Die Schnackerlbahn Bande: 3. Band - Klaudia Lehner - E-Book

Die Schnackerlbahn Bande: 3. Band E-Book

Klaudia Lehner

0,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Ausgezeichnet mit dem Oö. Landespreis 2024 für Umwelt und Nachhaltigkeit:

Es ist Mitte Oktober, längst hat der Schulalltag die sieben Kinder der S-Bande und der Falken fest im Griff. Ihr Bandenleben ist fast zum Erliegen gekommen. Aktion muss her!
Die gewieften 10- bis 13-Jährigen beschließen, als Umweltsheriffs Müllsünder zu jagen. Dabei bedienen sie sich abenteuerlicher Methoden. Ohne es zu ahnen, heften sie sich an die Fersen eines gefährlichen Verbrechers.
Der spannungsgeladene Kinderkrimi spielt im oberösterreichischen Aschach an der Steyr, in Sierning, in der Stadt Steyr und im weltbekannten Christkindl.

Ein spannungsgeladenes Abenteuerbuch für Groß und Klein!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Die Umweltsheriffs

Der Schneestangenverschlag

Der Umweltpakt

Der grobe Hans

Am Pranger

Die Wildkamera

Nächtliche Feuerpfeile

Am Kirchenplatz

In der Falle

Die Befreiung

Die Belohnung

Über die Autorin

Über die Illustratorin

Impressum

Klaudia Lehner · Die Schnackerlbahnbande

Klaudia Lehner

Die Schnackerlbahn- bande

Umweltsheriffs in Aktion

ENNSTHALER VERLAG STEYR

ISBN 9798340426215

Klaudia Lehner · Die Schnackerlbahnbande: Umweltsheriffs in Aktion

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2024 by Klaudia Lehner Aschach an der Steyr, Austria

Satz und Umschlaggestaltung: Ronald Gabeck Umschlagbild und Illustrationen: Mag. art. Edith Platzl Druck und Bindung: -

Inhaltsverzeichnis

Die Umweltsheriffs 9

Der Schneestangenverschlag 26

Der Umweltpakt 42

Der grobe Hans 61

Am Pranger 81

Die Wildkamera 101

Nächtliche Feuerpfeile 117

Am Kirchenplatz 138

In der Falle 152

Die Befreiung 170

Die Belohnung 178

Über die Autorin 188

Über die Illustratorin 189

Gewidmet meiner lieben Nichte Sophie Geliebt. Für immer in unseren Herzen!

Die Umweltsheriffs

Es ist Mitte Oktober, längst hat der Schulalltag die Kinder der S-Bande wieder fest im Griff. Unter der Woche gibt es kein Bandenleben am Sonnenhang. Selbst die Falken sit- zen jeden Nachmittag brav über ihren Büchern, schrei- ben ihre Hausaufgaben, büffeln für einen anstehenden Test oder eine Schularbeit.

Ab Freitagmittag und am Wochenende dürfen sich die Kinder treffen. Meist verabreden sie sich beim Falken- horst. Schließlich verfügen die Jungs über einen kleinen, selbst gebastelten Miniofen, der den Jägerhochstand in wenigen Minuten erwärmt.

Im Falkenhorst ist es zu siebt zwar furchtbar eng, fast zu eng, doch die angenehm warmen Tage werden immer rarer und so rutschen die Kinder gern etwas zusammen. Außerdem steht das Quartier der S-Bande, ein alter Gü- terwaggon der Steyrtalbahn, weit weg vom Aschacher Ortszentrum und bei Temperaturen um die 15 Grad Celsi- us weht den Kindern jedes Mal ein frischer Wind um die Ohren, wenn sie auf dem Weg zum Geheimquartier auf ihren Rädern sitzen und kräftig in die Pedale treten.

Heute ist Samstag und die Schwestern Anna und So- phie liegen um acht Uhr morgens noch verträumt in ih- ren Betten. »Anna, Sophie, steht auf! Frühstück ist fer- tig!«, ruft die Mutter aus der Küche im Parterre nach

oben. Augenblicklich munter hüpft die zwölfjährige So- phie aus dem kuscheligen Bett. Ihr Magen knurrt und sie freut sich auf einen reichhaltig gedeckten Frühstücks- tisch. Auf dem Weg ins Badezimmer kommt sie bei Annas Zimmer vorbei. Obwohl die Schlafzimmertür nur ange- lehnt ist, dringt aus dem Inneren kein einziger Mucks, Anna schlummert noch immer wie ein Murmeltier. Die Kleine träumt besonders in den Morgenstunden die schönsten, realsten Träume, diese will sie auskosten.

Eben ist sie auf einer Südseeinsel. Sie sitzt am weißen Strand und schaut über das blaue Meer. Ihr blondes Haar glänzt im Sonnenschein. Immer wieder fährt sie mit ihren gespreizten Fingern durch den warmen Sand. Plötzlich spürt sie das Wasser, wie es durch ihre Finger gleitet. Es ist ziemlich kalt, viel zu kalt für den sonnigen Tag am Strand.

»So eisig«, flüstert das Mädchen fast unhörbar leise.

Plötzlich schreckt Anna in ihrem Bett hoch und reißt die rechte Hand in die Höhe. Sie ist bis zum Pyjamaärmel pitschnass. Erst jetzt bemerkt sie ihre Schwester Sophie neben sich. Diese stellt kichernd blitzschnell eine mit eis- kaltem Wasser gefüllte Plastikschüssel auf den Schlaf- zimmerteppich.

»Ha, ha«, lacht Sophie lautstark los, »jetzt bist du mun- ter!«

»Spinnst du völlig? Was machst du in meinem Zim- mer?«, schreit Anna und registriert schön langsam, was passiert ist. Ihre ältere Schwester hat ihr einen furchtbar

gemeinen, hinterlistigen Streich gespielt. Während sie im Träumeland weilte, schlich sich Sophie mit der Wasch- schüssel ins Zimmer und hielt Annas rechte Hand ins eis- kalte Wasser.

»Du hast ganz schön lange gebraucht, um aufzuwa- chen«, meint Sophie verschmitzt, »wahrscheinlich hast du eben von Sebastian geträumt.« Das war nun wirklich zu viel an Bosheit für Anna so früh am Morgen.

In den letzten Wochen hat sich das Mädchen oft von Paulina und Sophie so manche Gemeinheit gefallen las- sen müssen. Leider hat sie den beiden in einem schwa- chen Moment anvertraut, dass sie den technikbegeister- ten Jungen aus der Falkenbande derzeit am liebsten mochte.

Sofort reißt die Kleine ihre Tuchent beiseite und schwingt ihre dünnen Beinchen aus dem Bett. Gerade noch rechtzeitig entkommt Sophie ihrer fuchsteufelswil- den Schwester mit einem Hechtsprung aus dem Kinder- zimmer. Leider hat Anna komplett die Schüssel überse- hen. Mit ihrem rechten Fuß steigt sie direkt hinein, das Wasser schwappt auf den Teppich.

»Das wirst du mir büßen!«, schreit sie außer sich vor Wut und blickt hinunter auf die nasse Sauerei. Aus der Küche dringen dumpfe, mahnende Worte der Mutter nach oben.

Nach einer halben Stunde sitzt die Familie vereint rund um den Küchentisch. Vater, Mutter und die Töchter

genießen den Samstagsbrunch. Noch immer sichtlich sauer greift Anna nach dem Orangensaft. Sophie hilft so- gleich der Schwester und schiebt ihr den randvollen Glas- krug etwas näher. Mit ihrer netten Geste möchte sie die Versöhnung einleiten. Anna füllt ihr Saftglas bis zum Rand.

»Wenn ihr möchtet, könnt ihr dann mit zu Oma und Opa fahren, sie sind heute am Vormittag in der Au in Pichlern. Euer Großvater schneidet ein paar Käferbäume um. Ihr könnt Oma beim Holzschlichten im Wald helfen. Sie freut sich bestimmt, wenn ihr beide mit anpackt. Ich werde mich dann auf den Weg nach Sierning begeben, ich muss ein paar Besorgungen machen. Zu Mittag hole ich euch wieder ab«, meint die Mutter. Da sie beide eben den Mund voll haben, stimmen die Mädchen nickend dem Vorschlag zu. Ihnen gefällt es in Opas Wald sehr. Schon so manches Abenteuer haben die Kinder dort in der Pichler- ner Au in den vergangenen Jahren in der Nähe des glas- klaren Steyrflusses erlebt.

Nach dem Brunch geht es endlich los. Mit der Mutter einkaufen wären sie bestimmt nicht gefahren. Jedes Mal dauert es eine halbe Ewigkeit, bis sie alle Einkäufe erle- digt hat. Dabei rennt sie in einem Höllentempo durch die Gänge der Geschäfte, sodass Anna und Sophie kaum hin- terherkommen. Wie ein geölter Blitz saust die Mutter von einem Regal zum nächsten und greift in Windeseile nach dem Notwendigen, als wäre jemand hinter ihr her. Außer

sie trifft eine alte Bekannte, dann quatscht sie so lange, dass ihren Töchtern die Ohren surren. Paulina, die ein Einzelkind ist, darf sich bei jedem Einkauf etwas um zehn Euro aussuchen, die Schwestern natürlich nicht. Schließlich muss die Familie jetzt schon für das bestimmt in Zukunft teure Studium der Töchter sparen, und somit ist Holzarbeit die bessere Alternative für die Mädels.

Kurz nach dem Kraftwerk biegt die Mutter links in die Sackgasse zum Haus der Großeltern ab. Vor dem Ausstei- gen mahnt sie die beiden: »Seid folgsam und bleibt weit genug weg, wenn Opa die Motorsäge startet!« »Ja, Mama«, geben die Kinder im Chor von sich und hüpfen bei der Autotür hinaus. Niemals würden sich die Schwestern einer laufenden Säge nähern, denn beim Geräusch der Holzverarbeitungsmaschine haben sie sofort Opas Schauergeschichte im Kopf. Er hat ihnen mehrmals er- zählt, dass sich einst sein Waldnachbar selbst mit dem Gerät einen tiefen Schnitt in den Hals zugefügt hatte und daran fast qualvoll verblutet wäre.

Zu Fuß machen sie sich auf den Weg in die Au. Nach ei- nem kurzen Anstieg tauchen sie in den Mischwald ein. Kaum zu glauben, dass sie nun auf der ehemaligen Haupt- straße nach Grünburg unterwegs sind. Von zahlreichen Baumkronen gedämpft hört man den Verkehrslärm von der Bundesstraße herunter. Lastwagen donnern vorüber und Motorräder heulen auf, weil sie auf der langen Gera- den über ihnen Vollgas geben. Die geschotterte Straße ist

ziemlich schlecht beisammen. Anna und Sophie reichen sich die Hände und springen über tiefe, große Wasser- pfützen. Das ist ein Spaß!

»Pass auf!«, ruft Sophie und reißt heftig an Annas Hand. Die Kleine hätte den weiten Satz über eine besonders große Wasserlache fast nicht geschafft. Gut gelaunt dringen sie immer weiter in den Wald ein. Da dem Groß- vati mehrere kleinere Waldabschnitte gehören, wissen die Schwestern nicht, wo er gerade mit Oma arbeitet. Bis jetzt hören sie keine Motorsäge.

»Sieh einmal, Anna«, ruft Sophie, »hier hängen im al- ten Befestigungsgeländer der Straße immer noch die Zinnlametta aus dem Zweiten Weltkrieg!«

Obwohl Anna keine Ahnung hat, wovon Sophie spricht, kommt das Mädchen interessiert näher. Anna besucht erst die vierte Klasse Volksschule in Aschach, und vom Zweiten Weltkrieg hat sie bis jetzt im Sachunterricht noch nichts gelernt. Sophie besucht mittlerweile die zweite Klasse Gymnasium in Steyr und hat seit zwei Jahren Geschichte. Ihr alter Professor redet am liebsten über die Weltkriege, als wäre er höchstpersönlich dabei gewesen, obwohl sie laut Lehrplan erst über Erfindungen und Entdeckungen der Neuzeit lernen sollten. Ein paar ge- wiefte Jungs aus Sophies Klasse nutzen das berechnend aus, sie fragen in den Geschichtestunden interessiert De- tails zu den Weltkriegen nach. Sie wissen natürlich, dass der Professor sofort vom eigentlichen Thema abdriftet

und ausführlich auf die Fragen eingeht. Ausschweifend beantwortet der Professor jede Frage, und so kommt es, dass nach vier Schulwochen das Geschichteheft noch im- mer fast leer ist, aber die Klasse schon viel über die Welt- kriege weiß.

»Was ist das?«, fragt die Kleine neugierig und streift mit ihren Fingern die grauen Metallstreifen, die wirr im verrosteten Geländer hängen.

»Weißt du, die Engländer haben damals während des Krieges das Radar erfunden, damit haben sie feindliche Flugzeuge orten können. Die Deutschen sind auch nicht dumm gewesen und haben zum Schutz Täuschkörper in Form dieser Metalllametta abgeworfen, damit waren die Flugzeuge auf den Radarschirmen nur schwer zu erken- nen. Du musst dir vorstellen, die hängen hier seit über achtzig Jahren herum«, erklärt Sophie gekonnt.

Anna lauscht aufmerksam und hat eine tolle Idee, die sie sogleich erzählen muss: »Weißt du was, Sophie? Die Falken würden uns die Metallstreifen bestimmt teuer ab- kaufen, Lukas ist ja völlig verrückt nach dem Kriegs- kram. Auch sein Vater sammelt alles Alte und teilweise auch Verbotene am Dachboden des Bauernhofs. Er hat laut Luks stolzen Erzählungen sogar Teile eines amerika- nischen Flugzeugs zu Hause, das in den 1940er-Jahren im Lettenwald abgestürzt ist. Opa hat uns davon schon ein- mal erzählt.«

»Stimmt. Komm, lass uns ein paar Streifen einsam- meln«, meint Sophie. Da das alte Eisengeländer halb um- gefallen ist, verlassen die Kinder die Schotterstraße und klettern über den Zaun. Wenige Schritte dahinter fällt das Gelände steil ab. Überall liegt feuchtes Laub und die Schwestern müssen aufpassen, dass sie nicht auf nassen Ästchen ausrutschen und in die Tiefe stürzen.

Ganz vertieft in ihre Tätigkeit bemerken die Mädchen erst spät, dass sich ein schwarzes Auto nähert. Selten verirrt sich ein Wagen auf die alte, einspurige, von Schlaglöchern übersäte Schotterstraße. Meistens fahren nur die Waldbesitzer hier entlang.

Langsam manövriert der schwarze Kombi im Schritt- tempo und Zickzackkurs an den Mädchen vorüber. Die Stoßdämpfer des Pkw haben ordentlich zu arbeiten. Re- flexartig ducken sich die Schwestern etwas nieder und legen sich der Länge nach auf den weichen Waldboden. Sophie ist für ihr Alter schon recht groß, ihre Füße bau- meln über dem Abgrund. Um besseren Halt zu haben, klammert sie sich mit aller Kraft mit beiden Händen an das alte Eisengeländer. Dabei verdrängt sie die unzähli- gen Waldbodenkrabbler, die sich ganz bestimmt unter und neben ihr tummeln. Sie hasst diese Viecher!

Keinen Mucks geben die zwei von sich und beobachten das folgende Geschehen. Plötzlich bleibt der Wagen ste- hen und nach wenigen Sekunden fliegt die Fahrertür ruckartig auf. Ein komplett dunkel gekleideter Mann

steigt aus und geht schnurstracks zum Kofferraum. Ge- bannt starren Sophie und Anna hinüber zum Wagen. Ma- ximal zwanzig Meter trennen sie von dem Unbekannten. Unheimlich ist ihnen zumute. Der schlaksige Kerl trägt tief ins Gesicht gezogen eine schwarze Kappe, die sein Antlitz unkenntlich macht. Anna kann dennoch wahr- nehmen, dass der Mann einen Ohrring in Ankerform sein Eigen nennt. Außerdem trägt er eine auffällige Tätowierung am Kopf, ein Gecko schlängelt sich den Hals hinauf. Angewidert starrt die Kleine zum Fremden hinüber, Schuppenkriechtiere sind nicht gerade ihre Lieblingsku- scheltierchen.

Nacheinander lädt der etwa einen Meter neunzig gro- ße Mann riesige schwarze Müllsäcke aus und stellt sie gleich neben die Straße auf den Waldboden. Zu neugierig schiebt Anna ihren Kopf über das Befestigungsgeländer, sie möchte das Autokennzeichen erkennen. Sanft zieht Sophie ihre kleine Schwester wieder hinunter, sie will nicht erkannt werden. Viel zu verdächtig ist ihr der Mann.

Jedes Kind weiß, dass man keine Müllsäcke im Wald abladen darf. Nicht auszudenken, was dieser Umweltver- schmutzer mit ihnen tun würde, wenn er sie entdeckt. Angstschauer laufen Sophie über den Rücken, und vor lauter Schauen vergisst das Mädchen zu blinzeln. Kalten Schweiß treibt es ihr aus den Poren. Das bange Warten kommt der Großen wie eine Ewigkeit vor.

Auch Annas Puls schnellt immer mehr in die Höhe, zig Fragen jagen ihr durch den Kopf:

»Was ist in den Säcken? Sieht so ein Verbrecher aus? Beseitigt er gar Leichenteile im Wald?« Beide Mädchen lesen in der Freizeit am liebsten Krimis und deshalb kommen ihnen die wildesten Fantasien in den Sinn.

Gespannt blicken sie hinüber zum Wagen. Nun lädt der Mann vorsichtig den letzten Müllsack aus dem Auto. Un- ter sichtlicher Anstrengung hebt er den größten Sack aus dem Kofferraum und postiert ihn gleich neben dem Auto bei den anderen drei Säcken.

Dann geht es schnell. Er geht vor zur Fahrertür, steigt ein und fährt im Schritttempo wieder über die unzähli- gen Schlaglöcher davon. Als das Motorengeräusch nicht mehr zu hören ist, krabbeln die Schwestern, erleichtert, nicht entdeckt worden zu sein, aus ihrem Versteck.

»Puh, wir haben Glück gehabt!«, seufzt Sophie. Sie be- trachtet ihre Hände, ihre vorderen Fingerglieder sind ganz weiß vom festen Anklammern.

»Iiih!«, stößt sie plötzlich aus und hüpft wie ein wild gewordener Pavian auf dem Waldboden herum. Dabei fährt sie sich immer wieder hastig unter das T-Shirt. Ge- wiss waren ihr ein paar Krabbler etwas zu nahe gekom- men, die muss sie nun schleunigst wieder loswerden.

»Bist du fertig? Stell dir vor, ich habe einen Teil des Au- tokennzeichens erkennen können. Auf jeden Fall ist da

133 XY gestanden. Leider habe ich die vorderen Buchsta- ben nicht erkennen können«, gibt Anna von sich.

»Dann fehlen uns bloß die Buchstaben für den Bezirk, SE oder SR zum Beispiel. Wir müssen uns eine Eselsbrü- cke ausdenken, damit wir uns die Ziffern und Buchsta- ben merken«, meint Sophie und denkt sogleich nach.

Doch ihre kleine Schwester kommt ihr zuvor. »133 ist einfach zu merken, das ist die Nummer der Polizei. Für XY fällt mir auch gleich etwas ein. Warte kurz … ist das vielleicht unheimlich. Natürlich merken wir uns die Buchstaben! Sophie, du kennst doch die Fernsehsendung

›Aktenzeichen XY‹, die wir uns von Papa aus nie ansehen dürfen. Hier werden reale Kriminalfälle nachgespielt und die Bevölkerung wird um Mithilfe gebeten. Wirklich sehr merkwürdig alles! Dieses Kennzeichen vergessen wir be- stimmt nicht mehr.«

Plötzlich hören die Mädchen in der Ferne das Geräusch einer Motorsäge. »Opa und Oma! Sie arbeiten unten am Steyrufer!«, ruft Sophie freudig. Sie möchte nur weg von hier. Sogleich greift sie nach Annas Jacke und will ihre Schwester mit sich fortziehen.

»Warte kurz. Ich möchte nachsehen, was in den Sä- cken ist«, sagt die Kleine forsch. »Lass das, komm weiter! Das ist viel zu gefährlich«, meint Sophie ängstlich.

Widerwillig gibt Anna klein bei und folgt der Älteren nach. Natürlich möchte sie später an den Ort des Gesche- hens zurückkehren und die schwarzen Säcke ungestört

genauer unter die Lupe nehmen. Vielleicht kommt Max mit, der ist mutiger als ihre Schwester.

Nach circa fünf Minuten Fußmarsch können sie Omi auf einer kleinen Waldlichtung erkennen. Sie ist damit beschäftigt, Äste auf einen Haufen zu stapeln. Seit ihrer Knieoperation im letzten Sommer merkt man Großmut- ter an, dass sie bei starker Belastung Probleme mit ihrem linken Fuß hat. Mühevoll zieht sie die Äste hinter sich her, ihr Gesicht wirkt nicht gerade fröhlich dabei. Leider ist sie auch schon etwas schwerhörig. Obwohl ihr die En- kelinnen schreiend entgegenlaufen, bemerkt sie diese erst im letzten Moment. Sofort blickt sie erfreut auf.

»Was macht ihr denn hier, Sophie und Anna?«, fragt sie verwundert. Schnell erklären ihr die Mädels den Grund ihres Waldbesuchs.

»Wo ist denn Opa?«, will Anna wissen. Sie hört nun keine Motorsäge mehr, sondern ein dumpfes Klopfge- räusch. Großvater entastet den eben gefällten Baum mit einer Axt. Da fällt Anna sofort die Geschichte mit ihrer Mama ein. Sie kichert vor sich hin.

»Was gibt es da zu lachen, wenn sich euer Opa so pla- gen muss?«, wird sie von der Großmutter getadelt. »Ach, nichts, Oma, ich habe nur daran denken müssen, wie un- geschickt sich unsere Mama bei der Holzarbeit als Ju- gendliche angestellt hat. Sie hat sich doch beim Entasten im Aschacher Wald, der nun unseren Eltern gehört, ein- mal mit der Hacke selbst auf den Kopf geschlagen.«

Jetzt muss auch die Oma grinsen und meint: »Gut, dass damals nicht mehr passiert ist. Eure Mutter kann dafür andere Dinge sehr gut. Wisst ihr, Kinder, euer Opa hat eine dürre Esche auf der Böschung hinunter zur Steyr ge- fällt. Wir haben ein richtiges Eschensterben in Öster- reich, es ist ein Jammer. Ein Baum nach dem anderen stirbt ab. Wartet hier bei mir, Opa wird gleich herauf- kommen. Dann machen wir eine kurze Pause und er er- klärt euch, wie ihr uns helfen könnt.«

Fleißig packen die Schwestern bei der Waldarbeit mit an. Unzählige Male stapfen sie die steile Böschung hinauf, unter den beiden Armen haben Anna und Sophie jedes Mal Äste eingeklemmt, die sie hinter sich herziehen. Mühlselig gestaltet sich die Holzarbeit, da sich die zu zie- henden Äste immer wieder an Bäumen und Stauden ver- hängen.

Stetig wächst der Holzhaufen auf der Ebene an. Opa möchte die gesammelten Äste später zu Hackschnitzel verarbeiten lassen. Immerhin verschlingen die Tischlerei von Onkel Franz und Opas Wohnhaus daneben 120 Ku- bikmeter Heizmaterial jedes Jahr.

Gegen Mittag kehren die Mädchen ziemlich geschafft mit ihren Großeltern aus dem Wald zurück. Natürlich ha- ben sie ihnen das Erlebnis mit dem unbekannten Um- weltverschmutzer verschwiegen. Opa würde sich sonst tagelang furchtbar über den Mann aufregen und Oma würde den Mädchen zum x-ten Mal die Geschichte mit

den abgerupften Schneerosen erzählen. Jedes Frühjahr bleiben Leute mit ihren Autos in der Au entlang der Bun- desstraße stehen und reißen büschelweise Schneerosen und Veilchen in Opas Wald ab. Anscheinend verkaufen diese Menschen die unter Naturschutz stehenden Blu- men auf den Märkten in Steyr und Linz. Unzählige Male hat Großvater die Unholde schon zur Rede gestellt, doch vergeblich, jedes Jahr wiederholt sich in der Au dasselbe Szenario und strapaziert die Nerven der Großeltern.

Pünktlich um zwölf Uhr holt die Mutter Anna und So- phie beim Haus der Großeltern im Sierninger Ortsteil Pichlern ab. Müde und hungrig von der Waldarbeit freu- en sie sich aufs Mittagessen. Ihr lieber Großvater steckt den Mädchen vor der Abfahrt noch etwas Geld als Dank zu.

Gleich nach dem Essen nimmt Anna Kontakt mit Max auf. In einer kurzen Whatsapp-Nachricht teilt sie ihm mit, dass sie ihn beim Waggon am alten Bahnhof treffen möchte. Ihre Schwester verabredet sich am Nachmittag mit Paulina, sie wollen gemeinsam Mathe lernen.

Die Kleine kann nicht wissen, dass Max in den vergan- genen Wochen ziemlich viel Zeit mit den Jungs der Falken verbrachte. Lukas, Sebastian und Tobias haben sich heu- te nach dem Mittagessen mit Max zum Fußballspielen beim Löberbauern getroffen. Auf der Wiese hinter dem Falkenhorst steht ein Fußballtor. Früher gehörte Max zu den Falken und hing täglich mit den Burschen ab und

spielte den Mädels böse Streiche. Erst nach seinem Raus- wurf aus der Bubenclique vor rund einem Jahr wechselte er zur S-Bande.

Leider reagiert Max auf die Mitteilung nicht. Der Junge steht im Tor und wehrt Weitschüsse vom Anführer Luk ab. In einer Trinkpause sieht der klein gewachsene Max dann doch einmal auf sein Handy. Mittlerweile sind drei Mitteilungen von Anna eingegangen. In der letzten steht knapp: »15 Uhr Treffpunkt Geheimquartier. Codename: Umweltsheriffs! Anna.«

Max blickt auf seine Uhr, es ist bereits Viertel vor drei.

»Jungs, habt ihr Lust, mit zum Waggon zu fahren? An- scheinend werden wir als Umweltsheriffs gebraucht. Anna hat mir eine geheimnisvolle Mitteilung geschickt.«

Max denkt sich nichts dabei, die Burschen aus der Ge- genbande mit zum Treffpunkt zu nehmen. Schließlich ha- ben sie sich in den letzten Wochen seit der gemeinsamen Ergreifung des Feuerteufels von Aschach an der Steyr su- per verstanden. Zwei Stunden aufs Tor zu schießen war auch allen genug, und so nehmen sie allesamt gern die Einladung an.

»Aber der grobe Hans gehört uns! Den werden sich die Falken vornehmen!«, schreit Luk beim Aufsteigen auf sein Fahrrad.

Im Zuge der Brandermittlungen nach den vielen Brän- den in Aschach ist der kräftig gewachsene Hans, der in der Nähe der Wehranlage wie ein Schwein haust, lange

ihr Hauptverdächtiger gewesen. Sein Grundstück ist übersät von Unrat, und der Anführer der Falken nimmt jetzt an, dass Anna es auf ihn abgesehen hat. Lukas hat der Kleinen von Hans berichtet. Schließlich liegt der Waggon der S-Bande nur ein paar Minuten vom zugemüllten Haus des Einzelgängers entfernt.

»Anna hat bestimmt etwas anderes vor«, gibt Max zu- rück. Mit hoher Trittfrequenz entfernen sich die Jungs vom Anwesen des Löberbauern. Bald werden sie das Are- al des alten Bahnhofs der Steyrtalbahn erreichen.

Der Schneestangenverschlag

Seit ungefähr einer halben Stunde sitzt Anna bereits im Waggon und wartet auf das Erscheinen von Max. Nach ei- nem erneuten, ungeduldigen Blick auf die Uhr ertönt endlich das Mitteilungssignal.

»Komme gleich«, steht auf Annas Handydisplay.

»Wird aber auch Zeit«, seufzt sie und hüpft vom Bret- terboden hoch. Die Zehnjährige schiebt die Holzschiebe- wand auf und klettert aus dem alten Güterwaggon. Auf dem Bahnhofsareal ist niemand zu sehen. Von Ende Sep- tember bis Anfang Dezember fährt die Museumsbahn nicht regelmäßig, die Bahngesellschaft führt notwendige Wartungsarbeiten durch, damit die alte Bahn fit für die beliebten Adventwochenenden ist. Hunderte Gäste nut- zen in der Vorweihnachtszeit das Angebot und machen sich mit der schnaufenden, geschichtsträchtigen Steyr- talbahn auf den romantischen Weg von der Eisenstadt Steyr bis zum Lokschuppen in Grünburg.

Fünf Minuten später sieht Anna in der Ferne vier Bu- ben den Bahnberg hinunterrasen. Sebastian erreicht als Erster den Waggon und grüßt Anna freundlich: »Servus, Anna. Ich hoffe, es stört dich nicht, dass wir mitgekom- men sind. Uns ist furchtbar langweilig gewesen.«

»Hallo, Jungs. Super, dass ihr endlich da seid, ich muss euch Unglaubliches erzählen und zeigen«, begrüßt das

Mädchen die Buben. Nacheinander lehnen sie ihre Draht- esel an den Waggon der Schnackerlbahn und klettern da- nach ins Innere zu einer kurzen Besprechung. Drinnen lässt sich Anna auf einem Fleckerlteppich nieder und rückt sich einen Kuschelpolster als Lehne zurecht. Gleich neben ihr lassen sich die Buben in einem Halbkreis nie- der und warten im Schneidersitz gespannt auf ihre Er- zählungen.

»Hört zu, es wartet eine neue Aufgabe auf die S-Bande und die Falken. Die Jagd nach dem Feuerteufel ist bereits Wochen her und wir brauchen etwas Neues. Paulina und

Sophie vergraben sich nur mehr hinter ihren Schulbü- chern. Max sehe ich auch kaum noch. So kann es nicht mehr weitergehen! Wo bleibt die Aktion am Sonnenhang? Papa hat heute beim Mittagessen erzählt, dass die Ge- meinde Aschach den Oktober als Monat der Müllsamm- lung erklärt hat. Was haltet ihr davon, wenn wir uns als Umweltsheriffs daran beteiligen?« Fragend blickt das Kind in die Runde.

»Umweltsheriffs? Klingt nicht gerade nach Aktion, Anna«, meint Luk etwas enttäuscht. Ein neuer Kriminal- fall so wie das letzte Mal hätte ihm Spaß gemacht, aber Müll sammeln für die Gemeinde klingt mehr als öde. Zu Hause im Kuhstall kann sich Lukas auch die Finger schmutzig machen, da muss er nicht durch die Gegend ziehen und den Dreck anderer Leute unentgeltlich aufle- sen. Der Bub möchte keine Zeit mehr am Samstag ver- geuden und bedeutet seinen Freunden aufzustehen.

»Wartet doch, ich bin noch nicht fertig. Jetzt wird es gleich spannend«, verspricht das Mädchen und fährt schnell fort, »Sophie und ich waren heute in der Pichler- ner Au. Stellt euch vor, wir haben einen Verbrecher beob- achtet. Er war völlig schwarz gekleidet und hat vier voll- gestopfte Müllsäcke eilig in der Au zurückgelassen. Wie ein typischer Schwerverbrecher hat er ausgesehen, in- klusive auffälligem Ohrring und ausgefallenem Tattoo am Hals. Ich habe mir auch sein Autokennzeichen ge-

merkt. Zu gern würde ich wissen, was sich in den myste- riösen Müllsäcken befindet.«

Nun hat das Mädchen die Neugier der anderen ge- weckt. Schließlich klingt das schon eher nach spannen- der Verbrecherjagd.

»Müllsäcke, sagtest du?«, fragt Max nach.

»Ja, sie waren alle prall gefüllt und ziemlich rund. Nicht so, als würde sich Hausmüll darin befinden. Viel- leicht wollte er Leichenteile loswerden. Ich habe sogar gesehen, wie aus einem Sack rotbraune, zähe Flüssigkeit getropft ist«, streut Anna ein. Diese Beobachtung hat sie heute am Vormittag ihrer Schwester Sophie vorenthalten, diese war so schon total fertig mit den Nerven gewesen.

»Dann müsste er aber mindestens zwei Leute auf dem Gewissen haben, denn vier Säcke sind für einen Leich- nam zu viele. Außerdem müsste er die Körper zerstü- ckelt haben«, überlegt Lukas laut. Der Gedanke lässt Max innerlich erschaudern. Angewidert schüttelt er sich.

»Wisst ihr was, wir fahren einfach zu der Stelle hin. Es sind nur ein paar hundert Meter bis zur Au. Kommt, folgt mir nach!«, ruft Anna aufgeregt.

Hurtig verlassen die vier den Waggon. Max, der als Letzter das Quartier der S-Bande verlässt, zieht die Holz- schiebewand zu und verschließt den Waggon mit dem wuchtigen Vorhängeschloss der S-Bande.

Ihr Weg führt die Kinder über die Steyrbrücke, die die Orte Sierning und Aschach verbindet. Im Vorbeiradeln zählt Anna die schwimmenden Schwäne im Staubereich des Flusses unterhalb der Brücke. Sie kann sieben aus- machen, dann schweift ihr Blick hinüber zum Kraftwerk. Nach einem kurzen Anstieg biegen die Kinder in den Au- weg ein und fahren in Windeseile zur Au hinauf. Im Wald angekommen, müssen sie aufpassen und den tiefen Schlaglöchern ausweichen. Max fährt ein paar Mal be- wusst in eine Pfütze, um die neben und hinter ihm fah- renden Jungs anzuspritzen.

»Lass das, du Spinner!«, schreit Tobias, den ein Dreck- spritzer quer über die Lippen erwischt hat. Angeekelt reibt er sich das Gesicht mit seinem Ärmel trocken.

»Stoppt, wir sind da!«, ruft Anna von hinten nach vorn, sie ist die Letzte in der Gruppe. Mit dem Höllentempo der

Burschen kann die Jüngste mit ihren dünnen Beinchen nicht mithalten. Lukas schleift zusammen und kommt di- rekt neben den schwarzen Säcken zu stehen. Sogleich meckert er: »Das sind ganz normale 240-Liter-Säcke, die haben wir auf unserem Bauernhof zuhauf. Möchte wis- sen, was du an denen verdächtig findest, Anna. Mal se- hen, was sich darin befindet.«

Bevor der Junge dazu kommt, einen Sack genauer an- zusehen, hören sie ein Auto langsam näher kommen.

»Los, auf die Räder! Wir tun so, als würden wir durch den Wald fahren!«, gibt der Anführer der Falken eine kurze Instruktion. Sogleich schwingen sich die Kinder auf ihre Fahrräder. Äußerst langsam überholt sie ein alter Golf III. Im Inneren können die Kinder im Vorbeifahren ein jun- ges Pärchen erkennen. »Ich glaube, die wollen bloß ein bisschen in den Wald fahren und knutschen«, meint Tobi- as ausgelassen. Luk biegt sich vor Lachen auf seinem Rad und wendet.

»Na, das haben wir ihnen versaut«, meint Max trocken. Wenig später stehen sie erneut bei den verdächtigen Kunststoffsäcken.

»Eins, zwei, drei, vier und fünf. Du hast doch gesagt, dass es nur vier sind«, meint Tobias. »Stimmt, es sind auch nur vier gewesen. Er muss noch einmal im Wald gewesen sein. Ich habe mir sogar sein Autokennzeichen gemerkt: 133 XY. Was fällt euch dazu ein?«, gibt Anna zur Antwort. Stille. In den Köpfen der Jungs ist nicht gleich

eine Eselsbrücke zur Nummer gespeichert, deshalb fährt Anna fort: »133 ist die Rufnummer der Polizei. Jungs, ich sage euch, wir müssen den Fahrer anzeigen. Den Wald verschmutzen geht gar nicht. Ganz egal, was sich in den Säcken befindet, man darf keinen Müll in der Au abladen. Und jetzt komme ich zu den Buchstaben XY, die sind wirklich leicht zu merken. Ihr kennt doch alle die Sen- dung ›Aktenzeichen XY‹. Findet ihr diese Parallelen nicht sonderbar? Es muss sich hier einfach um ein Verbrechen handeln.«

»Na ja, Anna. Etwas weit hergeholt sind deine Annah- men schon. Aber zu ›Aktenzeichen XY‹ fällt mir gerade ein Fall ein, er liegt schon länger zurück und hat sich in Deutschland ereignet. Stellt euch vor, ein böser Mann entführt ein zehnjähriges, unschuldiges Mädchen und vergräbt es lebendig in einer Holzkiste in einem abgele- genen Waldstück. Die Kleine heißt Anna, sie hat keine Chance und erleidet einen qualvollen …« Weiter kommt Lukas nicht, denn Anna fährt ihm fuchtig ins Wort: »Hör mit deinen Schauermärchen auf, du willst mich nur sek- kieren, damit ich mich in Zukunft im Wald fürchte!«

»Okay, wenn du das Ende der Geschichte nicht hören willst, dann schaue ich jetzt nach, was sich in den Säcken befindet«, meint Luk böse lächelnd. Mit einem Haselnuss- stecken in der Hand nähert er sich vorsichtig dem größ- ten Sack. Kräftig sticht er in die schwarze Folie und reißt sie etwas auseinander. Sein Freund Sebastian hält neu-

gierig die Nase zu nahe hin und fährt angewidert zurück.

»Uff, das stinkt!«, entfährt es ihm.

»Musst du deine Rotznase überall hineinstecken?«, schimpft Luk und stochert mit dem Stock im Schlitz her- um. Beißend fauliger Geruch breitet sich in der Luft aus.

»Es ist ziemlich weich, ich würde sagen, das ist bloß alter Grasschnitt, der faulig geworden ist. Von wegen Blutlache, Anna, sieh nur, es läuft der vergammelte Gras- saft aus dem Inneren heraus.«

Erst jetzt getraut sich die Zehnjährige näher an den geöffneten Müllsack heran. Den Anblick einer zerstückel- ten Leiche wollte sich das Mädchen auf jeden Fall erspa- ren. Nacheinander reißt Lukas jetzt die fünf Säcke auf und in jedem befindet sich das Gleiche, halb verfaultes Grünzeug.

»Warum schmeißt jemand seinen Grasschnitt samt Kunststofffolie in den Wald?«, will Max wissen.

»Wahrscheinlich ist er ihm faulig geworden. Um eine Straftat handelt es sich hier sicher nicht. Wisst ihr was, wir leeren die stinkende Brühe die Böschung hinunter und entsorgen dann die leeren Plastikfolien beim Feuer- wehrdepot in Pichlern. Schließlich ist der Monat der Müllsammlung«, meint Tobias ziemlich vernünftig.

Nach getaner Arbeit klemmen die Buben die leeren Hüllen unter Annas Paketträger. Nur das Mädchen be- sitzt einen solchen auf seinem Rad.

»Eh klar, ich kann die scheußlich riechenden Fetzen transportieren«, faucht die Kleine, der es so gar nicht passt, dass sie die stinkende, tropfende Fuhr befördern muss.

»Sag, Anna, wo führt eigentlich die alte Straße hin?«, will Lukas wissen, er sieht dabei in die Weite.

»Hundert Meter weiter führt eine Rechtskurve hinauf zur Straße. Du weißt schon, sie endet oben bei der Kreu- zung zum Kubawirt. Wenn man weiterfährt, wird die Straße immer schmaler und endet schließlich im Wald. Man gelangt dann nur mehr zu Fuß weiter, der Weg wird noch schmaler und verwachsener. Wenn ihr wollt, zeige ich euch das Ende der alten Straße. Wir befinden uns ge- nau unterhalb der Bundesstraße. Sophie und ich haben heute Opa und Oma dort hinten im Wald bei der Holzar- beit geholfen. Das Grundstück führt sogar hinunter zur Steyr. Los kommt, es wird euch gefallen!«

Anna hält nun nichts mehr hier, sie radelt den Buben voraus. Ein bisschen ist die Kleine schon enttäuscht, dass sich in den vielversprechenden Müllsäcken nur fauliger Grasschnitt befunden hat. Sie zieht eine ziemliche Duft- note hinter sich her.

»Links, rechts! Links, rechts! Hinter Anna stinktʼs recht!«, schreit Lukas nach vorn. »Haltʼs Maul, du Idiot!«, brüllt Anna zurück und reißt ihre zur Faust geballte lin- ke Hand in die Höhe. »Seht ihr! Hier geht es hinauf zur

Straße«, erklärt das Mädchen und deutet mit ihrer Rech- ten die Kurve an.

Sie radeln tiefer in den Wald hinein. Jahrelang wurde entlang der Straße nichts mehr verändert. Immer mehr verwächst der alte Weg und der Wald erobert sich Meter um Meter von der durch Menschen angelegten Straße zu- rück. Auf einmal stoppt Anna bei einer riesigen Beton- wand. Sie wurde zur Absicherung der Bundesstraße er- richtet.

»Stellt euch vor, genau hier haben Sophie und ich ein- mal eine ganze Kiste mit Lego-Spielzeug gefunden. Das ist bestimmt zwei Jahre her. Wir waren mit Opa spazieren. Er zeigt uns immer, wo der Rehbock an den Bäumen schert«, erzählt Anna den Buben. Interessiert blicken sie die Betonwand hinauf.

»Hier könnten wir uns einmal abseilen. Die Wand ist bestimmt über zwölf Meter hoch«, meint Lukas stau- nend.

»Aber ohne mich«, entfährt es kopfschüttelnd Sebasti- an. Der Junge hat immer öfter genug von den waghalsi- gen Unternehmungen seines Freundes. Fasziniert blickt er die glatte Betonwand empor, nie im Leben würde er sich hier abseilen. Das letzte Mal kletterten sie in der Nähe des Kraftwerks eine Schotterböschung hinauf und das Sicherungsseil war in Lukasʼ Händen gerissen. Tobias fiel fast drei Meter auf den harten Schotterboden. Gott

sei Dank ging der Sturz mit ein paar Schrammen an sei- nen Beinen glimpflich, wenngleich schmerzhaft aus.

»Kommt, ein Stückchen können wir noch fahren, dann müssen wir die Räder stehen lassen und zu Fuß weiter- gehen«, erklärt Anna.

Nach wenigen Metern ist die Schotterstraße plötzlich zu Ende. Die Kinder lassen ihre Räder zurück und gehen zu Fuß durchs Dickicht. Anna möchte die Jungs unbe- dingt zur Steyr hinunterführen. Außerordentlich steil ist das Gelände hier.

»Seht ihr dort die Gräben?«, fragt Anna, »laut Opa stammen sie von den Franzosenkriegen um 1810! An- scheinend sieht man heute noch im Wald die alten Schüt- zengräben und die Einschlagkrater von den Kanonenku- geln.«

Nun hat Anna erst recht Luks Aufmerksamkeit ge- weckt. Der Junge kennt das Franzosenkreuz in der nahen Umgebung, ein Gedenkmarterl, das Richtung Wallern steht. Jedes Kind lernt in der Schule, dass im Gebiet Sier- ning die Franzosen durchmarschierten und es hier zu Kämpfen kam. Unzählige Soldaten auf beiden Seiten mussten ihr Leben lassen. Zu ihren Ehren wurde von der Gemeinde ein Gedenkkreuz aufgestellt. Jedes Jahr pflanzt Annas Oma ehrenamtlich Blumen am Fuß des Kreuzes.

Beim Thema Krieg ist Luk nicht mehr zu stoppen. Ge- duckt läuft der Bub zwischen den Bäumen und Sträu-

chern herum und sieht in jedes Loch hinein. Neugierig verfolgen Tobias, Sebastian und Max sein Treiben.

»Sieht so aus, als hätten sie hier einen Versorgungs- gang zur Steyr gegraben. Die brauchten im Krieg be- stimmt sauberes Wasser. Ich muss mit Papas Metallde- tektor wiederkommen, vielleicht finde ich alte Helme, Jackenknöpfe oder sogar ein Bajonett. Ihr wisst schon, das ist so eine Stichwaffe, die die Franzosen damals vorn auf ihren Gewehrläufen montiert hatten. Wenn sie keinen Schuss mehr gehabt haben, haben sie im Nahkampf damit zugestochen«, meint Lukas ganz aufgedreht.

»Wusstet ihr eigentlich, dass die Franzosen mit den Bajonetten häufig auch ihre Konservendosen öffneten, denn einen Dosenöffner gab es erst um 1870, immerhin sechzig Jahre später.«

»Du mit deinen Scheißkriegsfundstücken, sei doch froh, dass kein Krieg herrscht!«, fährt Tobias seinen Freund genervt an, er teilt dessen Interesse ganz und gar nicht.

So kommt es, dass Sebastian und Tobias vorauslaufen, die alten Schützengräben jucken auch sie kein bisschen. Die beiden eilen Richtung Steyrfluss, der Wald ist hier dicht verwachsen. Teilweise kommen sie nur sehr lang- sam voran. Immer wieder ducken sie sich unter Ästen durch. Das Plätschern des nahen Steyrwassers können sie schon die Böschung herauf hören.

Plötzlich macht Tobias, der vorangeht, eine überra- schende Entdeckung. Vor ein paar Jahren ist anscheinend ein Hang Richtung Fluss abgerutscht. Gott sei Dank ist das Erdreich zum Erliegen gekommen und eine circa drei Meter breite Vertiefung ist entstanden. Bäume haben ein weiteres Abrutschen der Erd- und Geröllmassen verhin- dert.

»Sieh mal, Sebastian!«, ruft auf einmal Tobias, der et- was Gewaltiges entdeckte. Fasziniert begutachten die Buben die Stelle im Wald. Dabei vergessen sie rund um sich die Zeit und hören gar nicht, dass die anderen be- reits verzweifelt nach ihnen schreien.

»Das gibt es nicht, die waren doch eben noch da!«, ruft Lukas nervös, dabei fuchtelt er theatralisch mit einem Stecken in der Hand herum.

»Vielleicht haben sie sich verlaufen«, wirft Anna ein. Sie hat die beiden bestimmt seit einer halben Stunde nicht mehr gesehen.

»Umgedreht haben sie wohl kaum, dann wären sie an uns vorbeigekommen. Wisst ihr was, wir gehen noch ein Stückchen tiefer in den Wald hinein in Richtung Fluss- ufer. Wahrscheinlich spielen sie unten am Wasser Steine- platteln«, meint nun Max.

In der Zwischenzeit begutachten Tobias und Sebastian die Fundstätte. Jemand hat hier ganze Arbeit geleistet, vor ihren Augen befindet sich ein Lager mitten im Wald. Unbekannte haben es in die Vertiefung zwischen dem

Hangrutsch hineingebaut. Die Ausmaße sind einfach ge- waltig, das Lager misst ungefähr drei mal zehn Meter. Bestimmt hat der Erbauer es als illegale Wohnstätte ge- nutzt. Oder gar als Räuberhöhle?

»Wow, sieh einmal, Tobias. Das müssen ein paar Hun- dert Schneestangen sein. Möchte wissen, wer hier haust«, gibt Sebastian von sich. Vorsichtig nähert sich der Junge dem Lagerplatz.

»Es sieht ziemlich verlassen aus. Trotzdem sollten wir äußerst vorsichtig sein. Wenn uns plötzlich ein Fremder überrascht, sitzen wir in der Falle. Der kennt sich hier be- stimmt besser aus als wir. Wo sind eigentlich die ande- ren?«, überlegt Tobias, die Sache ist ihm nicht geheuer. Er wünscht sich Lukas herbei, schließlich ist er der mutige Draufgänger bei den Falken.

»Tobias, Sebastian, wo steckt ihr, verdammt noch ein- mal?«, dringt es plötzlich an ihre Ohren. Luks Stimme klingt unfreundlich und angespannt.

»Hier sind wir!«, schreit Sebastian in die Richtung, aus der die Stimme kam. Nach wenigen Augenblicken errei- chen Max, Anna und Lukas die Stelle im Wald, an der vor Jahren der Hangrutsch passiert sein musste. Sogleich wet- tert Lukas los: »Warum läuft ihr Deppen einfach voraus? Wir suchen euch bestimmt schon eine halbe Stunde!«

Weder Tobias noch Sebastian geben ihm eine Antwort darauf, sie deuten mit einer Hand hinunter in die Vertie-

fung und senken dabei ihre Köpfe. Erst jetzt bemerkt auch ihr Freund den außergewöhnlichen Fund.

»Himmel, Arsch und Zwirn, was ist das?«, fragt Lukas er- staunt. Er hüpft sofort in den Graben hinab und kommt vor dem Lagereingang zu stehen. Das Fluchen hat er von sei- nem Vater, dem Löberbauern, bereits als Kleinkind gelernt.

»Ich sage euch, das ist bestimmt das Lager eines Ob- dachlosen oder eines gesuchten Verbrechers. Er hat die Schneestangen sicher oben entlang der Bundesstraße ge- stohlen. Pah, das sind viele! Es ist ein richtiges Haus mit Dach und Eingangstür, er hat es wie ein Blockhaus ge- baut. Wahnsinn! Ich gehe hinein!«

Leicht lässt sich die dünne Holztür öffnen, daran ist kein Schloss befestigt. Sogleich verschwindet Lukas in der finsteren Behausung. Hinter ihm fällt die Tür fast lautlos zu. Da das Lager keine Fenster besitzt und schön langsam die Dämmerung einsetzt, kann der Junge kaum etwas erkennen. »Hat jemand von euch eine Taschenlampe dabei?«, will Luk wissen.

Im Schneestangenverschlag ist es stockdunkel. Der Erbauer hat ihn architektonisch perfekt errichtet und die Vertiefung im Erdrutsch rechts und links als natürliche Wände genutzt. Dicht hat er die Schneestangen gestapelt und mit Schnüren und Lianen aneinandergebunden. Aus drei Schneestangenschichten besteht das Dach der Be- hausung. Dazwischen liegen zwei Kunststoffplanen. So ist man im Inneren vor Regenwasser halbwegs geschützt.

Da keines der Kinder eine Taschenlampe mit sich führt, zieht Lukas sein Handy aus der Hosentasche. Viel zu schwach leuchtet das Display auf, das Licht reicht gerade einmal dazu aus, dass er eine einfache Schlafstätte in der Hütte erkennen kann. Sogar ein Poster mit einer leicht bekleideten, hübschen Blondine im rosa Bikini hängt an der einfachen Holzwand.

---ENDE DER LESEPROBE---