Die Psychologie der Intimität - Tobias Ruland - E-Book

Die Psychologie der Intimität E-Book

Tobias Ruland

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Beschreibung

Mehr Nähe, besserer Sex, intensives Begehren über Jahrzehnte – wo Paartherapeuten gewöhnlich zu Bescheidenheit raten, zeigt Tobias Ruland: Die Quadratur des Kreises ist möglich. Doch sie gelingt nur, wenn beide bereit sind, wahre Intimität zu erlernen. Zusammen und trotzdem allein? Viele Paare leiden unter dem Gefühl einer schleichenden Entfremdung, wenn die hormongesteuerte Phase der Verliebtheit vorüber ist. Sie vermissen schmerzlich die Momente großer, exklusiver Nähe, welche eine Beziehung über viele Jahre und über Schwierigkeiten hinweg tragen könnten. Das Buch konzentriert sich deshalb auf die Frage nach der wahren Intimität in Paarbeziehungen. Worin besteht sie genau? Wie lässt sie sich wiederfinden? Wie beeinflusst sie die Qualität der Sexualität und wie hängt guter Sex mit Intimität zusammen? Intimität fällt Paaren nicht zu, so die Erfahrung des Paartherapeuten. Beide müssen bereit sein, psychische Entwicklungsschritte zu gehen, immer wieder.

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TOBIAS RULAND

DIE PSYCHOLOGIE DER INTIMITÄT

WAS LIEBEUND SEXUALITÄTMITEINANDERZU TUN HABEN

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2015 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Rothfos & Gabler, Hamburg

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-96260-4

E-Book: ISBN 978-3-608-10773-9

Dieses E-Book entspricht der aktuellen Auflage der Printausgabe

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Für Amelie, Jonas, Nuno, Elisa, Julianund alle anderen Kinder dieser Welt.

Mögen sie die Kraft finden, besser zu lieben.

»Du bist der einzige Mensch auf dieser Welt,mit dem ich einmal durch die Hölleund wieder zurück gehen würde.«

PATRICIA

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

1 WAS PARTNERSCHAFTEN BEGRÜNDET UND WESHALB ES PESSIMISTISCHE PAARTHERAPEUTEN GIBT

Weshalb »zueinander passen« Beziehungsprobleme nicht verhindert

Weshalb »Akzeptanz« Beziehungsprobleme nicht löst

Die Differenzierung des Selbst

Die kollaborative Allianz

Weshalb es pessimistische Paartherapeuten gibt

Zusammenfassung

2 WIE AUS HEISSER LIEBE GEGENSEITIGE VERACHTUNG WIRD

Der apokalyptische Berserker

»Kommunikationsprobleme« sind meist die Inkarnation des apokalyptischen Berserkers

Wie Machtspiele und Verletzungen Beziehungen zerfressen

Der Einfluss von Kindheitserfahrungen

Verletzung durch narzisstische Persönlichkeitszüge

Verletzung durch emotionale Verschmelzung

Gedankenspiegeln kann Verletzungen verursachen und verstärken

Wie die Differenzierung des Selbst auf die beschriebenen Probleme einwirkt

Zusammenfassung

3 WIE INTIMITÄT ZWISCHEN MENSCHEN ENTSTEHT UND WESHALB SIE SCHÖN UND BEÄNGSTIGEND ZUGLEICH SEIN KANN

Versuch einer Definition

Weshalb Intimität schön und beängstigend zugleich sein kann

Weshalb die Fähigkeit zu selbstbestätigter Intimität für intime Paarbeziehungen unverzichtbar ist

»Das will ich gar nicht so genau wissen«

Warum viele Menschen Intimität lieber nicht suchen

Die Rolle des Gedankenspiegelns für Intimität

Drei Sekunden aus meinem Leben

Der Unterschied zwischen Anfassen und Berühren

Die wichtigste Voraussetzung für intime Beziehungen sitzt im präfrontalen Kortex

Zusammenfassung

4 KONSTRUKTIVE BEZIEHUNGSKONFLIKTE

Einfluss emotionaler Pattsituationen auf die Intimität

Die Akzeptanzfalle innerhalb emotionaler Pattsituationen

Wie aus einem »Problem« ein konstruktiver Antrieb für die Paarbeziehung werden kann

Die Rolle des »Sich-füreinander-Entscheidens«

Zu sich selbst stehen

Berechtigte Anliegen verstehen und respektieren

Kollaborative Konfrontation

Narzisstische Wunden behindern die kollaborative Konfrontation

Kollaborative Konfliktlösung ist der Motor der Intimität einer Paarbeziehung

Zusammenfassung

5 SEXUALITÄT ALS SPIEGEL DER INTIMEN PAARBEZIEHUNG

Spiegel 1: Hingabe und kollaborative Allianz

Spiegel 2: Narzissmus und Fremdbestätigung

Spiegel 3: Machtgefüge und Einsatz des apokalyptischen Berserkers

Wie »Geben« und »Nehmen» und intime Paarbeziehungen zusammenhängen

Weshalb Sexualität nicht immer intim ist

Stufe 1: Der Feind in deinem Bett

Stufe 2: Die Gummipuppe

Stufe 3: Wie war ich, Schatz?

Stufe 4: Gemeinsam Spaß haben

Stufe 5: Liebende Synergie

Stufe 6: Die kollaborative Union

Hingabe und Teamplay

Zusammenfassung

6 ÜBER DAS WACHSEN INTIMER PAARBEZIEHUNGEN

Puzzlestein 1: Selbstbestätigte Intimität

Puzzlestein 2: Kollaborative Allianzen aufbauen und pflegen

Puzzlestein 3: Entscheidung/Commitment

Puzzlestein 4: Selbstberuhigung und Hingabe

Puzzlestein 5: Die Anliegen des Partners ernst nehmen

Puzzlestein 6: Gegenseitiges Wohlwollen

Puzzlestein 7: Die körperliche Beziehung pflegen

Puzzlestein 8: Momente der Begegnung schaffen

Puzzlestein 9: Die eigenen Emotionen beobachten und steuern

Per aspera ad astra

Zusammenfassung

LITERATUR

ANMERKUNG

REGISTER

VORWORT

Wann immer ich mit Menschen persönlicher ins Gespräch komme, stelle ich fest, dass viele eine tiefe Sehnsucht nach dem hegen, was sie selbst mit ganz unterschiedlichen Begriffen belegen, was aber letztendlich Intimität im Sinne dieses Buches ist. Nicht wenige ziehen aus, um eine Partnerschaft auf Augenhöhe zu erleben, festen Schrittes auf einen anderen Menschen zuzugehen und ihm die Hand zu reichen, weil gemeinsam das Leben schöner ist als allein, weil sich Probleme im Team oft leichter lösen lassen denn als Alleinkämpfer und weil intensive Momente der Begegnung dauerhaft und reproduzierbar eben nur zwischen zwei Liebenden entstehen. Und wer sich auf diese Suche begibt, der wird irgendwann feststellen, dass alles weniger einfach ist, als er sich das mit 20 Jahren vorgestellt hatte. Nicht wenige verzweifeln an dieser Aufgabe, manche werden krank, einige nehmen sich sogar das Leben.

Zum Experten für intime Zweierbeziehungen bin ich nicht freiwillig geworden. Ich habe selbst viele gute, manche schlechte und einige traumatische Erfahrungen machen müssen, um all das zu lernen, was ich in diesem Buch niedergeschrieben habe. Der Inhalt dieses Buches bedeutet mir sehr viel und repräsentiert ein Zwischenergebnis meines eigenen fast 20-jährigen Forschens nach dem, was ich als »Intimität« kennengelernt habe. Müsste ich den Inhalt in einem Satz zusammenfassen, würde ich sagen: »Intimität gedeiht dann, wenn es zwei Menschen gelingt, trotz der unvermeidlichen Probleme und Verletzungen des Lebens immer den Respekt füreinander zu bewahren, sich einander authentisch zu offenbaren und jede sich bietende Gelegenheit zu nutzen, um sich auf Augenhöhe zu begegnen.«

Als promovierter Ingenieur gab ich mich nie mit Antworten wie »das ist eben so« oder »multifaktoriell« zufrieden. Ich beschäftigte mich über Jahre mit konkreten Fragestellungen wie: Welche Fähigkeiten benötigt ein Mensch, der eine intime Paarbeziehung führen möchte? Wie kann es geschehen, dass aus einem ehemaligen Traumpaar zwei Reptilien werden, die sich erbittert bekämpfen? Wie wird ein Mensch – wenn überhaupt – beziehungsfähig? Wie lange dauert es, beziehungsfähig zu werden? Welche Faktoren in der persönlichen Entwicklung behindern Paarbeziehungen? Warum sagt man dem Menschen, den man am meisten liebt, nicht die Wahrheit? Was ist Liebe überhaupt? Und was ist Intimität? Warum kommt die sexuelle Beziehung bei den meisten Paaren zum Erliegen, obwohl Sex doch so wichtig zu sein scheint? Was macht ein gutes Team aus? Woran kann sich eine Paarbeziehung orientieren, wenn sie in raue See gerät? Was vergiftet die Atmosphäre? Wer ist daran »schuld«? Und wie kann man das besser machen?

Je tiefer ich forschte, umso mehr Fragen tauchten auf. Ich las ungezählte Bücher, besuchte Seminare, begann, in eigener Praxis mit Klienten zu arbeiten, die ebenfalls auf der Suche nach Antworten auf ähnliche Fragen waren, und irgendwann war ich an einem Punkt angelangt, mein Wissen in ein Buch gießen zu wollen, um anderen Menschen einen einfacheren Zugang zum Phänomen der Intimität zu ermöglichen, der für sie mit weniger Leid, weniger Schmerzen und weniger Aufwand verbunden sein möge, als er es für mich war. Man muss zwar Leid, Angst und Zwang aushalten lernen, wenn man zu einer intimen Paarbeziehung gelangen möchte, aber ich bin überzeugt, der notwendige Schmerz lässt sich durch fachkundige Anleitung minimieren.

Meinem geschätzten Lektor, Dr. Heinz Beyer, sei dafür gedankt, dass er an einen vollkommen unbekannten Autor geglaubt und mir Gelegenheit gegeben hat, mein Buch in einem so renommierten Haus verlegen zu lassen. Ebenfalls gedankt sei den vielen Wissenschaftlern, auf deren Forschung ich aufbauen konnte. Dr. David Schnarch (Evergreen) hat mir über Jahre durch seine Bücher und Seminare geholfen, meine zum Teil diffusen Gedanken und Ideen zu strukturieren. Prof. Dr. Markus Heinrichs (Freiburg) und Dr. Farah Kuster (Basel) haben mich mit Hinweisen und Literatur bei meiner Arbeit unterstützt.

Hinweis des Autors

Sämtliche Menschen, Begebenheiten und Schicksale, die in diesem Buch beschrieben sind, sind echt und authentisch und so wiedergegeben, wie ich glaube, sie beobachtet zu haben. Ich habe lediglich die Namen, Orte und Lebensumstände der Menschen verfremdet, um ihre Anonymität zu schützen.

München, im Juli 2014

1WAS PARTNERSCHAFTEN BEGRÜNDET UND WESHALB ES PESSIMISTISCHE PAARTHERAPEUTEN GIBT

Wenn ich mit Paaren an der Verbesserung ihrer Beziehung arbeite, lautet eine meiner Standardfragen: »Es gibt mehr als sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten, mehr als dreieinhalb Milliarden Männer und über dreieinhalb Milliarden Frauen. Weshalb sollten Sie ausgerechnet diesem Menschen an Ihrer Seite Ihren Arm anbieten und sagen: Komm, wir gehen den Weg gemeinsam?« Ich bin jedes Mal überrascht, welch innovative Antworten die Menschen in Sekundenbruchteilen finden, weil sie denken, dem Herren Paartherapeuten schnell eine akzeptable Antwort liefern zu müssen. Die Antworten sind zuweilen so innovativ, dass ich ein zweites Mal nachfragen muss, um mir selbst den Sinn des eben Gesagten zu vergegenwärtigen.

40 Jahre nach der Erstausgabe von Jürg Willis »Die Zweierbeziehung«, ein Meilenstein der Paarforschungsliteratur, beobachte ich, dass es den meisten Menschen schlicht und ergreifend egal ist, wie Partnerschaften entstehen, was Paare zusammenhält oder trennt und was die wissenschaftlich betriebene Psychologie zu den Motivationen von Paarbildung und -bindung zu sagen hat. Obwohl die entsprechende Literatur gut zugänglich und in der Regel leicht zu verstehen ist, interessieren sich verhältnismäßig wenige Menschen für diese Fragen, während deutlich mehr Menschen in einer Partnerschaft leben (und sich mit Partnerschaftsproblemen auseinandersetzen müssen) oder sich eine erfüllende Partnerschaft wünschen. Vermutlich ist es nicht so, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse falsch wären oder die zugrunde liegenden Fragestellungen irrelevant, sondern vielmehr scheinen sich die Menschen von anderen Überlegungen leiten zu lassen, die häufig so oder so ähnlich klingen: »Zuerst suche ich mir einen passenden Partner, und was dann kommt, werden wir sehen. Es wird schon gutgehen, denn meine Eltern haben das ja auch irgendwie hinbekommen.« Paare lernen sich am Arbeitsplatz, im Studium, auf Partys bzw. über gemeinsame Freunde oder seit einigen Jahren über Internetplattformen kennen, verabreden sich, verlieben sich, verbringen gemeinsam schöne Stunden und sind »plötzlich« ein Paar, weil es sich gut und richtig anfühlt. Und weil es sich gut und richtig anfühlt – insbesondere solange der Körper die einschlägigen Hormone ausschüttet, die uns in einen regelrechten Rausch zu versetzen vermögen –, kann es so falsch nicht sein. Die Frischverliebten sind optimistisch, gemeinsam auch schwierigere Zeiten meistern zu können, denn solange ich mich in Gegenwart des Partners wohlfühle, haben wir ein Team, das gemeinsam mehr schaffen kann als jeder für sich allein. Was für ein großartiger Zufall, dass ausgerechnet wir uns getroffen haben! Auf dich habe ich mein Leben lang gewartet! Bingo!

Dieses unbestreitbar wundervolle Gefühl, den richtigen Menschen für alles gefunden zu haben, was gemeinsam leichter ist und mehr Spaß macht als allein, verschleiert die eingangs erwähnten Fragen nach der eigentlichen Motivation für die Zweierbeziehung. Meine Beobachtungen bei der Arbeit mit Paaren legen sogar die Vermutung nahe, dass viele Menschen lieber nicht über ihre eigene Motivation oder die Motivation ihres Partners nachdenken möchten, weil die Wahrheit unter Umständen unerträglich schmerzhaft ist. Es erfordert sehr viel Stärke, sich einzugestehen, dass man vielleicht nur zweite Wahl gewesen ist, weil der Ehemann eigentlich eine andere Frau haben wollte, die er nicht bekommen hat; oder dass man selbst nicht für seinen eigenen Lebensunterhalt sorgen kann und einen Ernährer und Finanzier braucht; oder dass man zu faul oder ungeschickt ist, sein Essen selbst zu kochen oder seine Hemden selbst zu bügeln; oder dass man eigentlich primär als liebevoller Papa und Versorger willkommen ist, aber die Ehefrau eigentlich kein Interesse am Mann bzw. Menschen hat; oder dass die Partnerin ohne Schulabschluss seit ihrer Kindheit an einem instabilen Selbstwert leidet und ihre Wahl primär auf einen Akademiker fallen musste, um endlich »Frau Dr.« zu werden; oder dass man als Alkoholiker für jeden Nicht-Alkoholiker vollkommen unattraktiv ist und man deshalb als Partner einen anderen Alkoholiker anzog, der froh war, jemanden zu haben, der sich um ihn kümmert; oder dass man einfach nicht allein sein kann und jemanden braucht, der mehr Interaktionsmöglichkeiten als ein Hund bietet. Derartige Überlegungen sind schmerzhaft und können eine enorme Belastung für die eigene Psyche und die Partnerschaft insgesamt darstellen, und je besser die Verdrängung der schmerzhaften Tatsachen funktioniert, umso weniger Leid muss der Einzelne aushalten. Nur eine verschwindend kleine Minderheit der Paare macht sich zu Beginn der Partnerschaft bewusst Gedanken darüber, warum sie denn überhaupt ein Paar sein wollen und warum es ausgerechnet dieser eine Mensch (aus über 7 Milliarden Möglichkeiten) sein soll, mit dem man den gemeinsamen Weg gehen möchte. Die Mehrzahl der Paare gibt Antworten, die sich in die Kategorien »gemeinsam Spaß haben«, »sich gegenseitig unterstützen«, »eine Familie gründen« oder »sich lieben« einordnen lassen, und einige reagieren sogar gereizt oder verstehen (vorgeblich) den Sinn der Frage nicht, weil derartige Überlegungen für sie neu sind. Und eine gar nicht so seltene Antwort lautet: »Ich bin da einfach so reingerutscht.«

Häufig genannte Motive bei der Partnerwahl

Äußerliche Ähnlichkeiten (Körpergröße, Gewicht, Kleidung)Ähnliches oder höheres EinkommensniveauStatus des PartnersGesundheitGemeinsame Interessen, Hobbys, FreundeskreisÄhnliche religiöse oder politische EinstellungSicherheit, Verlässlichkeit, TreueÄhnliche Familienplanung, KinderliebeAlter des PartnersBildungsgrad und IntelligenzRespektvolles AuftretenOffenheit, EhrlichkeitGeduldiger, toleranter CharakterSexuelle Aktivität und sexuelles InteresseOrdentlichkeit, SauberkeitÄhnliche Vorstellungen bei der HaushaltsführungÜbereinstimmung in finanziellen FragenPhysische Attraktivität (Körpermerkmale)Leidenschaft

Menschen beginnen und führen Partnerschaften aus ganz unterschiedlichen Motiven. Diese Faktoren werden regelmäßig durch psychologische Umfragen, soziologische Studien, Tests in Zeitschriften oder entsprechende Literatur beleuchtet, veröffentlicht und wohlwollend zur Kenntnis genommen, und sie spiegeln wider, was sich Menschen zum jeweiligen Zeitpunkt von einer Partnerschaft versprechen, was sie zu finden hoffen, welche Bedürfnisse oder Sehnsüchte sie durch die Partnerschaft zu stillen versuchen und was oder wen sie attraktiv finden. Wenn die Sexualität eine wichtige Rolle im Leben eines Menschen einnimmt, wird er tendenziell einen Partner suchen, mit dem Sexualität gemeinsam gelebt und erlebt werden kann. Wenn man selbst nicht in der Lage ist, einen Haushalt zu führen, sucht man jemanden, der das gut kann und die Aufgabe bereitwillig übernimmt. Wer eine Familie gründen möchte, wird einen Partner suchen, der entweder eine gute Mutter oder einen engagierten Versorger abgibt. Wer sich selbst seinen Lebensstil nicht finanzieren kann, findet diejenigen Menschen besonders attraktiv, die über die notwendigen finanziellen Mittel verfügen und die Rechnung gerne und großzügig übernehmen. Es gibt Hunderte dieser Motivationen, sie treiben die Menschen häufig unbewusst und können sich mit den Jahren wandeln.

Laut (Allensbach 2012) glaubt 66% der deutschen Bevölkerung an »die Liebe fürs Leben«, was impliziert, dass die Befragten grundsätzlich bereit zu sein scheinen, auch sich verändernden Lebenszielen und -umständen anzupassen und eine Beziehung auch dann noch zu führen, wenn »nichts mehr so ist wie am Anfang«. Die Fähigkeit, diesen Wunsch auch in die Tat umzusetzen, entscheidet darüber, wie nahe sich zwei Menschen im Rahmen der Paarbeziehung kommen können und ob sie langfristig (also in einer Jahre bzw. Jahrzehnte andauernden Partnerschaft) das erleben, was in diesem Buch »Intimität« genannt werden wird.

Weshalb »zueinander passen« Beziehungsprobleme nicht verhindert

Wenn Menschen sagen, sie wünschen sich einen Partner, der zu ihnen passt, sprechen sie fast immer von dem, was die Paarforschung eine funktionierende »kollusive Allianz« (von lat. colludere »zusammenspielen, unter einer Decke stecken«) nennt. Bei einer kollusiven Allianz passen die Vorlieben und Erwartungen der Partner so zusammen, dass sie sich relativ mühelos ergänzen und zueinander passen wie der Schlüssel ins Schloss. Die Menschen ergänzen sich hinsichtlich bestimmter eigener Bedürfnisse und gehen damit einen meist unbewussten »Tauschhandel« ein. Je mehr Ebenen des Tauschhandels existieren, umso perfekter erscheint den Beteiligten die Passung. Beispiele für kollusive Passungen sind:

Eine Frau, die leidenschaftlich gerne kocht, sucht sich einen Partner, der leidenschaftlich gerne isst. Durch ihre Kochkünste erhöht sie einerseits das körperliche Wohlbefinden des Partners, andererseits erhält sie Anerkennung für das, was sie auf den Tisch zaubert.

Ein praktisch veranlagter Mann wählt eine Frau, die in handwerklichen Belangen eher unbeholfen ist. Während sie dankbar dafür ist, dass ihr jemand den Reifendruck prüft und die Glühbirnen wechselt, fühlt er sich gebraucht und erhält von ihr regelmäßig die Anerkennung, »es gut gemacht« zu haben.

Eine Frau, die gerne Mutter werden möchte, wählt einen Mann, der gerne Vater werden möchte und über ein ausreichendes Einkommen verfügt, um als Versorger in Betracht zu kommen. Während sie sich zu Hause um die Erziehung der kleinen Kinder kümmert, sorgt er für das Familieneinkommen. Ihre Bereitschaft, sich intensiv um die (seine) Kinder zu kümmern und auf Karriere zu verzichten, wird von seiner Seite mitfinanzieller Sicherheit ausgeglichen.

Ein Mann mit instabilem Selbstwert, der sich aus einfachsten Verhältnissen hochgearbeitet hat und ein gutes Einkommen erzielt, heiratet eine Frau, die selbst wenig Geld besitzt, aber aus einer adeligen Familie stammt, die Status und Ansehen genießt. Durch den höheren Status der Familie der Ehefrau stützt der Mann seinen Selbstwert, während die Frau im Austausch die finanziellen Mittel erhält, ein dem Status ihrer Familie angemessenes Leben zu führen.

Aus diesen wenigen Beispielen aus Abertausenden von Möglichkeiten wird ersichtlich, dass kollusive Passungen nicht grundsätzlich ein Problem sind und in nahezu allen Partnerschaften in der einen oder anderen Form auftreten. Wenn man eine Partnerschaft als »Geben und Nehmen« betrachtet, dann werden sich in westlichen Gesellschaften sozialisierte Menschen automatisch mithilfe kollusiver Passungen arrangieren, und es werden Partnerschaften geführt, die auf diesen Passungen aufbauen. Auf diese Weise ergänzen sich die Partner gegenseitig, führen eine oft sinnvolle Funktionsteilung durch und integrieren ihre individuellen Stärken und Schwächen zu einem neuen, übergeordneten Ganzen. Das wird von den Partnern in der Regel als Bereicherung verstanden, und je größer die Anzahl dieser Passungen bzw. je gewichtiger ein individuelles Bedürfnis, das durch den Partner befriedigt wird, umso mehr haben die Beteiligten das Gefühl, den »richtigen« Partner zu haben. Kommen dann noch weitere attraktive Merkmale (angenehmer Charakter, schöner Körper etc.) hinzu und fehlen abstoßende Merkmale (unangenehme Angewohnheiten, Unsauberkeit, schiefe Zähne etc.), hat man das Gefühl, dass der Partner zu einem »passt«.

Der unbestrittene Charme der kollusiven Allianz ist, dass beide Partner mit den Mitteln, über die sie ohnehin verfügen (also z.B. Kochkünste, finanzielle Mittel, sexuelle Fertigkeiten, sozialer Status, Freude an handwerklicher Tätigkeit, ein attraktives Äußeres), exakt das Bedürfnis des Partners befriedigen. Das individuelle Talent ist der Schlüssel zum Bedürfnis des Partners. Mit vergleichsweise wenig Aufwand (und vielleicht sogar Freude) kann man seinem Partner ein Wohlgefühl vermitteln, das so gut zu seinen Wünschen passt, dass er nicht nur glücklich ist und damit bestätigen kann, dass man »gut genug« ist, sondern im Austausch auch gerne etwas von sich gibt.

Allerdings hat die Grundannahme der kollusiven Allianz, es sei Aufgabe der Partnerschaft, den beiden Partnern wechselseitig ein Höchstmaß an Wohlgefühl zu vermitteln, auch negative Auswirkungen, die zwar von den meisten Menschen in ihrer Beziehung im Laufe der Zeit beobachtet, aber nicht unmittelbar mit den Grundpfeilern der Partnerschaft in Verbindung gebracht werden.

Das erste Problem ist das inhärente Machtgefälle in einer kollusiven Passung. »Macht« ist in diesem Zusammenhang als Kompetenz zu verstehen. Der eine vertritt in der Partnerschaft eine bestimmte Kompetenz, während der andere sein Leben lang diesbezüglich weniger kompetent bleibt. Auch wenn dieses Kompetenzgefälle anfänglich nicht als störend wahrgenommen wird und im Rahmen einer Aufgabenteilung als Bereicherung empfunden werden kann, da beide von der kollusiven Passung profitieren, hat diese Konstellation Konsequenzen.

Erste Konsequenz: Der Inkompetentere ist vom Partner abhängig. Mit einer Abhängigkeitssituation konstruktiv umzugehen erfordert jedoch zwei Menschen, die einen stabilen Selbstwert aufweisen. Da viele Menschen genau diesen nicht entwickelt haben, besteht in einer Abhängigkeitssituation zwangsläufig eine implizite Hierarchie, die früher oder später zum Konflikt führt. Während der Kompetente sich seinem Partner überlegen fühlt (»Ich zaubere mühelos das beste Festmahl, und er kann sich nicht einmal ein Spiegelei braten!«), gerät der Inkompetente in die Rolle des offensichtlich unterlegenen Abhängigen und unternimmt mit großer Wahrscheinlichkeit etwas, was seinen Selbstwert stabilisiert, aber der Partnerschaft Schaden zufügt.

Zweite Konsequenz: Die Kompetenz kann jederzeit als Druckmittel eingesetzt werden, um den Inkompetenten gefügig zu machen. Die Köchin kann damit drohen, das Kochen einzustellen. Der Wohlhabende kann damit drohen, die Kreditkarte sperren zu lassen. Die eigentlich sexuell interessierte Frau steuert ihren Partner über das Maß an sexueller Zuwendung, um ihn gefügig zu machen. Daraus kann ein Kreislauf von gegenseitiger Abwertung und emotionalem Rückzug entstehen.

Ein weiteres Problem kollusiver Passungen ist die implizite Annahme, man müsse sich selbst und dem Partner ein Wohlgefühl vermitteln und dürfe ihn nicht beunruhigen bzw. nicht durch den Partner beunruhigt werden. Diese Annahme kann zu einer ganzen Reihe von Problemen innerhalb der Beziehung führen, wie z.B. dass der Zuwendungsempfänger Unbehagen empfindet, wenn die Zuwendung einmal ausbleibt, oder es der Zuwendungsgeber als seine »Pflicht« betrachtet, die Zuwendung jederzeit zu gewähren. Die Zuwendung wird damit von einer ursprünglich freiwilligen Leistung durch konsistentes Verhalten zu einer Verpflichtung, die auch dann erbracht werden »muss«, wenn der Zuwendungsgeber die Zuwendung eigentlich nicht mehr leisten kann oder leisten will. Im Extremfall kann das zur Selbstaufgabe des Zuwendungsgebers führen, wenn er seine eigenen Grenzen übermäßig strapaziert. Eine ausgeprägte Anspruchshaltung des Zuwendungsempfängers gegenüber dem Zuwendungsgeber kann die Situation zusätzlich verschärfen, insbesondere wenn die eigene Kompetenz des Zuwendungsempfängers nie entwickelt wurde.

Die implizite Grundannahme der kollusiven Allianz, dass man sich gegenseitig möglichst nicht beunruhigen möge, kann zu einer Vielzahl von Symptomen führen, die langfristig eine Partnerschaft aushöhlen und das Näheempfinden zwischen beiden Partnern empfindlich stören können:

Die Partner erzählen sich nicht offen ihre Gedanken, um den anderen nicht zu beunruhigen. Die eigenen Gedanken sind so, dass man glaubt, sie dem Partner nicht zumuten zu können.

Die Partner fragen aus Angst vor der Antwort nicht genau nach. (»Das will ich gar nicht so genau wissen!«)

Die Partner scheuen es, sich gegenseitig mit offensichtlichen Problemen zu konfrontieren, und schweigen sie lieber tot. Zuweilen wird hieraus sogar eine weitere kollusive Passung. (»Ich sage dir nicht, wie fett du geworden bist, dafür konfrontierst du mich nicht mit meinen sexuellen Unzulänglichkeiten.«)

Die Motivationen innerhalb der Partnerschaft (»Warum tut der andere, was er tut?«) werden nicht hinterfragt. Solange die individuellen Aufgaben problemlos erledigt werden, erscheint oberflächlich betrachtet alles unkompliziert und partnerschaftlich. Dass jedoch die engagierte Köchin eventuell nur deshalb kocht, weil sie dafür im Austausch Anerkennung und Aufmerksamkeit erhält, möchte man lieber nicht genau hinterfragen. Wenn man seine eigenen und die Motivationen des Partners jedoch nicht hinterfragt, dann ist es für beide leicht, einer Selbsttäuschung zu erliegen, die irgendwann buchstäblich ent-täuscht wird.

Die eigene Unfähigkeit, das eigene Unbehagen zu besänftigen, wird als Waffe eingesetzt. (»Tu dies oder das nicht, sonst bekomme ich wieder meine Migräne!«)

Die Partner stellen ihre eigenen Bedürfnisse zurück und hören auf, sie zu äußern. Eine Frau, die von ihrem Partner beispielsweise schon mehrmals beim Versuch, ihn zu küssen, zurückgewiesen wurde, stellt ihre Bemühungen um das Küssen ganz ein, obwohl es ihr selbst möglicherweise sehr viel bedeutet.

Das dritte Problem innerhalb einer kollusiven Allianz sind die Lebensbereiche, in denen keine kollusive Passung gegeben ist. Solange beide kein Interesse an dem jeweiligen Lebensbereich haben, gibt es kein Konfliktpotenzial. Allerdings treten häufig Probleme auf, wenn die Partner hinsichtlich eines Lebensbereiches unterschiedliche Vorstellungen (z.B. Kindererziehung) haben. Wenn sich beide in diesem Lebensbereich engagieren wollen, kommt es über die unterschiedlichen Vorstellungen zu Auseinandersetzungen, da ohne kollusive Passung kein automatischer Austausch von wechselseitigen Vorteilen gegeben ist. Hat ein Partner Interesse an einem Lebensbereich, für den sich der andere nicht interessiert, und sind beide an das Funktionieren kollusiver Passungen gewöhnt, kann das Fehlen einer solchen Passung als »Makel« der Partnerschaft erscheinen (oftmals bemängelt der am Lebensbereich Interessierte das fehlende Interesse seines Partners oder blickt aus diesem Grunde auf ihn herab oder versucht, ihn zu »bekehren«). Beispielsweise kann ein Partner großes Interesse an Sport oder gesunder Ernährung haben, der andere nicht. Während der Sportler Stunden im Fitnessstudio oder auf dem Fahrrad verbringt, versteht der andere die sportliche Begeisterung nicht. Wenn beide mit dieser unterschiedlichen Verteilung der Interessen nicht umgehen können, kann es geschehen, dass der »Sportler« auf den »faulen« Nicht-Sportler herabblickt und versucht, ihn zum Sport zu bekehren – was dieser häufig als unerträglichen Eingriff in seine Autonomie wahrnimmt. Umgekehrt kann der Nicht-Sportler aufgrund der übermäßigen Begeisterung seines Partners unsicher werden (bzw. ein schlechtes Gewissen bekommen), ob nicht etwas mehr sportliche Aktivität angemessen wäre. Er fühlt sich dann in einer moralisch unterlegenen Position mit den in Kapitel 2 erläuterten Konsequenzen.

Das vierte Problem in einer kollusiven Allianz ist die Verknüpfung von Liebe und Nähe mit dem Grad der kollusiven Passung. Solange die individuellen Beiträge geleistet werden (können) und die kollusive Allianz funktioniert, erleben beide Partner Nähe und bezeichnen das, was sie erleben, als funktionierende oder liebevolle Partnerschaft. Sobald die kollusiven Passungen ins Wanken geraten, geht die Nähe verloren und nehmen die Partner einen Verlust an Liebe wahr, da »Liebe« nicht selten mit dem Aneinanderhängen (bzw. Aufeinander-Angewiesensein zur Erhaltung von Wohlbefinden) innerhalb einer kollusiven Passung verwechselt wird (»ich liebe dich, weil ich dich brauche«). Da die wichtigste Eigenschaft einer kollusiven Allianz ist, dass die Beteiligten mithilfe der ihnen eigenen Eigenschaften bzw. Talente (z.B. Kochkunst, Wohlstand, Status) positiv erlebte Gefühle austauschen, wie z.B. körperliche Zuwendung, finanzielle Sicherheit, partnerschaftliche Sicherheit (»Treue«), Selbstwertstabilisierung, Versorgung, und der jeweilige Zuwendungsempfänger von diesen positiven Gefühlen profitiert, fühlt sich eine funktionierende kollusive Allianz behaglich an; doch das gilt nur, solange beide Partner ausreichende Eigenschaften mitbringen, um dem jeweils anderen genau die Gefühle zu vermitteln, die sich dieser gerade wünscht. Leider hat diese Behaglichkeit ein Verfallsdatum. Das Verfallsdatum ist der Tag, an dem der Empfänger plötzlich andere Bedürfnisse entwickelt (bzw. die früheren Bedürfnisse gestillt sind) oder der Gebende die Bedürfnisse des Empfängers nicht mehr erfüllen kann oder erfüllen will.

Beispielhafte Szenarien sind:

Die ehemals leidenschaftliche Köchin ist es leid, einen alternden und verfettenden Partner zu versorgen, der nicht einmal fähig ist, sich selbst ein Spiegelei zu braten.

Der durch Heirat erworbene soziale Status wird zur Selbstverständlichkeit und ist irgendwann nicht mehr geeignet, denSelbstwert zu stabilisieren. Aus diesem Grunde müssen gekaufte (oder erschwindelte) Doktortitel, die platinfarbene Kreditkarte oder teure Sportwagen diese Funktion übernehmen, was dann jedoch nicht mehr Teil der ehemals kollusiven Passung ist.

Der ehemals großzügige Geldgeber verliert seinen Arbeitsplatzund/oder sein Vermögen.

Die ehemals auf großzügige finanzielle Zuwendung angewiesene Frau erbt das Vermögen ihrer Eltern. Da sie nun finanziell unabhängig ist, lassen ihre Bemühungen in anderen Bereichen der Partnerschaft nach, denn sie ist auf ihren Partner »nicht mehr angewiesen«.

Ein Partner erkrankt und kann die Form der Zuwendung nicht mehr leisten, die er vormals mühelos geben konnte.

Sobald derartige Szenarien eintreten, gerät die kollusive Allianz aus dem Gleichgewicht, weil der von den Partnern oft unbewusste und häufig unausgesprochene Austausch nicht mehr funktioniert. Einer (oder beide) hat das Gefühl, der implizite Partnerschaftsvertrag sei verletzt, und sagt, so habe man sich das nicht vorgestellt. Da die Zweierbeziehung auf tönernen kollusiven Füßen stand, deren Grundlage sich nun verändert hat, gerät sie in eine Krise. Es gibt sogar kollusive Verbindungen mit einer von vornherein angelegten Krise, wie z.B. einem sexuell aktiven und interessierten Menschen und einem sexuell weniger aktiven und unerfahreneren Partner. Zu Beginn besteht eine Kollusion der Art: »Der sexuell Interessiertere ist attraktiv, weil er dem sexuell Unerfahrenen eine neue Welt zeigen kann. Der sexuell Unerfahrene ist attraktiv, weil der sexuell Erfahrene seine Kenntnisse und Fähigkeiten präsentieren kann und dadurch Bewunderung und Beachtung erhält.« Wenn allerdings der sexuell weniger Interessierte im Verlauf der Beziehung nicht mehr eigenes Interesse entwickelt, wird der sexuell Erfahrenere es in absehbarer Frist leid sein, Entwicklungshilfe zu leisten, und der sexuell Unerfahrene wird sich nicht mehr belehren lassen wollen. Eine Krise dieser Art ist von Beginn an Bestandteil der Kollusion, damit unvermeidlich und langfristig nur durch die Weiterentwicklung zu einer anderen Beziehungsform abwendbar.

In einer Partnerschaftskrise beharren die Beteiligten häufig darauf, dass sie von ihrem Partner so akzeptiert werden möchten, wie sie sind. Die kollusiven Passungen haben sich verschoben und damit die Grundlagen der kollusiven Allianz. Die ehemals perfekte Passung zeigt Risse, und in der Partnerschaft brechen durch unterschiedliche Erwartungen unvermeidlich Konflikte auf.

Weshalb »Akzeptanz« Beziehungsprobleme nicht löst

Aus den vorgenannten Gründen ist das Wohlgefühl der kollusiven Allianz trügerisch. Sie geht von Bedingungen aus, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht dauerhaft (noch seltener lebenslang) erfüllt sein werden. Eine kollusive Allianz ist vergleichbar mit Bettnässen. Anfänglich fühlt es sich warm und behaglich an, mit der Zeit wird es jedoch zunehmend ungemütlicher. Wenn man dann im nasskalten Bett liegt, muss man ziemlich große Anstrengungen unternehmen, um es wieder in Ordnung zu bringen: Man muss aufstehen, sich duschen, das Bett abziehen, vielleicht sogar die Matratze wegwerfen und erneuern. Diese großen Anstrengungen werden viele Menschen in Partnerschaftskrisen nicht aufwenden, weil sie sich daran erinnern, wie leicht und unkompliziert die kollusive Allianz war, solange sie funktioniert hat. Sie werfen ihrem Partner vor, sich verändert (oder wahlweise: nicht verändert) zu haben, und wünschen sich verständlicherweise den angenehmen Zustand der mühelos funktionierenden kollusiven Allianz zurück. Die Menschen verstehen in der Regel nicht, dass die Kollusion an sich das Problem und früher oder später zum Scheitern verurteilt ist. Sie würden den Urin liebend gerne wieder auf Körpertemperatur anwärmen, merken aber irgendwann, dass das nicht mehr möglich ist, wenn er einmal in die Matratze gesickert ist, und wissen dann nicht, wie sie sich verhalten sollen, wenn ihnen die Bewältigungsstrategien für diesen Krisenfall fehlen. Es ist viel leichter – ggf. mit einem neuen Partner –, erneut ins Bett zu pinkeln, als die klamme Bettwäsche zu wechseln, die Matratze wegzuwerfen und sich das Bettnässen für die Zukunft abzugewöhnen. Und da bereits die Eltern eine kollusive Allianz vorgelebt haben und die Nachbarn und Freunde es ebenfalls tun, erscheint sie als der natürliche und einzig mögliche Zustand einer Partnerschaft in unseren Breiten.

Eine häufig vertretene Ansicht ist aufgrund der Probleme, die zwangsweise in kollusiven Allianzen entstehen, die Menschen stellten unrealistisch hohe Ansprüche an ihre Partnerschaften. In einer leistungsorientierten Gesellschaft, in der es um die ständige Optimierung aller Lebensbereiche von A wie Arbeitsplatz über K wie Kindergarten bis Z wie Zeitmanagement geht, könnten eben nicht alle Ansprüche erfüllt werden, und es sei für das Lebensglück – und gelingende Paarbeziehungen – vielversprechender, unrealistische Erwartungen wegzulassen, als immer neue, unerfüllbare Erwartungen aufzubauen. Menschen veränderten sich – wenn überhaupt – sehr langsam, und wer mit einer unrealistischen Erwartungshaltung an seinen Partner herantrete, müsse zwangsläufig enttäuscht werden. Und tatsächlich lassen sich alle im vorigen Abschnitt beispielhaft geschilderten Szenarien zweifellos über Bescheidenheit, Akzeptanz bzw. Weglassen wieder zurück in den Wohlfühlzyklus bringen. Ist beispielsweise die ehemals leidenschaftliche Köchin es leid, einen alternden und verfettenden Partner zu versorgen, der nicht einmal fähig ist, sich selbst ein Spiegelei zu braten, so könnte sich der Partner entweder mit weniger Zuwendung seitens der Köchin bescheiden oder die Köchin ihre Autonomiebestrebungen einstellen und wieder demütig und bis an ihr Lebensende duldsam zu ihrer Kochaufgabe zurückkehren. Auf diese Weise scheinen Bescheidenheit und ihre böse Schwester, die Resignation, geeignet zu sein, das Aufbrechen kollusiver Passungen abzumildern. Diese häufig – unter Laien wie Experten – vertretene Ansicht, eine Paarbeziehung gedeihe mit Bescheidenheit besser als mit hohen Ansprüchen, die der Partner ohnehin nicht erfüllen könne, besitzt eine unbestreitbare und charmante Logik:

a) Jeder Mensch ist durch seine individuellen Erfahrungen, seine Kindheit und Jugend, seine Erziehung, seine Beziehungserfahrungen, seine Gene usw. zu dem geworden, was er heute ist mit all seinen Stärken und Schwächen, seinen Vorlieben und Abneigungen, seinen Interessen, seinem Charakter, seinen Werten und Verhaltensmustern. Jeder Mensch ist damit ein einzigartiges Lebewesen mit seinem individuellen Gewordensein. Dieses Individuum, seine Erfahrungen und seine Eigenschaften lassen sich nicht leugnen, genauso wenig wie die Tatsache, dass sich das, wie das Individuum denkt, fühlt und handelt, in seiner eigenen Erlebenswelt einen gültigen Platz besitzt und sich bewährt hat. Wäre der Mensch mit dem, was er bislang gelernt hat, nicht erfolgreich gewesen, so hätte er umlernen müssen. Er hat seinen Lebensweg bislang gemeistert, was ihm recht gibt und ihm beweist, »gut« zu sein (oder jedenfalls nicht komplett »falsch«).

b) Wenn zwei Menschen nun in Beziehung zueinander treten, dann treffen zwei unterschiedliche Gehirne der in a) beschriebenen Art aufeinander und versuchen, sich zu arrangieren. Die beiden Menschen gehen eine Beziehung ein und versuchen, einen Austausch zu finden, der beiden gerecht wird. Früher oder später werden Konfliktpunkte auftreten, bei denen ein Partner vom anderen etwas möchte, was der nicht geben kann oder geben will. Dieser Fall kann auch so in Erscheinung treten, dass ein Partner versucht, den anderen Partner zu ändern, d.h. zu einer Änderung seines Verhaltens zu bewegen.

c) Tritt der in b) beschriebene Fall ein, finden sich die beiden Partner in einem von folgenden Szenarien wieder:

Ein Partner (A) möchte etwas, der andere (B) kann es aber nicht geben (z.B. weil er krank oder körperlich oder geistig behindert ist). In diesem Fall ist das Begehren unrealistisch und wird niemals durch Nachdrängen und beharrliches Insistieren gestillt werden können. Der einzige Weg, wie (A) seinen Seelenfrieden finden kann, ist, einzusehen, dass sein Begehren unrealistisch ist, sich zu bescheiden und seinen Wunsch aufzugeben – vorausgesetzt, (A) möchte an der Partnerschaft unter diesen Umständen überhaupt festhalten.

Ein Partner (A) möchte etwas, der andere (B) könnte zwar, will es aber nicht geben. In diesem Fall ist das Begehren nicht per se unrealistisch, die Umsetzung aber mit Hindernissen verbunden.

Möglichkeit »Überredung«: (A) bedrängt (B) so lange, bis (B) nachgibt. In diesem Fall hat sich (A) durchgesetzt und (B) fühlt sich überrumpelt. Da Überreden oder gar Übervorteilen nicht unbedingt zu einem gedeihlichen Miteinander führt, ist diese Möglichkeit einer Partnerschaft selten förderlich.

Möglichkeit »Blockade«: (A) bleibt beharrlich in seinem Wunsch, (B) gibt aber nicht nach. Egal, was (A) versucht, um (B) zu überzeugen, (B) bleibt standhaft und blockiert das, was (A) möchte. Irgendwann gibt (A) auf und resigniert, weil der Aufwand an Beharrlichkeit, seinen Wunsch zu realisieren, durch die Blockade von (B) so hoch wird, dass er ihn nicht mehr leisten kann oder leisten will. Resignation ist indes keine gute Zutat für eine gedeihliche Partnerschaft und führt häufig zu innerem Rückzug.

Möglichkeit »Kompromiss«: (A) und (B) einigen sich auf einen Kompromiss, der die Belange beider Partner berücksichtigt. (A) kann zwar seinen Wunsch nicht vollständig durchsetzen, aber er erhält als Zugeständnis eine »abgespeckte« Kompromisslösung, mit der (B) sich wohlfühlt, muss dann aber Frieden schließen.

Möglichkeit »Aufgabe«: (A) bringt sein Anliegen vor, das von (B) abgelehnt wird. Da (A) unter Ausschluss der Möglichkeiten »Überredung« und »Blockade« die Aussichtslosigkeit seines Vorhabens begreift, übt sich (A) irgendwann in Bescheidenheit und gibt seinen Wunsch auf, womit der Frieden in der Beziehung wiederhergestellt ist.

d) Aus den vorstehend beschriebenen Möglichkeiten lässt sich ableiten, dass Bescheidenheit und die Beschränkung der Beziehung auf das Machbare und Realistische am förderlichsten für die Beziehung zu sein scheinen. Natürlich soll jeder seine Vorstellungen einbringen, aber wenn es schwierig wird, ist man gut beraten, den klaren Blick für das Machbare zu behalten und sich und seinem Partner nicht zu viel abzuverlangen. Wenn dieser nämlich nicht freiwillig gibt, dann wird das Anliegen die Partnerschaft ernsthaft belasten. Man muss sich damit abfinden, dass man nun einmal nicht alles haben kann, was man sich wünscht, und je früher man das einsieht, umso glücklicher wird man sein.

So logisch diese Argumentationskette in der Theorie klingt, so unsinnig ist sie in Bezug auf reale Partnerschaften, denn dort treten Probleme auf, die sich nicht so einfach durch Bescheidenheit oder Resignation auflösen lassen.

Beispiel 1: Ein Mann mit vorzeitiger Ejakulation lernt eine Fraukennen, und beide verlieben sich ineinander. Anfangs sind beide sexuell sehr aktiv, besuchen Pärchenclubs und Pornokinos und haben einen »Hausfreund« für die Dame, während der Mann gerne zusieht und in der passiven Rolle verbleibt. Das Paar wird von Freunden als Bilderbuchpaar beschrieben, bekommt drei Kinder und heiratet. Nach einigen Jahren ist derReiz der Pärchenclubs und Hausfreunde verflogen, und dieFrau wünscht sich eine innigere intime und sexuelle Beziehung mit ihrem Ehemann (und nicht einem anderen), den sie sehr liebt. Nachdem er das Problem seiner vorzeitigen Ejakulation schon seit seiner Jugend kennt und mittlerweile von großenVersagensängsten geplagt ist, zieht er sich zurück und lässt immer weniger Nähe seiner Frau zu. Diese drängt nach und wird immer häufiger abgewiesen, bis sie nach einigen Jahren aufgrund der für sie sehr belastenden Situation schwerste psychosomatische Beschwerden entwickelt, darüber arbeitsunfähig wird und mehrere Monate in Spezialkliniken und Reha-Einrichtungen verbringt.

Beispiel 2: Ein Paar wendet sich an mich, weil der Mann nach 12 Jahren Ehe eine außereheliche homosexuelle Beziehung begonnen hat. Die Frau wusste zwar vor der Ehe von den homoerotischen Interessen ihres Mannes, jedoch konnten die beiden, die sich als »gutes Team« bezeichnen, nie zu einer gemeinsamen Sexualität finden, die beiden Rechnung trägt. Die wohlhabende (aber dominante) Familie der attraktiven und intelligenten Frau schien ein Höchstmaß an Sicherheit und Wohlstand zu garantieren. Nach Aufbrechen der kollusiven Allianz versucht der Mann nun seine Autonomie – auch sexuell – wiederherzustellen.

Meine jahrelangen Beobachtungen und Gespräche mit anderen Paartherapeuten legen die Vermutung nahe, dass diese Beispiele keine Einzelfälle in meiner Praxis sind. Diese Fälle zeigen exemplarisch, dass kollusive Passungen eine Weile