Die Schulranzenfrau - Susi Seidl - E-Book

Die Schulranzenfrau E-Book

Susi Seidl

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  • Herausgeber: Lübbe
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Wenige Wochen nach Abschluss des Lehramtsstudiums ereilt Susi eine Hiobsbotschaft: Sie muss ihr Referendariat in der oberfränkischen Provinz absolvieren, fernab ihrer geliebten Heimatstadt München. Für Trauerarbeit bleibt kaum Zeit, denn das Ministerium kennt keine Gnade und drängt auf einen raschen Umzug. Nur ihr Tagebuch steht Susi als treuer Begleiter in diesen dunkeln Stunden zur Seite. Hier schildert die junge Lehrerin ihren neuen Alltag und verrät die ungeschönte Wahrheit über ominöse Treueschwüre, technikhassende Dino-Kollegen und pubertierende Mitmenschen im Motivationstief ...

Als @Schulranzenfrau bringt "Susi Seidl" täglich tausende Instagram-User zum Lachen. Ihr selbstkritischer Humor und ungeschönter Blick hinter die Kulissen des (Corona-)Schulalltags treffen offensichtlich einen Nerv! Dass ihr beißender Witz auch abseits von Memes funktioniert, beweist die "Frau mit Klasse" nun in ihrem ersten Buch.

Ein wunderbar schwarzhumoriger Blick auf Sinn und Irrsinn des Schulbetriebs: ehrlich, lustig, pointiert.

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Seitenzahl: 233

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Dienstag, 10. August

Samstag, 31. August

Mittwoch, 11. September

Später am selben Tag

Dienstag, 17. September

Mittwoch, 2. Oktober

Freitag, 11. Oktober

Dienstag, 22. Oktober

Mittwoch, 13. November

Montag, 2. Dezember

Dienstag, 10. Dezember

Donnerstag, 19. Dezember

Später am gleichen Tag

Donnerstag, 21. Januar

Später, viel später

Freitag, 14. Februar

Montag, 17. Februar

Dienstag, 24. Februar

Mittwoch, 6. April

Dienstag, 1. August

Freitag, 23. Oktober

Sonntag, 3. Januar

Montag, 15. Februar

Dienstag, 11. Mai

Montag, 14. Juni

Später am Tag

Dienstag, 27. Juli

Mittwoch, 28. Juli

Donnerstag, 29. Juli

Dienstag, 14. September

Nachwort und Danksagung

Über das Buch

Als @Schulranzenfrau bringt die Referendarin »Susie S.« täglich tausende Instagram-User zum Lachen. Ihr selbstkritischer Humor und ungeschönter Blick hinter die Kulissen des (Corona-)Schulalltags treffen offensichtlich einen Nerv! Dass ihr beißender Witz auch abseits von Memes funktioniert, beweist die »Frau mit Klasse« nun in ihrem ersten Buch. Schonungslos nimmt sie sämtliche Unzulänglichkeiten des Schulbetriebs aufs Korn, durchleuchtet den Wahnsinn der gefürchteten Ref-Jahre und erzählt die Wahrheit über ominöse Treueschwüre, overheadprojektorliebende Dino-Kollegen und fiese Sabotageattacken beim Unterrichtsbesuch. So lustig wurde schon lang nicht mehr über den Schulalltag geschrieben!

Über die Autorin

Die »Schulranzenfrau« ist eine junge Englisch- und Italienischlehrerin, ihre Erfahrungen bilden den Kern dieses Buchs. Als Münchner Urgewächs zog es die Autorin nach dem Referendariat an einem fränkischen Provinzgymnasium zurück in die geliebte Heimatstadt. Neben ihrer Lehrtätigkeit betreibt sie den Instragram-Account @schulranzenfrau, wo sie als »Frau mit Klasse und examinierter Meme-Artist« täglich Tausende mit ihren Posts zum Lachen bringt. Susi Seidl ist ein Pseudonym.

Susi Seidl

Aus dem Tagebuch einer jungen Lehrerin

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Regina Carstensen, PerchtoldsdorfTitelillustration und Illustrationen Innenteil: Mira Schmidt, KölnUmschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.deunter Verwendung von Motiven von © Mira Schmidt; Sensay/Adobestock; Markus Weber, Guter Punkt München; Tatiana/AdobestockeBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-2888-1

luebbe.delesejury.de

Für Julian und Sabine,ohne die ich mein Referendariat nicht überlebt hätte.

Dienstag, 10. August

Hallo, hässliches Tagebuch,

ich finde eigentlich, dass ich mit einunddreißig Jahren ein bisschen zu alt für ein Tagebuch bin, allerdings sieht Mama das wohl irgendwie anders. Laut ihr und den Medien wird das Thema »Lehrergesundheit« nämlich wahnsinnig unterschätzt. Daher soll ich mir gleich zu Beginn meiner jungen Lehrerkarriere »proaktive Kompensationsstrategien zur psychischen Hygiene« angewöhnen. Noch während sie das heute früh detailliert ausführte, baute sich in mir die große Hoffnung auf, dass ich nach all den Jahren endlich ein sinnvolles Geschenk in Form einer Flasche Schnaps und einer Schachtel Zigaretten erhalten würde. Umso enttäuschter war ich, als ich dann dieses Tagebuch – dich! – plötzlich in den Händen hielt. Okay, Form und Umriss hätten ein Hinweis sein können, allerdings stirbt die Hoffnung bekanntlich zuletzt …

Mein erster Reflex war, dich zu all den anderen unbrauchbaren Geschenken ganz unten, ganz hinten in den Kleiderschrank zu legen, wo du dann mehrere Monate bis Jahre einlagern würdest, bis die Hemmschwelle derart gesunken wäre, um dich endlich weiterzuverschenken oder wegschmeißen zu können …

Ich habe mich dann doch entschlossen, aus Rücksicht auf meine psychische Hygiene, weiteren Diskussionen und Nachfragen seitens meiner Mutter – proaktiv – entgegenzuwirken, das Geschenk demonstrativ in ihrer Gegenwart zu benutzen und dich erst im Anschluss in alter Manier verschwinden zu lassen.

Jetzt sitze ich also neben ihr am Küchentisch und versuche, irgendwie ein paar Zeilen zu füllen, um den Anschein zu erwecken, ihren Ratschlag aktiv annehmen zu wollen. Aber ganz ehrlich: Eigentlich verstehe ich nicht, wieso meine eigene Mutter der Meinung ist, dass es um meine psychische Gesundheit schlecht bestellt sei und ich in meinem Leben ungünstige emotionale Bewältigungsstrategien einsetzen würde.

Gut, womöglich könnte die kleine »Episode« von letzter Woche dazu beigetragen haben, als ich sie tränenüberströmt aus dem Urlaub angerufen und ihr den Auftrag gegeben hatte, für mich das Kultusministerium anzuzünden. Umsichtig, wie ich bin, hatte ich ihr auch gleich die vollständige Adresse einschließlich schnellstem Anfahrtsweg herausgesucht. Ich frage mich wirklich, ob sie emotional balancierter reagiert hätte, wenn man sie mir nichts, dir nichts in eine 400 Kilometer entfernte oberfränkische Provinzstadt versetzt hätte, die bis auf das Festspielhaus eines Komponisten mit fragwürdiger Vergangenheit und einer schlechten Zuganbindung rein gar nichts zu bieten hat. Rückblickend könnte sich eventuell auch bereits bei dem Telefonat, das ich unmittelbar nach meiner Rückkehr mit der entsprechenden Sachbearbeiterin des Ministeriums geführt hatte, der Beginn einer eher ungünstigen emotionalen Beziehung zu meinem zukünftigen Dienstherrn abgezeichnet haben. Allerdings handelte es sich dabei lediglich um eine freundliche Nachfrage mit dem Zweck, meine eigene Interpretation des im Bewerbungsbogen in Bezug auf die erfragten Ortswünsche verwendeten Wortes »Priorität« mit derjenigen des Ministeriums abgleichen zu wollen. Anders konnte ich mir nicht erklären, dass ich an genau den Ort versetzt wurde, dem ich im Zuge der Bewerbung die Rangnummer drei verliehen hatte. Diese unverhältnismäßig hohe Einstufung war überhaupt nur dadurch zustande gekommen, dass insgesamt nur drei Einsatzorte zur Auswahl gestanden hatten! Weil sich die Sachbearbeiterin auf meine Nachfrage hin als wenig kooperativ erwies, bat ich abschließend höflich um Auskunft, ob es sich hierbei um ein prinzipielles Problem handle und man im Ministerium generell nicht in der Lage sei, bis einschließlich drei zu zählen.

Bevor die Sachbearbeiterin spontan das Einsatzgebiet bayerischer Referendare noch auf die Tschechische Republik erweitern konnte, habe ich vorsichtshalber aufgelegt. Mama war stolz, dass ich immerhin den Versuch unternommen hatte, mein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, allerdings sei die gut gemeinte Nachfrage wohl in meinem passiv-aggressiven Tonfall etwas untergegangen. Womöglich ist an ihren Bedenken etwas dran. Ich behalte das Tagebuch erst einmal doch.

Samstag, 31. August

Nachdem ich mich mit meiner Wut und Trauer mehrere Tage zu Hause in meinem Zimmer eingeschlossen hatte, beschloss ich, es Jesus gleichzutun, und stand am vierten Tage auf. Nach einer kurzen, aber nötigen Dusche war ich bereit, der Realität ins Auge zu blicken. Leider waren bereits zweiundsiebzig Stunden des großzügig bemessenen zwanzigtägigen Zeitrahmens verstrichen, welchen das Ministerium jungen Referendaren einräumt, um eine neue Dienstwohnung an der zukünftigen Ausbildungsstätte zu finden. Einen Vorteil hatte es jedoch: Da ich mich im Vergleich zu den Erträgen meines studentischen Nebenjobs mit meinem neuen Referendarsgehalt finanziell verschlechtern würde und die besten Wohnungen eh schon vom Markt waren, standen nur noch eine Handvoll runtergekommener Studenten-WG-Zimmer zur Auswahl, was die Entscheidungsfindung deutlich erleichterte. Nach einigen Telefonaten und Skype-Gesprächen hatte ich ein Zimmer gefunden, das sich aufgrund seiner hervorragenden Lage zur nächsten Autobahnauffahrt Richtung Süden hervorgetan hatte. Laut Immobilienanzeige würde ich zur Zwischenmiete in das alte Zimmer von Jana ziehen und mir die Wohnung für sechs Monate mit fünf Studierenden teilen. Die Eckdaten ließen mich hoffen, dass ich von meinen Mitbewohnern ohnehin wenig sehen würde, da ich aus eigener Erfahrung annahm, dass wir ohnehin einen komplett antizyklischen Biorhythmus haben würden.

So machte ich mich also aus der heiß geliebten Großstadt auf, mich meinem Schicksal hinzugeben … Jedes Mal, wenn ich mich an meine neuen Schritte in meiner neuen Zwangsheimat erinnere, ist es so, als würde ich meine traumatischen Erlebnisse erneut durchleben …

Mit vollgepacktem Auto parkte ich vor dem Haus und klingelte an der Haustür meiner neuen Adresse. Aufgrund der unzähligen provisorisch angebrachten Post-its, die die einstigen Klingelschilder bereits in mehreren Lagen überdeckten und sich auf den darüber angebrachten Briefkasten erstreckten, konnte ich nicht einmal genau ausmachen, auf welchen Klingelknopf ich genau drücken musste. Bevor ich wahllos irgendeinen aussuchte, öffnete sich ein Fenster schräg über mir, und ein Mädchen rief mir zu, dass ich einfach nach oben kommen solle, die Tür sei immer offen. Ich drückte die Haustür auf und stieg durch einen dunklen Flur sieben Treppenstufen ins Hochparterre. Auch die Tür zur Wohnung war nur angelehnt, was mich nicht wunderte, da die Türklinke fehlte. Von innen drang ein summendes Geräusch zu mir auf den Gang, welches hin und wieder durch dumpfe Schläge unterbrochen wurde. Langsam schob ich die Tür auf und stand mit einem Mal vor einem halb nackten Typen, der ungestüm einen laufenden Staubsauger hinter sich durch den Gang zog und dabei an jeder Ecke und jedem Wandvorsprung hängen blieb. Sein dichtes schwarzes Haar war zu einer eigenartigen Prinz-Eisenherz-Frisur geschnitten und fiel ihm so tief ins Gesicht, dass ich lediglich seine Nasenspitze sehen konnte. Aufgrund seiner schnellen, hektischen Bewegungen machte er nicht den Eindruck, als würde er einfach nur den Flur putzen, sondern als wäre er in einen Nahkampf mit den Staubmäusen auf dem Boden verwickelt. Es machte jedoch nicht den Anschein, als wäre er mit seiner gewählten Waffe sonderlich vertraut. Stattdessen sah es eher so aus, als wollte er die Staubmäuse mit dem Staubsauger überfahren, anstatt sie tatsächlich einzusaugen. Ohne Blickkontakt mit mir herzustellen, winkte er mich herein und bedeutete mir, sofort links in den Raum abzubiegen. Dort saß bereits das Mädchen, das gerade noch aus dem Fenster geschaut hatte, auf einer alten Ledercouch, aus der an der Seite die Polsterfüllung aus einem aufgerissenen Schlitz quoll. Im Vorbeigehen registrierte ich, dass das kleine Fenster der Füllanzeige des Staubsaugerbeutels rot leuchtete. Der Junge schien davon jedoch gänzlich unbeeindruckt zu sein und schob den Staub munter weiter von A nach B. Im Wohnzimmer angekommen begrüßte mich das Mädchen und stellte sich als Jana vor. Wohl aufgrund meines irritierten Blicks fügte sie hinzu: »Das im Gang ist Faruk. Der ist ein bisschen seltsam, am besten sperrst du deine Zimmertür nachts von innen zu!« Tolle Begrüßung, dachte ich und bezweifelte beim Anblick der runtergekommenen Altbauwände und -türen, dass sie überhaupt etwas bei der Verteidigung gegen Faruks Staubsauger-Feldzüge ausrichten würden. Jana klatschte in die Hände und riss mich aus meinen Gedanken.

»Außer uns beiden ist im Moment keiner da. Die anderen sind in den Semesterferien nach Hause gefahren, aber ich kann dir ja schon mal dein Zimmer zeigen!«, sagte sie fröhlich und stand von der Couch auf. Sie führte mich am noch immer staubsaugenden Faruk vorbei durch einen langen Gang, von dem links und rechts Türen der Zimmer meiner neuen Mitbewohner abgingen, durch eine heruntergekommene Küche hindurch, bog vor einem der (immerhin) zwei Badezimmer rechts ab und zeigte auf eine Tür. »Da wären wir. Dein Zimmer hat sogar einen eigenen Hintereingang!«

Wohl eher Notausgang, schoss es mir durch den Kopf, aber ich lächelte weiter freundlich. Das Zimmer entsprach den Bildern, die ich bereits online gesehen hatte. (Neben einem Bett, einem kleinen Schreibtisch und einem schiefen Schrank hat es alles, was ich zum Arbeiten und Schlafen brauche.) Nach meiner Bestandsaufnahme lief ich kurzentschlossen zurück ins Wohnzimmer, um den Mietvertrag zu unterschreiben.

Dort angekommen, bestaunte ich die erstaunliche Größe der Wollmäuse. Jana suchte derweil nach einem geeigneten Ort auf dem Esstisch, um den Untermietvertrag abzulegen. Das Unterfangen gestaltete sich als äußerst schwierig, da es kaum eine Ecke gab, die das Papier nicht unmittelbar durchweicht oder anderweitig verschmutzt hätte. Schließlich entschied sie sich für eine Stelle zwischen einer schwarzbraunen Bananenschale und einem weißlichen Wasserringrückstand auf der Tischoberfläche, der vermutlich von dem Glas Milch stammte, das mittlerweile leicht eingetrocknet am anderen Ende des Tischs stand. Der Anblick des Wimmelbilds auf dem Tisch lenkte mich derart ab, dass ich zunächst nicht merkte, dass mir Jana geduldig wartend einen Kugelschreiber entgegenstreckte. Beim Entgegennehmen überkam mich kurz das Verlangen, mit der Stiftspitze in einem weiteren nicht identifizierbaren Gegenstand auf dem Küchentisch zu stochern, um ihn auf Vitalzeichen zu überprüfen. Dann besann ich mich aber eines Besseren und setzte mit einem Anflug von Resignation meine Unterschrift aufs Blatt. Im Hintergrund meinte ich, die Wollmäuse leise applaudieren zu hören.

Mittwoch, 11. September

Den finalen Umzug in mein neues Zuhause habe ich so lange hinausgezögert, wie ich nur konnte, und bin erst am letzten Tag vor Schulbeginn in meine neue Bleibe zurückgekehrt. In der Zwischenzeit sind weitere Mitbewohner eingetroffen. Neben Faruk, der den Wach-Schlaf-Rhythmus einer Fledermaus besitzt und mir hin und wieder nachts in der Küche auflauert, um mich (erfolglos) in Small Talk zu verwickeln, während ich im Halbschlaf versuche, mir den Weg ins Badezimmer zu bahnen, wohnen hier noch Leon, ein zweiundzwanzigjähriger Lehramtsstudent mit zu vielen Fragen, Petra, die »irgendwas mit Medien« macht, und Hadim, ein achtundzwanzigjähriger Erasmus-Student aus Ägypten, der jedoch hauptsächlich damit beschäftigt ist, die Wohnung mit lauten Telefongesprächen mit Freunden und Familie zu beschallen, was somit ein Einschlafen vor Mitternacht nur schwer möglich macht.

Trotz aller Störfaktoren konnte ich dank meines frisch bestellten 50er-Packs Ohropax die Nacht vor meinem ersten Schultag so gut durchschlafen, dass ich erst aufwachte, als der Wecker schon eine beachtliche Lautstärke erreicht hatte.

»Alexa, halt’s Maul!«, donnerte ich entnervt in den dunklen Raum hinein. Ich würde mich eher als Morgenmuffel bezeichnen.

Mühsam befreite ich mich aus der Bettdecke, die sich in der Nacht wie eine Wurstpelle um mich gewickelt hatte, und schmiss mich hektisch in meine Klamotten, die ich glücklicherweise schon gestern herausgesucht hatte. Dann packte ich schnell meinen Schulranzen und schwang mich auf mein Fahrrad. Erst draußen fiel mir auf, dass es noch nahezu dunkel war. Perplex überprüfte ich die Uhrzeit und stellte fest, dass ich in den letzten Jahren meines Studiums nie vor Sonnenaufgang aufstehen musste und es im Herbst um 7:15 Uhr noch dunkel war. Leider blieb wenig Zeit, mein neues Erwachsenenleben und die damit einhergehenden unmenschlichen Arbeitszeiten zu verfluchen.

Ich überlegte kurz umzudrehen, um die ansteckbaren Fahrradlichter aus meinem Zimmer zu holen, beschloss dann aber, dass es dafür schon zu spät war, und radelte los. Als ich vor einer roten Ampel scharf bremsen musste, zog prompt ein grantiger älterer Mann mit reflektierenden Knöchel-Clips und komplementärer Warnweste auf seinem Fahrrad an mir vorbei und blökte laut: »Wo is na dei Licht, du dumme Zieeeche!?«

»Guten Morgen, Oberfranken«, murmelte ich vor mich hin und konnte mich gerade noch davon abhalten, ihm eine Unflätigkeit hinterherzurufen. Nach weiteren fünf Minuten Radstrecke, die mich weitestgehend über Kopfsteinpflaster der Altstadt führten, kam ich durchgeschüttelt und mit einer soliden Grund-Genervtheit im Pausenhof der Schule an, stellte mein Fahrrad ab und blickte mich um.

Der Pausenhof war ringsherum von den Wänden des U-förmig angeordneten Schulgebäudes gesäumt, welches offensichtlich aus einem charmanten Altbau und einem hässlichen Neubau aus roten Backsteinen bestand. In der linken und rechten Ecke des Hofs führten einige Stufen zu den jeweiligen Seiteneingängen, durch die sich die letzten Schüler drängelten, um noch rechtzeitig in den Unterricht zu kommen. Ich drehte mich mehrmals verwirrt im Kreis und ließ meinen Blick über das Gebäude wandern. Der Haupteingang war einfach nirgends zu entdecken. Da ich spät dran und heftig von der bloßen Architektur der Einrichtung genervt war, suchten meine Augen den Pausenhof vergeblich nach irgendeinem Erwachsenen ab, um ihn nach dem Weg zu fragen. Zum Glück sah ich geradeso im Augenwinkel einen ungefähr sechzehnjährigen Schüler Richtung Schulhaus schlendern, der sich von der soeben ertönenden Schulklingel nicht nachhaltig beeindrucken und sein langsames Schritttempo unverändert ließ.

»Entschuldige, warte mal!«, schrie ich und rannte ihm hinterher. Der Junge blieb stehen, drehte sich langsam zu mir um und schaute mich irritiert an. Langsam führte er seine Hand zu seinem Ohr und zog einen In-Ear-Kopfhörer heraus.

»Könntest du mir sagen, wo der Haupteingang ist? Ich muss zum Sekretariat.«

Er musterte mich von oben nach unten und grinste breit. »Ja klar. Das ist im ersten Stock. Wenn du willst, bringe ich dich!«

»Nein, das ist wirklich nicht nötig«, versuchte ich ihn abzuwimmeln. Sein intensiver Blick irritierte mich ein bisschen, und ich hatte den starken Verdacht, dass er in mir eher eine neue Mitschülerin als eine neue Lehrkraft vermutete. Zugegeben, ich fasste es insgeheim als Kompliment auf. (Anscheinend hat mich das Erste Staatsexamen zumindest optisch noch nicht komplett zugrunde gerichtet!)

»Du kannst mir einfach nur grob sagen, wo ich lang muss, alles gut!«

»Ach, ich muss da eh hin«, sagte er und setzte sich in Bewegung. Bevor er noch auf die Idee kam, sich bei mir einzuhaken, lief ich ihm widerwillig nach. Er führte mich die linke Seitentreppe hinauf und zog an der schweren Glastür, an der ein Zettel mit der Aufschrift Studienreferendare ins Lesende Klassenzimmer hing. Selbst wenn ich das Schild allein gefunden hätte, wäre ich aufgrund dieses unnützen Hinweises genauso schlau wie zuvor gewesen und fühlte mich gleich weniger schlecht, den Pseudo-Casanova um Hilfe gebeten zu haben. Ich tippte mit einem Finger auf den Zettel und sagte: »Was auch immer ein Lesendes Klassenzimmer ist, da muss ich hin.« Der Junge warf einen flüchtigen Blick auf das Schild und erwiderte mit einem Anflug von Enttäuschung in seiner Stimme: »Ach, Sie sind Referendarin?«

Aufgrund des abrupten Pronomenwechsels war ich kurz verleitet, ihn ebenfalls zu siezen, grinste aber bloß und nickte bejahend. Er inspizierte mich noch einmal kurz (wohl um zu überprüfen, ob es an mir eindeutige Lehrer-Merkmale gab, die er in seinem ersten Scan übersehen hatte) und setzte sich dann in Bewegung. Schweigend lief ich neben ihm her und betrachtete im Gehen die unbeholfen wirkenden Schüler-»Kunstwerke« an den Wänden. Den nächsten da Vinci würde diese Schule schon einmal nicht hervorbringen.

Auf dem Gang huschten noch einige verspätete Schüler in die Klassenzimmer. Aufgrund der neuen Informationslage war die Stimmung zwischen mir und meinem Begleiter ein bisschen angespannt. Am Ende des Gangs gelangten wir zum Treppenhaus und liefen ein Stockwerk nach oben. Nachdem wir erneut eine gläserne Zwischentür durchquert hatten, erkannte ich, dass wir den Gang des Sekretariats und des Lehrerzimmers erreicht haben mussten, da es nach einer Mischung aus Filterkaffee und schwerem Damenparfüm roch. Vor einer Glastür blieb der Junge endlich stehen. Durch die Scheibe erkannte ich einen mit Teppichboden ausgelegten Raum, an dessen Wänden mehrere Bücherregale angeordnet waren. In der Mitte befanden sich Tische, an denen bereits einige Menschen saßen. Mit einem knappen »So, da wären wir« bedeutete mir der Junge, dass wir unser Ziel erreicht hatten.

»Das war wirklich sehr nett von dir«, bedankte ich mich bei ihm. »Ich hoffe, du kriegst keinen Ärger, wenn du zu spät in den Unterricht kommst, aber ein Alibi hast du wegen mir jetzt ja …«, sagte ich und grinste breit, um ihm zu signalisieren, dass ich seinen Plan von Anfang an durchschaut hatte. Er erwiderte mein Grinsen, womit ich mich in meiner Theorie bestätigt fühlte. Wortlos hob er die Hand zum Gruß und verschwand leise im Treppenhaus. Ich atmete tief ein und betrat den Raum.

Etwas verloren blickte ich mich um und betrachtete die fünf Personen, die teilweise in Gespräche vertieft, teilweise aber auch etwas eingeschüchtert auf den Sitzen Platz genommen hatten und mich freundlich anschauten, als ich ein kollektives »Hallo« in die Runde warf. Da ich nach meiner frischen Erfahrung auf Nummer sicher gehen wollte, fragte ich: »Seid ihr die neuen Referendare?«

»Ja genau, du bist richtig! Komm rein, hier neben mir ist noch ein Platz frei!«, grüßte mich eine junge Frau mit drahtiger Figur und bauschiger Haarpracht. Aufgrund ihrer Frisur und schnellen Sprechweise erinnerte sie mich ein bisschen an Hermine Granger. Ich würde sie auf Mitte zwanzig schätzen.

»Kommst du aus Bayreuth? Ich habe hier studiert, aber eigentlich bin ich aus Erlangen. Machst du auch Deutsch und Geschichte? Ich bin richtig gespannt auf die Seminarlehrer. Ich habe eine Freundin, die …«, fuhr sie maschinengewehrartig fort. Bevor ich wusste, wie mir geschah, bugsierte sie mich zum Platz neben sich und redete weiter auf mich ein. Im Vorbeigehen konnte ich einen flüchtigen Blick auf die anderen Kollegen werfen. Ein Typ mit großer Hipster-Brille lächelte mir mitleidig zu und bedeutete mir, dass er die Kassette, die mir das Mädchen gerade ins Ohr schob, wohl auch bereits hatte anhören müssen. Erst als die Dauerbeschallung abriss, merkte ich, dass Hermine mir wohl eine Frage gestellt haben musste. Ihr durchdringender Blick schien die Theorie zu bestätigen.

»Entschuldige … was meintest du?«, fragte ich vorsichtig.

»Ich hab nur gesagt, wie ich heiße. Ich heiß Claudia, und du?«

»Ich nicht«, erwiderte ich etwas gedankenverloren. Der Hipster mit der großen Brille lachte laut auf, verstummte jedoch sofort wieder, als er merkte, dass Hermine-Claudia nicht einstimmte, und blickte etwas verschämt nach unten.

(Ich finde ihn bisher am sympathischsten.)

»Ich heiße Susi«, lenkte ich ein, da ich mich aufgrund meiner schroffen Antwort etwas schlecht fühlte. »Ich komme aus München, und meine Fächer sind Englisch und Italienisch.«

»Echt? Cool! Sag mal was auf Italienisch!«

Immediatamente verspürte ich das Bedürfnis, meinen Kopf auf die Tischplatte vor mir zu schlagen. Ich atmete dagegen an und sagte mit der freundlichsten Stimme, die ich aufbringen konnte: »Smettila o ti ucciderò!«

Claudia klatschte begeistert in die Hände und rief: »Das hört sich ja toll an!« In einem kläglichen Anlauf versuchte sie den italienischen Satz zu wiederholen.

»Smett… o ti … Hä, Moment. Wie ging das? Und was bedeutet das überhaupt?«

»Halt endlich die Klappe, oder ich bring dich um!«

Plötzlich wurde es still im Raum. Die anderen blickten abwechselnd mich und dann Claudia an. Während drei den Anschein machten, als könnten sie nicht begreifen, was sie gerade gehört hatten, sah ich, wie sich die Blicke des Brillenhipsters und eines blonden Mädchens trafen. Ein Lächeln huschte über ihre Mundwinkel.

Geht doch, dachte ich mir. Da waren sie also, meine neuen Lieblingskollegen …

Hier ein Schnelldurchlauf meiner Mitreferendare:

DANIEL: Teddybär mit leichtem Bauchansatz und sich langsam lichtendem Haar. Lispelt leicht und beginnt jeden Satz mit »Ach so … ja ähm …«. Seine Witze versteht nur er, macht aber nichts, dafür gluckst er selbst am lautesten darüber. Kleidungsstil: leicht zu enge Klamotte mit lustigem Aufdruck, gern in Kombination mit Sakko und Hose von dem, was wohl mal sein Konfirmationsanzug gewesen ist. Er ist sowohl privat als auch im Unterricht super clumsy und verpeilt. Kein Fettnäpfchen ist vor ihm sicher, um sein ultimatives Ziel zu erreichen: von seinen Schülern gemocht zu werden.

JULIAN: Hipster mit Brille, Wollmütze und Schnurrbart. Hat den Charme, den ich a) gerne hätte und der sich b) insbesondere durch die Tatsache auszeichnet, dass er sich dessen nicht bewusst ist. Wäre auch viel zu anstrengend bei der Verfolgung einer unausgewogenen Work-Life-Balance – ein Gemisch aus viel lifen und wenig worken. Wird hundertprozentig der Schülerinnen-Crush unseres Jahrgangs.

MANUELA: Müsste ich meine Kollegen optisch mit Computern vergleichen, wäre Julian ein neues MacBook Pro mit Liquid Retina XDR Display, während Manuela eher einem in die Jahre gekommenen MEDION-Laptop gleichkäme, der bereits allein durch das morgendliche Booten sämtliche Energiereserven aufgebraucht hat und permanent »Ich gehe auf dem Zahnfleisch« auf dem Display anzeigt – eine Tatsache, die sich nebenbei durch das gequälte Geräusch des auf Hochtouren laufenden Lüfters bemerkbar macht. Die Äußerung von Extrawünschen bei der Direktorin und der Seminarlehrerin sind ihr nicht fremd, auch wenn das mitunter auf Kosten der Kollegen geht. Egal, denn die scheinen die für den Lehrerberuf erforderliche Reife ohnehin noch nicht zu besitzen. Das wird in Muddis Welt durch die alleinige Tatsache belegt, dass sie es bisher verpasst haben, sich selbst fortzupflanzen und aggressiven Veganismus zu betreiben.

CLAUDIA: Was Julian an Ehrgeiz fehlt, wird im Ref-Squad durch Claudia ausgeglichen. Ob Atomkrieg, Fallout oder Unterrichtsbesuch: Mit ihrem Schulequipment, bestehend aus mindestens zehn Jutebeuteln, zwei Ledertaschen und einem CD-Player, ist sie auf jede Eventualität akribisch vorbereitet! Auf dem direkten Weg zum Einser-Examen geht ihr die Nonchalance von Julian auf den Sack. Sie bringt keinerlei Verständnis für Manuela auf und lässt ihre gesammelten Aggressionen mit Vorliebe an Daniel aus.

SABINE: Verglichen mit den restlichen Kollegen ist Sabine die Einzige, der ich nicht in den ersten Sekunden des Kennenlernens einen Stempel aufdrücken konnte – was automatisch ein positives Zeichen darstellte. Während ich schon fast angenommen hatte, dass ich bei der Stellenausschreibung überlesen hatte, dass ein ausgeprägter Sockenschuss wohl Voraussetzung für die Einstellung war, machte mir Sabine Hoffnung, dass sie keine der Personen war, die mir ständig auf den Keks gehen würden, ohne dafür irgendetwas aktiv unternehmen zu müssen.

ICH: Ich bin jetzt schon überrascht darüber, wie wenig Lust ich darauf habe, die nächsten zwei Jahre mit diesen Gestalten zu verbringen.

Später am selben Tag

Ich schwöre Treue dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung des Freistaates Bayern, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten, so wahr mir Gott helfe.

Mir gefiel die Selbstironie meiner Schule, die angehenden Lehrkräfte ihren Amtseid über die »gewissenhafte Erfüllung ihrer Amtspflichten« in dem einzigen Raum des Schulhauses ablegen zu lassen, der mit muffigem Teppichboden ausgelegt war und Sitzsäcke zum Ausruhen und Entspannen beherbergte. Selbst wenn ich dem ganzen Prozedere Bedeutung zugemessen hätte, war der letzte Funke Ehrfurcht im Handumdrehen verflogen. Während ich also dastand, meine flache Hand zum Schwur erhoben, fühlte ich mich stark an die Taufe von Leonie zurückerinnert, bei der ich in der Rolle der Patentante aufgefordert wurde, »dem Teufel und all seinen Werken« zu entsagen.

Heute fehlten allerdings die Blicke meiner Verwandten, die mich mit hochgezogenen Augenbrauen ungläubig (im doppelten Sinne) anstarrten, während ich mit unterdrücktem Lachen ein »Ja« zwischen meinen Zähnen hervorpresste.

Der Eid ist wohl ein letzter verzweifelter Versuch des Freistaats, sich gegen die potenzielle Infiltration unrechtsstaatlicher Ideologen zu schützen, welche selbstverständlich bei falsch geschworenem Eid sofort in Flammen aufgehen würden. Aus meiner einschlägigen Erfahrung als Teilzeit-Antichrist kann ich jedoch mitteilen, dass dieser Effekt entgegen aller Erwartungen ausbleibt … Wohl genau aus diesem Grund hatten ich und meine Kollegen im Vorfeld bereits den »Fragebogen zur Überprüfung der Verfassungstreue« ausgefüllt, der sich derart perfider und tiefenpsychologischer Auslotungstechniken bediente, dass die Validität der Testergebnisse nur knapp von der eines BRAVO-Psychotests übertroffen wurde.

Die Subtilität wird dabei lediglich von der der US-amerikanischen Einwanderungsbehörde übertroffen. Dort werden Einreisende meines Wissens nach an der Grenze nonchalant mit Fragen zu deren Absichten, »sich an Terroranschlägen, Spionage, Sabotage oder Völkermord zur beteiligen«, konfrontiert.

Noch während der Beantwortung der Fragen hatte ich überlegt, ob ihre offenkundige Sinnlosigkeit den eigentlichen Test darstellte. Nach Rückbesinnung auf das Telefonat mit der Sachbearbeiterin kam ich allerdings zu dem Schluss, dass diese komplexe Denkweise seitens des Ministeriums ausgeschlossen werden konnte.

Die Dame, die uns innerhalb von dreißig Sekunden auf maximal unspektakuläre Art und Weise zu bayerischen Beamten auf Widerruf ernannt hatte, stellte sich uns dann als Schuldirektorin Frau Dr. Binder-Liebig vor. Anschließend blickte sie in die Runde und schüttelte langsam ihren Kopf, wobei die Haare ihres akkurat geschnittenen Kurzhaar-Bobs an den Seiten ihrer Wangen sanft vor- und zurückwippten.

»Sie alle haben einen teuren Taxischein gemacht«, eröffnete sie ihre Willkommensrede und legte eine gedankenschwere Pause ein, die sie nutzte, um uns mit leicht nach unten geneigtem Kopf über ihre auf die Nasenspitze vorgezogene Brille hinweg anzusehen. »Vergessen Sie nie: Noch nicht mal die besten Absolventen können heute mit einer Planstelle rechnen. Aber in vier bis fünf Jahren könnte die Situation für Sie besser werden! Hoffen wir das Beste …«

Gelangweilt blickte ich mich im Raum um und betrachtete meine neuen Kollegen, die dieser Rede wenig beeindruckt lauschten.

Die schlechten Bedarfsprognosen an Lehrern sind ein Hinweis, der niemanden mehr großartig zu schockieren scheint, schließlich waren wir diese Art von schwarzmalerischen »Begrüßungsreden« bereits von unseren Uni-Professoren zu jedem Semesterbeginn gewohnt. Dennoch hatten wir uns offensichtlich allen Warnungen zum Trotz dazu entschieden, das Studium weiterhin zu verfolgen und abzuschließen. Viele von uns womöglich aus Blauäugigkeit, ich für meinen Teil jedoch aufgrund des allgemein bekannten Mantras: Auf nichts ist derartig Verlass wie auf die Fehlerhaftigkeit der Bedarfsprognosen des Kultusministeriums, dessen Bedarfsprognosen lediglich aus zwei Extremen bestehen: Jahrelang wird der Lehrerberuf so unattraktiv wie möglich gestaltet, die Verbeamtung in Frage gestellt, Stellen gestrichen und so weiter, bis dann urplötzlich ein akuter Lehrermangel herrscht und alles eingestellt wird, was nicht bei drei auf den Bäumen ist …

Die Brandrede von Frau Dr. Binder-Liebig war also angesichts der Tatsache, dass wir trotz der schlechten Aussichten vor ihr saßen, derart überflüssig, dass sie allem Anschein nach einfach nur dazu gedacht war, uns schon vor dem eigentlichen Dienstantritt zu demoralisieren.

Ich hatte das Gefühl, dass hinter der freundlichen Fassade womöglich meine neue Nemesis lauern würde.

Frau Dr. Binder-Liebig rückte ihre Brille zurecht und führte uns dann durch sämtlichen Papierkram, der zur Aufnahme eines bayerischen Beamten in den Staatsdienst anscheinend notwendig war und die Herausgabe von mehr Informationen verlangte als sämtliche Social-Media-Plattformen zusammen. Lediglich Fragen zu Schuhgröße und Stuhlgangfrequenz blieben dabei aus.