2,99 €
Die Schriftrolle im Schattenwald ist ein geistlich tiefgehender Roman über die Kraft des biblischen Wortes, die geistliche Reife eines suchenden Jungen und die stille Wirksamkeit Gottes inmitten von Alltag, Zweifel und Verführung. Die Geschichte spielt in einem kleinen, abgeschiedenen Dorf im 15. Jahrhundert. In dieser ländlichen Welt, in der das Leben einfach, aber von echtem Glauben geprägt ist, lebt Elias – ein 12-jähriger Junge mit vielen Fragen. Er wächst in einer gläubigen Familie auf, lernt das Gebet, kennt die Bibelverse – und doch merkt er, dass es mehr geben muss als bloße Worte. Als er eines Tages im nahegelegenen Schattenwald eine alte, unscheinbare Truhe entdeckt, beginnt eine Reise, die sein Leben verändern wird. Die Truhe enthält eine geheimnisvolle Schriftrolle – geschrieben in einer seltsam vertrauten Sprache. Sie enthält keine neue Offenbarung, sondern verschlüsselte Fragmente biblischer Wahrheit: Verse, Psalmen, Zeugnisse – aufbewahrt von verfolgten Christen, die Gottes Wort nicht verlieren wollten. Doch während Elias und seine Familie nach und nach die Bedeutung der Rolle entschlüsseln, beginnt das Dorf sich zu spalten. Es gibt jene, die prüfen – und jene, die fürchten. Und es gibt einen Satz, der alles ins Wanken bringt: ein Vers, der sich biblisch anfühlt, aber nicht aus der Schrift stammt... Was als kindliche Neugier beginnt, wird für Elias zu einem geistlichen Reifungsweg. Er lernt, dass nicht jedes Licht von Gott ist – und dass Wahrheit nicht immer bequem, aber immer rettend ist. Ohne übernatürliche Effekte, ohne Magie oder Spektakel erzählt Die Schriftrolle im Schattenwald davon, wie Christus erkannt wird – nicht durch Gefühle, sondern durch das Wort. Ein Roman, der nicht nur unterhält, sondern zurückführt. Zur Schrift. Zur Wahrheit. Zu Jesus Christus.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2025
DieSchriftrolleimSchattenwald
Christlicher Entwicklungsroman
© 2025 Toilettenkönig
Geschrieben unter dem Pseudonym Toilettenkönig, ein Erzähler des Alltäglichen mit Blick zum Himmel.
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung:
ISBN
Paperback 978-3-384-58907-1
Hardcover 978-3-384-58908-8
e-Book 978-3-384-58909-5
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.
Inhaltsverzeichnis
Ein Dorf in Gottes Hand
Der Ruf in den Wald
Die Truhe
Die Stimme in der Stille
Im Licht der Schrift
Spaltung
Zeichen und Zweifel
Ein verborgener Pfad
Die Ärztin und der Mönch
Der Prüfstein des Glaubens
Der Ort
Die Entscheidung
Die Prüfung
Das wahre Licht
Die Aufdeckung
Das Vermächtnis der Väter
Und das Wort blieb
Das erste Licht des Tages fiel blassgrau über das kleine Dorf. Nebel hing über den Feldern, Hühner gackerten schläfrig, und vom nahen Wald her wehte der Duft von feuchtem Laub. In einer einfachen Hütte am Dorfrand öffnete Jakob leise den Fensterladen. Ein schmaler Streifen Licht drang durch den Frühnebel und traf den groben Holztisch, an dem Rebekka bereits Brot schnitt. Es roch nach frischem Feuerholz und gemahlenem Korn – nach jener stillen Morgenandacht, die ein Dorf kennt, das mit dem ersten Sonnenstrahl aufsteht.
„Elias?“, rief Jakob sanft ins Halbdunkel. Keine Antwort. Rebekka lächelte und wischte sich Mehl von den Händen. „Er schläft wieder mit offenem Mund. Träumt bestimmt von Bäumen und Abenteuern“, sagte sie leise. Sie liebte diese Momente, wenn die Welt noch ganz still war und das Leben langsam erwachte.
Kurz darauf saßen alle fünf Familienmitglieder um den Tisch: Vater Jakob, Mutter Rebekka, Elias und seine jüngere Schwester Lea, und in der Ecke döste Großmutter Marta mit einem zufriedenen Lächeln. Jakob neigte den Kopf und sprach das Morgengebet, wie an jedem Tag – schlicht, ruhig, voller Ernst und Vertrauen: „Herr, wir danken dir für diese Gaben und Herr du hast diesen Tag gemacht. Wir wollen darin gehen mit Furcht und Freude. Stärke unsere Hände und unser Herz, und lass dein Wort leuchten wie die Sonne, die bald kommt. Amen.“
Elias hatte die Augen geschlossen, doch sein Herz klopfte schneller. Er liebte es, Vater Jakob beten zu hören. In Jakobs Stimme lag eine Gewissheit, dass Gott ihnen nahe war – hier, in dieser Hütte, in diesem entlegenen Dorf im 15. Jahrhundert, wo es sonst wenig Gewissheit gab außer dem Vertrauen auf den Herrn.
Nach dem Frühstück zog Elias mit seinem Vater hinaus aufs Feld. Der Nebel lichtete sich langsam, und über den braunen, gepflügten Furchen stieg ein goldener Schimmer auf. Elias trug einen Korb mit Saatgut, während Jakob mit ruhigen Schritten voranging. Jeden Morgen half Elias bei der Arbeit, bevor er zum Unterricht beim Pastor ging. Er genoss diese Stunden mit seinem Vater, wenn das Dorf noch leise war und man manchmal nur das Zwitschern der Vögel und das Krächzen eines Raben hörte.
„Vater“, fragte Elias plötzlich, „glaubst du, dass Gott wirklich jeden unserer Schritte sieht?“ Jakob blieb stehen und stützte sich auf seine Hacke. Er schaute seinem Sohn in die ernsten, fragenden Augen. „Ja, Elias“, antwortete er sanft. „Sein Wort sagt es – Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg.“ Jakobs Blick ging nach Osten, wo sich hinter den Baumwipfeln die Sonne zeigte. „So wie die Sonne uns den Morgen erhellt, so erhellt Gottes Wort unser Leben, auch wenn wir den ganzen Weg noch nicht sehen.“
Elias nickte nachdenklich. Dieser Vers kam ihm bekannt vor; tatsächlich hatte Pastor Matthias vor ein paar Tagen in der kleinen Dorfkirche darüber gepredigt: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg.“ (Psalm 119,105). Damals hatte Elias die Worte schön gefunden, aber nun, auf dem stillen Feld, fühlte er sie. Er stellte sich vor, wie Gottes Wort wie eine Laterne vor ihm leuchtete, auch mitten im Dunkeln.
Sie arbeiteten eine Weile schweigend weiter, säten und hackten. Die Morgenluft war kühl, aber Elias spürte ein warmes Ziehen in seinem Innern, eine leise Unruhe. Es war, als würde etwas in ihm flüstern, ohne Worte, nur als Gefühl: Gibt es mehr? Er schaute zum Waldrand hinüber. Ein alter Pfad führte dort zwischen die Eichen und Fichten – ein Pfad, den schon lange niemand mehr genutzt hatte. Halb überwuchert und moosig verschwand er im Dämmerlicht der Bäume. Elias hatte ihn seit seiner Kindheit gekannt, doch man hatte ihm immer gesagt, dort ginge es zu keinem Ort von Bedeutung, nur ins Dickicht. Trotzdem spürte er heute eine seltsame Neugier.
„Vater“, begann Elias zögernd, den Blick weiter auf den Waldrand gerichtet, „warum geht eigentlich niemand mehr den alten Weg dort?“ Jakob folgte dem Blick seines Sohnes. Die Morgensonne brach nun kräftiger durch den Nebel und legte goldene Flecken auf das erste Grün. Er strich sich über den Bart. „Früher, lange vor meiner Zeit, soll er zur nächsten Abtei geführt haben“, erklärte er. „Aber die Abtei gibt es nicht mehr. Außerdem – wer weiß, was im Schattenwald lauert. Manche Wege verliert man, weil man sie nicht mehr braucht.“ Er lächelte leicht, um Elias nicht zu beunruhigen. „Warum fragst du?“
Elias zuckte mit den Schultern. „Nur so. Es sieht… still aus dort.“ In ihm regte sich aber mehr als bloße Neugier. Die Stille des Waldes schien ihn zu rufen. Er konnte es nicht erklären, doch seit dem Gebet heute Morgen und dem Vers aus dem Psalm spürte er einen Drang, etwas zu suchen – oder jemandem zu begegnen.
Am Abend versammelte sich die Familie zum Tagesabschluss. Die Dämmerung senkte sich blaugrau über die Dächer. Aus den Kaminen stieg Rauch in den sternklaren Himmel. In der Stube entzündete Jakob eine kleine Öllampe. Das flackernde Licht ließ Schatten über die Lehmwände tanzen, als Rebekka aus der Familienbibel vorlas. Elias hörte ihrer warmen Stimme zu, doch seine Gedanken wanderten zurück zum Waldpfad. Dein Wort ist meines Fußes Leuchte… Vielleicht, dachte er, führt dieser alte Weg zu etwas, das Gott uns zeigen will? War es vermessen, so zu denken? Er war doch nur ein zwölfjähriger Jungen, neugierig und oft ungeduldig.
Nach der Andacht legte Jakob eine Hand auf Elias’ Schulter. „Du warst heute still, mein Sohn. Geht es dir gut?“ Elias zögerte. Sollte er von der Unruhe erzählen, die in ihm wuchs? Oder würden die Eltern es als kindliche Fantasie abtun? Schließlich sagte er leise: „Ich… ich frage mich, ob Gott manchmal will, dass wir einen verlorenen Weg finden.“
Jakob schaute ihn überrascht an. Rebekka hielt im Aufräumen inne. Einen Augenblick herrschte nur das Knistern des Feuers. Dann nickte Jakob langsam. „Wenn Gott es will, dann legt er die Frage in ein Herz – vielleicht so wie jetzt in deines.“ Seine Stimme war ernst, aber liebevoll. „Bete darüber, Elias. Bitte Gott um Führung. Und sei geduldig. Er wird seine Antwort zeigen, zur rechten Zeit.“
In dieser Nacht schlief Elias unruhig. Er träumte von dunklen Bäumen und einem Lichtschein, der dahinter hervorglomm. In seinem Traum stand er am Anfang des alten Pfades und hörte eine leise Stimme, kaum lauter als der Wind im Laub, die rief: „Komm.“ Als er aufwachte, war das Zimmer dunkel. Das Feuer war heruntergebrannt, nur ein paar rötliche Glutreste leuchteten im Herd. Elias setzte sich auf und lauschte in die Finsternis. Nichts als sein eigenes Herzschlag und das ferne Heulen eines Uhus. War das ein Ruf Gottes oder nur ein Traum?, fragte er sich. Er kniete sich neben sein Lager und flüsterte ein Gebet in die Nacht: „Herr, dein Wort ist das Licht auf meinem Weg. Wenn du willst, dass ich gehe, dann zeig mir den Weg.“
Eine tiefe, friedliche Stille füllte den Raum, als Elias sich wieder hinlegte. Er war entschlossen: Morgen wollte er mit seinem Vater noch einmal über den alten Weg sprechen. Während er einschlief, formte sich in seinem Herzen bereits die Gewissheit, dass Gott ihn auf etwas vorbereitete – etwas, das er jetzt noch nicht verstehen konnte, aber was seinen Glauben vertiefen würde. In der Dunkelheit lächelte Elias leicht. Er spürte, dass er nicht einfach nur ein neugieriger Junge war. Da war etwas Größeres am Werk – eine Hand, die ihn führen wollte, auch wenn er den Weg noch nicht kannte.
Die Morgensonne fiel klar und hell durch das kleine Fenster, als Elias am nächsten Tag erwachte. Das mulmige Gefühl der Nacht war einer erwartungsvollen Neugier gewichen. Heute, dachte er, heute will ich es herausfinden. Er half flink beim Melken der Ziege und beim Wasserschöpfen aus dem Brunnen. Während Lea das Frühstück vorbereitete, schnappte er sich bereits einen Laib Brot und verstaute ihn in seiner Ledertasche. Vielleicht würde er ihn brauchen.
„Wohin so eilig, Elias?“, fragte Rebekka mit hochgezogener Braue, als sie ihn geschäftig packen sah.
Elias biss sich auf die Lippe. Er wollte nichts Unbedachtes tun – aber die Neugier brannte in ihm. „Vater?“, fragte er zögernd, „Darf ich heute nach dem Unterricht mit den anderen Jungen in den Wald? Wir… wollten Beeren suchen.“ Es war nicht ganz gelogen – die Beerensaison hatte begonnen, und oft zog die Dorfjugend hinaus, um Beeren zu sammeln.
Jakob musterte ihn kurz nachdenklich. „Bleibt nicht zu lange und geht nicht zu tief hinein. Und nimm Lea mit, sie kennt die Kräuter besser als ihr Jungs.“ Er zwinkerte. Für ihn waren der Wald und die Feldränder mehr als nur Spielplatz – es war auch die Apotheke und Speisekammer der Familie, und er vertraute Leas wachem Blick.
So kam es, dass Elias am späten Vormittag, nachdem Pastor Matthias’ Unterricht vorbei war, mit seiner Schwester Lea am Waldrand stand. Die anderen Kinder waren bereits vorausgelaufen und ihre fröhlichen Rufe hallten irgendwo zwischen den Bäumen. Doch Elias zog es nicht zu den vertrauten Beerensammelstellen. Sein Blick suchte den alten Pfad. Tatsächlich erkannte man, wenn man genau hinsah, noch den Einstieg: zwischen dichtem Farn wand sich ein kaum sichtbarer Weg ins Herz des Waldes.
„Wollen wir nicht den anderen folgen?“ Lea schaute Elias fragend an. Sie war zwei Jahre jünger als er, doch manchmal schien sie klüger. Ihre dunklen Haare hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten, und jetzt strich sie eine lose Strähne aus der Stirn.
Elias hob die Hand, als wolle er um Stille bitten, obwohl es ohnehin ruhig war. Etwas in ihm zog an diesem verlassenen Pfad. „Nur einen Moment“, sagte er leise. „Ich möchte etwas überprüfen.“ Ohne ein weiteres Wort machte er ein paar Schritte hinein in das Grün. Der hohe Farn streifte seine Knie. Hier drinnen wirkte das Licht gedämpft, grünlich gefiltert durch die Blätterdächer. Er hörte seinen eigenen Atem und irgendwo über sich einen Eichelhäher schimpfen.
Lea war ihm gefolgt, vorsichtig ihre Schürze hebend, damit die Dornen der Brombeerranken sie nicht kratzten. „Elias, was suchen wir?“ flüsterte sie.
„Ich weiß es nicht genau“, gab er zu, während sein Herz schneller schlug. „Vielleicht…“ Er stockte. Was erwartete er eigentlich? Einen Hinweis, einen verborgenen Schatz? Das erschien plötzlich albern. Dennoch – er erinnerte sich an seinen Traum und den unbestimmten Ruf: Komm.
Der Pfad führte leicht abwärts, tiefer in den Wald hinein. Nach einigen Minuten, die den Geschwistern wie eine kleine Ewigkeit vorkamen, wurde der Farn dichter. Fast hätten sie die unscheinbare Erhebung übersehen: Eine Stelle, an der der Boden nicht so fest wirkte. Elias blieb stehen. Hier wucherten keine Sträucher, nur Moos bedeckte etwas, das wie ein alter Erdhügel aussah.
„Schau mal, Lea.“ Elias ging in die Hocke und strich das Moos zur Seite. Seine Finger ertasteten etwas Hartes, Glattes unter der dünnen Erdschicht. Holz! Er begann, mit bloßen Händen Erde wegzuschieben. Lea kniete neben ihm und half, nun ebenso eifrig gepackt von der Entdeckungslust.
Nach wenigen Augenblicken legten sie ein Stück altes, dunkles Holz frei, das in der Erde gesteckt hatte. Es dauerte nicht lange, bis Konturen sichtbar wurden: Eine kleine Truhe, kaum länger als Elias’ Unterarm. Das Holz war vom Alter schwarz gefärbt und feucht, aber intakt. Auf dem Deckel war ein Symbol eingeritzt: ein einfaches Kreuz.
Elias’ Herz schlug bis zum Hals. „Eine Truhe…“, hauchte er. Lea schaute ihn mit großen Augen an. Niemand aus dem Dorf hatte je von einer vergrabenen Truhe erzählt. War das eine alte Hinterlassenschaft? Vielleicht aus der Zeit der Abtei?
Mit vereinten Kräften zogen sie die kleine Holztruhe aus der Erde. Sie war überraschend leicht, als hätte sie nur darauf „gewartet“, gefunden zu werden. Tatsächlich lag sie nicht tief vergraben – eher versteckt unter Moos, als wollte jemand sicherstellen, dass ein Suchender sie entdecken konnte.
Elias wischte sich die erdigen Hände an der Hose ab. Der Kreuzschnitt im Deckel faszinierte ihn. Er fuhr mit dem Finger die Linien nach. Alt, aber sorgfältig gearbeitet. Keine Zierde sonst, kein Schloss war zu sehen – nur ein simpler Metallriegel, schon grün vor Rost. Es war, als hätte jemand diese Truhe absichtlich leicht zugänglich gemacht.
Lea spähte gespannt über Elias’ Schulter. „Mach auf“, drängte sie flüsternd, fast als fürchtete sie, die Bäume könnten lauschen.
Elias hob zögernd die Hand zum Riegel. Sein Magen kribbelte vor Aufregung. Was werde ich finden? Ein Teil von ihm erwartete vielleicht funkelnde Juwelen – kindliche Schatzfantasien – doch das Kreuz auf dem Deckel legte eine andere Spur nahe. Dies hier hatte mit dem Glauben zu tun, nicht mit Reichtümern.
Der Riegel war schwergängig, doch mit einem leichten Quietschen gab er nach. Elias hob langsam den Deckel. Zunächst schien es, als sei die Truhe leer. Dunkles Futter tate aus Samt kleidete das Innere aus, feucht und modrig. Dann erkannte er in einer Vertiefung etwas Helles. Mit zwei Fingern zog er es hervor: ein zusammengerolltes Stück Pergament, mit einer verrotteten Stoffbanderole umwickelt.
Lea hielt die Luft an. „Eine Schriftrolle…“, flüsterte sie ehrfurchtsvoll. In Elias’ Hand lag das Pergament federleicht und doch strahlte es etwas aus, das ihn frösteln ließ – keine Kälte, sondern eine ernsthafte Bedeutung.
Er wollte den Inhalt sehen, doch da knarrte plötzlich ein Ast hinter ihnen. Elias schnellte herum. Sein Vater Jakob stand einige Schritte entfernt zwischen den Farnen und schaute sie mit gerunzelter Stirn an. Offenbar hatte er sich Sorgen gemacht und war ihnen gefolgt.
„Was macht ihr da?“, fragte Jakob streng, doch seine Augen waren mehr besorgt als zornig. „Ich hab euch gerufen, aber ihr wart weg.“
Elias und Lea standen schuldig auf, noch immer mit erdverschmierten Händen und klopfenden Herzen. Wortlos zeigte Elias die kleine Truhe. Einen Moment sagte Jakob nichts. Er trat näher, kniete sich dann zu seinen Kindern und betrachtete den Fund. Seine Hand strich über das eingeschnitzte Kreuz auf dem Deckel, und Elias bemerkte, wie sein Vater leicht zu zittern begann.
„Wo habt ihr das gefunden?“, fragte Jakob mit gedämpfter Stimme.
Elias deutete auf die Mulde. „Es lag direkt unter dem Moos, Vater. Als hätte es jemand dort vor langer Zeit versteckt. Nicht tief… ich weiß nicht, irgendwie kam es mir vor, als sollte ich genau hier graben.“ Er suchte im Gesicht seines Vaters nach einer Reaktion. War er wütend, dass sie herumgestöbert hatten?
Doch Jakob sah nicht wütend aus. Eher überwältigt. Sanft nahm er die Schriftrolle aus Elias’ Hand. Vorsichtig löste er die brüchige Stoffbanderole. Das Pergament entrollte sich ein Stück, genug um einige geschriebene Zeilen zu erkennen. Sie waren in einer Sprache verfasst, die Elias nicht auf Anhieb verstand. Es sah aus wie… Hebräisch? Oder Aramäisch? Und doch schienen manche Wörter vertraut, als wären deutsche oder lateinische Buchstaben dazwischen.
Jakobs Augen verengten sich, als er die ersten Worte laut vorlas, stockend: „Hörst du, der du suchst, die Stimme in der Stille?“ Der Satz klang poetisch und fremd zugleich. Jakobs Stimme brach, als hätte er etwas erkannt. Er murmelte mehr zu sich selbst: „Diese Sprache… kommt mir bekannt vor.“
Lea beugte sich neugierig vor. „Was bedeutet das?“
Jakob rollte das Pergament behutsam wieder ein. „Das werden wir herausfinden“, sagte er fest. Er legte eine Hand auf Elias’ Schulter. „Gut, dass ihr mich gerufen habt…“ – „Wir haben dich gar nicht gerufen“, fiel Lea leise ein. – „Nicht?“, Jakob schien überrascht. „Ich hatte plötzlich das Gefühl, ich müsse euch nachgehen. Der Herr hat wohl meine Schritte gelenkt.“ Er atmete tief durch. „Kommt, Kinder. Wir bringen das ins Dorf, bevor es dunkel wird. Und wir werden beten müssen – um Weisheit, das Richtige zu tun.“
Elias war ein wenig verwirrt. Sein Vater wirkte ernst und doch schimmerte in seinen Augen ein Leuchten, das Elias selten gesehen hatte. Während sie den Rückweg antraten – Jakob die Truhe unter den Arm geklemmt, Elias die Schriftrolle tragend und Lea dicht bei ihnen – fragte Elias leise: „Vater, glaubst du, Gott wollte, dass wir das finden?“