Die Verderbnis der Magie - Dania Dicken - E-Book

Die Verderbnis der Magie E-Book

Dania Dicken

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Beschreibung

Inzwischen ist Marthian über die Landesgrenzen hinaus als Waffenschmied bekannt und freut sich, endlich Hilfe in Form eines vandhrischen Lehrlings zu bekommen: Varneas. Bald werden die beiden vom silurkhanischen König eingeladen und reisen nur in Begleitung von Arinaya ins Nachbarland. Dort ist ihnen jedoch nicht jeder so wohlgesonnen wie der König, denn der eigentlich unbedeutende Fürst Lothron wittert seine Chance, mit Hilfe der Magier ins Zentrum der Macht zu rücken. Plötzlich verschwindet Arinaya und Lothron verlangt von Marthian und Varneas, ihn zu einem Magier zu machen - etwas, das sie ihm gar nicht geben können...

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1. Kapitel: Zwischen Freude und Angst

 

Marthian schloß die Augen und konzentrierte sich ganz auf die Eindrücke, die er durch seine magischen Kräfte gewann. Aus seinen Händen strömte angenehme Wärme und breitete sich langsam aus.

Auch wenn der junge Schmied nicht über die hervorragenden, scharfen Sinne der Vandhru verfügte, so war er doch aufgrund seiner magischen Begabung dazu in der Lage, Lebenskraft wahrzunehmen. Genau das war sein augenblickliches Vorhaben und er ließ sich dabei auch nicht von den erwartungsvollen Blicken seiner Freunde stören. Doch während Kortas seinerzeit Arinayas Gegenwart genügt hatte, um zu spüren, daß sie neues Leben in sich trug, hatte Marthian nun die Hände sanft auf Kelthanas runden Bauch gelegt und spürte dem jungen Leben nach.

Zuerst waren die Eindrücke widersprüchlich, dann nahmen sie an Intensität zu. Marthian empfand die Wärme des jungen Lebens überdeutlich - doch dann stutzte er. Noch immer konzentriert, öffnete er die Augen und sog die Eindrücke des Herzschlages in sich auf. Er ließ sich Zeit, ehe er glaubte, sicher zu sein. Erst dann nahm er die Hände fort und schaute ein wenig verlegen in die Runde.

„Ich glaube, die Erklärung für Kelthanas Beschwerden ist ganz einfach. Ich habe mehr als einen Herzschlag gehört; es müssen Zwillinge sein.“

„Zwillinge?“ entfuhr es Nilas.

Marthian nickte. „Es sind zwei Kinder. Ich habe ihre Lage deutlich gespürt, vor allem aber ihren Herzschlag. Ich glaube, es sind zwei Jungen.“

„Das würde den Bauchumfang erklären“, sagte nun Arinaya und drückte Kelthanas Hand. Die Finger ihrer Kameradin zitterten spürbar, aber vor Glück. Als sie Kelthana in die Augen schaute, entdeckte sie neben Überraschung auch Freude. Sie strahlte übers ganze Gesicht.

„Auch gut“, beschloß Nilas lapidar. „Dann haben wir bald statt zwei Kindern eben drei!“

„Danke“, sagte Kelthana und wandte sich damit an Marthian. Dieser winkte ab.

„Das tue ich doch gern. Wenigstens ist jetzt klar, warum es dir so zu schaffen macht!“

„Oh ja“, seufzte Kelthana. Sie hatte Arinaya davon berichtet, daß sie unter Appetitlosigkeit litt und dennoch schnell an Gewicht zugenommen hatte. Die zierliche junge Frau war nun gerade erst im fünften oder sechsten Monat ihrer Schwangerschaft, aber ihr Bauch war bereits runder, als er hätte sein sollen. Sie klagte über Rückenschmerzen und es fiel ihr schwer, sich zu bewegen.

Marthian bemerkte, daß Arinaya nicht umsonst sehr wortkarg war. Sie war besorgt, das spürte er deutlich.

„Mit Zwillingen hat man sicher viel Arbeit“, murmelte Kelthana.

„Du bekommst eine Amme“, versprach Nilas.

„Die wird sie brauchen“, sagte Arinaya. „Vor allem aber wird die Geburt keine einfache Sache. Ich habe noch nie Zwillinge entbunden und ich weiß auch nur das Nötigste über die Probleme. Ich weiß aber, daß es schwierig wird und auch nicht ungefährlich.“

„Wirklich?“ fragte Nilas besorgt.

Die junge Heilerin nickte. „Zwillingsgeburten sind ein großes Risiko, aber es ist ja nicht zu ändern. Vermutlich werden die Kinder zu früh kommen und zu klein sein, denn normalerweise wächst im Bauch der Mutter ja nur ein Kind heran. Diesen Platz teilen die beiden sich und sie drücken auf Kelthanas Magen, deshalb hat sie keinen Hunger. Das ist alles normal für eine Zwillingsschwangerschaft.“

„Aber bekommst du das hin?“ fragte ihre Freundin ängstlich.

Arinaya ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. „Ich werde von jetzt an bei dir bleiben, damit du sofort Hilfe hast, wenn etwas passiert. Aber ich brauche die Hilfe von Marthian oder Lelaina. Heilende Magie ist immer hilfreich bei Geburten, mit Lelainas Hilfe habe ich auch schon ein Kind mit einem Schnitt aus dem Bauch geholt und der Mutter geht es prächtig. Vielleicht bietet sich das bei Zwillingen erst recht an.“

„Du willst mir den Bauch aufschneiden?“ Kelthana war entsetzt, aber Arinaya winkte grinsend ab.

„Von wollen kann keine Rede sein. Aber zwei Kinder zu gebären ist ein unfaßbarer Gewaltakt. Vielleicht sollten wir dir das ersparen und sie durch einen Schnitt holen.“

Kelthana wußte nicht, was sie darüber denken sollte. Der Gedanke, operiert zu werden, behagte ihr sichtlich nicht.

„Und du willst jetzt die nächsten Monate bei uns bleiben?“ Nilas brach ab und warf einen hilflosen Blick zu seinem Freund. Marthian konnte sich unmöglich monatelang in Kimorha einquartieren und seiner Frau Händchen halten.

„Kelthana braucht ständigen Beistand“, beharrte Arinaya.

„Aber ihr könnt doch unmöglich bis zur Geburt hierbleiben. Euer Sohn ist zu Hause, Marthian hat viel zu arbeiten und die Menschen brauchen ihre Heilerin, Arinaya. Das geht nicht.“

„Dann gehe ich eben mit ihnen“, sagte Kelthana. Während Arinaya sofort Einspruch erheben wollte, fand Nilas die Idee gar nicht schlecht.

„Wenn sie dich aufnehmen können“, sagte er.

„Die Kinder können sicher auch zusammen in einem Zimmer schlafen“, sagte Marthian. „Und was ist mit Milara?“

Die kleine Tochter von Nilas und Kelthana saß auf dem Küchenboden und spielte mit ihrer Stoffpuppe, ohne sich am Gespräch der Erwachsenen zu stören.

„Sie geht mit. Wenn ich kann, tue ich das auch. Aber das sollte doch machbar sein. Ich kann auch monatelang nach Nalemdor gehen, da sollte eine Reise in euer Dorf kein Problem sein“, fand Nilas.

„Meinetwegen gern“, sagte Marthian. „Aber wie sollen die beiden reisen? Eine Schwangere und ein Mädchen von zwei Jahren.“

Nilas war sichtlich unbeeindruckt. „In einer Kutsche.“

Dem hatte niemand etwas hinzuzufügen. Das war sicherlich die beste Möglichkeit. Marthian war, genau wie Arinaya, sichtlich einverstanden mit dem Plan. Kelthana und Nilas begrüßten die Idee sehr, denn sie zerstreute einige ihrer Sorgen.

„Wann seid ihr beim König eingeladen?“ erkundigte Nilas sich.

„Morgen Abend. Ich bin schon sehr gespannt, muß ich sagen. Hoffentlich mache ich mich nicht irgendwie lächerlich!“ sagte Marthian und lachte.

„Du? Warum?“ Nilas verzog fragend das Gesicht.

„Nun ja, ich bin ein einfacher Schmied. Wie man hört, legt der König doch großen Wert auf feines Benehmen.“

„Es wird schon werden. Wenn du mit den Sachen dort aufkreuzt, die ich in deiner Tasche entdeckt habe, stiehlst du allen die Vorstellung!“ Nilas grinste.

„Ich muß doch wenigstens so tun als ob“, erwiderte Marthian. Aber er machte sich tatsächlich Sorgen wegen des königlichen Banketts, das - wie er inzwischen aufgeschnappt hatte - seinetwegen veranstaltet wurde. Es gab anscheinend zuviele Adlige, die darauf brannten, zu erfahren, wie Marthian seine unverwüstlichen Waffen schmiedete. Vor allem hatte er eins beschlossen: Er wollte wahrheitsgemäß Auskunft geben.

Doch an diesem Tag verschwendete er keine Gedanken mehr daran. Er amüsierte sich über Kelthanas Aufregung bezüglich ihrer Zwillinge und vor allem über Nilas, der ihn schräg von der Seite anschaute und ihn mit gesenkter Stimme wissen ließ, daß er dringend einmal mit Arinaya über empfängnisverhütende Kräuter sprechen mußte.

Marthian lachte und wisperte: „Was, schon genug mit drei Kindern?“

„Hör mir auf!“ zischte Nilas. „Wenn ich mir überlege, daß ich eigentlich nie eine Frau wollte, geschweige denn Kinder!“

„Du gibst sie ja doch nicht mehr her. Alle!“ widersprach Marthian.

„Ja, schon, aber jetzt ist genug!“

Marthian konnte es ihm nachfühlen und kommentierte es nicht, daß Nilas tatsächlich bald mit Arinaya in einem anderen Zimmer verschwand und mit einem wissenden Blick zurückkehrte.

Als sie spät abends im Bett lagen, fragte Marthian seine Frau: „Er hat dich nicht wirklich wegen Kräutern gefragt, oder?“

„Doch, genau das hat er getan. Ich soll Kelthana einen Tee zubereiten - nach der Geburt. Bis dahin besteht ja keine Gefahr mehr!“

„Sie ist ja schon schwanger.“

„Nein, das meine ich nicht. Ich habe Nilas nahe gelegt, vorsichtig mit ihr umzugehen und sie bald am besten ganz in Ruhe zu lassen. Es könnte die Kinder gefährden.“

„Ist eine Zwillingsgeburt wirklich so gefährlich? Ich weiß gar nichts darüber“, gab Marthian zu.

„Ja, das ist sie. Ich weiß eigentlich nur etwas über die typischen Beschwerden und daß die größte Gefahr darin liegt, daß die Kinder sich vielleicht nicht richtig drehen. Wenn sie mit den Füßen nach unten liegen, hole ich sie auf jeden Fall durch einen Schnitt. Das Risiko ist sonst zu groß, ähnlich wie damals bei Tabera, als ich schneiden mußte.“

„Du wirst es schaffen“, versuchte Marthian, sie aufzumuntern. „Du bist eine gute Hebamme. Und wenn du Kelthana jetzt zu dir holst, kann gar nichts passieren.“

„Sag das nicht. Ich werde hier in der Stadt noch mit einigen Heilern und Hebammen sprechen und mir Ratschläge geben lassen, denn das Risiko, daß die Mutter oder die Kinder bei der Geburt sterben, ist groß.“

„Wirklich?“

„Ja. Zwillingsgeburten sind wirklich gefährlich, und es kann gut sein, daß ich es nur mit deiner und Lelainas Hilfe schaffe, sie alle wohlbehalten durchzubringen. Es wird verdammt hart.“

„Auf meine Hilfe kannst du zählen“, versprach Marthian.

 

Unter dem Vorwand, zum Markt zu gehen, begab Arinaya sich in die Stadt zu einem namhaften Heiler und sprach mit ihm und zwei Hebammen, die schon Zwillinge auf die Welt geholt hatten. Eine der Frauen riet Arinaya, Kelthana strikte Bettruhe zu verordnen, während die andere es für Humbug hielt und ganz fasziniert von der Möglichkeit schien, daß Arinaya mit Hilfe der Magier die Kinder durch einen Schnitt holen konnte.

„Das würde ich machen“, sagte sie. „Ich hätte es seinerzeit auch getan, wenn ich gekonnt hätte. Ich habe zwei Zwillingsgeburten gehabt und bei einer ist mir die Mutter unter den Händen verblutet. Hätte ich schneiden können, wäre das nicht passiert.“

Arinaya war gewarnt. Sie behielt ihre Erkenntnisse und Sorgen jedoch für sich, denn Kelthana mußte nicht wissen, wie hoch das Risiko für sie war. Sie hatte ein zu zartes Gemüt und hätte sich nur unnötig aufgeregt.

Schon am Nachmittag machten Arinaya und Marthian sich bereit für das abendliche Bankett im Palast. Die Waffen hatte Marthian bereits bei seiner Ankunft am Tag zuvor in den Palast bringen lassen, so daß er sich jetzt nicht damit belasten mußte. Er zog sein Seidenhemd über und schlüpfte in die teuren Lederstiefel, während Arinaya sich in das feine Samtkleid zwängte, das er ihr hatte schneidern lassen. Augenblicke später prangte über ihrem tiefen Ausschnitt das kostbare Geschmeide, das er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte und sie trug auch schon den passenden Ohrschmuck. Es verschlug Marthian fast den Atem, seine Frau in dem wundervollen Kleid zu sehen.

„Steht dir“, sagte er nüchtern und täuschte damit über seine begehrlichen Blicke hinweg. Kurz darauf klopfte Kelthana und machte sich daran, Arinaya aufwendig zu frisieren. Sie hatte ein Händchen dafür und quälte sich mit ihrem runden Bauch hinter den Stuhl, auf dem Arinaya saß, um ihr mit geschickten Tricks Locken zu drehen und die Haare hochzustecken.

Auch Nilas staunte nicht schlecht, als Arinaya einer Adligen gleich vor ihnen stand und sich im Spiegel bewunderte.

„So schön wie eine Königin“, schmeichelte Nilas seiner Freundin, die nur lachte. Sie war einen solch prunkvollen Aufzug nicht gewohnt.

Es dauerte gar nicht lang, bis es klopfte und im kalten Winterwind einige Männer des Königs vor der Tür standen, um die beiden in den Palast zu holen. Marthian legte Arinaya den dicken Wollumhang um und griff zu seinem, ehe er sich von Nilas verabschieden wollte.

„Der König bat uns, Herrn Gromban ebenfalls eine herzliche Einladung auszusprechen“, sagte überraschend einer der Wachmänner. Nilas machte große Augen und sagte: „Wenn ich mitkommen soll, müßt ihr noch kurz warten. Ich werde wohl kaum in meinem ausgebeulten Leinenhemd mitgehen!“

Damit verschwand er in der oberen Etage und die Wächter baten auch Kelthana, mitzukommen, aber sie winkte ab und deutete auf ihren Bauch.

„Mir ist nicht danach“, sagte sie. „Ich habe zudem kein feines Kleid, in das ich meinen Bauch noch hineinzwängen könnte.“ Aber sie ließ Nilas und die anderen gern ziehen, die mit einer Kutsche abgeholt und das kurze Stück zum Palast eskortiert wurden. Es war kalt und stürmisch draußen, aber das war kurz vor dem Jahreswechsel keine Überraschung.

Es dauerte gar nicht lang, bis die Kutsche vor den Stufen hielt, die hoch in den Palast führten. Marthian, Arinaya und Nilas stiegen aus und folgten den Wächtern in den Palast, in dem es angenehm warm war. Da es bereits dämmerte, waren die Kerzenleuchter an Wänden und Decken entzündet und erhellten den Palast.

Der Palast hatte nichts von dem edlen Marmor, wie sie es aus Nalemdor kannten, aber er war genauso groß und imposant. Die Wächter geleiteten die Gäste in einen großen Saal mit langer Tafel, offensichtlich der königliche Speisesaal. Auf der linken Seite der Tafel standen in kleinen Gruppen einige Fürsten mit ihren Gemahlinnen, die bereits eifrig von Dienstmädchen umsorgt wurden. Unter ihnen befand sich auch der König, der die drei Neuankömmlinge jedoch erst bemerkte, als man ihnen schon die Umhänge abgenommen hatte.

Er wußte sofort, wen er vor sich hatte und ließ zwei wohlgenährte Adlige kurzerhand stehen, um die neuen Gäste zu begrüßen.

„Willkommen in Kimorha!“ sagte er und winkte ab, als Marthian höflich den Kopf neigte. „Nein, nein, die Ehre ist ganz meinerseits. Ich freue mich sehr, Euch begrüßen zu dürfen.“ Er schaute gleich zu Arinaya und gab ihr mit seiner Begrüßung Vorzug vor Nilas, der ohnehin noch über den Enthusiasmus des Königs staunte. Man sagte über ihn, daß er ein wankelmütiger, nicht allzu ernster Geist war, aber er bildete sich nichts auf seine Person ein. Üblicherweise hätte er gewartet, bis sie zu ihm gekommen wären, aber er verlor keine Zeit.

„Dann seid Ihr seine Frau, nicht wahr? Die begnadete Heilerin, wie man hört!“ schmeichelte der König Arinaya, die prompt errötete.

„Ich mache nur meine Arbeit“, sagte sie bescheiden.

„Ich habe gehört, daß Ihr Operationen wagt! Darüber muß ich gleich mehr hören. Aber nun zu Euch, Herr Gromban. Es ist mir eine Ehre, Euch ebenfalls begrüßen zu dürfen. Ich hätte Euch vorgewarnt, aber ich habe erst heute erfahren, daß Eure Freunde bei Euch untergekommen sind. Ihr habt mir sozusagen das Vergnügen genommen, sie beherbergen zu dürfen.“

„Entschuldigung“, sagte Nilas unbekümmert. „Das war nicht meine Absicht. Aber sie wohnen stets bei mir, wenn sie in der Stadt sind, außerdem kümmert Arinaya sich um meine Frau. Sie ist guter Hoffnung, wißt ihr.“

„Ich habe es gehört“, sagte der König. „Meinen Glückwunsch!“

„Es sind Zwillinge“, ergänzte Nilas.

„Oh, etwas ganz Besonderes! Dabei habt Ihr bereits eine Tochter, nicht wahr?“

„So ist es.“

„Setzen wir uns“, sagte der König so laut, daß alle es hören konnten. Er nahm am Kopf der Tafel Platz - zu seiner Linken Marthian und Arinaya, rechts von ihm saß Nilas. Während sie sich setzten und auch die anderen Gäste Platz nahmen, trafen noch weitere Adlige ein, die dem König ihre Aufwartung machten. Kurz darauf begann das Mahl. Die ersten Köstlichkeiten wurden aufgetischt und der König forderte alle auf, kräftig zuzulangen. Während sie sich der Vorspeise widmeten, sprach er ein wenig mit Nilas über die Geschäfte der Minjora oder zumindest über das, was Nilas zu erzählen bereit war. Außerdem wußte der König längst nicht alles von den geheimen Geschäften der Organisation.

Schließlich wandte er sich Marthian zu. „Ich bin tief beeindruckt von Eurer Arbeit. Die Waffen, die uns gestern erreicht haben, sind vollkommen makellos. Wie könnt Ihr das nur bewältigen? Allein ist das doch kaum zu bewältigen!“

„Meine Schwägerin Lelaina geht mir zur Hand. Ihre magischen Fähigkeiten sind sehr nützlich“, erklärte der junge Schmied.

„Dennoch müßt Ihr alle Hände voll zu tun haben.“

„Das ist der Grund, weshalb die Wartezeit so lang ist.“

„Hat es eigentlich einen bestimmten Grund, daß Ihr keine Lehrlinge nehmt? Es gibt viele Interessenten und es wäre Euch nur von Nutzen!“

„Das ist wahr“, stimmte Marthian zu. „Ich würde gern einen Lehrling nehmen, nur müßte er ein Vandhru sein. Ich brauche einen Helfer mit magischen Fähigkeiten.“

Der König stutzte. „Dabei seid Ihr selbst kein Magier.“

Marthian sah ihn nicht an, als er antwortete. „Doch, das bin ich. Seit etwas mehr als zwei Jahren wohl, durch einen unglücklichen Zufall.“

Die Männer in der Nähe, die das gehört hatten, verstummten und daraufhin bald alle Menschen an der langen Tafel.

„Wie ist das möglich?“ fragte der König.

„Es gab unter den Vandhru einen dunklen Magier namens Zartokh. Er hat magische Experimente gemacht und dafür waren Menschen ihm gerade gut genug. Er hat es soweit getrieben, daß meine Freunde mich durch Magie retten mußten und dadurch wurde ich selbst zum Magier.“

Starres Staunen war die Antwort auf diese Offenbarung. Endlich wagte es ein Fürst aus dem Süden des Landes, zu fragen: „Beherrscht Ihr dieselbe Magie wie die Vandhru?“

Marthian nickte. „Genau dieselbe Magie. Und so schmiede ich auch meine Waffen: mit Magie.“

„Unmöglich“, widersprach ein anderer Fürst. Marthian ließ es sich nicht nehmen, eine Feuerkugel zu beschwören und in seiner Hand tanzen zu lassen.

„Das dachte ich auch. Es ist aber passiert. Ich bin ein Magier und genau wie Lelaina hatte ich Angst, daß jemand mein Talent für etwas Furchtbares einsetzen will. Allerdings halte ich das inzwischen für unwahrscheinlich, zumal man als Magier auch über einige Möglichkeiten verfügt.“

„Klug gesprochen“, fand der König. „Aber Linthizan ist ja zum Glück tot.“

„Dieser Abschaum“, ereiferte sich jemand am anderen Ende der Tafel.

„Das ist wirklich faszinierend“, wandte der König sich wieder an Marthian. „Ich finde, das erklärt einiges. Ein einzigartiges Talent! Was beherrscht Ihr?“

Marthian gab ein wenig Auskunft über seine Fähigkeiten und auch darüber, wie er seine Waffen schmiedete. Die gesamte Tafel lauschte gebannt und schließlich zeigte Marthian sein eigenes neues Schwert vor, das er mehr mit Magie als mit Feuer und Werkzeug geschmiedet hatte. Zwischen dem Hauptgang des Banketts und der Nachspeise forderte ihn ein hitzköpfiger junger Adliger zum Schaukampf auf, um die Qualität von Marthians Schwert zu prüfen. Wie gebannt hing er mit den Augen an der spiegelglatten, im Licht glänzenden Klinge des jungen Schmiedes, der vom König wohlwollend beobachtet wurde.

Die beiden lieferten sich keinen großen Kampf, aber einen, der ausreichte, um der Klinge des Adligen einige Kratzer zu versetzen. Marthians makelloses, perfekt ausbalanciertes Schwert blieb unversehrt. Prüfend wog der Adlige es in der Hand und stellte fest, daß es zudem kaum Gewicht hatte.

„Fertigt mir ein solches Schwert“, sagte er, ehe er sich wieder setzte. Dem schlossen sich fast alle anderen Anwesenden an.

Arinaya verfolgte die Diskussion mit unverhohlenem Stolz. Ihr war es längst nicht so unangenehm wie Marthian selbst, daß er völlig im Mittelpunkt des Interesses stand. Während sie genüßlich ihre Sahnecreme löffelte, wandte der König sich schließlich ihr zu.

„Ihr steht im Ruf, tödliche Krankheiten und Verletzungen zu heilen. Wie stellt Ihr das an?“

„Meine Schwägerin hilft mir, manchmal auch Marthian. Ich habe Menschen den Blinddarm entfernt, Amputationen vorgenommen und schon ein Kind durch einen Schnitt im Bauch zur Welt gebracht“, erzählte sie, um dem König einen Eindruck zu verschaffen.

„Und wie schafft Ihr das?“

„Ich nehme den Eingriff vor und Lelaina heilt die Wunden und stillt den Schmerz. Das ist eine wunderbare Sache.“

„So hört es sich wirklich an! Ich hörte, Ihr stammt aus der Stadt und habt hier Euer Handwerk erlernt. Ist das wahr?“

Arinaya nickte. „Ich bin hier aufgewachsen.“

„So wie Euer Mann, nicht wahr?“ Auf ihr Nicken hin fragte er: „Warum seid Ihr fortgegangen?“

„Mein Vater starb hier durch Linthizans Hand. Ich wollte hier nicht mehr sein.“

„Wie furchtbar“, bekundete der König. „Ich kann Eure Beweggründe gut verstehen. Dennoch seid Ihr öfter hier, nicht wahr?“

„Ja, das stimmt. Wir besuchen Nilas sehr oft.“

„Auch ein sehr bemerkenswerter Mann, wie ich weiß. Mir kam über euch zu Ohren, daß Ihr Eurer Arbeit nachgeht, obwohl Ihr ein Kind habt.“

„Das ist richtig.“ Arinaya sah den Monarchen forschend an.

„Ist es schwierig?“

„Nein, keineswegs. Ich arbeite schließlich nur dann, wenn sich jemand ein Bein bricht oder etwas derartiges.“

„Ich finde es bewundernswert, wißt Ihr? Ich kenne nicht viele Frauen, die überhaupt den Wunsch hegen, einem Beruf nachzugehen.“

„Meine Arbeit ist wichtig für die Menschen in sechs Dörfern. Sie ist wichtig und macht mir viel Freude, genau wie mein Sohn.“

„Euer Mann ist um eine patente Frau, wie Ihr es seid, sehr zu beneiden!“ sagte der König und brachte Arinaya dazu, daß sie verlegen den Blick senkte, während sie bis zu den Ohren errötete.

„Und eine so schöne noch dazu“, ergänzte der König, so daß Arinaya am liebsten im Boden versunken wäre. Dabei hatte sie bereits an den begehrlichen Blicken mancher Fürsten gespürt, daß sie eine todsichere Wirkung auf sie hatte. Allerdings gefiel es ihr nicht - es waren vor allem die Männer mittleren Alters, deren Gemahlinnen neben ihnen saßen. Arinaya war die einzige Frau unter vierzig Jahren, so schätzte sie.

Sie unterhielten sich über viele verschiedene Dinge, tranken Apfelwein und andere Köstlichkeiten und schließlich wurde noch zum Tanz aufgespielt. Arinaya wußte gar nicht mehr, wie sie sich überhaupt noch bewegen sollte. Marthian, der ebenfalls die interessierten Blicke der anderen Männer in die Richtung seiner Frau bemerkte, achtete tunlichst darauf, sie nicht herzugeben. Er war nicht unbedingt froh darüber, nicht verraten zu haben, daß er Gedanken lesen konnte. Es gab unter den Fürsten einige, die Arinaya am liebsten mit den Blicken ausgezogen hätten und die ihre Hände garantiert nicht bei sich behalten hätten. Er ließ nur zu, daß Nilas mit ihr tanzte und verwehrte es auch dem König nicht, aber ansonsten war er immer zur Stelle, ehe jemand Arinaya zum Tanz auffordern konnte.

Das Bankett endete erst nach Mitternacht. Nilas war betrunken und hielt sich an Marthian, als dieser sich vom König verabschiedete und seinen Weg zur Kutsche fand, die sie zurück nach Hause bringen sollte. Schneetreiben hatte eingesetzt und sie froren nach der Wärme des Palastes entsetzlich, bis sie wieder bei Nilas zu Hause ankamen. Schnell huschten sie ins Haus und gingen sogleich schlafen. Arinaya vernahm leises Kichern aus dem Schlafzimmer ihrer Freunde, als Kelthana den betrunkenen Nilas in Empfang genommen hatte. Vorsichtig nahm sie ihren Schmuck ab, zog die Klammern aus ihrem Haar und ließ sich von Marthian aus dem Kleid helfen. Er wurde wieder mürrisch, als er sie so sah.

Sie lachte über seinen griesgrämigen Gesichtsausdruck. „Was ist?“

„Ich mußte gerade nur an diese scheinheiligen Heuchler denken. Wie sie neben ihren Frauen saßen und ständig dich angestarrt haben.“

Sie seufzte. „Man lernt als Frau damit zu leben. Irgendwie.“

„Es ist nicht gerecht. Männer haben es viel leichter.“

Arinaya zuckte mit den Schultern. „Solange ich dich habe, ist es mir gleich. Du läßt mir alle Freiheiten.“

„Weil ich keinen Grund habe, sie dir zu nehmen. Immerhin liebe ich dich und ich werde dich immer beschützen“, sagte er leise, aber bestimmt.

 

Nilas war nicht untätig und beschaffte ihnen bald eine Kutsche, mit der sie die Reise ins Heimatdorf von Marthian und Arinaya antreten wollten. Bis dahin stand für Marthian allerdings noch ein Besuch bei seinen Eltern auf dem Plan, zu dem Arinaya ihn begleiten wollte. Der kritische Blick von Marthians Mutter fiel natürlich schnell auf den Ohrschmuck, den Arinaya auch an diesem Tag unter ihrem offenen Haar trug.

„Es ist schade, daß ihr Kortas nicht mitbringen konntet. Wie geht es ihm?“ erkundigte seine Mutter sich.

„Er spricht gut und läuft inzwischen sehr sicher. Er ist kaum zu bändigen!“ Marthian lächelte.

„Dann ist es doch inzwischen an der Zeit für ein zweites Kind, nicht wahr?“ Seine Mutter lächelte dabei so aufrichtig, daß er bei ihr keinen bösen Willen spürte. Doch bevor er etwas erwidern konnte, ergriff Arinaya das Wort.

„Und warum?“

Eine berechtigte Frage, wie Marthian fand. Seine Mutter war indes verwirrt.

„Das ist doch üblich“, sagte sie perplex. „Geschwister sind wichtig für ein Kind!“

„Kortas hat Timenor. Außerdem weiß ich, daß Lelaina - im Gegensatz zu mir - noch ein Kind möchte.“ Arinaya ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

„Aber Kinder sind doch so wunderbar!“

„Das sind sie auch. Aber entgegen der landläufigen Meinung kann eine Geburt auch sehr schwierig sein, deshalb verzichte ich lieber.“

Die beiden Frauen starrten einander an und hatten keinerlei Verständnis füreinander. Arinaya stierte Marthians Mutter verbissen ins Gesicht, so daß diese schließlich den Blick abwandte.

„Das verstehe ich nicht“, sagte sie.

„Natürlich nicht“, preßte Arinaya zwischen den Zähnen hervor.

„Sie weiß, wovon sie spricht, denn ihre Mutter ist bei der Geburt ihres Bruders gestorben. Und ich für meinen Teil behalte lieber meine Frau, als daß ich sie zu einem Kind überrede, das sie nicht will“, sagte Marthian von der Seite und warf seinem Vater einen gequälten Blick zu.

„Es ist doch die Entscheidung der beiden“, fand dieser.

„Ein Geschwisterkind wäre trotzdem besser für den Jungen!“ beharrte Arinayas Schwiegermutter.

„Er hat einen Bruder, das ist Timenor. Die beiden leben wie Geschwister“, betonte auch Marthian.

Seine Mutter wollte schon etwas sagen, aber als sie Arinayas giftigen Blick bemerkte, verbiß sie sich den Kommentar.

„Mein Bauch ist mein Problem“, beharrte die junge Heilerin.

„Und meins“, sagte Marthian. „Wir sind uns einig.“

Damit war die unselige Diskussion beendet. Arinaya verlor auch am Abend kein Wort mehr darüber, weil es ihr zuwider war. Ob sie nun weitere Kinder bekam oder nicht, ging ihre Schwiegermutter überhaupt nichts an. Aber sie würde ihr nie sagen, daß sie bei Kortas‘ Geburt fast gestorben wäre.

Sie war glücklich mit ihrem Sohn. Zwar hätte sie gern mehr Kinder gehabt, aber ihre Angst vor einer weiteren Schwangerschaft war einfach noch zu groß. Sie freute sich nun lieber darauf, zu ihrem Jungen nach Hause zurückzukehren. Sie hatte ihn schon seit einer ganzen Woche nicht gesehen.

Nilas hatte einige Aufträge für Marthian während seiner Abwesenheit entgegengenommen und Kelthana bereits beim Packen geholfen. Am nächsten Morgen standen sie zeitig auf und schafften das Gepäck auf Kutsche und Pferde, ehe sie selbst ungeachtet des leichten Schneetreibens in der Kutsche Platz nahmen.

Sie hatten viel Gepäck, denn sie würden monatelang fort sein. Die gesamte Ausstattung für die Zwillinge war dabei, ebenso vieles für die kleine Milara. Das Mädchen saß bei Nilas auf dem Schoß, der dem frierenden Kutscher ein großes Trinkgeld in die Hand gedrückt hatte.

Sie reisten recht komfortabel. Marthian und Arinaya waren froh, die Stadt hinter sich zu lassen und mit ihr den König, die Fürsten und Marthians Mutter. Arinaya bezweifelte, daß sie sich in ihrem Leben noch jemals mit dieser Frau anfreunden würde.

Milara und Kelthana zuliebe machten sie einige Pausen und übernachteten in komfortablen Gasthäusern. Dennoch waren sie froh, als sie endlich das kleine Dorf erreichten, in dem Nilas‘ Kameraden zu Hause waren. Sie wurden schon entdeckt, bevor sie die Kutsche überhaupt verließen. Im spärlichen Schnee vor dem Haus spielten Timenor und Kortas mit Lelaina, die ihren Augen nicht traute, als sie Kelthana und Nilas sah.

„Wie schön, euch zu sehen!“ rief sie und umarmte ihre schwangere Kameradin. Kelthana lachte beim Anblick Lelainas mit einer dicken Fellmütze und einem langen Wollschal. Nur ihre blitzenden Katzenaugen verrieten sie als Vandhru, denn ihre vierfingrigen Hände hatte sie in ihrer Schürzentasche vergraben.

„Was tut ihr hier?“ fragte Lelaina. „Eine Reise in deinem Zustand ist doch anstrengend!“

„Es ist zu meinem Besten“, sagte Kelthana. „Arinaya möchte mich bei sich haben, denn Marthian hat festgestellt, daß ich Zwillinge erwarte! Stell dir nur vor!“

„Wirklich?“ Lelaina freute sich aufrichtig für ihre Kameradin und umarmte auch Milara, die sie schon sehr lang nicht gesehen hatte. Das zweijährige, blondgelockte Mädchen stand der Schönheit seiner Mutter in Nichts nach.

„Mama!“ krähte Kortas enthusiastisch, als er Arinaya und kurz darauf auch Marthian erspähte. Erst jetzt wurde dem Jungen bewußt, wie sehr er seine Eltern vermißt hatte.

Kelthana und Lelaina blieben draußen bei den Kindern, während die anderen das Gepäck ins Haus brachten. Arinaya einigte sich mit Lelaina darauf, daß Kortas und Milara bei Timenor im Zimmer schlafen sollten, so daß Kelthana und Nilas Kortas‘ Zimmer bewohnen konnten. Mit Marthians Hilfe sorgte sie für gute Schlafplätze und quartierte die Kinder um, dann versammelten sich alle in der Küche um den Ofen. Die Kinder hatten sich gleich zusammengerauft, so daß Lelaina sich in Ruhe mit Kelthana unterhalten konnte.

Nilas quartierte den Kutscher im Gasthaus ein, ehe es dunkel wurde. Als er zurückkehrte, war Lelaina gerade damit beschäftigt, mit ihren scharfen Sinnen sozusagen einen Blick auf Kelthanas Zwillinge zu werfen. Sie bestätigte auch Marthians Verdacht, daß es zwei Jungen waren. Das gefiel Nilas sehr gut.

Als Kaliron aus der Werkstatt zurückkehrte, reagierte er ebenfalls überrascht und begrüßte seine Kameraden sehr herzlich. Er gratulierte den werdenden Eltern zu den Zwillingen und freute sich auf den Trubel, der nun bei ihnen Einzug halten würde.

Arinaya hingegen war hauptsächlich froh, daß Kelthana die Reise so gut überstanden hatte. Viel später wäre die Reise gefahrlos gar nicht mehr möglich gewesen.

Als die werdende Mutter und Nilas sich erschöpft zur Ruhe begeben hatten und Marthian und Arinaya eigentlich dasselbe tun wollten, nahm Arinaya Lelaina zur Seite und sprach leise in der Küche mit ihr.

„Diese Geburt wird sehr schwierig. Ich werde dich und Marthian brauchen, damit alles gut geht. Vielleicht hole ich die Kinder wie Taberas Sohn.“

„Meinetwegen“, stimmte Lelaina zu. „Wenn Kelthana nur alles gut übersteht!“

„Ja, das hoffe ich so sehr“, seufzte Arinaya und verdrängte den Gedanken an die Gefahr.

 

 

 

 

 

 

 

 

2. Kapitel: Ein glücklicher Zufall

 

Kelthana fand es ungemein spannend, wieder mit ihren Kameraden unter einem Dach zu leben. Es erinnerte sie unvermeidlich an die Zeit vor etwas mehr als fünf Jahren, als sie nach Vanojda gegangen waren, wo Vikormos Lelaina Magie gelehrt hatte. Damals hatte es allerdings noch keine Kinder gegeben und es war Sommer gewesen, nicht tiefster Winter.

Auf Dauer war es schon ein wenig beengt für drei Familien in einem Haus. Am besten arrangierten sich die Kinder damit, die sich gut verstanden. Nilas verbrachte viel Zeit mit Marthian und traf sich mit Männern der Minjora im Gasthaus, um seine Geschäfte weiter abwickeln zu können. Lelaina nähte mit Kelthana Kleidung für die Zwillinge und Arinaya hielt stets ein wachsames Auge auf ihre geplagte Freundin. In der Tat fehlte es Kelthana oft an Appetit und sie aß nur, weil sie wußte, daß sie es für ihre Kinder tat. Von Woche zu Woche rundete ihr Bauch sich weiter und sie wurde immer fülliger, wie sie selbst lautstark beklagte. Nachts konnte sie nicht schlafen, weil das Gewicht der Kinder allgegenwärtig war, selbst wenn sie auf der Seite lag. Außerdem traten die beiden rege um sich und weckten sie immer wieder. Arinaya bereitete ihr deshalb Tees und untersuchte sie immer wieder. Sehr zu ihrem Bedauern konnte und durfte Kelthana zudem nicht im Haushalt mithelfen. Sie saß meist nur herum, dick und träge, wie sie selbst sagte.

Marthian hatte alle Hände voll zu tun, aber das störte ihn nicht. In seiner Schmiede war es im Winter herrlich warm und er ließ meist die Tür offenstehen, damit die Hitze des Kohleofens ins Haus abstrahlte. An der Wand hing eine lange Liste mit bestellten Waffen, die er unverzagt abzuarbeiten versuchte und wie üblich half Lelaina ihm dabei.

In einer Pause bat sie Marthian, ihr dabei zu helfen, mit Merevas über die Gedankenrede zu sprechen. Marthian umfaßte ihre Hände und nahm mühelos Kontakt mit Lelainas Onkel auf, um ihr die Arbeit zu ersparen. Sprechen konnte sie mit seiner Hilfe trotzdem.

Ihr seid es, sagte Merevas erfreut, als er Marthians und Lelainas Stimme im Kopf hörte. Wie schön, von euch zu hören. Gibt es Neuigkeiten?

Kelthana erwartet Zwillinge, erzählte Lelaina. Sie wohnt jetzt bei uns, weil Arinaya sich Sorgen um sie macht.

Das verstehe ich gut. Grüßt sie schön von mir. Und wie geht es dir, Liebes?

Mir geht es gut. Ich wollte nur einmal mit dir sprechen. Wir haben uns ja lang nicht mehr gehört.

Das ist wahr. Und wie geht es dir und deiner Familie, Marthian?

Oh, es geht allen gut, erwiderte dieser. Nur weiß ich nicht mehr, wie ich meine Arbeit bewältigen soll. Es ist so viel und ich muß es alles allein machen!

Lelaina hilft dir doch. Das muß genügen! Du kannst stolz auf das sein, was du tust, mein Junge. Grüßt alle schön von mir. Vielleicht kommen wir im Sommer zu euch, Kortas sagte da so etwas.

Eine Nachricht, die für die beiden Magier großartig klang. Sie verabschiedeten sich, dann ließ Marthian die Verbindung abreißen.

„Ich wünschte, ich könnte ihn öfter sehen“, seufzte Lelaina.

„Ja, es ist schade, daß die Vandhru sich immer noch verkriechen. Und wir können ja hier nicht fort. Gab es nicht eigentlich die Überlegung, daß einige Vandhru herkommen und sich als Botschafter hier niederlassen?“

Lelaina nickte, weil sie als Mitglied des vandhrischen Regierungsrates darüber Bescheid wußte. „Das stimmt, nur gibt es Widerstand. Du kennst das.“

Marthian winkte ab und fuhr mit seiner Arbeit fort. Das Kreischen der Kinder störte ihn dabei gar nicht.

Er rechnete mit nichts, als er eine ganze Weile später Kortas‘ Stimme im Kopf hörte. Überrascht hielt er inne.

Marthian, richtete sich sein vandhrischer Freund an ihn. Merevas hat mir von euch erzählt. Vielleicht habe ich eine gute Nachricht für dich.

So? fragte Marthian. Worum geht es?

Du könntest einen Helfer bekommen, wenn du magst. Endaron hat in Inessia einen Freund, einen Schmied. Er ist noch in der Ausbildung und möchte sich spezialisieren als Waffenschmied. Er kam vor kurzem her, um sich hier einen Lehrmeister zu suchen, aber scheinbar hatte er keinen Erfolg. Endaron hat es mir erzählt, weil er an dich dachte. Varneas heißt der Bursche und er steht wohl kurz vor dem Ende seiner Ausbildung. Wenn du möchtest, frage ich ihn, ob er Interesse daran hat, bei einem Menschen in die Lehre zu gehen. Was hältst du davon?

Marthian war völlig überrumpelt. Würde er das tun? Er müßte ja hier leben - für eine ganze Weile, wenn es nach mir ginge.

Du denkst falsch darüber. Diese Weile ist doch für einen Vandhru keine Zeit! Außerdem ist Lelaina in deiner Nähe, also hätte er Gesellschaft. Endaron meinte, er interessiere sich wohl auch sehr für Menschen. Denk darüber nach; so könntest du Hilfe bekommen.

Ja, natürlich, stimmte Marthian zu.  Laß mich darüber nachdenken, ich gebe dir Bescheid.

Damit endete das Gespräch. Marthian legte den Rohling eines Dolches zur Seite und überlegte. Das könnte die Chance sein, auf die er schon seit langem wartete - er könnte wirklich Hilfe bekommen. Bei einem Vandhru waren alle Voraussetzungen perfekt.

Aber er kannte den Burschen nicht und er würde ihn zumindest für die Dauer seiner Lehrzeit aufnehmen müssen.

Nachdenklich begab er sich zu den Mädchen in die Wohnstube. Kelthana und Lelaina nähten und plauderten, während Arinaya eine Kräuterpaste zubereitete. Vor den Fenstern herrschte dichtes Schneetreiben, aber das war ihnen im Haus egal. Die Kinder hatten sich um den wärmenden Kamin geschart.

„Kortas hat gerade mit mir gesprochen“, begann Marthian und erzählte Lelaina und Arinaya von dem, was er erfahren hatte. Sie lauschten beide sehr aufmerksam und waren beide gleichermaßen von der Idee angetan, vor allem Lelaina.

„Ich finde das großartig“, sagte sie. „Dann hätte ich Gesellschaft aus Nalemdor! Das wäre toll. Und du hättest endlich deinen Helfer. Mach das!“

„Er würde hier leben, zu unserer Familie gehören. Und wir kennen ihn gar nicht“, sagte Marthian. „Er bräuchte ein eigenes Zimmer.“

„Das baut Kaliron ihm sicher im Frühjahr“, sagte Lelaina. „Fragen wir ihn, wenn er kommt.“

„Ich finde die Idee auch gut“, sagte Arinaya. „Das wäre toll. Sprich nur mit Kortas!“

Doch erst fragten sie Kaliron, als er am Abend nach Hause zurückkehrte. Auch er war einverstanden, so daß Marthian mit Kortas Kontakt aufnahm und ihn bat, Varneas einmal anzusprechen. Kortas begrüßte die Idee und versprach, sich bald wieder bei ihm zu melden.

Marthian wartete das Ergebnis gespannt ab. Den ganzen nächsten Tag hoffte er ungeduldig auf eine Antwort und auch am übernächsten Tag wartete er unwillig und beinahe frustriert. Doch dann, spätabends, hörte er Kortas wieder.

Ich habe mit Varneas gesprochen und ihm von dir erzählt. Ich habe erzählt, daß du ein Spezialist bist, der dringend Hilfe braucht und habe ihm geschildert, wie ihr lebt. Er brennt darauf, Lelaina kennenzulernen und findet meinen Vorschlag großartig. Er kommt gern, um bei euch zu leben und mit dir zu arbeiten. Allerdings sollten wir das Winterende abwarten, was meinst du?

Ja, natürlich, stimmte Marthian zu. Begleitest du ihn?

Weiß ich noch nicht. Wenn ich kann, tue ich das. Sonst komme ich mit Merevas im Sommer. Meinen Glückwunsch auf jeden Fall zu deinem Lehrling. Ich denke, du kannst ihn brauchen.

Der Meinung war Marthian ebenfalls. Er war gespannt, aber er machte sich auch Sorgen. Was, wenn sie sich gar nicht verstanden? Er kannte Varneas doch überhaupt nicht. Aber einen Versuch war es wert.

 

Die Zeit ging ins Land. Marthian mußte sehen, daß er sich die drei Kinder in der Werkstatt vom Hals hielt und Kaliron verbrachte jede freie Minute damit, für seine Freunde passende Betten zu zimmern. Als er damit fertig war, machte er sich daran, ein Bett in Vandhrugröße zu fertigen, das er aufrecht stehend in der Vorratskammer verstaute. All das tat er neben seiner regulären Arbeit und plante bereits mit Marthian, wo sie für Varneas ein Zimmer anbauen wollten.

„Vielleicht ziehen wir doch mal um“, murmelte Marthian, „und ich kaufe uns einen großen Hof. Allmählich wird das Haus immer kleiner, dabei haben wir schon angebaut!“

„Tu, was du nicht lassen kannst“, grinste Kaliron. „Kommt ja auch ganz darauf an, wieviele Kinder wir noch haben werden!“

„Wohl wahr“, sagte Marthian.

„Lelaina ist völlig vernarrt in Milara und jetzt will sie auch eine Tochter. Das kannte sie bislang mit unseren Söhnen gar nicht, die raufen immer und hauen sich mit ihren Holzschwertern, aber Milara ist so reinlich und spielt brav mit ihren Puppen.“ Kaliron seufzte. „Jetzt hat sie einen Floh im Kopf.“

„Milara ist ein süßes Kind“, stimmte Marthian seiner Schwägerin zu. „Ich hätte nichts gegen so eine kleine Prinzessin, aber ich muß die Kinder ja nicht kriegen.“

„Hat Ari immer noch Angst davor?“

Marthian nickte. „Du hast die Geburt ja nicht miterlebt, du Glücklicher.“

„Aber ich habe es gehört. Ich hatte eine Heidenangst, das kannst du mir glauben.“

Erst wußte Marthian nicht, was er sagen sollte, dann fragte er mit gesenkter Stimme: „Timi wird fünf, soll er denn nicht wirklich noch ein Geschwisterchen haben?“

„Ja, natürlich.“ Kaliron grinste verschmitzt. „Wir arbeiten hart daran, aber es klappt nicht so recht, wie man sieht. Ari meinte schon, es hätte vielleicht mit Lelainas Abstammung zu tun. Vandhru bekommen nicht so leicht Kinder.“

„Schon möglich“, sagte Marthian. Anders konnte er sich das auch nicht erklären, denn er wußte, daß nur Arinaya ständig die scharfen Kräutertees trank.

Sie war auch jetzt dabei, einen Tee aufzusetzen, denn Kelthana klagte wieder über allgemeines Unwohlsein. Wenig verwunderlich, fand die junge Heilerin, denn obwohl Kelthana erst im siebten Monat war, hatte ihr Bauch den Umfang einer Frau, die kurz vor der Niederkunft stand.

Kelthana konnte nicht mehr viel tun. Sie erinnerte Arinaya sehr an sich selbst, denn sie hatte ebenfalls solche Schwierigkeiten gehabt. Die meiste Zeit saß Kelthana irgendwo herum, klagte über Rückenschmerzen und beschäftigte sich mit Handarbeiten. In der Küche half sie mit den Essensvorbereitungen und tat alles, was sie konnte, aber allzu viel war es in der Tat nicht. Vor allem Marthian blieb nicht verborgen, wie sehr es Nilas nervte, enthaltsam sein zu müssen. Aber auch bei ihm überwog die Sorge um seine Frau.

Lelaina kümmerte sich die meiste Zeit um die drei Kinder, denn Arinaya wurde zu vielen Kranken gerufen und schaute auch immer wieder nach Kelthana. Sie tastete ihren Bauch ab und fand so heraus, daß beide Kinder in der richtigen Geburtsposition lagen. Damit wurde eine normale Geburt immer wahrscheinlicher; zumindest mußte sie nicht von vornherein eine Operation ins Auge fassen.

Einige Tage später beschloß Kelthana morgens, Lelaina zum Markt zu begleiten und nahm auch ihre Tochter mit. Sie war froh, endlich einmal vor die Tür zu kommen und genoß die kalte Schneeluft. Die Straßen und Häuser waren weiß, die Bäume ebenfalls, auch der Brunnen in der Dorfmitte. Gemeinsam schlenderten die beiden Freundinnen mit der kleinen Milara über den Markt und schauten sich alles an. Es war kalt, aber sonnig; ein wunderbarer Wintertag.

Sie wollten sich gerade wieder auf den Rückweg machen, als Kelthana plötzlich abrupt stehenblieb und eine Hand auf ihren Bauch legte. Sie krümmte sich zusammen und stöhnte schmerzerfüllt.

„Was ist?“ rief Lelaina sofort und trat bestürzt vor ihre Freundin.

„Ich ... ich muß mich setzen“, sagte Kelthana und geriet ins Taumeln. Sofort winkte Lelaina zwei Männer herbei, die Kelthana unter die Arme griffen und ihr auf den Hocker eines Tuchhändlers halfen. Lelaina blieb indes zu Tode erschrocken stehen und starrte auf die roten Blutstropfen im Schnee.

Ohne ein Wort drehte sie sich um und rannte nach Hause, wo sie laut nach Arinaya und Marthian rief.

„Was ist los?“ fragte Arinaya, als sie den Kopf aus ihrem Behandlungsraum steckte.

„Kelthana“, sagte Lelaina nur. Auch Marthian war sofort zur Stelle. Ohne überhaupt an Mäntel zu denken, folgten die beiden Lelaina zum Markt und ließen darüber auch die Kinder allein. Atemlos rannte er die Straße zum Markt entlang, wo sich nun auch einige Frauen um Kelthana und ihre Tochter kümmerten. Sie reagierten erleichtert, als sie Arinaya kommen sahen.

„Ari“, stieß Kelthana stöhnend hervor, „was passiert mit mir?“

„Das werden wir gleich sehen“, versuchte Arinaya mit ruhiger Stimme zu sagen. Ohne zu zögern hob Marthian die zitternde Kelthana auf seine Arme und trug sie hastig nach Hause. Arinaya und Lelaina kümmerten sich um Milara, die es höchstens eigenartig fand, was mit ihrer Mutter geschah.

Marthian bettete Kelthana in Arinayas Behandlungsraum auf die Liege und ging zurück an die Arbeit, da er gerade ohnehin nicht helfen konnte. Lelaina hatte ein Auge auf die Kinder, aber sie blieb in der Nähe, um helfen zu können.

Arinaya mußte sich erst einmal einen Eindruck verschaffen. Vorsichtig tastete sie Kelthanas Bauch ab und untersuchte sie sorgfältig, ehe sie Lelaina zu sich bat und ihr auftrug, nach den Kindern zu sehen.

„Alles in Ordnung“, gab die junge Frau kurz darauf Entwarnung.

„Aber was ist los?“ fragte Kelthana.

„Vermutlich gar nichts“, sagte Arinaya. „Wehen hast du doch nicht, oder?“

„Nein.“ Kelthana schüttelte den Kopf. „Nur Schmerzen.“

„Daß man vor der Geburt Blutungen hat, muß nichts heißen. Wenn du jetzt Wehen hättest, würde ich die Kinder holen, aber so legen wir dich am besten einfach ins Bett und warten ab.“

„Aber warum blute ich denn?“

Arinaya zuckte mit den Schultern. „Du hast eine schwierige Schwangerschaft. Das kann alle möglichen Gründe haben. Marthian bringt dich jetzt ins Bett und da bleibst du dann.“

„Bis zur Geburt?“ fragte Kelthana entsetzt.

„Ja. Das ist am besten. Tut mir leid“, sagte Arinaya achselzuckend und holte Marthian. Sie sollte sich so wenig wie möglich bewegen.

Lelaina und Arinaya kümmerten sich aufmerksam um die werdende Mutter. Sie brachten ihr Tee und Leckereien, plauderten und nähten mit ihr und immer wieder überwachte Arinaya ihren Zustand. Die Blutungen hatten aufgehört, aber nicht so ihre Sorge. Es wurde immer gefährlicher.

Als Kelthana einmal schlief, vor lauter Nichtstun müde geworden, winkte Arinaya Lelaina in die Küche und sagte: „Ich weiß nicht, was ich machen soll. Am liebsten würde ich die Kinder jetzt holen und es für sie beenden, aber sie werden sowieso zu früh kommen und da zählt jeder Tag. Andererseits wird es auch gefährlicher...“

Lelaina zuckte mit den Schultern und seufzte. „Ich weiß, es ist schwierig. Verdammt schwierig. Mir graut es genauso vor dieser Geburt wie dir. Das wird nicht leicht.“

Arinaya starrte auf den Boden. „Ich habe solche Angst, daß sie stirbt, sie oder eins der Kinder.“

„Niemand stirbt hier“, versuchte Lelaina, sie aufzumuntern.

„Was soll ich bloß machen? Ich würde ihr so gern alles erträglicher machen, aber das kann ich nicht. So gelitten habe ich nicht einmal.“

Das stimmte wohl, brachte sie aber auch nicht weiter. Ständig saß jemand bei Kelthana am Bett, meist waren es Nilas oder Lelaina. Dennoch wurde es eine sehr mühselige Zeit für Kelthana, die ständig fragte, ob sie nicht doch aufstehen könne. Aber Arinaya blieb hart und erkundigte sich immer wieder nach ihrem Befinden.

„Ich werde noch wahnsinnig“, klagte Nilas wenig später bei Marthian in der Werkstatt. Der junge Waffenschmied zuckte hilflos mit den Schultern. Verstehen konnte er es, aber er konnte Nilas da auch nicht helfen.

„Und Arinaya hatte es auch so schwer?“ fragte Nilas.

„Nicht so schwer wie Kelthana, aber es war hart.“

„Kein Wunder, daß sie davon genug hat.“

„Ja, da sagst du was. Unsere armen Frauen können einem schon leid tun.“

Nilas nickte und brummte mißmutig. „Vorhin sagte sie zu mir, ich müsse sie doch häßlich finden, weil sie so fett ist.“

„Das hat sie gesagt?“ fragte Marthian ungläubig.

„Genau so.

„Sie spinnt“, fand Marthian mit einem Kopfschütteln.

„Und wie. Was kann sie dafür?“

Dennoch konnte Marthian irgendwie nachvollziehen, was Kelthana empfand. Arinaya war sich zum Schluß genauso unförmig vorgekommen und hatte nicht begriffen, daß es ihn überhaupt nicht störte.

Während Nilas wieder zu Kelthana zurückkehrte, fuhr Marthian mit seiner Arbeit fort. Arinaya war gerade dabei, die Bauklötze der Kinder ein wenig aus dem Weg zu räumen, als es an der Haustür klopfte. Skeptisch spähte sie aus dem Fenster in das wenig einladende Schneetreiben hinaus und beeilte sich, zur Tür zu kommen. Überrascht starrte sie den Besucher an und suchte nach Worten. Vor ihr stand ein junger, blonder Vandhru, der seinen dicken Umhang um seinen Körper geschlungen hatte und nicht mehr als ein Pferd und ein wenig Gepäck dabei hatte.

„Bin ich hier richtig bei Marthian, dem Waffenschmied?“ fragte er beinahe ein wenig schüchtern.

„Ja, sicher“, sagte Arinaya und trat zur Seite. „Kommt herein, es ist doch so kalt.“

„Ich bin Varneas“, sagte der Vandhru und lächelte. Seine rehbraunen Augen blitzten freundlich.

„Mein Name ist Arinaya. Marthian ist mein Mann“, sagte sie und schloß die Tür hinter Varneas.

„Oh“, sagte dieser. „Wie schön, Euch kennenzulernen! Kortas hat mir von Euch erzählt.“

In diesem Augenblick erschien Lelaina im Wohnraum und stutzte. „Wer seid Ihr?“ fragte sie verblüfft.

„Varneas, der Schmied“, erklärte er. „Und Ihr müßt Lelaina sein!“

„Richtig“, sagte sie. „Kommt, wir gehen zu Marthian.“

Varneas folgte ihr durch die Küche zur Werkstatt, wo Lelaina sagte: „Sieh mal, wer hier ist, Marthian.“

Der junge Mann ließ den Hammer auf den Amboß sinken und machte große Augen, als er den Vandhru entdeckte. „Varneas?“ fragte er überrascht.

„Stimmt“, sagte dieser. „Es ist mir wirklich eine Ehre, Euch kennenzulernen.“

„Keine falsche Höflichkeit, sag einfach du“, schlug Marthian vor und Varneas nickte sogleich. „Entschuldige, wenn ich das so sage, aber ich habe noch gar nicht mit dir gerechnet. Kortas meinte, du würdest im Frühjahr kommen.“

„Sollte ich auch“, erwiderte Varneas. „Aber er hat auch dann keine Zeit, mitzukommen, und da wir einen milden Winter haben, konnte ich ihn und die Seeleute überreden, mich schon herzubringen. Ich war so gespannt auf alles hier!“

„Wir haben noch gar keinen Platz, wo du bleiben kannst“, sagte Marthian bedauernd. „Es sollte eigentlich fertig sein, wenn du kommst.“

„Das ist ja meine eigene Schuld. Ich schlafe dort, wo Platz ist. Das geht schon.“

„Das ist genau das Problem“, lachte Lelaina. „Wir sind hier gerade mit drei Familien zu Hause, aber es wird schon gehen.“

„Wo kann ich mein Pferd unterbringen?“

„Ich mache das“, bot Marthian an und griff zu seinem Umhang. Sie nahmen dem Pferd das Gepäck ab, dann brachte er das Tier zum Bauern, der auch ihre übrigen Pferde hütete. Varneas blieb verlegen bei den Mädchen stehen und schaute sich um.

„Ich war noch nie bei den Menschen“, sagte er. „Aber Kortas sagte mir, es sei gar nicht so anders.“

„Ist es auch nicht“, fand Lelaina.

Neugierig nahm der Vandhru alles in Augenschein. Als er Timenor entdeckte, lachte er und schaute zu Lelaina. „Euer Sohn?“

„Ja, er heißt Timenor.“

Der Junge war entzückt, noch jemanden mit langen Ohren zu entdecken. Auch den kleinen Kortas konnte Varneas gleich zuordnen und lachte, als er hörte, wie der Junge hieß. Er machte sich auch gleich mit Nilas und Kelthana bekannt und wartete dann auf Marthians Rückkehr.

Durchgefroren und mit weißgeschneitem Umhang tauchte dieser schnell wieder auf, nahm sich unverzagt seines Lehrjungen an und zeigte ihm alles. Schnell verschwanden beide in der Werkstatt, wo Varneas sich die letzten Arbeiten von Marthian anschaute.

„Du bist wirklich ein Meister deines Faches“, lobte er den Menschen.

„Das sagen mir normalerweise nur Menschen, die kaum begreifen können, daß ich Magie beherrsche.“

Varneas lächelte. „Du bist der einzige Mensch, nicht wahr?“

Marthian nickte ernst. „Ja, einen anderen gibt es nicht. Lelaina und ich sind die einzigen Magier unter den Menschen - dabei ist sie auch eine Halbvandhru.“

„Ich soll ihr einen Gruß von ihrem Onkel bestellen und dir viele Grüße von Kortas. Er sagte, er wird im Sommer mit Merevas kommen.“

„Du bist ein Freund von Endaron, sagte er.“

„Das stimmt. Ich bin froh, daß alles so gekommen ist. Es gibt nicht viele Waffenschmiede unter den Vandhru und entweder hatten sie schon Lehrlinge oder wollten keine. Es gibt auf ganz Nalemdor niemanden, der mich ausbilden wollte. Aber ich möchte unbedingt Waffenschmied werden und dann hat Endaron Kortas davon erzählt.“

„Ich brauche dringend Hilfe“, gestand Marthian. „Du kannst dir vorstellen, wie versessen die Menschen auf magiegeschmiedete Waffen sind.“

„Aber ich bin doch noch in der Ausbildung.“

„Ja, noch. Aber so lang wird das nicht dauern. Du wirst schon sehen. Hier kannst du viel mehr verdienen als auf Nalemdor, denn hier sind wir beiden die einzigen, die Waffen mit Magie schmieden.“

Varneas lächelte. „Das ist nicht so wichtig. Ich möchte nur arbeiten und ich finde es sehr aufregend unter den Menschen.“

„Warum interessiert dich das so?“

„Weiß ich nicht.“ Varneas zuckte mit den Schultern. „Ich möchte wissen, ob ihr euch wirklich so sehr von den Vandhru unterscheidet. Viele behaupten das.“

Dazu wußte Marthian nichts zu sagen, denn es gab Unterschiede, aber auch viele Gemeinsamkeiten. Varneas sollte es für sich selbst herausfinden.

„Wie alt bist du?“ erkundigte Marthian sich.

Varneas rechnete kurz nach. „Einhundertsiebenundsechzig Jahre“, erwiderte er.

„Für einen Vandhru sehr jung.“

„Und du?“

„Sechsundzwanzig“, sagte Marthian grinsend.

„Oh. Sag mal, wie alt werden Menschen denn überhaupt?“ fragte Varneas verlegen.

„Nicht so alt wie du jetzt bist“, sagte Marthian nicht ganz ernst gemeint.

„Wirklich? Oh. Bist du dann eher alt oder jung?“

„Noch jung. Alt ist man mit sechzig Jahren.“

Varneas nickte eifrig. „Weißt du, ich habe mich zuerst als Kürschner verdingt, eine ganze Zeit sogar. Aber irgendwie hat es mir nicht gefallen. Deshalb werde ich jetzt Schmied.“

„Gute Wahl“, kommentierte Marthian trocken. Sogleich waren die beiden bei der Sache und Marthian versuchte herauszufinden, welchen Kenntnisstand Varneas hatte. Dabei stellte er fest, daß der Vandhru Befangenheit verspürte und nicht ganz wußte, wie er sich verhalten sollte. Irgendwann war es Marthian zu dumm und er sagte: „Niemand erwartet von dir, daß du gleich alles über Menschen weißt. Frag nur, was du wissen willst und dir ist auch niemand böse, wenn du mal etwas Seltsames sagst oder tust. Du mußt nicht so schüchtern sein.“

„Das hat damit nichts zu tun“, erwiderte Varneas, ohne ihn anzusehen. „Ich bin immer so.“

Wenn er das sagte! Marthian konnte es nicht beurteilen. Aber warum sollte es keine schüchternen Vandhru geben?

Gemeinsam räumten sie das Bett, das Kaliron dankenswerterweise bereits gezimmert hatte, in den Wohnraum und stellten es unter die Treppe. Marthian betonte, daß sie im Frühjahr auf jeden Fall dafür sorgen würden, daß Varneas ein eigenes Zimmer bekam, aber darauf legte er keinen gesteigerten Wert.

„Es geht auch so“, meinte er achselzuckend.

„Aber morgens werden dir die Kinder um die Ohren toben!“ warnte Marthian ihn.

„Das macht nichts, ich bin Frühaufsteher.“

Ein wenig haderte Marthian mit der ernsten, stillen Art des Vandhru, aber er war ihm nicht unsympathisch. Vor allem machte er den Eindruck, als verstehe er etwas von seinem Handwerk und daß er sogar seine Heimat verlassen hatte, sprach dafür, daß ihm viel an seiner Arbeit lag und daß er einiges hineininvestierte.

Am Abend lernte Varneas noch Kaliron kennen und saß gleich mit allen gemeinsam am Tisch - mit allen außer Kelthana, zu der Nilas sich sehr schnell wieder gesellte. Kaum daß er fort war, fragte Varneas leise: „Wie lang hat seine Frau noch bis zur Geburt?“

Arinaya zuckte mit den Schultern. „Sie ist jetzt im siebten Monat, aber da sie Zwillinge erwartet, könnte es bald schon soweit sein.“

„Ja, das habe ich schon gespürt“, sagte Varneas und war verdattert darüber, daß er damit niemanden überraschte. Dann begriff er, wieso.

Er erzählte, daß er noch einen älteren Bruder hatte und in Inessia aufgewachsen war. Dort hatte er auch Endaron kennengelernt, der nicht allzu viele Freunde gehabt hatte. Die meisten Vandhru hatten mit Vorbehalten auf seine Mutter reagiert.

Während er plauderte, tat er sich an dem schlichten Abendbrot gütlich, das die Menschen aufgetischt hatten. Es war ungewohnt für ihn, aber er mochte es. Neugierig beobachtete er, wie anschließend die Kinder zu Bett gebracht wurden. Besonders Timenor faszinierte ihn sehr, denn er war ein kleiner Vandhru mit fünf Fingern. Das fand er sehr eigenartig.

Er fand es auch eigenartig, daß drei Familien unter einem Dach hausten, aber Marthian erklärte es ihm auf seine Frage hin.

„Kelthana und Nilas sind wegen der Schwangerschaft hier. Sie leben eigentlich in Kimorha. Und wir leben mit Lelaina und Kaliron zusammen, weil ...“ Er zuckte mit den Schultern. „Arinaya und Kaliron sind unzertrennlich. Außerdem ist immer jemand für die Kinder da. Es hat nur Vorteile.“

„Aber wollt ihr denn nicht einmal allein sein?“

„Das sind wir, wenn wir es wollen. Ich finde es schön so. Es ist immer Leben im Haus.“

„Wie alt ist dein Sohn?“ erkundigte Varneas sich, da er es nicht schätzen konnte.

„Fast zwei Jahre. Nilas‘ Tochter ist ein paar Monate älter als er und Timenor ist fünf.“

„Wann sind Menschenkinder denn erwachsen?“

„Was verstehst du denn darunter?“

Varneas zuckte mit den Schultern. „Wann heiratet ihr?“

„Wir können es mit sechzehn Jahren. Ein wenig früher können Mädchen Kinder bekommen. Wie ist das bei Vandhru?“

„Viel später“, winkte Varneas ab. „Es gibt keine festgesetzte Altersgrenze, ab der Vandhru heiraten dürfen. Die früheste Eheschließung ist erfolgt, als die Braut etwa dreißig Jahre alt war. Das hat für Empörung gesorgt!“

„Können Vandhru so früh schon Kinder haben?“

Varneas nickte. „Es dauert ein paar Jahre länger als bei euch, aber es ist nicht so viel.“

„Aber Vandhru bekommen nicht so leicht Kinder“, stellte Marthian fest.

„Nein, aber wie es genau ist, kann ich dir nicht sagen“, grinste Varneas und errötete.

„Wie war denn deine Reise hierher? Hast du es gut gefunden?“

„Kortas sagte mir, ich solle einfach nach dir oder Lelaina fragen und die Menschen könnten mir den Weg weisen. So war es auch. Ich fand es interessant und es unterscheidet sich gar nicht so sehr von Nalemdor.“

„Nein, das ist wahr. Wenn du möchtest, zeige ich dir auf einer Karte die Länder um Kimoraya herum. Du kennst doch nichts davon, oder?“

Varneas schüttelte den Kopf. „Gar nichts. Ich weiß nur, daß ich in Lenordhisa angekommen bin und daß eure Hauptstadt Kimorha heißt.“

„Das ist nicht viel“, lachte Marthian. Arinaya brachte Varneas Decken und Kissen für sein Bett, als Lelaina und Kaliron schlafen gingen. Auch sie saß nicht mehr lang mit Marthian und dem Vandhru zusammen. Sie lag kaum im Bett, als Marthian zu ihr kam. Varneas hatte sich zufrieden zur Ruhe begeben und Marthian war sehr froh, daß Varneas ein so sympathischer Bursche war.

„Er ist nett, oder?“ fragte Arinaya leise, ehe sie sich an ihn schmiegte.

„Ja, ist er. Das ist wirklich ein Glücksfall. Ich glaube, wir werden uns gut verstehen. Er ist zwar ein wenig schüchtern, aber das macht nichts.“

„Wichtig ist, daß ihr beiden euch versteht“, sagte Arinaya und schloß die Augen.

 

 

3. Kapitel: Machtlos

 

Varneas sog alle Eindrücke des menschlichen Lebens in sich auf wie ein Schwamm. Es störte jedoch keinen der jungen Leute, aufmerksam von dem Vandhru beobachtet zu werden. Alles, was er sah, interessierte Varneas: Die Spiele der Kinder, die Zubereitung des Essens, das Aussehen der Münzen, mit denen die Mädchen einkaufen gingen. Er hatte auch keinerlei Schwierigkeiten, sich zu merken, in welcher Konstellation die Freunde zueinander standen.

Das einzige, was ihn darüber hinaus interessierte, war die Frage, wie sie überhaupt zueinander gefunden hatten. Marthian hatte ihm nämlich erklärt, daß sie eigentlich aus Kimorha stammten.

Während er Varneas aufmerksam dabei zusah, wie er einen Schwertrohling mit ruhiger Präzision bearbeitete, erzählte er von ihrem ersten Abenteuer und davon, wie Nilas plötzlich mit Arinaya vor ihm gestanden und ihm wirres Zeug von Linthizan und den Vandhru erzählt hatte.

„Das hast du bestimmt nicht geglaubt, oder?“ fragte Varneas grinsend.

„Nein, ich habe es erst dann geglaubt, als Linthizans Handlanger uns auf der Straße angegriffen haben. Und dann haben wir uns auf die Reise gemacht, eher gesagt auf die Flucht.“ Marthian fuhr fort, Varneas vom Flammenriss, den Dunkelschleichern und den Lebenshäschern zu erzählen. Aus Geschichten kannte der Vandhru letztere bereits und machte umso größere Augen, als er hörte, daß Marthian sich damals ohne jede magische Fähigkeit todesmutig in den Kampf mit den todbringenden Wesen gestürzt hatte.

„Es ging um meine Frau“, sagte Marthian achselzuckend.

„Wart ihr damals schon ein Paar?“

„Nein, das kam erst ein wenig später. Wir haben dann jedoch bald in Silurkhan geheiratet.“

„Ihr gehören die Dolche in eurem Zimmer, nicht wahr?“

„Ja, das stimmt.“ Mit vor Stolz geschwellter Brust erzählte Marthian, daß Arinaya wie eine Assassine für Lelainas Freiheit gekämpft und sich todesmutig Linthizan entgegengestellt hatte.

„Kortas sagte auch so etwas“, erklärte Varneas. „Er sagte, er habe große Achtung vor ihr und meinte, sie hätte sich Zartokh entgegengestellt. Was hat sie gemacht?“

„Sie hat sich in seine Gefangenschaft begeben, um unseren Sohn zu schützen und ihn hat er tatsächlich nicht gefunden“, gab Marthian Auskunft. Varneas machte nur große Augen.

„Er war es, der dich zum Magier machte, nicht wahr?“

Marthian erzählte ihm auch, wie sich das zugetragen hatte, während er ihm einige Handgriffe beim Formen des Schwertes zeigte. Der Vandhru geriet ins Staunen, als ihm klar wurde, was Marthian schon alles erlebt hatte.

„Dagegen ist mein Leben richtig langweilig“, lachte er.

„Das würde mir manchmal auch besser gefallen, aber es kam nun einmal anders. Jetzt bin ich Magier und profitiere davon. Manchmal bleibt neben der Arbeit wenig Zeit für meine Familie.“

„Ich hätte auch gern eine Frau“, sagte Varneas verträumt.

„Du hast doch noch verdammt viel Zeit!“ stellte Marthian fest. Ihm gefielen Varneas‘ vielseitige Interessen und der Fleiß, den er bei der Arbeit an den Tag legte. Er war sehr talentiert und versuchte stets, Marthians Hinweise mit Perfektion zu befolgen. Allerdings mußte er sich Mühe geben, um etwas über den Vandhru zu erfahren. Dieser interessierte sich nämlich weit mehr für die Menschen, als daß er etwas über sich erzählt hätte. Er hatte das Gefühl, neben Marthians aufregenden Abenteuern nichts Erzählenswertes zu haben.

Marthian lenkte das Gespräch auf Endaron und da taute Varneas ein wenig auf. Endaron war sein bester Freund und deshalb hatte es ihn sehr bewegt, zu erfahren, wer er eigentlich war.

„Er kam vor Wintereinbruch nach Inessia, um ein Mädchen zu besuchen. Er ist schon seit langem verliebt und wollte ihr einen Antrag machen.“

„Hat sie ihn angenommen?“

Varneas nickte. „Sie werden dieses Jahr heiraten. Dabei war sie genau wie ich ahnungslos, was seinen Vater angeht. Zwar hatten wir gehört, daß ein Sohn des Königs aufgetaucht ist, aber dann hat Endaron uns offenbart, daß er es ist.“ Er schüttelte den Kopf. „Das war unglaublich.“

„Hat es etwas verändert?“

Varneas zuckte mit den Schultern. „Er lebt ja nun in Tarindon, und seine Mutter ist fort.“

„Hat sie ihm denn gar nicht geschrieben?“

„Doch, kurz vor meiner Abreise kam ein Schreiben, hat er erzählt. Sie lebt jetzt wohl in Mokhaya und verdingt sich dort als Stickerin. Er meinte, er würde sie einmal besuchen gehen, ehe er sich in Tarindon niederläßt und heiratet. Er will dort mit seiner Frau leben, weil der Regierungsrat ihn braucht.“

„Er geht dorthin und du bist jetzt hier“, sagte Marthian.

„Er hat mir dazu geraten; er kennt euch ja. Und er hatte Recht, ihr seid wirklich sehr liebenswert. Die Vandhru haben eine völlig falsche Meinung von den Menschen. Viele glauben, ihr würdet ohne Unterlaß unter eurer Sterblichkeit leiden.“

Marthian winkte lachend ab. „Nein, ach was. Wir kennen es ja nicht anders.“

„Ich habe mich nie damit beschäftigt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, zu wissen, daß man auf jeden Fall einmal sterben muß. Und wenn ich an Maios und seine Tochter denke - sie haben sich dafür entschieden, Menschen zu lieben. Die gemeinsame Zeit ist doch nur so kurz!“

„Ich glaube nicht, daß Lelaina darüber ständig nachdenkt. Sie nutzt lieber die Zeit, die sie hat!“

Varneas fand es ungemein spannend, sich mit Marthian zu unterhalten und die Lebensweise der Menschen kennenzulernen. Er wunderte sich nicht darüber, daß sie viel und regelmäßig schliefen. Er gewöhnte es sich ebenfalls an und fand es gar nicht übel, auch wenn er das eigentlich nicht brauchte.