Die Schmerzfalle - Dr. med. Gerhard Opitz - E-Book
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Die Schmerzfalle E-Book

Dr. med. Gerhard Opitz

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Beschreibung

Wer mit Schmerzen zum Arzt geht, gerät schnell in eine Odyssee aus Untersuchungen und Apparatemedizin. Pillen und Spritzen sollen Beschwerden lindern, OPs retten, was noch zu retten ist. Selten verschwinden Schmerzen dadurch dauerhaft, stattdessen werden sie chronisch. Und schon sitzt man als Patientin in der Falle. Grund dafür ist ein Missverständnis: Die üblichen Diagnoseverfahren können zwar spezifische Erkrankungen wie Tumore und Entzündungen oder auch Viren erkennen. Sobald sich Beschwerden aber nicht per Befund erklären lassen, müssen verschlissene Knochen und Gelenke oder das fortgeschrittene Alter als Ersatzdiagnosen herhalten. Dabei haben es viele Schmerzleidende mit Funktionsstörungen ihrer Muskeln und Faszien zu tun. Und dagegen helfen ärztliches Zuhören, das Erfühlen der Schmerzpunkte und Bewegung meist besser als moderne Gerätemedizin. Der Orthopäde Gerhard Opitz, einer der führenden Schmerztherapeuten Deutschlands, ruft zu einem Umdenken auf – auch und gerade bei den Patienten. Denn nur wer weiß, woher die Schmerzen kommen und was wirklich gegen sie hilft, findet auch einen Weg aus der Schmerzfalle! "Dieses Buch möchte Ihnen die wahre Geschichte vom Schmerz erzählen und Sie über Ursachen, Hintergründe und Zusammenhänge des Schmerzerlebens aufklären."

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Impressum

© eBook: 2022 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2022 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

Gräfe und Unzer Edition ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, www.gu.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Projektleitung: Miriam Popp

Lektorat: Sylvie Hinderberger

Covergestaltung: ki36 Editorial Design, München, Bettina Stickel

eBook-Herstellung: Viktoriia Kaznovetska

ISBN 978-3-8338-8406-1

1. Auflage 2022

Bildnachweis

Illustrationen: Claudia Lieb

Syndication: www.seasons.agency

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Die Informationen in diesem Buch stellen die Erfahrungen und die Meinung des Autors dar. Sie wurden von ihm nach bestem Wissen erstellt und mit größtmöglicher Sorgfalt geprüft. Sie bieten jedoch keinen Ersatz für persönlichen kompetenten medizinischen Rat. Weder der Autor noch der Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen.

Prolog

Man sagt, die Zeit heilt alle Wunden. Wunden, die der Schmerz uns schlägt, heilen allerdings mit der Zeit nicht alle – ganz im Gegenteil. Viele Beschwerden nehmen auf Dauer sogar zu und scheinen immer weniger auf die Therapie anzusprechen. Das ist ein Grund, warum wir allein in Deutschland weit über zehn Millionen chronisch Schmerzkranke zählen.

Der Wirtschaftsstatistiker Walter Krämer schrieb 2015 in der Publikationsreihe »Gesundheitswesen aktuell« der BARMER: »Je mehr die Medizin sich anstrengt, desto kränker werden wir, die moderne Medizin sitzt in der großen Fortschrittsfalle fest.«

Das vorliegende Buch befasst sich mit den Hintergründen, die zu dieser Entwicklung geführt haben. Und es erzählt Ihnen die Geschichte vom Schmerz, von unserem Schmerz, einmal ganz anders. Es handelt davon, dass wir weniger von den Dingen selbst bewegt werden als vielmehr von den Vorstellungen, die wir von ihnen haben. Mit diesen Vorstellungen hängen auch ganz bestimmte Gefühle zusammen. Denn »Ideen […] sind Ketten, denen man sich nicht entreißt, ohne sein Herz zu zerreißen«, wie Karl Marx schon 1842 festgestellt hat.1

Emotionsgeladene Überzeugungen und Wünsche sind unsere Fixsterne, und sie bestimmen die uns nicht bewussten körperlichen Abläufe. Sie steuern uns wider Willen. Alles spielt sich im Kopf ab.

Die Neurobiologen verkünden, der Körper ist der Schwingungsboden unserer Emotionalität. All unsere Tätigkeiten, Wahrnehmungen und körperlichen Prozesse bis hin zur Verdauung sind verbunden mit Gefühlen, die das Gehirn erreichen und integriert werden. Sogar die Liebe geht durch den Magen und von dort zurück zu unseren emotionalen Zentren. Auch unser so kühl kalkulierender Verstand kommt nicht um die Emotion herum. Bei jedem Wissenserwerb speichern wir die damit verbundenen Emotionen ab. Auf entsprechenden Meisterschaften machen sich Gedächtnisathleten diesen Umstand zunutze. Diese Gesetzmäßigkeiten haben ebenso bei vielen Schmerzformen ihre Gültigkeit, allen voran der Volkskrankheit Nummer eins, den Rückenschmerzen.

Womöglich teilen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, ja die landläufige Anschauung, dass immer etwas Materielles, Stoffliches für unsere Schmerzen verantwortlich sein muss. Mag sein, dass unser »gesunder Menschenverstand« in diese Richtung tendiert. Aber so einfach ist die Sache nicht, ganz im Gegenteil.

Mechanische Gesetze haben nur für eine Minderheit von Schmerzen Gültigkeit, und sie verlieren zunehmend an Bedeutung, je länger die Schmerzen bereits bestehen. Sie wollen einen Beleg, ein Beispiel für den Zusammenhang zwischen Körper und Geist? Stress, Depressionen und Angststörungen haben Einfluss auf unseren Knochenstoffwechsel, sie reduzieren die Knochenfestigkeit, die sogenannte Knochendichte, wie Wissenschaftler des Shenzhen Institute of Advanced Technology (SIAT) feststellten.2 An Mäusen ließ sich ein Zusammenhang zwischen Stress und Knochendichte nachweisen, wie eine Studie unter der Leitung der Potsdamer Sport- und Gesundheitssoziologin Prof. Pia-Maria Wippert nachweisen konnte.3

Unser Körper folgt offenbar vorgegebenen Programmen, von denen wir nicht allzu sehr abweichen sollten. Sonst ändert sich unser »Haltbarkeitsdatum«.

Dieses Buch möchte Ihnen die wahre Geschichte vom Schmerz erzählen, und Sie über Ursachen, Hintergründe und Zusammenhänge des Schmerzerlebens aufklären. Was jedoch mindestens ebenso wichtig für Sie ist: Sie sollten wissen, warum die Ärzte und Therapeuten, die Sie behandeln, so reagieren und handeln, wie sie es tun. Das zu erkennen ist sehr wichtig. Es gibt Ihnen nämlich die Möglichkeit, darüber zu reden, Informationen einzuholen und Einvernehmen herzustellen. Und damit halten Sie einen Schatz in den Händen: Sie bleiben nicht ein passiver, lediglich behandelter Patient, sondern Sie emanzipieren sich zu einem handelnden, mündigen Akteur.

Man könnte sagen, Sie haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich eine eigene Meinung zu bilden – über Ihr Problem, aber gleichzeitig auch über das Therapieangebot. Sie wollen nicht einfach nur zum »Reparaturservice« gebracht werden, sondern mitentscheiden. Zu diesem Zweck brauchen Sie zunächst Wissen über die körperlichen Zusammenhänge, das Wesen des Schmerzes, bevor es um einen besseren Umgang mit ihm gehen kann. Lassen Sie uns also den Schmerz genauer kennenlernen …

Der Schmerz, vor allem der chronische Schmerz, ist nicht nur eine rein medizinische Herausforderung. Die Erkenntnisse der Schmerzforschung vermitteln uns in mancher Hinsicht ein neues Bild von uns. Ein sehr nützliches Bild, das Sie berücksichtigen sollten, wenn es gilt, angesichts Ihrer eigenen Schmerzen eine wichtige Entscheidung zu treffen.

Ich hoffe sehr, dass Sie nach der Lektüre dieses Buches besser auf die Herausforderungen des Schmerzes reagieren können. Und dann wird hoffentlich die Zeit auch bei Ihnen tatsächlich alle Schmerzwunden heilen.

Das Hintergrundwissen

Schmerzen scheinen manchmal aus dem Nichts zu entstehen und die klassische Medizin ist schnell dazu verleitet, sie auf den Verschleiß beziehungsweise das Alter zurückzuführen. In vielen Fällen versperrt das den Blick auf die eigentlichen Ursachen. Dabei wäre gerade ein genaues Hinschauen wichtig, um einen Weg aus der Schmerzfalle zu finden.

Die wahre Geschichte vom Schmerz

Wie Schmerzen entstehen und warum gängige Therapien so oft scheitern

Bitte stellen Sie sich einmal vor, wie Sie eines Morgens in Ihren hart erarbeiteten Sportwagen einsteigen, ins Büro fahren und dort Ihr brandneues Laptop aufklappen. Sie haben bei schönem Wetter die offene Autofahrt genossen und jetzt erfreuen Sie sich am Design und den technischen Möglichkeiten des neuen Computers. Welche Vorstellungen und Assoziationen gehen Ihnen beim Gedanken an diese beiden Prachtstücke durch den Kopf? Doch wohl die von einer Maschine oder einer komplexen Software mit äußerst hilfreichen Eigenschaften. Sie würden sich ein attraktives und schnelles, haltbares, umweltschonendes und natürlich immer funktionstüchtiges Auto wünschen. Auch der Computer sollte schnell und vielleicht sogar selbstlernend sein und vor allem gut geschützt gegen schädigende Programme. Diese wichtigen Unterstützer des Alltags müssten also gut gesichert, einfach zu bedienen und pflegeleicht sein. Und unvermeidbare Defekte sollten ohne großen (finanziellen) Aufwand zu beheben sein.

Warum ich Ihnen das erzähle? Weil Sie selbst in gewisser Weise genauso wie das Auto oder der Computer sind. Auch Sie sind eine Investition, in der viel Aufwand steckt, die gewartet und geschützt werden und immer funktionieren muss. Auch Sie sollen schnell lernen, intensiv arbeiten und Belastungen aushalten, vor allem, weil Sie ein ganz besonders komplexes »Produkt« sind mit hoffentlich möglichst wenig Kontakt zu Schadstoffen. Falls jedoch eine Optimierung, ein Upgrade unvermeidlich ist, dann sollte dieses frei von unerwünschten Komplikationen, sprich Nebenwirkungen, sein.

Wenn wir bei diesem Gleichnis bleiben: Wollen Sie als motorisierte Rostlaube enden oder als lahmer, malwarebelasteter PC vor der Zeit ausgemustert werden? Wohl kaum. Sicher möchten Sie in einer vorderen Liga spielen, schnell, fit und attraktiv sein. Daher würde es durchaus Sinn machen, wenn Sie sich selbst genauso gut und pflegsam behandeln wie Ihr Auto oder Ihren Computer. Und dazu sollten Sie keinen Strategien von gestern folgen. Denn im Gegensatz zu Autos und Computer, auch wenn beide gerade als bildhaftes Beispiel herangezogen wurden, sind wir Menschen keine Maschine, die nur eines mechanischen Reparaturbetriebs bedarf. Geben Sie sich nicht damit zufrieden, wenn man Sie als irreparabel verschlissen bezeichnet und damit abwertet – ohne Aussicht auf echte und nachhaltige Besserung oder Heilung.

Auch wenn Sie vermutlich schon unzählige Arztbesuche hinter sich haben: Sie sind ein lern- und anpassungsfähiges Wesen, das meistens auch ohne Operationen und Medikamente bestehen kann. Ihre Selbstheilungsfähigkeiten sind viel größer, als Sie denken. Also lassen Sie sich nicht schlechter reden, als Sie sind.

Wie es meistens anfängt

Wenn Sie sich etwas Gutes tun und etwas Schönes erwerben wollen, werden Sie sich über Ihre Möglichkeiten und die vorliegenden Angebote informieren. Ganz ähnlich sollten Sie vorgehen, wenn Sie etwas loswerden wollen, in diesem Fall ein Gesundheitsproblem. Nehmen wir an, etwas an Ihrem Körper stört Sie: Normalerweise spüren Sie Ihren Körper vermutlich kaum, er funktioniert einfach brav vor sich hin und Sie erwarten eigentlich auch nichts anderes von ihm und erweisen sich daher zumeist wenig dankbar dafür. So ist es zumindest bei den meisten Menschen. Eines Morgens aber wachen Sie nun auf und finden, dass Ihr Hals sich anders anfühlt als sonst. Sie können sich zum Beispiel nur eingeschränkt bewegen oder bemerken störende Empfindungen, beispielsweise Schmerzen, Schwäche- oder Taubheitsgefühle. Nach dem ersten Schreck fassen Sie wieder Mut und hoffen auf die in der Vergangenheit schon oftmals bewiesene heilende Wirkung einer warmen Dusche. Leider müssen Sie sich im Tagesverlauf jedoch eingestehen, diesbezüglich wohl zu optimistisch gedacht zu haben, denn die Steifheit, der Schmerz wollen nicht aufhören. Also greifen Sie energisch zu einer Schmerztablette. Möglicherweise erlaubt Ihnen das Medikament tatsächlich einen annehmbaren Arbeitsalltag und verführt so verständlicherweise zu wiederholter Einnahme in den Folgetagen. Nach einiger Zeit kommen Ihnen Bedenken beim Anblick des Beipackzettels, in dem akribisch zahlreiche Nebenwirkungen aufgeführt sind. Gleichzeitig spüren Sie im Bauch etwas Unangenehmes und bringen es in Zusammenhang mit der Tabletteneinnahme.

Der Volksmund weiß um die tröstliche Erkenntnis, dass Beschwerden, die von alleine kommen, auch wieder von alleine weggehen. Und tatsächlich verschwinden die beschriebenen Beschwerden manchmal wieder. Manchmal für immer, manchmal aber auch nur, um nach kurzer oder längerer Zeit in umso unangenehmerer Form wiederaufzutauchen.

Wenn Schmerzen nicht von alleine verschwinden

Wenn der Schmerz nicht aufhören mag, wird es Zeit für härtere Maßnahmen. In Ihrer Familie weiß keiner mehr Rat und im Büro fällt zunehmend Ihre verkrampfte Kopfhaltung auf. Auch die Pferdesalbe der Nachbarin verfehlte ihre Wirkung. Der Gang zum Arzt ist unausweichlich. Dort wird Ihnen bewusst, dass sich die Schmerzen und Gefühlsstörungen mittlerweile bis zur Schulter und in den Arm ausbreiten. Sie durchzuckt die Erkenntnis, dass aufgrund eines Bandscheibenvorfalls der Nerv eingeklemmt sein könnte, und folgen dem Rat, sich einem Kernspintomogramm, auch MRT oder »die Röhre« genannt, zu unterziehen. Der Befund des Radiologen stellt, nicht ganz unerwartet, die vergängliche Natur Ihrer Bandscheiben heraus und beschreibt mehr oder weniger umfangreiche Verschleißerscheinungen an der Halswirbelsäule. Diese scheinen durchaus imstande zu sein, Nerven einzuengen und wesentlich an Ihrem Beschwerdebild teilzuhaben. Damit wirft der Befund die wichtige Frage auf, welche Bedeutung der sichtbare oder sichtbar gemachte Alterungsprozess für unsere Beschwerden hat.

Das Ergebnis der kernspintomografischen Untersuchung hat Ihnen den Tag verdorben, wenngleich Sie sich eingestehen, dass es auch schlimmer hätte kommen können. So genau allerdings wollten Sie es eigentlich nicht wissen. Sie erhofften sich einfach nur Gewissheit über die Natur Ihres Leidens zu erhalten und wollten nicht von diesen unschönen Veränderungen der Wirbelsäule demoralisiert werden. Egal, jetzt muss eine wirksame Therapie her.

Bei den folgenden Besprechungen mit dem Arzt Ihres Vertrauens erinnern Sie sich, dass sich der Rücken in jüngerer Vergangenheit schon öfter unrühmlich bemerkbar gemacht hat. Unten im Kreuz klemmt es immer mal wieder, insbesondere morgens oder nach längeren Meetings. Auch die Schlaftiefe leidet darunter und ausgerechnet jetzt scheinen diese Übel Verstärkung bekommen zu haben. Ihre nervliche Belastbarkeit testet nunmehr neue Tiefpunkte, wobei der Stress der vergangenen Monate oder Jahre hierzu bereits ausreichend wirksame Vorarbeit geleistet hat.

Gängige Therapieversuche

Wir denken aber mal weiter: Die ärztliche Analyse geht von einer Entzündung der Nerven infolge deren Einengung durch sogenannte degenerative Veränderungen der Wirbelsäule aus und stellt die Diagnose eines Halswirbelsäulen- oder kurz HWS-Syndroms – so bezeichnet die Medizin Nackenschmerzen und schmerzhafte Symptome im Bereich der Schultern, Arme und Halswirbelsäule, unabhängig von ihren Ursachen.

Sie setzen daraufhin Ihre Hoffnungen auf die verschriebenen entzündungshemmenden Medikamente mit Unterstützung durch krankengymnastische Übungen. Doch während die Physiotherapie in der Regel erst einmal eine wohltuende Wirkung entfaltet und Sie den Einfluss aufs Bewegungssystem, auf die Muskeln, Sehnen und das Bindegewebe spüren, lässt die medikamentöse Behandlung nicht selten zu wünschen übrig. Sie gibt eher Anlass zu höheren Dosen beziehungsweise stärkeren Mitteln (die sogenannten Hämmer), wobei oft und gerne zu meist kortisonhaltigen Spritzen gegriffen wird.

In dieser kritischen Phase entscheidet sich der Verlauf Ihres Schmerzproblems. Sofern die körperlichen und nervlichen Belastungen auf ausreichende Resilienz treffen, Sie also hinreichend Widerstandskraft besitzen, kann das Ganze eine glückliche oder zumindest befriedigende Wendung nehmen – vorerst wenigstens. Andernfalls jedoch wird man Ihnen zusätzliche und stärkere Medikamente sowie weitere Krankengymnastik verschreiben und Spritzen verabreichen. Mittlerweile sind in der Regel viele Wochen oder sogar Monate vergangen, in denen unzureichend wirksame Behandlungsversuche unternommen wurden. Das hinterlässt Spuren – bei jedem Menschen. Gleichzeitig lässt die anhaltend erfolglose Therapie in Ihnen womöglich den Wunsch nach einer schlagkräftigeren Behandlung wach werden und Sie denken immer öfter über die Operation nach, von der die Ärzte gesprochen haben. Doch so viel schon mal vorweg: Selbst wer sich zu diesem Schritt entscheidet, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit später leidvoll feststellen, dass auch das nicht die ersehnte Rettung war. Denn wirklich erfolgreich sind Wirbelsäulenoperationen nach längeren Schmerzepisoden in den seltensten Fällen.

Wie steht es um Ihre Disposition?

Es gibt viele derartige Schmerzverläufe, aber auch zahlreiche ganz andere. Man muss nüchtern feststellen, dass identische Anlässe oder Ursachen in der Regel zu individuell sehr unterschiedlichen Reaktionen führen können – von heftigsten Problemen bis hin zu weitgehender Symptomfreiheit. Ähnliches kann man beispielsweise auch bei Infektionskrankheiten immer wieder beobachten. Aber woran liegt das? Warum reagieren wir alle so unterschiedlich auf das alltägliche Reizgeschehen, dem wir nun mal ausgeliefert sind?

Ein klärendes Schlüsselwort ist hier die körperliche und geistige Disposition oder, wie Goethe sie nannte: »geprägte Form, die lebend sich entwickelt« (das deutsche Wort »Veranlagung« gibt den Sachverhalt nicht genauso gut wieder). Gemeint ist in unserem Kontext die Empfänglichkeit eines jeden Menschen für ein ganzes Paket aus Faktoren wie Stressoren, Schädigungen, Krankheiten oder eben Schmerzen. Gerade Stress ist hierbei ein ewiges und großes Thema, das private, familiäre, berufliche, aber auch die ganz individuellen, manchmal kaum nachzuvollziehenden Dramen umfasst. Und wir alle reagieren ganz unterschiedlich darauf – auf einer sehr persönlichen körperlichen, aber auch auf einer seelischen Ebene.

Menschen, die bereits seit vielen Jahren unter starken Schmerzen wie beispielsweise einer Migräne leiden, haben oftmals einen veränderten Bezug zu Schmerzreizen, auch an anderen Körperstellen und zu unangenehmen Reizen überhaupt. Sie beantworten diese Stressoren aus ihrer langjährigen Bedrohungserfahrung heraus, als die sie ihre Migräne wahrgenommen haben. Ihr Nervensystem reagiert daher nicht selten mit einer ausgeprägten emotionalen Komponente. Das bewusste Schmerzerleben ist in diesem Fall das Ergebnis des körperlichen Schmerzreizes – beispielsweise einer Fußverletzung – und der zugrunde liegenden emotionalen Prägung infolge langjähriger Schmerzhistorie. Aber das ist noch nicht die ganze Wahrheit, denn abhängig vom familiären Umfeld und dem jeweiligen Erbgut können diese Erfahrungen uns stark machen oder wir scheitern an ihnen.

Das Leben und unser Umfeld verlangen von jedem von uns permanent Reaktionen auf die verschiedensten Innenreize (beispielsweise Gefühle) und Außenreize (etwa eine Fußverletzung). Jeder versucht, darauf mit seinen Fähigkeiten zu antworten, muss aber auch seine Belastungen einkalkulieren. Die Summe all dieser Einschränkungen ist veranschaulicht in dem berühmten Bild von dem Päckchen, das jeder mit sich herumträgt.

Die Disposition ist damit Resultat vererbter Anlagen und erworbener Einflussgrößen. Unsere Eltern verewigen sich darin ebenso wie die Art, wie wir willentlich mit Verletzungen jedweder Art umgehen – ob wir sie zum Beispiel einfach »wegstecken« oder eher klagen. Geballte Lebensenergien können sich im Ergebnis gegenseitig positiv ausbalancieren oder auch über einen Multiplikatoreffekt negativ verstärken.

Die in unserem Buch des Lebens eingetragenen positiven und negativen Faktoren haben Auswirkungen auf den ganzen Körper und spiegeln sich auch in unserem Nervensystem wider. Und natürlich reflektiert auch unser Schmerzerleben die Auswirkungen nervlicher Erregungszustände. Schmerz ist eben kein objektiv messbarer Sinneseindruck, sondern unterliegt hochindividuellen Schwankungen hinsichtlich Intensität und Qualität.

Schmerz kann ganz unterschiedlich wahrgenommen werden. Er wird mal als dumpf oder spitz, mal als quälend oder angsterregend beschrieben – und das in den unterschiedlichsten Schattierungen. Gleichzeitig variiert die Empfindlichkeit und Empfänglichkeit unserer Sinne nicht nur gegenüber Schmerzreizen ganz erheblich, sondern auch gegenüber Geräuschen, Lichteinfall oder Gerüchen. Und dass das so bleibt, dafür sorgt eben unsere Disposition.

Jetzt lassen Sie aber bitte nicht den Kopf hängen, weil Sie sich in das Korsett dieser blöden Disposition eingepfercht fühlen. Die Disposition kann uns nämlich durchaus auch in Bewegung setzen und in der Spur halten. Die Kunst ist, bewusst und clever mit den eigenen Stärken und Schwächen umzugehen. Nicht nur im beruflichen oder privaten Alltag, sondern auch bei der Bewältigung medizinischer Herausforderungen. Dann können Sie in die Offensive gehen, weil Sie wissen, was Ihnen normalerweise guttut. Ein gewisses Maß an Bewusstheit über die eigenen Stärken, aber auch Schwächen zahlt sich im Leben eben immer aus.

Nun aber zurück zu Ihren zunehmenden Schmerzen und einer Situation starker emotionaler Anspannung im Angesicht einer möglicherweise bevorstehenden Operation mit ungewissem Ausgang. Sie müssen diese Entscheidung in einem denkbar ungünstigen Moment treffen – zermürbt von einer Reihe unbefriedigender Therapieversuche mittels Spritzen und Medikamenten, nervös und dünnhäutig durch anhaltende Beschwerden und voller Angst vor der Zukunft. Angst vor Schmerzen ohne Ende mit all ihren Auswirkungen auf das Privat- und Berufsleben.

Über eins sollten Sie sich unter den geschilderten Umständen im Klaren sein: Jetzt darf nichts mehr schiefgehen! Weitere Rückschläge wären äußerst schwer zu verdauen und hätten fatale Auswirkungen auf das gesamte Schmerzgeschehen.

Schon seit geraumer Zeit mussten Sie vermutlich feststellen, dass Ihr belasteter Gefühlshaushalt negative Auswirkungen auf Ihr Schmerzniveau hat. Tatsächlich ist wissenschaftlich der Zusammenhang zwischen Emotionen und Schmerzerleben gesichert.4 Das bedeutet im Klartext: Je schlechter es Ihnen in körperlicher oder seelischer Hinsicht geht, desto unangenehmer fühlt sich Ihr Schmerz an. Damit ist nichts ausgesagt über das objektive Niveau der Beschwerden, was aber letztlich auch nicht entscheidend ist. Entscheidend ist vielmehr, was Sie jetzt fühlen – und das sind starke Schmerzen.

Wie es überhaupt so weit kommen konnte

Lassen wir doch in diesem Moment noch einmal den Behandlungsverlauf Revue passieren und fragen wir uns, wie Sie überhaupt in Ihre missliche Lage geraten sind: Sie befinden sich in einer angespannten Lebensphase mit gelegentlichen Rückenbeschwerden und sind eines Morgens mit Problemen an der Halswirbelsäule aufgewacht. Eigentlich keine besonders dramatische Situation, möchte man meinen, so etwas passiert alle Tage. Dementsprechend schätzten auch Sie das Ganze als weniger schwerwiegend ein und behandelten sich selbst nicht ganz konsequent. Wahrscheinlich hätten es die meisten Menschen ähnlich gemacht, man rennt nicht immer gleich zum Arzt und darüber hinaus ist man ja auch ganz gut mit seinem Alltag beschäftigt.

Natürlich ist man im Nachhinein immer schlauer und kann aus dieser Position auf mehr Achtsamkeit für die eigenen Beschwerden hinweisen. Mir ist allerdings durchaus bewusst, dass ein stetes In-sich-Hineinhorchen das Problem auch nicht unbedingt löst. Wir sind zwar von alters her darauf angewiesen, dass wir trotz Beschwerden körperliche und geistige Arbeit verrichten können. Aber lassen Sie es mich ganz offen so formulieren: Ich kann Ihnen an dieser Stelle einfach keine oberlehrerhafte Blaupause liefern. Wenn Sie einen wirklich guten Kontakt zu Ihrem Körper haben, wird er Sie schon informieren. Doch diesen guten Kontakt müssen Sie sich erst einmal erarbeiten. Und dazu müssen Sie Verschiedenes ausprobieren und die körpereigene Reaktion darauf kritisch wahrnehmen. Im Laufe der Zeit kommen Sie sich auf diese Weise selbst ziemlich nahe.

In diesem Sinne wäre spätestens, als das verordnete Medikament keine nachhaltige Wirkung zeigte, der Zeitpunkt für eine rechtzeitige, abwägende Bestandsaufnahme gekommen. Üblicherweise setzt der behandelnde Arzt zu Beginn der Schmerzen entzündungshemmende Medikamente ein. Nicht zuletzt angeregt durch die Bildgebung in Form von Röntgenaufnahmen, Computer- oder Kernspintomogrammen schließt er später von den diagnostizierten Verschleißerscheinungen auf ein entzündliches Geschehen. Scheinbar folgerichtig kommen dann oft die berühmten »Ibus« (Ibuprofen) zum Einsatz.

Unglücklicherweise – oder besser gesagt in Wahrheit – sind die meisten Beschwerden am Bewegungssystem aber nicht Folge von Entzündungen, sondern Probleme im Bereich der Muskeln und Faszien. Ich werde darauf noch eingehend zu sprechen kommen. So viel kann ich aber jetzt schon verraten: Die Wahl eines ungeeigneten Medikamentes ist der Anfang vieler Behandlungsprobleme.

Dieses Problem wäre eine lässliche Sünde, wenn aufseiten der behandelnden Ärzte der Fehler schnell erkannt und behoben würde. In der Regel erhöht man jedoch erst einmal die Dosis, verschreibt zusätzliche Medikamente zum Magenschutz – und wartet weiter ab. Die Zeit verrinnt und das Übel nimmt nicht nur weiterhin seinen Lauf, sondern weitet sich sogar noch aus. Das heißt, der Schmerzbereich wird umfangreicher und bezieht die Peripherie, also Arme und Beine, mit ein – wie in unserem Beispiel. Der Patient leidet immer mehr und wird von Furcht einflößenden Vorstellungen gepeinigt. Das Leiden scheint unaufhaltsam und nicht nur in schlaflosen Momenten erhebt sich mächtig die Frage, ob das noch gut ausgehen kann. Das fühlt sich an wie eine Falle. Ich nenne es: die Schmerzfalle.

Was will uns diese im medizinischen Alltag häufig anzutreffende Geschichte sagen? Es ist wichtig, beim Einsatz wirkungsvoller Medikamente keine Zeit zu verlieren. Sollte sich jedoch dieses oder jenes Arzneimittel als wenig wirkungsvoll erweisen, ist das ein Alarmzeichen, das nicht nur Ihr behandelnder Arzt, sondern auch Sie als Patient registrieren und ernst nehmen sollten. Gemeinsam muss unverzüglich über alternative, effizientere Behandlungsformen nachgedacht werden. Denn es ist sehr wichtig, die Wirkung der Therapie kurzfristig kritisch zu überprüfen.

Vielleicht fragen Sie sich gerade, warum ich so aufs Tempo drücke. Der Grund ist wieder unser Nervensystem. Es neigt dazu, sich zu verändern und anzupassen. Anpassungsfähigkeit ist ein zentrales Merkmal nicht nur erfolgreicher Überlebenskünstler, sondern so ziemlich aller Lebewesen und Organismen. Daher ziehen auch unsere Systeme ihre Schlussfolgerungen aus anhaltend ungünstigen Situationen. Zunächst versuchen die Nerven, den Schmerz zu verdrängen, was den meisten Menschen entgegenkommen dürfte. Wir neigen schließlich selbst häufig zur Verdrängung unliebsamer Tatbestände.

Unsere Nervensysteme sind hier aber nicht auf mentale Tricks angewiesen. Sie besitzen spezifische, auf der körperlichen Ebene ansetzende wirkungsvolle Mechanismen zur Schmerzhemmung, die bei entsprechenden Beschwerden regelmäßig zum Einsatz kommen.

Was passiert, wenn die Schmerzen bleiben

Weil anhaltend schmerzhafte Reize unser Nervensystem überfordern, reagiert es irgendwann mit einem Strategiewechsel: Die Schmerzen werden chronisch. Der Organismus gibt sein oberstes Ziel, die eigenen Schmerzen zu blockieren, also auf und sucht nach anderen Wegen, um mit den störenden Schmerzreizen fertigzuwerden.

Wir hatten bereits davon gesprochen, dass sich die Beschwerden im Laufe des Geschehens in die Peripherie, also in die Extremitäten, ausdehnen können. Der Körper greift darüber hinaus aber noch zu weiteren Maßnahmen, indem er die Schmerzen großzügig über eine größere Fläche verteilt und damit gleichzeitig das Schmerzempfinden verändert. Alles mit dem eigentlich lobenswerten Ziel, die Schmerzen zu lindern.

Sie sehen: Ihr Körper bemüht sich nach Leibeskräften und so gut er kann. Und Sie könnten ihn dabei eigentlich unterstützen – schnell und wirkungsvoll.

Die Bedeutsamkeit dieser Erkenntnis ergibt sich aus dem Chronifizierungsprozess, in dessen Verlauf sich die Ansprechbarkeit der Nerven mehr und mehr verändert, was sie wiederum immer weniger beeinflussbar werden lässt. Ihre Nerven schotten sich sozusagen zunehmend von äußeren Einflüssen ab, wodurch sie sich quasi selbst blockieren und in eine Art Regulationsstarre verfallen. Oder anders ausgedrückt: Sie spielen einfach nicht mehr mit, sondern machen ihr eigenes Ding.

Menschlich verständlich, möchte man meinen, aber werden Sie dadurch auch schneller gesund? Leider nein, ganz im Gegenteil, denn das Ganze bedeutet nichts Gutes für die weiteren therapeutischen Bemühungen. Dabei stellen komplett unwirksame oder wenig wirksame Behandlungen ein erhebliches Risiko dar, das unbedingt vermieden werden muss. Denn angesichts anhaltend erfolgloser Behandlungen wendet sich der überreizte Organismus gegen diese untauglichen Versuche und es droht die sogenannte Therapieresistenz. Sie ist das traurige Ende des Chronifizierungsprozesses. Im Klartext bedeutet das: Der Körper wird resistent gegenüber jedweder therapeutischen Maßnahme, weil er sich dem Therapieerfolg verweigert, auch wenn Sie den mehr als alles andere herbeisehnen. Dabei können Sie selbst überhaupt nichts dafür. Also bitte, machen Sie sich keine Vorwürfe. Trotzdem ist es sehr schwer, aus diesem Teufelskreis wieder auszubrechen.

Wann beginnt die Chronifizierung?

Es wäre nun an der Zeit, eine wichtige Frage zu stellen: Wann geht es denn los mit dieser üblen Chronifizierung, wie viel Zeit haben wir überhaupt angesichts des Damoklesschwertes über unseren Schmerzhäuptern? Die Antwort hierauf ist nicht einfach, wie so oft bei komplexen Problemen, die von einer Reihe eigenmächtiger, also autonom agierender Akteure des Körpers hervorgerufen werden. Sie erinnern sich an das Faktorenpaket, das ich Ihnen bei Einführung des Begriffs der Disposition erörtert haben (siehe ab >). Je nach Ausstattung mit vererbten und erworbenen Merkmalen verfügt jeder Mensch über mehr oder weniger Widerstandskraft. Die emotionale Belastbarkeit spielt dabei eine entscheidende Rolle. Wenn Sie also bereits in der Vergangenheit über längere Zeiträume, also viele Monate oder einige Jahre, Schmerzen oder sehr unangenehmen anderen Reizen, wie zum Beispiel starken emotionalen Belastungen, ausgesetzt waren, dann reichen ein anderes Mal möglicherweise schon vier bis sechs Wochen aus, um den Chronifizierungsprozess einzuleiten. In anderen Fällen dauert es länger, aber nach drei bis spätestens sechs Monaten hat sich auch dann das Verhaltensmuster von Chronifizierung und Therapieresistenz weitgehend etabliert. Der Schmerz hat seinen Stammplatz – und Sie wundern sich, dass sich Ihre Selbstheilungskräfte nicht so durchsetzen wie früher, als vergleichbare Beschwerden nach ein paar Tagen einfach wieder abgeklungen sind.

Tatsächlich haben viele derartige Verläufe Vorgeschichten, die uns oftmals nicht mehr präsent sind. Wahrscheinlich traten die Probleme in der Vergangenheit in etwas abgewandelter Form auf und fühlten sich anders an. Sie haben sie damals vermutlich gar nicht ernst genommen – aus sicherlich verständlichen Gründen, vielleicht aber auch aus Leichtsinn. Natürlich ist die Differenzierung zwischen harmlosen oder eher bedenklichen Krankheitssymptomen nicht immer ganz einfach. Aber in aller Regel müssen Sie irgendwann die Entscheidung treffen, wann der Zeitpunkt gekommen ist, an dem Sie die Geduld mit Ihrem Körper verlieren und ärztlichen Beistand anfordern. Es wäre ein guter Plan, diesen Zeitpunkt eher zu früh als zu spät zu wählen. Oder lassen Sie es mich so sagen: Es ist höchste Zeit für einen Arztbesuch, wenn die Beschwerden eher zu- als abnehmen, wenn sie sich über einen größeren Bereich ausdehnen und wenn sie Ihnen ohne Unterbrechung, also permanent, auf die Nerven gehen und die Integrität Ihres Nervenkostüms gefährden.

Die Diagnose – Odyssee oder Lösung?

Warum der erste Schritt zur Schmerzbewältigung ist, den wahren Ursprung der Beschwerden zu erkennen

Wie hätten Sie nun aber den geschilderten ungünstigen Behandlungsverlauf verhindern können? Welche therapeutischen Ansätze wären besser, nachhaltiger wirksam gewesen?

Die Antwort liegt im eigentlichen Ursprung vieler Beschwerden: bei den Muskeln und ihrem Bindegewebe, den Faszien, und den Nerven. Im Gegensatz zu den eher statischen Strukturen des Bewegungsapparates, den Knochen und Gelenken, unterliegen sie einem ständigen Wandel und komplexen Anpassungsvorgängen. Entscheidend ist: Diese Anpassungsvorgänge vollziehen sich unwillkürlich, also autonom, jenseits unserer Möglichkeiten für bewusstes Erkennen oder Handeln. Sie verlaufen nicht beobachtbar, fernab der apparativen diagnostischen Fähigkeiten. Kein Arzt der Welt hat die technischen Möglichkeiten, diese körpereigenen Prozesse chemisch oder bildgebend darzustellen. Daher schlägt jetzt die Stunde der ärztlichen Erfahrung und Intuition, die sich jeder behandelnde Arzt auch in Zeiten einer hochtechnisierten Medizin erhalten muss.

Diejenigen Kolleginnen und Kollegen aber, deren Fähigkeiten sich ausschließlich auf ein gut gefülltes Gerätelager stützen, verlieren ihren Kompass. Diese Situation kann gefährlich sein, weil unbedachte Entscheidungen drohen.

Wir sprachen bereits über autonome Anpassungsvorgänge. Sie passieren unbewusst, quasi einfach nebenbei, und man könnte lange darüber nachdenken, warum sie überhaupt passieren. Eine recht schwierige Frage, daher konzentriere ich mich lieber darauf, wann und unter welchen Umständen dies passiert.

Der menschliche Körper erscheint anfällig für bestimmte Störungen, die die Funktionen der Muskeln, Nerven und Wirbelgelenke beeinträchtigen. Diese Beeinträchtigungen oder Blockierungen – es ist wirklich kaum möglich, einen aussagefähigeren Begriff dafür zu finden – vollziehen sich insbesondere im Einflussbereich der Wirbelsäule und des zentralen Nervensystems. Unter ungünstigen Umständen, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, kommt es zu einer zunehmenden Überreizung und Überempfindlichkeit der Gewebe. Die Reizschwelle der Nerven sinkt, und in Abhängigkeit von unserer Erregbarkeit erleben wir Schmerzen. Eine Faustregel lautet: Je niedriger die Reizschwelle, umso größer die Empfindlichkeit und die Beschwerden. Je stärker, je höher die Schwelle angehoben werden kann, umso belastbarer und unempfindlicher werden wir gegenüber (Schmerz-)Reizen. So ist es auch mit den Nerven. Die meisten von uns haben dieses Phänomen schon einmal erlebt, wenn sie dünnhäutig und »genervt« waren.

Schwellenveränderungen strapazieren also unsere Nerven mit dem Ergebnis, dass sie zunehmend empfindlicher werden. Auch auf diese spektakuläre und spannende körpereigene Dramaturgie und wie Sie sie zu Ihrem Vorteil beeinflussen können, werde ich noch ausführlich eingehen. Schon jetzt sei aber darauf verwiesen, dass der Schlüssel zu einer erfolgreichen Therapie unbedingt im Entstehungsbereich der Probleme gesucht werden muss. Es gibt klare Behandlungsoptionen für Funktionsstörungen der Muskel- und Nervensysteme. Daher kann das Abschießen medikamentöser Dartpfeile aus der Distanz nicht das ultimative Therapieziel sein. Stattdessen müssen Ärzte und Patienten dahin gehen, wo es wehtut, und dort, vor Ort also, den Kampf aufnehmen.

Auf unsichere Diagnose folgt unsichere Therapie

Was ist überhaupt eine Diagnose? »Ist doch klar«, werden Sie sagen, »mein Lendenwirbel-Syndrom beispielsweise ist eine solche Diagnose oder auch die Kreuzschmerzen, von denen mein Arzt in diesem Zusammenhang manchmal spricht.« Und auch wenn das zum Teil stimmt, ist es doch nicht die ganze Wahrheit.

Der Begriff »Diagnose« kommt aus dem Griechischen und bedeutet »Erkenntnis« oder »Beurteilung«. Als Patient wollen Sie also davon ausgehen, dass Sie durch die ärztliche Diagnose einen Erkenntnisgewinn haben. Wir Ärzte wiederum brauchen die diagnostische Erkenntnis insbesondere im Hinblick auf die Therapie. Vor die Therapie haben die Götter also die Diagnose gesetzt, wie schon wieder die alten Griechen wussten.

Wie aber sieht es in der modernen Realität aus? Im Praxisalltag konfrontieren Sie als Patient Ihren Arzt mit Beschwerden, deren Ursachen er in den meisten Fällen nicht zu kennen scheint. Daher stellt er Diagnosen, die den Eindruck vermeiden sollen, er wisse nicht, was zu tun ist. Das funktioniert offenbar.

Die Statistik vermittelt ein ganz anderes Bild: Laut einem Artikel im »Deutschen Ärzteblatt« von 1994 (Heft 43) klagen 90 Prozent der von Allgemeinärzten behandelten Patienten über Gesundheitsstörungen, die nur als Symptome oder Syndrome klassifiziert sind. 10 bis 20 Prozent der Störungen sind dagegen durch harte, wissenschaftlich begründete und überprüfte Diagnosen beschreibbar.

»Kreuzschmerzen« lautet jetzt also im oben genannten Beispiel die Diagnose – oder wie der Lateiner sagt »Lumbago«, was im Grunde das Gleiche bedeutet. Seien wir doch einfach mal frech und fragen uns, welchen Erkenntnisgewinn diese Bezeichnung bringt. Könnten Sie, könnte ich mich mithilfe dieser unspezifischen Diagnose eindeutig für eine Erfolg versprechende Therapie entscheiden?

Vielleicht ist es Ihnen schon aufgefallen, dass Kreuzschmerz-Patienten durchaus unterschiedliche Therapien erhalten. Vielleicht waren Sie ja selbst auch mal neugierig genug und haben nachgefragt, was sich hinter Ihrer Lumbago-Diagnose denn eigentlich so verbirgt. Eine Entzündung, ein Bandscheibenvorfall oder der berühmt-berüchtigte Verschleiß?

Sie können gar nicht bohrend genug nachfragen, insbesondere wenn Ihrem ärztlichen Gegenüber die Antwort offensichtlich nicht leichtfällt. Denn was die bildgebende Diagnostik als Diagnose ausspuckt, ist vielfach von allem etwas und deshalb von fraglicher Bedeutung für Ihr Problem. Womöglich zeigen Ihre Röntgenbilder und Kernspintomografien lediglich weitgehend altersgerechte Befunde. Nur leider wird das oft nicht mit der nötigen Klarheit kommuniziert. Zwar wurden dabei beeindruckende Bilder von Details gemacht, doch ist man damit der Problemlösung ein Jota nähergekommen?

Das bedeutet: Wenn aus Ihrer Diagnose nicht eine klare, spezifische und vor allem faktenbasierte Handlungsanweisung hervorgeht, wird diese Fragwürdigkeit auch negativen Einfluss auf die Therapie haben. Die Auswirkungen sind erheblich und nicht zuletzt deshalb finden derart viele unterschiedliche Therapien Anwendung. Ein Kreuzschmerz oder eine Lumbago sind nämlich keine richtigen Diagnosen im ursprünglichen Wortsinn. Es handelt sich hier lediglich um die Beschreibung des Schmerzortes, es wird also allenfalls eine grobe, ungenaue Problemlokalisation angeboten, aber nichts über die Ursache des Schmerzes ausgesagt. Genauso beschreibt ein Hals- oder Lendenwirbelsäulensyndrom in der Medizin nichts anderes als eine Kombination verschiedener, idealerweise gemeinsam auftretender Krankheitszeichen. Ein Lendenwirbelsäulen-Syndrom würde sich demnach aus verschiedenen Symptomen in besagtem Bereich zusammensetzen, beispielsweise aus einem Schmerz des unteren Rückens und aus Bewegungseinschränkungen und ausstrahlenden Schmerzen in Gesäß und Oberschenkel. Diese Erscheinungen münden dann in das Phänomen oder besser den Zustand Kreuzschmerzen.

Leider gibt es nicht wenige solcher nichtssagenden Diagnosen, die man besser Pseudodiagnosen nennen sollte.

Doch was könnte denn der Grund sein für den Gebrauch derart unscharfer Begrifflichkeiten? Warum drücken manche Ärzte sich gelegentlich so unklar aus? Wahrscheinlich geschieht es einfach aus dem verzweifelten Bemühen heraus, ihre Unkenntnis zu bemänteln. Sie werden es kaum glauben, aber auch wir Ärzte kennen in den überwiegenden Fällen nicht die Ursache der Lumbago, die übrigens noch einen weiteren Namen hat: Hexenschuss! Spätestens angesichts dieses peinlich vorwissenschaftlichen Begriffes kann von Erkenntnisgewinn keine Rede mehr sein. Stattdessen macht man noch Anleihen bei übernatürlichen Mächten.

Spezifisch oder unspezifisch?

Die Gralshüter einer ordentlichen Schulmedizin haben diesen Schönheitsfleck der Rückenschmerz-Nomenklatur natürlich erkannt und sauberere begriffliche Differenzierungen angemahnt. Man kam auf den Einfall, das Dilemma zu lösen, indem man zwischen spezifischen und nicht-spezifischen Kreuzschmerzen unterscheidet:

Spezifische Kreuzschmerzen können Folge von Tumorerkrankungen, Unfällen, Bandscheibenvorfällen, Wirbelbrüchen et cetera sein.Nicht-spezifisch sind demzufolge alle Kreuzschmerzen, für die keine klare Ursache gefunden werden kann. Und das sind weitaus die meisten.

Das Eingeständnis, dass für circa 90 Prozent aller chronischen Rückenschmerzen keine hinreichend erklärenden Befunde erhoben werden können, war natürlich eine Art von Bankrotterklärung, die auf Dauer nicht haltbar war. Da jeder Schmerz eine Ursache haben muss, konnte diese Vorstellung vom unspezifischen Kreuzschmerz nicht wirklich befriedigen und wurde später wieder relativiert.

Unspezifische Beschwerden werden in diesem Buch im weiteren Verlauf dennoch eine größere Rolle spielen. Sie sind schließlich der Hintergrund für das heutige Diagnosedilemma und eine Achillesferse der Medizin, aber dazu später mehr.

Nebenbei bemerkt: Der Begriff »Kreuzschmerz« spielt übrigens auch eine Rolle im kassenärztlichen Vergütungssystem. Die traditionelle Akupunktur wird bei Rückenschmerzen ausschließlich unter der Diagnose Kreuzschmerzen bezahlt. Ein weites Feld, unter das man viel subsumieren kann.

Die Statistiken weisen aus, dass jeder zweite Patient einer orthopädischen Praxis unter Rückenschmerzen leidet.5 Und wenn man bedenkt, dass bis zu 85 Prozent der deutschen Bevölkerung mindestens einmal in ihrem Leben unter Kreuzschmerzen leidet,6 stellt sich die Frage, um was für eine Art von Krankheit es sich dabei eigentlich handelt. Tatsächlich haben auch jüngere Menschen, sogar junge Spitzensportler derartige Probleme. Eine Studie an schmerzlosen Kandidaten im Alter von 18 bis 22 Jahren für die US Air Force zeigte bei weit über zwei Drittel der Untersuchten »pathologische« Befunde im MRT, die keinerlei klinische Bedeutung hatten.7

Vielleicht müssen wir unsere Vorstellungen von derartigen Beschwerdebildern ganz grundsätzlich auf den Prüfstand stellen. Die traditionelle chinesische Medizin (TCM) beispielsweise hat zum Verständnis chronischer Schmerzsyndrome einen äußerst ernst zu nehmenden Beitrag geleistet, auf den ich an anderer Stelle noch näher eingehen werde. Genauso soll auch dieses Buch etwas Hilfe zur besseren Schmerzbewältigung leisten. Schließlich leiden erstaunlich viele, eigentlich viel zu viele Menschen unter Schmerzen im Rückenbereich und an allen möglichen anderen Stellen des Bewegungsapparates.

Funktionsstörungen: nicht in Stein gemeißelt!

Aber was löst denn dann die Kreuzschmerzen aus, wenn es meistens eben nicht Bandscheibenvorfälle, Entzündungen oder Verschleißerscheinungen sind? Lassen Sie es mich so sagen: Wir leiden in aller Regel unter Funktionsstörungen unserer Muskeln und Faszien.