Die Rückkehr des Raben - Sylvia Kaml - E-Book
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Die Rückkehr des Raben E-Book

Sylvia Kaml

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Beschreibung

Nach der Zerschlagung der "Street Ravens" läuft Nick Markers Leben endlich in geordneten Bahnen. Job, Wohnung, Frau ... Familie. Das ändert sich, als der im Exil geglaubte Kristof Korp wieder in sein Leben tritt und seine Familie bedroht. Die Forderung: Markers soll mit seinen Hackerkenntnissen helfen, Kristof zu rehabilitieren. Im Gegenzug sieht dieser von seiner Rache ab. Nick lässt sich auf den Handel ein. Und gerät damit zwischen die Fronten rivalisierender Mächte, die nur eines wollen: Kristofs Kopf - und damit auch Nicks.

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HYBRID VERLAG

Ebookausgabe

08/2019

 

 

 

© by Sylvia Kaml

© by Hybrid Verlag, Westring 1, 66424 Homburg

 

Umschlaggestaltung: © 2019 by Creativ Work Design, Homburg

Lektorat: Milena Reinecke, Paul Lung

Korrektorat: Eva Töpelt

Buchsatz: Eva Töpelt

Autorenfoto: Andrea Rings

 

 

Coverbild ›Die Verschwörung des Raben‹, © by Creativ Work Design

Coverbild ›Predyl‹, © by Creativ Work Design

Coverbild ›Auf Null gesetzt‹, © by Creativ Work Design

Coverbild ›Nopileos‹, © by tab visuelle kommunikation, Stuttgart,

& Creativ Work Design, Homburg

Coverbild ›Melderin I‹, © by Katharina Netolitzky

 

ISBN 978-3-946-82088-8

 

www.hybridverlag.de

www.hybridverlagshop.de

 

 

 

Sylvia Kaml

 

Die Rückkehr des Raben

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dystopie

Inhaltsverzeichnis

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

Epilog

Danksagung

DIE AUTORIN

Weitere Werke der Autorin beim Hybrid Verlag:

 

 

Prolog

 

Kristof Korp stand am Fenster, die Hände hinter dem Rücken gefaltet, und schaute hinaus. Die goldenen Spitzen der Zwiebeltürme glänzten in der Sonne, dahinter erstreckte sich die Skyline Moskaus, die mit jedem Jahr größer und beeindruckender in die Höhe ragte. Die ähnlich schnell wachsende Armut des Landes sah man von seinem Standpunkt aus nicht. »Ich werde diesen Anblick vermissen.«

Zoja sah von ihrem Schreibtisch auf. »Welchen Anblick wirst du vermissen?« Das scharfe R und betonte I ihres russischen Akzents klangen unheimlich erotisch in seinen Ohren.

Er drehte sich um.

Die junge Frau stieß den fahrbaren Ledersessel ein Stück vom Tisch weg und gab so den Blick auf ihre langen Beine frei. Der schwarze Minirock überließ nicht viel der Fantasie.

Kristof musterte sie erwartungsvoll. Zoja war etwas jünger als Sandy, doch ein gänzlich anderer Typ. Sie strahlte vor Selbstbewusstsein und versuchte gar nicht erst, ihre blonden Haare und blauen Augen zu verbergen. Im Gegenteil, sie bleichte ihre langen Locken sogar zusätzlich und mied die Sonne, wo es nur ging. Eine helle Haut war für Zoja ein Statussymbol.

»Kriestof.«

Er mochte es, wenn sie die Vokale in die Länge zog.

Mit einem koketten Schmunzeln erhob sich die junge Frau betont elegant. Sie entfernte ihre Haarspange, sodass die weißblonden Strähnen herunter auf ihre Schultern fielen. Kristof entging nicht, mit welcher geschmeidigen Eleganz Zoja ihre Bewegungen beherrschte. Sie balancierte auf den hohen Absätzen der lackroten Stilettos so sicher, als wären sie ein Körperteil von ihr. Die Blondine warf ihre Mähne mit einer gekonnten Kopfbewegung zurück und schlang die Hände um den Nacken des fast fünfzehn Jahre älteren Mannes.

»Nun sag schon, welchen Anblick wirst du vermissen?«, hauchte sie und ließ die kräftig rot geschminkten Lippen sinnlich geöffnet. Ein Duft von Wildrosenparfüm umnebelte die schlanke Figur.

Kristof umfasste ihre Taille und zog sie mit einem Ruck an den eigenen Körper. »Den Mütterchen Russlands natürlich«, sagte er schmunzelnd dicht an ihrem Ohr.

Zoja kicherte und zog die Schulter hoch, als der Atem des blonden Mannes die Haut hinter ihren Ohren streifte. »Nenne mich nicht Mütterchen, du! Das klingt nach Oma.« Sie lehnte sich zurück und stupste ihm kokett rügend mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze. »Ich bin noch lange nicht so betagt wie du, alter Mann!«

Kristof lächelte. »Du bist wieder unartig«, sagte er und drückte seine Lippen fest auf ihre.

Sie löste sich etwas von ihm, öffnete die Knöpfe ihrer Bluse und gab damit den Blick frei auf einen roten Spitzen-BH über einer perfekten Oberweite. Dann ließ sie den Stoff in einer fließenden Bewegung auf den Boden gleiten. »Ich glaube, du brauchst ein wenig Ablenkung.« Sie begann, Kristofs Gürtel zu öffnen.

»Nicht nur das.«

Auch Rache, aber die käme später. Bald. Jetzt wollte er etwas anderes.

Er mochte Zojas forsche Art, seine Aufmerksamkeit nur auf ihren Körper zu lenken. Sie war eine Frau, die wusste, was sie wollte, und auch die Schritte unternahm, um es zu bekommen. Noch mehr liebte er es, wenn er die Kontrolle übernahm und mehr oder weniger sanft seinen Willen durchsetzte.

Wenige Minuten später summte seine Smartwatch. Ein kurzer Blick zur Seite bestätigte seinen Verdacht: Marko. Aber der musste warten.

Es konnte sich dabei nur um einen Statusbericht handeln, nichts Dringendes. Sein Plan war felsenfest. Wie immer.

1.

 

Sandy trat aus dem massiven Gebäude der Düsseldorfer Altstadt und schlug den Weg in Richtung Bahnstation ein. Sie unterdrückte den Drang, Nick eine Nachricht über die Smartwatch zu schicken. Nein, sie würde es ihm heute Abend persönlich sagen.

Der Klang ihrer Schritte hallte über den Asphalt. Immer schneller, im Takt des klopfenden Herzens. Passanten mit Einkaufstaschen wichen ihr aus, ohne sie anzusehen. Eine ungeahnte Leichtigkeit beschlich Sandy.

Als ein Windhauch ihr entgegen wehte, schloss sie kurz die Augen und genoss das kühle Streicheln auf der Haut. Das Gefühl, bald vom Boden abzuheben, schien sie zu übermannen, und sie kämpfte gegen den Drang an, die Arme auszubreiten und mit geschlossenen Lidern loszurennen. Auf einer vielfrequentierten Einkaufsstraße keine so gute Idee.

Sie blinzelte glücklich in die Mittagssonne. Nicks Gesicht erschien in ihren Gedanken, seine Grübchen, wenn er lächelte, die braunen Strähnen, die ständig in seine Stirn fielen und ihn auf seltsame Weise verloren aussehen ließen, wie einen Streuner. Sie wollte ihn dann immer in die Arme nehmen und fest an sich drücken, auch wenn er es war, der sie stets beschützte. Der Mann, der ihr standhafter Fels in der Brandung war, ihr einziger Halt.

Und jetzt diese Nachricht! Alles erschien heute gut und richtig.

Sie war stolz auf sich. Lange hatte sie gebraucht, sich alleine aus der Wohnung zu trauen. Nicht einmal zum Bäcker hatte sie ohne Begleitung von Nick oder Toni gehen können.

Seit sie aus Nijmegen fortgezogen waren, verblasste mit der Erinnerung die Furcht. Nick fiele die Kinnlade herunter, sähe er sie hier. Alleine im Bezirk Düsseldorf, ein ganzes Stück Bahnfahrt entfernt von ihrer Wohnung. Auch wenn sie ihre blonden Haare noch immer lieber unter einer Strickmütze verbarg, verspürte sie heute keine Angst. Nur Stolz und Glück. Nichts auf der Welt würde sie nach dieser Nachricht mehr aufhalten können.

»Hallo Sandy!«

Wie ein Blitz schlug der Klang dieser Worte in ihrem Kopf ein. Sie blieb abrupt stehen und fuhr herum. Die Stimme klang vertraut. Zu vertraut. Zu sehr verknüpft mit den Ereignissen, die sie hinter sich gelassen glaubte. Mit klopfendem Herzen starrte sie auf die dunkle Gestalt, die sich rechts von ihr aus der Gasse zwischen zwei Häusern aus dem Schatten löste.

»Marko.« Ihr Mund war trocken und sie merkte, wie ihr gesamter Körper bebte.

»Hey.« Der Tonfall des Spaniers war so sanft wie früher. »Nicht umkippen. Ich bin nicht hier, um dir etwas anzutun.« Er trat neben sie in die Sonne und sie konnte sein gebräuntes Gesicht unter der Kapuze erkennen. Ein paar mehr Fältchen zierten es, doch es gehörte unverkennbar dem Mann, mit dem sie so viel verband. Darunter auch einige der schrecklichsten Erfahrungen ihres Lebens. Marko versuchte sich in einem flüchtigen Lächeln und hob die Arme. »Wenn dir etwas zustößt, würde Raven mir das nie verzeihen.«

Sandy schluckte, um ihre Kehle zu befeuchten. »Du hast Kontakt zu Kris?« Den Namen ihres Halbbruders auszusprechen, fiel schwerer als gedacht.

Marko nickte, ohne eine Miene zu verziehen.

»Wie … wie geht es ihm?«

»Den Umständen entsprechend.« Seine Mundwinkel zuckten nach oben. »Lass uns doch einen gemütlicheren Ort zum Reden finden. Wie wäre es dort drüben im Café?«

Sandy nickte leicht und folgte ihm. Sie überlegte, Nick zu benachrichtigen, fürchtete aber Markos Reaktion.

»Es ist seltsam, wieder in der Ruhrstadt zu sein, oder?«, plauderte der Spanier, als er lässig neben ihr den Bordstein entlangging, die Hände in den Hosentaschen. »Hier in der Altstadt lebte ich als Kind auf der Straße. Das weckt Erinnerungen, auch wenn es damals etwas anders aussah.« Er betrachtete die begrünten Hochhäuser und die bildschirmbeschichteten Hauswände, auf denen Werbespots in Dauerschleife liefen. »Während in Nijmegen alles seit Jahrzehnten stillsteht, scheint es hier noch Kohle für Renovierungen zu geben.«

Sandy presste die Lippen aufeinander. Sie umfasste beinahe krampfhaft ihre Handtasche und ihr Atem ging stetig schneller. »Ich erinnere mich nicht mehr so genau.«

Sie betraten das Café. Ein helles, modern eingerichtetes Lokal mit Glastischen. Sandy schritt bis zu einem der hintersten Ecktische, weit entfernt von der großen Fensterscheibe. Auch wenn sie hier in Düsseldorf kaum jemanden kannte, wollte sie nicht riskieren, mit einem ehemaligen Mitglied der noch immer gefürchteten Street Ravens gesehen zu werden. Deren Fotos gingen nach der Festnahme durch alle Medien, eine Unkenntlichmachung war seit dem letzten Anti-Terror-Gesetz nicht mehr vorgeschrieben.

Marko zog seine Jacke aus und hing sie über die Stuhllehne. Er wirkte mit dem dunkelblauen Hemd weniger auffällig als früher. Seine Haare waren kürzer, Ring und Goldkette fehlten. Er erweckte einen reiferen und irgendwie erwachseneren Eindruck.

Sandy hingegen fühlte sich wieder wie ein kleines, hilfloses Kind. Sie setzte sich steif auf den blau gepolsterten Stuhl, der sich sofort ihrer Körperform sowie ihrem Gewicht anpasste, und kämpfte gegen den Drang an, die Knie an den Körper zu ziehen. Stattdessen hob sie die Schultern und drückte die Hände in den Schoß.

»Auch einen Cappuccino?«, fragte Marko völlig entspannt, als er durch die in den Tisch integrierte, digitale Speisekarte scrollte. Sandy nickte. Der Spanier schickte die Bestellung ab und zahlte beides mit Fingerabdruck.

Sandy betrachtete ihn. Dieser Mann war einst eine Art Bruder für sie gewesen, dem sie blind gefolgt wäre. Nun erschien er ihr fremd und unheimlich. Ein Relikt aus einem früheren Leben, einer anderen Welt.

»Seit wann bist du draußen?« Sie biss sich auf die Unterlippe und verfluchte sich innerlich dafür, dass ihre Stimme zitterte.

»Seit drei Wochen. Noch auf Bewährung mit Fußfessel. Jeder Furz von mir wird elektronisch überwacht.« Marko lehnte sich lässig zurück, als die junge Bedienung die cremefarbenen Keramiktassen auf den Glastisch abstellte.

»Muchas gracias, bonita«, sagte er zwinkernd in altbekanntem Charme, der dem rothaarigen Mädchen ein verschämtes Lächeln und farbige Wangen entlockte.

Sandy verdrehte innerlich die Augen über diese Masche. Marko beherrschte kaum noch die Muttersprache seines Geburtslandes, ja, nicht einmal der Name wurde korrekt geschrieben. Seine Eltern hatten sich damals von dem wirtschaftlich ruinierten Spanien distanzieren wollen. Ihr Sohn sollte hier so einheimisch wie möglich wirken. Aber für Flirts zog er immer wieder diese Karte. Mit Erfolg.

Doch Sandy war zu nervös für einen Kommentar, rieb stattdessen ihre schwitzenden Finger aneinander und wartete, bis sich die Kellnerin mit dem noch gefüllten Tablett dem nächsten Tisch zuwandte. »Was … was hast du jetzt vor?«

Marko legte schmunzelnd eine Hand auf ihren Arm. »Entspann dich, Süße. Ich wollte lediglich sehen, wie es dir so geht. Wenn ich dir etwas hätte antun sollen, wäre es bereits geschehen. Fußfessel hin oder her.«

»Was ist mit Nick?«

Sein Gesicht verdüsterte sich schlagartig. Er zog den Arm zurück, als hätte sie eine ansteckende Krankheit erwähnt.

Sandy wurde kalt. »Bitte! Er hat nur nach seinem Gewissen gehandelt.«

Der Spanier schüttelte abwehrend den Kopf und riss das Päckchen Zucker auf. Das Ratschen des Papiers ließ sie ungewollt zusammenzucken. »Gewissen! So etwas wie ein Gewissen kann dieser Lügner und Verräter kaum haben. Er hat die Street Ravens hintergangen, du weißt, was das bedeutet.« Er betrachtete sie abschätzend. »Du könntest deinem kleinen Gespielen allerdings was von mir ausrichten.«

»Was denn?«

Marko rührte gelassen mit dem Löffel in dem Milchschaum. »Er bekommt eine unverdiente Chance. Die Letzte. Er sollte sie nutzen.«

 

~

 

Nick saß in dem kleinen Büro von DU&I und prüfte soeben die neue Firewall des Unternehmens, als ein Popup Fenster auf dem Bildschirm einen eingehenden Anruf anzeigte. Nick steckte sich den Ohrstöpsel ein und nahm das Gespräch entgegen.

Das ernste Gesicht von Hauptkommissar Klaasen erschien auf dem Monitor.

»Ben?«, fragte er verwundert. »Wie geht es dir?«

»Tut mir leid, wenn ich dich auf deiner Arbeit störe, hast du kurz Zeit?«

»Ja, ein paar Minuten gehen sicher, die sind hier nicht allzu streng.«

Ben lächelte. »Die sind froh, dass sie dich haben, Junge! Du hattest nach deinem Aushorchjob bei den Ravens ja weitaus bessere Angebote.«

Nick presste kurz die Lippen zusammen. Der Hauptkommissar hatte recht. DU&I war eine mittelgroße Duisburger Firma für Robotertechnik und versprach im Vergleich zu den anderen Unternehmen, die damals scharf auf Nicks Wissen waren, nicht den höchsten Lohn. Doch die seit der Wirtschaftskrise Europas gesetzlich nicht mehr verpflichtenden Sozialleistungen waren tolerabel.

»Mich faszinieren die Produkte«, erklärte er wahrheitsgemäß. »Das hier ist keine der skrupellosen Banken oder unethischen Modelabel, sondern eine Firma, die Hilfsroboter zur Unterstützung von Menschen mit Handicap oder Pflegebedürftige herstellt. Etwas Sinnvolles also. Und die Kollegen sind nett«, fügte er schulterzuckend hinzu.

»Du musst dich nicht entschuldigen.« Bens Lächeln erreichte nun endlich auch seine Augen, die sichtlich unter Schlafmangel litten. »Ich sehe es gerne, wenn junge Menschen heutzutage ihre Arbeit nicht nur nach dem Gehalt auswählen, sondern auch soziale Aspekte mit einbeziehen. Solche Skrupel werden immer seltener, wie du ja selbst erlebt hast.« Sein Blick wurde ernst. »Diese Kommunikation ist sicher?«

»Hier ist alles geschützt«, bestätigte Nick. »Meine Arbeit beinhaltet einige vertrauliche Dinge, daher wurde ich auch zum Glück nicht in ein Großraumbüro gesteckt.« Seine eigenen Worte erinnerten Nick erneut an die Ravens. Damals war es ein ähnliches Büro gewesen. Nur hatte er für Kristof andere Unternehmen ausspionieren sollen, hier war es seine Aufgabe, die Firma vor genau solchen Attacken zu bewahren. »Du kannst frei reden. Worum geht es?«

»Um eine Mordserie.«

»Warum rufst du mich an? Ich bin Programmierer, kein Ermittler. Oder werde ich etwa verdächtigt?« Er wollte scherzhaft lächeln, doch Klaasens Blick blieb zu ernst.

»Die Fälle tragen alle Kristof Korps Handschrift.«

Nick erstarrte, als er den Namen hörte. Dennoch richtete er seinen Oberkörper auf. »Mit dem habe ich nichts mehr am Hut!«

Klaasen beugte sich nach vorne. Das verhieß selten etwas Gutes. »Du kennst ihn besser als jeder andere. Sein Denken ist dir vertraut. Keine Sorge, wir schleusen dich nirgendwo mehr ein, wir brauchen nur dein Hackertalent.«

»Ben«, setzte Nick an und schloss für einen Moment die Augen, »ich habe mit den Street Ravens abgeschlossen. Auch für Sandy. Das ist Vergangenheit. Wenn ich mich erneut gegen die Bande stelle, bin nicht nur ich selbst wieder in deren Visier, sondern meine Freundin ebenfalls.«

»Ich würde mal behaupten, das seid ihr so oder so schon.«

»Wir wollen endlich Ruhe, verstehst du?«

Klaasen nickte. »Ja, das tue ich. Sehr gut sogar. Aber du musst nicht einmal in Erscheinung treten. Korp braucht ja nicht erfahren, dass du es bist, der Nachforschungen anstellt.«

Nick atmete tief durch. »Was soll ich tun?«

»Ich würde das lieber persönlich besprechen. Hast du Zeit heute Abend?«

»Ja, wir sind zuhause.«

»Dann werde ich gegen 20 Uhr bei euch sein.«

»Okay, bis später.«

Nick beendete das Telefonat mit einem deutlichen Magendrücken. Es schien, als würde eine verdrängte Vergangenheit versuchen, ihn mit knochigen Klauen aus dem Licht zurück in die Dunkelheit zu zerren. Natürlich war es naiv zu denken, dass Kristof ihm nie wieder begegnete. Nick war sich sogar sicher, dass der Rabe nicht eher ruhen würde, bis er einen Weg zur Vergeltung fände. Da konnte er verdrängen, wie er wollte. Dennoch war das hier unvorbereitet.

Nicht Kristof suchte den Kontakt, nein, er – Nicolai Markers – sollte ihm erneut auf die Schliche kommen. Ein weiteres Mal genau das tun, was ihn schon einmal fast Kopf und Kragen gekostet hatte.

Nein, dieser Gedanke schmeckte bitter.

Er aktivierte seine Smartwatch und rief Sandy an. Es dauerte ungewöhnlich lange, bis sie das Gespräch entgegennahm und ihr Gesicht auf dem Display der Uhr erschien.

»Nick?«, fragte sie, ihr Lächeln wirkte gezwungen und sie vermied es, ihm in die Augen zu sehen.

»Ja, offensichtlich, ist etwas passiert?«

»Nein … ja«, wich sie aus. »Das erzähle ich dir später, ich bin noch in Düsseldorf. Ich war bei meiner Frauenärztin und kann gerade schlecht reden.«

»Du bist alleine nach Düsseldorf gefahren? Ist alles in Ordnung?«

»Ja.« Sandys Stimme klang stolz, doch er hörte ebenso eine gewisse Kränkung über sein Erstaunen heraus. Nichts lag ihm ferner, als sie zu bevormunden.

»Das ist super. Vielleicht möchtest du etwas einkaufen? Ben kommt heute Abend vorbei.«

»Ben? Wie schön. Jette auch?« Sie schien noch immer angespannt. Nick irritierte es, dass ihr Blick nur selten ihm galt. Stattdessen schien sie überall sonst hinzusehen.

»Nein, nur er. Denke ich. Wo bist du?«

»In einem Café. Ich habe jemanden getroffen. Ich erzähle es dir später, okay?« Beim letzten Satz nahm sie einen beinahe verschwörerischen Tonfall an.

Nick runzelte die Stirn. »Alles in Ordnung?«

»Ja, mach dir keine Sorgen.«

»Okay, bis heute Abend. Ich liebe dich!«

»Ich dich auch.«

 

~

 

Sandy beendete das Gespräch und entfernte den Ohrstöpsel.

Marko musterte sie stumm. Zu gerne würde sie wissen, was gerade in dem Kopf des ehemaligen Street Ravens vor sich ging. Sein Gesichtsausdruck blieb betont regungslos.

»Das war Nick«, erklärte sie. Weiteres Schweigen. »Also sag schon«, drängte Sandy schließlich. Die grünen Augen des Spaniers ließen Ameisen über ihre Haut krabbeln. »Was soll ich ihm ausrichten?«

»Es geht darum, deinen Bruder vor der chinesischen Mafia zu bewahren.«

Sie spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Jemand, der behauptete, Kristof Korp wäre kein Unschuldslamm, untertrieb schamlos. Aber er war und blieb ihr Bruder, der sie damals gerettet und beschützt hatte. Allen Straftaten zum Trotz. Die Angst um ihn ließ sich genauso wenig abschalten wie die Angst vor ihm.

»Sie wollen sich an Raven rächen und schieben ihm Mordfälle in Deutschland in die Schuhe«, erzählte Marko weiter. Die Art, wie er sie dabei taxierte, verunsicherte Sandy stetig mehr.

»Was sollte das denn bewirken? Kris ist hier doch ohnehin schon vorbestraft und wird gesucht.«

»Russland hat ihm politisches Asyl gewährt. Er ist nie verurteilt worden in Deutschland. Es existiert lediglich eine Fahndung aufgrund des laufenden Verfahrens. Aber wenn er in die Mordfälle verstrickt ist, müssen die Russen ihn aus diplomatischen Gründen ausliefern oder es gibt eine handfeste Auseinandersetzung. Das kann als Terrorattentat zählen, da kennen die nichts.«

»Und er ist sicher unschuldig?«

Markos Nicken wirkte absolut überzeugt. »Raven hatte in Russland weiter gegen die chinesische Mafia ermittelt. Es ist uns gelungen, China im Kreml schlecht zu machen. Das Embargo mit Europa ist aufgehoben, auch das verdanken wir unter anderem deinem Bruder. Aber nun hat Raven wohl die dunkle Seite des goldenen Drachens erzürnt.«

Sandy riss die Augen auf. »Die Prostitutionsmafia?«

Marko nickte erneut. Sandy wusste, wie schmerzhaft in ihrem Bruder die Erlebnisse seiner Kindheit als blonder Junge verankert waren. Sie beide hatten unaussprechliche Dinge erleben müssen. Nur aufgrund ihrer selten gewordenen Haar- und Augenfarbe. Die junge Frau griff sich unbewusst schützend mit der Hand an den Bauch.

Dem Spanier entging diese Bewegung nicht. Er hob abschätzend eine Augenbraue. »Vielleicht kommt es nach dir und wird blonde Haare haben«, sagte er leise, fast flüsternd.

Sandy sah erschrocken auf. Das Blut schoss in ihren Kopf und ihre Wangen glühten. »Was? Woher …?« Natürlich! Sie hatte beim Telefonat ihren Besuch bei der Frauenärztin erwähnt. Am liebsten hätte sie sich mit der Hand gegen die Stirn geschlagen. Marko war ein extrem guter Beobachter. Gewiss einer der Gründe, warum er noch lebte.

Ihr Gegenüber lächelte selbstsicher und lehnte sich zurück. »Also doch. Weißt du schon, ob Junge oder Mädchen?«

Ihr Blick senkte sich betreten, die Tasse mit dem Cappuccino war noch immer nicht angerührt. »Nein. Wir haben es erst gestern erfahren.« Sie sah auf und dem Spanier direkt in die grünen Augen. »Bitte, sag Kristof nichts davon.«

Marko legte den Kopf schief.

»Bitte«, wiederholte sie eindringlich. »Es ist alles noch so frisch und ungewiss. Außerdem … ich … ich möchte ihm gern selbst erzählen, dass er Onkel wird.«

Der Spanier zwinkerte verständnisvoll. »Okay, wie du willst.«

»Danke.« Sie schenkte ihm ein Lächeln. Obwohl Marko ihr in diesem Moment unheimlich war, weckte seine Nähe doch etwas Vertrautes. In seiner Gegenwart und der ihres Bruders hatte Sandy sich den größten Teil ihres Lebens geborgen und sicher gefühlt. Diese Erinnerung haftete an ihr. Trotz aller Furcht und Skepsis.

Marko winkte der Bedienung von vorhin. Als sie vor dem Tisch stand, fragte er charmant nach ihrem Namen und tippte dann ein fürstliches Trinkgeld unter ihr Foto auf dem Displaytisch. Die junge Frau strahlte den spendablen Gast an. Sicher würde sie ihm auf der Stelle ihre Telefonnummer geben, fragte er danach. Wenn man nicht gerade in einem der reicheren Viertel ein Lokal betrieb, waren Trinkgelder heute selten geworden.

Marko stand auf und hob die Jacke von der Stuhllehne.

»Ich muss jetzt gehen!«, sagte er mit Blick auf Sandy. Als er an ihr vorbei ging, beugte er sich hinunter an ihr Ohr.

»Dein Verräter-Schatz sollte auf Ravens Angebot eingehen. Es ist seine letzte Chance. Und auch nur, wenn er nicht wieder Tricks versucht!« Marko wollte sich schon wieder aufrichten, überlegte es sich in der Bewegung anders. »Auch wenn ich mir durchaus wünschte, er täte es.«

Erschrocken sah Sandy Marko ins Gesicht. Er lächelte sie an, aber seine Augen waren dabei kalt. Mit einem fahrigen Winken drehte er sich um und verließ das Café.

Sandy brauchte noch eine Weile, um sich zu sammeln. Die Bedrohung für Nick war bislang abstrakt gewesen. Sie wusste, dass Kristof ihrem Freund das Leben so schwer wie möglich machen würde, wenn er könnte. Vielleicht sogar seinen Tod in Auftrag geben. Diese Option verdrängte sie jedoch.

Ein Leben ohne Nick schien ihr undenkbar. Ebenso fiel es schwer, sich ihren Bruder als das Ungeheuer vorzustellen, das er sein konnte.

Aber er war weit entfernt. Musste es. Einen Schritt über die europäische Grenze und er würde im Gefängnis landen. Insgeheim hatte sie gehofft, dass ihr Bruder seine Rachepläne aufgeben würde. Ihr zuliebe. Doch nun das. Die Bedrohung genau vor der Nase in Gestalt Kristofs ergebenen Lakaien. Aber vielleicht war es nur Marko, der seine Abscheu gegenüber Nick nicht im Zaum halten konnte?

2.

 

Als Nick von der Arbeit nach Hause kam, wartete Sandy bereits ungeduldig.

»Wo bleibst du so lange?«, empfing sie ihn aufgebracht an der Tür. »Es ist schon Viertel vor Acht! Ben kommt in wenigen Minuten!« Sie atmete tief durch. »Deine Überstunden in dieser Firma übertreffen schon die regulären.«

»Die Chefetage erwartet das so.« Nick nahm sie in die Arme und küsste sie. »Dafür haben wir alle Sozialleistungen.«

Sandy entspannte sich.

»Kamst du mit dem Backautomaten klar?«, fragte Nick und Sandy seufzte laut.

»Gut, dass dieses Monster einen Timer hat. So wird das Pilz-Risotto pünktlich um 20 Uhr fertig sein. Ich habe vor lauter Aufregung viel zu früh alle Zutaten in den Backautomaten gegeben.« Sie erwähnte nicht, dass sie dringend eine Beschäftigung gesucht hatte, um sich abzulenken. Das Treffen mit Marko hatte sie mehr aufgewühlt, als gedacht, und die Zeit danach alleine in der Wohnung wurde immer unerträglicher. Sie schnaubte. »Ich brauche einen Job.«

Nick strich ihr zärtlich über die Haare. »Wir können froh sein, dass einer von uns einen hat. Ich kann uns versorgen und andere Menschen haben es nötiger … so blöd das klingen mag.«

Sandy vergrub sich in seinen Armen. »Ich weiß … Es ist nur … Es würde mir vielleicht gegen die Ängste helfen, wenn ich selbstständiger wäre. Natürlich wäre ein bezahlter Job ohne Ausbildung Utopie, aber vielleicht könnte ich etwas Ehrenamtliches machen? Den ganzen Tag alleine in der Wohnung oder im hauseigenen Sportcenter ist auf Dauer einfach nichts für mich.«

»Du wirst doch vielleicht bald genug Beschäftigung haben und nicht mehr den ganzen Tag alleine sein in der Wohnung.« Nick nahm ihren Kopf in die Hände und küsste sie sanft auf die Lippen. »Was sagt der Arzt? Alles ok?«

»Alles bestens.« Ihre Augen strahlten. »Ich konnte heute schon das winzige Herz schlagen sehen, ist das nicht der Wahnsinn?«

Er schlang die Arme um ihre Hüften, sein Blick zeigte jedoch leichte Enttäuschung. »Warum hast du nichts gesagt? Ich wäre so gerne mitgekommen. Ich hätte sofort versucht, Urlaub zu bekommen.«

Nick hatte mit Sandy schon über die Klausel im Vertrag gesprochen, wonach er erst nach drei Jahren bei der Firma berechtigt war, Urlaub nach seinen Wünschen einzureichen.

»Als ich heute früh angerufen hatte, ist gerade ein Termin abgesagt worden und sie fragten, ob ich gleich vorbeikommen möchte. Sei bitte nicht böse, ich wollte nicht, dass du deinen Job gefährdest und mir auch beweisen, dass ich das schaffe.«

»Ganz alleine nach Düsseldorf. Ich bin stolz auf dich.« Er küsste sie und strich ihr dann über die blonden Strähnen. »Aber ich hätte gerne zumindest ab und zu mittels der Kameras ein Auge auf dich geworfen.«

Sandy wich zurück und runzelte ihre Stirn.

Nick hob entschuldigend die Hände. »Nur zur Sicherheit.«

»Du weißt, wie ich den Überwachungsscheiß hasse.« Sie stemmte die Arme in die Hüften. »Ständig auf Schritt und Tritt sind diese künstlichen Augen auf dich gerichtet, hier in der Ruhrstadt ist es besonders schlimm. Jeder kann da mitgaffen, ein Paradies für Spanner.«

»Die Kameras nutzen eben nur etwas, wenn Verbrechen auch von jemandem beobachtet und nicht nur aufgezeichnet werden. Da die Stadt kein Geld für Beamte hat, die Tag und Nacht an den Bildschirmen sitzen, macht sie es öffentlich und hofft auf Mithilfe der Bürger, die dann schnell reagieren.«

»Jetzt plappere nicht die Floskeln der Politiker nach. Du hast dich doch am meisten darüber aufgeregt, dass hier alles bewacht ist.«

Nick lächelte schwach. »Ja, das habe ich. Aber das war, bevor meine Freundin alleine durch die Stadt spaziert ist.« Er sah sie mit einem flehenden Hundeblick an und Sandy seufzte.

Diesen rehbraunen Augen konnte sie einfach nicht lange böse sein.

»Du musst dir keine Sorgen machen.« Sie schlang ihre Arme um seinen Hals. »Es gehen jeden Tag etliche Frauen alleine spazieren.«

»Aber keine Blonden.«

»Nick!«

»Ich weiß, es tut mir leid.« Er atmete tief durch und legte seine Hände um ihre schlanke Taille. »Ja, ich bin noch immer gegen die Kameras und einen Überwachungsstaat … ja, und für die Selbstbestimmung der Frauen.« Er zwinkerte. »Ich spüre einfach diesen Drang in mir, dich beschützen zu müssen. Gerade jetzt …« Er legte seine Hand auf ihren Unterleib.

»Deswegen muss ich aber nicht auf Schritt und Tritt von dir kontrolliert werden. Ich bin so froh, dass ich mich nach der Therapie endlich allein auf die Straße traue.«

»Man hört zu viel in den Medien heutzutage.« Nick wich ihrem Blick schuldbewusst aus.

»Das ist Angstmacherei, das hast du selbst gesagt. Es geschehen heute nicht mehr Verbrechen als vor zwanzig Jahren, im Gegenteil, sie werden sogar häufiger aufgeklärt.«

»Dank der Kameras.«

Sandy verzog den Mund. »Ich bin so weit gekommen. Rede mir da bitte nicht wieder die alte Furcht ein.«

Nick zuckte erschrocken zusammen. »Das tue ich nicht, versprochen.« Er gab ihr einen besänftigenden Kuss. »Mit wem warst du denn im Café? Einem Liebhaber?«

Es sollte wohl ein Scherz sein, doch als er in ihr düsteres Gesicht sah, verschwand sein Lächeln. »Was ist los?«

»Es war Marko.«

Nick wurde bleich. Er ließ Sandy los, wich unwillkürlich einen Schritt zurück und rieb sich mit den Handflächen über sein Gesicht. »Marko? Ist der wieder auf freiem Fuß? Hat er dir etwas angetan?«

»Nein, keine Sorge. Du kennst ihn, er war ein totaler Gentleman.«

»Ein Gentleman, der selbst dir ohne mit der Wimper zu zucken ein Messer in den Rücken rammen würde, wenn Kristof es befiehlt.« Wie unbewusst ballte er die Fäuste. »Er hat meine Mutter getötet, erinnere dich! Und mir dann auch noch sein Mitgefühl vorgeheuchelt.«

»Das war womöglich gar keine Heuchelei«, versuchte Sandy den Spanier zu verteidigen, doch Nicks Blick ließ sie verstummen.

Die Prioritätensetzung der Ravens war schwer nachzuvollziehen, selbst für einen ehemaligen Insider. Das bedeutete jedoch nicht, dass sie völlig ohne Empathie wären. Es zählte einfach das höhere Ziel, das es zu erreichen gab.

Auch sie hatte einmal so gedacht, die Augen vor Unangenehmem verschlossen. Sich emotional von den Opfern distanziert. Heute betrachtete sie das Bild aus einer anderen Perspektive.

»Was wollte er?«, bohrte ihr Freund nach.

»Er möchte dir einen Vorschlag machen. Dich treffen.«

Nick öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, als es klingelte. Er aktivierte die Kamera auf seiner Smartwatch und atmete tief durch. »Das ist Ben. Mal wieder auf die Minute pünktlich. Lass uns später darüber sprechen, okay? Erwähne das besser nicht vor dem Hauptkommissar.«

Sandy nickte und drückte den Türöffner. Kurz darauf stand der breite Fünfzigjährige vor der Wohnungstür. Er hielt eine Dose mit buntem Blumenmuster in der Hand, die so gar nicht zu seiner stämmigen Erscheinung passte.

»Ich wollte euch nicht mit leeren Händen überfallen«, erklärte er etwas verschämt, als er den verwunderten Blick seiner Gastgeber auf das Mitbringsel bemerkte. »Da Sandy ja keinen Alkohol trinkt, fällt die Flasche Wein flach, da hat Jette Brownies gebacken.«

Nick musste über Bens fürsorgliche Ehefrau schmunzeln.

»Du hättest sie gerne mitbringen können!« Sandy nahm Jacke und Keksdose entgegen.

Der Hauptkommissar winkte ab. »Sie möchte nie mit zu Dienstgesprächen. Ich denke, es ist ihre Art, meinen Beruf zu verdrängen. Aber ganz lieb grüßen soll ich euch beide.«

»Danke. Setzt euch erst einmal an den Tisch, das Abendessen ist auch fertig.«

 

~

 

»Das Essen war fantastisch«, lobte Ben, als der Topf komplett geleert war, und tätschelte die Erhebung seines Bauchs.

»Ich hoffe, es hat gereicht?«

»Danke, ich bin vollgefuttert und wirklich begeistert.«

»Wieso? Kocht Jette so schlecht?«, foppte Nick.

Ben lachte schallend. »Nein, ganz im Gegenteil. Leider zu gut für meine Figur. Aber ich hatte Zweifel, dass etwas rein Vegetarisches mir munden würde.«

»Das war sogar vegan«, erklärte Sandy. »Die Milchprodukte im Handel sind doch fast eh alle synthetisch, da kann man auch drauf verzichten.«

»Es ist einfach eine Gewohnheit, denke ich.«

»Ich bin froh, dass es geschmeckt hat. Der Backautomat und ich, wir sind noch in der Kennenlernphase.« Sie stand auf. »Lasst uns auf das Sofa umziehen, da ist es gemütlicher.«

Klaasen nickte und erhob sich ebenfalls.

»Auch ein Bier?«, fragte Nick.

»Nur alkoholfrei, wenn du hast. Ich bin mit dem Wagen da.«

»Der hat doch eine Selbstfahrfunktion, oder?«

»Schon, aber nur Level 4«, antwortete Ben und zuckte mit den Schultern. »Und da ist jeglicher Konsum von Drogen für den verantwortlichen Insassen verboten.«

Nick lachte. »Da spricht der Polizist.« Er öffnete den Kühlschrank und holte drei Flaschen heraus.

Kaum hatte Ben sich mit seinem jedes Jahr etwas massiger werdenden Körper auf das Sofa fallen lassen, kam er auch schon zur Sache.

Er holte einen Computerchip aus der Hosentasche und legte ihn vor Nick auf den Couchtisch. »Hier sind die Details. Es gab ein gezieltes Attentat und zwei Sprengstoffanschläge. Die Opfer waren neben wenigen Kollateralschäden alle hohe Tiere und stehen in Verbindung zu asiatischen Firmen. Der CEO von CityPlanning ist von einem Scharfschützen auf offener Straße abgeknallt worden. Er hinterlässt eine Frau und vier Kinder.«

Beim letzten Satz verzog Nick das Gesicht. »Die Anschläge hatten sicher keinen terroristischen Hintergrund? CityPlanning ist doch eine der asiatischen Firmen, die Gewächshäuser in den Städten baut, zur lokalen Versorgung mit Lebensmitteln. Sie stehen in großer Konkurrenz zu GreenEurope, einer österreichischen Firma, die ähnliche Anlagen entwirft«, überlegte er. »Ich weiß, dass Kristof damals verschiedene Terrorzellen gegen die Asiaten aufgehetzt hatte, weil er regionale Firmen bevorzugte und unterstützen wollte. Vielleicht lief sich das heiß in den letzten Jahren?«

Ben winkte ab. »Alle drei Aktionen standen in einem Zusammenhang. Wenn man Vorgehensweise und die benutzten Materialien betrachtet, sehr wahrscheinlich von Auftragskillern ausgeführt. Die sind immer besonders schwer ausfindig zu machen, da sie in der Regel nichts mit den Opfern zu tun haben. Terroristen hätten sich längst zu den Sprengungen bekannt, die brauchen Aufmerksamkeit. Außerdem waren die Bomben zu gezielt gesetzt. Kein abgestellter Koffer oder Sprengstoffgürtel. Nein, die Sprengladungen wurden in den Gebäuden angebracht und erst über einen Fernzünder aktiviert, als die Zielperson sich näherte. So explizit arbeiten Terrorattentäter für gewöhnlich nicht, deren Ziel ist es ja, möglichst viele Menschen zu treffen.«

»Ihr seid absolut sicher, dass Kristof hinter dem Mord und den Anschlägen steckt?«

Ben nickte. »Der Verdacht liegt mehr als Nahe. Alle drei Opfer sind vor ihrem Tod auf Deutsch bedroht oder erpresst worden. Die Mails konnte man zu einem Server in Russland zurückverfolgen. Auch die Untersuchungen der Sprengsatzreste deuten darauf hin. Die Spur ging erneut zu russischen Herstellern. Außerdem passten die Ermordeten in Korps Beuteschema. Du glaubst doch wohl selbst nicht, dass er in Rente gegangen ist und all seine Pläne abgeschrieben hat?«

»Nein, sicher nicht. Aber er würde subtiler vorgehen, oder?«

»Offensichtlich ist das kaum!« Bens Stimme klang deutlich empört. »Die Forensiker und Informatiker des Sicherheitsdienstes mussten tief graben, um die Spuren zu finden. Er hatte versucht, alles zu verwischen. Wir haben bisher auch keine klaren Beweise, nur Vermutungen. Daher brauchen wir dich.«

Nick drehte die kühle Bierflasche in seinen Händen. Die Kondenstropfen, die über das silberne Papier rannen, weckten in ihm ein dejá vù. Er erinnerte sich an den Abend, als er mit den Street Ravens ihren erfolgreichen Anschlag gefeiert hatte.

Markos Bild drängte sich ihm auf, doch er schüttelte es schnell wieder ab.

Er stellte die Flasche auf den Couchtisch, wischte sich die Hände an den Oberschenkeln ab und atmete tief durch. »Gut. Was soll ich tun?«

Ben holte ein Pad aus seiner Aktentasche. »Ich habe alle Daten mitgebracht, die unsere Spezialisten über die Sprengsätze und die Kommunikation zusammengetragen haben. Wir hoffen, dass du etwas mehr herausfinden kannst. Du kennst Korps Verschlüsselungen.«

»Die hat er doch längst geändert, so doof ist der nicht.«

»Dennoch, du weißt, auf welche Weise er Daten sichert. Auch rechnet er vielleicht nicht damit, dass du uns hilfst. Die Chinesen haben im Übrigen ihre vollste Zusammenarbeit zugesichert. Sie wollen ebenfalls weitere Anschläge vermeiden.«

»Was, wenn gerade die es sind, die Kris das alles in die Schuhe schieben?«, fragte Sandy zaghaft. Nick musterte seine Freundin, die ungewöhnlich nervös wirkte.

Ben schüttelte ungläubig den Kopf. »Meinst du, der chinesische Geheimdienst ist so skrupellos, eigene Firmen derart zu enthaupten, nur um eine einzelne Person zu bekommen? Das klingt absurd.«

»Nicht der Geheimdienst, die Mafia womöglich. Vielleicht auch, um die eigene Regierung gegen Kris zu hetzen.« Sie zögerte. »Sie könnten zum Schein alles über Russland laufen lassen.«

»Nichts für ungut, aber das kann ich nicht glauben. So wichtig ist der flügelgestutzte Rabe nicht mehr.«

Sandy schwieg. Nick ergriff ihre Hand.

»Überlege doch, warum dann so kompliziert?«, fragte er. »Die würden ihn einfach so um die Ecke bringen.«

»Vielleicht kommen sie nicht an ihn heran in Russland.«

Nick betrachtete seine Freundin mit gerunzelter Stirn. »Kristof hatte der Mafia damals einen entscheidenden Schlag versetzt«, überlegte er laut. »Das ist zwar lange her, doch in der folgenden Zeit hatte er eine mächtige Bande hinter sich. Nun ist er allein.«

»Lasst euch nicht veräppeln von Korp«, warnte Ben mit erhobenem Zeigefinger. »Ihr wisst selbst, wie er sein kann. Natürlich dürfen wir die Möglichkeit einer Irreführung nicht außer Acht lassen. Aber aktuell ist Korp unser Hauptverdächtiger.« Er trank sein Bier aus und stand auf. »Ich werde zurück nach Hause fahren. Es ist alles auf dem Stick.«

Die beiden Gastgeber erhoben sich ebenfalls.

»Grüß Jette ganz lieb und Toni, wenn du ihn triffst«, sagte Sandy.

»Das werde ich. Er fragt eh immer nach euch. Danke für den netten Abend.« Der Hauptkommissar umarmte Sandy kurz und gab Nick die Hand. Der nickte nur mit besorgter Miene. Ben tätschelte ihm aufbauend auf die Schulter, nahm dann seine Jacke und ging.

Nick sah ihm mit einem flauen Gefühl im Magen nach, Sandy stand schweigend neben ihm. Zu schwer hing die dunkle Wolke über ihnen, beladen mit verdrängten Erinnerungen, die drohten, in einem heftigen Gewitter auf sie niederzuprasseln.

3.

 

Sandy wachte mitten in der Nacht auf und tastete nach Nick. Seine Seite war leer und kalt. Blinzelnd warf sie einen Blick auf das Display der Smartwatch auf dem Nachttisch. Es zeigte bereits 2 Uhr morgens; Nick musste in vier Stunden los zur Arbeit. Benommen stand sie auf und folgte dem schwachen Lichtschein bis ins Wohnzimmer.

Ihr Freund saß hochkonzentriert vor dem Computer und hämmerte wild auf der Tastatur. Seine kastanienbraunen Haare standen zerzaust in alle Richtungen ab, das Gesicht strahlte geisterhaft im fahlen Licht des Bildschirms. Sie trat langsam auf ihn zu und legte sanft ihre Hände um seinen Nacken. Er ließ es stumm geschehen, hob einen Arm, um ihr zärtlich über ihre Finger zu streicheln, ohne sich aber umzudrehen.

»Du bist noch wach?«, bemerkte er leise.

»Wieder.«

Sandy legte den Kopf auf Nicks Schulter ab. Gerade im benebelten Zustand der Müdigkeit genoss sie die Nähe und Zweisamkeit.

»Hast du etwas herausgefunden?«, fragte sie. Ihm Vorwürfe zu machen, wäre sinnlos.

---ENDE DER LESEPROBE---