Die Seelen-Docs - Univ.-Prof. Dr. med. Andreas Ströhle - E-Book
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Die Seelen-Docs E-Book

Univ.-Prof. Dr. med. Andreas Ströhle

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Beschreibung

Seelische Krisen gehören zum Leben dazu, doch wo beginnt die Krankheit? An wen kann ich mich wenden? Und was kann ich selbst präventiv für mein seelisches Wohlbefinden tun? Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit sind weit verbreitet und in unserer Gesellschaft immer noch tabuisiert. Klare, sachliche Aufklärung tut Not. In diesem einzigartigen Basisbuch vermitteln Die Seelen-Docs einfach und verständlich Grundlagenwissen über die Psyche. Sie erklären das ABC der psychischen Gesundheit und Krankheit und erläutern die häufigsten psychischen Erkrankungen – von Angst über Depression und Sucht bis hin zu Schizophrenie und Zwangserkrankungen. Sie zeigen auf, welche Behandlungsmethoden die richtigen sind, und geben konkrete Hilfestellungen für Angehörige und Betroffene. Verschiedene Therapie-Formen werden ebenso vorgestellt wie die gängigsten Medikamente. Ihr Programm für eine stabile Psyche zeigt, wie sich jeder mit einem gesunden Lebensstil schützen kann. Es beinhaltet zahlreiche einfache umsetzbare Tipps für den Alltag, sofort wirksame Übungen und hilfreiche Checklisten u.a. zu den Themen - Ressourcen-Management, - Tools für einen erholsamen Schlaf, - Bewegung, die gut tut, - Ernährungs-Tipps, - Coping-Strategien, - Achtsamkeitstrainings - und vieles mehr, was die Psyche stärkt.Das Wissen der Seelen-Docs basiert u.a. auf ihrer jahrelangen Erfahrung mit Patient*innen: Prof. Dr. Andreas Ströhle arbeitet derzeit an der Charité in Berlin, Dipl. Psych. Janina Rogoll als Psychotherapeutin und Supervisorin, Prof. Dr. Thomas Fydrich leitet das Zentrum für Psychotherapie in Berlin. Das umfassende Standardwerk zur psychischen Gesundheit und Krankheit von den Expert*innen für Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie - mit vielen praktischen Hilfestellungen.

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Seitenzahl: 379

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Univ.-Prof. Dr. med. Andreas Ströhle / Dipl.-Psych. Janina Rogoll / Prof. Dr. Thomas Fydrich

Anna Cavelius

Die Seelen-Docs

Was Sie über psychische Gesundheit und Krankheit wissen sollten

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Das umfassende Standardwerk zur psychischen Gesundheit und Krankheit von den Expert*innen für Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie – mit vielen praktischen Hilfestellungen.

Seelische Krisen gehören zum Leben dazu, doch wo beginnt die Krankheit? An wen kann ich mich wenden? Und was kann ich selbst präventiv für mein seelisches Wohlbefinden tun?

Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit sind weit verbreitet und in unserer Gesellschaft immer noch tabuisiert. Klare, sachliche Aufklärung tut Not.

In diesem einzigartigen Basisbuch vermitteln die Seelen-Docs einfach und verständlich Grundlagenwissen über die Psyche.

Sie erklären das ABC der psychischen Gesundheit und Krankheit und erläutern die häufigsten psychischen Erkrankungen – von Angst über Depression und Sucht bis hin zu Schizophrenie und Zwangserkrankungen. Sie zeigen auf, welche Behandlungsmethoden die richtigen sind, und geben konkrete Hilfestellungen für Angehörige und Betroffene.

Verschiedene Therapieformen werden ebenso vorgestellt wie die gängigsten Medikamente.

Ihr Programm für eine stabile Psyche zeigt, wie sich jeder mit einem gesunden Lebensstil schützen kann. Es beinhaltet zahlreiche einfache umsetzbare Tipps für den Alltag, sofort wirksame Übungen und hilfreiche Checklisten u.a. zu den Themen Ressourcen-Management, Tools für einen erholsamen Schlaf, Bewegung, die gut tut, Ernährungs-Tipps, Coping-Strategien, Achtsamkeitstrainings und vieles mehr, was die Psyche stärkt.

Das Wissen der Seelen-Docs basiert u.a. auf ihrer jahrelangen Erfahrung mit Patient*innen: Prof. Dr. Andreas Ströhle arbeitet derzeit an der Charité in Berlin, Dipl. Psych. Janina Rogoll als Psychotherapeutin und Supervisorin, Prof. Dr. Thomas Fydrich leitet das Zentrum für Psychotherapie in Berlin.

Inhaltsübersicht

Liebe Leserin, lieber Leser,

1. Psychologie – die Basics

Was der Mensch zum Gesundsein braucht

Essen, Schlaf und Schutz

Sicherheit

Zugehörigkeit

Selbstverwirklichung

Spiritualität

Vom Unglücklichsein zur psychischen Erkrankung

Schon »psycho« oder noch »normal«?

Wenn Entscheidungen zur Qual werden

Und wann ist normal nicht mehr »normal«?

Den Ursachen auf der Spur

Wir »sind« nicht nur unsere Herkunft

Was für psychische Erkrankungen anfällig macht

Wie Heilung möglich ist

Klare und eher vage Diagnosen

Warum eine Diagnose noch lange nicht gesund macht

Das Funktionieren psychischer Krankheiten verstehen

So bleiben wir gesund

Der Körper als »Haus [...]

Die Seele als »Kraftort« [...]

Das Geheimnis der Resilienz

Salutogenese – Gesundheit als Prozess

2. Aus der Balance gekommen – die häufigsten psychischen Erkrankungen

Ängste und Befürchtungen – wenn die Welt (lebens)gefährlich wird

In Zahlen

Gesichter der Angst

Ursachen für Angststörungen

Was kann die psychologische Psychotherapeutin oder der Arzt tun?

Was können Sie selbst für sich tun?

Was können Freunde und Angehörige tun?

Depression und Manie – wenn gar nichts mehr geht oder alles möglich ist

In Zahlen

Gesichter affektiver Erkrankungen

Ursachen

Was kann die psychologische Psychotherapeutin oder der Arzt tun?

Was können Sie selbst für sich tun?

Was können Freunde und Angehörige tun?

Alkohol, Drogen und Verhaltenssüchte – wenn es nie genug sein kann

In Zahlen

Wie sich eine Sucht entwickelt

Anzeichen einer Sucht

Stoffe, die süchtig machen

Verhaltenssüchte

Was kann die psychologische Psychotherapeutin oder der Arzt tun?

Was können Sie selbst für sich tun?

Was können Freunde und Angehörige tun?

Psychose und Schizophrenie – wenn die Welt »ver-rückt« zu sein scheint

In Zahlen

Symptome der Psychose

Ursachen der Psychose

Symptome der Schizophrenie

Ursachen der Schizophrenie

Was kann die psychologische Psychotherapeutin oder der Arzt tun?

Was können Sie selbst für sich tun?

Was können Freunde und Angehörige tun?

Somatoforme Krankheiten – wenn sich Psyche und Körper nicht grün sind

In Zahlen

Gesichter der somatoformen Störungen

Ursachen für somatoforme Erkrankungen

Was kann die psychologische Psychotherapeutin oder der Arzt tun?

Was können Sie selbst für sich tun?

Was können Freunde und Angehörige tun?

Essstörungen – wenn es entweder zu viel oder zu wenig ist

In Zahlen

Formen von Essstörungen

Ursachen

Was kann die psychologische Psychotherapeutin oder der Arzt tun?

Was können Sie selbst für sich tun?

Was können Freunde und Angehörige tun?

Zwangserkrankungen – Wenn Gewohnheiten das Leben einschränken

In Zahlen

Wie »funktioniert« eine Zwangsstörung?

Die Frage nach dem »Woher«?

Was kann die psychologische Psychotherapeutin oder der Arzt tun?

Was können Sie selbst für sich tun?

Was können Freunde und Angehörige tun?

Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) – wenn Aufputschmittel beruhigen

In Zahlen

Gesichter und Ursachen der ADHS

Was kann die psychologische Psychotherapeutin oder der Arzt tun?

Was können Sie selbst für sich tun?

Was können Freunde und Angehörige tun?

Autismus – wenn die Welt sich hauptsächlich um einen selbst dreht

In Zahlen

Was ist eigentlich Autismus?

Ursachen, Verlauf und Häufigkeit

Was kann die psychologische Psychotherapeutin oder der Arzt tun?

Was können Sie selbst für sich tun?

Was können Freunde und Angehörige tun?

Demenz – wenn die Erinnerung schwindet

In Zahlen

Gesichter der Demenz

Ursachen

Was kann die psychologische Psychotherapeutin oder der Arzt tun?

Was können Sie selbst für sich tun?

Was können Freunde und Angehörige tun?

Schlafstörungen – wenn Müdigkeit krank macht

In Zahlen

Warum ist Schlaf wichtig für die Gesundheit?

Was ist ein normaler Schlaf?

Schlafstörungen auf einen Blick

Was kann die psychologische Psychotherapeutin oder der Arzt tun?

Was können Sie selbst für sich tun?

Was können Freunde und Angehörige tun?

Sexuelle Funktionsstörungen – wenn das Leben an Lust verliert

In Zahlen

Warum Sex wichtig für die Gesundheit ist

Die häufigsten sexuellen Funktionsstörungen

Was kann die psychologische Psychotherapeutin oder der Arzt tun?

Was können Sie selbst für sich tun?

Was können Freunde und Angehörige tun?

Persönlichkeitsstörungen – wenn Charakterzüge zur Last werden

In Zahlen

Was macht eine individuelle Persönlichkeit aus?

Formen der Persönlichkeitsstörungen

Was kann die psychologische Psychotherapeutin oder der Arzt tun?

Was können Sie selbst für sich tun?

Was können Freunde und Angehörige tun?

3. Behandlung bei psychischen Erkrankungen – was unser Gesundheitssystem bietet

Gut unterstützt – das Versorgungssystem

Das soziale Netz

Mein Arzt, meine Ärztin

Rundumbetreuung in der Rehabilitationsklinik

Online-Therapien und Gesundheits-Apps

Digitale Gesundheitsanwendungen

Hilfspaket: ambulante Psychotherapie, stationärer Klinikaufenthalt und Tagesklinik

Ambulante Psychotherapie

Wer darf Psychotherapie anbieten und anwenden?

Wissenschaftlich anerkannte Psychotherapieverfahren

Wie finde ich einen Therapieplatz?

Wann ist ein stationärer Aufenthalt sinnvoll?

Unterstützung aus der Apotheke: Medikamente

Ein Blick zurück

… und ins Heute

Möglichkeiten und Grenzen der medikamentösen Therapie

Die wichtigsten Medikamentengruppen

Das Plus: komplementäre Behandlungen

Unterstützung auf verschiedenen Ebenen

Bewegungstherapie – Anstrengung mit Spaßfaktor

Ergotherapie – ins Tun kommen

Kreativtherapie – jeder ist ein Künstler

4. Für eine starke Psyche

Kompass: So finden Sie Ihre Balance

Zwischen An- und Überforderung

Ein bewährtes und geprüftes Maßnahmenpaket

Was ist für mich das Wichtigste und das Richtige?

Körper und Geist

Nur zusammen sind sie stark

Aktiv gut zu sich sein

Geduld und Wiederholung

Gut versorgt: Ernährung für Kopf und Bauch

Bewegter leben

Energietankstelle Schlaf

Religiosität und Spiritualität

Neues Verhalten ausprobieren

Neue Wege, hilfreichere Verhaltensweisen

Warum Üben so wichtig ist

Sorgsam mit unseren Kraftquellen umgehen

Ich und du: Beziehungen pflegen

Work-Life-Balance

Kräfte sammeln in der Freizeit

Medien bewusst nutzen

Sich besser verstehen

Zeit für sich selbst gewinnen

Hilfe und Unterstützung in der Krise finden

Stress bewältigen mit Mind-Body-Konzepten

Zum Ausblick

Service

Adressen, die Ihnen weiterhelfen

Auswahl von Veröffentlichungen der Seelen-Docs

Bildnachweis

Liebe Leserin, lieber Leser,

psychische Erkrankungen werden von vielen Menschen noch immer nicht ernst genommen, und die Betroffenen sind ausgegrenzt oder werden stigmatisiert. Dabei sind psychische Erkrankungen Bestandteil eines »normalen« Lebens. Etwa jeder zweite Mensch erkrankt mindestens einmal im Leben an einer psychischen Störung. Dies ist also noch wahrscheinlicher, als einmal im Leben an Krebs, Typ-2-Diabetes oder einem Herzleiden zu erkranken.

Mit diesem Buch möchten wir als Seelen-Docs, die sich tagtäglich intensiv in der psychologischen Praxis, der Psychiatrie, der Wissenschaft und der Lehre mit der Psyche und ihren Erkrankungen beschäftigen, einen wichtigen Beitrag zu Aufklärung leisten. Deshalb laden wir Sie mit diesem Ratgeber ein, sich in die Welt der Psyche zu begeben und zu erfahren, wie psychische Erkrankungen bei Erwachsenen entstehen können, was sie erhält und wie sie gut und erfolgreich behandelt werden können. Denn auch wenn jedem von uns grundsätzlich wunderbare Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um schwierige Zeiten zu meistern und psychisch gesund zu bleiben – Freunde, Hobbys und positive Eigenschaften, die wir im Verlauf des Lebens entwickelt haben –, so kann es auch einmal sein, dass diese Ressourcen nicht mehr ausreichen, unsere Seele leidet und wir daran erkranken. Wir möchten Sie darüber informieren, wann der Grat von »normal« zu »krank« überschritten ist, wann es Zeit sein kann, sich professionell unterstützen zu lassen, und wie Freunde und Angehörige Ihnen mit sinnvollen Maßnahmen zur Seite stehen können.

Neben dem Basis-Know-how zu den häufigsten psychischen Erkrankungen haben wir zahlreiche Handreichungen und Tipps zusammengestellt, wie wir unser Wohlbefinden für eine starke Psyche steigern können. Denn jeder von uns kann aktiv viel für sich selbst und seine psychische Gesundheit tun. Und wenn dies nicht mehr ausreicht, dann können Ihnen Experten helfen.

Im Sinne einer besseren Lesefreundlichkeit haben wir uns für die in den Leitmedien übliche Form des Genderns entschieden und setzen abwechselnd die weibliche und männliche Form ein. Im Sinne der Gleichberechtigung sind diese Begriffe wertfrei und gelten für alle Geschlechter.

 

Wir freuen uns darauf, Sie zu begleiten und zu unterstützen.

Ihre Seelen-Docs

Kapitel 1

Psychologie – die Basics

Ein bisschen psycho sind wir doch alle! Immer mal sind wir richtig verrückt, und jeder von uns hat irgendwelche Macken. Außerdem haben wir auch Charakter und Persönlichkeit und liebenswerte Besonderheiten, damit fühlen wir uns wohl und ausgeglichen. Jedoch können uns das Leben und unsere Psyche durchaus peinigen, lähmen und fesseln. Was sind menschliche Grundbedürfnisse und Motive? Welche Ursachen für psychische Erkrankungen gibt es? Warum kommen diese häufig immer wieder, und wo liegen eigentlich die Grenzen zwischen psychischer Gesundheit und Krankheit?

Was der Mensch zum Gesundsein braucht

Wir fühlen, denken und handeln unentwegt, meistens, ohne groß darüber nachzudenken. Doch hat alles, was wir tun und nicht tun, einen Einfluss – auf uns selbst, auf unsere Mitmenschen, auf unsere Umwelt. Im besten Fall geht es uns und allen anderen gut damit. Wenn es hingegen nicht so günstig läuft, fühlen wir uns nicht gesehen, nicht anerkannt, schwach oder auch krank. Was aber treibt unser Tun und Lassen an?

Worin bestehen unsere wichtigsten Bedürfnisse, worin die Motive für unser Handeln? Was macht es aus, dass wir uns in jeder Hinsicht wohlfühlen können und – möglichst – sogar »rundum« zufrieden oder gar glücklich sind? Wie und wann sind wir mit uns selbst eins? Was gibt uns das Gefühl von Sicherheit? Mit solchen Fragen, die den Menschen seit jeher bewegen, setzt sich die Wissenschaft der Psychologie auseinander. Sie arbeitet vor allem empirisch. Das bedeutet, dass sie auf der Grundlage des uns zur Verfügung stehenden Wissens Theorien und Annahmen formuliert, die dann überprüft werden. Dies geschieht durch systematische Untersuchungen oder im Rahmen von Experimenten. Die Psychologie hat auch wichtige Wurzeln und Querverbindungen zu geisteswissenschaftlichen Fächern wie zur Philosophie und Anthropologie, zu den Sozialwissenschaften, zur Pädagogik sowie zur Wirtschaftswissenschaft und Politik.

Träger des Lebens

Die Seele als Ausdruck hat in den verschiedenen mythischen, religiösen, philosophischen und psychologischen Traditionen, Überlieferungen und Lehren verschiedene Bedeutungen. Im allgemeinen Sprachgebrauch verstehen wir unter »Seele« die Psyche (gr. psychḗ [Hauch, Atem, Seele, Lebenskraft, Gemüt]) als Zusammenspiel von Gefühlen und geistigen Prozessen, die sich gegenseitig beeinflussen. Die Seelen-Docs beschäftigen sich unter anderem mit dieser Verbindung und der Frage, wie wir dieses Zusammenspiel von Gedanken und Gefühlen für uns selbst und unser Wohlbefinden nutzen können.

Der US-amerikanische Psychologe Abraham Maslow (1908–1970) hat erkannt, dass bestimmte Grundbedürfnisse von uns Menschen befriedigt werden müssen, damit Körper und Geist gesund bleiben. Diese hat er beforscht und in eine Reihenfolge gebracht (engl. hierarchy of needs). Bedürfnisse unten in der Hierarchie müssen erst einmal befriedigt werden, bevor wir uns um die oberen kümmern können. Werden diese Bedürfnisse teilweise nicht erfüllt, kann das unser Wohlbefinden beeinträchtigen, uns krank machen oder und im schlimmsten Fall die Lebensgrundlage entziehen.

Die Maslow’sche Bedürfnishierarchie: In dem sehr bekannten sozialpsychologischen Modell von Abraham Maslow werden die menschlichen Bedürfnisse in fünf Stufen unterschieden.

Essen, Schlaf und Schutz

Zum Leben brauchen wir Essen, Trinken und Luft zum Atmen. Damit unser Organismus gut versorgt ist und wir nicht unter Mangelerscheinungen leiden, ist eine bestimmte Menge an verschiedenen Nährstoffen und Nahrungsmitteln erforderlich. Das ist aber noch nicht alles. Unser Körper und unser Geist benötigen auch regelmäßig Schlaf, um sich zu erholen und neu zu sortieren. Außerdem brauchen wir räumliche Sicherheit, die uns vor Kälte, Nässe und Hitze schützt. Im besten Fall ist das ein Dach über dem Kopf mit ausreichend Platz, an dem wir uns im Alltag aufhalten und erholen können. Auch Kleidung ist nötig, die dem jeweiligen Klima angemessen ist. Werden diese Grundbedürfnisse Tag und Nacht zufriedengestellt, sind wesentliche Bedingungen erfüllt, damit es uns gut geht und wir gesund sein können.

Doch selbst wenn es einem Menschen gelingt, über einen gewissen Zeitraum hinweg diese Grundbedürfnisse zu sichern, so kann dieser Zustand auch in Gefahr geraten.

Sicherheit

Dank unseres hoch entwickelten Gehirns können wir Menschen vorausschauend planen und uns auf die nahe wie auch auf die fernere Zukunft einstellen. Je mehr Unsicherheit wir aber mit dem Blick auf morgen und übermorgen verspüren – beispielsweise weil uns die Arbeitsstelle gekündigt wurde, wir die Wohnung verloren haben, eine Trennung mitmachen müssen, eine schwere Krankheit erleiden, aber auch Krieg und Bedrohungen für Leib und Leben erfahren –, umso mehr ist unser Bedürfnis nach Planungssicherheit gefährdet.

Dabei haben wir diese Sicherheit gar nicht immer selbst in der Hand. Soziale und gesellschaftliche Bedingungen – und damit die Politik – spielen bei der Bedürfnisbefriedigung eine sehr wichtige Rolle. Der frühere Bundeskanzler Willy Brandt (1913–1992) soll gesagt haben, dass Frieden nicht alles sei, aber alles ohne Frieden nichts. Damit hat er nichts anderes gemeint, als dass jede Art von Unfrieden und von Mangel für uns eine direkte Gefahr darstellt. Wir werden indirekt, aber auch psychisch bedroht, denn wir können im Falle von Krieg und Vertreibung, von Trennung und Verlassensein nicht mehr zuverlässig planen. Müssen wir aber die Unsicherheit aushalten, ob unsere biologisch notwendigen Grundbedürfnisse auf absehbare Zeit gestillt sind, dann belastet dies unsere Psyche.

Zugehörigkeit

Zu den unbedingten und unveräußerlichen Rechten unseres Menschseins gehören – neben den Voraussetzungen für körperliche und psychische Gesundheit – auch gute Kontakte zu anderen Menschen. Damit ist das Verlangen nach persönlicher Nähe gemeint, der Zugehörigkeit zu Gruppen, zur Familie, nach Freundschaften sowie Partnerschaft, Liebe und Sexualität (siehe auch Seite 120). Die Vereinten Nationen haben diese wesentlichen Bedürfnisse als Menschenrechte definiert. Hierzu gehört in allererster Linie das für uns alle gleiche Recht auf Leben und Essen, auf Unterkunft und Gesundheitsversorgung, auf Arbeit, aber auch auf Erholung und Freizeit oder das Recht, das eigene Leben frei zu gestalten, sowie das Recht auf Bildung und auf Gleichbehandlung. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, bilden sie die Grundlage für ein würdiges Leben. Leider ist die Umsetzung dieser Rechte für den Einzelnen mitunter gar nicht so sicher. Müssen wir nun erleben, dass diese auch nur in kleinen Teilen für uns eingeschränkt sind, können wesentliche Grundbedürfnisse gefährdet sein. Es ist also manchmal gar nicht so einfach, gesund zu bleiben.

Wenn wir erleben, dass unsere Grundbedürfnisse erfüllt sind, ist dies eine essenzielle Grundlage für unser Wohlbefinden wie auch unsere körperliche und psychische Gesundheit.

Selbstverwirklichung

Folgen wir der Bedürfnispyramide weiter, kommen wir zu den Individual- oder »Ich-Bedürfnissen«. Darunter verstehen wir den dringenden Wunsch, dass uns andere Menschen bedingungslos anerkennen und wir uns körperlich und geistig stark fühlen. Auch unsere Wünsche nach Wertschätzung, Vertrauen, persönlicher Unabhängigkeit (Autonomie) und Freiheit fallen unter diese Kategorie. Diese Bedürfnisse hängen mit der Ausbildung einer »Ich-Identität« zusammen. Wir kennen sie auch unter dem Begriff »Selbstverwirklichung«. Doch was ist das eigentlich genau?

Vielleicht haben andere Menschen oder auch Sie selbst sich im Stillen schon einmal aufgefordert: »Nun sei doch mal du selbst.« Oder: »Sei doch einfach so, wie du bist.« Gar nicht so einfach, damit umzugehen. Es gibt in diesem Zusammenhang auch noch einige Fragen, die – wenn sie zu oft und zu nachdrücklich gestellt werden – zu wahren (Selbst-)Geißeln werden können: »Wer bist du eigentlich?«, »Ist das wirklich das, was du willst?« oder »Entspricht dies tatsächlich deinem Wesen und deinen Fähigkeiten?« … Warum können diese Fragen stressig werden? Ganz einfach: Wenn wir unter »Selbstverwirklichung« nur die Umsetzung unserer eigenen Ziele, Wünsche und Sehnsüchte verstehen, dann enthalten Nachfragen, ob wir diese Träume »eigentlich wirklich« (schon) erreicht haben, bereits einen Zweifel daran. Damit stellen sie einen Quell von Unzufriedenheit, Selbstzweifel und -unsicherheit dar.

Wenn wir »Selbstverwirklichung« aber weiterdenken, wenn wir mitdenken, dass damit auch die Frage nach dem Sinn unseres Handelns und unserer Existenz beantwortet sein kann, so wird deutlich: Sinnhaftigkeit und Selbstverwirklichung sind gegeben, sobald unser Handeln, unser Denken und unsere Lebensführung insgesamt »stimmig« sind. Das heißt, sie stehen in einem persönlichen Zusammenhang mit der Sicht auf unser bisheriges Leben, unseren Werdegang, unseren Beruf, unsere Freundschaften und Partnerschaften sowie mit der Familie. Wir leben so, dass es nicht zu Konflikten kommt oder dass wir diese in der Regel bewältigen können und auch keine wiederkehrenden drängenden und andauernden Zweifel auftauchen. Dann geht »Selbstverwirklichung« mit (Lebens-)Zufriedenheit einher, und es steckt dahinter nicht nur ein selbstbezogenes egoistisches Motiv. Sie kann dann, je nachdem, wie sinnhaft wir unser Leben gestalten, auch für andere in unserem Umfeld eine Bereicherung sein.

Spiritualität

Was brauchen wir noch, um eins mit uns zu sein, um uns stabil und gesund zu fühlen? Für viele Menschen sind Bedürfnisse wie Religiosität, Spiritualität und Transzendenz ein wichtiger Antrieb (mehr dazu auf Seite 189f.). Diese sind oft geeignet oder sogar notwendig, um persönliche Sinnfragen zu beantworten. Auch ästhetische Bedürfnisse nach aktiver oder passiver Teilnahme an Ritualen und Aktivitäten in den bildenden Künsten und der Musik, der Bewegung und der Sprache sind weitere wesentliche Bausteine von menschlichen Handlungen, die uns tief zufriedenstellen können.

Behalten Sie bei alledem aber bitte immer im Hinterkopf, dass die verschiedenen Bereiche der Hierarchie der Bedürfnisse keinesfalls streng voneinander getrennt sind. Auch bauen sie nicht aufeinander auf. Es müssen also nicht zunächst Grundbedürfnisse befriedigt werden, bevor die weiteren zum Tragen kommen. Liebe und Zuneigung, das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe sowie andere Aspekte der »Selbstverwirklichung« können wir auch in Lebenslagen empfinden oder umsetzen, in denen wir vielleicht Hunger leiden oder Krisen durchstehen müssen. Die Hierarchie kann jedoch klarmachen, dass es in Zeiten der Bedrohung von Grundbedürfnissen beispielsweise vollkommen unwichtig sein wird, welches neue Smartphone man sich nun anschaffen soll oder wohin es im Sommer in den Urlaub geht.

Vom Unglücklichsein zur psychischen Erkrankung

Was geschieht mit uns, wenn wir mit unserer persönlichen Lebenssituation unzufrieden sind? Dies ist immer dann der Fall, sobald bestimmte Bedürfnisse nicht ausreichend gestillt werden. Ein Mangel daran kann zu Unwohlsein und Krankheit führen. Sehen wir uns an, wie psychische Probleme aussehen und ab wann wir von psychischen Erkrankungen sprechen können.

Das Leben ist kein Wunschkonzert, wie es so schön heißt. Psychische Unzufriedenheit, Sorgen, Zweifel, Unsicherheiten, Niedergeschlagenheit, Ängste und noch viele weitere unerwünschte Stimmungen und Gefühle, aber auch körperliche Verspannungen, Schmerzen und Kräftemangel gehören zum Leben dazu und begleiten uns immer mal wieder in allen Entwicklungsphasen. Oft werden große und unangenehme Herausforderungen an uns gestellt. Dabei ist es meist keinesfalls tröstend, zu wissen oder zu hören, dass es vielen anderen auch so geht und dass solche Zustände »normal« seien. Wenn es uns packt, wenn wir im Strudel sind, wenn wir von Ängsten und von schlechten oder gar depressiven Stimmungen gefangen sind, werden diese Phasen quälend. Sie rauben uns den Schlaf, sie lassen uns an uns zweifeln, sie machen uns wütend – auf uns selbst oder andere, sie lassen uns Dinge tun, die wir später bereuen, oder sie lähmen uns so, dass wir keinen Schritt vorankommen und uns im Kreis drehen.

Schon »psycho« oder noch »normal«?

Ab wann nun sind Niedergeschlagenheit, Ängstlichkeit, Probleme mit dem Essen oder Schlafen, Sorgen um die körperliche Gesundheit, Probleme und häufiger Streit mit anderen Menschen nicht mehr »normal«? Ab wann kann man davon ausgehen, dass ein Experte oder eine Expertin das eigene Wohlbefinden als psychische Erkrankung einordnen würde?

Praktisch alle Phänomene oder Anzeichen, die Psychologinnen und Psychiater bei Personen mit psychischen Erkrankungen beobachten, können im »Normalbereich« der Psyche eines Menschen auftreten. Wer würde schon von sich behaupten, dass er noch niemals niedergeschlagen und phasenweise von Selbstzweifeln geplagt war? Es gibt wohl kaum jemanden, der nicht schon Ängste durchgestanden hat, selbst wenn er wusste, dass diese unbegründet und übertrieben waren. Es gibt viele Menschen, die vor Dunkelheit, vor Schlangen oder Spinnen Angst haben und daher versuchen, jeglichen Kontakt damit zu vermeiden. Kinder – aber durchaus auch nicht wenige Erwachsene – gehen lieber nicht in den dunklen Keller oder allein durch den finsteren Wald; man könnte ja bedroht oder überfallen werden.

Auch Sorgen und Ängste um die Zukunft sind mehr oder weniger Teil des Lebens, vor allem wenn es um wesentliche Entscheidungen oder um die eigene berufliche oder materielle Sicherheit geht. Oft hilft dabei die Vernunft nur begrenzt oder gar nicht. Ebenfalls verständlich sind Sorgen um die Zukunft naher Angehöriger. Hoffentlich passiert den Kindern nicht etwas. Auf dem Weg zur Schule könnte ein Unfall geschehen, sie könnten sich verletzen oder gar von jemandem entführt werden – man liest ja so vieles … Dazu gehört auch die Angst davor, sich mit Viren anzustecken – zu Corona-Zeiten eine durchaus angemessene Furcht. Oder: Fast jeder Mensch mit Flugangst weiß, dass die statistische Wahrscheinlichkeit, bei einem Autounfall ums Leben zu kommen, wesentlich höher ist, als durch einem Flugzeugabsturz zu sterben. Es nützt aber nichts! Die Angst ist manchmal dennoch so stark, dass eine Flugreise kaum oder nur mit Beruhigungsmitteln oder Alkohol durchgestanden werden kann.

Wenn Entscheidungen zur Qual werden

Weitere durchaus normale und daher sehr häufige Formen psychischer Probleme hängen damit zusammen, dass wir unzufrieden sind, im Alltag unsicher oder dass es mit der Lebensplanung nicht so läuft, wie wir es wünschen. Hierzu gehört auch das Problem, sich mit Entscheidungen herumzuquälen. Eine Wahl zwischen zwei oder mehr Alternativen geht oft mit hohem psychischem Druck, mit Lähmung, ja, sogar Verzweiflung einher.

Das Problem bei Entscheidungen besteht dabei in der Regel nicht darin, dass man sich die letztlich gewählte Alternative gut vorstellen kann, nein! Wirklich quälend und schmerzhaft ist, dass man die anderen Entscheidungsmöglichkeiten für alle Zeiten verliert und niemals wissen wird, wie die andere Alternative verlaufen wäre, wenn man doch sie gewählt hätte, und ob die getroffene Entscheidung nicht doch die falsche gewesen ist.

Der Versuch oder der Drang, vor einer Entscheidung unbedingt genau wissen zu wollen, ob sie die richtige sein könnte, kann zu einer lang andauernden Tortur werden, ohne dass ein greifbares Ergebnis dabei herauskommt.

Welcher Entscheidungstyp bin ich?

Ein Pionier der Persönlichkeitspsychologie, Julius Kuhl, unterscheidet Menschen in eher handlungs- oder lageorientierte Persönlichkeiten. Hierbei handelt es sich nicht um eine Entweder-oder-Einteilung, sondern um verschiedene Abstufungen.

Eine sogenannte eher lageorientierte Person neigt zu intensivem Grübeln und Abwägen mit dem Drang, die Situation so genau wie möglich erfassen zu können und jeden folgenden Schritt in seiner Konsequenz penibel zu durchdenken. Da das meist nicht zu eindeutigen und vor allem sicheren Ergebnissen führt, besteht die Gefahr, dass ein solcher Mensch nur sehr schwer, wenn überhaupt, ins Handeln kommt. Er bleibt förmlich stecken, was psychisch mit einer hohen Belastung und negativen Folgen im Alltag verbunden ist. Lageorientierte Personen besitzen ein sehr hohes Maß an Reflexionsvermögen, sind aber oft gefangen in gedanklichen Kreisläufen.

Eher handlungsorientierte Menschen dagegen erscheinen etwas weniger reflektiert, dabei aber risikofreudiger, spontaner, aktiver und nicht so grüblerisch. Ein Nachteil davon ist jedoch, dass ihr Handeln möglicherweise weniger durchdacht wird und Konsequenzen auch ins Auge gehen können.

Insgesamt scheint daher eine gute Kombination von beiden Merkmalen optimal zu sein: hinreichend gut überlegen, was man tut, aber dann Unsicherheiten akzeptieren und mutig eine Entscheidung umsetzen!

Wie wir uns wann für was entscheiden, gehört zur Vielzahl an Möglichkeiten unseres Erlebens und Verhaltens. Sie können mehr oder weniger hilfreich oder auch hinderlich für unsere Alltagsbewältigung und die Lebensführung sein. Sie sind jedoch keinesfalls krankhaft (pathologisch), sondern vielmehr Ausdruck einer individuellen Persönlichkeit und unseres Charakters. Anders gesagt: Wir alle haben unsere Eigenheiten, sonst wären wir nicht so, wie wir sind. Und betrachten wir einmal aufmerksam die verschiedenen Menschen mit ihren unterschiedlichen Charakteren in unserem Umfeld – die Kinder, die Partnerin oder den Partner, Freundinnen, Kollegen, die Nachbarin –, so werden wir feststellen, dass es bei jeder Individualität, die diese ausmacht, viel Besonderes und Liebenswertes gibt!

Und wann ist normal nicht mehr »normal«?

Wann nun aber kann das kippen? Ab wann hindern uns die eigenen Erlebens-, Denk- und Verhaltensweisen so sehr oder sind so abträglich (dysfunktional), dass eine Expertin sie als psychische Erkrankung betrachten muss? Da die Übergänge häufig fließend sind, ist eine Einschätzung gar nicht so einfach.

Diagnose »psychisch krank«

Die Fachliteratur geht dann davon aus, dass bestimmte Anzeichen als krankhaft eingeordnet werden können, wenn ein Mensch Bereiche seines Denkens, Erlebens und Verhaltens über längere Zeit als belastend, störend, quälend und damit Leid bringend erlebt. Die betroffene Person kann dann oft ihre mit den Problemen einhergehenden Gefühle nicht mehr regulieren und nicht ausreichend oder gar nicht mehr kontrollieren. Typischerweise sind diese Denk- und Verhaltensweisen, die emotionalen Reaktionen oder auch körperliche Symptome wie Herzrasen, Schwitzen oder Schlaflosigkeit so stark und überwältigend, dass sie extrem belasten und deutlich die alltäglichen Aktivitäten behindern. Diese Einschränkungen sind meist in allen wichtigen Lebensbereichen spürbar: im Beruf oder in der Ausbildung, in der Partnerschaft, in der Familie und in Beziehungen zu anderen Menschen sowie bei Freizeitaktivitäten.

Konkret zeigt sich das zum Beispiel darin, dass ein psychisch erkrankter Mensch von seinen Sorgen, Ängsten, sonstigen Gefühlen, körperlichen Begleiterscheinungen und den eigenen Gedanken so stark gefesselt ist, dass er kaum noch oder gar nicht mehr in der Lage ist, zu arbeiten oder zu lernen. Ebenfalls typisch ist, dass er seinen »normalen« Tätigkeiten und Aufgaben innerhalb der Familie, in der Partnerschaft oder im Kontakt mit nahen Bezugspersonen, Freunden und Bekannten nicht mehr nachkommen kann. Auch andere wichtige Dinge wie das Kümmern um die Finanzen, die Steuer und dergleichen kosten zu viel Kraft und bleiben daher liegen. Solche Tiefs und Phasen, in denen nicht viel geht, kennen viele von uns. Bestehen sie jedoch über längere Zeit, wiederholen sie sich häufig und schränken sie dadurch die Betroffenen in ihrem Alltag deutlich ein, so liegt mit einer großen Wahrscheinlichkeit eine psychische Erkrankung vor.

Den Ursachen auf der Spur

Menschliches Erleben und Verhalten sind immer einzigartig, individuell und besonders. Es entwickelt sich über Jahre hinweg aus einer sehr komplexen Wechselwirkung verschiedener Einflüsse. Dazu gehören ererbte oder im Lauf unserer Entwicklung erworbene biologische Faktoren wie körperliche Stärken, Besonderheiten, Erkrankungen oder eine Behinderung. Aber auch Einflüsse aus der Familie, der Schule, dem Freundeskreis und der Ausbildung sowie die Rahmenbedingungen, unter denen wir uns entwickeln, spielen eine sehr wichtige Rolle.

Bedeutsam sind neben den Erbfaktoren auch Einwirkungen, denen jeder von uns vor seiner Geburt im Mutterleib ausgesetzt war. Das nennt man pränatale Entwicklungsbedingungen. Darunter versteht man bestimmte Erkrankungen der Mutter, ob sie im Lauf ihrer Schwangerschaft oft sehr gestresst war oder sich immer wieder entspannen konnte, ob sie sich ausgewogen ernährt hat oder ob sie geraucht und regelmäßig Alkohol getrunken hat. Auch der Verlauf der Geburt selbst – das sind die perinatalen Bedingungen – spielt eine Rolle. War sie für Mutter und Kind sehr stressig, kamen Medikamente zum Einsatz? Wurde die Situation zwischendurch bedrohlich und unsicher? Danach kommen äußere und innere Einflüsse aus dem familiären und gesellschaftlichen Umfeld hinzu, die über unsere gesamte Lebensspanne hinweg darauf einwirken, wie wir uns körperlich und psychisch entwickeln. Jeder dieser Faktoren prägt unsere Persönlichkeit und das Muster, wie wir die Welt erleben, wie wir denken und wie wir uns verhalten.

Wir »sind« nicht nur unsere Herkunft

Trotzdem gibt es keinesfalls ein »Eins-zu-eins«-Verhältnis aus Einflüssen aus der Kindheit und Folgen für die persönliche Entwicklung. Sicher stellt jede durch Gewalt geprägte Atmosphäre eine Belastung für die Mitglieder einer Familie dar. Insbesondere für kleine und heranwachsende Kinder bedeuten körperliche und emotionale Gewalt wie auch Vernachlässigung ein hohes Maß an Unsicherheit und Angst. Ein solches Umfeld stellt deutlich erhöhte Anforderungen an ihr Anpassungsvermögen und damit auch ein hohes Risiko für eine gesunde Entwicklung dar.

Dennoch bedeutet dies keinesfalls, dass ein Mensch unter solchen Einflüssen in jedem Fall immer – möglicherweise lebenslange – psychische Probleme entwickeln muss. Es kann sogar sein, dass sich unter den Herausforderungen einer unkalkulierbaren und vielleicht sogar brutal verlaufenden Kindheit eine besondere Form der Widerstandsfähigkeit entwickelt. Diese kann sich positiv niederschlagen in der schulischen Entwicklung eines Kindes, in seiner Stellung innerhalb des Freundeskreises (Peergroup) sowie einer besonderen Geschicklichkeit in der beruflichen und sozialen Entwicklung. So wurde der aus bedrückenden Verhältnissen stammende Charles Dickens (1812–1870) mit seinen gesellschaftskritischen Romanen zum erfolgreichsten Autor seiner Zeit, die Bestsellerautorin und Moderatorin Elke Heidenreich litt unter Einsamkeit und Armut in ihrer Kindheit, der gemobbte Teenager Barack Obama brachte es bis ins US-Präsidentenamt.

»Resilienz« (siehe auch Seite 32)nennen Experten und Expertinnen diese psychische Widerstandskraft (lat. resilire [zurückspringen, nicht anhaften, abprallen]). Die Fähigkeit, sich trotz widriger Umstände und schwieriger Lebensbedingungen psychisch und körperlich gesund anpassen zu können und so belastende Ereignisse gut zu bewältigen, wirkt wie ein psychisches Immunsystem.

Es ist ganz normal, dass wir hin und wieder alleine für uns sein wollen. Schwierig wird es, wenn sich daraus ein Dauerzustand entwickelt, der uns unglücklich und möglicherweise krank macht.

Was für psychische Erkrankungen anfällig macht

Wir kennen das von der jährlich wiederkehrenden Erkältung. Die meisten von uns »erwischt« es stets wieder in derselben Art und Weise. Jana bekommt fast immer zuerst eine Halsentzündung; Paul hingegen plagt sich oft wochenlang mit seinen Nebenhöhlen herum; Iris bekommt kurz hohes Fieber, ist aber nach zwei Tagen wieder fit. Die meisten von uns haben ein »Zielorgan«, das bei Belastung reagiert und Schmerzen oder sonstiges Ungemach verursacht. Vergleichbares gilt auch für negative psychische Reaktionen oder für Phasen psychischer Erkrankungen. Es gibt daher Personen, die auf Belastungen eher depressiv reagieren, solche, die sich intensiv sorgen und nicht mehr schlafen können, und andere, die starke Ängste entwickeln. Jeder von uns weist eine andere Art von Verletzlichkeit für bestimmte Einflüsse auf.

Der Faktor Vererbung

Was aber können solche Vulnerabilitätsfaktoren sein (spätlat. vulnerabilis [verwundbar])? Bei körperlichen und psychischen Erkrankungen sind Erbfaktoren nicht zu übersehen. Nun ist es mit der Genetik so eine Sache, und schon der Begriff macht vielen Menschen Angst, vor allem wenn es um die Vererbung von negativen Erscheinungen, Erkrankungen oder persönlichen Eigenarten aus dem familiären Umfeld geht. Aus der Medizin und Biologie wissen wir, dass das Risiko, bestimmte körperliche Erkrankungen ebenso zu entwickeln wie die Eltern oder Großeltern, durchaus bestätigt werden kann. Auch bei psychischen Besonderheiten und wenn wir die Entwicklung unserer eigenen Persönlichkeit betrachten, gibt es genetische Faktoren, die es wahrscheinlicher machen, dass ein Kind seinen Eltern »nachgerät«.

Trotzdem bedeutet der Faktor Vererbung lediglich, dass das persönliche Risiko für eine bestimmte Erkrankung erhöht ist; keinesfalls – bis auf sehr wenige seltene Krankheiten – heißt es, dass man tatsächlich daran erkrankt. Obwohl das viele Menschen wissen, führt das Thema »Vererbung von Krankheiten« meist zu einer pessimistischen Einstellung: »Dann kann man da ja gar nichts machen.« Oder: »Dann bin ich ja total diesem Schicksal ausgeliefert.« Diese Einstellungen und diese Angst sind jedoch absolut unbegründet.

Hier kommt wieder das »Vulnerabilitäts-Stress-Modell« ins Spiel, auch »Diathese-Stress-Modell« genannt (gr. diáthesis [Zustand, Verfassung]). Unter Vulnerabilität oder Verletzlichkeit versteht man wie gesagt die Anfälligkeit für eine Erkrankung. Diese kann durch Erbfaktoren bedingt sein. Es müssen aber in der Regel noch weitere Stress auslösende Faktoren vorhanden sein und ungünstige Lebensbedingungen vorliegen bei gleichzeitig nicht vorhandener psychischer Widerstandsfähigkeit (Resilienz), damit die Erkrankung tatsächlich auftritt.

Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell

Neben ererbten (prädisponierenden) Faktoren ist eine Vielzahl von psychischen und sozialen Aspekten für die Förderung von Gesundheit oder auch für das Risiko zu erkranken von Bedeutung. Hierzu gehören unter anderem kulturelle, soziale und biografische Einflüsse. Diese Auffassung findet sich im Kern auch im sogenannten biopsychosozialen Modell wieder. Es gibt – mit ein paar Ausnahmen – bei psychischen Erkrankungen keine eindimensionalen Kausalitäten. Sie haben fast immer einen multifaktoriellen Hintergrund. Sowohl biologische, psychologische als auch soziale Faktoren tragen zur Entstehung und zum Weiterbestehen der Krankheiten bei.

Psychische Vulnerabilität

Neben körperlich-biologischen Verletzbarkeiten spielen viele lebensgeschichtliche Ereignisse eine wichtige Rolle beim Risiko, tatsächlich eine psychische Erkrankung zu entwickeln. Um sich an diese Erfahrungen wieder zu erinnern, können Sie sich fragen:

Wie sind die Eltern mit mir umgegangen? Haben sie mich immer »klein«gemacht? Oder haben sie mir dadurch Selbstvertrauen gegeben, dass sie mir einerseits Sicherheit schenkten (»Wir sind an deiner Seite«), mir aber auch zu verstehen gaben, dass sie Vertrauen in meine Fähigkeiten und meinen Lebensweg hätten?

Welche Rolle hatte ich in meinen Bezugsgruppen im Kindergarten oder in der Schule inne? War ich dort ein Außenseiter oder integriert?

Habe ich je psychische oder gar körperliche Gewalt erfahren?

Wurden meine Ideen von anderen unterstützt, oder wurde mein Handeln kaum anerkannt?

Bekam ich Sicherheit und Hilfsangebote durch wichtige Bezugspersonen?

Gab es einzelne, für mich dramatische und angstmachende Erlebnisse, und konnte ich diese bewältigen? Waren da Personen, die mir Mut zugesprochen haben?

Vulnerabilität und Resilienz

Unsere Lebensgeschichte und unsere persönliche Entwicklung sind wesentliche Faktoren, die entweder zu einer verstärkten Vulnerabilität oder aber zu einer besonderen Widerstandskraft (Resilienz) führen. Ob sich eine psychische Erkrankung entwickelt, hängt neben biologischen Faktoren mit der Mannigfaltigkeit der eigenen Erlebnisse und des Umgangs damit zusammen (siehe Seite 28f.).

Stress als Krankheitsauslöser

Chronische Überbelastung (engl. stress [Druck, Anspannung]), aber auch akute belastende Ereignisse oder das Zusammenkommen verschiedener Stressfaktoren sind neben der psychischen Verletzlichkeit der zweite Faktor des Diathese-Stress-Modells. Damit eine Erkrankung tatsächlich auftritt, braucht es eine oder mehrere belastende Bedingungen. Dazu gehören beispielsweise Einsamkeit, ständige Konflikte im Beruf oder der Verlust des Arbeitsplatzes, Krisen und Streitereien in der Partnerschaft oder der Familie, körperliche Erkrankungen oder Verletzungen, Erfahrungen von körperlicher oder psychischer Gewalt, der Verlust von wichtigen Bezugspersonen durch Tod oder Trennung oder auch finanzielle Schwierigkeiten. Treffen nun solche Stressfaktoren bei uns auf »empfindliche Seiten« (Vulnerabilitäten), kann dies der Auslöser für den Beginn oder das Andauern einer psychischen Erkrankung sein. Je höher die Ähnlichkeit des oder der auslösenden Faktoren mit der Art unserer Verletzbarkeit ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine entsprechende Krankheit daraus entstehen kann. So wird eine ängstliche Person auf eine bedrohliche Situation mit betrunkenen Jugendlichen nachts in der Straßenbahn möglicherweise mit einer später auftretenden Angststörung reagieren. Ein junger Mann mit niedrigem Selbstwertgefühl hingegen, dessen Freundin sich gerade von ihm getrennt hat, reagiert womöglich eher mit einer Depression.

Aus der Praxis

Kurt P. hat seit seinem 45. Lebensjahr des Öfteren mit Schwindelanfällen zu tun und leidet unter schwankendem Blutdruck. Mal ist er zu hoch, mal ist er zu niedrig. Auch wacht der heute Fünfzigjährige etwa ein- bis zweimal pro Monat nachts auf, hat ohne ersichtlichen Grund Herzrasen und ist schweißgebadet. Das ist ihm zwar unangenehm, da der Kardiologe aber keine Hinweise auf eine ernsthafte Erkrankung gefunden hat, findet Kurt P. diese Symptome nicht weiter beeinträchtigend. »Das liegt in der Familie«, sagt er immer, »mein Vater hatte es auch mit dem Kreislauf.«

Ganz anders jedoch ist es bei seinem Sohn Sven gelaufen. Mit fünfzehn hatte der Teenager direkt nach einem anstrengenden Fußballmatch einen Schwächeanfall erlitten mit starkem Herzrasen, verbunden mit Schwindelgefühl und Atemnot. Schlimmer jedoch war für ihn in dieser beängstigenden Situation, dass er sich dafür vor dem Trainer und seiner Mannschaft schämte und sich daher im Umkleideraum versteckte. Hier wollte er wieder zu Kräften kommen und sich erholen, doch das Gegenteil passierte. Die Atemnot wurde noch stärker, und er versuchte, durch tiefes heftiges Atmen gegenzusteuern, was jedoch nicht gelang. Sven wurde noch schwindliger; und als noch Übelkeit hinzukam, erfasste ihn Todesangst. Er fiel in Ohnmacht und muss eine Weile bewusstlos gewesen sein, bevor ihn ein Mitspieler fand und der Rettungsdienst benachrichtigt werden konnte.

Mehrere Besuche beim Hausarzt sowie einem Herzspezialisten brachten keine Diagnose, sondern lediglich die Empfehlung, »langsam zu machen«. Dies führte dazu, dass auch Sven P.s Eltern stets besorgt waren, der Jugendliche über mehrere Jahre hinweg keinen Sport mehr trieb und auch bei geringem Unwohlsein zu Hause blieb, statt zur Schule zu gehen. Sein Leben hatte sich durch dieses Ereignis völlig verändert. Seine Eltern berichteten, dass sich ihr Sohn von einem aktiven Jungen zu einem stillen, oft einsamen Heranwachsenden entwickelt hatte, der sich mehr und mehr mit Handy und Computer in seinem Zimmer beschäftigte und sich niedergeschlagen fühlte. Auch seine schulischen Leistungen ließen mit Beginn der Panikstörung nach.

Wiederholte medizinische Untersuchungen ergaben keine klaren Befunde, was dem Heranwachsenden fehlte. Die panikartigen Zustände traten hingegen alle paar Monate ohne erklärbaren Grund immer wieder auf. Erst im Alter von neunzehn Jahren – Sven P. hatte erfolgreich seinen Schulabschluss gemacht – empfahl ihm ein anderer Arzt, es mit einer langsam aktivierenden Physiotherapie zu versuchen. Da es infolgedessen nicht mehr zu Schwäche- und Angstanfällen kam, wurde der junge Mann zunehmend sicherer in seinen sportlichen Aktivitäten. Schon ein paar Wochen später war er begeisterter Besucher eines Fitnessstudios, wo er regelmäßig trainierte.

Der Verlauf der Symptomatik und der Schwächeanfälle von Sven lassen sich gut mit dem Vulnerabilitäts-Stress-Modell erklären. Offensichtlich gibt es in der Familie eine Anfälligkeit für Herz-Kreislauf-Probleme. Die rein körperliche Anstrengung – dies war die akute Stresssituation beim Fußballspielen – hat bei dem Jungen eine Schwächereaktion ausgelöst. Nun kommt die Psychologie ins Spiel. Sven P. wollte nicht, dass andere ihn so sehen, war daher hilflos und musste eine Art Panikattacke mit Todesangst, Hyperventilation und kurzer Ohnmacht erleben. Die unklaren medizinischen Befunde führten dazu, dass er und seine Eltern den Sport als Ursache für den Panikanfall sahen. Vor dem Hintergrund ist es verständlich, dass Sven mehrere Jahre keinen Sport trieb – mit vielen negativen Folgen. Er zog sich mehr und mehr zurück, und die Lebensfreude schwand. Diagnostisch betrachtet, hat Sven P. durch das Ereignis beim Fußball tatsächlich eine Panikstörung im Sinne einer psychischen Erkrankung entwickelt. Glücklicherweise begegnete er Jahre später einem mutmachenden Arzt und einem motivierenden Physiotherapeuten, die dem jungen Mann erfolgreich dabei helfen konnten, wieder in seine Kraft zu kommen.

Wie Heilung möglich ist

Werden wir körperlich oder psychisch krank, fühlen wir uns sicherer, wenn wir – möglichst zu 100 Prozent genau – wissen, warum es uns »erwischt« hat. Aus diesem Wissen heraus erhoffen wir uns eine zielgerichtete Behandlung und Heilung. So sind wir nun mal »gestrickt«! Um psychische Erkrankungen behandeln zu können, ist es jedoch wesentlich wichtiger, diejenigen Faktoren möglichst genau zu analysieren, die eine Krankheit aufrechterhalten.

Die Suche nach einer eindeutigen Ursache für ein bestimmtes Leiden, sei es körperlicher oder psychischer Natur, ist daher verständlich und oft auch deshalb hilfreich, weil damit eine erfolgreiche Behandlung sicherer oder zumindest wahrscheinlich erscheint. Zwar bringt schon eine Erkrankung Einschränkungen, Schmerz, Leid oder zumindest Unzufriedenheit und Ungeduld mit sich; nichts erscheint jedoch schlimmer, als nicht zu wissen, was man eigentlich »hat« und woher »es« kommt. Wochen- oder gar monatelang mit Beschwerden belastet zu sein, ohne Antworten auf die Frage »Woher kommt es?« zu bekommen, macht Sorgen und unsicher, ob es überhaupt eine Lösung des Problems, eine Linderung oder eine Heilung gibt und ob und wann man sich wieder am Leben erfreuen kann.

Klare und eher vage Diagnosen

Daher kann allein schon die Kenntnis einer Diagnose – am besten gestellt durch eine Expertin, der man vertraut – eine gewisse Sicherheit geben. Selbst dann, wenn diese bedrohlich sein sollte, erscheint es besser, als möglicherweise endlos gepeinigt zu sein oder keine Ahnung zu haben, woher die Qual eigentlich kommt. Zudem erhöht ein richtiger Befund die Wahrscheinlichkeit, dass die Medizin oder die Psychologie etwas gegen eine körperliche oder psychische Erkrankung tun kann.

Bei einer körperlichen Krankheit kennen wir oft – wenn auch hier nicht immer – die Ursache. Am offensichtlichsten ist sie bei einer Verletzung: Man hat sich den Fuß beim Waldlauf verstaucht, oder die Hausärztin stellt anhand eines Blutbilds fest, dass eine Infektion vorliegt. In solchen Fällen ist mit der Diagnose und Ursachenanalyse eine meist klare Behandlungsempfehlung verbunden. Schwieriger wird es, wenn Symptome und Analysen kein klares Bild ergeben. So bedeutet die Einordnung »Lumbalsyndrom« lediglich, dass es um Probleme und Schmerzen im unteren Rückenbereich geht. Sie ist daher nicht wirklich eine Diagnose, sondern beschreibt nur die Beschwerden. Auch die Feststellung einer Long-Covid-Erkrankung (siehe Seite 79) sagt nur aus, dass Müdigkeit, Schlappheit, Atemnot oder Hustenreiz wahrscheinlich mit einer zurückliegenden Coronavirus-Infektion zusammenhängen. Genau erklären aber kann man weder die lange Dauer der Symptome, noch ist eine Aussage möglich, warum solche Krankheitsverläufe bei einer Person auftauchen, bei anderen jedoch nicht. So etwas ist für Betroffene extrem frustrierend. Vor allem auch bei chronischen körperlichen Erkrankungen gibt es nicht immer eindeutige Behandlungsempfehlungen. Häufig werden nur einzelne Symptome wie Schmerz oder Müdigkeit behandelt.

Unklare Befunde erschweren also die Therapie. Anschließend werden die Betroffenen oft von Facharzt zu Fachärztin weitergereicht und landen in ihrer Not nicht selten bei Heilern, die jenseits der sogenannten »Schulmedizin« allerlei nicht wissenschaftlich als wirksam erwiesene Behandlungen anbieten.

Klare Diagnosen können zwar berechtigte Hoffnung auf Heilung geben. Allerdings gibt ein Befund – besonders der einer psychischen Erkrankung – in den allermeisten Fällen keine Hinweise darauf, warum sie entstanden ist. Und auch wenn wir wissen, dass es biologisch-körperliche Faktoren oder Erlebnisse und Erfahrungen in der Lebensgeschichte gibt, die – neben akuten oder anhaltenden Belastungen – zu dieser Erkrankung hätten führen können, muss dies nicht der Fall sein!

Warum eine Diagnose noch lange nicht gesund macht

Bei psychischen Erkrankungen beschreibt die Fachliteratur die diagnostischen Kriterien sehr genau, und damit kommt es meist auch zu einer zuverlässigen Diagnose. Allerdings handelt es sich auch hier lediglich um zusammenfassende Benennungen bestimmter Beschwerdebilder. Beispielsweise treten bei Depressionen (siehe Seite 48f.) neben der niedergeschlagenen Stimmung und der Antriebslosigkeit oft Müdigkeit und Kraftlosigkeit, aber auch Schlaflosigkeit, Grübeln und Minderwertigkeitsgedanken auf. Manche haben einen zyklischen Charakter in der Form, dass die Kraft- und Mutlosigkeit besonders am Morgen auftritt; schwerere Depressionen können mit wahnhaftem Erleben und Denken einhergehen. Selbst wenn die Beschwerden in der Fachliteratur gut beschrieben werden, sind ihre wirklichen Ursachen jedoch – bis auf wenige Ausnahmen – damit keineswegs bekannt, oder sie können nur von Ärztinnen und Therapeuten naturgemäß zu einem gewissen Anteil festgestellt werden.

Wie wir über uns denken, kann uns im besten Fall stärken, aber auch schwächen und krankheitsanfällig machen.

Die drängende Frage nach dem Woher

Das beschäftigt natürlich viele Betroffene und bringt sie zum Nachdenken. Was genau ist denn nun die (lebensgeschichtliche) Ursache für meine Depression? Warum fühle ich mich dauernd belastet, reizbar und unzufrieden? Und meine Bekannte, die doch viel mehr »auf dem Buckel« hat als ich, geht frohgemut durch ihr Leben, obwohl sie aus einer Familie mit suchtkranken Eltern kommt? Solche Fragen nach dem Entstehen bestimmter persönlicher Eigenheiten oder Schwierigkeiten sind für uns alle bedeutsam und regen zum Nachdenken oder gar Grübeln an. Häufig steckt dahinter aber auch die Annahme, dass das Herausfinden von Ursachen unbedingt notwendig sei, um das Übel bei der Wurzel zu packen und loszuwerden: Wie soll ich mich – ohne genau zu wissen, woher »etwas« gekommen ist – davon lösen und psychisch wieder in Balance kommen?

Psychologische Mechanismen klären

Tatsache ist, dass selbst dann, wenn wir genau wüssten, woher eine bestimmte Angst kommt, damit ein Problem noch lange nicht gelöst ist. Wie in der Biologie, bei der sich körperliche Prozesse verselbstständigen können, gibt es auch bei psychischen Erkrankungen psychologische Mechanismen, die eine Störung ausmachen. Diese sind oft unabhängig von lebensgeschichtlichen »Ursachen«. Und genau in dieser Tatsache liegen die Chance und die begründete Hoffnung auf Behandlung und Heilung. Die klinische Psychologie und die Psychotherapieforschung als Wissenschaft haben sich mit ihren jahrzehntelangen Forschungsarbeiten weniger mit den »Ursachen« von psychischen Erkrankungen beschäftigt als vielmehr mit der Frage, wann und warum ein Problem immer wieder auftritt und wie es genau im Hier und Jetzt »funktioniert«. Dahinter steht die Idee, dass wir an den lebensgeschichtlichen Ereignissen – selbst wenn wir sie genau wüssten – nichts mehr ändern können. Eine erfolgreiche Therapie kann nur im Hier und Heute und für die Zukunft stattfinden. Im Fokus der Diagnostik und Behandlung steht daher die Frage, welche aktuellen Faktoren und persönlichen Muster des Erlebens, Denkens und Handelns die Hauptmerkmale der Erkrankung ausmachen.

Das Funktionieren psychischer Krankheiten verstehen

Die gute Nachricht ist daher: Wir Therapeuten verstehen, dass die Frage nach den »eigentlichen« Ursachen eine hohe persönliche und durchaus auch fachliche Bedeutung hat. Mittlerweile wissen wir aber so viel über psychische Erkrankungen und ihre Behandlung, dass wir dies – auch ohne genaue Kenntnis der Ursachen – therapeutisch sehr gut für die Patientinnen und Patienten nutzen können. Uns stehen sehr gut überprüfte Kenntnisse über die Hauptmerkmale von psychischen Erkrankungen zur Verfügung und wie diese im Zusammenhang zueinander stehen. Wir können daher sehr klar eine Depression von einer phobischen Angststörung, einer Essstörung oder einer Schizophrenie abgrenzen. Auf diesem Wissen bauen anschließend auch die verschiedenen Therapien auf.

Was hält eine Krankheit aufrecht?

Ein wesentlicher Faktor auf dem Weg zu einer guten Behandlung ist der Blick darauf, was die Krankheit »am Leben« erhält. Was nährt sie, wie kann es sein, dass sie weiterbesteht oder immer wiederkommt? Auch hier finden wir die Quelle und die Erklärung im Menschen selbst. Wenn wir eine psychische Erkrankung betrachten, sehen wir uns immer vier wesentliche Aspekte an und die Art und Weise, wie die Krankheit aufrechterhalten wird. Dies sind immer:

körperliche Faktoren,

Gedanken,

Handeln und Verhalten sowie

Gefühle.

Sowohl ein »normales« als auch ein krankhaftes Erleben und Verhalten kann mit diesen vier Faktoren beschrieben und in der Regel auch erklärt werden.

Die vier Modalitäten des Erlebens und Verhaltens: Die Richtungen der Einflüsse auf unser Erleben – und das ist der Grund, warum die Modalitäten in einem Kreis dargestellt wurden – sind keine Einbahnstraßen.

Die Perspektive der Psychotherapie