Die Rheintal-Saga - Im Feuer des Lebens - Heidrun Hurst - E-Book
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Die Rheintal-Saga - Im Feuer des Lebens E-Book

Heidrun Hurst

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Beschreibung

Ein unzertrennliches Band: Der historische Roman »Die Rheintal-Saga – Im Feuer des Lebens« von Heidrun Hurst als eBook bei dotbooks. Das Rheintal im Dreißigjährigen Krieg: Als die junge Bärbel von ihren Verwandten nach Straßburg geschickt wird, um dort als Magd bei einer reichen Familie zu arbeiten, ist sie voll zarter Hoffnung – doch stattdessen stürzen sie bald Verrat und Intrigen ins Elend. In ihrer schwärzesten Stunde steht ihr einzig der junge Pfarrer Sebastian bei. Er träumt davon, in der Stadt ein Findelhaus zu gründen, das all den Kriegswaisen und Straßenkindern Obdach bieten könnte, aber dafür braucht es mehr als nur ein mutiges Herz. Wird Bärbel hier endlich ihre Bestimmung finden? Währenddessen muss sich ihr Bruder Jakob als Söldner im Heer verdingen – Blut und Schrecken werden schon bald zu seinem Alltag. Einzig der Gedanke an Elisabeth, das Dorfmädchen, dem er einst sein Herz schenkte, hält ihn am Leben … aber werden sie einander je wiedersehen? Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Die Rheintal-Saga – Im Feuer des Lebens« von Heidrun Hurst ist der zweite Band ihrer historischen Familiensaga – voller Glanz und voller Schrecken. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Das Rheintal im Dreißigjährigen Krieg: Als die junge Bärbel von ihren Verwandten nach Straßburg geschickt wird, um dort als Magd bei einer reichen Familie zu arbeiten, ist sie voll zarter Hoffnung – doch stattdessen stürzen sie bald Verrat und Intrigen ins Elend. In ihrer schwärzesten Stunde steht ihr einzig der junge Pfarrer Sebastian bei. Er träumt davon, in der Stadt ein Findelhaus zu gründen, das all den Kriegswaisen und Straßenkindern Obdach bieten könnte, aber dafür braucht es mehr als nur ein mutiges Herz. Wird Bärbel hier endlich ihre Bestimmung finden? Währenddessen muss sich ihr Bruder Jakob als Söldner im Heer verdingen – Blut und Schrecken werden schon bald zu seinem Alltag. Einzig der Gedanke an Elisabeth, das Dorfmädchen, dem er einst sein Herz schenkte, hält ihn am Leben … aber werden sie einander je wiedersehen?

Über die Autorin:

Heidrun Hurst, geboren 1966 in Kehl am Rhein, ging schon als Kind gerne mit Hilfe von Büchern auf Reisen in fremde Welten und ferne Zeiten. Ihr Hunger nach geschriebenen Abenteuern und Literatur wurde schließlich so groß, dass sie sich einige Jahre später selbst dem Schreiben widmete. Seitdem veröffentlicht sie historische Romane, für die sie mit Leidenschaft und Neugier tief in die Recherche längst vergangener Zeiten eintaucht.

Die Autorin im Internet:

www.heidrunhurst.de

www.facebook.com/heidrun.hurst

www.instagram.com/heidrunhurst/

Bei dotbooks veröffentlichte Heidrun Hurst ihre »Rheintal«-Saga:

»Die Rheintal-Saga – Die Kinder des Bergmanns«

»Die Rheintal-Saga – Im Feuer des Lebens«

»Die Rheintal-Saga – Der Beginn eines neuen Tages«

Auch bei dotbooks erscheint ihre »Straßburg«-Saga:»Der Teufel von Straßburg«

»Die Pestheilerin von Straßburg«

»Das Weib des Henkers«

Dabei ist »Der Teufel von Straßburg« als eBook, Hörbuch sowie Printausgabe erhältlich.

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Überarbeitete eBook-Neuausgabe September 2022

Dieses Buch erschien bereits 2014 unter dem Titel »Im Feuer des Lebens« bei mediaKern.

Copyright © der Originalausgabe 2014 mediaKern

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Diese Werk wurde vermittelt von der litmedia.agency, Mühlhausen-Ehingen.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98690-112-7

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Liebe Leserin, lieber Leser, in diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt – und als solches Dokument seiner Zeit von uns neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen der Autorin und des Verlags wider.

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Heidrun Hurst

Die Rheintal-Saga – Im Feuer des Lebens

Historischer Roman

dotbooks.

Im Gedenken an meine Urgroßeltern

Jakob und Elisabeth Selzer

Erster Teil

Kapitel 1Auf in den Krieg

Mai 1626

Wenn im März die Sonne damit beginnt, das Land in ihr warmes, goldenes Licht zu tauchen, erwacht die Natur zu neuem Leben. Kröten wandern zu ihren Laichgewässern, Zugvögel kehren aus fernen Ländern zurück, und die Buschwindröschen verwandeln den Waldboden in ein weißes Blütenmeer.

Nun war es Mitte Mai, der Wald roch nur noch schwach nach Bärlauch, dessen würziger Duft in den letzten Wochen durchdringend in der Luft lag, und das Rheintal hatte sich in einen Rausch aus Farben, Formen und Fruchtbarkeit verwandelt, die Jakob in sich aufsog wie trockenes Moos den Morgentau. Er prägte sich alles ein, was sich schon so viele Male vor seinen Augen vollzogen hatte. Zumindest versuchte er es. Bis zu diesem Zeitpunkt war ihm dies noch nie wichtig erschienen, nun konnte es aber gut sein, dass er dieses Wunder zum letzten Mal erlebte. Es war Zeit, Abschied zu nehmen, und er wusste nicht, ob er jemals wieder zurückkehren würde.

Ein Geräusch ließ Jakob zur Seite blicken. Sein Hund Aaron, der eben noch einem Wasservogel hinterhergejagt war, kam japsend und mit hängender Zunge zu ihm zurück. Er war lange Jahre Kettenhund auf dem Bauernhof seines Oheims gewesen. Nun genoss er seine Freiheit in vollen Zügen und schien instinktiv zu wissen, dass er seit seiner Freilassung selbst für einen vollen Magen sorgen musste. Eine Verpflichtung, der er allzu gerne nachkam, auch wenn er dieses Mal keinen Erfolg gehabt hatte.

Missmutig schüttelte Aaron sein zotteliges Fell, aus dem es Wassertropfen, zusammen mit Blättern und kleinen, abgerissenen Zweigen, regnete. Dann seufzte er, ergab sich in sein Schicksal und reihte sich neben Jakob in die Kolonne der Männer ein, deren Marsch vom gleichförmigen Takt einer Trommel begleitet wurde.

Peter, der neben Jakob marschierte, beäugte den Hund misstrauisch. Für seinen Geschmack war er viel zu groß. Noch dazu sah er nicht besonders vertrauenerweckend aus. Obwohl Peter selbst ein langer Kerl war, reichte der massige Körper des Tieres bis über sein Knie. Das struppige Fell, dessen Farben von einem hellen Braun bis zu düsterem Schwarz reichten, hatte etwas Räudiges, ja sogar Wölfisches an sich, das Peter einen leisen Schauder über den Rücken jagte. Eine lange, dunkle Nase und große Stehohren vervollständigten das Bild. Er mochte ihn nicht besonders, obwohl er seinem Herrn treu ergeben zu sein schien.

Der Hund schenkte ihm einen argwöhnischen Blick aus bernsteinfarbenen Augen, als ob er seine Gedanken erraten hätte, und Peter senkte irritiert den Kopf. Der Boden unter seinen Stiefeln war schlüpfrig und feucht. Er konzentrierte sich darauf, nicht in eines der sumpfigen Löcher zu geraten, die hin und wieder ihren Weg kreuzten.

Sie folgten dem Flusslauf des Rheins, der sich immer wieder zu flachen Strömen und seeähnlichen Gebilden verzweigte, zwischen denen sich eine Fülle aus bewaldeten Inseln, sumpfigen Wiesen und Riedflächen befand. Weiden säumten vielerorts das Ufer und streckten ihre langen, schlangenförmigen Wurzeln dem feuchten Untergrund entgegen. Ein wahres Paradies für jemanden, der untertauchen wollte, doch ein Albtraum für denjenigen, der sich nicht darin auskannte. Doch sie hatten einen Führer dabei, der sie durch das Gewirr aus Wasserläufen, Bäumen, Sträuchern, Sumpf und Ried führte.

Peter wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dies war kein vergnüglicher Spaziergang, und er beglückwünschte sich, dass es endlich auf den Abend zuging. Die Schnaken und winzige Kriebelmücken, die ihn seit einer Weile wie eine Wolke umkreisten, schienen es jedoch ebenfalls zu wissen. Regelmäßig zu vorgerückter Stunde machten sie ihm das Leben schwer. Er wedelte hektisch mit der Hand, doch es dauerte nur wenige Sekunden, bis sich die widerlichen Viecher erneut auf ihm niederließen.

»Wie lange wird es dauern, bis wir den Musterplatz erreichen?«, fragte Jakob plötzlich. Noch waren sie keine richtigen Söldner. Sie waren Bewerbsmänner, die man angeworben und in Listen eingetragen hatte. Auf dem Musterplatz wurde ihre körperliche Tauglichkeit überprüft. Erst dann gehörten sie der kaiserlichen Soldateska an.

Peter schnaubte und reckte sein langes Kinn vor. »Kommt ganz darauf an, wohin uns der Weibel führt.«

Sie waren erst wenige Tage unterwegs, zu einem Ort, den nur der Feldweibel kannte, der das Kommando innehatte. Fünfhundert Mann, die alle dem gleichen Ziel folgten und in ihrem Unterbewusstsein den immerwährenden Takt der Trommel in sich aufnahmen, um im Gleichschritt über unwegsames Gelände zu marschieren. Einige Packpferde folgten ihnen, neben mehreren berittenen Söldnern, die dafür zu sorgen hatten, dass sie vollständig an Ort und Stelle eintrafen. Ganz gleich, wo dies sein mochte.

»Auf jeden Fall bringt er uns zu den Kaiserlichen. – Dort wo wir am dringendsten gebraucht werden. – Nehme ich an«, fügte Peter hinzu.

Oberst Ossa, der sie angeworben hatte, verfügte über kein eigenes Regiment, das die Männer aufnehmen konnte, doch seine Treue galt dem katholischen Kaiser Ferdinand II.

Wie seltsam, dachte Jakob. Er war katholisch getauft und erzogen worden, dann hatte er viele Jahre bei den Lutheranern gelebt und musste sich wie einer von ihnen benehmen. Er war sogar konfirmiert worden. Und nun, nachdem er sich an diese andere Glaubensform gewöhnt hatte, sollte er plötzlich wieder katholisch sein?

Peter hatte indessen seine eigenen Sorgen. »Auf einem Schiff wäre die Reise schneller und bequemer gewesen.« Er verzog sein Gesicht zu einer angestrengten Grimasse und sah dabei aus wie ein unglückliches Pferd.

Sein sehnsuchtsvoller Blick fiel auf Jakobs bloße Füße. Dieser hatte seine Holzpantinen ausgezogen, weil sie sich nicht für lange Märsche eigneten, und stapfte geradezu leichtfüßig über den schmatzenden Boden. Peters Stiefel hingegen saugten sich darin fest. Er hatte Mühe, sie aus der schweren Erde zu ziehen und sie dabei nicht zu verlieren. Die Haut an seinen Fersen warf an einigen Stellen bereits Blasen, doch die Stiefel entsprachen der neuesten Mode, und es kam nicht infrage, sie auf dem Rücken durch die Gegend zu schleppen.

Jakob sprang leichtfüßig über eine Pfütze hinweg – was Peters Qualen noch vergrößerte –, während sein Blick Aaron folgte, dem ein Schwan in die Quere gekommen war. Ein wildes Fauchen erklang aus dem aufgesperrten Schnabel des Tieres, und Aaron beschloss, dass es klüger war, sein Heil in der Flucht zu suchen.

Ganze Scharen von Wasservögeln nisteten im Dickicht der Inseln. Der Schwan, der Aaron in die Flucht geschlagen hatte, bewachte ein beachtliches Nest aus Gräsern und Zweigen auf einer kleinen Erhebung aus Kies und Geröll mitten im Wasser. Seine Gefährtin hatte wie eine Königin darauf Platz genommen und brütete vermutlich ihre Eier aus.

Aaron hatte in der Zwischenzeit einen neuen Zeitvertreib gefunden. Er schreckte Reiherenten, Haubentaucher und Blesshühner aus dem Wasser, was einen allgemeinen Aufruhr verursachte, bis Jakob den Hund zurückpfiff.

Wie es Elisabeth wohl jetzt ging? Sacht glitten seine Finger über ihr Brusttuch an seinem Hals, das sie wie einen letzten Gruß um Aarons Nacken geknotet hatte. Es war sein kostbarster Besitz, ein stilles Versprechen, dass sie auf ihn warten würde. – Ganz gleich, wie lange es dauerte, bis er zurückkam. Seine Gedanken waren fast ständig bei ihr. Würde sie zurechtkommen? Würde sie den Hof nach der Plünderung durch die Landsknechte retten können? Würde sie wirklich auf ihn warten? All dies waren Dinge, auf die er jetzt keinen Einfluss mehr hatte.

Am liebsten wäre er zurückmarschiert, hätte sie an sich gerissen und wäre nie mehr fortgegangen. Doch das konnte er nicht tun, auch wenn er schier daran verzweifelte. Oberst Ossa, der so unverhofft bei seiner bevorstehenden Hinrichtung aufgetaucht war, hatte die Todesstrafe in einen zehnjährigen Dienst beim Heer umgewandelt. Falls er dieses Versprechen nicht einhielt, war er ein Deserteur, dem wiederum der Tod drohte, und man würde wissen, wo er zu finden war.

Und dann war da noch Bärbel, seine Schwester. Jedes Jahr an Martini hatte er sie in Straßburg besucht, doch nun lag auch diese Stadt bereits einige Meilen hinter ihm. Was würde sie tun, wenn er dieses Jahr nicht kam? Würde sie nach ihm suchen? Und würde sie erfahren, was er getan hatte?

Er schämte sich schrecklich bei dem Gedanken an ein Wiedersehen. Wie sollte er ihr erklären, dass er für den Tod ihres Oheims verantwortlich war? – Falls er sie überhaupt jemals wiedersah! Die Fragen begannen in seinem Kopf zu kreisen, machten ihn fast schwindelig vor lauter Grübelei. Doch es war zum Verzweifeln, er wälzte sie hin und her und fand trotzdem keine Antwort. Eine einfache Lösung war nicht sehr wahrscheinlich. Nur die Zeit konnte Rat bringen.

In alle Verzweiflung, die in Jakob tobte, mischte sich aber auch ein anderes Gefühl, wie der unerwartete Ton in einem Lied. Seit Tagen rumorte es schon in seinem Innern. Er genierte sich, als er es sich eingestand. Es knisterte in ihm wie ein frisch entzündetes Feuer. Und nicht nur in ihm, sondern auch in all den anderen, die sich zum Dienst verpflichtet hatten und nun vereint zum Musterplatz strebten. Es hatte sich ausgebreitet wie ein Fieber, das von einem Mann zum nächsten übersprang. Die Erwartung von etwas völlig Neuem. Die Verlockung des Abenteuers, das sie erwartete.

Die Sonne stand wie ein goldener Feuerball knapp über dem Horizont, als sie ihr Lager aufschlugen. Es war nicht viel, das für Bequemlichkeit hätte sorgen können. Zumindest besaß jeder eine Decke, um sich nachts auf einem behelfsmäßigen Bett aus Blättern und Zweigen darin einzuhüllen. Doch auch dies konnte nicht verhindern, dass die beständige Feuchtigkeit des Untergrunds in ihre Kleider drang und man morgens schlotternd und klamm erwachte, die Muskeln vor Kälte schmerzhaft verkrampft. Es kam schon fast einer Erlösung gleich, wenn sie weitermarschieren mussten, denn das beständige Laufen erwärmte ihre Körper und lockerte die Muskeln.

Doch auch diese Freude nahm von Tag zu Tag mehr ab. Jakobs Muskeln waren von der harten bäuerlichen Arbeit der letzten Jahre gestählt, aber er war es nicht gewohnt, den ganzen Tag zu marschieren. Seine Fuß- und Kniegelenke begannen zu protestieren, sogar seine Hüften bereiteten ihm Schmerzen. Wenn er abends erschöpft am Feuer saß, waren seine Beine so schwer wie Blei und seine Fußsohlen übersät von winzigen Wunden, weil er keine Schuhe trug. Vor zwei Tagen war er in einen Dorn getreten, der eine eitrige Stelle hinterlassen hatte und nachts beunruhigend pochte.

Wenigstens sein Magen erfuhr eine gewisse Befriedigung. Jeden Tag zog eine Schar Männer aus, um die nötigen Nahrungsmittel der Truppe zu beschaffen. Nachdem die Feuer entzündet und aus dem, was die Packpferde mit sich trugen, eine provisorische Feldküche errichtet worden war, erschien Jakob das Lager fast so etwas wie ein gemütlicher Ort.

Auch an diesem Abend zog dunkler Rauch über die sumpfige Landschaft am Fluss. Goldene Funken stoben in den dämmrigen Himmel, und von überallher war Gemurmel und Gelächter zu vernehmen, während die Männer auf das Essen warteten.

Um das Feuer, zu dem sich Peter und Jakob gesellt hatten, scharten sich nur wenige Männer. Noch immer begegnete man Jakob mit Misstrauen. Die Umstände seiner Rekrutierung hatten sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Man blieb auf Abstand, denn schließlich war er ein begnadigter Mörder. Der Auswurf der Gesellschaft. Einer, der eigentlich an den Galgen gehörte.

Trotzdem fand Jakob es auch ein klein wenig seltsam, dass man ihn so behandelte. Immerhin waren sie alle aus demselben Grund hier. Sie waren einem Ruf gefolgt, um in den Krieg zu ziehen. – Zwar würde dies mit dem Segen des Kaisers geschehen, aber auch sie würden zu Mördern werden.

Bei Balthasar, Zacharias und Heinrich, die sich mit ihnen um das Feuer scharten, schien der Argwohn allmählich nachzulassen. Alle drei waren sie einfache Knechte, deren Dienstherren nicht gerade zartfühlend mit ihnen umgegangen waren. Vielleicht war es das, was sie miteinander verband, denn auch Jakob hatte die Härte des Bauern zu spüren bekommen, selbst wenn dieser obendrein sein Oheim gewesen war. Sie wussten, was es bedeutete, hart zu arbeiten, kaum etwas zu verdienen und für jeden noch so kleinen Fehler großzügig bestraft zu werden. Kannten das Gefühl des Ausgeliefertseins in ein Schicksal, das sich nicht ändern ließ.

Peter, der sich eben seiner Stiefel entledigt hatte, seufzte erleichtert auf und streckte die bestrumpften Füße den wärmenden Flammen des Feuers entgegen. Er wackelte behaglich mit den Zehen und entblößte dabei ein großes Loch, das fast die gesamte Fußspitze freilegte. »Ah, tut das gut«, murmelte er zufrieden.

Auch er kannte den Geschmack der Armut und hoffte nun darauf, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen. Dem zu entkommen, was ihm und seinen Kameraden von Geburt an auferlegt war. Der Krieg konnte das Mittel dazu sein. Des einen Glück und des anderen Leid. So war es schon von alters her gewesen. Er war der Einzige, der seinen Dienst schon etwas früher angetreten hatte und den Trupp nun begleitete.

Balthasar, der groß und grobschlächtig wie ein Ochse war, lächelte gutmütig und schlang die Arme um seine angewinkelten Beine. »Ich hab auch nichts dagegen, endlich mal wieder auszuruhen.«

Sein leicht dümmlicher Blick wanderte in Richtung der Feldküche. Die Sonne versank hinter ihr und tauchte sie, nebst dem emsig arbeitenden Koch mit seinen Gehilfen, in scharfe, dunkle Konturen vor einem rotgoldenen Hintergrund. »Hoffentlich gibt es bald was zu beißen. Ich hab fürchterlichen Hunger.« Sein Magen knurrte zur Bestätigung so laut wie ein zorniger Wolf.

»Wann hast du das nicht?«, zog Heinrich ihn auf und blickte in das grobknochige Gesicht seines Gegenübers.

Balthasar zuckte ratlos mit den Schultern. »Ist eben viel, was ein Mensch von meinen Ausmaßen zu sich nehmen muss. – Mehr, als uns hier geboten wird.«

Trotzdem war es reichlich, was den Männern an Speisen gereicht wurde. Die Schar, die für die erforderlichen Mengen an Nahrung verantwortlich war, schaffte immer genügend herbei. Jakob bezweifelte, dass sie etwas dafür bezahlten. Sein Magen begann sich bei dem Gedanken zu verknoten, wie viel Not und Elend sie auf ihrem Weg hinter sich ließen, und wenn man Peter glauben mochte, so waren sie nur ein kleiner Teil der Truppen, die durch das Land zogen.

»Was meint ihr, wohin die Reise gehen soll?«, fragte Zacharias neugierig. Er war ein junger Bursche, kaum den Kinderschuhen entwachsen, und voller Tatendrang.

»Wahrscheinlich nach Norden«, warf Peter ein. »Dort tobt der Krieg am heftigsten. Nach allem, was ich hörte, ist der dänische König Christian letztes Jahr in Kurland und Preußen eingefallen. Er steht auf der Seite der Reformierten, und der Kaiser braucht Männer, um seine Truppen zu verstärken.«

Balthasar, Zacharias und Heinrich starrten ihn verwundert an. Jakob schmunzelte. Im Gegensatz zu ihnen kannte er Peters Gedankengänge schon etwas besser. Peter war lang und hager. Seine Gelenke hingegen so grob, dass sie wie die knorrigen Verdickungen mancher Äste aussahen und ihm das Aussehen einer harmlosen Marionette gaben, der man die Fäden abgeschnitten hatte. Doch er war zäh, besaß die Neugier eines Waschweibes, und seine nicht unbeträchtliche Klugheit ließ ihn die richtigen Schlüsse ziehen.

»Und woher weißt du das?«, fragte Heinrich. Er war etwas älter als Zacharias und von normaler Statur. Seinem gewöhnlichen Gesicht haftete durch zu groß geratene, abstehende Ohren ein neckisches Aussehen an.

»Nun, ich höre zu, wenn andere reden«, erwiderte Peter gelassen. Ein leichter Ton der Genugtuung schwang in seiner Stimme. »Im Übrigen frage ich nach, sobald sich eine Gelegenheit dazu bietet, und wenn man anschließend eins und eins zusammenzählt …«

Balthasar grinste in seiner gutmütigen Art, die ihn selbst im Gesicht wie einen trägen Ochsen erscheinen ließ. »Soso. Reden und denken kann er, der Herr.«

Heinrichs Mund verzog sich zu einem Strich. »Wir werden ja sehen, ob du recht hast oder nicht.«

Peter hatte recht. Plötzlich ging alles sehr schnell. Ein reitender Bote erreichte sie zwei Tage später, mit dreckigen Stiefeln, einer schlammbespritzten Schlumperhose und schweißdurchtränkten Hemdsärmeln, die aus dem ledernen Wams ragten. Die Beine des Pferdes zitterten, als er es zum Stehen brachte. Es schüttelte energisch den Kopf und versprühte dabei dicke Schaumflocken aus seinem Maul.

Die Unterredung mit dem Weibel war kurz, hatte aber eine Erhöhung des Trommeltaktes zur Folge, der ihre Schritte über die Rheinauen peitschte. In der Nähe von Durlach erwarteten sie mehrere Flöße, auf denen man geräumige Hütten errichtet und den Boden mit Stroh aufgeschüttet hatte. Sie würden sowohl den Männern als auch den Floßmeistern und ihren Knechten als Schlafplatz dienen. Die Flößer hatten Proviant für mehrere Tage geladen, sodass sie selbst nachts nicht anhalten mussten.

Jakob reckte seinen Hals, um bei ihrer Fahrt einen Blick auf Durlach zu erhaschen, doch er bekam die Stadt nicht zu Gesicht. Sie lag zu weit vom Fluss entfernt, einige Meilen sogar, wie man ihm versicherte.

Die Flößer stellten ihr ganzes Können unter Beweis, um sie sicher durch die mäanderförmigen Schlingen des Rheins zu geleiten. Unter der Besatzung herrschte eine strenge Hierarchie, die sich in einen Floßmeister neben seinen Meister- und Ankerknechten gliederte. Nachdem Jakob sich an das tief im Wasser liegende Gefährt und das Ächzen und Stöhnen des Holzes gewöhnt hatte, fand er es gar nicht so schlimm, einige Zeit darauf zu wohnen. Es gab nichts, das man hätte tun können. So ließ er sich die meiste Zeit treiben und betrachtete schläfrig die Landschaft, die zu beiden Seiten des Ufers an ihnen vorbeizog. Sie fuhren bis nach Mainz, wo eine große Brücke den Rhein überspannte und das gewaltige Gebäude des Doms hoch über den Häusern aufragte.

Dort gingen die Flöße vor Anker, was sich als eine knifflige Sache erwies und Jakob gleichzeitig verstehen ließ, warum sie unterwegs nicht angehalten hatten. Trotz mehrerer Anker, die sich in den Grund des Flusses senkten, riss die Strömung sie noch ein gutes Stück über das Wasser, bevor sich die gelenkigen vorderen Floßtafeln mit einem hässlich knirschenden Geräusch in den Ufersand bohrten.

Die Wucht, mit der dies geschah, holte die Männer von den Beinen. Auf einem der Flöße rissen dabei mehrere Wieden entzwei, mit denen die Baumstämme zu einem festen Gefüge verbunden waren. Die Stämme verschoben sich und zerquetschten einem der Landsknechte den Fuß, sodass man ihn wohl oder übel zurücklassen musste.

Auf dem Main stiegen sie auf Schiffe um, die von Treidelpferden gezogen wurden, da sie sich nun gegen die Strömung bewegten. Auf diese Weise gelangten sie bis nach Hanau, wo ihre bequeme Schiffsreise ein Ende fand. Dieses Mal hieß es zu Fuß weitergehen, und der Weibel trieb sie unaufhörlich an.

Kapitel 2Einsame Erinnerungen

Elisabeth schlenderte in den Garten, der sich hinter dem Stall befand. Sie wollte allein sein. Allein mit sich, ihren Gedanken und Erinnerungen. Alles erinnerte sie hier an ihren Vater. Wies wie ein Fingerzeig auf ihn hin. Die Wiese mit den Obstbäumen. Die sorgsam angelegten Beete des Krautgartens, die ein schützender Flechtzaun umgab. Die großblättrige Weinrebe, deren Ranken sich über die gesamte südliche Stallwand ausgebreitet hatten. All das hatte er geliebt. Seufzend nahm sie ihre Haube vom Kopf und löste mit den Fingern ihre miteinander verflochtenen, weizenblonden Haare. Tränen traten in ihre Augen. Sie rollten wie gläserne Perlen an ihren Wangen hinab, als sie daran dachte, was heute geschehen war. Sie hatten Vater zu Grabe getragen. Er hatte die Ereignisse der letzten Tage nicht verkraftet.

Ihr Blick glitt hinüber zum Galgenfeld, das von hier aus gut zu sehen war. Der Galgen stand immer noch dort, als ob er hartnäckig darauf wartete, endlich benutzt zu werden. Jedes Mal, wenn sie ihn sah, war sie dankbar für das Wunder, das Jakob vor diesem Ende gerettet hatte. Doch verloren hatte sie ihn trotzdem. Seine Strafe war in einen Heeresdienst umgewandelt worden. Wie lange, konnte ihr niemand sagen. – Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr kam es ihr wie ein Aufschub vor, der seinen Tod um ein paar Wochen, vielleicht Monate hinauszögerte. Jedenfalls gab es keine Garantie dafür, dass sie ihn jemals wiedersehen würde, geschweige denn ihn heiraten konnte.

Das hatte auch ihr Vater gewusst – und nicht nur das. Auf eine gewisse Weise war sie nun entehrt, weil sie sich mit einem Mörder eingelassen hatte. Kein Mann, der etwas auf sich hielt, würde sie noch heiraten wollen. Selbst wenn Jakob nicht mehr zurückkam. Demzufolge würde sie vermutlich als alte Jungfer sterben, was mit großer Wahrscheinlichkeit den Verfall des Hofes mit sich brachte, denn eine Frau allein konnte ihn nicht halten. Sie hatte Vater die Verzweiflung darüber angesehen, auch wenn er nicht mehr in der Lage gewesen war, zu sprechen. Hinzu kam ihre überstürzte Flucht vor den Landsknechten der kaiserlichen Armee, und die Plünderung des Hofes.

Nachdem die Landsknechte das Dorf verlassen hatten, war sie auf den elterlichen Hof zurückgekehrt und erleichtert darüber gewesen, dass den beiden alten Leuten nichts geschehen war. Doch das Vieh war fort und mit ihm alles von Wert: Ein Großteil ihrer Vorräte, außer dem halb vollen Mehlsack, mit dem sie sich auf eine der Rheininseln gerettet hatte, und etwas Spinnhanf. Auch etwas Geld hatten sie retten können.

Zum Glück hatte die Soldateska wenigstens den Hof nicht angezündet und die Gebäude nicht auseinandergenommen. Die Aussaat des Sommergetreides war vor dem Einmarsch der Truppe beendet worden, und im Krautgarten reifte das Gemüse heran. Doch es würde noch einige Zeit dauern, bis sie ernten konnten. Sie würden den Gürtel ein ganzes Stück enger schnallen müssen. Außerdem hatten sie keine Milch und kein Fleisch mehr. Selbst Lukas, ihren hellbraunen Wallach, hatten die Landsknechte mitgenommen. Wie sollten sie die Ernte nach Hause bringen ohne ihn? An das Bearbeiten der Felder mochte sie gar nicht denken. Sie würde sich selbst vor den Pflug spannen müssen, wenn sie bis dahin kein geeignetes Tier auftreiben konnte. Mutlos schob sie diesen Gedanken beiseite und tröstete sich damit, dass ihr zu gegebener Zeit schon etwas einfallen würde. Stattdessen konzentrierte sie sich wieder auf ihren Vater. Sie wollte ihn noch nicht fortgehen lassen. Sie würde ihn noch ein Weilchen festhalten – wenigstens in ihren Gedanken.

Ihre Schritte hielten auf eine einfach gezimmerte Bank zu, die ihr Vater vor langer Zeit unter die Krone eines Apfelbaums gestellt hatte. Im Sommer hatten sie oft hier gesessen. Abends, wenn die Arbeit getan war und ihr Blick ohne Eile über den Garten, die Wiesen, Bäume und Felder schweifen konnte, bis hin zum Schwarzwald, der grün und kühl auf sie herabblickte.

Elisabeth ließ ihre Hand über das verblichene Holz gleiten. Strich mit den Fingern an der ausgelaugten Oberfläche entlang, über die Kante eines Astlochs, das sich schon, solange sie denken konnte, an dieser Stelle befunden hatte. Ein paar Mal war ihre Mutter bei ihnen gesessen, doch die meiste Zeit hatten sie allein hier draußen verbracht. Ein unausgesprochenes Einverständnis, das zwischen ihnen geherrscht hatte, um Dinge anzusprechen, die man besser zu zweit beredete.

Eines Abends hatte er über den Tod gesprochen. Sie sah ihren Vater noch vor sich, als sie ihn überrascht von der Seite gemustert hatte, denn für sie war dies kein Thema, mit dem sie mehr als nötig konfrontiert werden wollte. Sein schmales Profil zeichnete sich so scharf wie ein Scherenschnitt vor ihrer Nase ab. Wie üblich saß er kerzengerade und mit gestrafften Schultern auf der Bank, das gesunde Knie gebeugt, während er sein rechtes Bein lang und steif von sich streckte. Doch sein Haar war das eines alten Mannes: weiß und ohne eine Spur seiner ursprünglichen Farbe. Die abendliche Sonne ließ helle Stoppeln auf seinem faltendurchfurchten Gesicht aufblitzen, die wie sprießendes Gras durch die Oberfläche der Haut drangen. Und sie begriff, dass man sich in diesem Lebensabschnitt intensiver mit jenem Thema beschäftigte, als man es in jungen Jahren tat. Einfach weil es unausweichlich war, und man sowieso schon von Glück sprechen konnte, dass man noch immer im Diesseits lebte. Das fand sie jedenfalls, doch ihr Vater schien anderer Meinung zu sein.

»Fürchtest du dich nicht vor dem Tod?«, hatte sie ihn gefragt, und dabei selbst einen harten Knoten in ihrem Leib gespürt.

Vater hatte sich lächelnd zu ihr umgedreht. Seine Augen ruhten schelmisch auf ihrem Gesicht. »Nein.« Dann hatte er seinen Blick auf die Landschaft gerichtet, und über etwas gesprochen, was er nicht sehen konnte, von dem er aber fest überzeugt zu sein schien. »Ich habe eine Hoffnung, weißt du«, fuhr er fort. »Eine Hoffnung auf eine bessere Welt, in die ich gehen werde. Eine Welt, in der keiner mehr weinen muss – außer vor Freude.«

Sie wusste, wovon er sprach. Der Pfarrer predigte es bei jedem Begräbnis. Es war die Ansicht der Heiligen Schrift. »Was macht dich so sicher, dass es dort wirklich so ist?«, hatte sie ihn gefragt. Sie war alles andere als überzeugt davon.

Vater hatte noch eine Weile nachgedacht und dann mit den Schultern gezuckt. »Ich weiß es eben«, hatte er geantwortet.

Nun war er also dort, und sie hoffte, dass er sich nicht getäuscht hatte. Trotzdem fühlte sie sich schuldig. Auch sie war eine Hoffnung gewesen, und sie hatte ihn auf jeden Fall bitterlich enttäuscht. Natürlich wusste sie, dass er eines Tages sterben musste, doch sein Tod hätte friedlicher sein können, verbunden mit der Gewissheit, Weib und Tochter in guten Händen zu wissen. Zu ihrer eigenen Schande war es ganz anders gekommen, auch wenn sie nicht allein verantwortlich war. Wasser strömte ihr in die Augen und verband sich mit dem Rinnsal ihrer Tränen zu einem reißenden Strom.

»Mutter, sieh mal, was ich mitgebracht habe.« Elisabeth trieb zwei verfilzt aussehende Schafe und eine magere Ziege über die Bachbrücke auf den Hof, einer rechteckigen Einfriedung, die L-förmig von Haus, Scheuer und Stall umgeben war. Das kleine Fachwerkhaus stand wie fast alle Häuser mit der Giebelseite zum Bach, der sich in der Form eines überdimensionalen Hufeisens durch das gesamte Dorf zog.

Elisabeth war schon in der Frühe aufgebrochen, um die Viehhändler abzufangen, die Schlachtvieh nach Straßburg trieben, um es dort zu verkaufen. Eigentlich hatte sie eine Kuh kaufen wollen, doch der Preis für diese Tiere war infolge der Plünderungen derart in die Höhe geschossen, dass sie es sich nicht leisten konnte. – Und das, obwohl sie um einiges billiger waren als in Straßburg selbst, da die Händler den Zoll noch nicht entrichtet hatten. Sie hatte den Preis zu drücken versucht, hatte verhandelt, beschwatzt und gebettelt. Doch es nützte nichts. Am Ende hatte sie sich mit den drei Tieren begnügen müssen, die das Uferstück zwischen Haus und Bach bereits erobert hatten, um dort dem Genuss von frischem Gras zu frönen.

Christine Strickler stellte den schweren Kübel so heftig in den Schotter des Hofes, dass das Wasser darin überschwappte. Ihre immer noch klaren, blauen Augen verengten sich zu kritischen Schlitzen. »Sind wir schon so weit gesunken, dass wir leben müssen wie die Schirmer, die sich nur Schafe und Ziegen leisten können?« Die tiefe Stimme der alten Frau klang anklagend.

Elisabeth schluckte die harte Erwiderung hinunter, die ihr auf der Zunge lag. Zugegeben, die Tiere sahen nicht sehr gepflegt aus. Die Schafe waren nicht geschoren, und ihre Wolle befand sich in einem miserablen Zustand. Ihr letzter Besitzer schien sich keine Mühe mit ihnen gegeben zu haben. Vielleicht weil der Schlachter sie ohnehin getötet hätte? Doch dadurch waren sie bezahlbar gewesen, und mit etwas Pflege würde sie die beiden schon wieder hinbekommen.

»Wir werden sie behalten«, erwiderte Elisabeth. »Sie sind robust und genügsam, und selbst im Winter kann man sie zur Futtersuche nach draußen treiben.«

»Aber sie geben keine Milch«, entgegnete ihre Mutter barsch.

Elisabeth schnaubte durch die Nase und zog die Ziege von den jungen Trieben eines Schneeballstrauches weg, der ebenfalls am Bachufer stand. »Diese hier schon. Sie hat erst vor Kurzem geworfen.« Elisabeth schluckte. Sie dachte an die großen, unschuldigen Augen des Zickleins, das sie laut klagend zurücklassen musste. Wahrscheinlich war es in der Zwischenzeit dem Metzgerbeil zum Opfer gefallen.

»Die Schafe kann ich scheren, und nächstes Jahr können wir ihre Wolle verkaufen.« Die Wolle von diesem Jahr sah nicht danach aus, als ob sie dafür infrage käme. »Vielleicht kann ich ja auch einen Bock auftreiben, der ihnen Junge beschert.« Sie ging auf die alte Frau zu und legte begütigend den Arm um sie. »Es ist zumindest ein Anfang. Findest du nicht?«

»Wenn du meinst«, entgegnete Christine Strickler nüchtern. Auf ihrem Gesicht zeigte sich nicht die Spur eines Lächelns.

Elisabeth seufzte. »Ich kümmere mich um die Tiere.«

Erleichtert, sich entfernen zu können, trieb sie das Ergebnis ihrer Verhandlungen in den Stall. Nachdem sie die Tür verschlossen hatte, lehnte sie sich für einen Augenblick gegen das kühle Holz der Wand und stieß entmutigt die Luft aus ihren Lungen, während die Vierbeiner eifrig ihr neues Refugium beschnüffelten.

Was sollte sie nur tun? Es war nicht leicht, mit ihrer Mutter auf dem Hof zu leben. Sie war schon immer ein eher nüchterner Mensch gewesen, doch seit Vaters Tod war sie so freudlos und nörgelig, dass man es kaum an ihrer Seite aushielt. Am schlimmsten waren ihre Augen. Dieser Blick der stummen Anklage über die Umstände ihres Lebens, auch wenn sie ihn oft zu verbergen versuchte. Was hätte sie darum gegeben, damit ihre Mutter wieder fröhlicher oder wenigstens zufrieden sein konnte. Doch sie konnte das Geschehene nicht mehr rückgängig machen.

Plötzlich fühlte sie sich schuldig. Die Last, für das Unglück ihrer Eltern verantwortlich zu sein, drückte schwer wie ein Joch auf ihre Schultern. War es ihr eigener Egoismus gewesen? Der Wunsch, ein bisschen Glück ihr eigenes zu nennen, der sie alle ins Verderben gestürzt hatte? Was wäre geschehen, wenn sie Andreas’ Antrag angenommen hätte?

Elisabeth schnaubte. Sie fröstelte, als sich die feinen Härchen ihrer Unterarme aufstellten. Unbewusst rieb sie darüber. Wenn sie Andreas’ Werben nachgegeben hätte, wäre sie nun mit einem Mann verheiratet, den sie nicht einmal mochte! Sie ekelte sich bei dem Gedanken, ihm zu Willen sein zu müssen. Auf das Erscheinen der Landsknechte hätte es ohnehin keinen Einfluss gehabt, und wahrscheinlich würde ihre Mutter den Hof nun allein bewirtschaften müssen, da ihre Tochter bei den Selzers wohnen würde. – Aber der Mord an Kaspar Selzer wäre niemals geschehen, und Jakob hätte nicht in den Krieg ziehen müssen.

»Ach Jakob«, murmelte sie traurig. »Wenn du nur hier sein könntest.« Ihr Herz zog sich vor Sehnsucht zusammen.

Wie von Geisterhand tauchte der Schemen seines Gesichts vor ihr auf. Seine tiefdunklen Augen blinzelten ihr zu. Sie streckte die Hand aus, um ihre Finger über seine hohen Wangenknochen gleiten zu lassen, sah das freundliche Lächeln seines Mundes, sogar die schmale silbrige Narbe auf seiner Stirn. – Doch sie griff ins Leere, und Jakobs Gesicht verpuffte, wie die Luft zwischen ihren Fingern. Entmutigt ließ sie den Kopf hängen. Sie war so entsetzlich allein auf dieser Welt, dass es schmerzte.

Die Nase der Ziege stupste sie schließlich an und riss sie aus ihren Gedanken. Aus schlitzförmigen Pupillen betrachtete das Tier sie ernst, als ob es sich Gedanken um ihren Gemütszustand machen würde. Elisabeth lächelte und strich ihm über den gescheckten Kopf. »Wenigstens eine, die sich Sorgen um mich macht«, flüsterte sie. Dann straffte sie ihren Rücken. Es half niemandem, wenn sie verzagte. Sie würde noch eine ganze Weile stark sein müssen, denn noch war sie nicht bereit dazu aufzugeben.

Kapitel 3Lagerleben

Juli 1626

Es war bereits Anfang Juli, als die Männer endlich in Aschersleben ankamen, abgerissen und dürr und mit dem drängenden Wunsch nach einem stillen, schattigen Plätzchen, um sich auszuruhen.

Die Stadt lag in einer schmalen Flussniederung am Fuß des Harzes und war von einer stabilen Mauer umgeben. Dies schien ihr in diesem Fall nichts zu nützen, denn das hügelige Ackerland, das sie umgab, war bevölkert von einem alles verschlingenden Moloch aus Zelten, Wagen, Tieren und Menschen. Dort wo sich einmal Felder und Wiesen befunden hatten, sah man nichts als aufgewühlte, zertrampelte Erde zwischen Bergen von Unrat und tiefen Fahrrinnen, die sich wie Schlangen durch das Lager zogen.

»Willkommen im Heer Wallensteins«, rief der Weibel fröhlich und grinste beim Anblick der entsetzten Gesichter, die auf das Bild der Verwüstung vor ihren Augen starrten.

Der Gestank des Lagers trieb ihnen die reine Luft der Berge aus den Lungen. Nur Aaron schien den üblen Gerüchen etwas abgewinnen zu können. Er senkte seine lange Nase zu Boden, schnüffelte interessiert und steckte seine Schnauze in den Schmutz, um nach Essbarem zu suchen.

Inmitten der über die Fläche verstreuten Zelte und Wagen sah Jakob, dass die Landsknechte auch hier keineswegs die Einzigen waren, die sie bewohnten. Ein gewaltiger Tross aus Weibern, Kindern und sogar Krüppeln schloss sich ihnen an. Seine Hoffnung auf ein anständiges Essen schwand dahin, als er in die ausgemergelten Gesichter um ihn herum blickte. Der Vorrat an Nahrung schien aufgebraucht zu sein, was auch kein Wunder war. Eine solch gewaltige Menge an Menschen konnte auch die größte Stadt nicht über längere Zeit ernähren, und der Zustand des Lagers ließ darauf schließen, dass sie schon eine ganze Weile hier sein mussten.

Nach einer längeren Unterredung mit einem der Offiziere führte der Weibel sie auf den Musterplatz. Er lag direkt vor den dicken Stadtmauern, die man mit einem steinernen Band aus hübschen Rundbögen verziert hatte, und einem fürchterlich stinkenden Graben. Der Platz selbst war ein zertrampeltes Oval, das von Marketenderwagen gesäumt wurde, die Waffen, Rüstungen, Kleidung und andere seltsame Dinge verkauften. Er erinnerte Jakob eher an einen Marktflecken als an den höchst würdevollen Standpunkt eines Exerzierplatzes. Doch die Ankunft im Lager hatte ihm bereits vor Augen geführt, dass seine Vorstellungen wohl nicht ganz der Realität entsprachen.

Die Musterung begann kurze Zeit später. Man teilte die Bewerbsmänner in zwei Reihen ein und hieß sie, sich hintereinander aufzustellen. Peter, der in der Zwischenzeit festgestellt hatte, dass Aaron wohl doch kein Untier zu sein schien, nahm den Hund unter seine Fittiche. Zusammen mit ein paar Söldnern, die den Trupp ebenfalls begleitet hatten, lehnte er sich an einen Marketenderwagen, um dabei zuzusehen, wie aus den Frischlingen echte Landsknechte wurden. Die eben errichteten Durchgänge aus zwei Hellebarden und einer darüberliegenden Pike standen bereit.

Plötzlich wurde die Musterung jäh unterbrochen, noch bevor sie richtig begonnen hatte. Ein stolzer Mann betrat den Platz. Er hielt sich kerzengerade, und die Haltung seines Kopfes ließ darauf schließen, dass er es gewohnt war, Befehle zu erteilen. Seine Kleidung war dunkel und schlicht. Nur ein einfacher weißer Kragen hob sich von dem düsteren Schwarz seines Wamses ab.

Der für die Musterung zuständige Offizier nahm mit seinen Männern schleunigst Haltung an.

Jakob betrachtete die aufrechte Gestalt, bei der es sich offensichtlich um eine Respektsperson handelte, ohne seine Neugier allzu offen zur Schau zu stellen. Es konnte sich nur um Wallenstein, den großen Heerführer, handeln, der mit hocherhobenem Kinn die Reihen der Männer abschritt, um sie eigenhändig in Augenschein zu nehmen.

Jakob hatte ihn schon einmal auf einer Flugschrift gesehen. Die Zeichnung in seinem Gedächtnis glich dem Original in verblüffender Weise. Das schmale Gesicht mit der hohen Stirn, die messerscharf geschnittene Nase über einem modisch geformten Knebelbart. Der strenge Gesichtsausdruck. All dies hatte der Zeichner hervorragend festgehalten, wie er anerkennend feststellen musste. Doch nun trat der Feldherr auf ihn zu, blickte ihm höchstpersönlich in die Augen und flößte ihm gehörigen Respekt ein. Jakob erstarrte, tat es aber den anderen gleich und hielt sich so gerade wie ein Stecken.

»Er soll fortfahren«, befahl Albrecht von Wallenstein dem Offizier.

Die Spannung löste sich augenblicklich, und die Bewerbsmänner wurden angewiesen, der Reihe nach den Durchgang aus Hellebarden und Pike zu durchschreiten, um festzustellen, ob sie groß genug für den Krieg waren.

Der große Feldherr übernahm schließlich selbst die Überprüfung ihrer körperlichen Verfassung. Jakob beobachtete fasziniert jede seiner eleganten Bewegungen und bewunderte die Art und Weise, wie er den Kopf ein wenig schief legte, um nachzudenken. Wallenstein sah angespannt aus, doch seine Worte waren nicht unfreundlich, als er ihn musterte.

»Ein wenig Speck auf den Rippen würd’ Ihm nicht schaden«, sagte er.

Jakob nickte. Sein Magen knurrte in diesem Moment so vernehmlich, als ob er diese Tatsache bestätigen müsste.

Direkt nach der Musterung zahlte ihnen der Pfennigmeister den Sold in Form von sechs Gulden und vierzig Kreuzern aus. Eine enorme Summe, die Jakob ungläubig in den Händen hielt. Noch nie in seinem Leben hatte er so viel Geld auf einmal besessen! Und nun sollte ihm dieser Segen jeden Monat zuteilwerden. Außerdem würde jeder Landsknecht zwei Essen am Tag erhalten, die aus mindestens einem Pfund Fleisch, zwei Pfund Brot und einem Maß Wein oder zwei Maß Bier bestanden.

Die Glückseligkeit, die Jakob bei diesen Versprechungen durchflutete, wurde jäh gedämpft, als der Offizier den Männern zu verstehen gab, dass dies im Moment nicht möglich sei. Das Heer stand schon zu lange in Aschersleben, und die Gegend war so ausgeblutet wie ein Huhn, dem man den Kopf abgeschlagen hatte. Doch das würde sich bald ändern, fügte er mit geheimniskrämerischer Miene hinzu.

Nach der Besoldung wurden die frischgebackenen Landsknechte, darunter auch Jakob und seine Gefährten, einem Fähnlein zugewiesen, das aus der üblichen Verteilung an kampferprobten Söldnern – die doppelten Sold erhielten – und Frischlingen bestand, sodass es am Ende über dreihundert Männer verfügte.

Hauptmann von Ovelacker, ein Mann in mittleren Jahren, mit einem Schmerbauch, geckenhafter Kleidung und Stulpenstiefeln, die ihm bis zu den Oberschenkeln reichten, wurde zum Anführer von Jakobs Fähnlein ernannt. Seine erste Amtshandlung bestand darin, einen kräftigen Söldner, der schon längere Zeit im Heer diente und die meisten um mehr als einen Kopf überragte, zu ihrem Fähnrich zu bestimmen.

Stolz umfasste der Mann die lange Stange, deren oberes Ende das Bildnis eines schwarzen Doppeladlers auf schwarz-gelbem Hintergrund zierte. Und während das schwere seidene Tuch im Wind wehte, schwor er, die Fahne unter dem Einsatz seines Lebens zu verteidigen.

»Ihr anderen Kriegsleute«, rief Ovelacker. Seine tragende Stimme ließ es an einer gewissen Dramatik nicht fehlen, »sollt der Fahne in der Schlacht folgen, solange sie fliegt und noch ein Stück von ihr an der Stange hängt. Seid ihr dazu bereit?« Prüfend sah er sich um. Musterte in jedem Gesicht, ob sich das »Ja« ihres Mundes in den Zügen fortsetzte. »So hört nun die Feldordnung.«

Er verlas den Artikelbrief, der sie über die Rechte und Pflichten eines Söldners aufklärte. Danach schworen sie in Anwesenheit eines Schultheißen ihren Eid auf den Kaiser und bezeugten, sich gemäß den verlesenen Statuten an die festgelegte Ordnung zu halten. Mit diesem Versprechen legten sie ihr Leben in die Hand des obersten Kriegsherrn: Kaiser Ferdinand II., Herrscher über das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und seines Feldherrn Wallenstein.

Während der ganzen Prozedur sengte sich der brennende Schmerz des Hungers in Jakobs Magenwände, und sein Körper sehnte sich nach Ruhe und einem gemütlichen Plätzchen, auf das man sich legen konnte.

Nach dem Ende der Zeremonie wankte Jakob mit Aaron und Peter in das stinkende Lager zurück, bereit, sich in die nächstbeste freie Ecke zu begeben und seine Decke über den Kopf zu ziehen. Er beachtete weder die Huren, die ihre Reize zur Schau stellten, um ihnen den frischen Sold aus der Tasche zu ziehen, noch hörte er Peters aufgeregtem Redeschwall richtig zu.

»Ich werde es bis zum Fähnrich bringen, Jakob. Du wirst schon sehen!«, prahlte er. »Hast du gehört, wie viel Sold der Fähnrich erhält?« Er blickte erwartungsvoll zu Jakob hinüber, doch dieser brummte nur zur Antwort, während ihn der Hund mit seinen gelben Augen interessiert musterte.

Doch Peter ließ sich nicht entmutigen. »Fünfzig Gulden! Diese Summe muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Fünfzig Gulden!«, wiederholte er noch einmal genüsslich. »Ich wäre ein reicher Mann!« An diesem Punkt jauchzte er, was Jakob ein wenig aus seiner Trägheit riss und Aaron zu einem verblüfften Bellen veranlasste.

»Doch dieses Geld ist hart verdient«, fuhr Peter fort. »Habe ich dir schon von dem Fähnrich erzählt, dem sie beide Hände abgehackt haben und er sich dennoch tapfer in die Fahne gewickelt und sie mit den Zähnen festgehalten hat, bevor er verblutete? Und das alles nur, damit sie dem Feind nicht in die Hände fällt …« Peter redete und redete, bis sie schließlich ein freies Plätzchen gefunden hatten. Und während Jakob seinen Hunger ignorierte und sich auf der Stelle hinlegte, um endlich schlafen zu können, zog Peter noch einmal von dannen, auf der Suche nach interessanten Neuigkeiten.

Die Sonne färbte den Himmel in ein purpurnes Glühen, als Jakob, den Kopf auf Aarons warmen, pelzigen Körper gebettet, bereits tief und fest schlief.

Der nächste Morgen brachte ihnen eine dünne Milchsuppe ein, die nicht das Geringste mit den Schlemmereien zu tun hatte, die bei ihrer Vereidigung versprochen worden waren. Das gesamte Lager schien nichts Besseres zu essen zu haben, und unter den Menschen herrschte eine höchst angespannte Stimmung.

Sie saßen bei Vincent, einem der Söldner, der sie an sein Feuer eingeladen hatte. Seine Söhne, zwei dreckige kleine Jungen von etwa vier und sechs Jahren, beäugten Aaron mit einer Mischung aus Neugierde und Argwohn. Dieser blinzelte sie aus trägen Augen an, legte ungerührt seinen Kopf auf die Pfoten und döste vor sich hin.

Vincent hatte außerdem noch eine Tochter. Sie war erst wenige Wochen alt und schlief in einem Weidenkorb friedlich in der Nähe seines Weibes. Die ausgemergelte Frau warf dem Ochsen, der ihnen als Zugtier diente, gerade eine kärgliche Ration unschön zertrampeltes Gras hin. Weit und breit schien es keinen einzigen Halm mehr zu geben, der noch aufrecht stand.

Außer dem Wagen, vor den der Ochse gespannt werden konnte, bestand ihr Hausstand aus einem schmutzig weißen Leinenzelt, einer Kiste mit Viktualien, Töpfen, Pfannen, Schüsseln, einem recht kärglichen Holzvorrat und fauligem Stroh. Gerade eben so viel, wie man zum Reisen benötigte. Sie waren so arm, wie es Jakob aus seiner Kindheit auf dem Erzkasten kannte.

Balthasar, Zacharias, Heinrich und Peter schien dies nicht zu ernüchtern. Sie sogen jede Kleinigkeit begeistert in sich auf. Heinrichs abstehende Ohren glühten vor lauter Aufregung in einem flammenden Rot.

Peter, der in der Zwischenzeit eine Menge an Neuigkeiten gesammelt hatte, hörte für einen Moment auf seine Suppe zu schlürfen. »Wie ich hörte, will sich Wallenstein mit Tilly vereinigen, um mit geballter Kraft gegen den Dänenkönig zu ziehen.«

»Das sagt man«, erwiderte Vincent mit einer Stimme, die nicht frei von Verdruss war. »Aber wenn es tatsächlich so ist, warten wir schon viel zu lange auf Tilly. Der Kerl kommt einfach nicht. Man könnte meinen, der große Feldherr hat es sich anders überlegt.«

Johann t’Serclaes von Tilly war in der Tat ein großer Mann, auch wenn Vincents Rede einen spöttischen Beigeschmack hatte. Als Heerführer der katholischen Liga kämpfte er wie Wallenstein für die Sache des Kaisers, doch man munkelte, dass er und Wallenstein nicht die besten Freunde waren.

»Wallenstein sollte nicht seine Zeit damit vergeuden, auf ihn zu warten«, fuhr Vincent fort. »Es ist fast nichts mehr da, was wir beißen könnten, und wir sind nicht hierhergekommen, um zu hungern.« Sein Blick schweifte zur Stadt hinüber, über der sich majestätisch ein weißer Bergrücken erhob. »Selbst die dort drüben haben nichts mehr zu fressen.«

»Wallenstein wird schon wissen, was er tut.« Peter starrte in seine fast geleerte Schüssel, als ob er auf ihrem Boden eine Bestätigung seiner Worte finden könne. »Er ist kein schlechter Heerführer. Bis jetzt ist er sogar ausgesprochen erfolgreich gewesen. Wie ich hörte, haben seine Truppen sogar den Mansfelder bei der Schlacht an der Dessauer Brücke vernichtend geschlagen.«

Die Schlacht an der Elbbrücke bei Dessau war ein Massaker gewesen. Etwa viertausend Mann aus dem protestantischen Heer Mansfelds waren gefallen. Darüber hinaus hatten die Katholischen eintausendfünfhundert Gefangene gemacht, die angesichts ihrer Niederlage prompt die Seiten wechselten und nun auf Wallensteins Seite kämpften.

Vincent neigte bedächtig den Kopf. »Ja, das haben sie. Ich bin selbst dabei gewesen.« Sein gedrungener Körper beugte sich vor. Er hielt die Hände dem Feuer entgegen, als ob er seine Wärme suchte, doch es war ein freundlicher Tag, wenn er auch etwas kälter war, als es Jakob vom Rheintal um diese Jahreszeit gewohnt war.

»Aber jetzt sieht es ganz danach aus, als ob Tilly ihn hereinlegen wollte.« Vincent schüttelte den Kopf. »Wie man so hört, soll Wallenstein zu derselben Auffassung gelangt sein. Er soll sogar schon getobt haben, weil ihn Tilly so lange hinhält.«

»Warten wir’s ab«, entgegnete Peter begütigend. »Mehr können wir sowieso nicht tun.« Er stellte die geleerte Schüssel auf den Boden und hievte seine langen Glieder in die Höhe. »Vorerst müssen wir für die richtige Ausrüstung unserer frischgebackenen Söldner sorgen. – Was ist?«, fragte er, als ihn die vier mit großen Augen anstarrten. »Bewegt endlich eure faulen Knochen! Es gilt, den neu erworbenen Sold unter die Leute zu bringen.«

Peter führte sie zu den Marketendern, die auf dem Musterplatz Stellung bezogen hatten. Ausgiebig prüfte er ihre Ware. Hielt sie ans Tageslicht, während Aaron interessiert am Holz der Wagen schnüffelte und gelegentlich sein Bein hob. Achtete darauf, dass die Kleidung wenig Nähte und kein Fell hatte, um das Ungeziefer fernzuhalten, und verwarf sie wieder, bis er zu einem zufriedenstellenden Ergebnis gelangte. Am Ende waren Jakob, Balthasar, Zacharias und Heinrich stolze Besitzer einer Schlumperhose, zweier dicker Hemden, einem Lederwams, langen Strümpfen und einigermaßen bequemen Schuhen, nebst einem dicken Mantel und einem Filzhut, die sie gegen Nässe und Kälte schützen sollten. Die neu erworbenen Gegenstände kosteten sie fast ihren gesamten Sold, und so waren sie so arm wie zuvor, als sie die Marketender verließen.

Am nächsten Tag begann der Drill, und Jakob vergaß, dass er nur wenig zu essen bekam. Er erhielt ein großes Messer und eine Pike, die aus einer ungeheuer langen Stange und einer zweischneidigen Eisenspitze bestand. Der Umgang mit diesem Kriegsgerät war anfangs ungewohnt, doch Jakob und seine Gefährten lernten schnell, wie man sie zu halten hatte – ohne die eigenen Kameraden zu verletzen – und sie auf dem Boden aufstützte, damit der angreifende Gegner in die Spitzen hineinlief.

Auf von Ovelackers gebellten Befehl mussten sie sich mit mehreren anderen Fähnlein zu einem Tercio zusammenschließen. Einem strategischen Viereck, das in der Mitte aus Pikenieren bestand, die Waffen hoch erhoben wie das Fakirbrett eines Gauklers. Das einzig Höhere war die Fahne des Fähnrichs, die als Feldzeichen daraus emporragte.

Die wesentlich kleineren Flügel bildeten die Musketiere, bewaffnet mit Musketen und Arkebusen. Schweren Feuerwaffen, die beim Zielen und Abfeuern von einer Gabel gestützt werden mussten. Das Manövrieren in dieser starren Formation erwies sich als äußerst schwierig und wurde bis zum Umfallen geübt. Unterstützt wurden die Männer von mehreren Trommlern, die den Takt der Schritte vorgaben, und den lautstarken Befehlen der Offiziere. Den Rest besorgten an den Rändern postierte Feldweibel. Sie trugen als Einzige eine Hellebarde in den Händen, die ihnen nicht nur als Rangsymbol, sondern auch als Mittel zum Zweck diente. Marschierte einer der Pikeniere nicht im Gleichschritt, erhielt er vom Feldweibel einen Schlag mit der flachen Seite der Hellebarde, was die Konzentration der frischgebackenen Söldner zu ungeahnten Höhen trieb.

Kapitel 4Die Rückkehr einer Toten

Bärbel saß auf dem Bett, als Sebastian Liebig das Schlafzimmer betrat. Der Dielenboden ächzte unter seinem Gewicht, und ein kräftiges Schaben an der Unterkante der Tür erinnerte ihn daran, dass er sie an dieser Stelle ein wenig abschleifen musste. Er fügte es in Gedanken zu der imaginären Liste aus dringlichen Besorgungen und unerledigten Verrichtungen hinzu, die neuerdings in seinem Kopf mehr und mehr Platz einnahm.

Bärbel sah auf und lächelte ihn liebevoll an. Sein geräuschvolles Erscheinen war natürlich nicht unbemerkt geblieben, obwohl er sich Mühe gegeben hatte, das friedvolle Bild vor seinen Augen nicht zu stören.

Allem Anschein nach war ihm dies trotzdem gelungen. Marie lag an der entblößten Brust seines Weibes, ohne ihn auch nur im Geringsten wahrgenommen zu haben. Ihr kleiner Körper schmiegte sich an ihre Mutter, wie Plätzchenteig an ein Modell, und ihr Mund saugte so geräuschvoll, dass Sebastian das Gefühl hatte, ganze Wasserbäche würden an der Innenseite ihres zierlichen Halses entlang in die Tiefe strömen.

Es war ein inniges Bild an Mütterlichkeit. Eine Verschmelzung von Mutter und Kind, die Sebastian einen kleinen Stich der Eifersucht versetzte. Sechs Wochen waren seit Maries Geburt vergangen, in denen sich Bärbel vom Mädchen zur Frau verwandelt und in denen er sie nicht einen Moment ganz für sich allein gehabt hatte. Ständig schien jemand an ihrer Brust zu hängen, ob es nun die kleine Marie war oder der Junge, den er während Maries Geburt in der hölzernen Klappe neben der Haustür gefunden hatte. Ausgerechnet an diesem denkwürdigen Tag! Sebastian lächelte verstohlen in sich hinein. Der Herrgott hatte manchmal schon einen seltsamen Sinn für Humor.

Die Klappe war für diesen Zweck erst wenige Wochen zuvor dort angebracht worden, doch bis zu jenem Tag hatte es niemand gewagt, ein Kind hineinzulegen.

Wahrscheinlich war der Junge nur ein paar Tage älter als Marie. Als Therese, die alte Haushälterin, den winzigen Säugling aus seinem Bündel gewickelt hatte, um nachzusehen, ob es ein Junge oder ein Mädchen war, fand sie einen Knopf mit einem markanten Muster, sorgsam in der Windel verborgen. Jemand hatte einen Strahlenkranz in den Rand geschnitzt, sodass er fast wie eine Sonne aussah.

Sebastian bewahrte den Knopf sorgfältig auf und vermerkte die Ankunft des Kleinen in einer Liste. Vielleicht wollte die Mutter ihr Kind eines Tages wiederhaben und würde zum Beweis, dass er ihr gehörte, einen zweiten Knopf von der gleichen Machart hervorziehen? Sozusagen als Gegenstück zu demjenigen, den der Junge dabeigehabt hatte. Doch auch er brauchte eine gewisse Sicherheit, dass die Kinder nicht in die falschen Hände gerieten, und so war es gut, sich das Datum der Abgabe zu merken. Die meisten Eltern würden sich an diesen Tag zurückerinnern können. Wahrscheinlich würde er ihnen fortwährend vor Augen stehen, dieser beschwerliche Schritt, den sie getan hatten. – Tun mussten, um das Leben ihres Kindes zu retten.

Ein Schmatzen ließ Sebastian in die Wiege blicken, die nun für zwei Säuglinge herhalten musste.

Der Junge hatte sich in der Zwischenzeit prächtig entwickelt. Sie hatten ihn auf den Namen Johannes getauft. Er war ein strammer kleiner Kerl, viel kräftiger als die zierliche, feingliedrige Marie, und sein Hunger schien unersättlich zu sein. Das wütende Gebrüll des Kleinen schallte mehrmals täglich durch das Haus. Wäre er nicht so hilflos gewesen, so hätte er seiner »Schwester« vermutlich Gewalt angetan, um als Erster an Bärbels Brust zu kommen. Auch jetzt entdeckte Sebastian, dass Bärbel ihn zuerst gestillt hatte. Der kleine Körper lag in straffe Wickeltücher gebunden, wie eine verpuppte Raupe auf dem Rücken, doch ein dünnes Rinnsal aus Milch rann aus Johannes’ erschlafftem Mundwinkel und benetzte das Linnen unter ihm. Sein voller Bauch schien ihn müde gemacht zu haben. Er schlief tief und fest, auch wenn er hin und wieder im Traum schmatzte.

Das Bettstroh raschelte leise, als Bärbel eine bequemere Stellung suchte. Seit der Geburt war sie etwas fülliger geworden. Ihre Brust schien sich, ermuntert durch den Hunger zweier Kinder, auf das Doppelte vergrößert zu haben. Doch die dunklen Ringe unter ihren Augen zeugten von ihrer Erschöpfung.

Immer mehr Kinder drängten inzwischen in das Haus in der Steinstraßer Vorstadt, unweit der Stadtmauer. Und so leer das Findelhaus am Anfang gewesen war, schien es jetzt fast aus allen Nähten zu platzen.