Die Rückkehr aus dem Austauschjahr - Janina Gatzky - E-Book

Die Rückkehr aus dem Austauschjahr E-Book

Janina Gatzky

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Beschreibung

Die Rückkehr aus dem Austausch erleben viele Austauschschülerinnen und -schüler oftmals als schwierig - schwieriger sogar als das Einleben im Gastland. Dieses Buch hilft Ausgetauschten, Familien und Freunden die Schwierigkeiten der Rückkehr erfolgreich zu meistern und zeigt viele Möglichkeiten auf, wie man die gewonnenen Erfahrungen gewinnbringend in das weitere Leben integrieren kann. Es ist Ratgeber, Motivationshilfe und Inspirationsquelle zugleich.

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Janina Gatzky gehört 1990/91 zum ersten Austauschschülerjahrgang aus der ehemaligen DDR. Seit ihrem Austauschjahr in Kansas hat sie das Fernweh nicht mehr losgelassen. Sie studiert in Südafrika, den Niederlanden und den USA. Mit Kindern und Mann lebt sie lange in Österreich. Im Jahr 2017 verbringt sie mit ihrer Familie ein Jahr in Louisville, Kentucky.

Über ihre Erfahrungen bloggt sie unter www.jgatzky.wixsite.com/familienaustausch. Ihre Leidenschaft für den Kulturaustausch und Sprachen hat sie als Übersetzerin und Dozentin zum Beruf gemacht. Dem Austausch ist sie weiter durch ehrenamtliche Arbeit, Berater- und Autorentätigkeit verbunden.

Bent Richter verbringt 1991/92 sein Austauschjahr in den USA. Im Jahr 2000 gehört er zu den Gründungsmitgliedern von Ausgetauscht. Als Betreuer, Gastbruder und langjähriger Seminarleiter hat er Schüleraustausch aus sehr unterschiedlichen Perspektiven kennengelernt. Er ist Diplompsychologe und macht seinen MBA 2003/04 in Argentinien. Von 2005 bis 2015 ist er Geschäftsführer einer gemeinnützigen Schüleraustauschorganisation und arbeitet auch heute noch im Bereich des internationalen Schüleraustauschs. Seit über zehn Jahren lebt er mit Frau und Kindern in seiner Wahlheimat Wien.

INHALT

VORBEREITUNG AUF DIE RÜCKKEHR

1.1 Ein Blick zurück

1.2 Warum das Zurückkehren schwierig ist

1.3 Rückkehr schrittweise

ABSCHIED

2.1 Vorfreude und Abschiedsschmerz

2.2 Den Abschied erleichtern

ANKUNFT

3.1 Persönliche Veränderungen

3.2 Das Wiedersehen

3.3 Erste Eindrücke

IM NIEMANDSLAND

4.1 Loslassen des Austauschjahres

4.2 Der Weg durchs Niemandsland

WIEDERANPASSUNG

5.1 Oh nein. Nicht noch einmal!

5.2 Wieder dazugehören

5.3 Geschafft

5.4 Meine Heimat

DIE NÄCHSTEN SCHRITTE

6.1 Dran bleiben

6.2 Zwischenbilanz

6.3 Mittler zwischen den Kulturen

Mach was draus

7.1 Nach- und Nebenwirkungen

7.2 Zwei Lebenswege

Literatur

Fußnoten

EINLEITUNG

Zwei Jahre oder länger ist es her, dass du dich entschieden hast, Teil des Lebens einer Gastfamilie, einer Gastschule, einer Gemeinde im Ausland zu werden. Als Austauschschüler1 hast du das Angebot angenommen, diese fremde Wirklichkeit mit ihren eigenen Sichtweisen, Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten aus einer besonderen Perspektive zu erleben: der Perspektive eines Menschen, der dazugehört. Du hast eine neue Welt mit einem ungeahnten Reichtum an Geschichte, Sichtweisen, Gebräuchen und Fertigkeiten kennen gelernt.

Jetzt ist es an der Zeit zurückzukehren. Vielleicht bist du aber auch schon zurückgekehrt und versuchst mit innerer Zerrissenheit, zwei Heimaten und Familien miteinander in Einklang zu bringen. Oder deine Rückkehr aus dem Austausch liegt schon länger zurück und du suchst nach neuen Wegen, deine Austauscherfahrungen weiterleben zu lassen, daran anzuknüpfen und sie nutzbar zu machen.

Ein Wort an die Eltern

Zwei Jahre oder länger ist es her, dass Sie als Eltern Ihr Kind in eine unbekannte fremde Welt haben gehen lassen. Obwohl Sie als Mutter oder Vater nicht direkt am Austauschjahr Ihres Kindes teilnehmen konnten, haben Sie es aus der Ferne erlebt, manchmal mitgefiebert und oft an Ihr Kind gedacht. Durch Ihre Unterstützung und Ihr Loslassen wurde dieses Austauschjahr überhaupt erst möglich.

Jetzt kommt Ihr Kind aus seinem Austauschjahr zurück und beginnt, wieder ein Teil Ihres täglichen Lebens zu werden. Dieser lang ersehnte Moment ist wunderschön – und doch nicht unbedingt leicht. Sie und vor allem Ihr Kind haben sich getrennt voneinander weiterentwickelt und neue Erfahrungen gemacht, die der andere nicht miterleben konnte.

Dieses Buch schildert anschaulich, welche Anforderungen die Rückkehr aus dem Austauschjahr an Austauschschüler und andere Beteiligte stellt. Es gibt Werkzeuge in die Hand, um möglichst weich zu landen, in einen neuen Lebensabschnitt einzutauchen und tiefen Nutzen aus den Erfahrungen zu schöpfen.

Wie die anderen Bücher dieser Reihe ist auch dieses Buch gleichermaßen ein Ratgeber für Austauschschüler, Eltern und andere Interessierte. Es kommen ehemalige Austauschschüler, Eltern, Gasteltern und Gastgeschwister zu Wort, die versuchen, Antworten auf Fragen zu finden, mit denen sich unzählige Rückkehrer immer wieder auseinandersetzen müssen.

Auch wenn wir an vielen Stellen den Rückkehrer persönlich ansprechen, bietet das Buch facettenreiche Einblicke in die Gefühlswelt, die Erlebnisse und Erfahrungen von Ausgetauschten, die gerade für Eltern und andere Beteiligte interessant sind. Zwischen den Zeilen enthält es damit weitere Hinweise und Anleitungen, die helfen, das eigene Kind in der Zeit der Rückkehr zu verstehen und liebevoll zu unterstützen.

Dieses Buch, in dem es zu Beginn um das Ende des Austauschjahres geht, soll gleichzeitig auch ein Begleiter durch die schwierige Zeit der Wiederanpassung an die alte Heimat und ein Wegweiser sein für das, was danach kommt. Wir wollen zeigen, dass die Rückkehr – das vermeintliche Ende des Austauschjahres – eigentlich ein Anfang ist: der Anfang einer lebenslangen Erfahrung, deren Fundament du als Austauschschüler gerade gelegt hast.

Wir, die Autoren dieses Buches, sind abgesehen von zahlreichen Reisen insgesamt sechs Mal nach langen Auslandsaufenthalten zurückgekehrt. Man könnte also behaupten, wir seien erfahrene Rückkehrer. Aber jedes Mal war die Rückkehr anders: mal freudig erwartet, mal bis zum Durchschreiten der Passkontrolle verdrängt, mal von Herzklopfen begleitet, mal mit dem traurigen Gefühl, dass ein schönes Kapitel im Leben zu Ende geht. Aber jedes Mal hat es uns wieder überrumpelt – das Gefühl, zurück zu Hause zu sein – und gleichzeitig auch an einen anderen Ort zu gehören. Deshalb nützt manchmal auch Erfahrung wenig. Beim ersten Mal war die Rückkehr spannend. Und dann wieder fiel sie uns so schwer, dass wir beschlossen haben, dieses Buch zu schreiben!

„Ich habe mich im Austauschjahr intensiver mit Naturwissenschaften beschäftigt, als in der Schule in Österreich üblich, was mich auch dazu gebracht hat, ein international ausgerichtetes Studium an der FH Krems zu absolvieren, bei dem ein Praktikum im Ausland Pflicht war. Den Praktikumsplatz habe ich durch meinen besten Freund von der High School gefunden.“

Alex | USA 2009/10 | Studium: Biotechnologie | Praktikum in den USA

1. VORBEREITUNG AUF DIE RÜCKKEHR

1.1 EIN BLICK ZURÜCK

Heimkehren ist schwierig. Zumindest, wenn es einem gut ging in der Fremde. Vor allem aber nach einem Austauschjahr, in dem man nicht nur neue Freunde, sondern insbesondere eine Familie dazu gewonnen hat. Ich erinnere mich zum Beispiel noch genau an den ersten Tag mit meiner Gastfamilie. Alles war neu. Noch musste ich nicht im Garten mithelfen und versuchte standhaft, einen guten Eindruck zu wahren und mein Zimmer entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten aufgeräumt zu halten.

Nun, das änderte sich schnell. Bald verbrachte ich jeden zweiten Samstag hinter dem Haus bei der Gartenarbeit und meine Gasteltern begannen, immer erst nachzuschauen, ob meine Zimmertür vielleicht doch besser geschlossen werden sollte, bevor Besuch kam. Ich erinnere mich an lange Gespräche, Geldsorgen, die Krankheit meiner „Mom“, ihre Vorliebe für Kaffee und die Freude in ihrem Gesicht, wenn eines ihrer Kinder mal wieder auf einen Besuch vorbeikam.

Das klingt nach Alltag und das war es auch. Es war unser Alltag. Und es war ein Alltag, den ich mir zwei Jahre vorher nicht hätte erträumen können, und wenn doch, dann ganz anders. Elf Monate später kehrte ich zurück in einen anderen Alltag. In meinem Austauschjahr ist aus mir ein Mensch geworden, der in zwei Welten leben kann, dies auch gern möchte und bei Gelegenheit praktiziert. In beiden Welten habe ich Freunde und Familie. Zu beiden zieht es mich hin, von keiner möchte ich fort. Ich gehöre in beide.

Bestimmt sind wir nicht die Einzigen, denen es so geht. Der eine oder andere fühlt sicher ebenso. Uns zumindest haben viele ehemalige Austauschschüler Ähnliches berichtet. Viele zieht es immer wieder zurück in ihr Gastland, um ihre Familie für einen Sommer oder auch nur für zwei Wochen zu besuchen. Sie schreiben sich E-Mails, skypen oder chatten regelmäßig. Sie wissen und fühlen, dass sie auch immer noch zu dieser, ihrer zweiten Heimat, gehören.

Woran aber merkt man, ob man dazugehört? Eigentlich eine merkwürdige Frage, nicht wahr? Lange hat es gedauert, fast ein Jahr. Einige Veränderungen an dir hast du bewusst erlebt und wahrgenommen. Andere sind so langsam vonstatten gegangen, dass sie dir vielleicht noch gar nicht aufgefallen sind. Wir haben ehemalige Austauschschüler gefragt, woran sie erkannt haben, dass sie dazugehörten. Dabei sind wir auf einige verbreitete „Symptome“ des Dazugehörens gestoßen.

Ich selbst – Mein Verhalten

Ich träume in der neuen Sprache.

Es ist schwierig, Deutsch zu sprechen.

Ich mache im Alltag automatisch das Richtige, ohne groß nachzudenken.

Ich verstehe 90 % aller Witze in meinem Gastland beim ersten Mal.

Telefonieren, skypen oder chatten in der neuen Sprache ist für mich kein Problem.

Ich kann mit anderen über komplizierte Dinge, wie zum Beispiel Gefühle oder Obstanbau, sprechen.

Für fast jeden Begriff in meiner neuen Zweitsprache fällt mir ein Synonym ein.

Ich selbst – Vorlieben und Gefühle

Ich mag die Mode meiner Gastumgebung.

Ich höre/vermisse die Musik meiner Gastumgebung.

Ich habe mich komisch gefühlt, als ich das erste Mal wieder Deutsch hörte und sprach.

Ich drücke der Mannschaft meines Gastlandes beide Daumen, sogar wenn sie gegen eine Mannschaft meines Heimatlandes spielt.

Vertrauen

Es gibt Menschen in meinem Gastland, mit denen ich mich über Sorgen, Liebe, Religion und andere Themen, die mir wichtig sind, unterhalten kann und die mich verstehen.

Ich merke, wenn es jemandem in meiner Gastfamilie gut oder schlecht geht und weiß, ihm zu helfen.

Menschen in meinem Gastland kommen mit ihren persönlichen Problemen zu mir.

Schule

Meine Mitschüler behandeln mich wie einen normalen Klassenkameraden.

Ich kann ohne Schwierigkeiten einen Schulaufsatz zu einem beliebigen Thema aus meiner Lebens- und Schulwelt schreiben.

Von den Lehrern werde ich genauso behandelt und benotet wie ein Schüler meines Gastlandes. Sie nehmen keine besondere Rücksicht mehr auf mich.

Glaube & Moral

Ich gehe in die Kirche meiner Gastfamilie und verhalte mich immer richtig, ohne groß aufzufallen.

Ich habe mir über wichtige Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen meinem Glauben und dem meiner Gastfamilie Gedanken gemacht (und kann aus dem Stegreif jeweils drei nennen).

Ich kann fast jede Situation mit den Augen meiner Gastfamilie und ihren Moralvorstellungen sehen.

Nun, natürlich sind das keine Checklisten, die abgearbeitet werden müssen, schon allein deshalb nicht, weil sie nicht vollständig sind. Aber es sind verbreitete „Symptome“, die von vielen Austauschschülern genannt werden. Vielleicht kommen dir einige der Punkte bekannt vor? Wenn ja, dann liegt die Vermutung nahe, dass auch dein Austauschjahr ein Erfolg war. Du hast dich verändert und bist zu einem Teil deiner Gastumgebung geworden. Und jetzt kehrst du zurück. Was wird dich erwarten?

Wie ein merkwürdiger Traum

Im Flugzeug

Noch fünf Stunden bis zur Ankunft in Frankfurt. Die Frau neben Anja hat sich die Augen zugedeckt, um ein wenig zu schlafen. Schon zweimal ist ihr der Kopf auf die Schulter gefallen. In den Reihen vor ihnen lärmt eine Schülergruppe, die gerade von einer zweiwöchigen Sprachreise in Montevideo zurückkehrt. Nun plappern sie pausenlos, schauen Filme an oder hören Musik mit Kopfhörern. Auch Anja hatte zuerst versucht, einen Film zu sehen. Sie erinnerte sich an den Hinflug, als sie mühsam versuchte, den Film auf Spanisch zu sehen und dann doch wieder zur deutschen Synchronisation wechseln musste, um dem Geschehen folgen zu können.

Doch heute ist das anders. Diesmal hatte sie sich bewusst für Deutsch entschieden. Sie hatte sich bewusst auf ihre Rückkehr einstimmen wollen. Doch ihre Muttersprache kam ihr sonderbar vor. Es war ihr unangenehm, sie zu hören oder gar zu sprechen. Mit der Stewardess unterhielt sie sich nur auf Spanisch und im Stillen war sie sogar stolz darauf, dies im Gegensatz zu den Jugendlichen in den Reihen vor ihr zu können. Diese machten nur andauernd dumme Witze über Uruguay, wohl in der Annahme, dass die Leute um sie herum nichts davon verstehen würden.

Anja schämte sich für das, was sie sagten. Sie hatten offenbar überhaupt nichts vom südamerikanischen Leben begriffen. Nicht, dass es besondere Gemeinheiten waren, die sie sagten. Nein. Aber ihr selbst kam alles irgendwie dumm und unreif vor. Am liebsten wäre sie aufgestanden und hätte sie aufgefordert, endlich ruhig zu sein. Es war ihr unerträglich, wie sie über die Menschen Witze machten, mit denen sie ein Jahr lang zusammen gelebt hatte.

Im Flughafen

Eine Traube von Eltern wartet nervös in der großen Empfangshalle des Flughafens. Auch Anjas Eltern sind darunter. Wie gebannt starren sie auf die sich immer wieder automatisch öffnende Tür, durch die sich gleich die Passagiere von Anjas Flug ihren Weg bahnen werden. Heute morgen waren sie zeitig aufgestanden, nur um rechtzeitig diesen Moment miterleben zu können. Vier Stunden waren sie unterwegs.

Immer mehr Leute strömen durch das Tor in die Halle hinein. Und da sehen sie ihre Tochter, wie sie zögerlich ihren Gepäckwagen durch die große Tür schiebt. Da ist sie, endlich, denkt ihr Vater. Viel Gepäck hat sie dabei. Ihrer Mutter hingegen schießen ganz andere Gedanken durch den Kopf. Was sie da bloß an hat? Für Bluse und Rock war ihre Tochter doch noch nie zu begeistern. Sie konnte nicht wissen, dass Anja sie extra für diesen besonderen Moment angezogen hat.

„Anja!“, ruft sie und schließt ihre Tochter in die Arme. Ihre Tochter lässt es geschehen, „Mutti“. Anjas Arme hängen ihr etwas steif an der Seite hinunter. Dabei sollte sie sich doch jetzt freuen. Müde fühlt sie sich. Von Wiedersehensfreude ist wenig zu spüren. Ihr Vater ist enttäuscht. „Bist du gut angekommen?“, fragt er etwas unbeholfen. Anja bejaht und weiß doch nicht so recht, was sie sagen soll. Früher redete sie wie ein Wasserfall, erinnert sich ihre Mutter. Und jetzt? Sie selbst weiß nicht, was sie sagen soll. So viele Fragen, wichtige Fragen. Jedoch nur Belangloses kommt ihr über die Lippen. „Du bist sicher müde, komm, das Auto wartet draußen.“

Plötzlich zieht ihr Vater noch einen Blumenstrauß hinter seinem Rücken hervor, den er fast vergessen hätte. „Hier, die sind für dich, emm, von uns.“ Anja lächelt kurz und hält den Strauß in den Händen. Ihr Vater wendet sich schon wieder dem Gepäck zu. „Ja, dann wollen wir mal. Sind die Taschen schwer?“ Ohne abzuwarten greift Anja nach einem Koffer und murmelt: „No te preoc …,“ sie hält kurz inne. „Emm, nein.“ Vergeblich versucht sie, den Strauß zwischen all den Gepäckstücken zu verstauen. Sie möchte jetzt nur weg von hier, weg von diesem Ort. Erst jetzt betrachtet Anjas Mutter die neue Frisur ihrer Tochter, die ihr schon auf den Fotos aufgefallen war. Aus dem burschikosen Kurzhaarschnitt ist eine frauliche Langhaarfrisur geworden, die ihr gefällt.

Zuhause

Im Auto hatten sie sich nur wenig unterhalten. Anja hatte auf der Rückbank gesessen und so getan, als ob sie schliefe. Ihre Eltern saßen vorn, in ihre eigenen Gedanken versunken. Wenn ihre Eltern nicht schauten, sah sie durch das Fenster hinaus. Wie anders hier alles aussah. Ob sie sich hier wieder wohl fühlen würde? Der Abschied von ihrer Gastfamilie war ihr schwer gefallen. Sie hatte geweint. Und jetzt war sie hier, Tausende von Kilometern entfernt. Sie schließen die Haustür auf. Drinnen klappert es. Oma wartet bereits mit Anjas Lieblingskuchen. Von allen Seiten stürmt es auf Anja ein, „Na, wie war es?“, „Erzähl mal!“, „Soll ich dir beim Auspacken helfen?“ Anja verteilt Geschenke, erzählt ein wenig und ist froh, zeitig ins Bett gehen zu können, um ihr Jetlag auszuschlafen. Für morgen hat ihre Mutter Anjas beste Freundin zum Frühstück eingeladen. Und am Abend hat sich ihre alte Klasse angesagt. Anja guckt auf ihre Uhr, auf der es noch immer fünf Stunden früher ist. Was werden sie jetzt wohl in Montevideo machen?

Anja kommt sich vor wie in einem merkwürdigen Traum, aus dem sie hoffentlich bald erwachen wird.

1.2 WARUM DAS ZURÜCKKEHREN SCHWIERIG IST

Eigentlich könnte alles so einfach sein. Wer freut sich nicht, nach einer längeren Reise nach Hause zu kommen, sich auszuruhen, neue Kraft zu schöpfen. Aber so einfach ist es nach einem Austauschjahr nicht. Ein Mensch, der aus einem erfolgreichen Austauschjahr zurückkommt, hat nicht nur dazugelernt, sondern sich auch verändert. Er kehrt heim mit neuen Gewohnheiten und Vorlieben, hat Beziehungen aufgebaut und neue Freundschaften mit Menschen geschlossen, die er vor einem Jahr noch nicht einmal kannte. Er hat sich weiterentwickelt und gelernt, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Ein Austauschschüler kehrt nicht als Reisender heim, sondern als Mitglied einer neuen Kultur und einer anderen Familie. Er ist ein Anderer geworden.

Hat dieser Heimkehrer in seiner alten Welt noch einen Platz? Oder ist da nur Platz für die Person, die er vor dem Austauschjahr einmal war? Werden Familie und Freunde den veränderten Heimkehrer genauso mögen, akzeptieren und schätzen wie den abenteuerlustigen Austauschschüler von damals? Oder werden sie ungläubig die Köpfe schütteln und die Nase rümpfen, wenn sie bemerken, dass mit ihm neue Ideen, neue Verhaltensweisen und Gewohnheiten in ihr Leben einziehen?

Und mehr noch: Wird dem Heimkehrer seine alte Welt genügen? Wird sie ihm ausreichend Freiraum lassen, ohne ihn einzusperren? Wird er sich wieder auf das gewohnte Leben einlassen können, ohne überheblich zu sein und alles zu kritisieren? Auf diese Fragen gibt es keine einfachen Antworten. Aber eines gilt für jeden Austauschschüler: Die Rückkehr ist ein wichtiger Teil der Austauscherfahrung.

Eigentlich handelt es sich bei der Rückkehr aus dem Austauschjahr um einen Verlust- und Veränderungsprozess, den viele Menschen in unterschiedlichsten Formen und Ausprägungen immer wieder erleben. Vielleicht sind auch dir damit einhergehende Gefühle aus ähnlichen Erfahrungen bekannt: der Umzug in eine andere Stadt und die Trennung von alten Schulfreunden, das Ende einer Liebesbeziehung oder der Tod einer nahe stehenden Person. Nicht zuletzt fällt auch die Trennung von Eltern und Freunden vor dem Austauschjahr nicht jedem Austauschschüler leicht. Bei jeder dieser Veränderungen muss man Vertrautes aufgeben und zurücklassen und kann sich verlassen, allein und unverstanden fühlen. Wenn du dir bewusst machst, dass das Phänomen der Rückkehr aus dem Austausch ein ähnliches Erlebnis ist, ist die Rückkehr vielleicht schon nicht mehr ganz so fremd.

Wie auch andere tief greifende Veränderungsprozesse im Leben braucht die Rückkehr und gegenseitige Wiederanpassung Zeit. Für viele Rückkehrer, vor allem aber ihre Eltern und Freunde, ist das ein ungewohnter Gedanke, denn schließlich kehren Austauschschüler doch in eine Welt zurück, die sie sehr gut kennen, deren Sprache sie sprechen und deren kulturelle Regeln sie eigentlich beherrschen müssten.

Während sich die meisten Austauschschüler bei der Ankunft im Gastland noch bewusst waren, dass die Anpassung an die fremde Kultur eine Weile dauern wird und schwierig sein kann, scheinen viele dies bei der Rückkehr in die Heimat zu vergessen. Schließlich betreten sie ja bekanntes Terrain, so möchte man meinen. Sobald man sich jedoch vor Augen führt, dass man sich in diesem einen Jahr in einer anderen Kultur verändert hat, wird auch deutlich, dass man nicht gleich wieder „zu Hause“ sein wird. Schon mit dieser Einsicht wird man die Rückkehr als etwas weniger schwierig empfinden. Das gilt insbesondere auch für Familie, Freunde und Bekannte, die das Verhalten des Rückkehrers manchmal als seltsam, gelegentlich auch als befremdlich und mitunter sogar als verletzend empfinden werden.

Tagebuchvon Anke Müller

31. Mai 2000, Mittwochabend, 21.00 Uhr, Omaha, Nebr., USA

Bald werde ich meine Familie das erste Mal nach 10 Monaten wieder sehen. Ich weiß nicht recht, was in mir vorgeht. Vor allem freue ich mich. Ich freue mich darauf, ihnen zu erzählen und zu zeigen, wo und wie ich mein Jahr verbracht habe. Aber ich bin auch nervös, sehr nervös. Nervös, weil ich nicht weiß, wie sie reagieren werden. Wird es ihnen gefallen? Werden sie meine Gefühle verstehen? Werden sie mich verstehen? Das ist die erste Gelegenheit, uns an die Veränderungen des Anderen zu gewöhnen.

Ich denke, ich bin vernünftiger geworden, weltoffener, kein durchschnittlicher Teenager mehr. Vielleicht klingt es merkwürdig, aber ich habe ein paar große Schritte auf dem Weg zum Erwachsenwerden getan. Ob sich meine Eltern dessen bewusst sind, weiß ich nicht. Mir selbst ist es noch nicht einmal richtig klar. Oder glauben sie, das Mädchen zu sehen, das sie vor zehn Monaten auf dem Flughafen in Berlin verabschiedet haben?

Noch bleiben mir fast sechs Wochen meines Austauschjahres. Die Schule ist jetzt seit gut einer Woche vorbei. Das ist ein komisches Gefühl. Ich habe wohl noch immer nicht ganz begriffen, dass ich die meisten Leute nie wieder sehen werde. Vielleicht nie wieder in meinem Leben. Ich war sehr traurig, als ich aus dem Schulgebäude ging, habe jeden letzten Eindruck aufgesaugt wie ein Schwamm: Mittagessen in der Cafeteria, das letzte Mal normaler Unterricht, Abschlussprüfungen, Verabschiedungen von hilfsbereiten Lehrern und neuen Freunden. Auch wenn alle versprechen, in Kontakt zu bleiben, wusste ich, dass ich einige von ihnen wohl das letzte Mal umarmt habe. Ich sah sie das letzte Mal lächeln, hörte ihre Stimmen das letzte Mal in meinen Ohren.

Viele haben mich gefragt, wie ich über meine baldige Rückkehr denke. Ob ich mich wirklich freue. Komischerweise kann ich keine klare Antwort geben. Klar freue ich mich etwas zurückzukehren. Wie sehr? Keine Ahnung. Ich freue mich darauf, meine Familie, meine Freunde, unser Haus, meine Stadt zu sehen, wieder mein eigenes Leben zu führen. Aber wie wird es mir ergehen? Werden mir die gleichen Dinge wie früher gefallen? Werden meine Freunde mich noch mögen?

Meine Familie wird sich sicher früher oder später wieder an mich gewöhnen. Schließlich haben sie erlebt, wie ich groß geworden bin und mich über die Jahre verändert habe. Außerdem standen wir während des Jahres in ziemlich engem Kontakt. Sie konnten mein Leben hier etwas mitverfolgen. Sicher bin ich nervös, aber auch ziemlich zuversichtlich. Was meine Freunde betrifft, ist dies anders. Leider hatte ich in den vergangenen Monaten wenig Kontakt mit einigen von ihnen. Ich fürchte, selbst meine engsten Freunde werden sich nicht vorstellen können, wie sehr ich mich verändert habe. Wie auch, wenn ich mir dessen noch nicht einmal selbst bewusst bin. Glauben sie, ich werde die Alte sein? Wohl kaum. Was werden sie von einigen meiner neuen Ansichten und Meinungen halten? Ich habe heute seit längerem wieder einmal mit meinem Freund in Deutschland telefoniert. Ich bin mir nicht sicher, ob er etwas mit meinen Erfahrungen anfangen kann. Meine Eltern bestimmt, da bin ich mir sicher, zumindest in gewissem Maße. Aber bei ihm habe ich meine Zweifel. Einige Dinge versteht er überhaupt nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich nicht begreifen kann, wie wichtig sie mir sind, oder ob er es einfach nicht begreifen will. Es wird viel mehr Mühe kosten, die Beziehung zu ihm wieder aufzubauen als zu meinen Eltern. Aber ist ihm das klar?

Wie viel von dem, was mir hier gefällt, wird mir auch noch in Deutschland gefallen? Gibt es etwas, an das ich mich unbewusst sehr gewöhnt habe? Bestimmte Gewohnheiten, Regeln, Wertvorstellungen? Da ich nicht genau weiß, was mich erwartet, fällt es mir umso schwerer, alles hier zurückzulassen. Ich passe hier so gut hinein, habe neue Freunde gefunden, eine tolle Familie, die Schule macht Spaß. Ich habe soviel gemacht und erlebt und jetzt soll ich das alles aufgeben? Ich kann nicht glauben, dass ich schon zehn Monate hier bin. Einerseits habe ich das Gefühl, mich erst vor zwei Wochen von meinen Eltern verabschiedet zu haben. Aber andererseits kommt es mir vor, als hätte ich schon immer hier gelebt.

Die nächsten Wochen werden schwer, vor allem sich von allen zu verabschieden. Ich mag Abschiede nicht. Eigentlich bin ich nicht so ein Sensibelchen, aber wenn ich mich von jemandem verabschieden soll, bin ich scheinbar eine andere Person. In den letzten Wochen habe ich immer öfter über den Abschied nachgedacht. Noch bleiben mir fast zwei Monate, aber die Zeit rast dahin. Ich hätte niemals gedacht, dass dieses Jahr so schnell vergeht. Fast zu schnell. Zwei Wochen werde ich mit einer Austauschschülergruppe reisen: letzte neue Freunde und viele neue Eindrücke. Wenn ich zurückkomme, habe ich noch zwei Wochen hier: Wie werde ich diese Zeit verbringen? Ich weiß es nicht. Wenn ich könnte, würde ich meine Freunde um mich versammeln und wir würden die ganze Zeit das tun, was uns das ganze Jahr über Spaß gemacht hat. Ich plane eine Abschiedsparty. Ein paar Tage bevor ich abfliege. Beim letzten Austauschschülertreffen hat man uns gesagt, wir sollten keine Freunde mit zum Flughafen nehmen, diese Zeit sollte für die Gastfamilie reserviert sein. Also muss ich mich von meinen Freunden vorher verabschieden. Hilfe, ich wette, ich werde heulen wie ein Schlosshund. Ich werde sie furchtbar vermissen. Die meisten von ihnen gehen aufs College, werden neue Freunde finden. Werden sie sich an mich erinnern, auch wenn ich so weit weg bin?

Und wie soll ich mich von meiner Gastfamilie verabschieden? Wie kann ich ihnen zeigen, wie sehr ich zu schätzen weiß, was sie für mich getan haben? Ich werde niemals genug Worte finden, um meine Gefühle auszudrücken. Nichts, was ich kaufen könnte, würde nur annähernd dem Wert entsprechen. Es war nicht immer einfach, aber es ist ihnen wirklich gelungen, mir das Gefühl zu geben, Teil ihrer Familie zu sein. Werden wir in Kontakt bleiben, so wie mit meinen Eltern in Deutschland? Werden sie mich vielleicht eines Tages besuchen? War es für sie eine schöne Erfahrung?

So viele Fragen schwirren mir durch den Kopf. Fragen, die wahrscheinlich nur die Zeit beantworten kann. Auch wenn ich den Eindruck habe, die Zeit verginge so schnell, zu schnell, so scheine ich doch nicht schnell genug Antworten auf diese Fragen zu finden. Ich wünschte, ich könnte das Rad der Zeit zurückdrehen und wieder in Deutschland beim Kofferpacken sitzen, voller Erwartung und Vorfreude. Doch langsam aber sicher ist das Jahr vorüber. Bald bin ich eine von vielen ehemaligen Austauschschülerinnen. Das ist ein schrecklich-schöner Gedanke.

1.3 RÜCKKEHR SCHRITTWEISE

Auf den ersten Seiten dieses Buches haben wir dir einen Eindruck vermittelt, warum das Zurückkehren schwierig sein kann. Natürlich gibt es Austauschschüler, für die diese Zeit des Austausches an sich wenig problematisch ist, aber von Flugzeugen, die landen, berichtet niemand. Deshalb stellen wir hier erst kurz und in den folgenden Kapiteln ausführlich dar, wie du eine Bruchlandung vermeiden und stattdessen wieder weich in deinem alten Zuhause landen kannst:

Tiefgreifende Veränderungen, so wie es der Abschied aus deinem Austauschjahr und die Rückkehr in deine alte Heimat sind, unterteilen wir in fünf Abschnitte:

Abschied

Ankunft

Rückkehrbegeisterung

Niemandsland