis ist.

Letzten Endes blieb ihr ohnehin nicht viel mehr übrig, als zu warten. Also zeichnete sie mit ihren Blicken die Umrisse der Schimmelflecken nach, die sich auf dem kalten Stein an der Decke gebildet hatten, und spürte, wie Müdigkeit an ihr zu nagen begann.

»Du!«, bellte eine Wache und klapperte mit dem Schlagstock gegen die Gitterstäbe. »Aufstehen!«

»W-was?«, keuchte sie benommen und rappelte sich auf. Für einen Moment raubte Schwindel ihr die Sicht. Der Raum drehte sich um sie, gebadet in das gleißende Licht des Morgens.

Verdammter Mist. Sie musste eingeschlafen sein und fühlte sich nun erschöpfter als zuvor. Das war gar nicht gut. Wenn sie einen guten Eindruck auf den Richter machen wollte, musste sie hellwach und auf der Hut sein.

Schwere Schlüssel drehten sich im Zellenschloss und die Tür schwang mit einem metallenen Quietschen auf.

»Richter Uron will dich sehen«, blaffte der Wärter. Erst jetzt bemerkte Cerise, dass es ein anderer Mann war als jener, der in der Nacht vor ihrer Zelle Wache gehalten hatte.

»Darf ich mich noch frischmachen?«, fragte Cerise, während sie die Beine über die Bettkante schwang. Ihr blondes Haar war matt und verfilzt und der Staub von mindestens einer Woche hatte sich als Kruste auf ihrer Haut abgesetzt.

»Wozu? Damit der Richter deinem unwiderstehlichen Charme erliegt?« Der Wachmann lachte über seinen eigenen Witz. »Los jetzt. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«

Ihre Aufregung verdichtete sich zu einem Klumpen in ihrer Magengrube. Am liebsten hätte sie sich übergeben, doch diese Blöße würde sie sich nicht geben. Es war schlimm genug zu wissen, dass sie wie eine dahergelaufene Vogelscheuche aussah, verdreckt und halb verhungert. Sie musste nicht auch noch den letzten Rest ihrer Würde verlieren.

Sie strich sich die fettigen Strähnen aus dem Gesicht und versuchte, sie zu etwas Ähnlichem wie einer Frisur zu ordnen. Dann straffte sie die Schultern, hob das Kinn und trat auf den Gang vor der Zelle, als beträte sie einen Speisesaal voller Gäste, die auf ihre Ankunft warteten.

Die Wache band ihr die Hände auf dem Rücken zusammen und stieß sie vorwärts. »Bringen wir es hinter uns.«

Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Cafreen sich in ihrem Bett aufsetzte und ihr nachblickte.

»Viel Glück, Ohkin«, rief sie. »Du wirst es brauchen.«

Der Saal, in den man Cerise führte, unterschied sich in fast allen Belangen von den Teilen der Festung, die sie bisher zu Gesicht bekommen hatte. Während die meisten Räume in Firnten gedrungen, karg und dunkel waren, nahm sich der Verhörsaal im Gegensatz geradezu großzügig aus. Er war annähernd quadratisch und zu drei Seiten mit Sitzreihen umschlossen, die zum Mittelpunkt des Raums abfielen, wo sich ein einzelnes hölzernes Podest befand. Aus Fenstern, die hoch in der Steinwand eingelassen war, strömte goldenes Morgenlicht. Unter anderen Umständen hätte der Saal vielleicht sogar einladend auf sie gewirkt.

»Rauf da«, sagte der Wärter und schubste Cerise in Richtung Saalmitte.

Sie warf ihm einen wütenden Blick zu. Er hatte keinen Grund, so rüpelhaft mit ihr umzuspringen. Andererseits wusste sie besser als die meisten, dass die Menschen keine Gründe brauchten, um grauenhafte Dinge zu tun.

Cerise stieg auf das Podest, die Hände noch immer hinter dem Rücken gefesselt, und ließ ihren Blick über die Sitzreihen wandern. Obwohl der Raum leer war, fühlte sie sich allein, ausgeliefert. Wie ein seltenes Exponat in einer Ausstellung, dessen einziger Zweck es war, von anderen begafft zu werden.

Am oberen Absatz der Sitzreihen, gegenüber von Cerise und dem Wärter, schwang eine Tür auf und Direktorin Peirol betrat den Raum. Obwohl Cerise der Frau bisher noch nie persönlich begegnet war, eilte ihr Ruf ihr voraus. Die anderen Gefangenen hatten sie als verbittert und erbarmungslos beschrieben, mit einem Gesicht, das Wein in Essig verwandeln konnte. Selbst die Wachen senkten die Stimmen, wenn sie über Peirol sprachen.

Die Direktorin trug eine Ledermappe unter dem Arm und hatte ihr graues Haar an diesem Tag streng nach hinten gebunden, wodurch die tiefen Linien, die sich mit den Jahren in die Haut um ihren Mund gegraben hatten, noch stärker hervortraten. Sie wurde von einem jungen Mann begleitet, der einen Stoß Pergamente und einige Schreibutensilien unterm Arm trug. Ihr Schreiber, wie Cerise erkannte. Anders als Peirol hatte sie ihn tatsächlich schon einmal getroffen. Bei ihrer Ankunft hatte er ihre Personalien aufgenommen und dabei einen Ausdruck distanzierter Geschäftsmäßigkeit gewahrt, als wäre sie gewöhnliche Ware, die vor der Lagerung inspiziert werden musste.

Cerise hatte ihn vom ersten Augenblick an verabscheut.

Nach Peirol und ihrem Schreiber trat ein weiterer Mann in den Raum, dessen Anblick Cerise einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Wie die Direktorin strahlte auch er eine unbeugsame Autorität aus, doch ihm fehlte der verkniffene Zug um die Mundwinkel herum. Er wirkte wie ein Mann, der sich seiner Macht nur allzu bewusst war und sie in vollen Zügen genoss.

Die drei stiegen die Stufen zwischen den Sitzreihen hinab und sprachen dabei leise miteinander. Unten angekommen hustete der Richter ausgiebig und zwängte sich anschließend auf einen der Stühle in der ersten Reihe. Die Direktorin setzte sich neben ihn und legte ihm die schwere Ledermappe vor.

»Nun«, brummte er und zog die Mappe zu sich heran. Die darin enthaltenen Papiere knisterten leise, als er sie umblätterte. »Wen haben wir hier?«

Während Uron die Unterlagen studierte, hatte Peirols Schreiber einen Platz in der zweiten Reihe gefunden und seine Arbeitsutensilien um sich herum ausgebreitet. Die Spitze seiner Feder brachte das kleine Tintenfass zum Klingen, als er den Gänsekiel in die dunkle Flüssigkeit tauchte und die Spitze am Rand des Glases abklopfte.

Der Richter räusperte sich und begann zu sprechen. »Hiermit eröffne ich das Verfahren der Republik Pourponien gegen Cerise Malory. Den Vorsitz führt der Ehrwürdige Richter Mahor Uron im Auftrag des Obersten Strafgerichts. Zeugin der Anhörung ist Direktorin Engrid Peirol. Protokolliert wird die Anhörung von Finjas Foules.«

Die Feder des Schreibers kratzte hastig übers Pergament.

Cerise hielt den Atem an und versuchte, sich an das Wenige zu erinnern, das sie über die Rechtsprechung in der Republik wusste. Das Oberste Strafgericht war einer der drei großen Gerichtshöfe und befasste sich mit allen Straftaten, von einfachem Diebstahl bis zu blutigem Mord. Den Angehörigen dieses Gerichts oblag die Pflicht, Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten, wodurch sie unschätzbares Ansehen unter den Bürgerinnen und Bürgern der Republik genossen. Sie galten allgemein als unparteiisch und unbestechlich. Ob dies auch für die Verurteilung einer Fremden wie ihr galt, würde sie nun herausfinden.

»Wer wird die Verteidigung übernehmen?«, fragte der Richter.

Cerise hob das Kinn und versuchte, selbstsicherer zu klingen, als sie sich fühlte. »Niemand, Euer Exzellenz. Ich verteidige mich selbst.«

»Euer Ehren.«

»Wie bitte?«

»Es heißt Euer Ehren«, wiederholte der Richter und schlug dabei einen Ton an, als spräche er mit einem kleinen Kind. »Euer Exzellenz ist eine veraltete Anrede für den Kaiser und die Mitglieder seiner Familie. Ich hätte vermutet, dass ein Mädchen aus den Grafschaften derlei wüsste. Die alte Etikette wird dort doch weiterhin hochgehalten oder etwa nicht?«

Cerise biss sich auf die Zunge. Sicherlich, es gab viele Leute in den Grafschaften, die auch vierzig Jahre nach dem Zerfall des Kaiserreichs an den alten Wegen festhielten und sich den Glanz vergangener Tage herbeisehnten. Sie hingegen hatte sich gerade genug Manieren angeeignet, um im Haushalt von Graf Silthus nicht aufzufallen. Die Verehrung eines toten Monarchen hatte ihr ohnehin nicht viel Glück gebracht. Wenn überhaupt war dieser blinde Gehorsam der eigentliche Grund für die Misere, die sie ihr Leben nannte. Die Adeligen mochten Loblieder auf ihn singen und ihre Macht daraus ableiten, doch wenn es nach ihr ging, konnte ihr der Kaiser und sein verlorenes Reich gestohlen bleiben.

All das konnte sie dem Richter allerdings nicht sagen. Es war von größter Wichtigkeit, dass der Mann ihr gewogen blieb. Daher schlug sie die Augen nieder und sagte nur: »Bitte verzeiht mir, Euer Ehren. Es war ein Versehen.«

Der Richter befeuchtete den Zeigefinger mit der Zunge und schlug die nächste Seite in der Mappe auf.

»Cerise Malory«, las er. »Ihr seid angeklagt, widerrechtlich in das Hoheitsgebiet der Republik eingereist zu sein. Ferner wird Euch vorgeworfen, Beihilfe zu einem Raubüberfall auf die örtliche Niederlassung der Republikanischen Bank in Aventin geleistet zu haben. Zudem sollt Ihr Euch einer kriminellen Vereinigung angeschlossen haben, in der Absicht, weitere Straftaten zu begehen.« Er machte eine bedeutungsschwere Pause. »Möchtet Ihr Euch zu diesen Vorwürfen äußern?«

»Ja, Euer Ehren«, sagte Cerise. »Ich will nicht abstreiten, dass ich ohne gültige Papiere aus dem Norden nach Pourponien gekommen bin, doch ich tat es, weil mir keine andere Wahl blieb. Ich bin aus meiner Heimat geflohen, um in der Republik Schutz zu suchen. Es war nie meine Absicht, gegen geltende Gesetze zu verstoßen.«

»Aha.« Der Richter betrachtete eines der Pergamente in der Ledermappe. »Wie kommt es dann, dass Ihr Euch mit der Frau namens Sara Caelian zusammengetan habt?«

»Ich habe aus der Not heraus gehandelt, Euer Ehren«, erwiderte Cerise rasch. »Sie sagte, sie würde mir helfen und ich dachte mir nichts Böses dabei. Sie bot mir Schutz und die Sicherheit, als ich sie am dringendsten brauchte, und ich war verzweifelt genug, mich darauf einzulassen. Und am Ende hat sie mich genauso hinters Licht geführt wie alle anderen auch.«

Peirol gab ein ungläubiges Schnauben von sich. »Glaubst du allen Ernstes, du wärst die erste arme Seele, die behauptet, sie trüge keine Schuld an den Verbrechen, die sie verübt hat?«, rief sie und versprühte Gift und Galle mit jeder Silbe. »Dass sie bloß das Opfer ist?«

»Aber es ist wahr!«, widersprach Cerise.

»In Ordnung«, sagte der Richter und lehnte sich zurück, die Hände vor sich auf dem Tisch gefaltet. »Dann unterhaltet uns mit Eurer Version der Geschichte.«