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Von der Streifenpolizistin zur FBI-Agentin: Bei der Behavioral Analysis Unit in Quantico wähnt Sadie sich am Ziel. Der erste Fall in ihrem neuen Team führt sie nach Utah, wo seit Jahren immer wieder Tote in der Wüste gefunden werden. Alle Morde haben eins gemeinsam: Der Täter hat seine Opfer ausgesetzt, um gezielt Jagd auf sie zu machen. Die Ermittlungen sind in vollem Gange, als Sadie eine Hiobsbotschaft erreicht: Während der Verlegung in ein anderes Gefängnis ist ihrem Vater, dem berüchtigten Oregon Strangler, die Flucht gelungen. Ein vergessen geglaubter Alptraum holt sie ein …
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Veröffentlichungsjahr: 2016
Dania Dicken
Die Seele des Bösen
Erbarmungslose Jagd
Sadie Scott 2
Psychothriller
Und schießlich gibt es das älteste und tiefste Verlangen, die große Flucht: Dem Tod zu entrinnen.
J.R.R. Tolkien
Inzwischen atmete sie nur noch Staub. Er versteckte sich überall, war in jede Ritze ihrer Kleidung eingedrungen. Er klebte auch auf ihren Wangen, hatte sich mit ihren Tränen vermischt und war in den kleinen Rinnsalen getrocknet.
Alles in ihr rebellierte. Ihre Füße waren bleischwer, ihre Muskeln schmerzten. Die Luft war so trocken, dass sie trotz der Hitze kaum schwitzte. Aber sie hatte Kopfschmerzen. Die kamen von der erbarmungslos brennenden Sonne und dem Wassermangel.
Aber sie befand sich mitten im Nirgendwo und wusste, wenn sie jetzt aufgab, war sie tot. Und das nicht nur, weil sie verdursten oder an einem Hitzschlag sterben konnte. Nein, das allein war nicht der Grund.
Ihr Mund war ausgedörrt, vor ihren Augen tanzten Sternchen. Und doch lief sie zwischen den Felsen hindurch und versuchte, weiterhin einen Fuß vor den anderen zu setzen. Vielleicht konnte sie ja entkommen. Sie musste es zumindest versuchen.
Es war fraglich, ob sie noch jemand suchte. Immerhin war sie schon seit Wochen verschwunden. Vermutlich hielt jeder sie für tot. Sie hätte es jedenfalls getan. Oft genug hatte sie auch geglaubt, dass sie sterben würde.
Es war so heiß. Dass der Hochsommer in Utah sich so anfühlte, war für sie nichts Neues. Sie war in der Wüste aufgewachsen, hatte schon viele Tage erlebt, die die Vierzig-Grad-Marke knackten. Aber da war sie nicht allein und verängstigt durch eine endlose Einöde voller Sand, Felsen und Staub gestolpert, nicht wissend, in welche Richtung sie überhaupt lief.
Nervös drehte sie sich um und hoffte, ihn nicht am Horizont sehen zu müssen. Eine Träne löste sich aus ihrem Auge, doch das milderte das Brennen kaum. Geblendet blinzelte sie in die Richtung der Sonne und strich sich die verfilzten Haare aus der Stirn. Der Wind, der über ihr Gesicht strich, war warm. Die verdammte Hitze war überall.
Sie wusste, irgendwo in der Nähe musste ein Highway sein. Wenn sie den fand, war sie gerettet. Ein vorbeifahrendes Auto konnte sie aufsammeln und mitnehmen. In Sicherheit bringen. Endlich ...
Wohin sie sich auch drehte, sie konnte bis zum Horizont nur Wüste sehen. Kein Baum, kein Strauch, kein Weg, nichts. Gar nichts.
Es war nun schon der zweite Tag, an dem sie durch die Wüste irrte. Nach Wochen in Dunkelheit und Angst hatte er sie in der sengenden Sonne ausgesetzt und die Jagd eröffnet. Kate hatte aufgegeben, sich zu fragen, warum er das tat. Sie hatte sich schon mehrfach tot gesehen, aber sie lebte immer noch. Sie durfte nicht aufgeben, zu hoffen.
Der rote Wüstenstaub brannte in den Augen. Müde schleppte sie sich voran, wollte nicht aufgeben. Noch nicht. Sie wollte zurück nach Hause, zu ihrem Hund Mickey und den –
Mit einem Schrei landete sie im Sand und griff instinktiv nach ihrem Fußknöchel. Sie war auf einen spitzen Stein getreten und umgeknickt. Das schmerzhafte Pochen in ihrem Knöchel führte es ihr vor Augen. Erneut schossen ihr die Tränen in die Augen, aber sie kämpfte sie mühsam zurück und versuchte, aufzustehen. Das gelang ihr noch, aber schon der erste Schritt schmerzte wie die Hölle. Ein heftiger Schmerz schoss durch ihr ganzes Bein.
„Nein“, stieß sie schluchzend hervor und sah sich hilfesuchend um. So durfte es nicht enden. Sie musste weiter. Jemand musste sie finden. Sie würde sterben, wenn sie jetzt aufgab.
Und das wollte sie nicht.
Also versuchte sie es. Erschöpft, hungrig und durstig schleppte sie sich weiter voran, jeden Schritt unter furchtbaren Schmerzen ertragend. Aber es ging hier um ihr Leben, deshalb biss sie die Zähne zusammen und kämpfte sich weiter voran. Sie hatte keine Wahl. Sie wollte doch Mickey wiedersehen und Mark ... und ihre Mum.
Ihr Knöchel wurde dick. Sie ging trotzdem weiter. Und wenn es das Letzte war, was sie tat.
Dieser Kerl durfte nicht siegen. Das hatte er nicht verdient. Er durfte sie nicht wieder finden und jagen ... oder sie fangen.
Oder töten.
Kate glaubte immer noch, dass er das vorhatte. Er konnte es sich nicht leisten, sie entkommen zu lassen. Nicht nach dem, was er ihr angetan hatte. Sie konnte ihn beschreiben, gegen ihn aussagen, ihn schwer belasten. Kate glaubte nicht, dass er sie wirklich entkommen ließ – aber sie musste es versuchen. Das war die einzige Chance, die sie noch hatte. Eine Chance, mit der sie ja gar nicht gerechnet hatte.
Oder hatte er sie in der Wüste ausgesetzt, damit sie dort starb? Wenn sie nicht bald Hilfe fand, war ihr Leben nicht mehr viel wert. Ihre Haut war verbrannt und schmerzte, die Wüstenhitze war überall. Kein Schatten, kein Versteck, kein Erbarmen.
Halb ohnmächtig vor Durst drehte sie sich um und versuchte, am Stand der Sonne abzulesen, wie spät es war. Wann die Sonne untergehen und sie endlich verschonen würde.
Doch was sie sah, schürte nur ihr Entsetzen. Am Horizont war, vor einer Staubwolke, ein Auto zu sehen.
Das war er. Er kam zurück. Kate stieß einen gequälten Laut aus und versuchte, loszulaufen, doch ihre bleischweren Füße bewegten sich nur noch langsam. Er durfte sie nicht kriegen. Sie wollte noch nicht sterben. Die Welt verschwamm hinter Tränen.
Inzwischen konnte sie das Auto hören. Panisch drehte sie sich um und versuchte, schneller zu laufen, als sie sah, wie nah der Wagen inzwischen gekommen war. Gequält schrie sie auf, als sie sah, dass der Kerl bereits mit seiner Waffe auf sie zielte. Sie war schutzlos.
Dann knallte es.
Nachdem die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, fühlte sie sich einsam. Es war noch düster in der Wohnung und vollkommen still, so dass sie sogar das Rauschen der Interstate ein paar Blocks weiter noch hören konnte. Nur die Lichter der Stadt erhellten die Wohnung soweit, dass Sadie schemenhaft die Umrisse der Umzugskartons wahrnehmen konnte, die sich überall stapelten.
Das alles fühlte sich noch so unwirklich an. Der Umzug war viel schneller vonstatten gegangen, als Sadie zuvor erwartet hatte. Aber nun war es soweit.
Als sie das Heulen von Polizeisirenen hörte, dachte sie gleich an Matt. Vielleicht saß er gerade im Streifenwagen und hatte noch einen Einsatz. Wie das war, wusste sie aus eigener Erfahrung gut genug. Feierabend war dann, wenn Feierabend war. Im kleinen Waterford war das zwar zumeist pünktlich gewesen, aber Dale City war nicht Waterford.
Sie streckte die Hand nach dem Lichtschalter aus und blinzelte geblendet, als die Deckenlampe aufflammte. Das sah noch nicht nach einem Zuhause aus, aber sie waren ja auch erst seit einer guten Woche dort. Das Bett stand, die Küche funktionierte und man konnte duschen, das Überleben war also gesichert. Der Rest würde seine Zeit brauchen. Der noch wenig gemütliche Charakter der Wohnung trug jedoch dazu bei, dass sie sich einsam fühlte und erneut daran zweifelte, ob der Umzug die richtige Entscheidung gewesen war. Der Umzug – und die Arbeit beim FBI.
Dabei war das eigentlich falsch, denn bei der Behavioral Analysis Unit fühlte sie sich jetzt schon wohl. Allerdings lebte sie jetzt auf der anderen Seite des Landes, Tausende Meilen von ihrer Familie und ihren Freunden entfernt. Das Gefühl der Einsamkeit war dasselbe wie damals, als sie an der Academy die Ausbildung gemacht hatte. Sie hatte das fiese Knabbern dieses Gefühls unterschätzt.
Wenigstens war sie nicht ganz allein. Zumindest in der Theorie, denn irgendwann würde auch Matt nach Hause kommen.
Sadie ging in die Küche und warf einen Blick in den Kühlschrank. Das Chop Suey vom Vortag wirkte nicht unattraktiv auf sie. Sie verteilte ungefähr die Hälfte davon auf einem anderen Teller und stellte ihn in die Mikrowelle.
Um neben dem Summen des Gerätes für ein wenig Leben in der Wohnung zu sorgen, arbeitete sie sich an den Kartons vorbei zum Fernseher und schaltete ihn ein. Gerade liefen Nachrichten, was ihr nur recht war. Etwas Schlimmes würde diesmal nicht dabei sein, da konnte sie ziemlich sicher sein.
Nach einem kurzen Umweg über das Badezimmer war das Essen fertig. Die Mikrowelle piepte und Sadie holte den Teller heraus. Damit setzte sie sich in einer Ecke des Raumes an den kleinen Klapptisch, den sie provisorisch für die Mahlzeiten aufgestellt hatten.
Am meisten fehlten ihr die Katzen. Solange sie noch nicht richtig eingezogen waren, hatte sie die beiden Tiere zu Norman und Fanny gegeben. Sie war auch nicht sicher, ob die Katzen akzeptieren würden, dass sie nun in einer Wohnung in der dritten Etage lebte. In Waterford waren sie ein und aus gegangen, wie es ihnen beliebte, hatten einen Garten und eine ruhige Straße gehabt, die sie durchstreifen konnten. In Dale City sah das anders aus. Zwar war die Stadt sehr grün, aber auf die Schnelle hatten sie nur etwas in einem Apartmenthaus gefunden. Sie hatten sich auch deshalb dafür entschieden, die Wohnung zu nehmen, weil Matt sehr unkompliziert eine Versetzung nach Dale City bekommen hatte und Quantico nicht weit entfernt war. So gesehen war es eigentlich praktisch.
Sadie hörte der Nachrichtensprecherin gar nicht richtig zu. Gedankenversunken stocherte sie im Chop Suey herum und versuchte, nicht an Waterford zu denken. Oder daran, wie überrascht, beinahe geschockt Tessa gewesen war, als sie ihr vor drei Wochen gesagt hatte, dass sie mit Matt nach Quantico gehen würde. Auch Phil und Mike hatten sich nicht gefreut. Ganz im Gegensatz zu Norman, der ihr von Herzen gewünscht hatte, nun endlich ihr Potenzial vollständig ausschöpfen zu können.
Sie alle fehlten ihr entsetzlich. Das überraschte sie nicht, denn sie hatte damit gerechnet, dass sie Heimweh haben würde. Durch den überstürzten Abschied hatte sich das nur verschlimmert. Der lag aber darin begründet, dass das Dale City Police Department dringend jemanden zum Monatsanfang gesucht hatte und sie auch sehr schnell die Wohnung gefunden hatten. Sadie hatte bei Mike fast ihren gesamten verbliebenen Jahresurlaub genommen, um gleich mit nach Virginia gehen zu können, und seit dem Wochenanfang war sie auch schon Teil der BAU. So, wie sie es sich immer gewünscht hatte, und sie hatte auch endlich den Mann im Leben, den sie sich immer so gewünscht hatte.
Aber trotzdem war sie nicht glücklich. Ganz im Gegenteil. Sie biss sich auf die Lippen, während sie zum Fernseher blickte, und war froh, nicht wieder eine Schreckensnachricht zu hören, die ihr ganzes Leben einstürzen ließ.
Sie stellte den Teller beiseite und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Matt hatte noch mehrmals mit der Polizei in Oregon telefoniert und erfahren, dass Rick Foster bald in ein anderes Hochsicherheitsgefängnis verlegt werden würde, weil für ihn außerhalb des Todestraktes in seinem Gefängnis kein Platz mehr war. Das Oregon State Penitentiary war hoffnungslos überfüllt.
Er würde also einen Fuß aus dem Knast setzen. Er würde durch die Gegend kutschiert werden und den Rest seiner nun lebenslangen Haftstrafe in irgendeinem Gefängnis absitzen, wo er noch ganz andere Annehmlichkeiten haben würde. Sadie konnte nicht fassen, dass die Staatsanwaltschaft sich wirklich darauf eingelassen hatte, einem Serienmörder die Todesstrafe zu erlassen. Bei vielen anderen Tätern wurde erbittert daran festgehalten, auch wenn Zweifel an ihrer Schuld bestanden. Doch nicht so bei Rick Foster. Ausgerechnet. Er hatte sich sein Leben mit der Preisgabe seiner letzten Opfer erkauft. Sadie hätte alles dafür gegeben, dass ihr Vater aus ihrem Leben verschwand, aber das würde er wohl nicht tun.
Eine Träne löste sich aus ihrem Auge. So war sie dazu verdammt, weiterhin jeden Menschen über ihre Identität zu belügen, der bis jetzt nicht wusste, wer sie war. Wenigstens galt das nicht für Matt ... sie hätte es nicht ertragen, das für immer vor ihm geheim zu halten.
Scheu wischte sie die Träne weg und biss die Zähne zusammen. Jahrelang hatte sie ihren Vater ignorieren und vergessen können, doch nun spukte er seit Wochen in ihrem Kopf herum. Das Wissen darum, dass er am Leben bleiben würde, machte sie wahnsinnig. Obwohl sie sich eigentlich nicht für konservativ hielt und nie im Leben die Republikaner gewählt hatte, hatte sie zur Todesstrafe eine ganz klare Meinung. Sie konnte nicht anders. Wer als Kind den Tod der eigenen Familie bezeugte und selbst fast vom Vater ermordet wurde, dem blieb kaum eine Wahl. Gläubig war sie nicht und sie hielt nicht viel von Vergebung. Nachdem er über zwanzig Menschen umgebracht hatte, hatte er es in Sadies Augen nicht verdient, noch am Leben zu sein.
Mit geballten Fäusten saß sie da und rief sich zur Ordnung. Sie konnte nichts mehr tun. Sie musste jetzt akzeptieren, dass das so war. Er hatte seinen Deal bekommen und jetzt gab es nichts mehr, was sie dagegen hätte tun können. Das war lächerlich, aber so waren die Fakten. Es ging ihr gar nicht darum, dass sie mit ihrer neuen Identität haderte – aber sie hasste es, zu lügen.
Sie atmete tief durch, stand auf und brachte den Teller zur Spüle. Seufzend stützte sie sich an der Arbeitsplatte ab. Ihr war klar, dass es niemandem half, wenn sie sich nun pausenlos darüber ärgerte. Trotzdem wusste sie nicht, wie sie nun damit umgehen sollte. Sie wusste es einfach nicht.
Seufzend beschloss sie, bei Tessa anzurufen. Ihre beste Freundin hatte bestimmt Zeit für sie. Sie liebte Multitasking ohnehin.
Tatsächlich war Tessa zu Hause. Erst klang sie gelangweilt, aber dann stieß sie einen Freudenschrei aus, als sie Sadie hörte.
„Du bist es! Dass du auch noch lebst.“
„Warum sollte ich nicht leben?“
„Ich dachte, du bist jetzt total überarbeitet oder sowas.“
„Nein, ich bin nur beim FBI“, sagte Sadie lachend. „Die knechten mich nicht.“
„Ist ziemlich öde hier ohne dich“, sagte Tessa unverblümt. „Wie ist es bei euch?“
„Okay“, erwiderte Sadie. „Die Wohnung ist total chaotisch und ich vermisse meine Fellmonster.“
„Oh, das glaub ich. Wie geht es Matt?“
Sadie seufzte. „Das ist das Problem. Ich bin gern beim FBI, aber er muss in Dale City Streife fahren.“
„Was? Er hat doch viel mehr Erfahrung!“
„Entsprechend kannst du dir denken, wie ihn das frustriert.“
„Mhm“, machte Tessa. „Das ist Mist. Was sagt das FBI dazu?“
Sadie fuhr sich durchs Haar. „Das wissen wir noch nicht. Matt ist allerdings nicht so zuversichtlich. Er hat die Schießprüfung versaut.“
„Verdammt. Jetzt hast du Angst, dass er bereut, mitgegangen zu sein?“
„So ungefähr“, murmelte Sadie. „Oder dass er zurückgeht, wenn das FBI ihn nicht nimmt. Ewig Streife fahren will er bestimmt nicht.“
„Ach, muss er bestimmt auch nicht! Mädel, er verlässt dich schon nicht. Weißt du noch, wie du dir vor kurzem seinetwegen solche Sorgen gemacht hast?“
„Ja, aber das ist doch jetzt etwas vollkommen anderes“, versuchte Sadie, das Thema wieder zu wechseln.
„Klar, aber er ist schon mit dir gegangen. Er rudert nicht zurück, glaub mir.“
„Aber ich will nicht, dass er unglücklich ist.“
„Dann mach du ihn eben glücklich!“, sagte Tessa und lachte. Sadie hingegen fand das nicht so komisch.
„Und wie geht es dir?“, fragte sie dann.
„Ist halt blöd, dass ich nicht spontan nach Feierabend bei dir vorbeischneien und Junkfood mit dir futtern kann. Aber mich ruft auch die große weite Welt. Ich glaub, ich geh jetzt wirklich doch noch studieren.“
„Tessa, das ist doch toll“, sagte Sadie. „Das solltest du unbedingt machen!“
„Ja, mach ich auch. Jetzt, wo du wieder gegangen bist, komme ich mir faul vor, wenn ich hier sitzen bleibe. Ich will programmieren und nicht ewig an Computern von Hausfrauen herum schrauben.“
„Dann mach das“, sagte Sadie.
„Auf jeden Fall. Ich hoffe ja, du bist an Thanksgiving hier. Du fehlst mir.“
„Du bist süß“, sagte Sadie. „Keine neuen Bekanntschaften geschlossen?“
„Bisher nicht. Der Sommer ist fast vorbei, gerade gibt es keine guten Queer-Partys. Und für Online-Dating bin ich nicht verzweifelt genug.“
Sadie lachte. „Du bist einmalig. Du fehlst mir, Tessa.“
„Du mir auch. So, ich muss hier noch ein wenig aufräumen. Mach’s gut, Süße.“
„Du auch“, sagte Sadie und legte auf. Sie vermisste Tessa wirklich. Sie vermisste Tessa und Phil und Mike – und von ihrer Familie wollte sie gar nicht erst reden. Das war alles hart. Aber dass Matt bei ihr war, machte es leichter. Und die BAU entschädigte sie für alles.
Trotzdem war es ihr wichtig, den Kontakt nach Hause nicht zu verlieren. Sie klappte ihren Laptop auf und tippte eine Mail an Phil, denn sie wollte wissen, wie es ihm ging. Gut möglich, dass er im Augenblick Dienst hatte.
Sie war gerade fertig, als die Wohnungstür geöffnet wurde. Erleichtert spähte sie um die Ecke und lächelte, als sie Matt sah, der ein wenig abgekämpft die Wohnung betrat und die Tür mit dem Fuß schloss. Seit einigen Tagen trug er nun seine passende neue Uniform vom Dale City Police Department. Stand ihm gut.
„Hey“, sagte Sadie zur Begrüßung.
„Hey“, erwiderte er und entledigte sich seiner Schuhe. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, ging er auf sie zu, umarmte sie und schenkte ihr einen Kuss. Sofort erwiderte Sadie die Umarmung und schmiegte sich an seine Brust.
„Alles in Ordnung?“, fragte er, denn er kannte sie inzwischen gut genug, um zu wissen, wenn etwas in der Luft lag.
„Ja“, behauptete sie trotzdem, löste sich von ihm und wandte sich ab, damit er ihr nicht ansah, dass sie schwindelte. Natürlich funktionierte es nicht.
„Was ist los?“
„Nichts, was du nicht schon wüsstest.“
Matt nickte verstehend. „Du kannst es mir trotzdem sagen.“
„Aber das ändert nichts, Matt. Niemand kann das jetzt noch ändern.“
Er seufzte mitfühlend. „Du solltest dir das nicht so zu Herzen nehmen. Ich weiß, das sagt sich so leicht, aber du hast ja recht. Wir können nicht mehr ändern, was passiert ist. Lass nicht zu, dass dich das runterzieht. Was heißt das schon? Er bleibt im Gefängnis. Das hat auf dein Leben doch keinen Einfluss.“
„Auf meine Lügen schon.“
Auch das konnte Matt nur zu gut verstehen. Wortlos umarmte er Sadie und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie schloss die Augen und seufzte.
„Solange du es nicht bereust, jetzt mit mir hier zu sein“, murmelte Matt.
„Nein!“ Abrupt drehte sie sich um und schüttelte den Kopf. „Nicht doch, Matt. Ich würde es bereuen, wäre ich ohne dich hier. Aber das bin ich ja nicht.“
Er ließ seinen Blick über die Kartonwüste schweifen. „Am Wochenende müssen wir unbedingt weiter auspacken.“
„Wir brauchen erst mal neue Möbel, Mr. Whitman“, erinnerte Sadie ihn.
„Auch das noch.“ Matt verdrehte die Augen und verschwand im Schlafzimmer, wo er sich seines Hemdes entledigte. Nachdenklich blickte Sadie ihm hinterher.
„Und, bereust du es schon, hier zu sein?“, fragte sie zaghaft.
„Frag mich das, wenn das FBI mir abgesagt hat“, kam die Antwort aus dem Schlafzimmer zurück. Kopfschüttelnd ging Sadie hinüber. Er schien keinen guten Tag gehabt zu haben, denn sonst äußerte er sich nicht so fatalistisch.
„Warum sollten sie dir absagen?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
„Wenn sie mich nehmen, schicken sie mich bestimmt wieder auf den Schießstand“, brummte Matt.
„Und wenn schon. Da ist man doch regelmäßig.“
„Ja ... aber du weißt, es lief nicht so gut.“
„Sagst du“, erwiderte Sadie.
„Nein, weiß ich. Diese Warterei macht mich ganz wahnsinnig.“
Sadie legte ihm tröstlich die Hand auf die Schulter und lächelte ihm zu. „Das wird schon. Wie war es denn heute bei der Arbeit?“
„Das ist es ja“, sagte Matt. „Der Chief ist ein verdammter Mistkerl. Der hat alle im Griff und scheucht uns herum. Es macht auch nicht gerade viel Spass, den ganzen Tag Streife zu fahren.“
„Du machst das doch nur für den Übergang“, versuchte sie, ihn aufzumuntern. Aber sie hatte richtig gelegen.
„Ja, hoffentlich. In Modesto hatte ich ganz andere Aufgaben. So gesehen ist das ein Rückschritt.“
„Oh, nicht doch.“ Kurzentschlossen umarmte Sadie ihn und küsste ihn sanft. „Hast du Hunger?“
„Ein wenig.“
„Es ist noch Chop Suey da.“
Matt lächelte. „Hört sich gut an.“
Sadie stellte den anderen Teller in die Mikrowelle und blickte wieder zum Fernseher, während Matt kurz ins Bad ging und sich danach sein Essen selbst aus der Mikrowelle holte. Ihm entging nicht, dass Sadie trübsinnig den Kopf auf die Hände gestützt hatte und gelangweilt das Fernsehprogramm verfolgte.
„Bereust du es wirklich nicht?“, fragte er.
„Nein. Überhaupt nicht. Ich wusste, dass ich Heimweh haben würde. Du nicht?“
Matt schüttelte den Kopf. „Nein, ich kann überall mein Zelt aufschlagen. Da war ich nie festgelegt.“
Sadie hatte schon den Mund offen stehen, um etwas zu erwidern, aber dann biss sie sich auf die Zunge und sagte nichts. Doch auch das war Matt nicht entgangen.
„Was denn?“
„Ich wollte dich beneiden“, sagte Sadie. „Du tust das freiwillig. Ich war noch ein Kind, als ich entwurzelt wurde. Wahrscheinlich machen mir Umzüge und solche Dinge seitdem etwas aus.“
„Schon möglich“, stimmte Matt zu. „Man sucht ja seinen Platz im Leben.“
Sadie nickte. „Ich weiß nicht, ob ich ihn jetzt endlich gefunden habe. Ich darf den Job machen, den ich immer machen wollte, und ich bin auch nicht mehr allein.“
„Aber glücklich bist du trotzdem nicht“, vollendete Matt den Satz für sie.
Betreten senkte Sadie den Kopf. „Das ist doch für dich ein Schlag ins Gesicht.“
„Nein, was redest du denn da? Das beziehe ich nicht auf mich. Ich habe keinerlei Einfluss auf das, was dich unglücklich macht. Leider. Ich kann weder deinem Vater die Giftspritze verpassen, noch deine Familie herholen.“
„Das stimmt. Aber es bedeutet mir die Welt, dass du hier bist“, sagte Sadie und drückte seine Hand. Matt lächelte. Er sagte Sadie in diesem Moment nicht, wie sehr er seine Kollegen in Modesto vermisste und wie schlecht die Stimmung im Dale City Police Department war. Im Augenblick hoffte und betete er, dass ein Wunder geschah und das FBI ihn doch noch aufnahm, aber er hatte da so seine Zweifel. Die Aufnahmeprüfung war längst nicht so gut gelaufen, wie er es sich erhofft hatte. Woran das lag, konnte er nicht einmal genau sagen. Vielleicht daran, dass er schon viele Jahre als Polizist gearbeitet hatte und deshalb durchaus auch etwas eigensinnigere Ideen hatte als die jungen Leute, die sich sonst üblicherweise bewarben. Er war das eine oder andere Mal angeeckt und hatte bei der Schießprüfung grandios versagt. Er war noch nie ein guter Schütze gewesen – nicht so wie Phil Richardson, an dem wirklich ein Scharfschütze verloren gegangen war. Außerdem wusste er, dass gerade niemand mit Kenntnissen der Fotografie gesucht wurde. IT-Spezialisten standen auf der Wunschliste des FBI ganz oben, aber das brachte er nicht mit.
Er wusste nicht, was werden sollte, wenn der Ablehnungsbescheid kam. In Dale City wollte er nicht für länger bleiben. Trotzdem bereute er nicht, Sadie begleitet zu haben, denn er mochte sie sehr. Sie so bald schon wieder ans FBI und die andere Küste zu verlieren, hatte er sich nicht vorstellen können. Das war die Chance, endlich aus Kalifornien herauszukommen und mal etwas zu sehen. Er hatte gehofft, dass das FBI ihn bald aufnehmen und er bis dahin nur übergangsweise in Dale City arbeiten würde, aber ob das alles klappte?
Doch das wollte er Sadie nicht sagen. Seit der Nachricht, dass ihrem Vater nicht mehr die Todesstrafe drohte, war sie regelrecht verbittert. Matt war sehr liberal und kein großer Freund der Todesstrafe, aber er konnte verstehen, dass Sadie anders dachte. Er hatte weiter heimlich recherchiert und ahnte, was für ein Mensch ihr Vater war. Hätte er gekonnt, hätte er ihm persönlich den Hals umgedreht. Es tat ihm weh, zu sehen, dass Sadie auch nach so langer Zeit noch so sehr darunter litt.
„Lass uns ins Kino gehen“, sagte er. „Was hältst du davon?“
„Was, jetzt?“, fragte Sadie überrascht.
„Ja, jetzt. Ich habe es gerade satt, diese kahlen Wände noch länger anzustarren. Was meinst du?“
„Gute Idee.“ Für solche Einfälle liebte sie ihn.
Er nahm die letzte Gabel Chop Suey und brachte den Teller in die Spülmaschine. Sadie warf einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass sie es noch rechtzeitig zum Kino schaffen würden. Sie zogen ihre Schuhe an und verließen die Wohnung. In der Tiefgarage angekommen, die zum Apartmentkomplex gehörte, gingen sie schnurstracks auf Matts Wagen zu. Er wusste inzwischen, dass er Sadie nicht fragen musste, mit welchem Auto sie fuhren. Sie hatte Gefallen an seinem Challenger gefunden, mochte das laute Röhren und Blubbern des Motors. Sie hatte den Wagen auch schon gefahren, aber meist überließ sie ihm sein Schätzchen.
Er war froh, dass sie den Wagen mochte. Inzwischen besaß er ihn seit vier Jahren, aber er war nicht immer auf Gegenliebe bei seinen Freundinnen gestoßen. Während er zum Kino fuhr, dachte er darüber nach, dass Sadie sich eigentlich in keinen seiner Belange wirklich einmischte. Sie nahm ihn, wie er war, ohne an irgendetwas herumzumäkeln. Das überraschte ihn, denn schließlich war er der erste Mann, mit dem sie zusammenlebte. Er hätte damit gerechnet, dass sie sich über Bartstoppeln im Waschbecken ärgerte oder über stinkende Socken in der Wäschebox – Dinge, die er bei seinen früheren Freundinnen erlebt hatte.
Aber sie war da völlig anders. Sie begegnete ihm ohne jede Scheu oder Kritik, auch wenn er eigentlich erwartet hätte, dass sie sich in mancherlei Hinsicht in Zurückhaltung übte. Doch sie vertraute ihm vorbehaltlos, schmiegte sich im Bett in seine Arme und war damit beschäftigt, die Seiten der Liebe zu entdecken, die sie bislang nicht gekannt hatte.
Inzwischen fiel ihm immer deutlicher auf, dass sie ein außergewöhnlicher Mensch war. Sie hielt sich niemals mit oberflächlichen Dingen auf, sondern war ein eher ernster Typ.
Matt liebte sie dafür, dass sie ihm einen so großen Platz in ihrem Herzen freigeräumt hatte. Manchmal hatte er das Bedürfnis, ihr ein großer Bruder zu sein und auf sie aufzupassen. Sie brauchte etwas Verlässliches in ihrem Leben.
„Welchen Film wollen wir sehen?“, fragte sie und riss ihn damit aus seinen Gedanken.
„Hm, ich weiß nicht“, erwiderte er. „Der neue Mission: Impossible?“
„Gute Idee“, fand sie. Matt lächelte. Sie war auch immer unkompliziert in solchen Dingen. Generell war sie kein komplizierter Mensch – zumindest nicht, seit er von ihrer Vergangenheit wusste. Er wünschte, er hätte mehr für sie tun können. Dafür sorgen können, dass ihr Vater aus ihrem Leben verschwand.
Aber das konnte er nicht. Er hasste Ungerechtigkeiten; deshalb war er auch Polizist geworden. Hoffentlich zerplatzte jetzt nicht sein Traum vom FBI. Er wusste, die Erfolgsquote bei FBI-Bewerbungen lag bei traurigen fünf Prozent. Das hatte er auch gewusst, bevor er beschlossen hatte, mit Sadie nach Virginia zu gehen. Aber er hatte gehofft. Als erfahrener Polizist hatte er sich gute Chancen ausgerechnet, aber dann war er in der Realität hart aufgeschlagen. Er wusste, er hätte überall einhundert Prozent bringen müssen, um die Prüfer zu überzeugen, und das hatte er nicht.
Aber die Arbeit bei der Polizei in Dale City beleidigte seine Intelligenz. Der Chief beleidigte seine Intelligenz. Ewig würde er das nicht machen können. Es kam aber auch nicht in Frage, Sadie im Weg zu stehen oder sie allein zu lassen. Er war sich dessen bewusst, was er ihr bedeutete. Sie hatte eine solche Konstante in ihrem Leben verdient.
Am Kino angekommen, fuhr er ins Parkhaus. Die Motorgeräusche hallten an den Wänden wider. Er grinste zufrieden, stieg aus und ging mit Sadie zum Kino. Die Filmauswahl gestaltete sich herrlich unkompliziert mit ihr. Mit Popcorn und einem großen Becher Cola gingen sie in den Kinosaal und machten es sich bequem. Es war nicht viel los, der Film lief schon seit einigen Wochen. Matt war es nur recht, er mochte überfüllte Kinos nicht.
Sadie lehnte sich seitlich an ihn. Das Popcorn stand in Reichweite und sie machten sich beide darüber her, noch bevor der Film überhaupt begonnen hatte.
„Es macht Spass, mit dir ins Kino zu gehen“, sagte Sadie und lächelte.
„Ich finde das auch schön.“
Tatsächlich gelang es ihnen, beim Film abzuschalten. Action und Explosionen waren jetzt genau das Richtige für sie. Sie amüsierten sich zwei Stunden lang bestens. Als sie aus dem Kino kamen und sich auf den Heimweg machten, war es bereits dunkel draußen. Auf den Straßen war es sehr ruhig. Das erinnerte Sadie an die vielen nächtlichen Streifendienste, die sie geschoben hatte. Sie mochte es, wenn das Leben eine Pause einlegte und die Welt in der Dunkelheit der Nacht friedlich wirkte.
Auch wenn das oft nicht stimmte, wie sie wusste.
Mit ihrem kleinen Auto fuhr Sadie die wenigen Meilen über die Interstate bis nach Quantico. Der kleine Ort war zum Wohnen wenig geeignet, denn die Zentrale des FBI hatte alles in Beschlag genommen. Sadie kannte sich dort noch gut aus, denn sie hatte ja schon während der Ausbildung einige Monate dort verbracht. Alles war umgeben vom Wald. Noch bevor sie den großen Parkplatz erreichte, konnte sie die Gebäude des FBI durch die Bäume sehen. Das alles erschien ihr beinahe unwirklich, aber unwohl fühlte sie sich dort nicht. Ganz im Gegenteil.
Sie war froh, dass sie das Umzugsunternehmen nicht nur mit dem Transport ihrer Habe, sondern auch ihrer Autos beauftragt hatten. Es war nicht günstig, alles von der West- zur Ostküste transportieren zu lassen, aber ihnen hatte die Zeit gefehlt, tagelang mit beiden Autos durch die Staaten zu fahren. Deshalb hatten sie auch nur die wichtigsten und ihnen liebsten Möbelstücke mitgenommen und wollten den Rest verkaufen oder entsorgen. Es wurde Zeit für etwas Neues, das fanden sie beide.
Nur hatte Sadie das Gefühl, dass sie es besser angetroffen hatte als Matt. Er fühlte sich bei der Dale City Police wirklich unterfordert. Einen Polizeifotografen gab es dort schon. Man hatte ihn mit Kusshand genommen, ihm aber verschwiegen, dass sein Tätigkeitsbereich unter dem liegen würde, was er bislang in Modesto gemacht hatte. Sadie konnte verstehen, dass ihn das frustrierte und hoffte auf gute Nachrichten vom FBI. Sie würde es nicht ertragen, ihn dauerhaft so unzufrieden zur Arbeit gehen zu sehen, wie er es auch an diesem Morgen wieder getan hatte. Sie waren zeitgleich aufgebrochen, Matt hatte sich in seiner Uniform in den Wagen gesetzt und war zur Arbeit gefahren. Sadie vermisste es fast ein wenig, ihre Polizeiuniform zu tragen. Jetzt war eher Bürokleidung gefragt.
Sie betrat das FBI-Gebäude, ließ ihren Ausweis scannen und ging zum Aufzug. Von ihren direkten Kollegen war niemand dabei, im Aufzug unterhielten sich aber zwei Männer. So entstand kein peinliches Schweigen. Schließlich war es soweit, dass Sadie ebenfalls den Aufzug verlassen konnte. Sie folgte dem Flur und betrat das Büro durch eine Glastür. Sie war früh dran, deshalb war es noch ruhig. Die meisten Kollegen würden erst noch kommen.
„Guten Morgen“, wurde sie von hinten begrüßt. Sie drehte sich um und blickte ins Gesicht des Teamchefs Nick Dormer. Er war gerade Leiter der BAU geworden, als Sadie noch zur Academy gegangen war, wo er sie unter anderem ausgebildet hatte. Nick war ein hochgewachsener Mann mit muskulöser Statur, dem seine Anzüge gut standen. Er war Ende dreißig, dunkelhaarig, immer gut frisiert und verhielt sich professionell. Sadie hatte ihn schon zu Ausbildungszeiten gemocht.
„Nick“, erwiderte sie und lächelte ihm zu.
„Bist du hier schon gut angekommen?“
„Die Wohnung ist noch ein einziges Chaos“, antwortete Sadie. „Das wird noch dauern.“
„Kann ich mir vorstellen, aber das meinte ich gar nicht. Ich meine unsere Einheit.“
„Ach so.“ Sadie lachte verlegen. „Doch, natürlich. Warum fragst du?“
„Es tut mir immer noch leid, dass wir an deinem ersten Tag alle ausgeflogen waren. Wenn wir den nächsten Einsatz bekommen, kannst du gern schon dabei sein, wenn du das möchtest. Du musst dir blöd vorgekommen sein, als wir alle weg waren – und das, nachdem ich dir so viel Honig um den Mund geschmiert habe.“ Ihm war anzusehen, dass er das ernst meinte. Nick war immer schon sehr um jeden Menschen in seinem Umfeld bemüht gewesen.
„Nein, das war nicht schlimm“, winkte Sadie ab. „Ich weiß doch, wie es hier läuft.“
„Dann ist gut. Ich bin ja froh, dass du es dir nun doch anders überlegt hast“, sagte er mit einem warmen Lächeln.
„Warum? Du siehst jedes Jahr so viele Absolventen. Du könntest sie alle haben.“
„Ja, das mag schon sein ...“, druckste Nick herum, „aber nicht jeder ist geeignet für diesen Job. Fachlich nicht und auch persönlich nicht. Hier bewerben sich auch viele junge Leute, die gerade geheiratet oder sogar eine Familie gegründet haben. In den Bewerbungsgesprächen machen wir sie darauf aufmerksam, dass dieser Job auch eine private Belastung mit sich bringt. Bei vielen stellt sich dann schnell heraus, dass sie das nicht langfristig durchhalten würden. Und niemandem ist damit geholfen, wenn unsere Leute sich dauernd scheiden lassen.“
Sadie wusste, dass er da aus Erfahrung sprach. Er hatte irgendwann mal erwähnt, dass er geschieden war. Inzwischen war er wieder liiert – mit einer Agentin, die in der BAU-Einheit für Terrorismusbekämpfung arbeitete.
„Ihr nehmt also bevorzugt die jungen, ungebundenen Leute“, folgerte sie.
„Sehr gern, ja.“
„Und dann komme ich einfach mit meinem Freund!“ Sie lachte.
„Aber als Polizist kennt er doch die Widrigkeiten des Jobs“, wandte Nick ein.
„Das stimmt“, gab Sadie zu. „Um ehrlich zu sein, ist er einer der Hauptgründe, dass ich deinem Angebot gefolgt bin.“
„Hat er sich jetzt schon beworben?“
Sie nickte. „Eigentlich wartet er nur noch auf den Bescheid.“
„Ach so. Ich kann ja mal meine Nase in seine Unterlagen stecken“, bot er an.
„Das würde er nicht wollen ...“
„Du musst es ihm ja nicht sagen. Wie heißt er nochmal?“
„Matthew Whitman“, sagte Sadie, die seinen Argumenten durchaus zugänglich war. Matt würde es definitiv nicht wollen, aber er musste ja nichts davon wissen.
„Mal sehen. Aber fürs Erste freue ich mich, dass du hier bist. Heute sind wir wieder vollzählig, aber wahrscheinlich wird es ein ruhiger Tag. Die anderen müssen Berichte schreiben. Du kannst ja mit Alexandra die nächsten Anfragen durchgehen“, schlug Nick vor.
„Gern. Wenn du denkst, dass ich da eine Hilfe bin.“
„Das denke ich, und außerdem ist es die spannendste Aufgabe, die ich dir gerade geben kann. Ich will ja nicht, dass du es schon bereust, hergekommen zu sein.“
Sadie lächelte und ließ sich nicht anmerken, wie sehr diese Worte sie an Matt erinnerten. Dormer ging in sein Büro und Sadie setzte sich an ihren Schreibtisch. Hinter ihr wurde die Tür geöffnet und drei weitere Kollegen betraten das Büro. Inzwischen war die BAU ein Melting Pot der Kulturen: Belinda Merringer war Afroamerikanerin, Ian Wainsworth war karibischer Herkunft. Auch die blonde Cassandra Williams war dabei.
„Morgen“, rief sie freundlich in Sadies Richtung. Die anderen nickten ihr ebenfalls zu.
Inzwischen war die BAU in vier Abteilungen unterteilt: Terrorismusbekämpfung, Cyberkriminalität und Korruption, Verbrechen gegen Kinder und Verbrechen gegen Erwachsene. Als Nick sie damals im Team hatte haben wollen, war ein Platz in der Verbrechen gegen Kinder-Gruppe frei gewesen, aber den hatte Sadie abgelehnt. Das ging nicht, es hätte sie zu sehr an ihre eigene Familie erinnert. Nick hatte ihr aber auch ehrlich gesagt, dass diese Abteilung ihre Mitarbeiter verschleißte. Wer dort arbeitete, machte den Job meistens nicht lang, dafür ging er zu sehr an die Nieren.
Deshalb war Sadie nun in der Abteilung Verbrechen gegen Erwachsene. Das war ihr bedeutend lieber.
Erneut wurde die Tür geöffnet und David Francis kam herein, gefolgt von Jim Fuller. Sadie entschied, sich auch erst mal etwas zu trinken zu holen und begegnete in der Küche Alexandra, von der Nick gerade noch gesprochen hatte. Sie war eine drahtige junge Frau mit kurzem braunen Haar. Sadie schätzte sie nur wenig älter als sich selbst.
„Nick meinte eben auf dem Gang zu mir, dass du mir heute helfen willst. Das hört sich gut an“, sprach sie Sadie an.
„Ich hoffe, ich kann dir auch helfen.“
„Ach, klar. Das ist ja kein Teufelswerk. Sollen wir uns gleich nach der morgendlichen Besprechung zusammensetzen?“
Sadie war einverstanden. Sie hatte sich gerade erst wieder an ihren Tisch gesetzt, als es auch schon Zeit wurde für die Morgenbesprechung. Gemeinsam warteten sie auf Nick, der als Letzter kam und die Tür schloss. Zufrieden blickte er in die Runde.
„Schön, dass wir jetzt alle wieder hier sind. Belinda, du kennst Sadie Scott noch nicht, unsere neue Kollegin“, sagte er und stellte die beiden Frauen einander vor. Belinda war wegen einer Zahnoperation krankgeschrieben gewesen.
„Sadie hat schon vor längerer Zeit die Academy besucht und einen sehr guten Abschluss gemacht. Bis jetzt hat sie in Kalifornien als Polizistin gearbeitet. Die meisten von euch wissen es schon: Sie hat vor kurzem bei der Festnahme des Serienmörders Martin Grimes mitgewirkt. Das Profil war von ihr. Ich freue mich, sie jetzt doch bei uns begrüßen zu dürfen! Willst du dich auch noch kurz vorstellen, Sadie?“
„Gern“, sagte sie. „Ich bin im kalifornischen Waterford aufgewachsen und habe dort auch die letzten Jahre als Polizistin gearbeitet, wie Nick schon sagte. Nach der Academy bin ich hauptsächlich wegen meiner Familie dorthin zurückgekehrt. Mein Onkel ist an Krebs erkrankt und ich wollte in der Nähe sein. Er war es aber auch, der mich motiviert hat, doch wieder nach Quantico zu kommen. Mein Freund hat mich begleitet, er ist Polizist.“
„So bleibt alles in der Familie“, scherzte Ian. „Schön, dass du bei uns bist. Noch vor fünf Jahren hättest du hier wesentlich mehr Männer vorgefunden, aber besonders seit der Aufteilung der BAU sind die Männer in die anderen Abteilungen abgewandert. Ich weiß nur nicht, was ihr Frauen alle an Serienmördern findet!“
Sadie grinste schief, auch wenn es ihr schwer fiel. Ian hatte nur einen Spaß gemacht, er konnte nicht wissen, dass Sadie da etwas dünnhäutig war. Sie hätte ihren Kollegen gern von ihrem Vater erzählt, dafür hätten sie Verständnis gehabt. Aber sie durfte ja nicht.
„Wir freuen uns, dass du hier bist“, sagte Belinda. „Jetzt hast du etwas mehr zu tun als bei der Polizei in einer Kleinstadt.“
„Davon gehe ich aus“, sagte Sadie grinsend.
„Sollten wir uns nicht alle noch mal vorstellen?“, schlug Cassandra vor.
„Warum nicht“, sagte Nick. „Willst du anfangen?“
Cassandra war einverstanden. „Ich komme aus New Jersey, bin einunddreißig und jetzt mittlerweile seit vier Jahren im Team. In New Jersey war ich auch erst bei der Polizei – bei der Sitte, um genau zu sein. Dann habe ich noch die Academy besucht und hier bin ich.“
Sie nickte David zu, der gleich neben ihr saß. „Ich bin neunundzwanzig und komme aus Wyoming. Nach meiner Ausbildung an der Academy war ich erst in anderen Einheiten und bin jetzt seit zwei Jahren bei der BAU. Ich lebe hier mit meiner Freundin, einer Krankenschwester. Nächstes Jahr wollen wir heiraten.“
„Oh, wieder einer, der es wagt“, sagte Ian grinsend und fuhr mit seiner Vorstellung fort. „Meine Eltern kommen aus Puerto Rico, aber ich bin in Florida geboren. Das ist jetzt etwas über vierzig Jahre her. Beim FBI bin ich schon lange, bei der BAU nun seit fünf Jahren. Der Job ist anstrengend, aber ich mache ihn gern. Profiling wird nie langweilig!“
„Das stimmt“, sagte Belinda. „Ich bin jetzt Mitte dreißig und habe zuerst als Therapeutin gearbeitet. Zur BAU bin ich gegangen, nachdem eine meiner Patientinnen sich umgebracht hat. Sie ist einem Serienvergewaltiger zum Opfer gefallen, der sie so brutal misshandelt hat, dass sie fast gestorben ist. Das war wirklich ein haarsträubender Fall. Ich konnte ihr leider nicht helfen. Sie war noch gar nicht lang bei mir, als sie sich erhängt hat. Das hat mir damals Nick gesagt, der in dem Fall ermittelt hat und vor mir von der Polizei informiert wurde. Damals habe ich beschlossen, lieber an der Aufklärung solcher Fälle mitzuhelfen, als hinterher immer nur die Scherben wegzuräumen.“
„Kann ich verstehen“, sagte Sadie. Das hätte sie auch belastet, denn sie wusste, wie viele Scherben so etwas hinterließ.
„Ich komme aus Texas“, begann Jim. „Ich habe die Vierzig schon hinter mir, bin geschieden und mein Sohn geht bald aufs College. Beim FBI bin ich, seit ich die Academy besucht habe; zur BAU gehöre ich seit sechs Jahren.“
„Ein Veteran“, sagte Dormer und nickte anerkennend.
„Ich bin jetzt seit drei Jahren im Team“, erzählte Alexandra. „Vorher war ich ihm Team gegen Cyberkriminalität. Seit ich hier bin, bin ich der Hauptansprechpartner für Anfragen von außen.“
„Und warum wolltest du zur BAU?“, fragte Cassandra Sadie.
„Es hat mich immer fasziniert“, sagte Sadie ausweichend. „Und als ich letztens im Fall Grimes ermittelt habe, wurde mir klar, dass ich das wirklich machen will. Immer.“
„Kein Wunder, dass wir nicht angefordert wurden“, scherzte Nick. „Aber es ist ja kein Geheimnis, dass viele, die an der Academy ausgebildet wurden, überall im Land bei der Polizei arbeiten. Wir begrüßen das, denn wir können nicht überall sein. Aber kommen wir zum Tagesgeschäft. Bis Ende der Woche brauche ich die Berichte zu unserem Fall letzte Woche. Lasst euch nicht zuviel Zeit damit, denn Alexandra und Sadie werden uns gleich schon neue Arbeit besorgen, nicht wahr? Alexandra, hast du schon etwas im Auge?“
„Noch nichts Konkretes“, erwiderte sie. „Viele Fälle erfordern nur eine Begutachtung oder eine Zweitmeinung. Wir werden sie gleich sichten und unter euch verteilen.“
„Ich hätte auch nichts dagegen, nicht ständig durchs Land zu reisen“, sagte Ian augenzwinkernd.
„Du Armer, hast du nicht vorhin noch gesagt, dir würde hier nie langweilig?“, ärgerte Dormer ihn.
„Na und? Trotzdem ist mein Schreibtisch einsam!“
„Als ob wir Schreibtischtäter wären“, sagte David.
„Ich finde schon etwas für uns“, versprach Alexandra.
„Gut, dann an die Arbeit“, sagte Dormer. Die Kollegen schwärmten aus und Sadie setzte sich neben Alexandra an deren Tisch. Das Mailprogramm war bereits offen, Alexandra hatte die wichtigsten Mails markiert.
„Hier haben wir eine Anfrage aus Chicago“, sagte sie. „Ein Polizist, der auf der Suche nach einem Doppelmörder ist und uns die Tatmerkmale und seine Vermutungen geschickt hat. Da wir ja in der Hauptsache dann ausrücken, wenn eine Wiederholungsgefahr besteht und es sich hier aller Voraussicht nach nicht um einen Serientäter handelt, ist hier kein akuter Handlungsbedarf gegeben. Es wird wohl reichen, wenn einer von uns sich alles anschaut und seine Einschätzung abgibt.“
„Macht Sinn“, fand Sadie.
„Das hier ist interessanter“, sagte Alexandra, nachdem sie die nächste Mail geöffnet hatte. „In Ohio gibt es immer wieder Vergewaltigungen in kleinen Dörfern in einem bestimmten Umkreis. Das gebe ich Belinda zur näheren Einschätzung. Bisher ist noch keine Frau ernsthaft zu Schaden gekommen, aber die Ermittler brauchen ein Profil des Täters. Im Idealfall kann Belinda von hier aus Tipps geben, ansonsten fliegt sie hin.“
„Allein?“, fragte Sadie.
„Klar, wieso nicht.“ Alexandra leitete die Mail an Belinda weiter. „Das Nächste ist die Bitte um ein gerichtliches Gutachten. So etwas macht meistens Nick.“
Gemeinsam gingen die beiden die Anfragen durch, die Alexandra routiniert im Team verteilte. Sie gerieten ins Plaudern und Alexandra berichtete von vergangenen Fällen.
„Ich muss immer abwägen. Mordfälle schaue ich mir genau an, auch wenn es sich auf den ersten Blick um einen Einzelfall handelt. Bei Fällen wie Serienvergewaltigungen, wiederholten Banküberfällen oder anderen Serienverbrechen werden wir natürlich auch aktiv. Code Red-Fälle sind Entführungsfälle. Wenn uns da jemand anfordert, schnappen wir uns unsere Taschen und setzen uns in den Flieger.“
„Die 24 Stunden-Regel“, sagte Sadie.
„Genau die. Die Verbrechen gegen Kinder-Einheit lässt immer alles stehen und liegen. Sie rücken zwar nicht bei jedem Amber Alert aus, aber sie sind schon verdammt oft unterwegs.“
Sadie nickte verstehend. An der Academy hatte sie gelernt, wie der Amber Alert zu seinem Namen gekommen war. 1996 war die neunjährige Amber Hagerman entführt und ermordet worden. Um künftig in solchen Fällen möglichst schnell reagieren zu können, war das Notrufsystem installiert worden. Wurde ein Kind vermisst, wurde die Bevölkerung schnellstmöglich durch die Medien, über ihre Handys oder das Radio informiert. Zeit war der kritischste Faktor in solchen Fällen und viele Amber Alerts hatten schon Leben gerettet.
Sadie fand das System gut. Ebenso fand sie es gut, dass das FBI als kompetenter Ansprechpartner für die Ermittlungsbehörden des Landes da war.
„Bittet euch denn auch jeder um Hilfe?“, fragte sie.
„Eigentlich schon. Wir bekommen häufig auch Anfragen, die gar nicht nötig wären. Es ist selten, dass wir nicht angefordert werden, obwohl es nötig wäre“, erwiderte Alexandra.
Die beiden unterhielten sich angeregt. Bislang hatten sie keinen Fall ausmachen können, in dem ihr Eingreifen zwingend erforderlich gewesen wäre. Oft genügte es, von weitem Hilfestellung zu geben, so dass die Behörden vor Ort selbst weiterermitteln konnten.
Die Zeit bis zum Mittagessen verging rasch. Gemeinsam mit den Kollegen machten die beiden sich auf den Weg in die Kantine. Während sie sich alle um einen größeren Tisch scharten, machte Sadie sich bewusst, dass das wohl kaum Alltag bei der BAU war. Sie würde viel mit den Kollegen unterwegs sein. Und wenn Matt es zum FBI schaffte, würde er auch noch mehr zu tun haben als ohnehin schon. Trotzdem wünschte Sadie ihm, dass er es schaffte. Es machte ihr nichts aus, für den Beruf zu leben. Das war auf angenehme Weise kalkulierbar.
„Du warst also beim Fall Grimes ganz vorne weg“, richtete sich Ian zwischen zwei Bissen an Sadie.
„Ja, mit einem Kollegen wurde ich zu einem Tatort gerufen. Als ich gesehen habe, was dort passiert ist, war mir klar, dass das ein Serientäter sein muss.“
Ian nickte ernst. „Wir erleben hier im Alltag Typen, die noch schlimmer sind als dieser Kerl. Viel schlimmer.“
„Ich weiß“, sagte Sadie. „Das schreckt mich nicht. Hat es während der Ausbildung schon nicht.“
„Das ist gut. Dieser Job kann einem an die Nieren gehen. Ich mache es gern, weil ich finde, dass solche Kerle unbedingt hinter Schloss und Riegel gehören. Unten in Florida, wo ich aufgewachsen bin, hat während meiner Schulzeit ein sadistischer Serienmörder sein Unwesen getrieben. Inzwischen hat die Mordserie aufgehört, aber gefasst wurde der Kerl nie. Zumindest nicht nachweislich. Mich hat immer beschäftigt, warum das nicht geklappt hat. Ich will nicht, dass solche Kerle frei herumlaufen. Und vor dem Hintergrund ist es auch ein Witz, was da in Oregon passiert ist.“
Sofort schrak Sadie hoch, versuchte aber, es sich nicht anmerken zu lassen.
„Was meinst du?“ Ihre Stimme klang erstaunlich fest, worüber sie sehr froh war.
„Na, dass die Staatsanwaltschaft sich mit Rick Foster auf diesen Deal eingelassen hat. Ich kann ja verstehen, dass die Familien der letzten Opfer auch Gewissheit haben wollen – aber davon geht ein fatales Signal aus. Nachher halten alle Mörder entscheidende Informationen zurück, um im richtigen Moment einen Deal machen zu können!“ Ian schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht für die Todesstrafe, aber so einer wie Rick Foster hätte sie verdient.“
Sadie schluckte hart. „Da hast du allerdings recht.“
„Nick hat sich furchtbar über diese Sache aufgeregt, du kannst ihn fragen. Er bezeichnet Foster als einen der schlimmsten Mörder der letzten dreißig Jahre, und das will was heißen.“
Darauf erwiderte Sadie nichts. Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Für sie war er sogar der schlimmste Mörder überhaupt.
„Ich habe meinen Namen gehört?“, fragte Nick vom anderen Ende des Tisches.
„Foster“, sagte Ian knapp. „Dein persönliches rotes Tuch.“
„Ach, fang nicht wieder damit an.“ Nick lachte gequält. „Da hat einer einen Deal bekommen, der ihn wirklich nicht verdient hat.“
„Sagte ich ja“, bekräftigte Ian. Sadie lächelte ihm scheu zu und stocherte wieder in ihrer Pasta herum. Als sie den Blick hob, sah sie, dass Nicks Blick auf ihr ruhte. Er lächelte ihr zu und sie erwiderte das Lächeln, so gut sie konnte. Unter Profilern hatte sie das Gefühl, dass man ihr ihr lesen konnte wie in einem offenen Buch. Natürlich war das Unsinn, aber das Thema machte sie nervös und sie war froh, dass Ian es fallen ließ. Sadie versuchte, sich darauf zu konzentrieren, wie David Alexandra wegen ihrer Salatauswahl ärgerte und gab sich das restliche Mittagessen über schweigsam.
Auf dem Rückweg ins Büro sprach Nick sie darauf gleich an. „Alles in Ordnung?“
Sadie hielt seinem Blick stand und versuchte, sich unbefangen zu geben. „Ja, warum fragst du?“
„Du hast wieder die gleiche schweigsame Art wie früher. Gehört das bei dir zum Inventar oder stimmt etwas nicht?“, fragte Nick. „Ich hoffe, du fühlst dich bei uns wohl.“
„Natürlich“, sagte Sadie und lächelte ehrlich. „Sehr sogar. Aber ich muss die Eindrücke noch verarbeiten.“
„Das verstehe ich. Aber Alexandra ist eine Nette, oder?“
„Sehr! Wir verstehen uns gut.“
„Prima.“ Er nickte zufrieden und fügte hinzu: „Sollte es je irgendein Problem geben, kannst du damit zu mir kommen.