Die Rose im Feuer - Peter Berling - E-Book

Die Rose im Feuer E-Book

Peter Berling

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Beschreibung

Roç und Yeza befinden sich in der Obhut des mongolischen Großkhans. Doch im Abendland wächst zunehmend der Widerstand gegen den Aufenthalt der Gralskinder im fernen Osten. Zu sehr beginnt man die Mongolen zu fürchten, die sich immer lauter damit brüsten, die künftigen Herrscher der Welt zu kontrollieren. Die im Westen verbliebenen Verbündeten von Roç und Yeza schmieden einen furchtbaren Plan. Um die Gralskinder heimzuholen, soll deren Beschützer William von Roebruk, der im Mongolenreich zu Ehren gekommen ist, in Ungnade fallen. Tatsächlich scheint das Unterfangen zu gelingen, doch Roç und Yeza geraten in Alamut erneut in die Gefangenschaft der Assassinen. Dort plant der wahnsinnig gewordene Imam der Stadt ihre Hinrichtung – vor den Augen ihrer Retter sollen sie in einem Meer aus Blut vergehen. Doch die Mechanismen des Todes wenden sich gegen ihre Erschaffer und die Rose aus Eisen und Feuer, die Hochburg der Assassinen, versinkt in einem Feuersturm. Roç und Yeza können dank der Hilfe der Tempelritter entkommen, sie sind auf dem Weg nach Frankreich, zurück ins Land ihrer Herkunft … Ein spannender historischer Roman von Peter Berling, der gleichzeitig das große Epos »Die Kinder des Gral« aus der Zeit der Kreuzzüge als Teil X fortführt.

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PETER BERLING

Die Rose im Feuer

Folge X des 17-bändigen Kreuzzug-Epos Die Kinder des Gral

Historischer Roman

Was davor geschah in Folge IX

Geiseln des Großkahn

Während im Abendland die Nachricht, die ›Königlichen Kinder‹ seien unterwegs zu den Mongolen, noch Schrecken und Panik, aber auch Hoffnung auslöst, trifft das Kalifat von Bagdad bereits Vorbereitungen, sie in Samarkand abzufangen, lebend oder tot. Nichts dergleichen schreckt Roç und Yeza derzeit weniger, denn inmitten der Gefahren erwächst zwischen beiden die Lust an ihren jungen Leibern.

Die Kurie von Rom und die Krone von Frankreich haben nicht nur William von Roebruk, den unermüdlichen Hüter der Kinder, sondern auch etliche Mordgesellen in Marsch gesetzt. Sich gegenseitig befehdend, meuchelnd und verratend, erreichen sie alle erst Konstantinopel, als das ›Königliche Paar‹ bereits die Reichsgrenze überschritten hat.

Doch auch unter den Mongolen herrschen Neid und Zwietracht. Längst hat das Herrscherhaus erkannt, welches Potential in den ›Königlichen Kindern‹ steckt, verlockendes und zu fürchtendes. Es geht um die Herrschaft der Welt! Das weiß auch Rom.

Roç und Yeza geraten in die Hände rivalisierender Khanate, während William sich die Gunst des Großkhans erhoffen kann, als er ihm endlich die ersehnten ›Königlichen Kinder‹ zuführt: William I., Patriarch von Karakorum …

I VOM HEILIGEN GEIST UND ANDEREN GEISTERN

Ein besonnener Henker

Schon das kostbare Zaumzeug, die reich verzierten Ledersättel, die silbernen Steigbügel der Karawane des Mustafa Ibn-Daumar zeugten vom Wohlstand des Kaufmanns aus Beirut. Die Torwächter von Sis verzichteten darauf, einen Blick in die Truhen, Ballen und Kisten zu werfen, die von fünf hoch bepackten Lastkamelen getragen wurden. Unfreundlich ließen sie den jungen Kaufmann absteigen. Was er in ihrer christlichen Stadt verloren habe? Hamo biss sich auf die Zunge. Er befände sich auf der Reise nach Melitene und habe von dem Reichtum der Stadt Sis gehört, sodass er den Umweg auf sich genommen habe, um noch etwas Ware auf dem Markt zu erhandeln. Die Torwächter waren weder zufrieden noch gnädig. Sie ließen sich den Einlass des Moslems teuer bezahlen und schickten einen Boten zum Palast, um Meldung zu erstatten.

Hamo begab sich zum Markt und bezog in der nächsten Herberge Quartier. Seinen Leuten, es waren vor allem Assassinen, die Crean begleitet hatten, und nur wenige lestai des Penikraten, befahl er, dort zu bleiben und auf die Ware achtzugeben. Nur den ältesten der Männer aus Alamut, einen gewissen Agha[1], nahm er mit, denn der hatte sich auf der ganzen Reise als schweigsam und zuverlässig erwiesen.

Die Stadt Sis lag im Gebirge. Die Häuser aus grauem, hartem Stein ragten über die engen Straßen hinaus, und die Säulenumgänge und Torwege waren mit dicken Balken überdacht. Hier spielte sich der Basar ab. Es fehlte das übliche anonyme Gedränge des Orients. Der Fremde wurde sogleich als solcher erkannt und misstrauisch abgeschätzt, besonders, da es sich um einen Moslem handelte.

Der auffällig gekleidete junge Kaufherr aus Beirut schlenderte mit seinem älteren Begleiter an den Werkstätten der Handwerker vorbei, ohne sonderliches Interesse an ihren Arbeiten zu zeigen. Hamo ließ Agha nach dem Sklavenmarkt fragen, eine Frage, die Erstaunen und Kopfschütteln auslöste. Schließlich wies man den Fremden in einen finsteren Hof mit vergitterten Fenstern. Dort mahnten einige Säulen mit eingelassenen schweren Eisenringen und Ketten an die Unglücklichen, die hierhin verschleppt worden waren, aber von einem Markt konnte nicht die Rede sein.

Ein paar Aufseher waren in ein Brettspiel vertieft, bei dem es wohl kaum um den Besitz einer schönen Sklavin ging, sondern höchstens um die Bezahlung des nächsten Kruges aus der benachbarten Taverne. Die Würfel rollten, und die Männer blickten ungehalten auf, als der junge Fremde sie störte.

»Kommen oft Sklavenkarawanen nach Sis?«, fragte Hamo vorsichtig.

»Bist du Händler?« murrte der eine, ohne aufzuschauen.

Hamo warf ein Goldstück auf das Brett. »Ich suche eine Sklavin«, sagte er und wurde jetzt wenigstens eines Blickes gewürdigt.

»Da müsst Ihr Geduld haben, Herr – hierher verirrt sich frische Ware höchstens zwei-–, dreimal im Jahr.«

»Wie soll das junge Ding denn beschaffen sein?« Der andere witterte die Möglichkeit, das Gesuchte zu besorgen. »Weiß, braun, schwarz, kräftig, mit dickem Arsch und Titten, so schön wie reife Kürbisse? Ich könnte –«

»Nein«, unterbrach ihn Agha, »mein Herr sucht eine bestimmte Sklavin, die hier vor drei Jahren –«

»Also eine Alte.« Die Bereitschaft des Aufsehers verringerte sich zusehends. Er schüttelte die Würfel.

»Eine schöne junge Frau«, erklärte Agha geduldig, und Hamo warf noch eine Münze auf das Brett. »Weiß und von nobler Herkunft. Könnt Ihr Euch nicht erinnern? Abdal der Hafside brachte sie.«

»War das nicht eine Lieferung für den König?«, entsann sich der eine, um gleich hastig hinzuzufügen: »Damit haben wir nichts zu tun!«

»Ich will wissen, ob die ›Ware‹« – Hamo zwang sich, die Sprache der Männer zu sprechen – »hier in Sis verblieb, im Harem des Königs, oder ob sie weitergeschickt wurde.«

Verlockend ließ Hamo seine Goldmünzen im Beutel klirren.

»Wenn sich im Palast einer bedient, dann nicht König Hethoum, sondern höchstens sein Bruder, Sempad, der Konnetabel!« entgegnete der eine lachend, aber sein Gefährte wartete lauernd, bis ein weiteres Goldstück auf das Spielfeld sprang. »Die Weiber des Hafsiden, ich erinnere mich genau, gingen weiter. Die waren nicht für den Hof bestimmt, die waren ein Geschenk –«

Sein aufmerksamer Mitspieler trat ihm gegen das Bein, dass er verstummte und erst weiterredete, als Hamo nachgeworfen hatte. »– ein Geschenk für den Großkhan der Mongolen!«

»Da war eine darunter –«, fing der andere an, doch er verstummte. Zwei Gestalten waren in den Hof getreten und schweigend stehen geblieben. Sie sahen aus wie Soldaten, mehr noch wie Jäger. In ihren Gürteln steckten ein kurzer Dolch und ein Hirschfänger. Ohne dass sie einen Wink geben mussten, sprangen die beiden Aufseher auf von ihrem Spielbrett und näherten sich ihnen eilfertig. Die Jäger sprachen leise und schnell und verschwanden wieder.

Einer der Aufseher kam zurück und verbeugte sich vor Hamo. »Ihr müsst entschuldigen, hoher Herr, doch wir einfachen Diener des Königs wussten nicht, wie weit wir mit unseren Auskünften gehen durften, was die von Euch gesuchte Person betrifft.«

Hamos Gesicht erhellte sich. Ein Hoffnungsschimmer?

»Es scheint, dass die junge Dame sich unter den Personen befindet, die wir in Gewahrsam haben. Wenn Ihr ein Auge auf sie werfen wollt?«

Der andere hatte schon das schwere Tor entriegelt und eine Fackel entzündet, denn es war inzwischen Abend geworden. »Folgt uns bitte«, flüsterte er, »und wenn Ihr die Gesuchte entdeckt, lasst es Euch nicht anmerken, sondern gebt uns ein Zeichen, damit wir sie herausholen –«

»Andernfalls gäbe es einen Aufstand«, fügte der Gesprächigere hinzu, »der uns die Arbeit erschweren würde. Denn wer möchte nicht freigekauft werden von solch einem reichen jungen Herrn?« So schmeichelte er, als Hamo zwei weitere Goldstücke in seine Hand gleiten ließ.

Sie traten durch das Tor und stiegen im Licht der Fackeln über eine breite Steintreppe hinab in den Keller. Feuchtigkeit und Moder schlugen Hamo entgegen, und sein Herz krampfte sich zusammen bei dem Gedanken, Shirat in einem solchen Verlies zu finden. Unten angekommen, befanden sie sich in einem Gewölbe, von dem aus eiserne Gittertüren einen Blick in die Zellen gestatteten. Hinter den Eisenbarren drängten sich ausgemergelte Gestalten mit eingefallenen Gesichtern, fast alles ältere Menschen.

»Das sieht mehr nach Gefängnis aus«, murmelte Agha besorgt und sah sich nach dem Aufseher um, der ihnen mit seiner Fackel geleuchtet hatte. Da fiel hinter ihnen ein Eisengitter ins Schloss, und der Lichtschein der Fackel auf der Treppe entfernte sich und verschwand schließlich. Dumpf verschloss sich auch oben das Tor, und völlige Dunkelheit umfing sie.

Die Gefangenen, die erst aufgeregt ihre Hände durch die Gitter nach den Besuchern ausgestreckt und wild durcheinandergeschrien hatten, lachten die beiden Fremden nun aus, voller Schadenfreude, die aber schon bald tiefer Beklommenheit wich. Es wurde still im Kerker von Sis.

»Man hat sie gleich im Gewölbe gelassen«, hörten sie eine Stimme erklären, »weil sie sowieso morgen früh gehenkt werden.«

»Ich hasse alle Sarazenen«, ließ der bullige Konnetabel seinen Besucher wissen. »Jedes Mal, wenn ich einen dieser Hunde hängen kann, verschafft mir das tiefe christliche Genugtuung.«

Sie standen auf einem schmalen Balkon der Burg mit Blick auf einen engen Hof, der von hohen Mauern umgeben war. Dort unten befand sich der Galgen, eine solide Holzkonstruktion, die großzügig Platz für mindestens ein Dutzend gleichzeitig Hinzurichtender bot. Diesmal hatten die Gehilfen des Henkers nur zwei Stricke über den Querbalken geworfen. Eine Tür in der Mauer öffnete sich, Hamo und Agha wurden, die Hände auf den Rücken gebunden, zum Gerüst geführt. Der Henker sah fragend zum Balkon hinauf. Sempad nahm sich die Zeit, seinen Gast zu unterrichten. »Dieser da –«, er wies mit seinem kurzen Kinn grimmig hinab auf Hamo, »ist ein Spion. Er besaß die Frechheit, nach einer Kebse zu forschen, die wir vor drei Jahren, stellt Euch vor, vor drei Jahren ordentlich erworben hatten und einer Tributzahlung des Königs beigaben.« Sempad lachte ein rohes Lachen, das seinem gedrungenen Säuferhals entstieg wie das heisere Bellen eines Bluthundes. »Und da kommt dieser beschnittene Hurensohn daher und –«

»Erstens«, sagte Gavin, der Templer, seelenruhig, »ist dieser da kein Moslem, sondern Christ. Es ist der Graf von Otranto, ein Verwandter des Kaisers und ein enger Freund Eures Schwagers Bohemund –«

Der Henker hatte inzwischen die Schlingen fachmännisch um die Hälse der Delinquenten gelegt und schaute erwartungsvoll zum Balkon, damit er die Prozedur zum guten Ende bringen konnte. Da Sempad zu verwirrt war, gab der Templer ein Zeichen, noch zu warten. Hamo blinzelte zu ihm hinauf, als er merkte, dass eine Verzögerung eingetreten war. Gavin konnte sich eines Grinsens nicht erwehren. »Zweitens«, sagte er zum Konnetabel, »die Frau, nach der er sucht, ist keine Kebse, sondern seine eigene. König Ludwig –«

Das reichte. Sempad jagte mit hochrotem Kopf seine beiden Leibjäger hinunter in den Hof, die Gefangenen samt Begleiter aus ihrer unangenehmen Lage zu befreien. Der Henker schüttelte den Kopf, als die beiden Herren dort oben darauf verzichteten, ihn bei der Ausübung seines Handwerks zu bewundern, und den Balkon verließen. Doch hütete er sich, ohne letzten Befehl mit der Exekution fortzufahren. Der Fehler war seinem Vorgänger nur einmal unterlaufen.

Hamo trat vor Sempad. »Man hat mir auf meinen Reisen schon viel über Eure Forschheit zu berichten gewusst, Konnetabel«, sagte er leichthin. »Aber die Wirklichkeit übertrifft jede Legende.«

Er wandte sich an Gavin. »Gibt es irgendeinen Ort auf dieser Erde, werter Präzeptor, an dem es mir erspart bleibt, Euch zu treffen?«

»Noch habt Ihr ihn nicht kennengelernt, Hamo L'Estrange.« Gavin grinste ungerührt ob der Wut des jungen Grafen. »Doch wenn Ihr weiter in verschiedenen Verkleidungen Euer Leben aufs Spiel setzt, werde ich nach ihm suchen!«

»Sucht lieber Shirat!« fauchte Hamo. »Ehe ich nachforsche, wer dieses Seeräuberpack auf die ›Contessa d'Otranto‹ losgelassen hat!«

»Wo habt Ihr eigentlich die Triëre gelassen?«

Gavin bemühte sich, der Schärfe des Gesprächs die Spitze zu nehmen. »Nachdem Ihr auf die glorreiche Idee verfallen seid, in die Kleider unseres Freundes Crean de Bourivan zu schlüpfen, der ›Mustafa Ibn-Daumar‹ hätte Euch fast den Halswirbel gebrochen.«

»Mein Herz ist gebrochen«, sagte Hamo, »was zählt da noch mein dummer Kopf!«

Das brachte Sempad zum Lachen. »Ich kann den jungen Grafen verstehen«, gab er sich jovial. »Sein Weib – so wir die gleiche Raubkatze meinen – ist eine Torheit wert, auch wenn ich nur ihre Krallen erlebt habe, als ich ihr Fellchen streicheln wollte.«

Mit einem Wutschrei hatte sich Hamo auf den Konnetabel gestürzt, doch Gavin stellte ihm ein Bein, und die Attacke endete für den Grafen mit einem Sturz auf den glatten Boden des Saales.

»Jetzt erfreut sich der Großkhan an ihren Gaben«, spottete Sempad, der keinen Schritt zurückgewichen war, während seine Leibjäger ihre Hirschfänger blankgezogen hatten.

Gavin legte den Arm um Hamo und hielt ihn fest. »So kommt Ihr nicht weiter«, sagte er. »Und Ihr müsst weiter, denn der Weg nach Karakorum bleibt Euch nicht erspart, Hamo L’Estrange. Und Ihr, Sempad, erweist jetzt unserem jungen Heißsporn die Ehren eines Gastes, und spart Euch Euren Ärger über entgangene Freuden gefälligst für andere auf!«

Der Konnetabel schaute finster auf Hamo, bevor er sich an Gavin wandte. » Wenn ein Ehemann seinem Weib so wenig Schutz verleiht, dass es ihm geraubt werden kann, dann hat er sein Anrecht auf die Dame verloren. Er muss sie neu erobern. Solches Recht steht auch jedem anderen Mann zu, der Feuer für sie gefangen hat.«

»Ich, und nicht Ihr, Konnetabel, werde die Dame von dort zurückholen, wohin Ihr sie verschenkt oder in Zahlung gegeben habt wie eine Ware, wie ein Stück aus Eurer Herde! Oder glaubt Ihr, dass Euch aus dieser noblen Tat auch noch ein Recht auf Minne erwächst?«

Der Disput endete hier, denn Fanfarenstöße kündeten die Rückkehr des Königs an.

Hethoum war ein griesgrämiger Mann, zermürbt von den Sorgen um sein Königreich, das von allen Seiten bedrängt wurde. Im Norden hockte ihm der Sultan der Seldschuken im Nacken, im Osten die Mongolen, im Westen war das Meer, in dem alle Feinde das Volk der Armenier am liebsten ertränkt hätten, nachdem sie es quer durch Kleinasien bis an die Küste gejagt hatten. Nur im Süden bestand eine brüchige Verbindung zu den christlichen Kreuzfahrerstaaten Syriens, weshalb er seine Tochter mit dem Fürsten Bohemund von Antioch und Tripoli verheiratet hatte. Doch Sicherheit gab auch das nicht. Sich rechtzeitig dem Großkhan zu unterwerfen und so in den Schutz der pax mongolica[2] zu gelangen, war – wie teuer es auch zu stehen kommen mochte – die einzige Alternative. Sein Volk würde sonst ausgelöscht werden.

Sein Schwiegersohn Bo hatte dem König berittene Boten mit der Bitte nachgesandt, er möge einen ungebetenen Gast, den jungen Grafen von Otranto, der in seine Hauptstadt Sis gereist sei, als Freund empfangen. Dazu war Hethoum auch bereit, als ihm sein Bruder und Konnetabel zum Empfang entgegenschritt.

»Was treibt denn diesen Hamo L'Estrange zu uns?« fragte er beiläufig, und Sempad bereitete es ein heimliches Vergnügen, seinem Herrn das ›Begehr‹ des jungen Grafen recht schmackhaft zu machen.

»Der will Euch seine Aufwartung machen, Majestät, er führt auch reichlich Geschenke mit sich. Er will nur seine Frau zurück.«

»Welche Frau, Sempad?« Schnitt sein Bruder das Thema Frauen an, war Hethoum stets alarmiert. »Was hast du schon wieder ange –?«

»Nicht ich, Ihr, Majestät«, kostete der Konnetabel die seltene Ausnahme aus. »Ihr habt seine Frau vor drei Jahren von Abdal dem Hafsiden gekauft und nach Karakorum weitergeschickt.«

»Die?«

»Genau die!«, sagte Sempad triumphierend. »Hättet Ihr sie mir überlassen, könnten wir sie ihm nun wieder in die Hand drücken - nach drei Jahren.«

»Will er mir einen Vorwurf machen?«

»Er will sie wieder in seine Arme schließen; er wird mit uns - oder ohne uns! – zum Großkhan reisen wollen.«

»Das möchte ich nicht«, sagte der König. »Wir reden später noch darüber.« Er ließ sich den jungen Grafen vorstellen und bot ihm freundlich an, sich als sein Gast zu fühlen, solange es ihm beliebe.

Diese glückliche Wendung beruhigte Gavin Montbard de Béthune, den Präzeptor des Templerordens, und er reiste ab, nachdem er Hamo noch einmal eingeschärft hatte, seinem Gastgeber nicht mit ständigen Wehklagen über die verschollene Mutter seines Kindes zur Last zu fallen, geschweige denn mit Vorwürfen zu begegnen. Er solle sich vielmehr bei Hofe beliebt machen, damit die Armenier ihn bei der anstehenden Reise nach Karakorum in ihrer Delegation mitnähmen. Ohne den Status eines Gesandten gäbe es für ihn keine Möglichkeit, bis zum Großkhan vorzudringen. Das wäre ihm hoffentlich klar.

Hamo nickte in einer Weise, die Gavin zeigte, dass er gegen einen Brustpanzer angesprochen hatte, der Hamos Herz – und leider auch seinen Verstand – vor jeder Attacke der Vernunft schützte.

»Und vergesst nicht«, hatte Gavin beim Abschied gemahnt, »den König durch kostbare Geschenke zu erfreuen, sodass er sich nicht ausrechnen muss, was Ihr ihn kostet. Zeigt ihm, dass Ihr die weite Reise aus eigenen Mitteln bestreiten könnt und wollt, selbst wenn man Euch im Gefolge mitreiten lässt. Die Armenier sind Krämerseelen, allerdings die ausgefuchstesten, die mir je über den Weg gelaufen sind.«

»Dieses Kompliment aus dem Munde eines Templers«, bedankte sich Hamo, »ist allerdings bemerkenswert.«

Das Amulett[3]

Hamo verbrachte seine Zeit zwischen dem Palast und der Herberge, in der er sein Gefolge untergebracht hatte. Tagtäglich kehrte er mit einem neuen Geschenk für den König zur Burg zurück, denn er war von der Furcht befallen, Hethoum könnte ohne ihn zu den Mongolen aufbrechen. Es erschien Hamo, als belagere er die Burg in Erwartung eines Ausfalls, und er war stolz auf sich, dass er diese Belagerung bisher ohne ein Wort der Klage um Shirat durchgehalten hatte. Er war freundlich zu jedermann; selbst dem stiernackigen Sempad lächelte er jedes Mal zu, wenn er ihn auf seinen ausgedehnten Gängen durch die verwinkelte Burganlage traf. Der Graf inspizierte sie gewissermaßen, um rechtzeitig gewarnt zu sein, wenn irgendwo Vorbereitungen getroffen würden, die auf eine baldige Abreise hätten schließen lassen.

Doch allmählich gewann in ihm die Vorstellung Raum, die Armenier würden ihre Reise nie antreten, und er begann vorsichtig anzudeuten, dass er ihnen nicht länger zur Last fallen wolle und sich durchaus in der Lage sähe, sich auf eigene Faust auf den Weg zu machen. Von da an wurde er mit Freundschaftsbeteuerungen überschüttet. Jeden Tag erschienen die Leibjäger des Sempad in seiner Herberge, um sicherzustellen, dass er nicht plötzlich aufbrach.

»Wir laufen Risiko«, beschwor der Konnetabel seinen königlichen Bruder, »dass der Großkhan unsere Verspätung mit dem Entzug seiner Huld ahndet. Möngke hat es nicht gern, wenn man ihn warten lässt!«

»Wir können diesen Hamo L'Estrange aber unmöglich mit uns führen«, murrte der König. »Entweder beleidigt er den obersten Herrscher aller Mongolen mit Nachfragen nach einer Sklavin, die wir ihm zum Geschenk gemacht haben, oder er wird dort so lästig –«

»Wie hier uns!« fügte Sempad hinzu. Er wusste sein Feuer zu schüren.

»Oder –«, fuhr Hethoum ärgerlich fort, »er findet beim Herrscher ein offenes Ohr, ein Herz für die Liebenden, sodass der Großkhan ihm seine Frau zurückgibt. Doch in beiden Fällen stehen wir als die Verursacher des Ungemachs da, unsere Gabe ist entwertet, und die Gunst der Mongolen wird uns entzogen werden wie ein Teppich unter den Füßen.«

»Kein schönes Bild: Der allerchristliche König von Armenien schickt nicht seine eigene Tochter, wie es sich gehört hätte –«

»Was ich keiner meiner Töchter je zumuten würde«, unterbrach ihn Hethoum. »Erzähl mir nicht, was sich gehört!«

»Sicher nicht, eine Verwandte des Kaisers zu kaufen«, begehrte Sempad auf.

Aber da wurde Hethoum wütend. »Du Rind hast mir dazu geraten! Hätte ich gewusst –«

»Lasst uns nicht darüber streiten, Bruder«, lenkte Sempad ein, »wer hier die Entscheidungen fällt. Dieser Hamo darf mit seiner Familientragödie auch nicht alleine, sei es vor uns oder nach uns, bei den Mongolen aufkreuzen!«

»Er muss verschwinden«, stellte der König fest.

Sempad sah sich endlich als Sieger. »Gift?«

»Nicht hier im Haus! Das fehlte mir noch! Der König - nein! Nichts, womit wir in Verbindung gebracht werden könnten.«

»Ich werde das in die Hand nehmen, wenn Ihr –«

»Ich erwarte Eure Vorschläge, Konnetabel, aber keine übereilte Tat! Haben wir uns verstanden?«

Sempad verneigte sich und verließ den Raum. Er bestellte seine Leibjäger zu sich, die ihm hündisch treu ergeben waren. »Kein Schimmer eines Verdachts darf auf uns fallen!«, schärfte er ihnen ein.

Hamo war der erste, der hörte, dass die beiden Leibjäger Sempads ihm nach dem Leben trachteten. Sie waren ihm inzwischen von den täglichen ›zufälligen‹ Begegnungen so vertraut, dass er sie sogar beim Namen kannte. Leo und Ruben[4] hatten auf dem Basar und in allen Tavernen versucht, Assassinen zu dingen, und diese hatten sofort Agha davon in Kenntnis gesetzt. Der Name des Opfers war zwar nicht gefallen, aber die Beschreibung und die seines täglichen Weges von der Herberge über den Basar zur Burg traf auf keinen anderen als auf den Grafen zu. Er war gewarnt, ließ sich aber nichts anmerken.

Der König war der zweite, der von dem Plan des Konnetabels erfuhr. Seine Leute, zu denen auch die Aufseher des Kerkers gehörten, ließen ihn wissen, die Assassinen würden sich weigern, den Mordauftrag anzunehmen; nicht einmal gegen dreifachen Lohn seien sie zu dingen.

»Großartig!«, spottete der König. »Deine Pläne mit dem Grafen von Otranto sind bereits Gespräch im Basar!«

Sempad lief puterrot an. »Nur hat dir noch keiner erzählt, dass der Kanzler der Assassinen von Masyaf den Grafen als Knaben auf den Knien geschaukelt hat!«

»Ihr solltet Euch auf mich verlassen, Majestät!« presste der Konnetabel zähneknirschend hervor und wollte aus dem Raum stürzen.

»Ich denke nicht daran!«, rief ihm der König nach. »Sobald das mongolische Begleitkommando, das ich erbeten habe, um unsere bisherige Verzögerung zu erklären, in Sis eingetroffen ist, brechen wir auf. Vielleicht hast du unterwegs noch eine deiner genialen Ideen!«

Sempad begab sich mitsamt seinen beiden Leibjägern in die Herberge und ließ sich bei Hamo melden.

»Meine mir treu ergebenen Diener«, erklärte er Hamo, »haben in Erfahrung gebracht, dass die Assassinen Euch nach dem Leben trachten. Seht Euch bitte vor! Leo und Rüben werden Euch beschützen, auf Schritt und Tritt sollen sie Euch folgen.« Nachdem der Konnetabel ›ehrliche‹ Besorgnis zum Ausdruck gebracht hatte, verfiel er nun in einen leichten Plauderton. »Der König lädt Euch für morgen auf die Hirschjagd ein, die wir alljährlich für die Gesandten geben. Führt bitte Euer Gefolge mit Euch, zumindest bis wir die Stadt verlassen haben. In den Wäldern habt Ihr nichts zu befürchten. Ich werde Euch selbst abholen und mit Euch zur Jagdgesellschaft stoßen.«

»Das ist sehr freundlich von Euch, Konnetabel, doch ich mach' mir nicht viel aus der Hatz auf Wild und fühl' mich in der Stadt am sichersten, zumal mir Gefahren drohen, vor denen Ihr mich dankenswerterweise gewarnt habt. «

Sempad lachte. »Über Assassinen wird viel geredet, aber ich hab' in Sis noch keinen zu Gesicht bekommen. Wenn irgendwo ein Meuchelmord geschieht, dann heißt es gleich: Assassinen! Also enttäuscht den König nicht mit einer Absage.«

Das wollte Hamo nun doch nicht, und er nickte. »Richtet dem König aus, ich nähme seine Einladung mit Freuden an und könnte es gar nicht erwarten, durch den grünen Tann zu streifen, um endlich einen Zwölfender –« Er sparte sich den Rest der Eloge, weil Sempad, gefolgt von seinen beiden Schatten, bereits die Herberge verlassen hatte. Er wandte sich vielmehr an Agha. »Lasst die beiden Burschen morgen nicht aus den Augen! Sicher will man Euch nur anfangs als Alibi dabeihaben und versuchen, uns später zu trennen!«

»Dafür werden die Euch immer dichter auf die Pelle rücken!« entgegnete Agha und lächelte fein. »Es gibt keine Assassinen!«

Am folgenden Morgen erschien der Konnetabel in aller Herrgottsfrühe gestiefelt und gespornt mit seiner Jagdgesellschaft vor der Herberge. Hamo hatte sein Gefolge ebenfalls um sich versammelt, und gemeinsam ritten die beiden Trupps aus der Stadt.

Sempads Leibjäger, Leo und Rüben, waren bis über die Zähne bewaffnet; jeder von ihnen schleppte zusätzlich zu Dolch, Stilett und Schwert ein Bündel Wurfspieße mit sich.

Hamo musterte sie amüsiert, als sie zu ihm aufschlossen. »Das sieht eher nach Sauhatz als nach Hirschjagd aus!«, scherzte er.

Die beiden grinsten blöd, schnauften nur und schwiegen verbissen.

Sie verließen die Straße und trabten auf Ziehwegen in die dichten Wälder des Gebirges. Es war ein lieblicher Frühlingsmorgen, dessen sonniger Duft mit Bienengesumm und Vogelzwitscher so gar nicht zu den finsteren Gedanken passen wollte, die einige der Männer hegten. Auch bei Agha und den Assassinen wollte sich keine Heiterkeit einstellen, zu groß war die Spannung, obwohl Hamo erklärt hatte, er fürchte sich keineswegs. Der Feind war zwar erkannt, aber wo und wann würde er zuschlagen? Und der junge Graf war kein versierter alter Kämpe, dem die Schliche des Fuchses und die Witterung des Wolfes so in Fleisch und Blut übergegangen waren, dass ihm keine Falle mehr zur Gefahr werden konnte. Sicher war, dass der Konnetabel als erstes dafür sorgen würde, Hamo von seinem Gefolge zu trennen. Für den Fall war vorgesehen, dass sich Agha und zwei ausgewählte Männer an die Fersen der beiden Leibjäger heften sollten, denn es war auch klar, dass Leo und Rüben mit der Ausführung des Mordanschlages betraut sein würden.

So stoben die Männer dahin, dass die Vögel aufschwirrten und das Niederwild ins Dickicht flüchtete. Heitere Scherzworte flogen hin und her, und dröhnendes Gelächter erscholl, während sie sich belauerten und nach den Blößen ihrer Opfer schielten, in die sie den todbringenden Stahl senken wollten. Von einem Treffen mit König Hethoum war keine Rede mehr.

Sempad hielt an einer Lichtung und ließ die Jäger still im Schatten der Bäume verharren. Mit behandschuhter Hand wies er auf einen kapitalen Bock, der gerade aus dem Gehölz brach, als hätte man ihn hinausgejagt auf die Lichtung, wo er verschreckt im Laufe innehielt. »Der gehört Euch, werter Graf Hamo«, zischte Sempad, seinen Jagdeifer nur mühsam zügelnd, wenngleich das Wild, das er zu jagen gedachte, ein anderes war.

So plump hatte sich Hamo die Vorgehensweise seines Gegners nicht vorgestellt. Er gab Agha ein Zeichen, rief spöttisch seinem Gastgeber zu: »Habt Dank für die Aufmerksamkeit, Ihr könnt den Köder jetzt von der Leine lassen!« Damit sprengte er lachend davon. Die beiden Leibjäger setzten hinterher, aber von rechts und links griffen Männer des Konnetabels Agha in die Zügel, und auch das übrige Gefolge des Grafen sah sich umstellt. Es fiel kein Wort, doch die gezogenen Schwerter besagten genug. Sollte Hamo L'Estrange nicht zurückkehren, würden auch sie den Wald nicht lebend verlassen. Sollte es anders kommen, würde es sich als Missverständnis darstellen. Die Fremden kannten sich nicht aus in den Regeln der Jagd, die der Konnetabel aufgestellt hatte. Agha bedeutete seinen Männern, sich vorerst gefügig und unterlegen zu gebärden. Im Nahkampf, Mann gegen Mann, hätten seine Kämpfer wenig zu befürchten. Deshalb war es wichtig, nah am Feind zu bleiben.

Als Hamo aus dem Laub brach, hetzte der Bock zurück in das Gehölz. Hamo stürzte hinterher, nachdem er sich vergewissert hatte, dass Leo und Rüben ihm folgten. Sie würden es nicht wagen, ihn offen anzugreifen, denn er hatte Pfeil und Bogen, sein Schwert sowie einen Spieß. Sie würden warten, bis er abgestiegen war, und das würde nach ihrer Rechnung spätestens der Fall sein, wenn er den Bock erlegt hatte. Den Gefallen wollte er ihnen tun. Es reizte ihn plötzlich, das Wild zu erlegen – und seine beiden Verfolger dazu. Der Hirsch sprang mit langen Sätzen durch den Wald, und Hamo trieb sein Pferd an, einen edlen Araberhengst. Er hatte das Geschenk des Hafsiden zunächst empört abgewiesen, doch jetzt machte es sich bezahlt, dass der Penikrat keine Skrupel gezeigt hatte, es von dem Sklavenhändler anzunehmen. Weit hinter sich sah Hamo die Häscher, die Mühe hatten, ihm zu folgen. Der flüchtende Bock bestimmte die Hatz. Hamo lachte. Vor ihm öffnete sich der Wald zu einer Schlucht, in der ein Wildbach rauschend seinen Weg durch den Fels suchte. Das Wild zögerte, doch als sein Verfolger näherkam, sprang es hinab. Der Hang auf der gegenüberliegenden Seite war zu steil, also folgte es dem Wasser talwärts, von Stein zu Stein springend. Es gelang Hamo, das Tier in der Schlucht zu überholen. Er sprang ab, legte einen Pfeil an und wartete, bis der fliehende Bock ihm die volle Breite bot. Sein Pfeil drang dem Tier in den Hals, warf es aber nicht um. Mit wilden Sätzen durch das aufspritzende Wasser versuchte es, seinem Jäger zu entkommen, doch dann brach vor seinen Hufen der Fels jäh ab. Ein Wasserfall stürzte in die Tiefe, und der Hirsch legte sich zum Sterben nieder. Hamo war ihm, gedeckt von den Bäumen, gefolgt. Seine Jäger hatte er völlig vergessen. Als die Läufe des Tieres einknickten, spürte er nur die wilde Genugtuung des erfolgreichen Waidmannes. Er zog seinen Dolch und ließ sich an einem jungen Ast in das Flussbett hinuntergleiten. Hamo wusste, dass er dem Bock den Fangstoß geben musste, um sich als Sieger zu fühlen. Er näherte sich seiner Beute und griff nach dem Horn, um die Klinge in den Nacken zu stoßen. Da bäumte sich das waidwunde Tier noch einmal auf und stieß mit aller Kraft nach seinem Bezwinger. Hamo sprang zurück, rutschte aus und wäre fast hintenüber den Felssturz hinabgefallen. Sein Dolch entglitt ihm. Als er aufschaute, erblickte er das stoßbereite Geweih. Doch ein Zittern lief durch den Körper des Bocks, und sein Haupt senkte sich schlaff zur Seite. Da bemerkte Hamo den Speer, der sich in die Flanke des Tieres gebohrt hatte, genau dort, wo er sich hatte niederbeugen wollen, um ihm den Todesstoß zu setzen. Ihm blieb keine Zeit, darüber nachzusinnen, denn ein zweiter Wurfspeer kam angeflogen; die Eisenspitze streifte ihn an der Schulter. Hamo sah auf und erkannte über sich die Leibjäger, von denen einer schon zum nächsten Wurf ausholte. Hamo hatte die Tiefe des Wasserfalls nur kurz abschätzen können, aber er hatte das Becken in Erinnerung, das die Wasser dort unten in den Fels gegraben hatten. Er gewahrte den dritten Speer, konnte aber nur der Spitze ausweichen. Der Stoß des Schaftes warf ihn rücklings in die Tiefe, sodass der nächste Speer über seinen stürzenden Körper hinweg ins Leere flog. Hamo war ein geübter Taucher. Es gelang ihm noch, im Sprung die Orientierung zu finden. Er schlug auch nicht auf, sondern glitt wie eine Forelle in das dunkle Blau des Beckens. Seine Häscher hielten seinen ungewöhnlichen Absprung für einen Todessturz und waren triumphierend an den Rand der Klippe geeilt. Sie starrten hinunter in das Wasser und entdeckten vom Grafen keine Spur. Sie warteten geduldig, ob sein Leib mit gebrochenem Rücken und zerschmetterten Gliedern noch einmal hochgeschwemmt würde. Doch dann sahen sie, dass von dem Auffangbecken des Wasserfalls der Fluss weiter ins Tal hinabtoste. So beruhigten sie sich damit, dass es undenkbar war, dass Hamo diesen Sturz in die Tiefe überlebt hatte, auch wenn sie seine Leiche nicht vorweisen konnten. Dass sich Hamo schwimmend durch die Gischt in die Felsen gerettet haben könnte, die unter den Füßen der Häscher durch den Perlenteppich des herabstürzenden Wassers eine Grotte bildeten, war für Leo und Rüben nicht vorstellbar. Sie konnten nicht einmal schwimmen. Sie fingen Hamos Pferd ein und zogen oberhalb des Flusses zwischen den Bäumen zu Tal, immer noch nach dem Leichnam des Grafen Ausschau haltend, den sie irgendwann zwischen den Geröllbrocken des Flussbetts zu entdecken hofften. Dann einigten sie sich auf Tod durch Ertrinken‹ und traten mit diesem Ergebnis den Rückweg zu ihrem Herrn und Meister an.

Der Konnetabel wartete im Wald. Seine Leute hielten mit nachlassender Aufmerksamkeit das Gefolge des Grafen in Schach, das sich erbärmlich feige und furchtsam zeigte. Jeder der zum Tode Verurteilten hing fast flehentlich bittend, wenn auch stumm, seinem Henkersknecht am Hals. Es fehlte nicht viel, dann hätten diese Angsthasen von Sarazenen sie noch umarmt, bevor sie den verdienten Todesstreich empfingen, so empfand es jedenfalls der Konnetabel. Doch damit wollte er noch warten, bis Leo und Rüben ihm den Kopf des Grafen brächten. Das war das vereinbarte Zeichen für das Gemetzel, das Abstechen dieser muslimischen Memmen. Aber statt seiner beiden Reiter tauchte ein Trupp des Königs auf und befahl dem Konnetabel die sofortige Rückkehr nach Sis. Damit fiel der letzte Teil des Plans ins Wasser. Man könnte die Dienerschaft des Hamo L'Estrange ja immer noch in die Sklaverei verkaufen, tröstete sich Sempad.

Als die Gesellschaft – Scherzworte flogen hin und her und wurden von wieherndem Gelächter beantwortet – im scharfen Ritt wieder die Straße nach Sis erreicht hatte, stießen Leo und Rüben zu ihr. Sie lamentierten, der junge Graf sei bei der Jagd nach dem Wild durch Tollkühnheit und Leichtsinn in eine Schlucht gestürzt und in den kalten Fluten ertrunken. Der tiefe See unterhalb des Wasserfalls habe die Leiche nicht wieder freigegeben.

Da zeigte Herr Sempad sich sehr betrübt und verbot das Scherzen. Agha erschrak, als er die beiden Männer allein zurückkommen sah. Als er aber hörte, wie sich alles zugetragen hatte, leuchteten seine Augen auf. Am liebsten hätte er lauthals gelacht.

In der Hauptstadt angekommen, kehrten die Assassinen sofort in ihr Quartier zurück. Dort fanden sie Hamo, noch klitschnass, mit einer blutenden Wunde an der Schulter. Er wechselte nur wenige Worte mit Agha und begab sich so, wie er war, zur Burg.

Sempad hatte seine beiden Leibjäger dem zutiefst bestürzten König Bericht erstatten lassen und sie dann fortgeschickt, denn so recht zufrieden war er mit ihrer Leistung nicht. Ein Mord ohne vorzeigbare Leiche war unbefriedigend.

»Sie hätten den Leichnam unbedingt bergen müssen, zumal er mit reinem Gewissen präsentiert werden konnte: keine Spur einer mörderischen Verletzung – aquis submersus[5]! Schöner kann man es sich doch gar nicht wünschen!«

Das waren die Worte des Königs, und er hatte recht. Also schwieg Sempad.

»Wie auch immer, wir sind den lästigen Menschen los. Und das trifft sich auch gut so, denn die Gesandtschaft der Mongolen ist eingetroffen, um uns das Geleit nach Karakorum zu geben. Ich werde sie sogleich empfangen. Du solltest dich dafür umziehen«, sagte Hethoum mit einem missbilligenden Blick auf die Jagdkleidung seines Bruders.

Sempad zog sich in seine Gemächer zurück. Er wollte mit Leo und Rüben beratschlagen, ob sie sich morgen nicht doch noch einmal mit genügend Leuten aufmachen sollten, um den Körper des Grafen zu suchen.

Der Konnetabel rief ärgerlich nach seinen Leibjägern, doch die antworteten nicht, die Strolche! Er öffnete die Tür zu seinem Schlafgemach. Da blieb sein Blick auf einem kleinen braunen Brotwecken[6] haften, der unübersehbar auf seiner Bettdecke lag. Sempad lief es kalt über den Rücken. Er musste das Gebäck nicht erst berühren, um die Gewissheit zu verspüren, dass es noch warm war. Er tat es dennoch, und als er sich vorstreckte, um es in die Hand zu nehmen, tropfte ihm etwas in den Nacken. Er blickte erschrocken auf zum Pfosten des Baldachins – direkt in die gebrochenen Augen von Leo. Der Kopf von Rüben stak auf dem anderen Holz. Sein frisches Blut tropfte auf die Lagerstatt.

»Assassinen!«, brüllte der Konnetabel und raste zurück in die Audienzhalle des Königs. Er stieß die Wachen beiseite und riss die Tür auf, um seinen Zorn dem königlichen Bruder, ungeachtet der Gäste, vor die Füße zu schleudern, doch der Schrei - eine Mischung aus Angst und Wut, blieb ihm in der Kehle stecken.

Hethoum schenkte seinem Konnetabel keinerlei Beachtung. Er hockte auf seinem Thron, und Sempad musste fassungslos mit ansehen, wie die mongolische Delegation sich zum Kotau auf den Boden warf – jedoch nicht vor dem König, sondern vor Hamo L'Estrange. Der junge Graf von Otranto stand da in klitschnassem Gewand. Seine Beinkleider waren zerrissen, das Hemd klebte an seiner Brust, ein Ärmel war aufgeschlitzt, und aus einer Fleischwunde am Oberarm rann Blut und färbte das Linnen rot. Das Hemd klaffte und gab den Blick frei auf ein Amulett, ein schlichtes östliches Glückssymbol, in blassgrüne Jade geschnitten, das an einem Lederband vom Hals des Hamo baumelte. Darauf stierte der ranghöchste Mongole – nach seinem Stander zu urteilen, ein Tausendschaftsführer – und flüsterte in tiefer Ehrfurcht: »Du bist ein Sohn aus dem Hause Dschagetais, der verlorenen Linie. Du bist Kungdaitschi[7], einer vom Blute des Großen Schmiedes[8]!«

Hamo, der vor Erschöpfung kaum noch stehen konnte, wandte seinen Blick zu Hethoum, als wolle er sich entschuldigen. Doch der König mit seinem schlechten Gewissen war froh, dass Hamo ihn und die Armenier nicht des Mordversuches bezichtigte. Er sprang von seinem Thron auf, stieg zu Hamo hinab und rief: »Ewige Freundschaft mit den Nachfahren des großen Dschingis Khan!«

Er wollte seinen verhassten Gast gerade brüderlich in die Arme schließen, aber Hamo ließ sich nicht mehr so billig vereinnahmen. Er trat zurück, sodass Hethoums ausgestreckten Arme ins Leere griffen, bückte sich und zog den Anführer der Mongolen zu sich hoch. »Ich werde mit Euch in das Land meiner Väter ziehen.«

Da erhoben sich die Mongolen und riefen begeistert: »Dschingis Khan! Er-e boyda![9]« Sie klatschten, bis Hamo ihnen mit herrscherlicher Gebärde Einhalt gebot. »Ihr werdet mich als meine Eskorte geleiten.« So hatte er sich geschickt dem Schutz der Mongolen unterstellt, und die Frage nach seinem Status erübrigte sich. Er würde nach Karakorum reisen, und die Armenier, König wie Konnetabel, durften ihn dorthin begleiten. Sempad knirschte mit den Zähnen, doch sein Bruder schickte ihm einen mitleidigen Blick, der ihn vollends demütigte. »Hatte ich Euch nicht gebeten, Konnetabel«, sagte Hethoum honigsüß, »Euch für den Empfang unserer Freunde festlich zu kleiden? Was steht dem im Wege –?«

Damit war Sempad entlassen.

»Eures Gefolges, Graf Hamo L'Estrange«, wandte sich der König säuselnd an Hamo, »bedürft Ihr ja nun nicht mehr. Ihr könnt –«

»Ich werde es mit mir führen«, durchkreuzte Hamo seine Pläne, »bis ich einen geeigneten Ort an der Grenze zum Reich meines Volkes gefunden habe, wo ich es zurücklassen werde, damit es dort meiner Wiederkehr harrt. Ich denke, das ist in Eurem Sinne?«

Nun war es an König Hethoum, mit den Zähnen zu knirschen. Doch er lächelte beherrscht und murmelte leichthin: »Wie es Euch beliebt!«

Dann trennten sie sich, um den Aufbruch zur großen Reise vorzubereiten.

Die Macht der Intrige

Chronik des William von Roebruk

Karakorum, am Fest des hl. Markus[10]1254

Monseigneur Crean-Gosset war mit ernster Miene und schmalen Lippen in unserer Jurte erschienen – der wandelnde Vorwurf. Allah sei Dank war der Mönch nicht zugegen, doch wahrscheinlich wäre ihm die doppelte oder dreifache Identität des Herrn nicht einmal aufgefallen, denn Crean verhielt sich tatsächlich so, als wäre er mein Beichtvater oder, wie er sich wohl sah: mein Vormund. Er hatte noch nicht den Reisemantel abgelegt, da mahnte er mich bereits, meine ureigene Aufgabe nicht zu vergessen. Die Prieuré habe mich nicht bis nach Karakorum geschickt, um die innerkirchlichen Verhältnisse der Mongolen zu ordnen. Ich solle vielmehr dafür sorgen, dass die Kinder – er sprach von Roç und Yeza immer noch als ›die Kinder‹ – schleunigst den Heimweg ins Abendland anträten. In dieselbe Kerbe hieb dann auch mein Bruder Barzo, wobei er geflissentlich übersah, dass Crean unter ›Okzident‹ nicht etwa das Okzitanien der Prieuré verstand, sondern die Rose von Alamut, die ja weiß Gott mitten im tiefsten Orient liegt. Beide beschworen mich geradezu, mir gefälligst Gedanken zu machen, wie die Entführung der Kinder zu bewerkstelligen sei.

Ich antwortete abwiegend und sehr leise, denn die Jurten haben Ohren, ich würde ein solches Unternehmen von meiner Wahl zum Patriarchen abhängig machen. Da riefen beide: »Aha!« Und ihr Unterton besagte: »Da sehen wir es ja!«

Deshalb sah ich mich veranlasst, ihnen meinen Standpunkt unmissverständlich vor Augen zu führen. »Wenn ich es beim Großkhan zu Amt und Titel bringe, dann erübrigen sich Ränkespiele, weil ich dann auch Sitz und Stimme im Rat der Mongolen haben werde und das Schicksal des Königlichen Paares mitbestimmen kann. Dass es über kurz oder lang sowieso gen Westen in Marsch gesetzt wird, steht außer Frage.«

»Gerade deshalb«, entgegnete Crean, »haben wir keine Zeit mehr zu verlieren, denn es macht einen erheblichen Unterschied, ob das Königliche Paar an der Spitze der Mongolen über den ›Rest der Welt‹ herfällt, oder dort das Symbol des Widerstandes, der legitimen Krone Okzitaniens, darstellen kann! Wenn das doch in deinen beschränkten Minoritenschädel –«

»Aha«, entgegnete ich spitz, »wir kommen zur Sache! Es geht demnach nicht mehr darum, was Roç und Yeza verkörpern, sondern wer sie auf diesen Feuerthron setzt, wer ihnen diese Dornenkrone aufs Haupt drückt?! Ich dachte immer, der ›Große Plan‹ habe das Ziel im Blick, nicht den Weg, von dem wir alle wissen, dass die Mongolen die einzige Macht darstellen, die ihn bis zum Ende zu gehen vermag, die den ›Großen Plan‹ verwirklichen kann?!«

»Es gibt sicher vielerlei Gründe, William von Roebruk«, erklärte Crean mir mit sanfter Ungeduld, »aus denen es die Prieuré bislang versäumt hat, dich in ihre Reihen zu berufen. Einer davon könnte dein flämischer Dickschädel sein. Deswegen erspare ich mir auch den sinnlosen Versuch, dir Wechselwirkung von Weg und Ziel näherzubringen. Deine Auffassung von ›Erfolg‹ mag ausreichen, dich Schlitzohr in Amt und Würden zum Oberhaupt der Nova Ecclesia Mongalorum[11] zu befördern, aber ganz sicher wird die Prieuré darauf verzichten, von deinen Gnaden das Königliche Paar zu empfangen.«

»Aus meinen Händen aber schon!« entgegnete ich angesichts dieses törichten Hochmutes, und Crean sagte zu meinem Erstaunen kühl: »Sicherlich! Das erwarten wir von dir, das und nichts anderes!«

»Ihr glaubt also, ich zerreiße wie eine wilde Hummel in letzter Minute das fein gesponnene Netz, das mich ›mit Amt und Würde‹ in die Lage versetzt, die Mongolen zwar nicht in den Schoß der allein selig machenden Ecclesia catolica zu treiben, aber in die Gemeinschaft christlicher Kirchen? Das es gestattet, die pax mongolica[12] in eine pax Christi[13] zu verwandeln, einen wirklichen Weltfrieden herbeizuführen, die große Versöhnung, in der dann auch unser Königliches Paar seinen Platz, eben den Thron, innehaben kann?«

Ich war wütend über diese verbohrten Sektierer. »Warum soll ich mich und die Kinder, wie du sie zu nennen beliebst, jetzt in ein groteskes Abenteuer stürzen, dessen Ausgang ungewiss, dessen Ablauf aber mit Sicherheit gefährlich ist! In ein leichtsinniges und törichtes Unternehmen, das von einer ungeheuren Menschenverachtung zeugt?!«

»Die Beurteilung der Maßnahmen wird von dir nicht verlangt, William von Roebruk, sondern nur die Ausführung eines Auftrages. Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass die Prieuré deine Entsendung als Gesandter –«

»Als Missionar!« versuchte ich, ihn zu unterbrechen.

Doch er winkte herrisch ab und fuhr fort: »– bei Papst und König durchgesetzt hat, damit du hier in der Steppe dank erschlichener Mitra und zu reichlich genossenem Kumiz einem Anflug von Größenwahn erliegst. Der Auftrag, der dir erteilt wurde, hat sich nicht verändert. Du bist einer gefährlichen und törichten Bewusstseinstrübung erlegen, William!« beendete Crean seinen Sermon.

Mein Barzo, der falsche Bruder, pflichtete ihm bei: »Goldener Bischofsstab und gegorene Stutenmilch!«

Damit wollten sie mich allein lassen in meiner Jurte wie einen armen Irren, aber ich rief ihnen noch nach: » Wenn mein Hirn benebelt ist, dann zerbrecht ihr euch gefälligst den Kopf, wie ihr eure aberwitzigen Pläne in die Tat umsetzen wollt. Ich – für meine beschränkte Person, sehe dazu nicht die geringste Möglichkeit!«

Sie gingen, und mir war klar, dass sie versuchen würden, mir ihren Willen aufzuzwingen. Die Prieuré war es nicht gewohnt, dass sich jemand ihren Befehlen widersetzte. Selbst wenn ich gewollt hätte, ich vermochte keine Chance zu erkennen, die Kinder aus Karakorum zu entführen. Außerdem waren es keine Kinder mehr, und ich hegte erhebliche Zweifel, ob Roç und Yeza gewillt waren, die Mongolen gegen deren Willen zu verlassen. Ich wunderte mich auch, dass die Prieuré Crean und Barzo ermächtigt hatte, für sie derartige Entscheidungen zu treffen. In vier, fünf Wochen würden hier weltgeschichtliche Veränderungen vor sich gehen. Davor sollten doch wohl so egoistische Gelüste wie ›Wir bestimmen den einzuschlagenden Weg!‹ samt zu benutzendem Schuhwerk und Wanderstock – ob Sandalen oder Stiefel, Bettelstab oder Krummstab des Bischofs oder Patriarchen – zurückstehen und verblassen!

Nach Verkündung einer christlichen Staatskirche der Mongolen würden Roç und Yeza als wahrhafte Friedenskönige im Triumph in den Westen zurückkehren! Dass diese Verblendeten dies nicht sahen, diese einmalige Chance nicht erkannten?! Ich durfte mich nicht beirren lassen, mochten sie mir noch so viel lächerliche Eitelkeit und törichten Ehrgeiz unterstellen. Mein Ziel war zum Greifen nahe. Sie mussten blind sein. Ihretwegen wollte ich nicht vom Wege abweichen – und schon gar nicht stolpern oder gar auf die Schwelle trampeln!

L. S.

Aus der geheimen Chronik des Roç Trencavel

Karakorum, erste Dekade des Mai 1254

Meine Königin Yezabel und ich, wir waren mit William bei Maître[14] Buchier in seiner Schmiedejurte. Frau Ingolinde aus Metz war auch zugegen, und William tat so, als wär’ sie nie seine Hur gewesen. Er sprach sie mit ›Madame Pascha‹ an. Sie führt dem Silberschmied den Haushalt und sieht den Mönch immer von der Seite an, als fände sie das gar wenig lustig. Der Meister Buchier lässt sich nichts anmerken. Er diskutiert mit William über das Projekt der transportablen Kathedrale aus Eisen, Silber und Gold. Wie für den Trinkbaum hat er dafür bereits ein Holzmodell gefertigt, das farbig angestrichen ist, natürlich viel kleiner, im ›Maßstab‹, wie er es nennt. Jedes Stück Träger, Pfeiler oder Strebe misst genau ein Zehntel der geplanten Größe, doch schon so überragt das Bauwerk den Trinkbaum bei Weitem. Probleme bereitet die Verankerung der einzelnen Elemente, von denen jedes nicht länger und schwerer sein darf, als der mächtigste Karren mit vierundzwanzig Ochsen ziehen kann.

Ich saß mit meiner damna in der Grotte, dem Unterbau des Trinkbaums, dort wo die Wurzeln und die Hinterteile der Löwen eine Höhle bilden, in der sich ein Mann verstecken kann. Den bauchigen Raum hatte der Meister erst in Ton gebrannt, von dem er dann die Gussform abgenommen hatte. Die Grotte war unser Lieblingsplatz; er war warm durch das irdene Material und durch die Nähe unserer eng aneinander gepressten Leiber. Wir konnten wie Erdhörnchen alles sehen und hören, wenn wir die Köpfe hinausstreckten, und doch blitzschnell abtauchen, wenn wir ungesehen bleiben wollten. Wir verfolgten den Disput aufmerksam, und ich machte durch einen Pfiff auf mich aufmerksam, ohne den sicheren Bau zu verlassen.

»Die langen Pfeiler sollten selbst die Deichseln bilden«, schlug ich vor, »und zerlegte Teile der Kathedrale den Wagen.«

Das hielt der Meister für eine geniale Idee, und Yeza meinte, selbst die Räder könnten so schön gearbeitet sein, dass sie – zwischen den Streben aufgehängt – wie Rosetten wirken könnten. William war ganz aus dem Häuschen, weil uns so etwas Praktisches eingefallen war, und meine Königin richtete sich auf und verkündete überlegen: »Die Form hat sich nach den Konstruktionsmöglichkeiten zu richten und diese nach den Anforderungen: Zerlegbar und transportabel muss das Ganze sein!«

»Eine solche Kirche hat die Welt noch nicht gesehen!« begeisterte sich der Meister. Frau Ingolinde steuerte ganz bescheiden bei, da doch alles aus so schwerem Metall sei, könnten Wände und Fenster mit farbigen Stoffen bespannt werden, mit hübschen Darstellungen von Heiligen und Engeln. Worauf meine vorlaute damna rief: »Und der Heilige Geist schwebt als riesige Taube wie ein Adler aus dem ewig blauen Himmel über dem Altar – was die Mongolen freuen wird! Mit einem Ölzweig im Schnabel, einem blutroten Kreuz auf weiß gefiederter Brust und mit einer Kugel in den Krallen, die die Welt darstellt!«

»Diese Stoffbahnen maßgenau zu schneidern, zu nähen und zu besticken, ist Sache der Frauen. Doch mein guter Geist Ingolinde hat mich auf einen guten Gedanken gebracht. Das System der Jurte sollte auch auf die Kathedrale angewandt werden: ein möglichst leichtes Rahmengestell, mit Stoff überzogen!«

Da tauchte ich aus der Höhle auf und meldete Bedenken an. »Bei den Winden in der Steppe würde ein solches Gebilde zu viel Widerstand leisten! Entweder die Kathedrale fliegt davon – oder ihre Eisenkonstruktion wird zu schwer. Ich finde, die Stoffbespannung sollte nur unten eingezogen werden, über dem niedrigen Raum, der den Gläubigen Schutz bietet und sie zur Andacht einlädt, damit die Stürme über die Jurte hinwegstreichen können.«

In diesem Augenblick betrat Crean, gefolgt von Barzo, die Schmiedejurte. Der Herr von Bourivan, den wir ›Monseigneur‹ Gosset zu nennen hatten, entdeckte uns, bevor wir abtauchen konnten. Er musste meinen letzten Satz wohl noch vernommen haben, denn er mokierte sich sogleich: »So versteckt sich das Königliche Paar in einer mongolischen Jurte, bis die Stürme vorüber sind, anstatt sich seiner Bestimmung zu stellen!«

Da fuhr Yeza neben mir hoch: »Von Euch lassen wir uns nicht provozieren, Monseigneur, und eine Rückkehr nach Alamut ist schon gar nicht unsere Bestimmung!«

»Wir lassen uns auch nicht aus dem Zelt der Mongolen vertreiben, die unsere Freunde sind und uns ihre Gastfreundschaft gewähren, für die Yeza und ich ihnen dankbar sind. Spart Euch jeden Versuch, uns vom Gegenteil zu überzeugen!«

»Apage, Satanas!«[15], beschwor meine köstliche damna den Versucher und hielt mir auffordernd die Hand hin. »Komm, Roç, wir gehen!«

Und ohne Crean eines weiteren Blickes zu würdigen, krochen wir aus unserer Grotte und verließen Hand in Hand die Jurte.

L. S.

Crean lächelte dünn ob seiner Abfuhr und schickte den Barzo hinter den Kindern her, damit der sein Glück versuchte. Der Meister Buchier samt seiner guten Ingolinde war recht verdattert ob des grußlosen Abgangs der Kinder und versuchte, ihn zu überspielen.

»Die Worte des kleinen Königs zeugen von großer Klugheit«, lobte er Roç. »Die Konstruktionsform muss die Kräfte der Natur bei Schnee, Wasser und Wind berücksichtigen. Ich habe schon immer gesagt –«, wandte er sich an William, »ich werde Euch ein Gotteshaus bauen, das einzigartig sein wird, aber es ist ein Jammer, dass dem Königlichen Paar die Herrscherkrone bestimmt ist und sie ihrem einzigartigen Talent als Ingenieure, als Baumeister, als Schöpfer von Wunderwerken nicht nachgehen können. Dank ihrer Ideen könnte der Großkhan mit seinen ungeheuren Mitteln an Geld und Menschen die leeren Steppen, Wüsten und Berge mit Werken bedecken, von denen der Okzident nur träumen kann – wenn er denn die Fantasie aufbrächte, die in Roç und Yeza schlummert wie das Erbe einer längst verschollenen Welt voller Zauber und Mythen.«

Der Buchier war richtig feierlich geworden, und William sagte: »Ach, Meister, warum sollte die Krone sie denn hindern, dies alles zu verrichten? Die Herrschaft ist ein ungewisses Versprechen. Sie würden gern mit Euch arbeiten und Schönes schaffen.« Und er fügte hinzu: »Roç und Yeza bleiben bei Euch, bis sie wissen, wohin sie zu gehen haben, da können sie doch die Zeit nutzen, um mit Euch –«

Aber Crean unterbrach ihn schroff: »Mach dich nicht schuldig, William von Roebruk, indem du derlei Hirngespinste unterstützt. Das Schicksal der Kinder erfüllt sich nicht in einer mongolischen Jurte. Hüte dich, ihm in den Arm zu fallen, wenn du ihm schon deine Hand nicht leihen willst. Ganz sicher wird die Himmelsmacht nicht dulden, dass du deine kläglichen Ambitionen über die Bestimmung des Königlichen Paares stellst!«

»Ha!«, spottete William. »Der lange Arm der Prieuré versteht sich jetzt schon als himmlische Macht!«

»Die Prieuré wird dich mit irdischen Mitteln zu erreichen wissen, falls du fortfährst, dich zu weigern. Du bist auch hier von ihr umgeben –«

Der Franziskaner schaute erstaunt auf seine Ingolinde und den Maître. Beide senkten ihren Blick nicht, sondern nickten, bereitwillig ihre Bereitschaft bekundend, der weltweiten Verschwörung in Rat und Tat zu dienen.

William konnte es nicht fassen. Gut, Buchier hatte schon einmal seine meisterlichen Fertigkeiten in den Dienst der Prieuré gestellt, als er die Flucht von Roç und Yeza nach Alamut ermöglichte. Das fiel ihm jetzt wieder ein. Aber Ingolinde, seine Hur? Wie man sich täuschen kann! Die geheime Gesellschaft der Hüter des Gral hatte ihn mal wieder in den Klauen!

»Und was denkst du?«, fragte William nach, immer noch fest entschlossen, sich nicht vor ihren Karren spannen zu lassen. »Kann ich zur Verwirklichung eurer Pläne beitragen?«

Crean war um eine Antwort nicht verlegen: »William von Roebruk, Kirchenfürst in pectore[16], macht sich bei Hofe unmöglich, gleichzeitig müssen die Kinder verschwinden. Das zu bewerkstelligen wird deine Aufgabe nicht sein. Doch wenn der gestürzte William dann des Landes verwiesen wird, muss er Roç und Yeza mit hinausschmuggeln.«

»Nichts einfacher als das!« höhnte William. »Der Plan ist nahezu genial in seiner Schlichtheit. Nur macht ihr die Rechnung ohne den Wirt – und ohne die Kinder. Ihr habt ja gehört, dass sie keineswegs gewillt sind –«

»Lass das alles unsere Sorge sein, führ du nur aus, was dir zukommt –«

Hier brach das Haupt der Verschwörung seinen abstrusen Vortrag ab, denn in der Tür der Schmiedejurte erschienen zwei Mongolen, die der Franziskaner als Leute des Bulgai erkannte. Sie befahlen Monseigneur Gosset zum Verhör. Sie nannten es zwar ›erwünschtes Gespräch‹, und der es verlangte, war auch nicht der Oberhofrichter, sondern Dschuveni, der Kämmerer.

William war darüber mehr erschrocken als Crean, der den Männern folgte, ohne mit der Wimper zu zucken. Eigentlich hätte der Mönch so etwas wie Schadenfreude empfinden sollen, aber da es sich um seinen ›Beichtvater‹ handelte, bedachte er sogleich die Folgen für sich. Sicher hatte man sie belauscht, oder Buchier oder gar die Hur arbeiteten in Wirklichkeit für die Geheimen Dienste. Er hatte sich nichts vorzuwerfen. Seine Worte zeugten von einer ablehnenden Haltung, falls die Fluchtpläne überbracht worden waren. Aus dem, was er gesagt hatte, konnte man ihm keinen Strick drehen. Der Franziskaner verließ die Schmiedejurte gleich nach dem unglückseligen Crean. Sein Abschiedsgruß für Buchier und seine Hur fiel knapp aus.

Der Kämmerer erwartete Crean in seiner eigenen Jurte, die gleich neben der seines Herrn Hulagu lag. Der Il-Khan war für die Dauer seines Aufenthalts Gast seines Bruders Möngke im Palast vor den Toren der Stadt. Dschuvenis Behausung war von mönchischer Schlichtheit. Crean erkannte am ausgerollten Gebetsteppich sofort den Moslem. Der Kämmerer empfing den ›Monseigneur‹ ohne große Umstände. »Allahu akbar«[17], begrüßte er ihn. »Ich gehe davon aus, dass Ihr Gott auch zu verehren versteht, wie die Lehre des Propheten es uns Gläubigen vorschreibt.« Damit kniete er nieder, um sein Gebet gen Mekka zu verrichten. Crean tat es ihm wortlos gleich. Es wäre widersinnig gewesen, unter diesen Umständen seine Zugehörigkeit zum Islam zu leugnen. Als sie sich verneigt hatten, rollte Dschuveni seinen Teppich und den seines Gastes wieder ein, blieb jedoch sitzen und ließ Tee reichen.

»Dass ein Moslem in der Gesandtschaft des Königs reist, beweist das Besondere seiner Person und einer Aufgabe, die wohl kaum damit zu tun hat, uns Mongolen das Christentum der Kirche Roms näherzubringen –?«

Er wartete auf eineÄußerung Creans, aber der hielt sich bedeckt. So fuhr der Kämmerer fort: »Es kann sich also nicht um ein Ehrengeleit für den William von Roebruk handeln, sondern um eine andere, geheime Mission. Wenn ich einmal die Möglichkeit außer Acht lasse, dass Ihr ein verkappter Assassine seid, der unseren Großkhan ermorden will, bietet sich das Königliche Paar als Grund Eurer Reise an.«

Crean verharrte in undurchdringlichem Schweigen.

»Keine Antwort ist auch eine Antwort«, sagte Dschuveni lächelnd und goss seinem Gast eigenhändig heißen Tee aus der Messingkanne nach. Er fügte einige Blätter frischer Minze hinzu und träufelte etwas Bienenhonig hinein, bevor er bedächtig umrührte. »Da Roç und Yeza bei uns gut aufgehoben sind, kann der Zweck Eures Kommens nur sein, sie von hier wegführen zu wollen.«