Die schönsten Liebesmärchen der Welt -  - E-Book

Die schönsten Liebesmärchen der Welt E-Book

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In unzähligen Märchen aus aller Welt wird von der Liebe erzählt. Und fast alle laufen nach demselben Muster ab: Eine junge schöne Frau gerät in Not, ein junger schöner Prinz hilft ihr aus der Patsche, und zu guter Letzt heiratet er sie.

Neben diesen gibt es jedoch einige Märchen, die uns wirklich etwas von der Liebe zu erzählen haben: was es heißt, zu lieben und geliebt zu werden, was die Liebe mit uns macht, wie sie uns verwandelt, wie sie das Schönste in uns hervorbringt.

Hier sind sie versammelt: betörend schöne Märchen von klugen, selbstbewussten und tatkräftigen Frauen, die um ihre Liebe kämpfen und sich nicht mit dem ihnen zugedachten Schicksal abfinden; zauberhafte Märchen, die uns erzählen, wie man Schwierigkeiten in der Beziehung zum Guten wendet, Zeiten der Not überwindet und gemeinsam glücklich alt wird – Märchen zum Verlieben eben.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 308

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die schönstenLiebesmärchen

Inhalt

Die kluge Königin

Die Hirtin, die Zarin wurde

Die kluge Braut

Der Brunnen der Liebe

Caterina die Kluge

Die Schöne und das Tier, Jeanne-Marie Le Prince de Beaumont

Der Wasserschneckensohn

Jorinde und Joringel, Brüder Grimm

Das Märchen von Hyazinth und Rosenblütchen, Novalis

Rapunzel, Brüder Grimm

Línus, der Königssohn

Filo d'Oro und Filomena

Amor und Psyche, Apuleius

Die Geschichte von Zunnār ibn Zunnār und der Tochter des Königs von Irak

Die Geschichte von den Heimsuchungen der Liebenden, Nizami

Das Märchen von der jungen Gräfin

Der Wahrsager

Der lahme Büffel

Die zweigeteilte Braut

Der Zauberbrunnen

Wie das Mädchen zum Mann wurde

Die kluge Königin

Es war einmal ein junger Königssohn, der so über alle Maßen schön war, daß nie jemand seinesgleichen gesehen hatte. Das wußte er. Und darüber war er froh.

Und alle Leute sagten, daß er ebenso klug wie schön sei, so daß sich keiner an Klugheit mit ihm messen könne. Das glaubte er. Und darauf war er stolz.

Da tat er das Gelübde und schwur einen teuren Eid darauf, daß er niemals ein Mädchen zur Frau nehmen wolle, das nicht mindestens ebenso schön und nahezu ebenso klug wie er selbst wäre. Aber falls er ein solches fände, dann sollte sie auch seine Frau werden.

Es gab viele schöne Mädchen im Lande, aber sie gehörten eben nicht zu den klügsten. Es waren auch manche ganz gescheite junge Mädchen da, aber die gehörten nicht zu den schönsten. Soviel ist gewiß, daß der Königssohn keine fand, die ihm annähernd schön und klug war. Er war übrigens in dem Alter, daß sowohl er selbst wie sein Vater, der König, und ihr getreues Volk der Ansicht waren, er müsse heiraten. Aber nach dem Gelübde, das er abgelegt hatte, war da kein Mädchen im Lande, um die er seiner Meinung nach anhalten konnte.

Da wollte er auf Reisen, hinaus in andere Königreiche, gehen. Aber er wollte unbekannt und ohne Gefolge reisen. Er wollte schon selbst auf sich aufpassen, und da sollte auch keiner sein, der aus der Schule plaudern oder ihm in die Karten gucken könnte.

Er reiste also weit und breit umher, von einem Land in das andere. Aber es ergeht ihm draußen wie daheim: Kein Mädchen ist ihm schön oder klug genug, und noch viel weniger beides zugleich. Und so kann er ja um keine von ihnen anhalten.

Da ritt er eines Tages allein durch einen Wald. Er reitet und reitet, aber der Wald nimmt kein Ende. Es wird Mittag, und es wird Abend, aber immer noch ist er nicht aus dem Wald heraus, und ein Ende ist nicht abzusehen. Er hat sich völlig verirrt und weiß nicht mehr, wo er ist oder wohin der Weg führt oder, wo er für die Nacht Unterkunft finden kann, um sich und sein Pferd auszuruhen und zu erfrischen. Beide sind erschöpft.

Endlich sieht er einen dünnen blauen Rauch über den grünen Bäumen aufsteigen. Er reitet darauf zu und kommt an ein kleines, ärmliches Haus. Hier müssen doch Menschen sein, sagt er sehr erfreut. Er steigt vom Pferd und klopft an. Ein alter, einfacher Mann macht ihm auf, und eine alte, einfache Frau erschien ebenfalls. Sie schienen sehr verwundert zu sein, als sie den schmucken, vornehmen, jungen Reiter erblicken. Der Königssohn begrüßt sie mit einem Guten Abend und sagt ihnen wahrheitsgetreu, daß er sich verirrt habe und den ganzen Tag im Wald umhergeritten sei, ohne zu einem Haus oder einer Herberge gekommen zu sein. Und er bittet sie, ihm für die Nacht Unterkunft zu gewähren. Zuerst sagten sie allerdings, daß sie nicht die Leute seien, einen so vornehmen Herrn, wie er es sei, aufzunehmen, und man merkte ganz gut, daß sie ihn sehr gern wieder los sein wollten. Als er aber sagte, daß weder er noch sein Pferd es länger aushalten könnten, daß sie deshalb Ruhe und ein Nachtquartier brauchten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als Ja zu sagen; er müsse dann eben mit dem vorliebnehmen, was er vorfinde.

Zuerst sorgte er nun für sein gutes Pferd. Einen Stall gab es nicht. Aber da war ein kleiner Schuppen für ihre einzige Kuh. Und die ging jetzt draußen auf der Weide; denn es war Sommerzeit. Und so konnte er sein Pferd dort hineinbringen, ihm Wasser geben und ein Bund Heu. Da war es sehr froh. Er selbst ging darauf in die Stube. In dem Hause gab es nur die eine, und die war klein und niedrig. Er setzte sich auf die Holzbank und begann mit den Leuten zu plaudern. Ob sie hier so ganz allein in dem wilden Wald wohnten? Ja, das täten sie, sagten sie, es seien keine anderen Menschen hier im Haus und keine anderen Häuser im Umkreis vieler Meilen. Sie lebten hier, wie es eben ginge, und schlügen sich durch mit einer Ziege und einer Kuh. Er bekommt also sein Abendessen, so gut wie es das Haus vermochte, nämlich ein Stück trocknes Brot und eine Schale Milch. Und dann holen die alten Leute ein Bund Stroh und breiten es in der Stube auf dem Fußboden aus. Darauf wollten sie selbst liegen; denn der fremde Herr sollte in ihrem Bett schlafen. Sie hatten nur das eine. Das wollte der Prinz jedoch nicht annehmen: Sie sollten ihr Bett behalten, und er wolle auf dem Fußboden auf dem Strohbündel liegen.

Es wurde also alles so gemacht, wie er es haben wollte, und alle drei gingen zur Ruhe. Das war nun allerdings ein anderes Lager, als er es gewohnt war. Da er aber so richtig müde war, schlief er bald ein und träumte von all den schönen Mädchen, die nicht klug genug, und all den klugen Mädchen, die nicht schön genug waren. Und er schlief süß, bis der Tag zu dämmern begann. Aber dann wachte er auf, und steif in den Gliedern war er von dem harten Lager ja. Und wie er sich auch drehte und wendete, einschlafen konnte er nicht mehr.

Da hörte er, wie sich über seinem Kopf, oben auf dem Boden, etwas bewegte. Da konnten ja Ratten und Mäuse oder auch eine Katze sein. Ja, es war sicherlich eine Katze, die da oben herumsprang. Aber bald darauf hörte er von da oben einen schnurrenden Ton wie von einem Spinnrad. Aber eine Katze konnte doch nicht spinnen. Und gleich darauf hörte er Gesang. Der kam weder von der Katze noch den Vögeln da draußen, sondern es war eine liebliche Frauenstimme, die im Takt mit dem schnurrenden Spinnrad sang. Einen so wunderschönen Gesang hatte er noch niemals gehört. Er sprang sofort von dem Lager auf, rieb sich die Augen und spitzte die Ohren. Und im selben Augenblick wachen die beiden alten Leute auf und kommen aus den Federn.

Da fragt der Königssohn sie sofort, wen sie da oben auf dem Boden versteckt halten und bereits in der frühen Morgenstunde zu spinnen und dazu zu singen beginne. Nun war es da oben wieder still geworden, und sie versichern dasselbe, was sie schon gestern gesagt hatten, nämlich, daß da keine anderen Menschen als sie selber im Hause seien.

»Nein«, sagt der Prinz, »es hat keinen Zweck, daß ihr mir das länger weiszumachen sucht. Ich glaube fest daran, was ich mit meinen eigenen Ohren gehört habe. Und jetzt könnt ihr mir ebensogut die volle Wahrheit sagen; denn ich werde schon dahinterkommen.«

Da mußte der Mann schließlich gestehen, es sei tatsächlich noch ein Mensch hier im Hause, und das sei ihre Tochter, die ihre Kammer da oben habe. Aber sie hätten solche Angst, daß jemand sie sehen könnte und vielleicht Lust auf sie bekäme und sie ihnen fortnehme. Und sie könnten sie doch gar nicht missen, so alt und gebrechlich wie sie waren. Sie verdiente für sie ja auch ein paar Schillinge mit Spinnen und Weben. Und wer sollte sie sonst pflegen, wenn sie nun bald nicht mehr selbst für sich sorgen könnten?

»Ja, da ich sie nun einmal gehört habe, möchte ich sie auch sehen«, sagte der Königssohn. »Ich bin doch kein Menschenfresser, also könnt ihr mich doch wohl das Mädchen sehen lassen.« Da mußten die Alten sie ja herunterrufen. Und herunter kam sie gesprungen, das junge Blut, in ihren ärmlichen Kleidern. Sie wußte ja nicht, daß sie Besuch hatten; denn sie hatte fest geschlafen, als der Königssohn spät am Abend gekommen war.

Als sie den schönen jungen Mann sah, wurde sie puterrot. Und dem Prinzen verschlug's auch die Sprache, als er sie zu Gesicht bekam; denn nie zuvor hatte er etwas halb so Schönes wie sie gesehen. Ihm wurde ganz sonderbar dabei zumute. So weit er gewandert war, hatte er keine gesehen, die sich an Schönheit mit ihr messen konnte. Die Tochter dieses armen Mannes war weit schöner als irgendeine von all den Prinzessinnen und Fräulein, die er in der Fremde oder daheim gesehen hatte. Er konnte sich gar nichts Schöneres denken. Aber er konnte doch nie daran denken, ein solches Bettlerkind zur Frau zu nehmen.

Er wandte daher seine Augen wieder von ihr ab und beeilte sich, sein Pferd zu satteln und fortzukommen. Und er wollte sie gar nicht mehr ansehen. Aber als er sich in den Sattel geschwungen hatte, und den Alten, denen er ein großes Goldstück für das Nachtlager gegeben, und die jetzt einen Kratzfuß nach dem anderen vor ihm machten, Lebewohl zunickte, konnte er doch nicht umhin, nach der Seite zu schielen, wo sie stand und ihn mit ihren großen Augen anblickte. Und dann konnte er es nicht unterlassen, seinen Hut zu ziehen und sie zum Abschied zu grüßen. Und ebensowenig konnte er sich eines Gefühls erwehren, als säße ihm das Herz im Halse, als sie mit niedergeschlagenen Augen errötend ihren Kopf zum Gruße neigte. Die großen Augen aber schlug sie wieder auf, und die folgten ihm, als er von dannen sprengte, bis er außer Sicht war. Sie sahen ihm nicht nur nach, sondern standen noch lange da, nachdem Haus und Wald schon weit hinter ihm lagen. Aber unterwegs, während er so dahinritt, sagte er zu sich selbst: ›Ja, gewiß ist sie lieblich und mehr als schön genug für mich, aber ich gelobte ja auch, daß die, welche ich haben wollte, klug sein müßte, fast ebenso klug, wie ich es bin, und das ist sie natürlich nicht.‹

Er merkte sich jedoch gut, wo die Waldhütte lag, und bald war er auch auf bekannten Wegen; denn der große Wald lag an der Grenze seines eigenen Heimatlandes. Er ritt nun geradewegs zum Königsschloß seines Vaters und sagte, er habe noch keine gefunden, die ihm ebenbürtig sei. Das tat dem alten König natürlich sehr leid; denn er war so überzeugt von der großen Klugheit seines Sohnes, daß er glaubte, es müsse schon so gewesen sein, wie er es erzählte. Aber er wollte ihn doch so gern bei seinen Lebzeiten versorgt sehen. Und wenn sich der Sohn nun eine Braut wählen würde, war er im voraus davon überzeugt, daß es die richtige sein würde.

Jetzt war der Königssohn wieder zu Hause, und es ging ihm ja in jeder Beziehung gut. Aber er fand keine Ruhe. Das gute Essen schmeckte ihm nicht, und der süße Schlaf wollte sich gar nicht in seinem weichen Bett einstellen. Seine Gedanken gingen ständig in den großen Wald zu dem lieblichen Mädchen. An sie dachte er früh und spät, mochte er es wollen oder nicht.

Schließlich sagte er zu sich selber: ›Das muß ein Ende haben.‹ Er dachte an sein Gelübde, daß die Schönste und Klügste seine Braut werden sollte, und um frei von seinen Gedanken an sie zu werden, wollte er sich überzeugen, daß das Kind des armen Mannes, wenn auch schön genug, doch lange nicht klug genug für ihn sei. Er schrieb also einen Brief an sie und legte zwei Docken [lose zusammengedrehte Bündel] Seide mit ein und schrieb, sie möge ihm daraus einen Bettbehang weben.

Er schickte den Brief mit einem königlichen Reitknecht ab, und der sollte sofort Antwort zurückbringen. Der Reitknecht kam noch am selben Abend zurück und hatte einen Brief von dem Mädchen in der Waldhütte mit. Darin lagen zwei kleine Holzstifte, und in dem Brief stand geschrieben, daß, wenn er ihr aus den Stiften einen Webstuhl anfertigen würde, werde sie schon den Bettbehang weben, den er bestellt habe.

Jetzt konnte der Königssohn es sich nicht mehr einreden, daß das Mädchen nicht genauso klug wie er war. Und da mußte er ja halten, was er gelobt und geschworen hatte. Und das war ja eigentlich auch das, wozu er am meisten Lust hatte. So ritt er denn mit seinem ganzen königlichen Gefolge zu der Hütte im Wald, und er sagte den Alten und dem Mädchen, daß er sie zu seiner Braut erwählen möchte, wenn sie selbst es wolle. Und sie wollte es auch.

Aber jetzt bekam er doch Angst, daß sie die Klügste von ihnen beiden war, und das ging ja nicht, falls jemand das merken sollte. Deshalb stellte er die Bedingung, daß, wenn er einmal König und sie also seine Königin werden würde, sie sich niemals in die Staatsangelegenheiten einmischen dürfe, die nur ihn und nicht sie angingen. Täte sie das, so hätte er das Recht, sie zu verstoßen und sie wieder nach Hause zu ihren Eltern zu schicken.

Auf diese Bedingung ging sie ein. Aber sie hatte auch ihre Bedingung zu stellen. Und die war, daß, wenn er ihrer überdrüssig würde und sie nicht länger behalten wollte und sie deshalb nach Hause schickte, sie das Recht haben müsse, das mitzunehmen, was ihr am liebsten sei. Das erschien ihm recht und billig, und er ging sofort darauf ein.

Die alten Leute waren zwar sehr betrübt, daß sie jetzt ihre Tochter verlieren sollten, aber sie konnten ihrem Glück doch nicht im Wege stehen, und so gaben sie auch ihre Einwilligung. Die Braut wurde nun mit Seide und Scharlach geschmückt, mit Gold und Edelsteinen, und sie erhielt Kutschen und Hofdamen und allen sonstigen Staat, und dann wurde die Hochzeit mit Glanz und Freude gefeiert.

Es verging jetzt eine lange Zeit, während welcher die jungen Leute in inniger Liebe und äußerer Herrlichkeit miteinander lebten. Und es konnte gar nicht besser sein. Alle Leute meinten, daß die Gattin des Königssohns sowohl schön wie klug und gut genug sei – und das Letzte war das Beste. Bald nach der Hochzeit starb der alte König, und der Sohn wurde an seiner Stelle König. Er regiert das Land und sitzt zu Gericht, und alles geht gut und erfreulich. Die Königin mischt sich nie in seine und des Reiches Angelegenheiten, sondern verwaltet ihr eigenes großes Haus und wird von allen geehrt und geliebt.

Da trifft es sich eines Tages, daß in des Königs Hauptstadt Markttag ist und viele Bauern mit Korn und anderen Sachen zum Markt kommen. Und als sie am Abend dann wieder nach Hause fahren, haben einige von ihnen in der Stadt über den Durst getrunken, können aber beim ersten Krug, an dem sie vorbeikommen, nicht weiterfahren: Sie müssen hinein und wieder einen zur Brust nehmen. Sie blieben eine gute Weile drinnen in der Schenkstube, ihre Pferde und Wagen standen währenddessen draußen im Stall der Schenke. Einer dieser Bauern war mit einer trächtigen Stute gefahren, und während sie zechen, wirft sie im Stall ein Fohlen. Als nun die Bauern herauskommen, und jeder sein Fuhrwerk zu finden sucht, ist das kleine, neugeborene Füllen auf die Beine gekommen. Aber es blickt ganz verstört in diese neue, unruhige Welt und ist in eine Ecke des Stalls gelaufen, wo der Schankwirt seine Pferde, ein paar Grauschimmel, zu stehen hat. Der Bauer mit der trächtigen Stute sieht sofort, daß sie gefohlt hat, und er sieht auch das Fohlen, und da er nicht betrunkener war, als daß er wohl begreifen konnte, daß es ihm gehöre, wollte er es auf seinen Wagen legen und mit nach Hause nehmen. Aber der Schankwirt sagt nein, das Fohlen wäre seins: Man sehe ja, es halte sich zu seinen Pferden. Da begann nun ein wüstes Gezänk wegen dieser Sache. Die meisten der betrunkenen Bauern hielten zu dem Schankwirt. Und das Ende davon war, daß der Bauer mit der Stute ohne das Fohlen nach Hause fahren mußte, und der Schankwirt es behält.

Damit konnte sich der Bauer nicht zufriedengeben, und es kam zum Prozeß. Doch sowohl das erste Gericht als auch das zweite Gericht sprachen das Fohlen dem Schankwirt zu. Und der Bauer, der der rechtmäßige Eigentümer des Fohlens war, mußte die Zeche bezahlen, so daß er dadurch allmählich alles aufs Spiel setzte, was er besaß. Aber er wollte trotzdem seine Sache nicht verloren geben. Er ließ die Sache vor das höchste Gericht kommen, und dort war es der König selbst, der das Urteil sprechen sollte. Er war ja wohl sehr klug. Aber er war doch nicht klüger, als daß er wie die anderen entschied: daß nämlich das Fohlen dem gehöre, bei dessen Pferden es gefunden worden sei. Und das war ja der Schankwirt.

Jetzt sollte der Bauer also wegen des Fohlens, das doch rechtmäßig seins war, Haus und Hof verlieren. Damit konnte er sich nicht abfinden. Und in seiner großen Not verfiel er auf das letzte Mittel: sich an die Königin zu wenden, die ja so klug und gut war. Er erklärte ihr den ganzen Zusammenhang der Fohlengeschichte, und sie sah ein, daß er recht hatte.

Da sagte sie zu ihm: »Ja, mein lieber Mann, ich kann das Urteil des Königs zwar nicht ändern, aber ich will dir doch einen Rat geben, der dir vielleicht von Nutzen sein kann. Nimm morgen um die Mittagszeit ein Fischernetz und geh damit vor die Stadt, wo die hohen Dünen von Flugsand sind. Dort spann dein Netz aus, wie man sonst Netze zum Trocknen ausspannt. Und dann nimm eine Stange und schlage damit in den Sand vor dem Netz, indem du davor hin und her gehst, so wie man Fische draußen auf der See ins Netz treibt. Wenn dann der König dort vorbeikommt – er fährt nämlich jeden Tag den Weg –, wird er dich sicher fragen, ob du nicht richtig klug bist oder ob du glaubst, du könntest oben im Flugsand Fische fangen. Und dann mußt du antworten, das sei nicht unvernünftiger, als daß der graue Schimmel des Schankwirts, der nicht trächtig gewesen und nicht einmal eine Stute sei, ein Fohlen bekommen könnte. Aber das mußt du mir versprechen«, sagte die Königin, »daß du niemand erfahren läßt, wer dir den Rat gegeben hat; denn sonst werde ich unglücklich.« Ja, der Bauer bedankte sich viele Male und versprach zu schweigen.

Am nächsten Tag zur Mittagszeit macht es der Bauer, wie ihm gesagt worden war. Und bald darauf kommt der König tatsächlich auf dem Weg, längs jener Dünen, angefahren. Als er den Bauern umhergehen und mit seiner Stange in den Sand vor dem Fischnetz schlagen sah, ließ er anhalten und sagte zu ihm: »Was treibst du da?«

»Ich fische«, sagt der Bauer.

»Bist du verrückt?« fragt der König, »glaubst du, da sind Fische im Flugsand?«

»Ja«, erwidert der Bauer, »das ist doch nicht unvernünftiger, als daß der graue Schimmel des Schankwirts, der nicht trächtig gewesen und nicht einmal eine Stute ist, ein Fohlen bekommen konnte.«

Jetzt verstand der König sofort, worauf er anspielte. Ihm wurde klar, daß er in der Sache wohl ungerecht geurteilt hatte. Aber er wollte doch wissen, wer den Bauern diese List gelehrt habe. Und da er ihm den Tod androhte, wenn er nicht gestehe, wer ihm den Rat gegeben, bekam der Bauer solche Angst, daß er alles offenbarte: nämlich, daß es die Königin gewesen sei, der er diesen Einfall zu verdanken habe.

Da läßt der König sofort den Wagen wenden und fährt zum Schloß zurück. Und er sprühte nur so vor Zorn. Er geht sofort zur Königin hinein und sagt, sie habe sich jetzt gegen das Abkommen vergangen, das vor der Hochzeit getroffen worden sei, und habe sich unterstanden, sich in die Angelegenheiten seines Reiches einzumischen. Jetzt müsse sie auch die Strafe erleiden, die damals verabredet worden sei. Sie müsse sofort zu ihren Eltern zurückgeschickt werden. Sie möge sich bereitmachen, noch in dieser Stunde abzureisen. Aber sie dürfe sich auch des ihr zugestandenen Rechts bedienen: Sie könne von den schönen Dingen, die sie um sich habe, mitnehmen, was ihr das liebste sei.

Die Königin antwortete sehr sanft und demütig, er habe recht und sie unrecht, er müsse bestimmen, und sie gehorchen. Sie würde in einem Augenblick damit fertig sein, das zusammenzupacken, was sie mit des Königs gnädiger Erlaubnis mitzunehmen gedenke. Gleich darauf kam sie wieder herein, und da hatte sie eine Flasche Wein und zwei Gläser bei sich, und dann sagte sie: Der König werde ihr doch wohl die Güte erweisen, mit ihr zum Abschied ein Glas zu trinken. Es sei doch nie zuvor ein böses Wort zwischen ihnen gefallen, und das solle auch jetzt nicht geschehen.

Diese Bitte konnte ihr der König nicht abschlagen. Sie schenkte ein, und sie tranken miteinander. Aber er merkte nicht, daß ihm die Königin aus einer anderen kleinen Flasche, die sie bei sich hatte, ein paar Tropfen in sein Glas schüttete. Und sobald er sein Glas geleert hatte, fiel er in einen tiefen Schlaf.

Da holt die Königin einen großen Schließkorb, in den sie ihre besten Sachen, die sie mitnehmen wollte, hätte packen sollen. Und in diesen legt sie den König, deckt ihn gut zu, macht ein Schloß davor und ruft nach den Dienern. Sie sollen ihren Korb hinaustragen und auf den Wagen laden, der angespannt sei und auf sie warte. Sie setzt sich in den Wagen, und dann fahren sie hinaus in den Wald zu der alten Hütte. Dort müssen die Diener den Korb vom Wagen nehmen und ihn hinauf in ihre Kammer tragen. Danach schickt sie den Wagen wieder zurück zum Schloß. Sodann hebt sie ihren schlafenden König und Gemahl aus dem Korb und legt ihn auf ihr Bett. Darauf zog sie sich ihre alten, ärmlichen Kleider an, in denen er sie zum erstenmal gesehen hatte und setzte sich an das kleine Fenster gegenüber dem Bett und setzte – wie in alten Tagen – das Spinnrad in Gang.

Es war gegen Abend, als der König nach dem Schlaftrunk, den er getrunken, ausgeschlafen hatte. Er wacht auf und sieht sich um, fährt hoch und fragt, wo er ist, und wie es zugegangen, daß er sich hier befindet.

»Ja«, sagt sie, »du bist jetzt bei mir, und das ist so geschehen, daß ich dich mit mir genommen habe, zu mir nach Hause, wie es ja nach unserer Abmachung mein Recht war; denn du bist das, was ich in der Welt am liebsten habe, und das durfte ich ja mitnehmen.«

»Jetzt merke ich, daß du viel klüger bist als ich«, sagte der König. »Und wenn du mich jetzt nach dem Schloß zurückbegleiten und bei mir bleiben willst, werde ich niemals mehr in einer Sache entscheiden, ehe ich dich um Rat gefragt habe.«

Die Hirtin, die Zarin wurde

Einmal erließ der Zar folgende Order: »Wer einen Stein zu schlachten vermag, so daß Blut aus ihm fließt, den mache ich zum Zaren meines Reiches!« Von überallher kamen starke Männer, keiner aber konnte den Stein schlachten, und alle fragten sich verwundert, wer denn dies schaffen könne.

In einem Dorf lebte ein sehr tapferes Mädel, das die Schafe hütete. Als sie von dem Befehl des Zaren hörte, ging sie als Mann verkleidet zu ihm und sagte: »Zar, ich werde den Stein schlachten!«

Es hatte sich sofort herumgesprochen, daß jemand es auf sich nahm, den Stein zu schlachten, und es sammelten sich unzählige Menschen, die sehen wollten, wie dieses Wunder geschehen würde. An dem Tag, an dem der Stein geschlachtet werden sollte, begab sich der Zar gemeinsam mit allen Mächtigen des Landes zu der Stelle außerhalb der Stadt, die für dieses Schauspiel bestimmt worden war. Die Hirtin holte ein Schlachtmesser heraus und wandte sich an den Zaren mit folgenden Worten: »Du möchtest, Zar, daß ich den Stein schlachte? Dann gib ihm zuerst eine Seele, und wenn ich ihn dann nicht schlachte, kannst du mir den Kopf abschlagen!«

Der Zar war erstaunt über diese Antwort und sagte: »Du bist der Klügste in meinem Reich, und ich werde dich zum ersten Mann des Reiches machen. Wenn du auch das, was ich dir jetzt sage, zu tun vermagst, will ich dich als meinen Sohn annehmen.«

Das Mädel sprach: »Sag, was du begehrst, und wenn es zu machen ist, werde ich es auch versuchen.« Und der Zar sprach: »Geh in dein Dorf zurück und kehre nach drei Tagen wieder um. Wenn du herkommst, sollst du reiten und gleichzeitig nicht reiten, und du sollst mir ein Geschenk mitbringen und gleichzeitig keins mitbringen. Wir werden alle, groß und klein, aus der Stadt kommen, um dich zu empfangen, und du sollst es so anstellen, daß die Leute dich empfangen und gleichzeitig nicht empfangen.«

Die Hirtin kehrte heim in ihr Dorf und trug den Bauern auf, ihr einige Hasen und zwei Tauben lebend zu fangen. Die Bauern fingen die Hasen und Tauben ein. Am dritten Tag, als sie zum Zaren gehen sollte, steckte das Mädel jeden Hasen in einen gesonderten Sack und gab sie den Bauern zum Tragen. »Laßt sie los, wenn ich es euch sage!« ordnete sie an. Sie selbst nahm die zwei Tauben, stieg auf eine Ziege und machte sich auf den Weg zum Zaren, nachdem sie einige Leute vorausgeschickt hatte, um anzukündigen, daß sie nun komme.

Als der Zar von ihrer Ankunft erfuhr, begab er sich mit den Höflingen und einer unzähligen Gefolgschaft vor die Stadt. Als die Hirtin sich dem Ort, wo der Zar und das Volk auf sie warteten, näherte, befahl sie ihren Leuten, die Hasen aus den Säcken freizulassen. Kaum waren die Hasen dicht vor den Menschen herausgesprungen, als sich alle darauf stürzten und sie fangen wollten. Die Hirtin indes bewegte sich abwechselnd zu Fuß, indem sie die Ziege zwischen den Beinen behielt, und reitend, indem sie sich auf die Ziege setzte und die Beine in die Luft hob. Sie hielt vor dem Zaren an und holte aus ihrem Busen die zwei Tauben und reichte sie ihm. Als der Zar die Hand ausstreckte, um sie entgegenzunehmen, ließ sie die Tauben los, und sie flogen fort …

Dann sagte die Hirtin zum Zaren: »Nun, Zar, die Leute haben mich empfangen und gleichzeitig auch nicht, ich habe dir ein Geschenk mitgebracht und zugleich auch nicht, ich bin geritten und gleichzeitig zu Fuß gelaufen!« Der Zar antwortete: »Von heute an wirst du mein Sohn sein.« Da beugte sich die

Die kluge Braut

Zwei junge Männer hielten um die Hand einer Jungfrau an – der eine war arm, der andere reich. Der arme Jüngling sah hübscher aus, der Sohn von Tschorbadshija war der häßlichere. Da der Jungfrau der arme Jüngling gefiel, meinte sie: »Ich werde den armen Mann heiraten, und wenn wir Glück haben, so werden wir auch Geld verdienen und reich werden.« Und sie heiratete den Armen.

Nach der Hochzeit ging das Brautpaar auf die Weiden hinaus und sammelte von den Sträuchern und Dornen die Schafwolle, die von den vorbeigegangenen Schafen dort hängengeblieben war. So sammelten sie und sammelten, bis sie genügend Wolle zusammenhatten, um sich einen kleinen Teppich zu weben. Der Mann nahm ihn und brachte ihn auf den Markt zum Verkauf. Der Herrensohn aber lief die ganze Zeit über hinter ihm her, um zu sehen, wie er es wohl anstellen würde. Als dieser den Teppich auf dem Markt ausbreitete, kam ein Mann, sah ihn sich an und sagte: »Nimm diese Kuh und gib mir den Teppich.«

Der Mann gab ihm den Teppich, nahm die Kuh und kehrte nach Hause zurück. Unterwegs begegnete er einem Menschen, der zwei Hacken trug, die er auf dem Markt verkaufen wollte.

»Nimm die beiden Hacken, gib mir das Kühlein«, sagte der Mann. Jener nahm die Hacken, gab die Kuh hin und machte sich wieder auf den Weg. Kurz darauf begegnete er einem Mann, der Sicheln zum Markt trug.

»Hör zu, Junge, laß uns tauschen«, sagte dieser. »Hier, nimm zwei Sicheln und gib mir dafür die beiden Hacken.«

Sie machten den Tausch, und jeder ging seines Wegs. Nach einiger Zeit begegnete der Mann einem, der Strohhüte feilbot und gleichfalls zu ihm sagte: »Hei, Junge, laß uns tauschen – gib mir die Sicheln, ich werde dir zwei Strohhüte dafür geben.«

Und sie tauschten. Der junge Mann nahm den einen Hut in die Hand, den anderen setzte er auf den Kopf. Da kam ein starker Wind auf und wehte beide Hüte fort. Der Mann hielt an und überlegte, was er jetzt tun sollte. Der Sohn des Reichen, der ihm ständig nachschlich, holte ihn ein und sagte: »Deine Braut wird dich fortschicken, wenn du mit leeren Händen nach Hause kommst.«

»Sie wird es nicht tun«, sagte der Arme, »sie ist nicht auf den Kopf gefallen.«

»Doch, doch, sie wird dich rauswerfen«, sagte der Reiche. »Genau das wird sie tun – dich rausschmeißen, ich weiß es. Wenn du mir nicht glaubst, dann will ich mit dir wetten: Schickt sie dich fort, so nehme ich sie dir weg, wenn nicht, dann gebe ich dir einen Beutel voll Goldmünzen, den hier, der auf dem Sattel liegt.«

Sie schlossen die Wette ab. Der Reiche verbarg den Armen in einer Kiste, lud ihn auf das Pferd und ging zu dem Haus des anderen. Er rief die Braut heraus und sprach folgende Worte: »Ist dein Mann schon zurück?«

»Er ist noch nicht da«, antwortete sie.

»Er hat den schönen Teppich für eine Kuh verkauft.«

»Schön, daß er eine Kuh gekauft hat. Ich möchte sehr, daß auch wir eine Kuh haben«, erwiderte die Braut.

»Er hat aber die Kuh gegen zwei Hacken getauscht.«

»O wie schlau mein Mann ist! Er weiß, daß wir Hacken dringend brauchen für unsere Arbeit. Es ist gut, daß er die genommen hat.«

»Er hat aber für die Hacken Sicheln eingetauscht.«

»Gut, daß er die Hacken für Sicheln gegeben hat. Eigentlich brauchen wir Sicheln jetzt dringender, denn zur Erntezeit können wir woanders arbeiten gehen.«

»Aber dein Mann hat die Sicheln gegen zwei Strohhüte getauscht.«

»Gut, daß er das getan hat. Jetzt ist es Sommer, die Sonne prallt herab, die Hüte werden uns ein wenig schützen, der eine Hut ist für mich, der andere für ihn, und wir werden uns wohl fühlen in der Hitze.«

»Ein starker Wind kam auf und hat sie fortgeblasen, und deswegen bringt er gar nichts mit.«

»Ich will ja nichts, wenn nur mein Mann wohlauf nach Hause kommt«, sagte die Braut. »Ist er bei mir, brauche ich nichts weiter.«

Der Brunnen der Liebe

Es lebte einst ein König, der hatte eine Tochter, mit der er in seinem Palast lebte. Wie gewöhnlich saß sie nachmittags am Fenster ihres Gemachs und schaute den Vorübergehenden zu. Dabei betrachtete sie aufmerksam die Gesichter der Männer, wobei sie jeden Mann nur danach beurteilte, was sie in dessen Gesicht abgelesen hatte. Die Prinzessin war zudem überzeugt, daß sich hinter jedem erfolgreichen Mann ein weibliches Wesen verberge, das der eigentliche Grund für dessen Glück sei, wie sich hinter jedem Versager ebenfalls ein Weib verbergen müsse, das Schuld an dessen Mißgeschick habe. Der Vater wußte vom Zeitvertreib seiner Tochter, den er zutiefst mißbilligte.

Eines schönen Tages erblickte das Mädchen von seinem Fenster aus einen armen Mann in geflickten Kleidern. Es schickte seine Dienerin nach dem armen Teufel, damit sie ihn in die Kammer führe. Nachdem er eingetreten war, erkundigte sich die Prinzessin nach seinem Befinden.

Der König erfuhr von dem befremdlichen Besuch bei seiner Tochter und befahl in seinem Zorn, beide auf der Stelle zu Mann und Frau zu erklären. Dann wies er sie aus dem Palast. Da gingen sie und ihr Gemahl zu einer verlassenen Gruft am Rande der Stadt und verbrachten dort ihre erste gemeinsame Nacht. Am anderen Morgen schickte die Prinzessin ihren Mann fort, damit er arbeiten gehe. Er schuftete den ganzen Tag, konnte aber am Abend nur mit einem dürftigen Abendbrot heimkehren. Sie aß die grobe Mahlzeit und redete ihrem Mann Mut für den kommenden Tag zu. Der Mann litt nicht wenig darunter, daß er der Grund dafür war, daß seine Frau aus dem Palast verstoßen worden war und mit ihm sein hartes Leben teilen mußte.

Eines Tages übermannte ihn sein Schmerz, der ihn Arbeit und Heimkehr vergessen ließ. Er kam zu einem Brunnen auf freiem Feld, an dem Leute Wasser schöpften. Dort blieb er stehen und schaute ihnen zu, wobei er ihre Gespräche hörte. »Jeder, der in diesen Brunnen steigt, kehrt nicht ans Tageslicht zurück«, sprach einer. Da entschloß sich der Mann, in den Brunnen zu gehen. ›Entweder ich sterbe‹, ging es ihm durch den Kopf, ›und ich werde von meinem Schmerz befreit, unter dem ich leide, weil ich der Grund für die Erniedrigung der Prinzessin war, von der sie dann ebenfalls befreit ist und in den Palast zurückkehren kann, oder der Abstieg wird für beide eine glückliche Wendung bedeuten.‹

Wie der Mann Fuß um Fuß in die Tiefe setzte, erregte nahe des Grundes ein Lichtschein seine Aufmerksamkeit, der aus einem Spalt zu ihm drang. Als er hindurchschaute, bot sich ihm ein herrlicher Anblick. Er sah einen weiten Garten, wo eine Vielzahl von Bäumen voller Früchte standen. Seinen Boden bedeckte ein duftiger Teppich aus den verschiedensten Kräutern und Blumen. Nun kroch er durch das Loch und lief durch den Garten. Unter einem dichtbelaubten Baum blieb er stehen, denn er sah in diesem Augenblick, wie ein Jüngling die Äste herabstieg, dem zwei unvergleichlich schöne Mädchen folgten, das eine war weißhäutig, das andere schwarz.

»Welches der Mädchen ist schöner?« wollte der Bursche sogleich wissen. »Das Liebste, für das dein Herz in Flammen steht, ist immer das schönste«, versetzte der Mann schlagfertig. Dem Jüngling gefiel die Antwort. Bisher hatte er jeden, der in den Brunnen gestiegen und durch das Loch in den Garten eingedrungen war, getötet, der ihm auf seine Frage entgegnet hatte, daß ihm entweder das weiße oder das schwarze Mädchen besser gefiel. Auf diese Weise war bisher niemand wieder aus dem Brunnen zurückgekehrt. Der Herr über den Garten belohnte nunmehr den Mann und schenkte ihm sieben Granatäpfel. Jener nahm sie dankbar an und stieg nach oben. Der Mann kehrte zu seiner Frau zurück, die noch immer in der Gruft hauste, denn sie war überzeugt, daß er wiederkommen würde. Nachdem er ihr erzählt hatte, was ihm widerfahren war, reichte er ihr die großen Granatäpfel. Sie erkannte sogleich, daß die sieben Früchte kostbare Edelsteine waren.

Gleich am anderen Tag begab sich der Mann zu einem reichen Juwelier und verkaufte einen der wertvollen Granatäpfel. Von dem Erlös kaufte er ein Haus, das einem reichen Kaufmann zur Ehre gereicht hätte. Darüber hinaus erwarb er noch einen geräumigen Laden, in dem er mit Erfolg einen Handel zu betreiben begann. Fortan trug seine Frau die Tracht der Kaufmannsfrauen und er die der Kaufleute. Zu guter Letzt kaufte die Prinzessin ein beträchtliches Stück Boden gegenüber dem Palast ihres Vaters. Dort ließ sie einen eigenen Palast errichten, der dem des Königs ebenbürtig war, und stattete ihn auf das Kostbarste aus und unterhielt eine Schar von Dienern. Sodann unterwies sie ihren Gemahl in den Sitten und Gepflogenheiten des Hofes und begann, große Feste für die Händler und Beamten zu geben, bis sie schließlich sogar den König und sein Gefolge zu sich lud. Voller Freude nahm sie deshalb die Einladung an, mit der der Herrscher die ihre erwiderte. Der König lobte den geladenen Kaufmann in den höchsten Tönen.